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Thomas Mann: “Der Kleiderschrank” – Originaltext und Übersetzung ...

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2.4 Ironie <strong>und</strong> Realismus bei <strong>Thomas</strong> <strong>Mann</strong><br />

„Ich verdanke <strong>Thomas</strong> <strong>Mann</strong> zwei elementare Einsichten: erstens,<br />

dass ein Roman wissenschaftliche Ausführungen enthalten kann,<br />

solange es nur diskret gemacht wird; zweitens, eine Haltung<br />

zärtlicher Ironie gegenüber den Figuren der eigenen Erfindung.“ 59<br />

Ein wichtiges Merkmal des Stils von <strong>Thomas</strong> <strong>Mann</strong> ist die Ironie, die einfach eine „réserve discrète<br />

et [un] commentaire de l’écrivain sur les faits et les gens“ 60 ist, mit der er versucht, die Wirklichkeit<br />

zu durchdringen. Sie gilt als Zeichen der Freiheit, als Beweglichkeit des Geistes, als schöpferischen<br />

Unruhe, als Entfernung von der Welt <strong>und</strong> dem Werk selbst.<br />

Er betrachtet sie als „cette forme d’esprit qui arrache au lecteur ou à l’auditeur un sourire, un<br />

sourire intellectuel“ 61 . Aber zieht er den Humor vor, der „un rire qui jaillit au fond du cœur“ 62<br />

hervorruft. Außerdem definiert er sie als „die Selbstverneigung, als der Selbstverrat des Geistes<br />

zugunsten des Lebens“ 63 . Die Ironie besitzt zwei Seiten: „ein Weder-Noch <strong>und</strong> Sowohl-Als-Auch“ 64 .<br />

Er wird nicht für „einen Vertreter des Realismus“ 65 gehalten, sondern für „einen Nachfahren der<br />

Romantik“ 66 <strong>und</strong> „un ironiste par excellence“ 67 , in der Tat hat die Ironie ihm die Möglichkeit<br />

geboten, mit der Freiheit eines Romantikers weiterzuschreiben, im Gegensatz zu der Hauptfigur<br />

des „Tod in Venedig“, Gustav von Aschenbach, der sein Talent der bürgerlichen Pflicht<br />

untergeordnet <strong>und</strong> vergessen hat, dass die Kunst ein inneres Bedürfnis ist:<br />

„Ebenso weit entfernt vom Banalen wie vom Exzentrischen, war sein<br />

Talent geschaffen, den Glauben des breiten Publikums <strong>und</strong> die<br />

bew<strong>und</strong>ernde, fordernde Teilnahme der Wählerischen zugleich zu<br />

gewinnen. So, schon als Jüngling von allen Seiten auf die Leistung <strong>–</strong><br />

<strong>und</strong> zwar die außerordentliche <strong>–</strong> verpflichtet, hatte er niemals den<br />

Müßiggang, niemals die sorglose Fahrlässigkeit der Jugend<br />

gekannt.“ 68<br />

Die kritische Präzision <strong>und</strong> die ironische Sprache enthalten in sich selbst die Gr<strong>und</strong>konzeption des<br />

Schreibens von <strong>Thomas</strong> <strong>Mann</strong>: das Streben nach einer Analyse <strong>und</strong> Beschreibung der Realität<br />

durch Ironie. Durch Ironie rettet er einen Rest von Heiterkeit in der jüngsten Vergangenheit des<br />

bürgerlichen Deutschlands.<br />

59<br />

A. Koestler, Zärtliche Ironie, in: “Was halten Sie von <strong>Thomas</strong> <strong>Mann</strong>? 18 Autoren antworten”, Frankfurt am Main, Fischer Taschenbuch<br />

Verlag 1994, S.45<br />

60<br />

H. Mayer, <strong>Thomas</strong> <strong>Mann</strong> (übersetzt von L. Ferec <strong>und</strong> V. Le Vot), Paris, Presses Universitaires de France 1994, S. 204<br />

61<br />

Th. <strong>Mann</strong>, Être écrivain allemand à notre époque (übersetzt von D. Daun), Paris, Gallimard 1996, S. 175<br />

62<br />

Ebd., S. 175<br />

63<br />

Th. <strong>Mann</strong>, Betrachtungen eines Unpolitischen, zit. nach E. Hilscher, a. a. O., S. 67<br />

64<br />

Th. <strong>Mann</strong>, Betrachtungen eines Unpolitischen, zit. nach E. Hilscher, a. a. O., S. 67<br />

65<br />

B.W. Seiler, a. a. O., S. 461<br />

66<br />

Ebd., S. 461<br />

67<br />

Th. <strong>Mann</strong>, a. a. O., S. 175<br />

68<br />

Th. <strong>Mann</strong>, Der Tod in Venedig, Paris, Le livre de poche 1989, S. 40<br />

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