Lionel Bringuier - Münchner Philharmoniker
Lionel Bringuier - Münchner Philharmoniker
Lionel Bringuier - Münchner Philharmoniker
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Talentschmiede „Ballets russes“<br />
Selten kann man den entscheidenden Augenblick<br />
im Leben eines Künstlers so exakt benennen<br />
wie im Falle Igor Strawinskys: Es war der<br />
6. Februar 1909. In einem St. Petersburger Konzert<br />
wurden zwei kurze Orchesterwerke von<br />
ihm, „Scherzo fantastique“ und „Feu d’artifice“,<br />
aufgeführt. Im Publikum saß Sergej Diaghilew,<br />
der legendäre Förderer neuer Kunst und spätere<br />
Leiter der „Ballets russes“. Dieser Mann,<br />
selbst weder Tänzer noch Choreograph – was<br />
manches Lexikon falsch berichtet –, noch Komponist,<br />
Maler oder Schriftsteller, vereinigte<br />
doch alle diese Künste auf besondere Weise<br />
in sich.<br />
Sein Genie äußerte sich nicht in eigenen Werken,<br />
sondern im Anregen und Entdecken, im<br />
Finden und Verbinden von Persönlichkeiten<br />
und Ideen. Er erkannte die Begabung des jungen<br />
Strawinsky, Schüler des im Vorjahr verstorbenen<br />
Rimskij-Korsakow, auf Anhieb und<br />
stellte ihn auf die Probe: Zwei Klavierstücke<br />
von Chopin sollten für das Ballett „Les Sylphides“<br />
beim Gastspiel der „Ballets russes“ in<br />
Paris orchestriert werden. Und da Strawinsky<br />
die Aufgabe pünktlich und zur vollen Zufriedenheit<br />
Diaghilews erfüllte, beauftragte er ihn für<br />
die nächste Saison mit einer eigenen Ballettmusik:<br />
„L’Oiseau de Feu“ (Der Feuervogel).<br />
Igor S t raw insky: „ Der Feuer vogel“<br />
– 2 4 –<br />
Am Vorabend des Weltruhms<br />
In seinen Erinnerungen „Chroniques de ma vie“<br />
von 1936 berichtet der Komponist: „Gegen Ende<br />
des Sommers 1909 [...] erhielt ich ein Telegramm,<br />
das alle meine Pläne umwarf. Diaghilew<br />
war soeben in St. Petersburg angekommen,<br />
und er schlug mir vor, die Musik zum ‚Feuervogel‘<br />
zu komponieren, der im Frühjahr 1910<br />
an der Pariser Oper vom Russischen Ballett<br />
aufgeführt werden sollte. Obgleich ich zunächst<br />
entsetzt war, weil dieser Auftrag an<br />
eine bestimmte Frist gebunden war, und obgleich<br />
ich fürchtete, ich könne die Zeit nicht<br />
ein halten, denn ich kannte damals meine Kräfte<br />
noch nicht, nahm ich den Vorschlag an.<br />
Dieses Anerbieten war sehr schmeichelhaft<br />
für mich. Man hatte mich unter den Musikern<br />
meiner Generation ausgewählt, und ich sollte<br />
an einem wichtigen Unternehmen mitarbeiten,<br />
zusammen mit Persönlichkeiten, die man als<br />
Meister ihres Faches zu bezeichnen gewohnt<br />
war.“<br />
Diaghilew fand seinen sicheren Griff bestä -<br />
tigt. „Seht ihn euch an, er ist ein Mann am Vorabend<br />
seines Ruhmes“, rief er vor der Pariser<br />
Premiere vom 25. Juni 1910 aus, die den<br />
28-jährigen mit einem Schlage zu einem international<br />
bekannten Komponisten machte.<br />
Aber mehr: Strawinsky wurde zum Ballettkomponisten<br />
par excellence. Denn der „Feuervogel“<br />
bedeutete für ihn ja mehr als irgendeine<br />
Auftragskomposition; hier hatte er, der mit<br />
Wer ken traditionell symphonischer Richtung<br />
Igor Strawinsky im ländlichen Sommersitz<br />
der Familie in Ustilug (1912)