Schlesische Nachrichten - Oberschlesien eine Region in Europa ...
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<strong>Schlesische</strong> <strong>Nachrichten</strong> 21/2006 HEIMAT SCHLESIEN / KULTUR<br />
13<br />
„... Im Vergehen werd ich wieder auferstehen.“ Vergessene Werke Gerhart Hauptmanns<br />
Gerhart Hauptmann, am 6. Juni 1946 verstorben, hat die Aufführung s<strong>e<strong>in</strong>e</strong>r<br />
Tragödie „Magnus Garbe“ nicht mehr erlebt. Erst zehn Jahre später, am 4. Februar<br />
1956, hat sie im Schauspielhaus Düsseldorf stattgefunden (und dann <strong>in</strong><br />
der Wiederholung am Theater Rostock ). Der Dichter hat das Stück im Februar<br />
1914 zu schreiben begonnen, und es wurde im September 1915 <strong>in</strong> Agnetendorf<br />
abgeschlossen. „Ich hätte das Stück nicht schreiben können, wenn nicht<br />
die schwere Krankheit Margaretes und das Kesseltreiben gegen mich wegen<br />
des Breslauer Festspiels vorausgegangen wäre.“<br />
Das Werk beleuchtet die furchtbaren Auswüchse des Hexenwahns und<br />
das Instrument, mit dem „<strong>e<strong>in</strong>e</strong> Beule am Körper der Kirche“ praktiziert worden<br />
ist – die Inquisition. „Also <strong>e<strong>in</strong>e</strong> Tendenz gegen die Kirche selbst enthält<br />
das Werk nicht...“, wie Hauptmann ausdrücklich hervorhebt.<br />
Der Dichter mochte wohl die komplizierte Problematik <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r Aufführung<br />
gesehen haben, als er am 9. Januar 1939 äußerte: „Magnus Garbe“, diese<br />
„bitterste Tragödie der Menschheit –“, wird nur e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>ziges Mal gespielt, und<br />
Am 1. September 1939 wurde der Grundste<strong>in</strong> für den Untergang des<br />
alten Schlesien gelegt. Paul Kay wurde gleich mit Kriegsbeg<strong>in</strong>n e<strong>in</strong>gezogen,<br />
kam zur Sicherung der Versorgungslage <strong>in</strong> Deutschland im Sommer<br />
1940 zurück, bewirtschaftete bis 1944 mehrere Höfe im Dorf, wurde<br />
aber 1944 nach dem Attentat auf den Diktator erneut e<strong>in</strong>gezogen.<br />
Die Bäuer<strong>in</strong> mit vier kl<strong>e<strong>in</strong>e</strong>n K<strong>in</strong>dern stand fortan alle<strong>in</strong> <strong>in</strong> der Verantwortung.<br />
Als im Januar 1945 die Rote Armee die Oder überschritt, musste<br />
sie Haus, Hof und Vieh verlassen und mit Pferd und Wagen fliehen.<br />
Inzwischen tobten die Kämpfe im und um das Dorf. Die Auswirkungen<br />
für das Kay-Gut zeigten sich im Mai 1945. Als die Bäuer<strong>in</strong> nach<br />
dem Krieg mit ihren vier K<strong>in</strong>dern zurück kam, war der Hof verwüstet<br />
und natürlich alles Vieh weg. Es folgten furchtbare Zeiten unter den polnischen<br />
Besatzern und den herumstreunenden russischen Soldaten, die<br />
ihr Ende <strong>in</strong> der schrecklichen Vertreibung aus der Heimat fanden.<br />
Was dann aus dem Gut wurde, zeigen e<strong>in</strong>ige Bilder, die e<strong>in</strong> Angehöriger<br />
des ehemaligen Gutsbesitzer 1960 gefertigt hat.<br />
An die guten alten Zeiten er<strong>in</strong>nern nur noch die Gänse auf dem Weg<br />
vom Teich zum Hof.<br />
Der Verfall g<strong>in</strong>g weiter. Bei <strong>e<strong>in</strong>e</strong>m Besuch der Heimat im Jahre 1977<br />
hatte sich e<strong>in</strong>iges geändert. Die Ru<strong>in</strong>e des Ausged<strong>in</strong>gehauses war beseitigt.<br />
Gänse gab es k<strong>e<strong>in</strong>e</strong> mehr. Allerd<strong>in</strong>gs pickten noch Hühner auf<br />
dem Hof.<br />
Das ehemalige Auszughaus<br />
Rechts die Stallungen und<br />
der Wagenschuppen, h<strong>in</strong>ten<br />
die Mauern der e<strong>in</strong>st<br />
stattlichen Scheune.<br />
Schuppen und Stallungen<br />
wurden zum Heizen abgerissen.<br />
Im Jahre 2005 war nur noch das Wohnhaus<br />
mit den angrenzenden Stallungen da (von erhalten<br />
kann k<strong>e<strong>in</strong>e</strong> Rede se<strong>in</strong>). Die Ru<strong>in</strong>e der<br />
Scheune war verschwunden. Von den Stallungen<br />
zeugen nur noch Fundamente.<br />
Am Wohnhaus ist der schützende Putz weitgehend<br />
abgefallen. Feuchtigkeit kann ungeh<strong>in</strong>dert<br />
<strong>in</strong> den Mörtel und <strong>in</strong> die Ziegelse<strong>in</strong><br />
dr<strong>in</strong>gen. Das Stalldach ist e<strong>in</strong>gebrochen.<br />
Ke<strong>in</strong> Huhn, k<strong>e<strong>in</strong>e</strong> Gans, k<strong>e<strong>in</strong>e</strong> Pute, k<strong>e<strong>in</strong>e</strong> Ente<br />
s<strong>in</strong>d mehr zu sehen.<br />
Es wird <strong>e<strong>in</strong>e</strong> Frage der Zeit se<strong>in</strong>, bist das gesamte<br />
Anwesen vom Erdboden verschwunden<br />
ist. Wolfgang Kay<br />
1 die Hl. Hedwig, Tochter des Grafen von Andechs<br />
und Meran war die Ehefrau des Piasten He<strong>in</strong>rich I.<br />
2 Neugebauer, Paul „Spaziergänge <strong>in</strong> und um Kle<strong>in</strong>-<br />
Oels, 1924, Seite 273; Das Buch ist im Heimatmuseum<br />
Ohlau, Altes Rathaus, 58644 Iserlohn-Letmathe<br />
h<strong>in</strong>terlegt; Frauenhofstraße 2a, h<strong>in</strong>terlegt und<br />
dort zu beziehen. Paul Neugebauer war Privatsekretär<br />
und Archivar bei Graf York <strong>in</strong> Kle<strong>in</strong>-Oels, so<br />
dass er sich auf alte Dokumente, Zeugnisse und<br />
Urkunden stützen konnte.<br />
3 unter anderem e<strong>in</strong> aufgefundenes Schöffenbuch<br />
für die Zeit von 1567 bis 1633<br />
4 Klaus und Annemarie Paul, Die Kay aus Tempelfeld,<br />
Archiv Ostdeutscher Familienforscher, Herausgegeben<br />
von der Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaft ostdeutscher<br />
Familienforscher e. V. mit Sitz <strong>in</strong> Herne,<br />
Band 7, Juni 1978.<br />
zwar <strong>in</strong> Baden-Baden und vor geladenem Publikum. Ich werde<br />
mich nicht entschließen, das Stück für das allgem<strong>e<strong>in</strong>e</strong><br />
Bühnenrepertoire freizugeben.“ In dem Stück, so Hauptmann<br />
zu C.F.W. Behl, „waltet e<strong>in</strong> tiefer Pessimismus.“<br />
Zur Düsseldorfer Uraufführung erklärte Gerhard F. Her<strong>in</strong>g:<br />
„Im S<strong>in</strong>nbild <strong>e<strong>in</strong>e</strong>s grauenhaften Massenwahns, der Hexenverfolgung,<br />
erahnt der Dichter seherisch genau die Bestialisierungen<br />
des Menschen, die mit dem ersten Weltgemetzel<br />
angehoben haben...“ Und Erhart Kästner (Sekretär<br />
Hauptmanns von 1936/37 ) kritisierte diese Inszenierung<br />
von Karl He<strong>in</strong>z Stroux „als Halbfertiges, als Grobes und<br />
Vordergründiges als große vertane Möglichkeit, <strong>e<strong>in</strong>e</strong> große<br />
entgangene Chance, Hauptmanns großes, geheimes, gefährliches,<br />
Hauptmanns prophetisches Stück von der Angst<br />
als Weltmacht, von dem Massenwahn, der zerbrochenen<br />
Ordnung, den angestochenen Dämmen, dieses massenhaften<br />
gequälten und verängstigten Jahrhunderts...“ bis s<strong>e<strong>in</strong>e</strong><br />
Heimat <strong>in</strong> den Fluten versank, nun, da se<strong>in</strong> Werk, soweit<br />
es im schlesischen Dialekt dasteht, noch e<strong>in</strong>, zwei Jahrzehnte<br />
weiterh<strong>in</strong> zu <strong>e<strong>in</strong>e</strong>m fremdsprachigen Werk geworden<br />
se<strong>in</strong> wird: – diese prophetische Tragödie ist heute noch<br />
unaufgeführt.“<br />
Thomas Mann spricht von der „Bluthistorie der Menschheit,<br />
<strong>in</strong>sbesondere auch der deutschen“*, die Gerhart Hauptmann<br />
<strong>in</strong> sich trug – „gequälter, leibhaftig leidenden als irgende<strong>in</strong><br />
anderer.“ Und Gerhart Hauptmann als e<strong>in</strong> Dichter des<br />
sozialen Mitleids – das sei e<strong>in</strong> Geme<strong>in</strong>platz: „In Wirklichkeit<br />
ist es nicht sowohl das Mitleid, wovon se<strong>in</strong> ehrwürdiges<br />
Werk seelisch lebt, sondern das Leiden selbst und an<br />
sich...den Greueln der Menschheit, – ihrem dämonisch-rätselhaften<br />
Los und zumal unter dem, was sie selbst sich an<br />
Polier und Jammer bereitet.“<br />
Hauptmann, der die Tragik des Lebens tief empfunden<br />
hat, hörte dennoch k<strong>e<strong>in</strong>e</strong>swegs auf, e<strong>in</strong> Idealist zu se<strong>in</strong> und<br />
den Menschen den ihnen so notwendigen Glauben an den<br />
Sieg der Vernunft und der Schönheit zu predigen – und gerade<br />
dieses Engagement ist se<strong>in</strong> großes Verdienst um die<br />
Menschheit! Wie Maxim Gorki Hauptmanns Dichtertum charakterisierte,<br />
wobei er die frühen Dramen „Die Weber“, „Die<br />
versunkene Glocke“, das „Hannele“ und besonders auch<br />
die „E<strong>in</strong>samen Menschen“ ansprach, die <strong>in</strong> den Inszenierungen<br />
an Stanislawskis Moskauer Künstlertheater <strong>e<strong>in</strong>e</strong>n<br />
nachhaltigen Widerhall fanden? „Das Theater liebte es, auf<br />
dem H<strong>in</strong>tergrund der Tschechowschen Stücke die fe<strong>in</strong>sten<br />
psychologischen Analysen zu schaffen, richtige Spitzengewebe<br />
vom Erleben <strong>in</strong> den Seelen dieser entschlussunfähigen<br />
Helden <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r Außerzeitlichkeit. Welches Stück hätte<br />
diesen Neigungen des künstlerischen-Theaters besser<br />
entsprochen als „E<strong>in</strong>same Menschen“? Anton Tschechow<br />
wurde, wie er selbst bekannt hat, von Hauptmann angeregt,<br />
für das Theater zu schreiben! Auf Weisung Len<strong>in</strong>s übersetzte<br />
s<strong>e<strong>in</strong>e</strong> Schwester Anna „Die Weber“ <strong>in</strong>s Russische.<br />
So erschien bereits schon 1902 <strong>e<strong>in</strong>e</strong> russische Gesamtausgabe<br />
<strong>in</strong> Moskau – und damit bereits vier Jahre vor der<br />
ersten n Deutschland!<br />
In den „Webern“ schlug Hauptmanns Herz für die Not<br />
und das Leiden und die Erlösung davon für die Armen und<br />
Mühseligen nicht nur <strong>in</strong> s<strong>e<strong>in</strong>e</strong>m schlesischen Eulengebirge<br />
und trug den Namen des Dichters <strong>in</strong> alle Kulturländer.<br />
Am 9. Mai 1905 erhielt der Dichter von der Universität Oxford<br />
den Grad <strong>e<strong>in</strong>e</strong>s Ehrendoktors – als „artis dramaticae<br />
summus hodiernos artifex.“<br />
Über s<strong>e<strong>in</strong>e</strong> dramatische Produktion hat Hauptmann mehrfach<br />
Auskunft gegeben: Für ihn stellte das Drama „das zwei-,<br />
drei-, vier-, fünf- und mehrgespaltene Ich“ dar. Und: „Man<br />
hört Worte, wie diese immer aufs neue: Niederungen des<br />
Lebens! Alltägliche Misere! Arme-Leute-Geruch! – Man trenne,<br />
von <strong>e<strong>in</strong>e</strong>m Pursten das, was des Titels ist, von dem,<br />
was des Menschen ist: was ist wichtiger? Nie und nirgends<br />
hat es die Kunst mit Titeln zu tun! auch nicht mit Kleidern!<br />
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