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Ursula Müller Asymmetrische Geschlechterkultur in Organisationen ...

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132 <strong>Müller</strong>: <strong>Asymmetrische</strong> <strong>Geschlechterkultur</strong> <strong>in</strong> <strong>Organisationen</strong> (ZfP 2/98)<br />

weitere berufliche Entwicklung negative Auswirkungen haben, kann ebenso als nachgewiesen<br />

gelten wie das beträchtliche Ausmaß, <strong>in</strong> dem Sexismus und sexuelle Belästigung<br />

auftreten (vgl. BMJFFG 1991; Holzbecher/Kneissler/<strong>Müller</strong> 1994). In Film, Theater<br />

und Nachrichten dom<strong>in</strong>ieren zur Zeit die umgekehrten Situationen: verführerische<br />

Frauen verstricken hochgestellte Männer mit dem Ziel, sie zu verderben. Filme wie<br />

„Enthüllung“, Theaterstücke wie „Oleanna“ und Bücher wie „Der Campus“ haben e<strong>in</strong>es<br />

geme<strong>in</strong>sam: Sexuelle Belästigung ersche<strong>in</strong>t als – selbstverständlich falsche – Konstruktion<br />

von Frauen, die im Konkurrenzkampf von Männern untere<strong>in</strong>ander als Waffe e<strong>in</strong>gesetzt<br />

werden kann.<br />

Durch die Diskussion über „political correctness“ (als Metapher für kontrollierendes<br />

Spießertum), die anstelle e<strong>in</strong>er Ause<strong>in</strong>andersetzung über täglichen Sexismus geführt<br />

wird, fühlen sich viele weibliche Organisationsmitglieder <strong>in</strong> ihrem Selbstgefühl zusätzlich<br />

verunsichert, durch Übergriffe verbaler, körperlicher oder sonstiger Art verletzt<br />

worden zu se<strong>in</strong> (vgl. Großmaß 1995; <strong>Müller</strong> 1996).<br />

Großmaß zeigt am Beispiel e<strong>in</strong>er Student<strong>in</strong>, die sie Petra nennt, diesen Zusammenhang<br />

auf:<br />

Petra traut sich nicht mehr, <strong>in</strong> die Universität zu gehen, und es ist schwierig, mit ihr e<strong>in</strong>en Beratungsterm<strong>in</strong><br />

zu vere<strong>in</strong>baren. Schließlich wird e<strong>in</strong> Modus gefunden, wie sie die Beratung aufsuchen<br />

kann, ohne die Universitätshalle durchqueren zu müssen. Nach längeren Sitzungen stellt sich heraus,<br />

daß Petra – e<strong>in</strong>e äußerst erfolgreiche Student<strong>in</strong>, die bereits als Hilfskraft <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Projekt arbeitete<br />

und e<strong>in</strong> eigenes Büro hatte – über Wochen und Monate von e<strong>in</strong>em jungen Mann, vermutlich von e<strong>in</strong>em<br />

Kommilitonen, anonym telefonisch <strong>in</strong> ihrem Universitätsbüro belästigt worden ist; dieser erzählte<br />

ihr mehrfach am Tag, er habe sie durch die Halle gehen sehen, was sie dabei angehabt hätte,<br />

wie das auf ihn gewirkt hätte, etc. Dieses Erlebnis war aber verschüttet. Es wurde als Problem verharmlost<br />

und verdrängt, da es nicht mit ihrem Selbstempf<strong>in</strong>den als emanzipierter Frau, die sich von<br />

so etwas nicht bee<strong>in</strong>drucken läßt, zusammenpaßte. So hat sie es „vergessen“ und auf diese Weise ihre<br />

Selbstverbannung aus der Universität vollzogen. Die „grundlose Angst“, die Universität zu betreten,<br />

die sie anfangs <strong>in</strong> der Beratung schildert, zeigt, daß sie sogar ihr Angstgefühl vor sich selbst<br />

entwertet – e<strong>in</strong> sicher extremer, aber nicht unüblicher Effekt „diskursiver Enteignung“.<br />

An diesem Beispiel können wir sehen, daß der vorherrschende Diskurs <strong>in</strong> <strong>Organisationen</strong><br />

e<strong>in</strong> „Gleichheitsdiskurs“ ist: Gleichheit zwischen Frauen und Männern – im<br />

Grundgesetz und überall; Gleichheit als Bürger<strong>in</strong>nen und Bürger – im Pr<strong>in</strong>zip ja (daß<br />

die zahlenmäßige Mehrheit der Bevölkerung, die Frauen, nur zu e<strong>in</strong>em Fünftel im Bundestag<br />

vertreten s<strong>in</strong>d, wird von der dortigen Männermehrheit nicht als Problem betrachtet);<br />

Gleichheit auch – wie im Falle der Universität – zwischen Lehrenden und Lernenden,<br />

s<strong>in</strong>d doch die Lehrenden die Lernenden von früher und die Lernenden, zum<strong>in</strong>dest<br />

pr<strong>in</strong>zipiell, die Lehrenden von morgen. Unterhalb f<strong>in</strong>det sich jedoch e<strong>in</strong> „Subtext“ der<br />

Geschlechterasymmetrie; der vorherrschende Gleichheitsdiskurs überdeckt die fortwirkende<br />

Konstruktion von für Frauen nachteiliger Geschlechterdifferenz. 10 Die Botschaft<br />

lautet: E<strong>in</strong>er sozusagen „schwerelos“ emanzipierten Frau (die ke<strong>in</strong>en Fem<strong>in</strong>ismus und<br />

10 Joan Acker (1991) hat dies die „gendered substructure“ von <strong>Organisationen</strong> genannt. E<strong>in</strong><br />

weiteres Anzeichen für diskursive Enteignung ist es, daß es zunehmend als „out“ gilt,<br />

Diskrim<strong>in</strong>ierungserfahrungen aufgrund weiblicher Geschlechtszugehörigkeit zu thematisieren.

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