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HOPE Kongress 2010 - Hope Congress Munich 2010

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7th European <strong>HOPE</strong> <strong>Congress</strong> <strong>2010</strong><br />

Bereiche, die o.k. oder gut laufen, zu erfahren. Möglichkeiten, die einem<br />

oft selber nicht mehr bewusst sind, können so vielleicht gefunden<br />

werden“.<br />

Bei Fragen nach Straftaten, Schulden, Drogenkonsum oder sexuellen Neigungen<br />

(homosexuelle Jugendliche haben ein erhöhtes Suizidrisiko) wie<br />

auch bei Gewalterfahrung und Missbrauch hilft es, wenn man vorausschickt,<br />

dass man diese Fragen allen Jugendlichen in diesem Alter stellt<br />

und auch darüber die Schweigepflicht gilt.<br />

32.3.6 Risikoeinschätzung<br />

Im Zusammenhang mit Suizidalität hat die Diagnostik immer auch therapeutische<br />

Auswirkungen. Vergleichbar mit einer multimodalen, mehrgleisigen<br />

Diagnostik und Therapie kann man bei der Risikoeinschätzung und<br />

Maßnahmenplanung einen Befund erheben, indem man gleichzeitig auf 8<br />

Aspekte achtet.<br />

1. Beziehung aufbauen, Akzeptanz erreichen Bereits bei der Anmeldung<br />

sollte versucht werden, Hemmschwellen zu senken, um möglichst viele<br />

Jugendliche in einer Lebenskrise zu erreichen. Ein erstes Gespräch ohne<br />

aufwendige Anmeldeformulare, Einverständniserklärungen der Eltern,<br />

Meldung an die Krankenkasse oder Angaben von persönlichen Daten wie<br />

Name, Adresse und Telefonnummer der Eltern wäre ideal. Der Jugendliche<br />

sollte am Telefon oder an der Rezeption auch nur sagen dürfen, er wolle<br />

den Arzt sprechen. Daten lassen sich meist noch im Laufe der Gespräche<br />

erheben. Viele Jugendliche befürchten zu Recht, dass über die Inhalte mit<br />

den Eltern oder anderen ( z.B. Lehrern, Polizisten, Jugendämtern) gesprochen<br />

wird. Jugendliche geben lieber ihre eigene Mobiltelefonnummer an<br />

als die Haustelefonnummer der Eltern.<br />

Längeres Warten im Wartezimmer sollte vermieden werden, da Geduld<br />

und Gelassenheit beim suizidalen Jugendlichen meist sehr reduziert oder<br />

nicht existent sind. Längeres Wartenlassen wird möglicherweise als mangelndes<br />

Interesse oder fehlende Zeit des Arztes interpretiert. Zudem schämen<br />

sich viele Jugendliche in Wartezimmern und gehen vielleicht wieder.<br />

Wichtig ist es, dem Jugendlichen den Sinn und Zweck von Beratung in einer<br />

Krise zu erklären. Das ärztliche Angebot (Dauer, Häufigkeit, Hilfsmöglichkeiten)<br />

muss dargestellt werden.<br />

Die Schweigeverpflichtung sollte umfassend erläutert werden:<br />

„Wenn man hier über problematische oder schwierige Situationen redet,<br />

gibt es eine Schweigeverpflichtung. Menschen (z. B. Eltern, Lehrer), die<br />

sich informieren möchten, müssen verstehen, dass man hier nicht mehr<br />

offen sprechen kann, wenn die ärztliche Schweigepflicht gebrochen wird.<br />

Wir versuchen, dass Jugendliche wie Du ihre Belange selber in die Hand<br />

nehmen können und nicht der Arzt versucht zu helfen, indem er Informationen<br />

an Dritte weitergibt. Etwas anderes ist es, wenn Du selbst uns bittest,<br />

mit jemand zu sprechen.“<br />

Während der Gespräche sollten Unterbrechungen wie Rezepte unterschreiben,<br />

Zwischenfragen des Personals, telefonieren, “kurz mal rausgehen“<br />

etc. unterbleiben. Jugendliche in suizidalen Krisen sind häufig extrem<br />

leicht zu kränken und fühlen sich schnell abgewertet Die ärztliche Grundhaltung<br />

sollte anteilnehmend neugierig sein. Nach der Frage,<br />

weshalb er/sie kommt, sollte dem/der Jugendlichen erklärt werden, auf<br />

welche Weise (s.o. Vorgehen bei Suizidalität, 5 Lebensbereiche) man versuchen<br />

wird, ihm/ihr zu helfen und ob das für ihn/sie so o.k. ist.<br />

Man sollte nicht zuerst schnell konfrontieren und auf Fehlverhalten des<br />

Jugendlichen oder anderer hinweisen. Moralisieren und Bloßstellen sind<br />

ebenso wenig hilfreich wie schnelles Hinwegtrösten, schnelle Suggestionen<br />

oder Ratschläge. Der Jugendliche könnte dies als Besserwisserei und<br />

“rasch weiterkommen wollen“ interpretieren oder sich selber als minderwertig<br />

empfinden, was bei Suizidgefahr unbedingt zu vermeiden ist. Verstehen<br />

bedeutet Verständnis zeigen können. Der Jugendliche sollte selber<br />

zur Einsicht kommen und nicht durch den Helfer darauf gestoßen werden.<br />

„Ich würde gerne nachvollziehen und verstehen in welcher Situation sich<br />

wer wie verhalten hat und was dann passierte oder geschah.“<br />

2. Anlässe für Suizidalität erfahren „Du hast gesagt, dass Du keine Ahnung<br />

hast, weshalb du den Suizidversuch gemacht hast. Könnte denn eines oder<br />

mehrere der (u.g.) Gründe dafür in Frage kommen? Ich würde gerne verstehen,<br />

wie es Dir in der Situation gegangen ist, was Du dabei erlebt oder<br />

gedacht hast.“ Für die Umwelt werden Suizidhandlungen oft “ohne wirklichen<br />

Grund“ begangen. Die Auslöser erscheinen insbesondere Erwachsenen<br />

häufig banal. Für das Verständnis der Suizidalität eines Jugendlichen<br />

III. Workshops und Foren<br />

47<br />

hilft es zwischen Auslösern und dahinterliegenden oder tiefergehenden<br />

Ursachen zu unterscheiden. Auslöser sind die Ereignisse, die kurz vor<br />

einer Suizidhandlung stehen, die “das Fass zum Überlaufen bringen“. Im<br />

Volksmund gibt es viele Metaphern für solche Situationen.<br />

„Viele Menschen erleben eine Krise so, als würde ein Fass überlaufen,<br />

ein Vulkan ausbrechen, es einen Knall geben oder ein schwer bepackter<br />

Rucksack nicht mehr alleine zu tragen oder zu ertragen sein. Könnte eines<br />

der Beispiele für dich zutreffen?“ Warum ein Ereignis, wie z.B. ein Verbot,<br />

das die einen verkraften, für einen anderen nicht aushaltbar ist, bleibt oft<br />

zunächst unklar bis man die tiefergehenden Ursachen bzw. zusätzlich belastenden<br />

Faktoren ergründen kann. Es gilt die subjektive Betroffenheit<br />

des Jugendlichen zu erfassen auch oder gerade wenn sie<br />

diskrepant zu einem “objektiven, vernünftigen“ Erleben steht.<br />

Mögliche Anlässe im Sinne von Risikofaktoren für Suizidalität sind:<br />

1. Trennungen<br />

2. Kränkungen<br />

3. schulisches/berufliches Versagen<br />

4. Zugehörigkeit zu einer Randgruppe (Homosexuelle, Ausländer etc.)<br />

5. Umzüge, Schulwechsel, Verlust von Gewohntem<br />

6. Mobbing<br />

7. Straffälligkeit<br />

8. Traumatische Erlebnisse: Todesfälle, Unfälle, Gewalterfahrungen wie<br />

Misshandlung, Missbrauch, schwerste Vernachlässigung<br />

9. Psychiatrische Erkrankungen (Schizophrenie, Essstörung, Persönlichkeitsstörung,<br />

Depression siehe Kapitel 32.2 )<br />

10. Suizidversuche und vollzogene Suizide im Umfeld der Jugendlichen und<br />

11. Mediendarstellungen von Suiziden, die immer ein großes Risiko zur<br />

Nachahmung beinhalten (Werther-Effekt).<br />

3. Berücksichtigen belastender Familiendynamiken<br />

Folgende Familienthemen können die Suizidgefahr deutlich erhöhen und<br />

sollten bei der Beurteilung der Gesamtsituation berücksichtigt werden.<br />

Das entbehrliche Kind/der entbehrliche Jugendliche Viele, kurz aufeinanderfolgende<br />

Kinder begünstigen suizidale Gedanken, da beim einzelnen<br />

Jugendlichen der (falsche) Eindruck entstehen kann, dass es selber nicht<br />

wirklich benötigt und erwünscht sein könnte. Bei Eltern, die in Sorge um<br />

ein krankes oder behindertes Kind so absorbiert sind oder die Enttäuschung<br />

über den Verlust eines Kindes nicht verkraften, begünstigen beim<br />

gesunden Geschwister Phantasien, dass es den Eltern lieber gewesen<br />

wäre, es selbst wäre gestorben.<br />

Starke Schuldzuweisungen an das Kind<br />

Häufig fühlen sich auch Jugendliche mitschuldig an der Erkrankung eines<br />

Geschwisters, am Tod von Familienangehörigen oder an der Krankheit eines<br />

Elternteils. Auch die unglücklich verlaufende Ehe der Eltern wird oft<br />

den Kindern/Jugendlichen angelastet bzw. Sie fühlen sich mitschuldig.<br />

Abgebrochene Karrieren eines Elternteils aufgrund des Kindes, unerfüllte<br />

Hoffnungen in das eigene Leben oder das der Kinder können zu großer<br />

Vorwurfshaltung gegenüber den Kindern führen.<br />

Vorbild, Familientradition einer pessimistischen Lebenshaltung<br />

Ein Familienmitglied ist depressiv und/oder suizidal, droht immer wieder,<br />

oft über Jahre, mit Suizid oder erweitertem Suizid (d.h. Mitnahme von anderen<br />

in den Tod). Suizidalität ist ständig Thema in der Familie und wird<br />

als Konfliktlösungsmuster erlebt. Nicht selten gibt es in Familien Mythenbildungen<br />

um tragisch gescheiterte Vorfahren (“er ist wie der Onkel X,<br />

der auch nie glücklich wurde und sich umbrachte“) Loyalitätskonflikte bei<br />

Streit der Eltern, bei Trennungen und Scheidungen denken Kinder und Jugendliche<br />

an den eigenen Suizid, um den Streitigkeiten zu entfliehen oder<br />

um sich nicht für einen und damit gegen den anderen Elternteil entscheiden<br />

zu müssen.<br />

Symbiotische Bindung Adoleszenz bedeutet immer, dass eine Ablösung<br />

von den Eltern ansteht.<br />

Vorherrschend ist eine ambivalente Haltung aller Beteiligten. Der Jugendliche<br />

hat entweder Angst, die Eltern oder einen Elternteil alleine zu lassen<br />

oder fühlt sich von einem vorher sehr eng verbundenen Elternteil plötzlich<br />

verlassen. Zum Beispiel eine alleinerziehende Mutter, die nach langer<br />

Zeit des Alleinlebens mit dem Sohn einen neue Partnerschaft eingeht<br />

oder beschließt, dass der Sohn jetzt selbstständiger werden müsse. Der<br />

jugendliche Sohn fühlt sich verraten oder verlassen und wird suizidal. Der<br />

Konflikt könnte durch einseitige radikale Beziehungstrennung durch Suizid<br />

entschieden werden.

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