29.01.2013 Aufrufe

Kescher - Abraham Geiger Kolleg

Kescher - Abraham Geiger Kolleg

Kescher - Abraham Geiger Kolleg

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

22<br />

Das <strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong> <strong>Kolleg</strong> führt in<br />

diesem Win tersemester in Koope -<br />

ration mit dem Institut für Jüdische<br />

Studien, dem Institut für Religions -<br />

wissen schaft und dem Zentrum Jüdische Studien<br />

Berlin-Brandenburg eine eindrucksvolle Ringvor -<br />

lesung zum Zwölfprophetenbuch (aramäisch Tre<br />

Asar) durch. Alle Referenten und Referentin nen,<br />

die international bekannt und ausgewiesen sind,<br />

stellen die einzelnen Bücher in ihrer Eigenart<br />

und Entstehungsgeschichte vor und behandeln<br />

darüber hinaus einen thematischen Schwer -<br />

punkt. Die bisherigen Vorlesungen – darunter<br />

Vorträge von Rabbinerin Gesa Ederberg zu<br />

Maleachi, von Prof. Dr. Matthias Köckert zu<br />

Obadja und von Rabbiner Prof Dr. Jonathan<br />

Magonet zu Haggai - haben gezeigt, wie fruchtbar<br />

methodisch unterschiedliche Zugänge zu den<br />

Prophetenbüchern sein können.<br />

Damit nicht das gesamte Corpus der Zwölf Pro -<br />

pheten, das als Einheit wahrgenommen und verstanden<br />

werden will, aus dem Blick gerät, stand<br />

am Anfang eine Einführung in das Zwölfprophe -<br />

ten buch als Ganzes; am Ende wird ein Resümee<br />

gezogen, das die einzelnen Beiträge würdigt und<br />

nach deren Erkenntnissen miteinander vernetzt.<br />

Das Zwölfprophetenbuch, das bedeutende Jahr -<br />

hunderte der Geschichte Israels und der Entste -<br />

hung der Bibel abdeckt, verfügt über ein enormes<br />

theologie-, religions-, kultur- und sozialgeschichtliches<br />

Potential. Seine Kenntnis ist nicht<br />

zuletzt auch deshalb wichtig, weil Texte daraus<br />

am Schabbat und an Festtagen im synagogalen<br />

Gottesdienst in der Haftara (‚Abschluss‘)<br />

Berücksichtigung finden, das .heisst in der<br />

Lesung eines Abschnittes aus den Propheten -<br />

büchern (Josua bis Maleachi), der die öffentliche<br />

Toralesung abschließt.<br />

Worum geht es in der Prophetie der Hebräischen<br />

Bibel? Populäres und wissenschaftliches Ver -<br />

ständ nis stimmen nicht lückenlos überein. Aus<br />

Situationen, in denen jemand nach Entwicklun -<br />

gen und künftigen Ergebnisse gefragt wird,<br />

kennt jeder die Abwehrreaktion: „Ich bin doch<br />

kein Prophet“. Die biblische Bedeutung eines<br />

Propheten ist umfassender als das populäre<br />

Missverständnis eines Kenners der Zukunft: Er<br />

sagt etwas im Namen Gottes offen hervor, nicht<br />

notwendig vorher, er ist Sprecher und Interpret<br />

der Gottheit und erfasst damit Vergangenheit,<br />

<strong>Kescher</strong><br />

Gegenwart und Zukunft. Er wird berufen, auch<br />

gegen seinen Willen, und er wird wiederholt<br />

beauftragt, Forderungen, Heilsangebote und<br />

Unheilspläne an Dritte weiterzugeben. Auch von<br />

Prophetinnen (zum Beispiel Hulda) ist die Rede,<br />

aber nicht im Zusammenhang der Schriftpro -<br />

phetie. Die Bibel weiß auch von anderen Wegen,<br />

den Willen der Gottheit zu erfragen (zum Bei -<br />

spiel 1. Sam. 28,6): Träume werden genannt und<br />

Orakelinstrumente. Man beobachtete Zeichen am<br />

Himmel und in der Natur und man wertete Beob -<br />

achtungen an Opfertiere aus (Ein geweideschau).<br />

Diese induktiven Methoden waren im gesamten<br />

Alten Orient üblich, auch in Israel, sie werden<br />

aber in der Bibel abgelehnt. Im Alten Orient verbreitet<br />

war auch die uns aus den biblischen<br />

Texten so vertraute intuitive Prophe tie. Was<br />

genau jene altorientalischen Propheten gesagt<br />

haben, wissen wir nicht, weil die Prophe tien in<br />

Briefform erhalten sind und man in Rechnung<br />

stellen muss, dass bei der Überlieferung durch<br />

den Absender (der Prophet oder die Prophetin)<br />

Ringvorlesung des<br />

und durch die Verschriftung des Briefeschreibers<br />

(nicht der Prophet selbst) und schließlich aufgrund<br />

der Zusammenstellung von verschiedenen<br />

Worten Veränderungen gegenüber dem ursprünglichen<br />

Wortlaut eintraten. Das Problem der<br />

Authentizität ist in der Hebräischen Bibel ähnlich.<br />

Von frühen Gestalten wie <strong>Abraham</strong> (Gen 20),<br />

Mirjam (Ex 15) und Mose (Num 12; Dtn 18) abgesehen,<br />

bei denen es sich um Ehrentitel handelt,<br />

wenn sie Prophet genannt werden, agieren seit<br />

der Entstehung des Königtums um 1000 v.d.Z.<br />

zunächst vor allem Hof- und Tempelpropheten.<br />

Daneben gibt es mehr oder weniger ungebundene<br />

Gestalten. Ihnen wird zum Teil eine legitimierende<br />

Berufung nachgesagt, gleichwohl scheinen<br />

sie als meschugge bezeichnete Außenseiter und<br />

Oppositionelle aufgetreten zu sein (2. Kön 9,11;<br />

Jer 29,26; Hos 9,7), oft mit einer kräftig-poetischen<br />

Sprache und provozierenden Aktionen. Am<br />

Anfang offenbar nur ein marginales Phänomen,<br />

hat die Rezeptions- bzw. Wirkungsgeschichte in<br />

Verbindung mit Prozessen der Buchwerdungen<br />

und Buchgestaltungen die sog. Schriftprophetie<br />

zu einer prominenten biblischen und religionsgeschichtlichen<br />

Erscheinung gemacht.<br />

Die Hebräische Bibel, der Tanach (TaNaK), be -<br />

steht aus drei Teilen, der Tora, den Propheten<br />

10. Jahrgang | Ausgabe 1<br />

Das Zwölfprophetenbuch<br />

- Tre Asar / von Rüdiger<br />

Liwak<br />

Rabbiner<br />

Prof. Dr.<br />

Jonathan<br />

Magonet<br />

Der Alttestamentler Prof. Dr. Rüdiger<br />

Liwak (im Bild oben) war Dekan der<br />

Theologischen Fakultät der<br />

Humboldt-Universität zu Berlin, hat<br />

die Benno-Jacob-Gastpro fessur für<br />

Hebräische Bibel am <strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong><br />

<strong>Kolleg</strong> inne und lehrt am Institut für<br />

Religions wissenschaft der Universität<br />

Potsdam. Er leitete von 2007 bis 2009<br />

das Institut für Kirche und Judentum<br />

an der Humboldt-Universität.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!