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HOPE Kongress 2010 - Hope Congress Munich 2010

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7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong> 111<br />

• Basismodule für Pädagogik bei Krankheit in den Studienrichtungen aller<br />

Lehrämter<br />

• Spezialisierung für Lehrkräfte an Klinikschulen/im Hausunterricht<br />

• Schule für Kranke in der Funktion einer Seminarschule<br />

Der gemeinsame Gedanke, in allen Ländern eine Versorgung kranker Kinder<br />

und Jugendlicher durch Schulen für Kranke zu gewährleisten und zu verbessern,<br />

zeigte sich in einer regen Diskussion in beiden Perspektivenforen.<br />

Zur Vorbereitung einer Europäischen Lösung wurde von den Teilnehmern<br />

die Idee einer <strong>HOPE</strong> - Summerschool 2012/13 sehr begrüßt.<br />

Impulsreferat<br />

Wolfgang Oelsner<br />

Sonderschulrektor Johann-Christoph-Winters-Schule<br />

Schule für Kranke der Stadt Köln<br />

Guten Morgen meine Damen und Herren!<br />

Wenn doch die Metapher vom „Trommelfeuer“ nicht militärisch vorbelastet<br />

wäre! Wie gerne würde ich sie nutzen, um von der soeben erlebten,<br />

fantastischen Präsentation der jungen Trommler auf Themen überzuleiten,<br />

mit denen ich sie in einem Impulsreferat auf den Abschluss-Morgen<br />

einstimmen darf. Denn dieser <strong>Kongress</strong> in München wird wahrhaft als ein<br />

Trommelfeuer in die <strong>HOPE</strong>-Geschichte eingehen. Nicht nur des tollen Rahmens<br />

wegen, jenem Trommelfeuer von Klassik über Volkstümlichkeit bis<br />

hin zum Rock. Ein Paukenschlag war auch die Themenvielfalt, wie ich sie<br />

in den 22 Jahren, die ich jetzt leitend in Schule für Kranke tätig bin, bei<br />

<strong>HOPE</strong> so noch nicht gehört und erlebt habe. Mit dieser Tagung wurde ein<br />

Graben zugeschüttet, der sich latent immer auftat. Es war ein Graben, wie<br />

man ihn zuweilen zwischen nahen Verwandten kennt, die zwar alle den<br />

gleichen Familiennamen tragen, bei Familienfesten jedoch darum streiten,<br />

wer eigentlich der Eltern liebstes und legitimes Kind ist.<br />

Wer darf sich zu den legitimen Familienmitgliedern der Krankenpädagogik<br />

rechnen? Lange Zeit spaltete diese Frage. Da standen auf der einen Seite<br />

die Kolleginnen und Kollegen, die tradiert auf den somatischen Stationen<br />

arbeiten, und auf der anderen Seite die Kolleginnen und Kollegen, die in<br />

den neu entstandenen Kinder- und Jugendpsychiatrien arbeiten. Manchmal<br />

erschienen sie eher als Stiefverwandte. Seit München <strong>2010</strong> schlägt<br />

die Familienchronik neue Seiten auf. Seit München ist die trennende Abgrenzung<br />

passé. Wir Krankenpädagogen verstehen uns sämtlichst als pädagogische<br />

Fachkräfte für Kinder und Jugendliche mit krankheitsbedingten<br />

Lernschwierigkeiten. Lernprobleme, die krankheitsbedingt sind, gehen<br />

immer mit Lebensproblemen einher. Dieser Auftrag eint uns als Pädagogenfamilie.<br />

Wie alle Schulen haben auch wir Krankenpädagogen den Auftrag, zu unterrichten<br />

und zu erziehen. Wenn Lebensschwierigkeiten im Raum stehen,<br />

kann der Erziehungsauftrag aus unserer Arbeit nicht ausgeklammert werden.<br />

In beiden Tätigkeitsfeldern, dem psychischen wie dem somatischen,<br />

haben wir es mit langfristigen, oft chronifizierten Krankheitsverläufen zu<br />

tun. Begriffe wie „Liegezeiten“ und deren Quantifizierung wie „vierwöchig“<br />

oder „sechswöchig“ entstammen einer anderen Zeit und erfassen inhaltlich<br />

nicht mehr die anstehenden Aufgaben. Wir haben es zu tun mit hartnäckigen<br />

Krankheitsverläufen und wiederholten Krankenhausaufenthalten.<br />

Das ist nicht gleichbedeutend mit permanenter stationärer Unterbringung,<br />

aber immer mit langen Zeiten, in denen Kinder nicht in ihrer Heimatschule<br />

unterrichtet werden können.<br />

Am Eröffnungstag sagte der Kinderonkologe, Herr Professor Burdach:<br />

„Wer unterrichtet wird, hat Zukunft.“ Indem wir kranke Kinder, auch lebensbedrohlich<br />

erkrankte, unterrichten, wahren sie ihre Optionen auf Zukunft.<br />

Wer auf unserem Stundenplan steht, kann weder wert- noch hoffnungslos<br />

sein. Dennoch müssen wir neben einer Kultur der Ermutigung<br />

auch eine des Abschiednehmens akzeptieren und pflegen. Auch diese Ambivalenz<br />

eint uns Krankenpädagogen auf den unterschiedlichen Stationen.<br />

Abschiede von Bildungszielen sind auch Abschiede von Lebenskonzepten<br />

und wollen von uns begleitet werden. Mal steht die Diagnose „Tumor“<br />

IV. Zusammenfassung<br />

mit irreparablem Funktionsverlust dahinter. Mal erzwingt die Diagnose<br />

„Asperger Autismus“ ein Umdenken, etwa wenn ein Kind wegen ADHS in<br />

der Kinderpsychiatrie vorgestellt wird und sich während der Behandlung<br />

herausstellt, dass das ADHS lediglich Komorbidität einer bis dahin nicht<br />

erkannten tiefgreifenden Entwicklungsstörung war. In beiden Fällen verläuft<br />

das junge Leben nach der Diagnosestellung in anderen Bahnen. Es<br />

gilt Abschied zu nehmen von Planungen, Hoffnungen, Wünschen, Utopien.<br />

Ich will die Impulse meines Referats in jeweils kurzen Thesen komprimieren<br />

These 1:<br />

Die SfK pflegt eine Kultur sowohl der Ermutigung und Zukunftsfindung als<br />

auch des Abschiednehmens. Auch die Befähigung zur Trauerarbeit ist immanentes<br />

Ziel im Unterricht und bei Schullaufbahnberatungen vor allem<br />

chronisch kranker Schüler.<br />

Die Berufserfahrung lehrt uns, dass auch bei optimaler Förderung die<br />

Bildungswege nicht immer geradlinig, selten linear verlaufen. Sie sind<br />

durchaus auch wellenförmig. Manchmal verharren Kinder auch lange Zeit<br />

auf Entwicklungsplateaus, und es bleibt zunächst offen, ob und wie es<br />

weitergeht. Das braucht Geduld. Das verlangt auch eine gewisse Demut<br />

statt einer Bildungs- und Therapieeuphorie. Wir tun den Kindern, ihren<br />

Angehörigen und uns keinen Gefallen, wenn wir die Ziele unser krankenpädagogischen<br />

Intervention in den Dienst des gesellschaftlichen Hypes stellen,<br />

wonach nur das Abitur zum Glück und zur gesellschaftlichen Teilhabe<br />

führen kann. Mit einer relativierenden Haltung werden wir uns nicht immer<br />

beliebt machen. Wir sollten sie dennoch sehr offensiv kommunizieren und<br />

Gegenwind aushalten.<br />

These 2:<br />

Realitätsprüfung, Krankheitseinsicht und –bewältigung sind immanente Förderziele<br />

von Unterricht, Beratung und Diagnostik in einer Klinikschule. Zur Realitätsakzeptanz<br />

gehört auch eine Krankheits- und Verlustakzeptanz.<br />

Die beschriebene Haltung bleibt keineswegs auf den Klinikunterricht beschränkt.<br />

Wir haben sie in die Kollegien der Regelschulen hineinzutragen.<br />

Die Erkenntnis, dass Krankheit und Begrenzung Bestandteile des Lebens<br />

sind, ist beileibe kein Monopol der Krankenpädagogik. Sie lässt sich didaktisch<br />

aber nicht immer, nicht unmittelbar und nicht hinreichend gut im allgemeinen<br />

Schulleben umsetzen. Wenn sich der Umgang mit Begrenzungen<br />

vorerst nur im geschützten System der Krankenpädagogik umsetzen lässt,<br />

dann steht dies nicht im Widerspruch zum allseits geforderten Inklusionsgedanken.<br />

Der Weg zum Ziel braucht auch längere Zeit, als die stationäre<br />

Verweildauer sie den Kindern als Zugangberechtigung zur SfK zugesteht.<br />

Was ist die Schule für Kranke?<br />

Gestatten Sie mir eine etwas sibyllinisch klingende Formulierung<br />

„Die Schule für Kranke ist das, was es ohne sie nicht gäbe“.<br />

Dieser Versuch einer recht offenen Definition ist auch eine Referenz an<br />

die Medienstadt München. Denn meine Diktion ist die Variation einer Formulierung,<br />

die Heribert Prantl in einem Artikel der Süddeutschen Zeitung<br />

zum Münchener Kirchentag <strong>2010</strong> wählte. Auf die Frage: „Was ist Kirche?“<br />

antwortete er: „Kirche ist das, was es ohne sie nicht gäbe.“<br />

In einigen Bundesländern (so in meinem Bundesland NRW) hat die Schule<br />

für Kranke den Rechtsstatus einer „Schule eigener Art“. Ich erlaube mir,<br />

dies in folgender These zu erweitern:<br />

These 3<br />

„Die Schule für Kranke ist das, was es ohne sie nicht gäbe“.<br />

Rechtlich ist sie eine „Schule eigener Art“. Sie ist auch eine Schule einzigartiger,<br />

notwendiger Art. Ihr Alleinstellungsmerkmal liegt in der Integration<br />

von Maßnahmen.<br />

Krankenpädagogik integriert den medizinisch-therapeutischen Aspekt,<br />

der sich aus der Tatsache ergibt, dass das Kind krank ist, und den schulischen<br />

Aspekt, der sich aus der Tatsache ergibt, dass es eben ein Kind,<br />

bzw. ein Jugendlicher ist. Wir Krankenpädagogen haben dabei - auch das<br />

hat München deutlich gezeigt - den Paradigmenwechsel vollzogen, den die<br />

Bezeichnung unserer Schulform schon vor Jahren anbahnte, und den ich<br />

mit folgender These zusammenfasse:

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