Kescher - Abraham Geiger Kolleg
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Das <strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong> <strong>Kolleg</strong> führt in<br />
diesem Win tersemester in Koope -<br />
ration mit dem Institut für Jüdische<br />
Studien, dem Institut für Religions -<br />
wissen schaft und dem Zentrum Jüdische Studien<br />
Berlin-Brandenburg eine eindrucksvolle Ringvor -<br />
lesung zum Zwölfprophetenbuch (aramäisch Tre<br />
Asar) durch. Alle Referenten und Referentin nen,<br />
die international bekannt und ausgewiesen sind,<br />
stellen die einzelnen Bücher in ihrer Eigenart<br />
und Entstehungsgeschichte vor und behandeln<br />
darüber hinaus einen thematischen Schwer -<br />
punkt. Die bisherigen Vorlesungen – darunter<br />
Vorträge von Rabbinerin Gesa Ederberg zu<br />
Maleachi, von Prof. Dr. Matthias Köckert zu<br />
Obadja und von Rabbiner Prof Dr. Jonathan<br />
Magonet zu Haggai - haben gezeigt, wie fruchtbar<br />
methodisch unterschiedliche Zugänge zu den<br />
Prophetenbüchern sein können.<br />
Damit nicht das gesamte Corpus der Zwölf Pro -<br />
pheten, das als Einheit wahrgenommen und verstanden<br />
werden will, aus dem Blick gerät, stand<br />
am Anfang eine Einführung in das Zwölfprophe -<br />
ten buch als Ganzes; am Ende wird ein Resümee<br />
gezogen, das die einzelnen Beiträge würdigt und<br />
nach deren Erkenntnissen miteinander vernetzt.<br />
Das Zwölfprophetenbuch, das bedeutende Jahr -<br />
hunderte der Geschichte Israels und der Entste -<br />
hung der Bibel abdeckt, verfügt über ein enormes<br />
theologie-, religions-, kultur- und sozialgeschichtliches<br />
Potential. Seine Kenntnis ist nicht<br />
zuletzt auch deshalb wichtig, weil Texte daraus<br />
am Schabbat und an Festtagen im synagogalen<br />
Gottesdienst in der Haftara (‚Abschluss‘)<br />
Berücksichtigung finden, das .heisst in der<br />
Lesung eines Abschnittes aus den Propheten -<br />
büchern (Josua bis Maleachi), der die öffentliche<br />
Toralesung abschließt.<br />
Worum geht es in der Prophetie der Hebräischen<br />
Bibel? Populäres und wissenschaftliches Ver -<br />
ständ nis stimmen nicht lückenlos überein. Aus<br />
Situationen, in denen jemand nach Entwicklun -<br />
gen und künftigen Ergebnisse gefragt wird,<br />
kennt jeder die Abwehrreaktion: „Ich bin doch<br />
kein Prophet“. Die biblische Bedeutung eines<br />
Propheten ist umfassender als das populäre<br />
Missverständnis eines Kenners der Zukunft: Er<br />
sagt etwas im Namen Gottes offen hervor, nicht<br />
notwendig vorher, er ist Sprecher und Interpret<br />
der Gottheit und erfasst damit Vergangenheit,<br />
<strong>Kescher</strong><br />
Gegenwart und Zukunft. Er wird berufen, auch<br />
gegen seinen Willen, und er wird wiederholt<br />
beauftragt, Forderungen, Heilsangebote und<br />
Unheilspläne an Dritte weiterzugeben. Auch von<br />
Prophetinnen (zum Beispiel Hulda) ist die Rede,<br />
aber nicht im Zusammenhang der Schriftpro -<br />
phetie. Die Bibel weiß auch von anderen Wegen,<br />
den Willen der Gottheit zu erfragen (zum Bei -<br />
spiel 1. Sam. 28,6): Träume werden genannt und<br />
Orakelinstrumente. Man beobachtete Zeichen am<br />
Himmel und in der Natur und man wertete Beob -<br />
achtungen an Opfertiere aus (Ein geweideschau).<br />
Diese induktiven Methoden waren im gesamten<br />
Alten Orient üblich, auch in Israel, sie werden<br />
aber in der Bibel abgelehnt. Im Alten Orient verbreitet<br />
war auch die uns aus den biblischen<br />
Texten so vertraute intuitive Prophe tie. Was<br />
genau jene altorientalischen Propheten gesagt<br />
haben, wissen wir nicht, weil die Prophe tien in<br />
Briefform erhalten sind und man in Rechnung<br />
stellen muss, dass bei der Überlieferung durch<br />
den Absender (der Prophet oder die Prophetin)<br />
Ringvorlesung des<br />
und durch die Verschriftung des Briefeschreibers<br />
(nicht der Prophet selbst) und schließlich aufgrund<br />
der Zusammenstellung von verschiedenen<br />
Worten Veränderungen gegenüber dem ursprünglichen<br />
Wortlaut eintraten. Das Problem der<br />
Authentizität ist in der Hebräischen Bibel ähnlich.<br />
Von frühen Gestalten wie <strong>Abraham</strong> (Gen 20),<br />
Mirjam (Ex 15) und Mose (Num 12; Dtn 18) abgesehen,<br />
bei denen es sich um Ehrentitel handelt,<br />
wenn sie Prophet genannt werden, agieren seit<br />
der Entstehung des Königtums um 1000 v.d.Z.<br />
zunächst vor allem Hof- und Tempelpropheten.<br />
Daneben gibt es mehr oder weniger ungebundene<br />
Gestalten. Ihnen wird zum Teil eine legitimierende<br />
Berufung nachgesagt, gleichwohl scheinen<br />
sie als meschugge bezeichnete Außenseiter und<br />
Oppositionelle aufgetreten zu sein (2. Kön 9,11;<br />
Jer 29,26; Hos 9,7), oft mit einer kräftig-poetischen<br />
Sprache und provozierenden Aktionen. Am<br />
Anfang offenbar nur ein marginales Phänomen,<br />
hat die Rezeptions- bzw. Wirkungsgeschichte in<br />
Verbindung mit Prozessen der Buchwerdungen<br />
und Buchgestaltungen die sog. Schriftprophetie<br />
zu einer prominenten biblischen und religionsgeschichtlichen<br />
Erscheinung gemacht.<br />
Die Hebräische Bibel, der Tanach (TaNaK), be -<br />
steht aus drei Teilen, der Tora, den Propheten<br />
10. Jahrgang | Ausgabe 1<br />
Das Zwölfprophetenbuch<br />
- Tre Asar / von Rüdiger<br />
Liwak<br />
Rabbiner<br />
Prof. Dr.<br />
Jonathan<br />
Magonet<br />
Der Alttestamentler Prof. Dr. Rüdiger<br />
Liwak (im Bild oben) war Dekan der<br />
Theologischen Fakultät der<br />
Humboldt-Universität zu Berlin, hat<br />
die Benno-Jacob-Gastpro fessur für<br />
Hebräische Bibel am <strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong><br />
<strong>Kolleg</strong> inne und lehrt am Institut für<br />
Religions wissenschaft der Universität<br />
Potsdam. Er leitete von 2007 bis 2009<br />
das Institut für Kirche und Judentum<br />
an der Humboldt-Universität.