02.02.2013 Aufrufe

Lionel Bringuier - Münchner Philharmoniker

Lionel Bringuier - Münchner Philharmoniker

Lionel Bringuier - Münchner Philharmoniker

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

der „Tänze des Prinzen Igor“ und des „Karneval“<br />

erfasste; das waren die beiden Ballettaufführungen<br />

Fokins, die ich bis dahin gesehen<br />

hatte. Mich überkam die Sehnsucht, dem engen<br />

Kreise zu entweichen, in den ich bis dahin eingeschlossen<br />

war; mit Begierde ergriff ich die<br />

Gelegenheit, die sich mir bot. Ich wünschte<br />

mich dieser Gruppe fortschrittlicher und tatkräftiger<br />

Künstler anzuschließen, deren Seele<br />

Diaghilew war, zu dem ich mich seit langem<br />

hingezogen fühlte.<br />

Während des ganzen Winters schrieb ich eifrig<br />

an meiner Musik, und durch diese Arbeit kam<br />

ich in ständige Berührung mit Diaghilew und<br />

seinen Mitarbeitern. Sobald ich Teile der Partitur<br />

ablieferte, legte Fokin die Choreographie<br />

fest, und ich war bei jeder Probe der Truppe<br />

zugegen. Hinterher war ich dann mit Diaghilew<br />

und Nijinskij zusammen – der übrigens in<br />

diesem Ballett nicht auftrat – und wir beendeten<br />

den Tag jedes Mal mit einem ausgewählten<br />

Essen, zu dem wir einen guten Bordeaux<br />

tranken.<br />

Die Partitur zum „Feuervogel“ lieferte ich nach<br />

hartnäckiger Arbeit zum vorgesehenen Termin<br />

ab. Dann hatte ich das Bedürfnis, mich einige<br />

Zeit auf dem Lande auszuruhen, bevor ich –<br />

zum erstenmal – nach Paris fuhr.<br />

Diaghilew war mit seiner Truppe und seinen<br />

Mitarbeitern vorausgefahren, und als ich eintraf,<br />

war die Arbeit schon in vollem Gange.<br />

Fokin hatte seine Choreographie mit viel Eifer<br />

Igor S t raw insky: „ Der Feuer vogel“<br />

– 3 0 –<br />

und Liebe durchgearbeitet, denn er war verliebt<br />

in das russische Märchen, und das Szenarium<br />

stammte von ihm. Ich hatte gedacht,<br />

dass die schlanke und gebrechliche Figur der<br />

Pawlowa viel besser zu der Märchengestalt des<br />

Feuervogels passen würde als der weibliche<br />

Charme der Karsawina, der ich gerne die Rolle<br />

der gefangenen Prinzessin anvertraut hätte.<br />

Aber die Umstände ließen dies nicht zu, und<br />

ich brauchte es nicht zu bedauern, denn die<br />

Karsawina war vollkommen in der Rolle des<br />

Vogels. Die schöne und graziöse Tänzerin<br />

hatte einen großen Erfolg.<br />

Die Aufführung wurde vom Pariser Publikum<br />

sehr warm aufgenommen. Ich möchte, dass<br />

man mich nicht missversteht, ich schreibe dies<br />

keineswegs nur meiner Partitur zu. Das lag<br />

ebenso sehr an der szenischen Wiedergabe,<br />

der prächtigen Ausstattung, die der Maler<br />

Golowin entworfen hatte, den wundervollen<br />

Leistungen der Truppe Diaghilews und dem<br />

Können des Regisseurs. Aber ich muss doch<br />

sagen, dass die Choreographie dieses Balletts<br />

mir immer zu kompliziert erschienen ist, zu<br />

überladen mit bildhaften Einzelheiten. Das Ergebnis<br />

war, dass es den Künstlern zu viel Mühe<br />

machte und heute noch macht, ihre Gesten<br />

und Schritte mit der Musik in Übereinstimmung<br />

zu bringen. Und so entsteht häufig ein<br />

ärgerlicher Missklang zwischen den Bewegungen<br />

der Tänzer und den gebietenden Forderungen<br />

der Musik.<br />

Natalia Gontscharowa: Figurine zum „Feuervogel“ (1910)

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!