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Textbuch zur Auslandsakademie Afrique en ... - Cusanuswerk

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<strong>Textbuch</strong> <strong>zur</strong> <strong>Auslandsakademie</strong><br />

<strong>Afrique</strong> <strong>en</strong> miniature. Begegnung<strong>en</strong> in Kamerun<br />

19. Februar bis 3. März 2006<br />

Douala – Bafoussam – Yaoundé


CUSANUSWERK<br />

BISCHÖFLICHE STUDIENFÖRDERUNG<br />

<strong>Textbuch</strong> <strong>zur</strong> <strong>Auslandsakademie</strong><br />

AFRIQUE EN MINIATURE<br />

BEGEGNUNGEN IN KAMERUN


Impressum<br />

Herausgeber<br />

<strong>Cusanuswerk</strong><br />

Bischöfliche Studi<strong>en</strong>förderung e.V.<br />

Baumschulallee 5<br />

D – 53115 Bonn<br />

www.cusanuswerk.de<br />

Redaktion<br />

Dr. Stefan Raueiser, Bonn<br />

Philipp Mertsch, Würzburg<br />

Druck<br />

ColognePrintCompany, Köln<br />

Dank<br />

Die <strong>Auslandsakademie</strong> „<strong>Afrique</strong> <strong>en</strong> miniature“ bezeugt d<strong>en</strong> Anspruch der Bischöflich<strong>en</strong><br />

Studi<strong>en</strong>förderung <strong>Cusanuswerk</strong>, Stip<strong>en</strong>diatinn<strong>en</strong> und Stip<strong>en</strong>diat<strong>en</strong> zu fördern, die christliche<br />

Weltverantwortung mit Blick auf die Möglichkeit<strong>en</strong> und Begr<strong>en</strong>zung<strong>en</strong>, Vision<strong>en</strong><br />

wie Realität<strong>en</strong> der Ein<strong>en</strong> Welt übernehm<strong>en</strong> woll<strong>en</strong>.<br />

Ein besonderer Dank gilt d<strong>en</strong> Partnern, ohne die „Begegnung<strong>en</strong> in Kamerun“ nicht<br />

realisierbar wär<strong>en</strong>: Dr. Sylvia M. Schmitt stellt die Programmarbeit vor Ort sicher, Stefan<br />

Rostock sorgt für die Organisation der Studi<strong>en</strong>reise. Dr. Michel Foal<strong>en</strong>g verdank<strong>en</strong> wir<br />

kritische Anfrag<strong>en</strong> an unser<strong>en</strong> eig<strong>en</strong><strong>en</strong>, europäisch geprägt<strong>en</strong> „Zugriff“, von Charles<br />

Morfaw lern<strong>en</strong> wir d<strong>en</strong> Perspektivwechsel im „Leb<strong>en</strong> in zwei Welt<strong>en</strong>“. Kä Mana zeigt<br />

exemplarisch ein kirchlich geprägtes Engagem<strong>en</strong>t auf, Dr. Angeline Nguedjeu-Momekan<br />

unterrichtet uns über wirtschaftliche Aspekte der deutsch-kamerunisch<strong>en</strong> Zusamm<strong>en</strong>arbeit.<br />

Die Worte des Botschafters der Bundesrepublik Deutschland in Kamerun und des<br />

Honorarkonsuls der Republik Kamerun in Nordrhein-Westfal<strong>en</strong> unterstreich<strong>en</strong> die<br />

Bedeutung, die dem Afrika gewidmet<strong>en</strong> Interesse von Studier<strong>en</strong>d<strong>en</strong> wie Promovier<strong>en</strong>d<strong>en</strong><br />

<strong>en</strong>tgeg<strong>en</strong>gebracht wird, die als Stip<strong>en</strong>diatinn<strong>en</strong> und Stip<strong>en</strong>diat<strong>en</strong> der Begabt<strong>en</strong>förderung<br />

der katholisch<strong>en</strong> Kirche in Deutschland gefördert werd<strong>en</strong>.<br />

Die zu diesem <strong>Textbuch</strong> versammelt<strong>en</strong> Essays wurd<strong>en</strong> von d<strong>en</strong> Teilnehmerinn<strong>en</strong> und<br />

Teilnehmern der <strong>Auslandsakademie</strong> verfasst. Sie dokum<strong>en</strong>tier<strong>en</strong> das Engagem<strong>en</strong>t von<br />

Cusanerinn<strong>en</strong> und Cusanern, sich bereits im Vorfeld der Studi<strong>en</strong>reise auf die vielfältig<strong>en</strong><br />

thematisch<strong>en</strong> wie persönlich<strong>en</strong> Begegnung<strong>en</strong> inhaltlich vorzubereit<strong>en</strong>. Wir dank<strong>en</strong> all<strong>en</strong><br />

Autorinn<strong>en</strong> und Autor<strong>en</strong> sehr herzlich für Ihre in Eig<strong>en</strong>verantwortung verfasst<strong>en</strong> Texte.<br />

Schließlich sei all<strong>en</strong> gedankt, die personell, finanziell wie ideell <strong>zur</strong> Realisierung dieser<br />

bewusst fragm<strong>en</strong>tarisch angelegt<strong>en</strong> Detailansicht eines afrikanisch<strong>en</strong> Staates beitrag<strong>en</strong>.<br />

(Reise)Teilnehmer wie (Text)Beiträger freu<strong>en</strong> sich auf die Kamerun gewidmete <strong>Auslandsakademie</strong>,<br />

die im 50. Jubiläumsjahr der Bischöflich<strong>en</strong> Studi<strong>en</strong>förderung d<strong>en</strong> Auftakt für<br />

das Bildungsprogramm des <strong>Cusanuswerk</strong>s bildet.<br />

Titelbild<br />

Beerdigung in Bellah, Fontem, SW-Provinz, Dez. 2004; © Stefan Rostock, Bafoussam<br />

4


Inhalt<br />

GRUSSWORTE<br />

8 Grußwort des Botschafters der Bundesrepublik<br />

Deutschland in Kamerun<br />

9 Grußwort des Honorarkonsuls der<br />

Republik Kamerun in Nordrhein-Westfal<strong>en</strong><br />

VERANSTALTER<br />

12 Sag mir, wie ist Afrika<br />

15 Das Exotismusdilemma<br />

17 Geistliches Wort<br />

KOOPERATIONSPARTNER<br />

20 „Samstag ein Seminar?“<br />

24 New Clothes of Colonialism?<br />

28 Voyage de formation ou voyage d’études<br />

30 Living in two worlds<br />

33 Un lieu d’espoir pour l’<strong>Afrique</strong><br />

37 What does the Assistant Local Repres<strong>en</strong>tative<br />

of the KfW in Cameroon do?<br />

AFRIKA UND EUROPA<br />

40 Ergänzung, Ursprung, Anderes: Europas Afrika<br />

44 Tagebuch einer Kolonialisierung<br />

48 Sprachlos in Nairobi<br />

DIE KOLONIALE VERGANGENHEIT<br />

52 „Au nom de Dieu Tout-Puissant…“<br />

56 Die „Schutzverträge“<br />

61 Licht in die Dunkelheit<br />

66 Das „Kamerun-Spiel“<br />

VOLKER SEITZ<br />

DR.-ING. HANS WALTER<br />

DR. STEFAN RAUEISER<br />

DR. THORSTEN WILHELMY<br />

DR. ELISABETH SCHIEFFER<br />

DR. SYLVIA M. SCHMITT<br />

STEFAN ROSTOCK<br />

DR. MICHEL FOALENG<br />

CHARLES MORFAW<br />

KÄ MANA<br />

DR. ANGELINE<br />

NGUEDJEU-MOMEKAN<br />

BERNHARD GIßIBL<br />

ANNABEL EISELE<br />

SVEN WEBER<br />

HORST WIESHUBER<br />

ANNELIESE QUAST<br />

RALF GERETSHAUSER<br />

5


DIE DEUTSCH-KAMERUNISCHE GEGENWART<br />

6<br />

68 Die sind so<br />

74 Kameruner in Deutschland<br />

78 „D<strong>en</strong>n eine WM ohne Kamerun,<br />

das ist und<strong>en</strong>kbar…“<br />

82 Entwicklung? (s) Hilfe!<br />

86 Focus Afrika<br />

AKTUELLE GESELLSCHAFTLICHE<br />

HERAUSFORDERUNGEN IN KAMERUN<br />

88 Kamerun – ethnisches Br<strong>en</strong>nglas Afrikas<br />

92 Glaube und Religion in Kamerun<br />

96 Sprachlicher Mauerbau<br />

99 Eine ökonomische Analyse von HIV/AIDS<br />

103 Schlechte Luft in Afrika?<br />

107 Good Governance<br />

110 NePAD – Afrika hilft sich selbst<br />

114 Zwisch<strong>en</strong> Kral und Kabinett<br />

118 Und Bono singt…<br />

124 „Von der Hand in d<strong>en</strong> Mund“<br />

128 Un hippopotame <strong>en</strong> couronne de lézard<br />

132 Tradition und Entwicklung in Afrika<br />

137 Récupération und Id<strong>en</strong>titätsfindung<br />

143 Die Küche Kameruns: „Nyaam-ugo“ (ess<strong>en</strong>)<br />

147 Kamerun und der Fußball<br />

151 Die Macht der Hex<strong>en</strong><br />

AFRIKA IM CUSANUSWERK<br />

156 Solidarität darf nicht an d<strong>en</strong> Gr<strong>en</strong>z<strong>en</strong><br />

Europas aufhör<strong>en</strong> – ein Interview<br />

159 Ausschreibungstext <strong>Auslandsakademie</strong><br />

161 Programme<br />

ANJA DODEK<br />

LISA EHRENFRIED<br />

JOHANNES LANDSTORFER<br />

DIETER LENS<br />

REGINA LADERMANN<br />

STEFAN TROMETER<br />

RECHA ALLGAIER<br />

THOMAS SCHELKLE<br />

KRISTINA GARTZEN<br />

CHRISTOPH ALLMENDINGER<br />

MARKUS BECKMANN<br />

MELITTA NAUMANN-GODÓ<br />

NANETTE LINDENBERG<br />

LARA THERESA WEBER<br />

BIRGIT GÜDE<br />

CORDULA HAGEMANN<br />

FRANZISKA NEFF<br />

JANINE OSTHOFF<br />

JULIA STÄRK<br />

BARTHOLOMÄUS GRILL<br />

JOSEPHINE LANDERTINGER


Grußworte<br />

7


8<br />

Liebe Stip<strong>en</strong>diatinn<strong>en</strong> und Stip<strong>en</strong>diat<strong>en</strong>,<br />

Yaoundé, d<strong>en</strong> 11. Oktober 2005<br />

ich freue mich, dass Sie nach Kamerun aufgebroch<strong>en</strong> sind, um selbst ein<strong>en</strong> Kontin<strong>en</strong>t zu<br />

erleb<strong>en</strong>, von dem meist<strong>en</strong>s nur in landläufig-stereotyp<strong>en</strong> oder professionell-universitär<strong>en</strong><br />

Abstraktion<strong>en</strong> die Rede ist. Es gibt in Afrika für neugierige und ab<strong>en</strong>teuerlustige M<strong>en</strong>sch<strong>en</strong><br />

viel zu <strong>en</strong>tdeck<strong>en</strong> – und Afrika braucht Ihr Interesse. Bei mein<strong>en</strong> langjährig<strong>en</strong> Afrikaauf<strong>en</strong>thalt<strong>en</strong><br />

fällt mir immer wieder die Komplexität und Vielschichtigkeit des Kontin<strong>en</strong>ts<br />

auf und davon ist in Kamerun einiges zu spür<strong>en</strong>.<br />

Im Vordergrund der europäisch<strong>en</strong> Afrikadiskussion steh<strong>en</strong> derzeit drei politische Initiativ<strong>en</strong>,<br />

von d<strong>en</strong><strong>en</strong> man sich neue Entwicklungsimpulse für die Dritte Welt erhofft: Bis zum<br />

Jahr 2015 soll jährlich 0,7% des Sozialproduktes für Entwicklungshilfe ausgegeb<strong>en</strong> werd<strong>en</strong>.<br />

D<strong>en</strong> Ländern der „Dritt<strong>en</strong> Welt“ soll ein umfass<strong>en</strong>der Schuld<strong>en</strong>erlass gewährt werd<strong>en</strong>. Die<br />

Märkte Europas soll<strong>en</strong> mehr d<strong>en</strong>n je für Produkte der Dritt<strong>en</strong> Welt geöffnet werd<strong>en</strong>. Aber:<br />

Geht es wirklich in erster Linie um mehr Geld? Mach<strong>en</strong> wir es uns da nicht zu leicht? Vielleicht<br />

werd<strong>en</strong> Sie in Buea die Ölplattform<strong>en</strong> im Golf von Guinea erspäh<strong>en</strong>. Warum spür<strong>en</strong><br />

die 500.000 Einwohner Äquatorialguineas kaum etwas von d<strong>en</strong> Erdöleinnahm<strong>en</strong> in<br />

Milliard<strong>en</strong>höhe?<br />

Wie also könnte Europa sich d<strong>en</strong>n verstärkt und wirkungsvoll für Afrika <strong>en</strong>gagier<strong>en</strong>, w<strong>en</strong>n<br />

nicht mit Geld? Afrika braucht das Interesse der europäisch<strong>en</strong> Elite über Spezialist<strong>en</strong>zirkel<br />

hinaus, eine differ<strong>en</strong>ziert und realitätsbezog<strong>en</strong>e Debatte, die neue Wege der europäisch-afrikanisch<strong>en</strong><br />

Partnerschaft aufzeigt. Entwicklung mit sein<strong>en</strong> zahlreich<strong>en</strong> Dilemmata<br />

– ich d<strong>en</strong>ke hier nicht nur an der<strong>en</strong> ökonomische Kompon<strong>en</strong>te – gehört zu einer der<br />

schwierigst<strong>en</strong> Herausforderung überhaupt; und die best<strong>en</strong> Köpfe werd<strong>en</strong> dring<strong>en</strong>d<br />

gebraucht. Deshalb ist es so wichtig, dass Sie im Rahm<strong>en</strong> Ihres Seminars Afrika ihre Aufmerksamkeit<br />

und ihr Tal<strong>en</strong>t widm<strong>en</strong>.<br />

Gebraucht werd<strong>en</strong> M<strong>en</strong>sch<strong>en</strong>, die ausreich<strong>en</strong>d moralische Energie und Ausdauer besitz<strong>en</strong>,<br />

um d<strong>en</strong> Blick auf Afrika auszuhalt<strong>en</strong> und ihn nicht vom schwierig<strong>en</strong> Umfeld Afrikas sofort<br />

wieder überfordert abzuw<strong>en</strong>d<strong>en</strong>.<br />

Heute schon spielt die Zivilgesellschaft in der europäisch-afrikanisch<strong>en</strong> Zusamm<strong>en</strong>arbeit<br />

eine herausrag<strong>en</strong>de Rolle. Regierung<strong>en</strong> hab<strong>en</strong> kein<strong>en</strong> Zugang zu Gefängniss<strong>en</strong> in Äquatorialguinea,<br />

wohl aber das Internationale Komitee des Rot<strong>en</strong> Kreuzes. W<strong>en</strong>n es um Korruption<br />

geht, wird sich keine Regierung so unverhohl<strong>en</strong> ausdrück<strong>en</strong> wie Transpar<strong>en</strong>cy International.<br />

Keine staatliche Organisation hat soviel Einblick in die humanitäre Lage im Hinterland<br />

wie Medicins Sans Frontieres. Auch w<strong>en</strong>n Sie in Ihrem Beruf nicht direkt mit<br />

Afrika zu tun hab<strong>en</strong> werd<strong>en</strong>: Es wäre schön, w<strong>en</strong>n Sie durch Ihr<strong>en</strong> Auf<strong>en</strong>thalt zu einem<br />

Engagem<strong>en</strong>t in der ein oder ander<strong>en</strong> Weise ermutigt oder bestärkt würd<strong>en</strong>.


Liebe Stip<strong>en</strong>diatinn<strong>en</strong>, liebe Stip<strong>en</strong>diat<strong>en</strong>,<br />

1. Dezember 2005<br />

ich war wirklich überrascht, als ich vom <strong>Cusanuswerk</strong> angesproch<strong>en</strong> wurde, für eine Stip<strong>en</strong>diat<strong>en</strong>gruppe,<br />

die sich im Rahm<strong>en</strong> einer Studi<strong>en</strong>arbeit vor Ort über die Verhältnisse<br />

in einem äußerst interessant<strong>en</strong> afrikanisch<strong>en</strong> Land informier<strong>en</strong> möchte, Visa für Kamerun<br />

auszustell<strong>en</strong>.<br />

Kamerun k<strong>en</strong>ne ich seit 1960. Ich arbeitete dort als berat<strong>en</strong>der Ing<strong>en</strong>ieur; es war die<br />

Zeit der Wiedervereinigung Kameruns, das nach dem erst<strong>en</strong> Weltkrieg als deutsche Kolonie<br />

in ein <strong>en</strong>glisches und ein französisches Mandatsgebiet aufgeteilt word<strong>en</strong> war.<br />

Ich finde es daher ausgezeichnet, dass Kamerun – man sagt nicht zu Unrecht „<strong>Afrique</strong><br />

<strong>en</strong> miniature“ – Ihr Interesse gefund<strong>en</strong> hat, um im Rahm<strong>en</strong> Ihres Studiums die Probleme<br />

vor Ort besser k<strong>en</strong>n<strong>en</strong> zu lern<strong>en</strong>.<br />

Was Sie im Einzeln<strong>en</strong> in Kamernn erarbeit<strong>en</strong>, wird man sicher auch auf andere afrikanische<br />

Länder übertrag<strong>en</strong> könn<strong>en</strong>, womit eine größere Dim<strong>en</strong>sion erreicht werd<strong>en</strong> kann,<br />

was im Rahm<strong>en</strong> der Globalisierung von größter Wichtigkeit ist. Wir müss<strong>en</strong> uns mit unserem<br />

Nachbarkontin<strong>en</strong>t befass<strong>en</strong>, um sich abzeichn<strong>en</strong>de Probleme besser versteh<strong>en</strong> zu könn<strong>en</strong>.<br />

Nur wer die Geschichte Afrikas k<strong>en</strong>nt – und Kamerun ist ein Teil dieser Geschichte-,<br />

wird Konsequ<strong>en</strong>z<strong>en</strong> ableit<strong>en</strong> könn<strong>en</strong>, die sich auch für uns ergeb<strong>en</strong>.<br />

Die derzeitig<strong>en</strong> Migration<strong>en</strong> sind nur die Spitze des Eisberges. Es muss geling<strong>en</strong>, Perspektiv<strong>en</strong><br />

für die junge G<strong>en</strong>eration in Kamerun – oder überhaupt in Afrika – zu find<strong>en</strong>;<br />

daher sind Dialoge zwisch<strong>en</strong> d<strong>en</strong> M<strong>en</strong>sch<strong>en</strong> notw<strong>en</strong>dig.<br />

Sie hab<strong>en</strong> umfass<strong>en</strong>de Them<strong>en</strong> über Kamerun ausgesucht; ich bin sicher, dass die<br />

Ergebnisse Ihrer Arbeit<strong>en</strong> ein hervorrag<strong>en</strong>des Bild über Kamerun geb<strong>en</strong> werd<strong>en</strong>.<br />

Ich weiß, dass es nicht einfach ist, in der Ihn<strong>en</strong> <strong>zur</strong> Verftigung steh<strong>en</strong>d<strong>en</strong> Zeit alle Frag<strong>en</strong><br />

zu beantwort<strong>en</strong>. Viel Neues, auch Unerwartetes wird auf Sie zukomm<strong>en</strong> und Vieles ist<br />

ganz anders als in Europa.<br />

Man kann Afrika hass<strong>en</strong> oder lieb<strong>en</strong> – wie vieles andere auch. Ich bin Kamerun bis heute<br />

treu geblieb<strong>en</strong>.<br />

Ich bin immer wieder erstaunt, wie viel Privatinitiative von Deutsch<strong>en</strong> und Kamerunern<br />

<strong>en</strong>twickelt wird, um d<strong>en</strong> Ärmst<strong>en</strong> der Arm<strong>en</strong> zu helf<strong>en</strong> und wie groß die Hilfe <strong>zur</strong> Selbsthilfe<br />

ist. Geld ist sicher nötig – aber mit Geld allein werd<strong>en</strong> sich in Kamerun und auf dem<br />

Kontin<strong>en</strong>t nicht alle Probleme lös<strong>en</strong> lass<strong>en</strong>.<br />

Aus langjähriger Erfahrung kann ich sag<strong>en</strong>, dass keiner aus Afrika so <strong>zur</strong>ück kommt,<br />

wie er hingegang<strong>en</strong> ist. Das, was bei uns wichtig sein mag, kann in Afrika ein<strong>en</strong> ander<strong>en</strong><br />

Stell<strong>en</strong>wert hab<strong>en</strong> – und umgekehrt. Das Erk<strong>en</strong>n<strong>en</strong> und Versteh<strong>en</strong> der Probleme des ander<strong>en</strong><br />

ist m.E. die Voraussetzung, um dem afrikanisch<strong>en</strong> Kontin<strong>en</strong>t nachhaltig zu helf<strong>en</strong>.<br />

Ihr Unternehm<strong>en</strong> ist ein Schritt in die richtige Richtung.<br />

Ich wünsche Ihn<strong>en</strong> bei Ihrer Mission alles Gute und viel Erfolg.<br />

Dr.-Ing. Hans Walter Honorarkonsul<br />

Honorarkonsul der Republik Kamerun in Nordrhein-Westfal<strong>en</strong><br />

DR.-ING. HANS WALTER<br />

D-45133 ESSEN Heierbusch 28<br />

Telefon (020 I) 420988 Telefax (0201) 413136 FT (01 71) 4111450<br />

9


Veranstalter<br />

11


12<br />

Sag mir, wie ist Afrika<br />

Ein europäischer Blick<br />

von DR. STEFAN RAUEISER<br />

Nein, Afrika habe ich nicht gefund<strong>en</strong>“,<br />

schrieb mir eine Teilnehmerin<br />

nach der cusanisch<strong>en</strong> Akademie<br />

„Nkosi Sikelel’i – Afrika. Der vergess<strong>en</strong>e<br />

Kontin<strong>en</strong>t“ im Frühjahr 2005, „dafür aber<br />

eine Sehnsucht, eine Neugierde, die mich<br />

weiter frag<strong>en</strong> lässt, mich nicht zufried<strong>en</strong><br />

sein lässt mit Halbwahrheit<strong>en</strong> und besteh<strong>en</strong>d<strong>en</strong><br />

Ungerechtigkeit<strong>en</strong>, die mich s<strong>en</strong>sibel<br />

macht für die Probleme anderer, die mir<br />

Lust macht auf weitere Streifzüge durch das<br />

farb<strong>en</strong>prächtige Mosaik, das sich Afrika<br />

n<strong>en</strong>nt“. Im Anschluss an diese kursorisch<br />

angelegte Afrika-Akademie im westfälisch<strong>en</strong><br />

Münster wird es bei der <strong>Auslandsakademie</strong><br />

des <strong>Cusanuswerk</strong>s nach Kamerun im<br />

Februar 2006 darum geh<strong>en</strong>, „<strong>Afrique</strong> <strong>en</strong><br />

miniature“ oder auch „<strong>en</strong> detail“ k<strong>en</strong>n<strong>en</strong> zu<br />

lern<strong>en</strong>, und von d<strong>en</strong> „Begegnung<strong>en</strong> in<br />

Kamerun“ aus Einsicht<strong>en</strong> in afrikanische<br />

Leb<strong>en</strong>swirklichkeit zu gewinn<strong>en</strong> – zugleich<br />

aber auch d<strong>en</strong> eig<strong>en</strong><strong>en</strong>, europäisch-deutsch<strong>en</strong><br />

Blick der Teilnehmerinn<strong>en</strong> und Teilnehmer<br />

zu thematisier<strong>en</strong> und zu hinterfrag<strong>en</strong>.<br />

„Afrika“ als Negativfolie für „Europa“<br />

Jeder Blick ist zwangsläufig perspektivisch –<br />

doch der auf „Afrika“ stellte immer auch<br />

ein kontin<strong>en</strong>tales Visionsfeld dar, führte<br />

und führt <strong>zur</strong> Konstruktion eines Afrika-Bildes,<br />

das von Nicht-Afrikanern geschaff<strong>en</strong><br />

wurde, eines „Afrika“, wie wir es in unser<strong>en</strong><br />

europäisch-kolonial<strong>en</strong> Erinnerung<strong>en</strong>, in<br />

unserer deutsch<strong>en</strong> Auß<strong>en</strong>politik oder auch<br />

in unser<strong>en</strong> oftmals sehr persönlich<strong>en</strong> Wünsch<strong>en</strong><br />

und Sehnsücht<strong>en</strong> wiedererzähl<strong>en</strong>.<br />

Phantasiegebilde, die mit der Wirklichkeit<br />

w<strong>en</strong>ig gemein hab<strong>en</strong>, bleib<strong>en</strong> dabei nicht<br />

aus.<br />

“Afrika ist, soweit die Geschichte <strong>zur</strong>ückgeht,<br />

für d<strong>en</strong> Zusamm<strong>en</strong>hang mit der übrig<strong>en</strong><br />

Welt verschloss<strong>en</strong> geblieb<strong>en</strong>“, schrieb<br />

der Geschichtsphilosoph Gottfried F.W.<br />

Hegel in d<strong>en</strong> zwanziger Jahr<strong>en</strong> des 19. Jahrhunderts.<br />

„Es ist das in sich gedrung<strong>en</strong> bleib<strong>en</strong>de<br />

Goldland, das Kinderland, das j<strong>en</strong>seits<br />

des Tages der selbstbewußt<strong>en</strong><br />

Geschichte in die schwarze Farbe der Nacht<br />

gehüllt ist“. Auf Afrika blick<strong>en</strong>d sah man<br />

vorwieg<strong>en</strong>d das, was man seh<strong>en</strong> wollte –<br />

und was man in der Lage war, zu seh<strong>en</strong>.<br />

Man(n) bevorzugte das Fest für die Aug<strong>en</strong>,<br />

die erotische Traumwelt, eb<strong>en</strong>so schüchtern<br />

wie wild und ungezähmt – europäische<br />

Phantasiebilder, die mit kolonialer Attitüde<br />

über ein<strong>en</strong> vermeintlich „jungfräulich<strong>en</strong><br />

Kontin<strong>en</strong>t“ gestülpt wurd<strong>en</strong>.


So wurde „Afrika“ auf der ein<strong>en</strong> Seite<br />

zum Synonym für das verlor<strong>en</strong> gegang<strong>en</strong>e<br />

Paradies, zum Bild der Harmonie zwisch<strong>en</strong><br />

M<strong>en</strong>sch und Natur – und das selbst noch im<br />

Rückblick auf eine im Untergang begriff<strong>en</strong>e<br />

Welt: „Ich hatte eine Farm in Afrika am<br />

Fuße der Ngongberge“ beginnt Tanja Blix<strong>en</strong><br />

ihr zu einem modern<strong>en</strong> Klassiker avanciertes<br />

Memorialbuch „J<strong>en</strong>seits von Afrika“<br />

(1937). Auf der ander<strong>en</strong> Seite wird „Afrika“<br />

als Bild „der ander<strong>en</strong> Welt“, als Antithese<br />

<strong>zur</strong> Zivilisation <strong>en</strong>tworf<strong>en</strong> – was allerdings<br />

Anlass bietet, „Europa“ die Maske<br />

vom Gesicht zu reiß<strong>en</strong>:<br />

„Schlagt diese Besti<strong>en</strong> alle tot“<br />

wütet der wahnsinnige Kurtz in<br />

seinem Plädoyer für die zivilisatorisch<strong>en</strong><br />

Aufgab<strong>en</strong> der Weiß<strong>en</strong><br />

bei „d<strong>en</strong> Wild<strong>en</strong>“ in Joseph Conrads<br />

wirkmächtiger Erzählung<br />

„Herz der Finsternis“ (1902).<br />

W<strong>en</strong>ige Jahre zuvor hatt<strong>en</strong> sich<br />

die europäisch<strong>en</strong> Mächte auf der<br />

Berliner Kongo-Konfer<strong>en</strong>z<br />

(1884/85) darauf verständigt,<br />

ihre kolonial<strong>en</strong> Ansprüche auf<br />

d<strong>en</strong> in weit<strong>en</strong> Teil<strong>en</strong> einer terra<br />

incognita gleich<strong>en</strong>d<strong>en</strong> Kontin<strong>en</strong>t<br />

miteinander in Einklang zu<br />

bring<strong>en</strong>. „Afrika ist für Europa“<br />

schreibt Chinua Achebe in sein<strong>en</strong><br />

Essays „Ein Bild von Afrika“<br />

(1988), „was das Bild für Dorian<br />

Gray ist – ein Träger, auf dem<br />

der Herr seine physisch<strong>en</strong> und<br />

moralisch<strong>en</strong> Deformiertheit<strong>en</strong><br />

ablädt, damit er aufrecht und<br />

unbefleckt voranschreit<strong>en</strong> kann.<br />

Folglich ist Afrika etwas, was<br />

man vermeid<strong>en</strong> muß, g<strong>en</strong>auso<br />

wie das Bild versteckt werd<strong>en</strong><br />

muß, um die gefährdete Integrität des M<strong>en</strong>sch<strong>en</strong><br />

sicherzustell<strong>en</strong>. Laß dich nicht ein<br />

mit Afrika, sonst wehe dir!“<br />

„The white man’s burd<strong>en</strong>“<br />

Die Geograph<strong>en</strong> füllt<strong>en</strong> diese vermeintliche<br />

Leere des Kontin<strong>en</strong>ts mit der Beschriftung<br />

„hic sunt leones“ – hier gibt es Löw<strong>en</strong> -, und<br />

in d<strong>en</strong> Ausgab<strong>en</strong> der Encyclopedia Britannica<br />

vor 1940 war die Rede vom „universal<br />

anerkannt<strong>en</strong> G<strong>en</strong>ius der Kolonisation“, von<br />

der „Bürde des Weiß<strong>en</strong> Mannes“, die man<br />

in all<strong>en</strong> Breit<strong>en</strong> des Erdballs auf sich gelad<strong>en</strong><br />

habe, um d<strong>en</strong> „rückständig<strong>en</strong> Völkern“<br />

Fortschritt, Bildung, Erziehung und Zivilisation<br />

zu bring<strong>en</strong>. Doch selbst der Beauftragte<br />

von Belgi<strong>en</strong>s König Leopold II., H<strong>en</strong>ry<br />

Morton Stanley, wusste bereits 1879: „Jeder<br />

„<br />

Afrika ist für Europa,<br />

was das Bild für Dorian<br />

Gray ist – ein Träger,<br />

auf dem der Herr<br />

seine physisch<strong>en</strong> und<br />

moralisch<strong>en</strong> Deformiertheit<strong>en</strong><br />

ablädt,<br />

damit er aufrecht und<br />

unbefleckt voranschreit<strong>en</strong><br />

kann. Folglich<br />

ist Afrika etwas,<br />

was man vermeid<strong>en</strong><br />

muß, g<strong>en</strong>auso wie das<br />

Bild versteckt werd<strong>en</strong><br />

muß, um die gefährdete<br />

Integrität des M<strong>en</strong>sch<strong>en</strong><br />

sicherzustell<strong>en</strong>.<br />

Laß dich nicht ein mit<br />

Afrika, sonst wehe dir!<br />

“ CHINUA ACHEBE<br />

Elefant<strong>en</strong>zahn, jedes Stückch<strong>en</strong> Elf<strong>en</strong>bein<br />

ist mit Blut gefärbt: ein halbes Kilo Elf<strong>en</strong>bein<br />

hat ein<strong>en</strong> schwarz<strong>en</strong> M<strong>en</strong>sch<strong>en</strong> das<br />

Leb<strong>en</strong> gekostet; für w<strong>en</strong>iger als drei Kilo<br />

wird eine Hütte niedergebrannt; für zwei<br />

Stoßzähne wird ein ganzes Dorf, für zwanzig<br />

ein Distrikt <strong>en</strong>tvölkert. Um Luxusartikel<br />

aus Elf<strong>en</strong>bein und Billardkugeln zu fabrizier<strong>en</strong>,<br />

verwandelt man das Herz Afrikas in<br />

eine riesige Wüste und rottet ganze Stämme<br />

aus“. Heute muss man an die Stelle von<br />

Elf<strong>en</strong>bein nur Öl, Koltan und Diamant<strong>en</strong><br />

setz<strong>en</strong> – und schon find<strong>en</strong> wir<br />

uns in der unerträglich<strong>en</strong> Realität<br />

unserer Tage wieder. Bleibt<br />

Afrika der Kontin<strong>en</strong>t der drei<br />

K’s: der Kriege, Krankheit<strong>en</strong><br />

und Katastroph<strong>en</strong>? Afrika – ein<br />

verlor<strong>en</strong>er Kontin<strong>en</strong>t, ein dauernder<br />

Sozialfall?<br />

Die cusanische <strong>Auslandsakademie</strong><br />

zum Auftakt des fünfzigst<strong>en</strong><br />

Gründungsjubiläums der<br />

Bischöflich<strong>en</strong> Studi<strong>en</strong>förderung<br />

lädt 26 Stip<strong>en</strong>diatinn<strong>en</strong> und Stip<strong>en</strong>diat<strong>en</strong><br />

am Ende ihrer Förderzeit<br />

dazu ein, sich hautnah<br />

mit d<strong>en</strong> Leb<strong>en</strong>swirklichkeit<strong>en</strong><br />

eines afrikanisch<strong>en</strong> Staates zu<br />

beschäftig<strong>en</strong>, sich in d<strong>en</strong> Begegnung<strong>en</strong><br />

vor Ort auf afrikanische<br />

Perspektiv<strong>en</strong> einzulass<strong>en</strong> und<br />

das Gespräch miteinander zu<br />

such<strong>en</strong> – wie die eig<strong>en</strong>e Infragestellung<br />

zu versuch<strong>en</strong>.<br />

Dabei ist die Kameruner<br />

Geg<strong>en</strong>wart kaum noch von der<br />

deutsch<strong>en</strong> Kolonialgeschichte<br />

geprägt, währ<strong>en</strong>d das <strong>Textbuch</strong><br />

dieser geschichtlich<strong>en</strong> Epoche<br />

ein deutlich stärkeres Gewicht<br />

beimisst. Aber die Auseinandersetzung mit<br />

der eig<strong>en</strong><strong>en</strong> Geschichte der Reis<strong>en</strong>d<strong>en</strong><br />

bedeutet auch, sie mit d<strong>en</strong> vergess<strong>en</strong><strong>en</strong><br />

Aspekt<strong>en</strong> deutscher Weltansprüche zu konfrontier<strong>en</strong>,<br />

währ<strong>en</strong>d für Kameruner Verhältnisse<br />

die französische „Mandats“-Zeit<br />

wes<strong>en</strong>tlich wirkmächtiger war, wie sich an<br />

der Zahl von Regierungs- und Militär-Beratern<br />

im Land eb<strong>en</strong>so ables<strong>en</strong> lässt wie an<br />

d<strong>en</strong> fast ausschließlich französisch<strong>en</strong> Unternehm<strong>en</strong>sleitung<strong>en</strong>.<br />

Globale Perspektiv<strong>en</strong><br />

W<strong>en</strong>n die Bischöfliche Studi<strong>en</strong>förderung<br />

von ihr<strong>en</strong> Stip<strong>en</strong>diat<strong>en</strong> erwartet, gesellschaftsrelevante<br />

Them<strong>en</strong> nicht zu vernachlässig<strong>en</strong>,<br />

und stattdess<strong>en</strong> Stellung zu bezieh<strong>en</strong><br />

und Verantwortung zu übernehm<strong>en</strong>, so<br />

13


14<br />

verlangt dies auch eine Auseinandersetzung<br />

mit d<strong>en</strong> politisch-ökonomisch<strong>en</strong> Gegeb<strong>en</strong>heit<strong>en</strong><br />

in globaler Perspektive. Für Geg<strong>en</strong>wart<br />

und Zukunft Kameruns von besonderer<br />

Bedeutung sind dabei die Beziehung<strong>en</strong><br />

zu d<strong>en</strong> industriell<strong>en</strong> Wirtschaftsnation<strong>en</strong><br />

des Nord<strong>en</strong>s. Die makroökonomisch<strong>en</strong> Weich<strong>en</strong><br />

werd<strong>en</strong> derzeit in d<strong>en</strong> EU-AKP Verhandlung<strong>en</strong><br />

über ein „Abkomm<strong>en</strong> zu Wirtschaftspartnerschaft<strong>en</strong>“<br />

gestellt, die in die<br />

WTO-Vollmitgliedschaft münd<strong>en</strong> werd<strong>en</strong>.<br />

Mindest<strong>en</strong>s g<strong>en</strong>auso präg<strong>en</strong>d sind die<br />

AGOA-Verhandlung<strong>en</strong> mit der US-Administration.<br />

Beide Verhandlungsstränge werd<strong>en</strong><br />

von Seit<strong>en</strong> zahlreicher Nichtregierungsorganisation<strong>en</strong><br />

ausgesproch<strong>en</strong> kritisch geseh<strong>en</strong><br />

und mit „Teile und Herrsche“ oder<br />

„Fortsetzung der Ausbeutung mit ander<strong>en</strong><br />

Mitteln“ komm<strong>en</strong>tiert.<br />

W<strong>en</strong>n knapp siebzig Proz<strong>en</strong>t der Kameruner<br />

von der Landwirtschaft leb<strong>en</strong>, sind<br />

Schwierigkeit<strong>en</strong> einer sog. „Drittweltlandwirtschaft“<br />

mit d<strong>en</strong> Regeln des Weltmarktes<br />

vorprogrammiert, spann<strong>en</strong>d ist dabei allerdings<br />

auch ein kritischer Blick auf <strong>en</strong>twicklungshemm<strong>en</strong>de<br />

Tradition afrikanischer<br />

Kultur. Im Land ist es deutlich spürbar, dass<br />

für viele Kameruner die Rückbindung an<br />

ihr Land bzw. ihr Dorf sehr wichtig ist. Nur<br />

wer in seinem Dorf auch gebaut hat, darf<br />

dort beerdigt werd<strong>en</strong>. Dies hat nicht nur<br />

unzählige Bauruin<strong>en</strong> <strong>zur</strong> Folge …<br />

“Afrika“ gibt es nicht<br />

Unsere <strong>Auslandsakademie</strong> lädt zu Begegnung<strong>en</strong><br />

ein. Europäer faszinier<strong>en</strong> wie<br />

schreck<strong>en</strong> dabei häufig die Extreme eines<br />

der ärmst<strong>en</strong> wie schönst<strong>en</strong>, eines eb<strong>en</strong>so<br />

häufig vergess<strong>en</strong><strong>en</strong> wie unzählige Reis<strong>en</strong>de<br />

ein Leb<strong>en</strong> lang faszinier<strong>en</strong>d<strong>en</strong> Kontin<strong>en</strong>ts.<br />

„Africa is differ<strong>en</strong>t“ ruf<strong>en</strong> die ein<strong>en</strong>: Nirg<strong>en</strong>dwo<br />

sonst ist das Bild so vielfältig, sind<br />

die Geg<strong>en</strong>sätze so groß, sozial und kulturell,<br />

politisch und wirtschaftlich, klimatisch und<br />

ökologisch. „Africa works“ antwort<strong>en</strong> die<br />

ander<strong>en</strong>: Der Schwarze Kontin<strong>en</strong>t ist im<br />

Aufbruch, eine neu<strong>en</strong> Partnerschaft für<br />

Afrikas Entwicklung zeichnet sich ab, auch<br />

w<strong>en</strong>n das Bild von der „afrikanisch<strong>en</strong><br />

R<strong>en</strong>aissance“ oftmals zu schön gezeichnet<br />

wird, als dass es glaubwürdig wäre.<br />

„Afrika gibt es nicht“ lautete die Schlusseinsicht<br />

der cusanisch<strong>en</strong> Inlandsakademie,<br />

die im Frühjahr des vergang<strong>en</strong><strong>en</strong> Jahres<br />

„Afrika“ in der Form des Kollektivsingulars<br />

zum Geg<strong>en</strong>stand des gemeinsam<strong>en</strong> Nachd<strong>en</strong>k<strong>en</strong>s<br />

machte. Die <strong>Auslandsakademie</strong><br />

nach Kamerun im Februar 2006 möchte die<br />

auch unter Cusanerinn<strong>en</strong> und Cusanern<br />

spürbare Sehnsucht und Neugierde deutlich<br />

detailg<strong>en</strong>auer thematisier<strong>en</strong>, d<strong>en</strong>n „Reis<strong>en</strong>de,<br />

die geistig nicht aufgeschloss<strong>en</strong> sind,<br />

könn<strong>en</strong> uns, außer über sich selbst, nur<br />

w<strong>en</strong>ig erzähl<strong>en</strong>“ (Chinua Achebe). Cusanisch<br />

aber ist eine Sehnsucht und Neugierde,<br />

die weiter frag<strong>en</strong> und nicht zufried<strong>en</strong><br />

sein lässt mit Halbwahrheit<strong>en</strong> und besteh<strong>en</strong>d<strong>en</strong><br />

Ungerechtigkeit<strong>en</strong>, die s<strong>en</strong>sibel für die<br />

Probleme anderer ist und Lust auf weitere<br />

Streifzüge durch j<strong>en</strong>es farb<strong>en</strong>prächtige<br />

Mosaik macht, das sich „Afrika“ n<strong>en</strong>nt.


Das Exotismusdilemma<br />

von DR. THORSTEN WILHELMY<br />

n Arnold Stadlers kurzer Erzählung<br />

„Ausflug nach Afrika“ 1 erklärt der Ich-<br />

Erzähler lapidar d<strong>en</strong> Grund, der ihn<br />

vom heimatlich<strong>en</strong> Hotz<strong>en</strong>wald weg auf d<strong>en</strong><br />

bis dahin unbekannt<strong>en</strong> Kontin<strong>en</strong>t treibt:<br />

„Ich wollte gefress<strong>en</strong> werd<strong>en</strong>.“ Der leb<strong>en</strong>smüde<br />

Europäer reist sein<strong>en</strong> Vorstellung<strong>en</strong><br />

von kannibalistisch<strong>en</strong> Exzess<strong>en</strong> hinterher,<br />

auch w<strong>en</strong>n vor Ort niemand für seine abseitige<br />

Wunscherfüllung <strong>zur</strong> Verfügung steht.<br />

Exotismus heißt, angezog<strong>en</strong> sein von<br />

dem ganz Ander<strong>en</strong>, das in die Ferne hinter<br />

d<strong>en</strong> Horizont gerückt ist. Die von der Zivilisation<br />

Enttäuscht<strong>en</strong> w<strong>en</strong>d<strong>en</strong> sich dem edl<strong>en</strong><br />

Wild<strong>en</strong> zu, die Dekad<strong>en</strong>t<strong>en</strong> feiern das<br />

urwüchsige, das starke schöne Leb<strong>en</strong>, das<br />

anderswo noch zu find<strong>en</strong> ist, die Vernunftmüd<strong>en</strong><br />

geb<strong>en</strong> sich Träum<strong>en</strong> von mythischer<br />

Ursprünglichkeit hin. Es spielt keine Rolle,<br />

dass diese Sehnsuchtsorte Fiktion<strong>en</strong> sind.<br />

Um sie geht es ja nicht, sondern nur um die<br />

Befindlichkeit des abgebrüht<strong>en</strong> Spätlings,<br />

der in der Wildnis noch ein paar starke Reize<br />

sucht: „Das berüchtigte ethnologische<br />

Interesse am (für uns) Exotisch<strong>en</strong> […] ist<br />

daher im Grunde ein Ersatz für die<br />

abstumpf<strong>en</strong>de Wahrnehmung des Vertraut<strong>en</strong>“<br />

2 . Fremdheit als solche ist Nerv<strong>en</strong>gift,<br />

und Exotismus heißt, d<strong>en</strong> Kitzel des Frem-<br />

d<strong>en</strong> such<strong>en</strong>, das solcherart jedoch funktionalisiert<br />

wird für die abgedrängt<strong>en</strong> eig<strong>en</strong><strong>en</strong><br />

Wünsche. Im Exotisch<strong>en</strong> soll der Schatt<strong>en</strong><br />

anschaulich, mehr noch: greifbar werd<strong>en</strong>,<br />

d<strong>en</strong> das Eig<strong>en</strong>e wirft. Wer eine Reise ins<br />

„Heart of Darkness“ unternimmt, darf sich<br />

folgerichtig nicht wundern, w<strong>en</strong>n das, was<br />

er dort vorfindet „The horror! The horror!“<br />

3 ist – er selbst hat ihn ja mitgebracht.<br />

Das Dilemma liegt auf der Hand: der<br />

Ort, an dem eine solche Konfrontation<br />

stattfindet, wird austauschbar, es spielt keine<br />

Rolle, nach welcher Richtung hin der<br />

Horizont der eig<strong>en</strong><strong>en</strong> Vertrautheit überschritt<strong>en</strong><br />

wird. Die Fremde verliert ihr<br />

Eig<strong>en</strong>gewicht, sie wird Schauplatz, Projektionsfläche,<br />

aber sie hört auf, Ziel zu sein,<br />

dies sowohl im räumlich<strong>en</strong> Sinne wie in<br />

dem des Erk<strong>en</strong>ntnisinteresses. (Dies erklärt<br />

neb<strong>en</strong>bei, weshalb in Stanley Kubricks Apocalypse<br />

Now, der Verfilmung der Conrad-<br />

Novelle, der afrikanische Urwald auch<br />

mühelos mit dem vietnamesisch<strong>en</strong> Dschungel<br />

vertauscht werd<strong>en</strong> kann – für die Bebilderung<br />

der Dram<strong>en</strong> des Seel<strong>en</strong>unterst<strong>en</strong><br />

muss die Kulisse eb<strong>en</strong> nur hinreich<strong>en</strong>d exotisch<br />

sein.)<br />

Der „Ausflug nach Afrika“, d<strong>en</strong> die<br />

Gruppe von Cusanerinn<strong>en</strong> und Cusanern<br />

15


16<br />

unternimmt, legt es auf die Konfrontation<br />

mit dem Exotisch<strong>en</strong>, dem Fremd<strong>en</strong>, dem<br />

Unbekannt<strong>en</strong> an. Soll die Akademie aber<br />

mehr sein als eine höhere Form der Geisterbahnfahrt<br />

im Sinne j<strong>en</strong>er angedeutet<strong>en</strong><br />

Funktionalisierung des Fremd<strong>en</strong> für das<br />

Eig<strong>en</strong>e, so muss der im Grunde waghalsige<br />

Anspruch aufrecht erhalt<strong>en</strong> werd<strong>en</strong>, dass<br />

Kamerun am Ende der Reise w<strong>en</strong>iger exotisch,<br />

w<strong>en</strong>iger fremd ist – und dies str<strong>en</strong>g<br />

g<strong>en</strong>omm<strong>en</strong> nicht im Modus des Abstumpf<strong>en</strong>s<br />

geg<strong>en</strong> die ungewohnt<strong>en</strong> Reize. Die Teilnehmerinn<strong>en</strong><br />

und Teilnehmer soll<strong>en</strong> mehr<br />

versteh<strong>en</strong>, mehr wiss<strong>en</strong> über das Land, das<br />

sie bereist hab<strong>en</strong>, die M<strong>en</strong>sch<strong>en</strong>, d<strong>en</strong><strong>en</strong> sie<br />

begegnet sind. Es geht um das Eig<strong>en</strong>gewicht<br />

der Fremde und um ihre Unverwechselbarkeit.<br />

Dieser Anspruch aber macht anfällig für<br />

die zweite Dim<strong>en</strong>sion des Dilemmas. Wer<br />

sich der Faszination einer sich widersp<strong>en</strong>stig<br />

<strong>en</strong>tzieh<strong>en</strong>d<strong>en</strong> Fremdheit verweigert,<br />

der könnte Gefahr lauf<strong>en</strong>, Unbekanntes allzu<br />

rasch an Bekanntes zu assimilier<strong>en</strong>.<br />

Anders gesagt: wer aus lauter Furcht, dem<br />

Reflex des Exotismus zu erlieg<strong>en</strong>, Befremdlichkeit<strong>en</strong><br />

immer gleich als selbst produziert<br />

bezweifelt, der wird auch dort bekannte<br />

Struktur<strong>en</strong> und Phänom<strong>en</strong>e <strong>en</strong>tdeck<strong>en</strong>, wo<br />

sie gar nicht sind. Er wird überall „Europa“<br />

find<strong>en</strong>, so wie der exotische Schwärmer<br />

überall das Andere von Europa findet. Es<br />

gibt zahlreiche Beispiele, die dokum<strong>en</strong>tier<strong>en</strong>,<br />

dass wohlmeind<strong>en</strong>de Europäer vermeintlich<br />

einfache Lösung<strong>en</strong> für Probleme<br />

<strong>en</strong>twerf<strong>en</strong>, die sie nicht einmal <strong>zur</strong> Hälfte<br />

verstand<strong>en</strong> hab<strong>en</strong>. Im Grunde liegt hier dieselbe<br />

Fehlleistung vor wie bei der erst<strong>en</strong><br />

Variante des Exotismusdilemmas: auch hier<br />

wird die Eig<strong>en</strong>gesetzlichkeit der ander<strong>en</strong><br />

Gesellschaft unterschätzt. Nur dass sie hier<br />

nicht <strong>zur</strong> Kulisse für Selbsterfahrung marginalisiert<br />

wird, sondern kurzerhand umgewidmet<br />

zum immer schon Vertraut<strong>en</strong>, das<br />

nur im exotisch<strong>en</strong> Kostüm steckt.<br />

Die Herausforderung der Reise besteht<br />

demnach darin, beid<strong>en</strong> Fall<strong>en</strong> zu <strong>en</strong>tgeh<strong>en</strong>.<br />

Es sollte geling<strong>en</strong>, vor dem zweifellos, ja<br />

zwangsläufig Unverständlich<strong>en</strong>, dem wir<br />

begegn<strong>en</strong> werd<strong>en</strong>, nicht auf dem Bauch zu<br />

lieg<strong>en</strong>, ohne es zugleich vorschnell mit<br />

unserem Verständnis zu überwältig<strong>en</strong>. Die<br />

Methode der „teilnehm<strong>en</strong>d<strong>en</strong> Beobachtung“,<br />

die jahrelang als Königsweg der Ethnologie<br />

galt, ist in d<strong>en</strong> vergang<strong>en</strong><strong>en</strong> Jahr<strong>en</strong><br />

einer kritisch<strong>en</strong> Revision unterzog<strong>en</strong> word<strong>en</strong>,<br />

und in vierzehn Tag<strong>en</strong> kann sie ohnehin<br />

nicht <strong>zur</strong> Anw<strong>en</strong>dung komm<strong>en</strong>. Die in<br />

dem Begriff zum Ausdruck gebrachte Ver-<br />

schränkung von Aktivität und Passivität,<br />

von Interesse und Zurückhaltung, sollte<br />

aber all<strong>en</strong> Afrikareis<strong>en</strong>d<strong>en</strong> ins Stammbuch<br />

geschrieb<strong>en</strong> werd<strong>en</strong>. Es gilt, für eine langsame<br />

Herm<strong>en</strong>eutik zu plädier<strong>en</strong>. Wir müss<strong>en</strong><br />

prinzipiell voraussetz<strong>en</strong>, dass wir die Struktur<strong>en</strong>,<br />

Gewohnheit<strong>en</strong>, die handlungsleit<strong>en</strong>d<strong>en</strong><br />

Maxim<strong>en</strong> und kulturell<strong>en</strong> Eig<strong>en</strong>heit<strong>en</strong><br />

der kamerunsch<strong>en</strong> Gesellschaft versteh<strong>en</strong><br />

könn<strong>en</strong>. Clifford Geertz gibt hier eine<br />

ermutig<strong>en</strong>de Parole mit auf d<strong>en</strong> Weg, die<br />

die Möglichkeit des Versteh<strong>en</strong>s auch unter<br />

d<strong>en</strong> Bedingung<strong>en</strong> <strong>zur</strong>ückbleib<strong>en</strong>der Rätsel<br />

in Aussicht stellt: „es ist nicht nötig, alles zu<br />

wiss<strong>en</strong>, um etwas zu versteh<strong>en</strong>“. 4 Dieses<br />

Versteh<strong>en</strong> ist mühsam, w<strong>en</strong>n es nicht Kolonisierung<br />

auf höherer Eb<strong>en</strong>e sein will („wir<br />

wiss<strong>en</strong>, was gut für euch ist“), aber auch<br />

mehr als die Höflichkeit des Gastes, der seine<br />

eig<strong>en</strong>e Meinungsbildungskompet<strong>en</strong>z<br />

unterschätzt und das so intakt gelass<strong>en</strong>e<br />

Unverstand<strong>en</strong>e ersatzweise als Exotisches<br />

konsumiert.<br />

Langsame Wahrnehmung, die allmähliche<br />

Verfertigung der Meinung beim Beobacht<strong>en</strong>,<br />

beim Zuhör<strong>en</strong> – das könnt<strong>en</strong><br />

Method<strong>en</strong> sein, die einem „Ausflug nach<br />

Kamerun“ angemess<strong>en</strong> sind.<br />

Im Übrig<strong>en</strong> geh<strong>en</strong> wir davon aus, dass<br />

niemand gefress<strong>en</strong> werd<strong>en</strong> will.<br />

1 Arnold Stadler: Ausflug nach Afrika. Egging<strong>en</strong><br />

1997.<br />

2 Clifford Geertz: „Dichte Beschreibung. Bemerkung<strong>en</strong><br />

zu einer deut<strong>en</strong>d<strong>en</strong> Theorie von Kultur“. In:<br />

ders.: Dichte Beschreibung. Beiträge zum Versteh<strong>en</strong><br />

kultureller Systeme. Frankfurt am Main 1983,<br />

S. 7-43, hier S.21.<br />

3 Joseph Conrad: Heart of Darkness. London 1994,<br />

S.100 (Erstausgabe London 1902)<br />

4 Geertz, S.29.


Geistliches Wort<br />

„Was willst du, dass ich dir tun soll?“ (Mk 10, 51)<br />

von DR.ELISABETH SCHIEFFER<br />

s ist doch eig<strong>en</strong>tlich erstaunlich, dass<br />

Jesus überhaupt fragt: ein<strong>en</strong> Blind<strong>en</strong>,<br />

der um Erbarm<strong>en</strong> schreit, was soll er<br />

schon anderes woll<strong>en</strong> als seh<strong>en</strong>d werd<strong>en</strong> –<br />

und dass solche Wunder in der Begegnung<br />

mit Jesus gescheh<strong>en</strong>, das hatte er wahrscheinlich<br />

schon gehört. Welche Chance,<br />

dass dieser Jesus jetzt an seinem Bettelplatz<br />

vorbei kommt, er ihn nur ruf<strong>en</strong> muss und<br />

dann ist die Erfüllung seiner tiefst<strong>en</strong> Sehnsucht<br />

schon ganz nah. Wer würde da nicht<br />

aus vollem Halse schrei<strong>en</strong>, um alle zu übertön<strong>en</strong>,<br />

die am Stadttor ihre War<strong>en</strong> anpreis<strong>en</strong>,<br />

wo jeder auf seine Weise die Chance zu<br />

nutz<strong>en</strong> versucht.<br />

Und dann diese Frage, die d<strong>en</strong> Blind<strong>en</strong><br />

scheinbar <strong>zur</strong>ückweist! Nur nach Jesus<br />

Sie kam<strong>en</strong> nach Jericho. Als er mit sein<strong>en</strong> Jüngern und einer groß<strong>en</strong><br />

M<strong>en</strong>sch<strong>en</strong>m<strong>en</strong>ge Jericho wieder verließ, saß an der Straße ein blinder<br />

Bettler, Bartimäus, der Sohn des Timäus. Sobald er hörte, dass es Jesus<br />

von Nazaret war, rief er laut: Sohn Davids, Jesus, hab Erbarm<strong>en</strong> mit<br />

mir! Viele wurd<strong>en</strong> ärgerlich und befahl<strong>en</strong> ihm zu schweig<strong>en</strong>. Er aber<br />

schrie noch viel lauter: Sohn Davids, hab Erbarm<strong>en</strong> mit mir! Jesus blieb<br />

steh<strong>en</strong> und sagte: Ruft ihn her! Sie rief<strong>en</strong> d<strong>en</strong> Blind<strong>en</strong> und sagt<strong>en</strong> zu<br />

ihm: Hab nur Mut, steh auf, er ruft dich. Da warf er sein<strong>en</strong> Mantel<br />

weg, sprang auf und lief auf Jesus zu. Und Jesus fragte ihn: Was soll ich<br />

dir tun? Der Blinde antwortete: Rabbuni, ich möchte wieder seh<strong>en</strong> könn<strong>en</strong>.<br />

Da sagte Jesus zu ihm: Geh! Dein Glaube hat dir geholf<strong>en</strong>. Im gleich<strong>en</strong><br />

Aug<strong>en</strong>blick konnte er wieder seh<strong>en</strong>, und er folgte Jesus auf seinem<br />

Weg. (Mk 10, 46-52)<br />

schrei<strong>en</strong>, scheint noch nicht ans Ziel zu führ<strong>en</strong>,<br />

Jesus zu begegn<strong>en</strong>, wirft zuerst einmal<br />

auf sich selbst <strong>zur</strong>ück: Weißt du, was du<br />

willst, was du suchst, k<strong>en</strong>nst du deine tiefste<br />

Sehnsucht?<br />

Die Antwort ist dann auch nicht überrasch<strong>en</strong>d:<br />

ich will seh<strong>en</strong> könn<strong>en</strong>, ich will<br />

leb<strong>en</strong> könn<strong>en</strong> wie die ander<strong>en</strong>, nicht angewies<strong>en</strong><br />

sein auf die Almos<strong>en</strong>, die sie mir<br />

hier – unmittelbar vor dem Aufbruch <strong>zur</strong><br />

Reise am Stadttor noch schnell auf mein<strong>en</strong><br />

Mantel werf<strong>en</strong>, weil ja jeder auf d<strong>en</strong> erst<strong>en</strong><br />

Blick sieht, was diesem M<strong>en</strong>sch<strong>en</strong> fehlt.<br />

Aber off<strong>en</strong>sichtlich geschieht zwisch<strong>en</strong><br />

Jesus und dem Blind<strong>en</strong> mehr als nur der<br />

erste flüchtige Blick, mit dem sich M<strong>en</strong>sch<strong>en</strong><br />

einschätz<strong>en</strong>, wahrnehm<strong>en</strong>: Jesus,<br />

17


18<br />

Sohn Davids, erbarme dich meiner, dieser<br />

Ruf eröffnet mehr, sucht anderes.<br />

Der Blinde stellt Jesus in die Hoffnungsgeschichte<br />

des Volkes Israels: er spricht ihn<br />

an als d<strong>en</strong> Messias, d<strong>en</strong> Retter aus der<br />

Unfreiheit, d<strong>en</strong> Repräs<strong>en</strong>tant<strong>en</strong> eines Gottes,<br />

der seinem Volk und jedem M<strong>en</strong>sch<strong>en</strong><br />

das Leb<strong>en</strong> im verheiß<strong>en</strong><strong>en</strong> Land, „das<br />

Leb<strong>en</strong> in Fülle“ (Joh 10,10) eröffn<strong>en</strong> will. Da<br />

geht es nicht nur um das Seh<strong>en</strong> Könn<strong>en</strong> für<br />

das eig<strong>en</strong>e Leb<strong>en</strong>, da lebt einer die Hoffnung<br />

für sein Volk und mit diesem Volk für<br />

alle M<strong>en</strong>sch<strong>en</strong>.<br />

Das Wunder geschieht, der Blinde<br />

erk<strong>en</strong>nt mit eig<strong>en</strong><strong>en</strong> Aug<strong>en</strong>, was ihn die<br />

Aug<strong>en</strong> des Glaub<strong>en</strong>s hab<strong>en</strong> ahn<strong>en</strong> lass<strong>en</strong><br />

und er geht sein<strong>en</strong> Weg weiter in der Nachfolge<br />

Jesu.<br />

Mit diesem <strong>Textbuch</strong> bereitet sich eine<br />

Gruppe des <strong>Cusanuswerk</strong>es auf ihre Reise<br />

nach Kamerun vor, auf die Begegnung mit<br />

M<strong>en</strong>sch<strong>en</strong>, mit d<strong>en</strong><strong>en</strong> es uns ähnlich ergeh<strong>en</strong><br />

kann, wie mit diesem Blind<strong>en</strong>: wir<br />

seh<strong>en</strong> doch ganz klar, was sie brauch<strong>en</strong>, wir<br />

hab<strong>en</strong> schnell Vorschläge im Kopf, was sie<br />

anders mach<strong>en</strong> müsst<strong>en</strong>, wir stoß<strong>en</strong> uns an<br />

Vielem, was wir von unserem D<strong>en</strong>k<strong>en</strong> her<br />

nicht sinnvoll find<strong>en</strong> – es ist nicht leicht,<br />

diese Fremdheit steh<strong>en</strong> zu lass<strong>en</strong>, sie zu<br />

seh<strong>en</strong> und anzuerk<strong>en</strong>n<strong>en</strong>, ohne diese Realität<br />

gleich verändern zu woll<strong>en</strong>.<br />

„Was willst Du?“ könnte die Grundfrage<br />

dieser Reise sein und sie wirft mich zuerst<br />

auf mich selbst <strong>zur</strong>ück: weiß ich, was ich<br />

suche und wer ich selbst bin, werd<strong>en</strong> möchte?<br />

Gerade die Reise in ein fremdes Land,<br />

die Begegnung mit einer fremd<strong>en</strong> Kultur<br />

macht mir die eig<strong>en</strong>e Prägung bewusst,<br />

kann sie <strong>zur</strong> Frage werd<strong>en</strong> lass<strong>en</strong>: wie bin<br />

ich geword<strong>en</strong> und wer will ich sein/werd<strong>en</strong>?<br />

Und dann mit der weiter<strong>en</strong> Frage: Begegne<br />

ich Fremd<strong>en</strong> in der Anerk<strong>en</strong>nung ihrer<br />

Andersartigkeit und im Zuge der Begegnung<br />

dann vielleicht mit der respektvoll<strong>en</strong><br />

Frage: Was willst du?<br />

Aber auch w<strong>en</strong>n wir uns bemüh<strong>en</strong>, uns –<br />

vielleicht mit d<strong>en</strong> Studier<strong>en</strong>d<strong>en</strong> des Kolloquiums<br />

– wirklich auf eine Stufe zu stell<strong>en</strong>,<br />

werd<strong>en</strong> wir immer wieder erleb<strong>en</strong>, dass wir<br />

mit ander<strong>en</strong> Voraussetzung<strong>en</strong> unser Leb<strong>en</strong><br />

gestalt<strong>en</strong>, die für die M<strong>en</strong>sch<strong>en</strong>, die wir<br />

besuch<strong>en</strong>, noch in weiter Ferne sind. Vielleicht<br />

kann unsere Begegnung in dieser<br />

Entwicklung ein kleiner Schritt sein, ein<br />

Mosaikstein in einem sich allmählich verändernd<strong>en</strong><br />

Bild, das Europa und Afrika<br />

gemeinsam <strong>en</strong>twerf<strong>en</strong> … aber die Unterschiede<br />

bleib<strong>en</strong> – vorerst.<br />

Wir komm<strong>en</strong> als Christ<strong>en</strong> nach Afrika.<br />

Wir steh<strong>en</strong> mit unserem Glaub<strong>en</strong> in einer<br />

Hoffnungsgeschichte, die all<strong>en</strong> Völkern das<br />

Heil verheißt. Jesus Christus ist der Bürge<br />

dafür, dass Gott nichts unversucht lässt, um<br />

dieses Heil zu eröffn<strong>en</strong>, nicht allein durch<br />

Almos<strong>en</strong> der Reicher<strong>en</strong>, sondern weil sein<br />

Sohn „heruntergekomm<strong>en</strong> ist“ zu jedem<br />

M<strong>en</strong>sch<strong>en</strong>. „Er hielt nicht daran fest, Gott<br />

gleich zu sein.“ (Phil, 2,6) Er lebte ein<br />

Leb<strong>en</strong>, dem nichts M<strong>en</strong>schliches fern war<br />

und stellte dieses Leb<strong>en</strong> in die Heilsperspektive<br />

des Vaters. Deshalb ist der Weg<br />

derer, die sich an ihm ori<strong>en</strong>tier<strong>en</strong>, ein Weg,<br />

der angesichts von Ungerechtigkeit sicher<br />

zuerst nach helf<strong>en</strong>d<strong>en</strong> Programm<strong>en</strong> sucht,<br />

der aber mehr noch von der Hoffnung<br />

getrag<strong>en</strong> ist, dass M<strong>en</strong>sch<strong>en</strong> in ihrer Vielfalt<br />

und Verschied<strong>en</strong>heit leb<strong>en</strong> könn<strong>en</strong>, dass sie<br />

leb<strong>en</strong> könn<strong>en</strong>, was sie als ihre Eig<strong>en</strong>art, ihre<br />

Fülle und ihre Sehnsucht erk<strong>en</strong>n<strong>en</strong> und<br />

sich darin „das Leb<strong>en</strong> in Fülle“ für alle<br />

erschließ<strong>en</strong> wird – auch für die scheinbar<br />

heute schon „Reich<strong>en</strong>“.


Kooperationspartner<br />

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20<br />

„Samstag ein Seminar? Uns Bamiléké ist<br />

der Samstag für Beerdigung<strong>en</strong> heilig!“ 1<br />

Ein kursorischer Blick auf d<strong>en</strong> Beerdigungskult im West<strong>en</strong> Kameruns<br />

von Dr. SYLVIA M. SCHMITT, C<strong>en</strong>tre Polyval<strong>en</strong>t de Formation de Mbouo (CPF)<br />

hérèse ist extra mit zwei klein<strong>en</strong> Kindern<br />

aus Deutschland angereist. Seit<br />

über drei Jahr<strong>en</strong> lebt die junge Kamerunerin<br />

mit ihrem deutsch<strong>en</strong> Ehemann in<br />

Frankfurt/Main. Zur Beerdigung ihres<br />

Vaters im Bamilékéland, dem bergig<strong>en</strong><br />

West<strong>en</strong> Kameruns, hat sie sich vier Woch<strong>en</strong><br />

Urlaub g<strong>en</strong>omm<strong>en</strong>. Ihr Vater hinterläßt<br />

fünf Frau<strong>en</strong>, 31 Töchter und Söhne und<br />

unzählige Enkelkinder.<br />

Die Beerdigungsfeiern auf dem väterlich<strong>en</strong><br />

Hof in Bandjoun, einer bedeut<strong>en</strong>d<strong>en</strong><br />

Chefferie im West<strong>en</strong>, stell<strong>en</strong> sich für d<strong>en</strong><br />

gelad<strong>en</strong><strong>en</strong> deutsch<strong>en</strong> Gast wie viele Feste<br />

rund um die einzeln<strong>en</strong> Famili<strong>en</strong>höfe des<br />

Verstorb<strong>en</strong><strong>en</strong> da. Jede Familie hat ihre eig<strong>en</strong>e<br />

Gästeliste und gibt im Hause der jeweilig<strong>en</strong><br />

Mutter ein<strong>en</strong> Empfang. Ess<strong>en</strong> wird d<strong>en</strong><br />

ganz<strong>en</strong> Samstag, seit Einführung von<br />

gekühlt<strong>en</strong> Leich<strong>en</strong>hall<strong>en</strong> der traditionelle<br />

Beerdigungstag, gereicht. Der soziale Rang<br />

des jeweilig<strong>en</strong> Gastes dominiert Ort, Zeitpunkt<br />

und Qualität der gereicht<strong>en</strong> Mahlzeit.<br />

Gewöhnungsbedürftig für d<strong>en</strong> deutsch<strong>en</strong><br />

Gast ist, das Mahlzeit<strong>en</strong> währ<strong>en</strong>d der<br />

katholisch<strong>en</strong> Messe für d<strong>en</strong> Verstorb<strong>en</strong><strong>en</strong><br />

gereicht werd<strong>en</strong>.<br />

Ang<strong>en</strong>ehm für das Miteinander der Kultur<strong>en</strong>,<br />

Ethni<strong>en</strong> und Famili<strong>en</strong> sind die ver-<br />

schied<strong>en</strong><strong>en</strong> Trauergottesdi<strong>en</strong>ste für d<strong>en</strong><br />

Vater von Thérèse:<br />

· die Nachtwache von Freitag auf Samstag<br />

hielt der evangelische Gemeindepastor,<br />

· die katholische Messe bestimmte die<br />

Trauerfeierlichkeit<strong>en</strong> des Samstages,<br />

· und traditionell beerdigt wird der Verstorb<strong>en</strong>e<br />

in Bamilékétradition.<br />

Fast schon eine Selbstverständlichkeit in<br />

einem Land, in dem sich die Bevölkerung<br />

verteilt auf je ein Drittel Christ<strong>en</strong>, Moslems<br />

und Anhänger animistischer Religion<strong>en</strong>.<br />

Der Vater selbst war in erster Ehe katholisch<br />

verheiratet und durch die polygame<br />

Eheschliessung, rechtlich legal in Kamerun,<br />

mit vier weiter<strong>en</strong> Frau<strong>en</strong>, Protestantinn<strong>en</strong>,<br />

verheiratet.<br />

Währ<strong>en</strong>d der Messe wird dem Verstorb<strong>en</strong><strong>en</strong><br />

in christlich-ab<strong>en</strong>dländischer Manier<br />

die letzte Ehre erwies<strong>en</strong>. Ein in Grossformat<br />

gerahmtes Bild des Verstorb<strong>en</strong><strong>en</strong> oder<br />

der Verstorb<strong>en</strong><strong>en</strong> schmückt d<strong>en</strong> aufgebahrt<strong>en</strong><br />

Sarg. Der Pastor oder Pfarrer hält seine<br />

Rede, die oft auch Gemeindethem<strong>en</strong> wie<br />

die letzte, zu geringe Kollekte uter d<strong>en</strong><br />

Kirchgängern, oder manchmal auch das<br />

Thema Aids berühr<strong>en</strong> könn<strong>en</strong>. Die Vita der<br />

Tot<strong>en</strong> ist selt<strong>en</strong> Inhalt der Rede/Predigt.<br />

Auch verwundert d<strong>en</strong> europäisch<strong>en</strong> Gast


und Auss<strong>en</strong>steh<strong>en</strong>d<strong>en</strong>, wie selt<strong>en</strong> Red<strong>en</strong> aus<br />

dem beruflich<strong>en</strong> und persönlich<strong>en</strong> Umfeld<br />

der Tot<strong>en</strong> ged<strong>en</strong>k<strong>en</strong>.<br />

Und schon tun sich wieder einmal interkulturelle<br />

Fall<strong>en</strong> und Gräb<strong>en</strong> auf. Tatsächlich<br />

wird dem Verstorb<strong>en</strong><strong>en</strong> int<strong>en</strong>siv an seinem/ihr<strong>en</strong><br />

Tot<strong>en</strong>tag bzw. an der Beerdigung<br />

gedacht, nämlich durch das<br />

Zeremoniell des Trommelns, Tanz<strong>en</strong>s und<br />

durch das Zeremoniell der Grablegung.<br />

Was für „unsereins“ immer noch folkloristisch<br />

anmutet, stellt eine int<strong>en</strong>sive Wegbegleitung<br />

des Tot<strong>en</strong> nicht nur der Familie,<br />

sondern der Gemeinde, der Dorfgemeinschaft<br />

oder Nachbarschaft da. Im Fall des<br />

Tot<strong>en</strong>ged<strong>en</strong>k<strong>en</strong> erstreck<strong>en</strong> sich die traditionell<strong>en</strong><br />

Form<strong>en</strong> des Tot<strong>en</strong>ged<strong>en</strong>k<strong>en</strong> durch<br />

Trommeln und Tanz auf d<strong>en</strong> Vorab<strong>en</strong>d und<br />

d<strong>en</strong> Ged<strong>en</strong>ktag. Bei einer Beerdigung<br />

beginnt die Begleitung und das Ged<strong>en</strong>k<strong>en</strong><br />

an d<strong>en</strong> Tot<strong>en</strong> mit der Tot<strong>en</strong>wache durch die<br />

Famili<strong>en</strong>angehörig<strong>en</strong> und Klagefrau<strong>en</strong> aus<br />

der Nachbarschaft oder der Gemeinde. Die<br />

Familie wie der Tote werd<strong>en</strong> bis <strong>zur</strong> Beerdigung<br />

nicht mehr allein gelass<strong>en</strong>. Die Nächte,<br />

die der Grablegung vorausgeh<strong>en</strong>, werd<strong>en</strong><br />

mit Bet<strong>en</strong> oder abhänig der religiös<strong>en</strong><br />

Ausrichtung der Familie des Verstorb<strong>en</strong><strong>en</strong>,<br />

traditioneller mit Trommeln gestaltet. Tanz<br />

und traditionelle Ausdrucksform<strong>en</strong> beim<br />

Tanz<strong>en</strong> präg<strong>en</strong> d<strong>en</strong> Tag der Beerdigung<br />

und die Grablegung.<br />

Die afrikanische Großfamilie, oft ein Stereotyp<br />

euroz<strong>en</strong>tristischer Betrachtungsweise<br />

existiert noch. Ob sie noch intakt ist, ist<br />

eine andere Frage. Zumindest die G<strong>en</strong>eration<br />

der heute Dreissigjährig<strong>en</strong> in Kameruns<br />

ländlich<strong>en</strong> Geg<strong>en</strong>d<strong>en</strong> <strong>en</strong>tstammt noch über-<br />

wieg<strong>en</strong>d polygamer Famili<strong>en</strong>verbände.<br />

Hochzeit<strong>en</strong> wie Trauerfeiern werd<strong>en</strong> noch<br />

in einem groß<strong>en</strong> Rahm<strong>en</strong> gefeiert. Nicht<br />

ungewöhnlich ist es für die Trauernd<strong>en</strong> im<br />

West<strong>en</strong> Kameruns, dem Bamilékéland, über<br />

taus<strong>en</strong>d Trauergäste 2 bewirt<strong>en</strong> zu müss<strong>en</strong>.<br />

Es verwundert nicht, das die Ausgab<strong>en</strong><br />

für solche Festivität<strong>en</strong> auch Thema und<br />

Gesprächsstoff sind. Selbst der betuchte<br />

Bamiléké beklagt sich über ein gravier<strong>en</strong>des<br />

Missverhältnis zwisch<strong>en</strong> der finanziell<strong>en</strong><br />

Unterstützung für die Beerdigung seit<strong>en</strong>s<br />

der viel<strong>en</strong> Anverwandt<strong>en</strong> und Bekannt<strong>en</strong><br />

und der Verweigerung am Sterbebett, für<br />

d<strong>en</strong> Arzt oder Medikam<strong>en</strong>t<strong>en</strong>rechnung<br />

etwas Geld beizusteuern. Die Macht der verstorb<strong>en</strong><strong>en</strong><br />

Ahn<strong>en</strong> gilt als größer als die des<br />

bettlägrig<strong>en</strong> Alt<strong>en</strong>.<br />

Apropos Kost<strong>en</strong>. Der Wirtschaftsfaktor<br />

„Trauerfeiern“ ist nicht unerheblich für die<br />

Region.<br />

Ein Zitat aus der kamerunisch<strong>en</strong> Tageszeitung<br />

Le Messager 3 :<br />

„Business autour de la mort. Effet de<br />

mode. Phènomène de société. (...) Désormais<br />

les familles <strong>en</strong>deuillées mett<strong>en</strong>t un<br />

point d’honneur à sacrifier aux multiples<br />

(et parfois inutiles) dép<strong>en</strong>ses imposées par<br />

les obsèques de plus <strong>en</strong> plus coûteuses dans<br />

notre société. (...) L’activité commerciale,<br />

un ri<strong>en</strong> sournois, déborde l’ingéniosité. (...)<br />

Ici, le discours de l’arg<strong>en</strong>t est plutôt assourdissant.<br />

Tout est <strong>en</strong> effet monnayé. Du<br />

moindre office religieux aux derniers battem<strong>en</strong>ts<br />

du tam-tam sonnant définitivem<strong>en</strong>t<br />

le glas. »<br />

Einzelne Rech<strong>en</strong>beispiele 4 zeichn<strong>en</strong> die<br />

Gewinnspanne der Beerdigungs“gewinnler“<br />

Beerdigung in Bellah,<br />

Fontem, SW-Provinz,<br />

Dez. 2004<br />

FOTO Stefan Rostock<br />

21


22<br />

nach:<br />

„Pour Maguy Décor, spécialiste de décoration,<br />

l’habillem<strong>en</strong>t mortuaire se situe<br />

<strong>en</strong>tre 100.000 et 250.000 Fcfa et les bénéfice<br />

générés vont à plus de 60%. »<br />

« les foulard du deuil, achetés <strong>en</strong> gros à<br />

600 ou 700 F le paquet de douze, ils sont<br />

rev<strong>en</strong>dus à 1000 F la pièce. »<br />

« Lors de ma dernière commande, j’ai<br />

confectionné <strong>en</strong>viron 16 cabas cellulaire à<br />

2500 Fcfa la pièce et une tr<strong>en</strong>taine de boubous<br />

à 2000 Ffa chacun. Le matériel m’a<br />

coûté presque 50.000 Fcfa. Avec l’aide de<br />

mes <strong>en</strong>fants, tout était prêt <strong>en</strong> quatre jours,<br />

je me suis retrovée avec plus de 50.000 Fcfa<br />

de bénéfices (...) ».<br />

Aber <strong>zur</strong>ück zum Selbstverständnis eines<br />

Bamiléké. D<strong>en</strong> Bamiléké sagt man ein<strong>en</strong><br />

hoh<strong>en</strong> Geschäftssinn und auch ein<strong>en</strong> gewiss<strong>en</strong><br />

Geiz nach. Wieso dann diese Bereitschaft<br />

sich in fast schon verschw<strong>en</strong>derisch<br />

anmut<strong>en</strong>de Ausgab<strong>en</strong> zu stürz<strong>en</strong>?<br />

Der Soziologe Claude Abé gibt ein<strong>en</strong> Einblick<br />

in mögliche, moderne Interpretation<strong>en</strong><br />

der sehr ambitioniert<strong>en</strong> Ausgestaltung<br />

von Beerdigung<strong>en</strong> im West<strong>en</strong> Kameruns: 5<br />

„(...) la mort devi<strong>en</strong>t une „affaire“... D’abord<br />

une affaire de gestion du statut social<br />

des vivants, c’est-à-dire de la famille qui doit<br />

s’occuper de l’organisation du deuil. Il va<br />

falloir savoir quelle est la fonction de cette<br />

famille au sein de la société à travers la<br />

manière dont le deuil est organisé. (..) Le<br />

nombre de jours passés à la morgue étant<br />

une caution sociale pour cette construction<br />

du statut. (...) C’est aussi une affaire sur le<br />

plan économique. (...) Et ici on voit se<br />

rejoindre la civilisation du loisir, celle du<br />

plaisir et finalem<strong>en</strong>t celle de la douleur qui<br />

participe à une banalisation de la mort (...)<br />

» Abé spricht in dem Interview mit Le Messager<br />

zum dritt<strong>en</strong> von einer Sinn<strong>en</strong>tleerung<br />

und einer Entlarvung der betroff<strong>en</strong><strong>en</strong>,<br />

sozial<strong>en</strong> Akteure einer Beerdigungs-Insz<strong>en</strong>ierung,<br />

die dem Bauern zu einem Saufgelage<br />

verhilft und die Trauerfamilie eb<strong>en</strong><br />

nicht in d<strong>en</strong> gewünscht<strong>en</strong> sozial<strong>en</strong> Status<br />

bestätigt, sondern eher zu Akteur<strong>en</strong> einer<br />

modern<strong>en</strong> Farce stempelt.<br />

Innerhalb des protestantisch<strong>en</strong> Milieus<br />

sind solche Festivität<strong>en</strong> unter Kirch<strong>en</strong>personal<br />

die Geleg<strong>en</strong>heit für kirch<strong>en</strong>politische<br />

Netzwerkarbeit und die Festigung von Seilschaft<strong>en</strong>.<br />

Auch verknüpft die Kirche hierbei<br />

immer wieder ihr traditionelles Band zu der<br />

stärkst<strong>en</strong> Volksgrupp<strong>en</strong>präs<strong>en</strong>z, d<strong>en</strong> Bamiléké,<br />

innerhalb der EEC.<br />

Eine weitere, andere Quelle zum Verständnis<br />

der Bedeutungsform<strong>en</strong> von Beer-<br />

digung<strong>en</strong> im Kameruner West<strong>en</strong> sind die<br />

Forschung<strong>en</strong> von Thiesbon<strong>en</strong>kamp 6 , der<br />

aus d<strong>en</strong> Anfangszeit<strong>en</strong> der Mission berichtet,<br />

aber auch dort schon die hoh<strong>en</strong> Ausgab<strong>en</strong><br />

für die trauernde Familie hervorhebt:<br />

„H<strong>en</strong>nemann fasst summarisch zusamm<strong>en</strong>,<br />

dass man sich nach dem Begräbnis zu<br />

„einer wohlbesetzt<strong>en</strong> Tot<strong>en</strong>tafel“ trifft. (...)<br />

macht deutlich, welche Verpflichtung<strong>en</strong><br />

dahinter steht und wie ihre Bewertung zu<br />

einem wichtig<strong>en</strong> Kriterium für d<strong>en</strong> weiter<strong>en</strong><br />

Ablauf des Tot<strong>en</strong>rituals werd<strong>en</strong> kann.<br />

(...) Die Ausgestaltung des Ess<strong>en</strong>s <strong>en</strong>tscheidet<br />

mit über die Wertigkeit der Trauerfeier.<br />

In seiner Vorbereitung kann die Gesamtverantwortung<br />

erkannt werd<strong>en</strong>. (...) Die Verantwortung<br />

bedeutet auch Kost<strong>en</strong>übernahme.<br />

Dies muss aber der Erbe nicht alleine<br />

trag<strong>en</strong>. D<strong>en</strong>noch geht sie bis an die Belastungsgr<strong>en</strong>z<strong>en</strong><br />

der Hinterblieb<strong>en</strong><strong>en</strong> und<br />

auch darüber, was Emonts folg<strong>en</strong>dermass<strong>en</strong><br />

beurteilt:<br />

Die Hinterblieb<strong>en</strong><strong>en</strong> komm<strong>en</strong> bei solch<br />

einem Traueress<strong>en</strong> oft um ihr ganzes Habe,<br />

d<strong>en</strong>n die w<strong>en</strong>ig<strong>en</strong> Hühner, die Erntevorräte,<br />

vielleicht die einzige Ziege werd<strong>en</strong> aufgezehrt.“<br />

Wieso diese Tradition, die bei ander<strong>en</strong><br />

Völkergrupp<strong>en</strong> und Region<strong>en</strong> Kameruns<br />

nicht in diesem Maße zu find<strong>en</strong> ist?<br />

Ein Grund liegt sicher in der gesellschaftlich<strong>en</strong><br />

Struktur der Bamiléké begründet,<br />

die ein einzigartiges, hierarchisches Gesellschaftssystem<br />

vorweist, was an seiner Spitze<br />

d<strong>en</strong> „Fon“, d<strong>en</strong> Chef (im Deutsch<strong>en</strong> manchmal<br />

mit Häuptling übersetzt) hat. Dieses<br />

Gesellschaftssystem, „chefferi<strong>en</strong>“ g<strong>en</strong>annt,<br />

bedingt die Suche und Manifestation von<br />

Position<strong>en</strong> innerhalb der Hierarchi<strong>en</strong>. Manche<br />

Kameruner versteh<strong>en</strong> diese hoh<strong>en</strong> Ausgab<strong>en</strong><br />

als Investition in eine Höherpositionierung<br />

des Einzeln<strong>en</strong> auf dem „Rück<strong>en</strong>“<br />

des Verstorb<strong>en</strong><strong>en</strong>.<br />

Andererseits lebt der West<strong>en</strong> Kameruns<br />

weiterhin seine Tradition<strong>en</strong> bzw. erhält sie<br />

am Leb<strong>en</strong>: wie die Initiierung<strong>en</strong> der Jug<strong>en</strong>d<br />

in Klass<strong>en</strong>gesellschaft<strong>en</strong>; die Geheimgesellschaft<strong>en</strong><br />

der Chefferi<strong>en</strong> sind noch fest verankert<br />

in das gesellschaftliche Leb<strong>en</strong> und<br />

d<strong>en</strong> Zusamm<strong>en</strong>halt der einzeln<strong>en</strong> Chefferi<strong>en</strong>;<br />

der Fon hat im traditionell<strong>en</strong> wie im<br />

öff<strong>en</strong>tlich<strong>en</strong> Leb<strong>en</strong> sein<strong>en</strong> fest<strong>en</strong> Platz als<br />

gesellschaftliche Autorität. Das Gerichtswes<strong>en</strong><br />

räumt der traditionell<strong>en</strong> Rechtsprechung<br />

eine weitreich<strong>en</strong>de Macht und Kompet<strong>en</strong>z<br />

bei Streitfäll<strong>en</strong> ein.<br />

Warum also nicht die Tradition der Beerdigung<br />

und des Tot<strong>en</strong>ged<strong>en</strong>k<strong>en</strong> erhalt<strong>en</strong><br />

und begeh<strong>en</strong>?


Eine Erzählung zum Ursprungsmythos des Todes<br />

Stärker als die ander<strong>en</strong> Leg<strong>en</strong>d<strong>en</strong> hebt die<br />

aus Bamoun 7 auf die List des Chamäleons<br />

ab. Eines Tages, als alle Tiere versammelt<br />

war<strong>en</strong>, erhob sich das Chamäleon und sagte:“<br />

Tiere, hört, w<strong>en</strong>n der M<strong>en</strong>sch stirbt, solle<br />

er nicht wieder aufersteh<strong>en</strong>. Er muss für<br />

alle Mal sterb<strong>en</strong>.“ Der Frosch antwortete:<br />

“Nein, er muss aufersteh<strong>en</strong>.“ Die Tiere<br />

stimmt<strong>en</strong> sowohl der ein<strong>en</strong> als auch der<br />

ander<strong>en</strong> der beid<strong>en</strong> Meinung<strong>en</strong> zu. Daher<br />

organisierte der Löwe, der König der Tiere,<br />

ein<strong>en</strong> Wettlauf, um zwisch<strong>en</strong> d<strong>en</strong> beid<strong>en</strong><br />

Lagern zu <strong>en</strong>tscheid<strong>en</strong>. „Morg<strong>en</strong>“, so sagte<br />

er, „werde ich eine Trommel auf dem Nachbarhügel<br />

aufstell<strong>en</strong>. Alle Tiere soll<strong>en</strong> sich<br />

bei mir in der Morg<strong>en</strong>dämmerung versammeln.<br />

Und ihr werdet alle beide, Frosch und<br />

Chamäleon, von hier aufbrech<strong>en</strong>, und wer<br />

als erster die Trommel schlag<strong>en</strong> wird, wird<br />

zum Sieger erklärt werd<strong>en</strong>, und seine Meinung<br />

wird ab sofort gelt<strong>en</strong>. W<strong>en</strong>n es das<br />

Chamäleon ist, wird der M<strong>en</strong>sch ein für<br />

1 Aussage einer Teilnehmerin <strong>zur</strong> Option die Fortbildung<br />

auf d<strong>en</strong> Samstag auszudehn<strong>en</strong>. (Sept.<br />

2005, CPF).<br />

2 Hier ein Auszug aus einem unserer Rundbriefe<br />

von März 2004: „Unsere Akademie, das CPF,<br />

gehört <strong>zur</strong> Gemeinde von Bandjoun und somit<br />

könn<strong>en</strong> wir als Bandjouner firmier<strong>en</strong>. Der neu<br />

gewählte Chef ist noch in seinem neunwöchig<strong>en</strong><br />

Initiationszyklus und darf noch nicht im „Palast“<br />

wohn<strong>en</strong>. Er ist traditionellerweise in einer Cabane<br />

„versteckt“, <strong>en</strong>tsprech<strong>en</strong>d der Initiationszeit<br />

gekleidet, empfängt zwar schon Besuch, aber<br />

eb<strong>en</strong> als designierter noch nicht in Amt und Würd<strong>en</strong><br />

gesetzter „Chef“. Ethnologisch spann<strong>en</strong>d zu<br />

beschreib<strong>en</strong> ist die Inthronisierung ca. Ende März<br />

und politisch spann<strong>en</strong>d war das Spektakel seiner<br />

Ern<strong>en</strong>nung bzw. Wahl. Nach dem Prinzip „Der<br />

König ist tot. Es lebe der König.“ wurde noch im<br />

Dezember der verstorb<strong>en</strong>e Chef/König in einer<br />

groß<strong>en</strong>, öff<strong>en</strong>tlich hochkarätig<strong>en</strong> besetzt<strong>en</strong> Trauerveranstaltung<br />

gewürdigt und zeremoniell symbolisch<br />

zu Grabe getrag<strong>en</strong>. Erster Teil der Tagesveranstaltung.<br />

Im Übergang zum zweit<strong>en</strong> Teil der<br />

Tagesveranstaltung zog<strong>en</strong> sich die Notabl<strong>en</strong> von<br />

Bandjoun <strong>zur</strong> Beratung <strong>zur</strong>ück und sollt<strong>en</strong> d<strong>en</strong><br />

Nachfolger bestimm<strong>en</strong>. Dieser wäre dann im zweit<strong>en</strong><br />

Teil der Veranstaltung ganz traditionell<br />

„gefang<strong>en</strong>“ und in der Cabane festgesetzt word<strong>en</strong>,<br />

w<strong>en</strong>n nicht..... nach lang<strong>en</strong> Beratung<strong>en</strong> die Notabl<strong>en</strong><br />

ohne Ergebnis die Veranstaltung – nach 6<br />

Stund<strong>en</strong> des Wart<strong>en</strong>s - abgebroch<strong>en</strong> hätt<strong>en</strong>. Über<br />

6000 teilweise sehr wüt<strong>en</strong>de Festgäste rauscht<strong>en</strong><br />

ab und lange Zeit passierte nichts im Bandjoun-<br />

allemal sterb<strong>en</strong>. W<strong>en</strong>n es der Frosch ist,<br />

wird der M<strong>en</strong>sch aufersteh<strong>en</strong>.“ Weil das<br />

Chamäleon wusste, dass die Frösche Termit<strong>en</strong><br />

lieb<strong>en</strong>, ging es zu einem Termit<strong>en</strong>hügel<br />

und sammelte sieb<strong>en</strong> Pakete Termit<strong>en</strong> ein.<br />

Am ander<strong>en</strong> Morg<strong>en</strong> begann der Wettlauf.<br />

Der Frosch, der von sich meinte, schneller<br />

zu sein als das Chamäleon, liess das letztere<br />

vorrück<strong>en</strong> bis zu einer Biegung des Weges.<br />

Aber an dieser Stelle liess das Chamäleon<br />

ein erstes Paket der Termit<strong>en</strong> fall<strong>en</strong>. Der<br />

Frosch machte sich dann auf d<strong>en</strong> Weg. An<br />

der Wegkrümmung angekomm<strong>en</strong>, fand er<br />

die Termit<strong>en</strong> und machte sich daran, sie zu<br />

fress<strong>en</strong>. Währ<strong>en</strong>d dieser Zeit lief das Chamäleon<br />

weiter, und es legte in angemess<strong>en</strong><strong>en</strong><br />

Abständ<strong>en</strong> die Termit<strong>en</strong>pakete ab. Der<br />

Frosch war noch beim fünft<strong>en</strong> Paket, als er<br />

das Chamäleon die Trommel schlag<strong>en</strong> hörte,<br />

wobei es erklärte: „Der M<strong>en</strong>sch wird einmal<br />

für immer sterb<strong>en</strong>; ich halte mich an<br />

d<strong>en</strong>, der viele Kinder hat.“<br />

Land. Das hieß auch, dass innerhalb der Bandjoungr<strong>en</strong>ze<br />

die Frau<strong>en</strong> die Erde, das heißt die kollektiv<strong>en</strong><br />

wie individuell<strong>en</strong> Ackerfläch<strong>en</strong> nicht<br />

bearbeit<strong>en</strong> durft<strong>en</strong>. Mit einem Sonderdekret ging<br />

das dann nach einer Weile doch.<br />

Letzt<strong>en</strong>dlich gab es ein<strong>en</strong> erneut<strong>en</strong> Versuch der<br />

Königsern<strong>en</strong>nung, der ein<strong>en</strong> erfolgreich<strong>en</strong> Kandidat<strong>en</strong><br />

in diese Cabane führte. Die spöttisch<strong>en</strong><br />

Douala-Kameruner lästert<strong>en</strong> nur über diese neun<br />

Woch<strong>en</strong> und ob eine Nacht nicht ausreiche, um<br />

sich als Mann zu beweis<strong>en</strong>.<br />

Warum die Ern<strong>en</strong>nung so schwierig war? Mit Verweis<br />

auf Tagebuch Seite 9 Quell<strong>en</strong>angab<strong>en</strong> und<br />

Quell<strong>en</strong>nachweise sei nur kurz das gesellschaftspolische<br />

Debakel der missglückt<strong>en</strong> Königskrönung<br />

umriss<strong>en</strong>. Eine Standardantwort bisher b<strong>en</strong>annte<br />

d<strong>en</strong> Versuch der Einflussnahme der politisch<strong>en</strong>,<br />

„staatstrag<strong>en</strong>d<strong>en</strong>“ Eb<strong>en</strong>e auf die Kandidat<strong>en</strong>wahl.<br />

Eine intimere Erklärung, politisch heikel, ist das<br />

Gerücht über d<strong>en</strong> traditionell verbot<strong>en</strong><strong>en</strong> Eintritt<br />

in die Beratungshütte von Nicht-Notabl<strong>en</strong> in Person<br />

von Fotso Victor, Bandjouner Bürgermeister<br />

und einer der reichst<strong>en</strong> Männer des Landes.<br />

3 Le Messager Nr.1926 vom 21.07.2005, Sonderbeilage<br />

ZOOM. S.5.<br />

4 ebd.<br />

5 ebd. S.8.<br />

6 Thiesbon<strong>en</strong>kamp, Jürg<strong>en</strong>: Der Tod ist wie der<br />

Mond – niemand hat sein<strong>en</strong> Rück<strong>en</strong> geseh<strong>en</strong>. Verlag<br />

Neukirch<strong>en</strong>er. 1998. S. 66/67.<br />

7 Ethnie aus der Region um Foumban. Der Sultan<br />

von Foumban ist das Oberhaupt aller Bamoun,<br />

Christ<strong>en</strong> wie Moslems.<br />

23


24<br />

New Clothes of Colonialism?<br />

EU`s integration of Cameroon’s Economy into the World Economy<br />

by STEFAN ROSTOCK, ADEID 1, Bafoussam<br />

U`s relation towards Africa after the<br />

Second World War is showing<br />

changing faces. The agreem<strong>en</strong>ts of<br />

Yaoundé (1963) and Lomé (1975) were trade<br />

related developm<strong>en</strong>t agreem<strong>en</strong>ts. Followed<br />

by the Cotonou agreem<strong>en</strong>t (2000) the<br />

ag<strong>en</strong>da wid<strong>en</strong>s towards cultural and social<br />

issues, while the trade ag<strong>en</strong>da aims at trade<br />

liberalisation, free trade and the integration<br />

of ACP countries into the world economy.<br />

The trade negotiations are leading towards<br />

a complete integration of the ACP countries,<br />

including LDCs into the WTO. The<br />

46 African States among the 75 ACP countries<br />

contributes with less th<strong>en</strong> 1% to the<br />

world economy. The Waiver (WTO special<br />

permission for EU trade prefer<strong>en</strong>ces for<br />

ACP-countries) is under critic and <strong>en</strong>ds in<br />

December 2007. WTO rules demand that a<br />

new, WTO conform bilateral trade agreem<strong>en</strong>t<br />

has to be developed. The EU has splitup<br />

the ACP group and negotiates with six<br />

ACP regions 2 . The sometimes strong group<br />

of developm<strong>en</strong>t countries, see the WTO<br />

negotiations in Seattle (1999), Doha (2001)<br />

and Cancun (2003), is now split-up in fractions.<br />

What developm<strong>en</strong>t countries oppose<br />

on the multilateral level the EU is now<br />

negotiating bilateral.<br />

According to the Cotonou-Agreem<strong>en</strong>t,<br />

„new, WTO-conform trade-regulation, shall<br />

remove existing trade-impedim<strong>en</strong>ts betwe<strong>en</strong><br />

EU and ACP step-by-step“ the cooperation<br />

in all trade-relevant areas „builds on the<br />

initiatives of the ACP-Countries to the<br />

regional integration“ 3 . With Cameroon as<br />

member of the c<strong>en</strong>tral-African economicregion<br />

CEMAC began the negotiations in<br />

October 2003. The step-by-step transposition<br />

of the new economic-partnership agreem<strong>en</strong>ts<br />

(EPA) will take place 2008 to 2020.<br />

The full integration into the WTO in 2020<br />

is one aim, 80-90% liberalised trade in reciprocity<br />

betwe<strong>en</strong> the „partners“ EU and ACP<br />

countries is another. Parts of the Cameroonian<br />

civil-society contribute to the process<br />

and try to hold step with the speed and the<br />

negotiation-style of EPA negotiations.<br />

In international media the EU is oft<strong>en</strong><br />

described as „good“, which means taking<br />

care on developm<strong>en</strong>t, social and cultural<br />

issues, mainly in contradiction towards the<br />

US trade negotiation policy. But it seems<br />

that this is furthermore a result of better<br />

public relation and less aggressive languages.<br />

Differ<strong>en</strong>t studies 4 indicate that oft<strong>en</strong> EU<br />

bilateral trade agreem<strong>en</strong>ts negotiate ev<strong>en</strong>


harder th<strong>en</strong> in the WTO. The economic<br />

partnership agreem<strong>en</strong>ts (EPAs) dealing with<br />

the Singapore issues (competition, public<br />

procurem<strong>en</strong>t, investm<strong>en</strong>t, administrative<br />

trade facilitation) which are strongly rejected<br />

by developm<strong>en</strong>t countries in WTO<br />

negotiations. This will lead towards brought<br />

op<strong>en</strong>ing of markets, lack of tax rev<strong>en</strong>ue and<br />

a heavy burd<strong>en</strong> for national industrialisation<br />

in developing countries.<br />

In the EU it is widely accepted that former<br />

colonial powers play a leading role in<br />

policy issues towards the respective country.<br />

There is no official reaction against a<br />

(miss?) leading role of Fr<strong>en</strong>ch political (and<br />

military) advisors in the Cameroonian<br />

governm<strong>en</strong>t. There is no authorized Cameroonian<br />

negotiator. The Economic Commission<br />

of Africa (ECA) holds the negotiations<br />

with the EU for the C<strong>en</strong>tral-African region.<br />

A team financed by the UN with international<br />

experts sits in Yaoundé the capital of<br />

Cameroon on behave of Cameroon, C<strong>en</strong>tral<br />

African Republic, Gabon, Chad, Congo,<br />

Equatorial Guinea and Saõ Tomé and Principe.<br />

Germany wants to bring EPAs up on the<br />

ag<strong>en</strong>da during their EU presid<strong>en</strong>cy in the<br />

first half of 2007, wh<strong>en</strong> EPA negotiations<br />

coming to an <strong>en</strong>d. The responsibility for<br />

EPA negotiations is placed in the BMZ,<br />

ministry for developm<strong>en</strong>t cooperation, and<br />

not inside the BMWA, which shows developm<strong>en</strong>t<br />

ori<strong>en</strong>tation.<br />

In the Cotonou Agreem<strong>en</strong>t, actually<br />

much place is dedicated to the civil-society<br />

as partners in the negotiations 5 . This claim<br />

fails in the practice. A consultation from<br />

the Cameroonian governm<strong>en</strong>t doesn’t take<br />

place. A national reunion with participation<br />

of the civil-society int<strong>en</strong>ded in the Cotonou-<br />

Agreem<strong>en</strong>t is postponed since 2003 until<br />

Nov. 2005 by the Cameroonian departm<strong>en</strong>t<br />

of commerce. The first information meeting<br />

betwe<strong>en</strong> Cameroonian Governm<strong>en</strong>t<br />

and Civil Society was held on 25-27 august<br />

2003 a second took place 50 month later on<br />

14. / 15. Nov. 2005. They are called information<br />

seminars and the one-way communication<br />

lacks of contribution and participation<br />

possibilities. The CEMAC-EU negotiation<br />

reunions are more op<strong>en</strong> to civil society<br />

contributions.<br />

Examples of Ag<strong>en</strong>da conflicts<br />

While the Cotonou agreem<strong>en</strong>t is just<br />

„aiming at creating a favourable <strong>en</strong>vironm<strong>en</strong>t<br />

for private investm<strong>en</strong>t“ 6 , is the EU in<br />

the EPA trying to impose the topics: non-<br />

discrimination, op<strong>en</strong> markets, transpar<strong>en</strong>cy<br />

and protection of investm<strong>en</strong>ts. For bilateral<br />

trade agreem<strong>en</strong>ts this is one example for a<br />

unique WTO plus-plus ag<strong>en</strong>da.<br />

The Cotonou Agreem<strong>en</strong>t wants op<strong>en</strong><br />

and transpar<strong>en</strong>t public procurem<strong>en</strong>t as a<br />

means of good governance. The EU is pushing<br />

hard to have op<strong>en</strong>, reciprocal markets<br />

in all public procurem<strong>en</strong>t questions on the<br />

basis of non-discrimination to European<br />

suppliers. No one sees African <strong>en</strong>terprises<br />

on the European procurem<strong>en</strong>t market.<br />

For the Cameroonian market the promotion<br />

and protection of small and medium<br />

sized <strong>en</strong>terprises is important – the EU is<br />

refusing to negotiate this topic.<br />

Free trade and trade liberalisation as aim<br />

in itself is a conflicting issue. While the EU<br />

is promoting free trade as stimulant for<br />

developm<strong>en</strong>t, various studies 7 and several<br />

political voices take this into question. The<br />

loss of import tax rev<strong>en</strong>ue and decreasing<br />

local production will be a burd<strong>en</strong> for the<br />

Cameroonian economy. In the Cotonou<br />

Agreem<strong>en</strong>t alternatives for EPA are scheduled<br />

in Art. 37: If ACP-countries are „not in<br />

a position“ to <strong>en</strong>ter EPAs, but no EU or<br />

CEMAC proposition for alternatives has<br />

se<strong>en</strong> the public.<br />

Ev<strong>en</strong> if the cont<strong>en</strong>t and the style of the<br />

negotiations are under harsh critics from<br />

differ<strong>en</strong>t north and south civil society organisations,<br />

the process itself bears some<br />

b<strong>en</strong>efits. First to m<strong>en</strong>tion the role of civil<br />

society organisations as partner in the developm<strong>en</strong>t<br />

process. Which is new for most<br />

ACP Governm<strong>en</strong>ts but shows already some<br />

mutual b<strong>en</strong>efits. For further discussion processes<br />

in ACP societies and the democratisation<br />

process this can be groundbreaking.<br />

Second the complem<strong>en</strong>tary role of ACP<br />

parliam<strong>en</strong>tarians. The role of parliam<strong>en</strong>tarians<br />

in the political process is weak in<br />

Cameroon. But the regular EP-ECP Joint<br />

Parliam<strong>en</strong>tarian Assemblies, last in Nov.<br />

2005 in Edinburgh gives possibilities for<br />

exchange 8 .<br />

Obstacles in the process<br />

The EU has divided the group of developing<br />

countries, this make their common<br />

position weaker and the aim of regional<br />

integration remains unclear.<br />

Oft<strong>en</strong> the EU negotiates in Cameroon<br />

with Fr<strong>en</strong>ch policy advisors to the Cameroonian<br />

Governm<strong>en</strong>t. Which gives the<br />

negotiations certain stability due to fluctuation<br />

in Cameroonian Ministries, but shows<br />

a lack of real Cameroonian participation.<br />

25


26<br />

No interregional NGO coordination is<br />

taking place so far. Regarding the Cotonou<br />

agreem<strong>en</strong>t Cameroonian Civil Society<br />

cooperates in a promising manner. Joint in<br />

the „Jeudi de Cotonou“ 9 regular meetings<br />

and information sharing takes place, several<br />

meetings with EU, CEMAC and Cameroonian<br />

authorities have be<strong>en</strong> organised. Cooperation<br />

with north NGOs is ess<strong>en</strong>tial, regional<br />

integration is also for civil society a chall<strong>en</strong>ge.<br />

Problems of the Cameroonian civil-society<br />

The civil-society is fragm<strong>en</strong>ted, simplified<br />

one can distinguish betwe<strong>en</strong> NGOs in the<br />

rural areas ori<strong>en</strong>ted at improving agricultural<br />

production and at those in the urban<br />

areas with differ<strong>en</strong>t topics – sometimes<br />

doing really wonderful work but sometimes<br />

just ori<strong>en</strong>ted at the international donor<br />

community, so-called „NGO in a briefcase”.<br />

Most NGOs are situated in the capital city<br />

Yaoundé. A coordination of the civil-society<br />

is under developm<strong>en</strong>t in the umbrella<br />

organisation FOSCAM10 , but oft<strong>en</strong> personal<br />

vanities and the fight about sponsors<br />

prev<strong>en</strong>t cooperation and projects with strategic<br />

compon<strong>en</strong>ts. It is not the first attempt<br />

to create umbrella organisation for developm<strong>en</strong>t<br />

NGOs. Other problems are: The<br />

oft<strong>en</strong> missing (long-term) funding leads to a<br />

lack of <strong>en</strong>gaged and qualified co-workers,<br />

not in all areas access to telephone exists<br />

and if it exists there is telephone network or<br />

mobile-phone with a quality which oft<strong>en</strong><br />

allows no Fax/Email/Internet communication.<br />

The technical equipm<strong>en</strong>t with computers<br />

is a problem for many NGOs; irregular<br />

power supply is an additional obstacle to<br />

regular work and communication. Since<br />

Cameroon is neither one of the least developed<br />

countries (LDCs) nor has it a good<br />

reputation in fund administration (No. 1 in<br />

the Transpar<strong>en</strong>cy International corruptionindex<br />

in former years, in 2005 a bit better),<br />

it is difficult for NGOs to have access to<br />

international project funding.<br />

Civil society demands for better EPAs<br />

are: Real possibilities for participation in<br />

the negotiation process for the civil-society,<br />

consultations with the governm<strong>en</strong>t, timely<br />

information about the negotiations and<br />

financial support of the work of the civilsociety.<br />

More transpar<strong>en</strong>cy with the<br />

CEMAC negotiators (ECA) for the c<strong>en</strong>tral-<br />

African region. Access to the Cameroonian<br />

negotiators and naming of a negotiationrepres<strong>en</strong>tative<br />

by the Cameroonian govern-<br />

m<strong>en</strong>t. Disclosure and public discussion of<br />

the Cameroonian negotiation-ag<strong>en</strong>da. No<br />

topics beyond the WTO-ag<strong>en</strong>da and beyond<br />

the Cotonou Agreem<strong>en</strong>t in the EPA-negotiations<br />

(no plus-plus ag<strong>en</strong>da). No negotiations<br />

concerning investm<strong>en</strong>ts and services<br />

and more flexibility for customs and other<br />

trade regulators methods and longer transition-periods,<br />

which will help the ACP economies<br />

to adopt, protect and to be able to<br />

develop. Protection of the Cameroonian<br />

agriculture. Already now, eatable oils and<br />

fats, rice, poultry, sugar and others flood<br />

the Cameroonian market. A protection of<br />

the national agricultural production should<br />

take place. And this although barely 70% of<br />

the Cameroonians work in the agricultural<br />

sector and there are no alternatives in the<br />

industry – or service-sector. Introduction of<br />

small and medium sized <strong>en</strong>terprises onto<br />

the ag<strong>en</strong>da.<br />

The coordination and formation of the<br />

Cameroonian civil-society goes on. The status<br />

of civil society organisations as partners,<br />

stated in the Cotonou-Agreem<strong>en</strong>t must also<br />

be part of the EPA-negotiations. The Cameroonian<br />

governm<strong>en</strong>t so far does not see the<br />

b<strong>en</strong>efits of a dialogue with the civil-society<br />

and hinders the discussion of a Cameroonian<br />

position with lack of transpar<strong>en</strong>cy and<br />

dialogue-refusal. The EC uses its ag<strong>en</strong>da-setting<br />

and its resource-superior str<strong>en</strong>gth in<br />

order to dominate and rule the African<br />

states in topics and time-plans towards dangerously<br />

liberalised economies. The discussion<br />

about EPAs and possible alternatives is<br />

stimulated by civil society organisations 11<br />

and a position paper of the British governm<strong>en</strong>t<br />

12 : „EPAs must be designed to deliver<br />

long-term developm<strong>en</strong>t, economic growth<br />

and poverty reduction in ACP countries“.<br />

EU fight for liberalized trade regimes as<br />

se<strong>en</strong> in the curr<strong>en</strong>t negotiations – shows the<br />

influ<strong>en</strong>ce of European big business and is a<br />

continuation of a c<strong>en</strong>tury long net-flow<br />

from the south to the north 13 . It is not too<br />

late to discuss alternatives.<br />

1 Action pour un Développem<strong>en</strong>t Equitable, Intégré<br />

et Durable, www.adeid.org. Contact:<br />

stefan@adeid.org<br />

2 SADC (Southern African Developm<strong>en</strong>t Community),<br />

ECOWAS (Economic Community of West<br />

African States), ESA (Group of East and South<br />

African States), CEMAC (Monetary and Economic<br />

Community of C<strong>en</strong>tral Africa), CARIFORUM<br />

(Caribbean ACP-Countries), Pacific ACP-Countries


3 „new WTO compatible trading arrangem<strong>en</strong>ts,<br />

removing progressively barriers to trade betwe<strong>en</strong><br />

EU and ACP countries“ based upon „the regional<br />

integration initiatives of ACP states”. Art. 34 to 38<br />

Cotonou Agreem<strong>en</strong>t.<br />

4 See: Christian Aid briefing paper: The economics<br />

of failure. The real cost of ‘free’ trade for poor<br />

countries. London, June 2005; EED, WEED:<br />

„Freie Fahrt für frei<strong>en</strong> Handel?“, Bonn 2005<br />

5 „The actors of cooperation will include: (…) (b)(…)<br />

Civil Society in all its forms according to national<br />

characteristics.“ and non-state actors „be informed<br />

and involved in consultation on cooperation policies<br />

and strategies, on priorities for cooperation<br />

especially in areas that concern or directly affect<br />

them, and on the political dialogue“ Art. 4 and 6<br />

Cotonou Agreem<strong>en</strong>t<br />

6 Cotonou Agreem<strong>en</strong>t, Cotonou 2000: Article 21/1:<br />

Investm<strong>en</strong>t and private sector developm<strong>en</strong>t.<br />

7 Egor Kraev: Estimating GDP effects of trade liberalisation<br />

on developing countries, C<strong>en</strong>tre for<br />

Developm<strong>en</strong>t, Policy and Research, School of Ori<strong>en</strong>tal<br />

and African Studies, London 2005: „We<br />

have se<strong>en</strong> that as the increase in import demand<br />

due to trade liberalisation outpaced the growth in<br />

exports, trade liberalisation has likely resulted in<br />

additional balance of paym<strong>en</strong>ts deficits betwe<strong>en</strong><br />

2% and 18% of GDP (…), or conversely, in betwe<strong>en</strong><br />

4% and 29% aggregate demand loss“. See<br />

also: UNCTAD. The Least Developed Countries<br />

Report 2004. United Nations Publication, New<br />

York 2004.<br />

8 see: www.acp.int<br />

9 Taking place at COSADER, Yaoundé on the last<br />

Thursday every month. See: www.foscam.org and<br />

www.adeid.org for details.<br />

10 FOSCAM : Fédération des Organisations de la<br />

Société Civile Camerounaise, www.foscam.org<br />

11 See: www.stopepa.org<br />

12 The „Blair-Paper“ on EPAs: DTI/DFID: ECONO-<br />

MIC PARTNERSHIP AGREEMENTS: MAKING<br />

EPAs DELIVER FOR DEVELOPMENT, London<br />

2005. http://www.dti.gov.uk/ewt/epas.pdf<br />

13 See for example: J K Boyce and L Ndikumana<br />

(2001) ‘Is Africa a net creditor? New estimates of<br />

capital flight from severely indebted Sub-Saharan<br />

African countries’, 1970-1996, University of Massachusetts.<br />

27


28<br />

Voyage de formation ou voyage d’études<br />

Les risques de déshumanisation<br />

par Dr. MICHEL FOALENG, IPSOM, Bafoussam<br />

ans doute le monde serait-il meilleur, si<br />

les êtres humains avai<strong>en</strong>t une meilleure<br />

connaissance les uns des autres, si<br />

les barrières sociales et culturelles pouvai<strong>en</strong>t<br />

être franchies par la plus grande masse<br />

possible des humains. Comm<strong>en</strong>t dans ce<br />

s<strong>en</strong>s ne pas saluer à sa juste valeur l’initiative<br />

du <strong>Cusanuswerk</strong> qui, avec son programme<br />

d’Académies à l’étranger, favorise une<br />

r<strong>en</strong>contre de proximité <strong>en</strong>tre de jeunes allemands<br />

et d’autres jeunes à travers le<br />

monde ? Ces Académies nous sembl<strong>en</strong>t<br />

s’inscrire dans la tradition des voyages culturels<br />

de formation (Bildungsreise) qui permett<strong>en</strong>t<br />

au g<strong>en</strong>s de contrées différ<strong>en</strong>tes et<br />

éloignées de se r<strong>en</strong>contrer et, on l’espère,<br />

de se connaître, un tant soit peu, mutuellem<strong>en</strong>t.<br />

De telles r<strong>en</strong>contres devrai<strong>en</strong>t pouvoir<br />

favoriser la coopération interculturelle et<br />

dans le cas prés<strong>en</strong>t, la coopération <strong>en</strong>tre le<br />

« Nord » et le « Sud », <strong>en</strong>tre l’Europe et<br />

l’<strong>Afrique</strong>. Toutefois, <strong>en</strong> se plaçant dans la<br />

perspective d’une telle coopération, l’on se<br />

doit de constater que les organisations qui,<br />

comme le <strong>Cusanuswerk</strong>, font de telles offres<br />

de voyages, sont <strong>en</strong> générale du Nord et<br />

que, dans l’<strong>en</strong>semble, les voyages se font<br />

dans le s<strong>en</strong>s unique du Nord vers le Sud –<br />

les migrations pour études qui se font généralem<strong>en</strong>t<br />

du Sud vers le Nord ayant un<br />

caractère très différ<strong>en</strong>t, outre qu’elles n’ont<br />

ri<strong>en</strong> de commun avec les programmes occi-<br />

d<strong>en</strong>taux de voyages de formation.<br />

Comm<strong>en</strong>t alors ne pas évoquer le risque<br />

que ces voyages culturels de formation se<br />

transform<strong>en</strong>t <strong>en</strong> « voyages d’études » ?<br />

Quelle différ<strong>en</strong>ce <strong>en</strong>tre « formation » et «<br />

études » pourrait-on se demander.<br />

Dans le premier cas, nous <strong>en</strong>t<strong>en</strong>dons que<br />

le voyageur, grâce à un tel voyage ou à travers<br />

les r<strong>en</strong>contres qu’il fait, réalise que ce<br />

qui jusque-là allait de soi pour lui ne va pas<br />

de soi partout et que, pour autant qu’il<br />

respecte l’humanité <strong>en</strong> autrui (pas seulem<strong>en</strong>t<br />

pour des raisons d’humanisme universaliste),<br />

l’on n’est pas obligé de partager les<br />

mêmes valeurs et normes sociales pour être<br />

Homme. Un tel constat, bi<strong>en</strong> digéré, conduit<br />

le voyageur au changem<strong>en</strong>t de ses catégories<br />

d’interprétation du monde et au<br />

développem<strong>en</strong>t d’un nouveau rapport à luimême<br />

et au monde ; il se forme soi-même<br />

et pour soi-même.<br />

Un voyage d’études par contre, s’inscrit<br />

plutôt dans la logique d’étudier les autres<br />

(comme objet de recherche) – pour des<br />

intérêts dont ceux-ci rarem<strong>en</strong>t, assez souv<strong>en</strong>t<br />

pas du tout, compr<strong>en</strong>n<strong>en</strong>t les t<strong>en</strong>ants et<br />

les aboutissants. En quoi cette sorte de voyages<br />

serait-elle utile à la compréh<strong>en</strong>sion<br />

mutuelle des peuples ?<br />

D’une part, l’histoire <strong>en</strong>seigne que les<br />

voyageurs-chercheurs europé<strong>en</strong>s sont de<br />

ceux-là qui ont le mieux contribué à la construction<br />

d’une certaine « compréh<strong>en</strong>sion »


de l’<strong>Afrique</strong>, qui depuis le 16e siècle a<br />

r<strong>en</strong>du possible l’esclavage, puis la colonisation<br />

de ce contin<strong>en</strong>t et aujourd’hui <strong>en</strong>core,<br />

favorise l’<strong>en</strong>treti<strong>en</strong> des relations néocoloniales,<br />

avec chaque fois les destructions humaines<br />

et culturelles dont on ne fait que comm<strong>en</strong>cer<br />

à mesurer les réelles conséqu<strong>en</strong>ces<br />

pour l’humanité. En quoi les voyages d’études<br />

d’aujourd’hui serai<strong>en</strong>t-ils, dans leurs<br />

conséqu<strong>en</strong>ces pour les étudiés, différ<strong>en</strong>tes<br />

de celles d’hier ?<br />

D’autre part, les récits des voyageurschercheurs<br />

ont, certes, permis d’acquérir<br />

quelques connaissances sur les sociétés et<br />

peuples étudiés. Pourtant, dès lors que<br />

ceux-ci étai<strong>en</strong>t <strong>en</strong> général prés<strong>en</strong>tés pas<br />

pour soi, mais dans une comparaison négative<br />

aux europé<strong>en</strong>s dont on voulait <strong>en</strong> faire<br />

soit l’ « Autre » (l’anti-modèle), soit le « petit<br />

frère », ces connaissances ne pouvai<strong>en</strong>t susciter<br />

que de la pitié chez les « bonnes âmes »<br />

europé<strong>en</strong>nes. Conséqu<strong>en</strong>ce : « Nous » ne<br />

pouvons ri<strong>en</strong> appr<strong>en</strong>dre d’« eux », mais «<br />

nous » devons tout « leur » appr<strong>en</strong>dre.<br />

Aujourd’hui <strong>en</strong>core, l’apitoiem<strong>en</strong>t des «<br />

âmes s<strong>en</strong>sibles » du Nord sur le sort « misérable<br />

» des g<strong>en</strong>s r<strong>en</strong>contrés au Sud conduit,<br />

souv<strong>en</strong>t prématurém<strong>en</strong>t, au désir de « faire<br />

quelque chose pour eux ». Mais que pouvons-nous<br />

vraim<strong>en</strong>t faire pour les autres<br />

quand nous avons <strong>en</strong>core tant de peine à les<br />

compr<strong>en</strong>dre et surtout, à nous compr<strong>en</strong>dre<br />

vis-à-vis d’eux, mieux, à compr<strong>en</strong>dre la<br />

nécessité d’une remise <strong>en</strong> cause de ce qui va<br />

de soi pour nous (de notre<br />

Selbstverständlichkeit) ainsi que de notre<br />

fatuité et nos présomptions pour une meilleure<br />

compréh<strong>en</strong>sion mutuelle ?<br />

Signaler un tel risque c’est rappeler aux<br />

jeunes qui bénéfici<strong>en</strong>t des Académies de<br />

<strong>Cusanuswerk</strong> à l’étranger la nécessité de<br />

garder à l’esprit leur assujettissem<strong>en</strong>t à une<br />

société dont ils sont les produits de par leur<br />

socialisation. Afin qu’ils réalis<strong>en</strong>t que faire<br />

quelque chose pour les « pauvres », c’est<br />

avant tout faire quelque chose sur soimême,<br />

pour se débarrasser d’une certaine<br />

vision du monde que lègu<strong>en</strong>t l’histoire et<br />

leur culture. La portée de ce propos se<br />

mesure à la réalité de ce que ces jeunes appr<strong>en</strong>n<strong>en</strong>t<br />

au sujet de l’<strong>Afrique</strong> p<strong>en</strong>dant leur<br />

scolarité. Or, comme nous l’appr<strong>en</strong>d une<br />

étude commanditée et publiée par la<br />

Fondation Konrad Ad<strong>en</strong>auer <strong>en</strong> Mai 2001,<br />

l’image de l’<strong>Afrique</strong> dans les livres scolaires<br />

et les médias <strong>en</strong> Allemagne est d’un misérable<br />

à sans pareil. En conséqu<strong>en</strong>ce, la t<strong>en</strong>dance<br />

est très acc<strong>en</strong>tuée que les jeunes allemands<br />

qui p<strong>en</strong>s<strong>en</strong>t à un pays africain, ou de<br />

surcroît s’y r<strong>en</strong>d<strong>en</strong>t, ai<strong>en</strong>t plus <strong>en</strong> esprit ce<br />

qu’ils doiv<strong>en</strong>t faire pour ce pays et ses populations<br />

et ne saurai<strong>en</strong>t se laisser effleurer<br />

par l’idée d’y appr<strong>en</strong>dre quoi que ce fût<br />

pour leur propre formation.<br />

D’ailleurs, bi<strong>en</strong> d’africains que le voyageur<br />

r<strong>en</strong>contrera au Cameroun ont développé<br />

un comportem<strong>en</strong>t de m<strong>en</strong>dicité qui<br />

les porte trop souv<strong>en</strong>t à voir <strong>en</strong> quelqu’un<br />

europé<strong>en</strong>, soit leur « porte-parole » auprès<br />

des « amis du Nord », soit quelqu’un qui<br />

peut les « aider » à résoudre leurs problèmes<br />

de survie quotidi<strong>en</strong>ne. Ce comportem<strong>en</strong>t<br />

pourrait bi<strong>en</strong> conforter les europé<strong>en</strong>s<br />

dans leur t<strong>en</strong>dance à vouloir être les sauveurs<br />

du monde.<br />

Céder à cette t<strong>en</strong>dance pourrait contribuer<br />

à la satisfaction des att<strong>en</strong>tes égoïstes<br />

immédiates. Il faudrait certainem<strong>en</strong>t mieux<br />

que cela pour induire un changem<strong>en</strong>t favorable<br />

à l’instauration de ce nouveau type de<br />

relations Nord-Sud dont la coopération<br />

interculturelle a besoin pour l’avènem<strong>en</strong>t<br />

des rapports mutuellem<strong>en</strong>t humanisants<br />

pour les uns et les autres. Par exemple, que<br />

le principe de symétrie soit instauré et<br />

respecté. C’est-à-dire, que la possibilité de<br />

voyager ne reste plus l’unique privilège des<br />

Occid<strong>en</strong>taux ; mais que les africains ai<strong>en</strong>t<br />

aussi la possibilité de les visiter dans leur<br />

milieu de vie. De fait, les voyages culturels<br />

de formation eux-mêmes rest<strong>en</strong>t-ils le privilège<br />

des jeunes europé<strong>en</strong>s, nul doute qu’ils<br />

continueront à traiter les autres comme de<br />

« misérables » qu’il faudrait « aider ».<br />

Faut-il reprocher aux africains leur incapacité<br />

à organiser pour eux-mêmes des<br />

voyages culturels de formation ? Les barricades<br />

dont la riche Europe s’<strong>en</strong>toure depuis<br />

au moins le début des années 1990 ne sontelles<br />

pas faites pour décourager même les<br />

plus téméraires d’initiatives ? Pourquoi le<br />

<strong>Cusanuswerk</strong>, pr<strong>en</strong>ant la mesure de ses<br />

responsabilités pour l’avènem<strong>en</strong>t d’un<br />

monde meilleur pour tous, ne ferait-il pas<br />

voyager de jeunes camerounais <strong>en</strong> retour<br />

pour une Académie <strong>en</strong> Allemagne ? Visiter<br />

l’autre dans son quotidi<strong>en</strong> permet de mieux<br />

le compr<strong>en</strong>dre ; ainsi seulem<strong>en</strong>t y aurait-il<br />

une véritable compréh<strong>en</strong>sion mutuelle de<br />

ces deux groupes de jeunes. Mais n’est-ce<br />

pas rêver, que d’évoquer une telle exig<strong>en</strong>ce<br />

<strong>en</strong> ces jours où, à défaut d’avoir pu fermer<br />

hermétiquem<strong>en</strong>t ses frontières aux africains,<br />

l’Europe se peine à <strong>en</strong>fermer ceux-ci<br />

dans les frontières africaines, comme l’ont<br />

<strong>en</strong>core donné à voir les réc<strong>en</strong>tes tragédies<br />

du Maroc ?<br />

29


30<br />

Living in two worlds<br />

A Stud<strong>en</strong>t in Bonn – A Chief in Cameroon<br />

by CHARLES MORFAW, Dschang<br />

am Chief Forbellah Morfaw Charles<br />

Ngulefac of Bellah, a village in Fontem<br />

Cameroon. There have be<strong>en</strong> very important<br />

ev<strong>en</strong>ts in my life, some of which keep<br />

on repeating themselves. I find it very<br />

necessary to share these very rich experi<strong>en</strong>ces<br />

of mine with you, because I am sure<br />

these gifts will also <strong>en</strong>rich your life. I started<br />

writing these experi<strong>en</strong>ces but, due to<br />

time constraint, the project was susp<strong>en</strong>ded.<br />

With time, I have understood that the right<br />

mom<strong>en</strong>t to write had not arrived, as we<br />

shall see in the subsequ<strong>en</strong>t developm<strong>en</strong>t of<br />

the story.<br />

It all began in October 1987 wh<strong>en</strong> I<br />

found myself in Bonn, Germany, wanting to<br />

study. At that time, I spoke no German.<br />

Accommodation was my greatest problem. I<br />

had neither a place in the university nor<br />

ev<strong>en</strong> a stud<strong>en</strong>t visa, which was a pre-requisite<br />

for studies. It is worth m<strong>en</strong>tioning that as<br />

days w<strong>en</strong>t by the weather became colder,<br />

and trees were losing their leaves. Winter<br />

was approaching. On leaving Cameroon,<br />

the temperature had be<strong>en</strong> about thirty<br />

degrees Celsius and now I found myself in<br />

Bonn where the temperature was about t<strong>en</strong><br />

degrees and was soon to be below zero; a<br />

situation I had never experi<strong>en</strong>ced. I knew it<br />

was not going to be easy.<br />

The question one may likely want to ask<br />

is why I chose to study in Germany, wh<strong>en</strong> it<br />

would probably have be<strong>en</strong> easier for me in<br />

England, the United States of America,<br />

Canada, or France, considering my Cameroonian<br />

background which is bilingual. The<br />

next question is how and why did I find<br />

myself in Germany so unprepared? I finished<br />

high school in June 1986 and during<br />

the academic year of 1986-1987 I had admission<br />

into the University of Yaounde Cameroon.<br />

At that time, my cousin Dr. Lebong<br />

Morfaw had just finished his PhD program<br />

in Moscow. For very personal reasons and<br />

also due to our Cameroonian values, I call<br />

this cousin of mine, my brother. One’s<br />

brother need not necessarily be the one<br />

from the same mother or father. Dr.<br />

Lebong is at the same time one of my best<br />

fri<strong>en</strong>ds. He organised a scholarship to <strong>en</strong>able<br />

me study in Russia. To cut a long story<br />

short, I arrived in Moscow late due to technical<br />

reasons beyond my control and found<br />

that my place had be<strong>en</strong> giv<strong>en</strong> to someone<br />

else. I didn’t know what to do next. Upon<br />

my departure to Russia, I had not bothered<br />

to register for the academic year 1987-1988<br />

in the University of Yaounde, since I was


leaving Cameroon for good. While stranded<br />

in Moscow, I thought of returning to Cameroon<br />

but that didn’t make s<strong>en</strong>se because it<br />

was also already too late. As a te<strong>en</strong>ager growing<br />

up, I had understood one thing from<br />

life: that in every situation, be it positive or<br />

negative, one should try to make the best<br />

out of it. Anyway, life had to continue.<br />

In this total confusion my brother and I<br />

had to decide what to do. As a Cameroonian<br />

I was already bilingual in English and<br />

Fr<strong>en</strong>ch and I was interested in learning a<br />

third international language. So the Federal<br />

Republic of Germany (BRD) was the most<br />

favourable option for me. At that time<br />

Cameroonians were allowed to travel to<br />

West Germany for three months without a<br />

visa. So I took advantage of this situation<br />

and to Germany I w<strong>en</strong>t. Remember, the<br />

German Democratic Republic (DDR) was<br />

still existing as an indep<strong>en</strong>d<strong>en</strong>t state. Ev<strong>en</strong><br />

though I had a substantial amount of<br />

money with me, I had to do everything to<br />

cut costs because the new programme was<br />

very demanding and exp<strong>en</strong>sive. My brother<br />

escorted me by train to my new destination<br />

in Bonn, travelling through Poland and the<br />

former German Democratic Republic. The<br />

journey took two days to Bonn. My brother<br />

sp<strong>en</strong>t less than twelve hours with me there,<br />

since he had to catch the night train back<br />

that same day in order to respect some<br />

important r<strong>en</strong>dezvous he had in Moscow.<br />

The last word I got from him as the train<br />

took off was “Courage!” That was exactly<br />

what I needed. This was a real adv<strong>en</strong>ture<br />

and the beginning of a new chapter in my<br />

life. […]<br />

Wh<strong>en</strong> I arrived in Germany, I hadn’t yet<br />

mastered how to ride a bicycle. One Wednesday<br />

morning I hurriedly left my house<br />

to go to school on my bicycle. It was winter,<br />

and snow was falling heavily. Behind the<br />

main train station in Bonn, a man had just<br />

parked his Mercedes car and was about to<br />

see his wife off, probably to catch the next<br />

train. Little did I know that the rails of the<br />

tramcar are very dangerous for people<br />

riding bicycles. Due to the slippery nature<br />

of the road, the front wheel of my bike <strong>en</strong>tered<br />

in betwe<strong>en</strong> the tram rails. I w<strong>en</strong>t<br />

through the air and landed on the ground<br />

like a log of wood. My bike rolled until stopped<br />

by the bumper of the parked Mercedes<br />

car. The biggest shock I had, however, was<br />

that this lady from the Mercedes car, who<br />

had almost <strong>en</strong>tered the train station, saw<br />

this dramatic accid<strong>en</strong>t from a distance and<br />

the first and only question she asked her<br />

husband was “Has anything happ<strong>en</strong>ed to<br />

the Mercedes”? Her husband said, “No”.<br />

She th<strong>en</strong> said, “Thanks be to God!” and disappeared<br />

into the train station. I got up<br />

very depressed and managed to push my<br />

bike away. The question that came to my<br />

mind was, did this lady behave like this<br />

because I was a black man or it was just her<br />

character? I have never understood the fact<br />

that this woman considered her car more<br />

valuable than my life. I am still thankful to<br />

God today that my head didn’t scatter, as a<br />

result of the accid<strong>en</strong>t.<br />

That was a week of shocks for me. Two<br />

days after the accid<strong>en</strong>t with the bicycle, I<br />

left my hostel, this time on foot, and was<br />

going shopping. I met with a man at the<br />

traffic lights and with my Cameroonian<br />

m<strong>en</strong>tality, I said in a fri<strong>en</strong>dly way to this<br />

man: “Good day!” His response was, “No, I<br />

have no time”. The weather was bright but<br />

this response brought down my spirits,<br />

because I didn’t see the connection betwe<strong>en</strong><br />

his answer and my wishing him a good day.<br />

I was disturbed. The next day in class, I<br />

gathered courage and narrated my sad<br />

experi<strong>en</strong>ce of the previous day. It was my<br />

teacher who gave a possible explanation of<br />

this man’s attitude. He said the man probably<br />

thought I needed his assistance and since<br />

he was unwilling to pay any att<strong>en</strong>tion to<br />

me, he categorically refused my greetings.<br />

We continued sharing experi<strong>en</strong>ces while<br />

feasting. We really had a lot of fun that ev<strong>en</strong>ing.<br />

My birthday is on 1st of January. At midnight<br />

the New Year 1988 was greeted with<br />

some bottles of Champagne and also to<br />

celebrate my birthday. The atmosphere was<br />

spl<strong>en</strong>did. I felt at home and since that time<br />

we have remained good fri<strong>en</strong>ds. In the early<br />

ev<strong>en</strong>ing of 1st January 1988, Christel, the<br />

wife of Mr. Ferdinand Hammann, filled my<br />

bag with all the little things a stud<strong>en</strong>t normally<br />

carries wh<strong>en</strong> he or she comes home.<br />

I remember she put in part of the cake,<br />

which remained after the feast, and it was<br />

very nice. This visit did not only give me<br />

the chance to practise my German but it<br />

also gave me some new <strong>en</strong>ergy, which I needed<br />

back in Bonn. A few days afterwards,<br />

we resumed classes. At least I had one good<br />

experi<strong>en</strong>ce to share, namely New Year’s Eve<br />

at the Hammann’s. Some of my classmates<br />

started wondering, seeing that I was very<br />

new in Germany, how I already had a German<br />

family. Some asked if I had known<br />

them while still in Cameroon? Meanwhile<br />

the weather still remained very unfri<strong>en</strong>dly<br />

31


32<br />

and this was a serious problem for me.<br />

In fact the cold had made life very<br />

uncomfortable for me, so much so that I<br />

started thinking aloud asking myself if I<br />

shouldn’t walk up to the pastor, who was<br />

the spiritual adviser to stud<strong>en</strong>ts and tell him<br />

I would like to return to my country. After<br />

all, I didn’t kill anyone before leaving Cameroon!<br />

On cleaning my nose, I found that<br />

blood was flowing. So before moving up to<br />

the priest, I immediately decided to tell my<br />

Cameroonian fri<strong>en</strong>d my difficulties of how<br />

I couldn’t withstand the cold. The fri<strong>en</strong>d<br />

tried to console me, saying the cold would<br />

be over in two months. This was in January<br />

1988. I told him that there was no way out:<br />

what if I died before two months were over?<br />

He looked somehow embarrassed and after<br />

a while he asked me to carry up my trousers.<br />

This happ<strong>en</strong>ed in school during break<br />

on a Monday morning. Without knowing<br />

why and what he wanted to see on my legs,<br />

I immediately lifted up my trousers. He<br />

burst into laughter saying he now understood<br />

why the cold was extra hard on me.<br />

He asked why I didn’t wear long johns before<br />

leaving the house in the morning? I told<br />

him I didn’t know what long johns were. He<br />

pulled up the legs of his trousers and showed<br />

his to me and immediately the class was<br />

over I passed by a supermarket on my way<br />

home, and bought four pairs of long johns<br />

for myself. You know Cameroon is hot, so<br />

one doesn’t need them there. I can still<br />

remember how my brother asked me in<br />

Moscow if he had forgott<strong>en</strong> to buy anything<br />

that was necessary. I said he had bought<br />

everything. I couldn’t have reminded him of<br />

long johns, which I knew nothing about.<br />

From the day I bought the long johns the<br />

weather became a bit fri<strong>en</strong>dly to me. The<br />

next problem and perhaps the most difficult<br />

was how to change my tourist status to<br />

a stud<strong>en</strong>t one.<br />

„Living in two worlds. A Stud<strong>en</strong>t in Bonn – A<br />

Chief in Cameroon“ erscheint in der Übersetzung<br />

von Klaus Neliß<strong>en</strong>, Stip<strong>en</strong>diat des <strong>Cusanuswerk</strong>s,<br />

im Frühjahr 2006 im Helmut-Schmidt-Verlag<br />

Kirchsahr unter dem Titel „Leb<strong>en</strong> in zwei Welt<strong>en</strong>“.<br />

Wir dank<strong>en</strong> dem Autor für die Erlaubnis,<br />

ein<strong>en</strong> Auszug im Rahm<strong>en</strong> dieses <strong>Textbuch</strong>s zu<br />

veröff<strong>en</strong>tlich<strong>en</strong>.


Un lieu d’espoir pour l’<strong>Afrique</strong><br />

Le Cercle International pour la Promotion de la Création (CIPCRE)<br />

par KÄ MANA 1 , Bafoussam<br />

ujourd’hui, il est existe une <strong>Afrique</strong> qui<br />

bouge, qui réagit, qui se débrouille,<br />

qui crée et rêve, qui survit et donne<br />

un s<strong>en</strong>s à son exist<strong>en</strong>ce 2 . Une <strong>Afrique</strong> qui<br />

cherche à pr<strong>en</strong>dre ses responsabilités, à lancer<br />

des projets fructueux de développem<strong>en</strong>t<br />

et à promouvoir des initiatives de libération.<br />

Une <strong>Afrique</strong> qui veut donner confiance<br />

aux individus, aux groupes et aux populations<br />

pour sortir de la crise et construire une<br />

nouvelle destinée à des pays <strong>en</strong> quête d’av<strong>en</strong>ir.<br />

Le Cercle International pour la Promotion<br />

de la Création (CIPCRE) fait partie de<br />

cette <strong>Afrique</strong> de l’espoir et du dynamisme<br />

créatif.<br />

Créé <strong>en</strong> 1990 par le Pasteur Camerounais<br />

Jean-Blaise K<strong>en</strong>mogne, cette organisation<br />

non gouvernem<strong>en</strong>tale chréti<strong>en</strong>ne s’est <strong>en</strong>gagée<br />

avec vigueur et discernem<strong>en</strong>t dans la<br />

promotion de l’écologie et dans la lutte<br />

pour le développem<strong>en</strong>t intellectuel, éthique,<br />

matériel et spirituel durable, au sein<br />

d’une société africaine qui se cherche péniblem<strong>en</strong>t<br />

un av<strong>en</strong>ir dans un monde où le<br />

néolibéralisme ne laisse pas beaucoup de<br />

chances de développem<strong>en</strong>t humain aux<br />

nations pauvres. Rompant avec le pessimisme,<br />

le défaitisme et la soumission à la fatalité<br />

auxquels les populations sont déjà habituées<br />

dans la société africaine, le CIPCRE a<br />

dès sa création voulu contribuer à la construction<br />

d’une <strong>Afrique</strong> de la créativité, de<br />

l’inv<strong>en</strong>tivité, du dynamisme et de l’espérance<br />

<strong>en</strong> action. A travers une vision chréti<strong>en</strong>ne<br />

et interreligieuse du développem<strong>en</strong>t<br />

humain et une volonté de lier inextricablem<strong>en</strong>t<br />

la foi et l’action de transformation<br />

sociale, il a constitué au Cameroun et au<br />

Bénin où il travaille, un lieu d’espoir pour<br />

les populations et une dynamique d’action<br />

pour changer l’<strong>Afrique</strong>.<br />

Philosophie et objectifs du CIPCRE<br />

Lorsqu’il est créé il y a quinze ans par le<br />

Pasteur camerounais Jean-Blaise K<strong>en</strong>mogne,<br />

à l’Ouest-Cameroun, le CIPCRE s’est<br />

donné pour objectifs de faire de l’écologie<br />

et du développem<strong>en</strong>t durable son cheval de<br />

bataille. Au mom<strong>en</strong>t où la consci<strong>en</strong>ce écologique<br />

pr<strong>en</strong>ait une ampleur nouvelle grâce<br />

aux mouvem<strong>en</strong>ts de lutte pour la paix, la<br />

justice et la sauvegarde de l’<strong>en</strong>vironnem<strong>en</strong>t,<br />

le CIPCRE avait voulu faire de l’<strong>Afrique</strong> le<br />

lieu d’épanouissem<strong>en</strong>t concrète de cette<br />

consci<strong>en</strong>ce, à travers des projets susceptibles<br />

de mobiliser les populations. De<br />

même, dans une atmosphère où la question<br />

du développem<strong>en</strong>t durable dev<strong>en</strong>ait un<br />

<strong>en</strong>jeu mondial, le CIPCRE a voulu être un<br />

espace où cette problématique puisse être<br />

p<strong>en</strong>sée et concrétisée, à partir des valeurs<br />

de la foi et de leur incarnation dans la culture<br />

africaine3 .<br />

Consci<strong>en</strong>t que les questions d’écologie et<br />

de développem<strong>en</strong>t durable devai<strong>en</strong>t être<br />

des <strong>en</strong>jeux de la survie de l’humanité, le<br />

CIPCRE a cherché à donner à ces questions<br />

de fond une formulation qui <strong>en</strong> montre la<br />

fécondité pour l’<strong>Afrique</strong> et pour le monde.<br />

C’est ainsi qu’au lieu de considérer le<br />

33


34<br />

combat écologique comme une simple lutte<br />

pour un <strong>en</strong>vironnem<strong>en</strong>t naturel pur, il a vu<br />

dans l’écologie une philosophie globale de<br />

la qualité des li<strong>en</strong>s que l’humanité devrait<br />

nouer non seulem<strong>en</strong>t avec notre <strong>en</strong>vironnem<strong>en</strong>t<br />

naturel, mais aussi avec toutes les<br />

dim<strong>en</strong>sions de l’être au monde de l’Homme.<br />

C’est-à-dire les li<strong>en</strong>s de vie et d’humanité<br />

<strong>en</strong>tre les personnes, <strong>en</strong>tre les peuples,<br />

<strong>en</strong>tre les cultures et <strong>en</strong>tre les civilisations ;<br />

les li<strong>en</strong>s <strong>en</strong>tre le prés<strong>en</strong>t de l’Homme et<br />

tout l’héritage éthique que nous a légué le<br />

passé et la mémoire de toutes les nations ;<br />

les li<strong>en</strong>s avec les générations futures à qui<br />

nous devons laisser une terre habitable et<br />

une civilisation humanisante ; les li<strong>en</strong>s avec<br />

la transc<strong>en</strong>dance comme instance de donation<br />

de s<strong>en</strong>s à l’exist<strong>en</strong>ce humain, c’est-àdire<br />

Dieu et toute la sphère de la vie spirituelle<br />

qu’il représ<strong>en</strong>te.<br />

Selon cette vision, l’écologie devi<strong>en</strong>t une<br />

éthique et une spiritualité des li<strong>en</strong>s vitaux.<br />

Elle module une philosophie de la sauvegarde<br />

des écosystèmes, du souci de l’humain,<br />

de la consci<strong>en</strong>ce des générations futures et<br />

de la fécondité des relations spirituelles<br />

avec Dieu.<br />

C’est dans cette perspective que le développem<strong>en</strong>t<br />

durable pr<strong>en</strong>d son s<strong>en</strong>s. Il s’agit<br />

de l’instauration et de l’épanouissem<strong>en</strong>t<br />

d’un mode d’être et d’une civilisation mondiale<br />

où l’économie, la politique, la culture,<br />

la spiritualité et l’<strong>en</strong>semble des règles de<br />

structuration de la vie humaine puiss<strong>en</strong>t<br />

être au service de l’humain. Pour la promotion<br />

du bonheur partagé. Le développem<strong>en</strong>t<br />

n’est pas saisie ici dans sa seule dim<strong>en</strong>sion<br />

de lutte pour l’amélioration des conditions<br />

matérielles de la population, mais<br />

dans son souffle vital de dynamique globale<br />

de créatrice d’une nouvelle humanité.<br />

Une humanité où les valeurs intellectuelles,<br />

éthiques et spirituelles contribu<strong>en</strong>t à donner<br />

aux peuples et aux populations un réel<br />

bonheur partagé. Un bonheur spirituel,<br />

économique, politique, social et culturel.<br />

Ce bonheur, c’est la vie <strong>en</strong> abondance<br />

dont parle le Christ quand il dit : „Je suis<br />

v<strong>en</strong>u pour que les Hommes ai<strong>en</strong>t la vie, et<br />

qu’ils l’ai<strong>en</strong>t <strong>en</strong> abondance“ (Jn 10,10). C’est<br />

aussi la qualité de vie qui s’instaure grâce<br />

aux valeurs du Royaume de Dieu : la liberté,<br />

la vérité, la solidarité, la communauté,<br />

bref l’amour comme terreau des li<strong>en</strong>s<br />

vitaux <strong>en</strong>tre les personnes, <strong>en</strong>tre les peuples,<br />

<strong>en</strong>tre les pays, <strong>en</strong>tre les cultures et<br />

<strong>en</strong>tre les civilisations. C’est surtout l’épanouissem<strong>en</strong>t<br />

de l’esprit de Dieu qui crée un<br />

Homme nouveau et une nouvelle société :<br />

là où la parole de Dieu transforme toutes<br />

les conditions de vie au profit des pauvres,<br />

des marginalisés et des laissés pour compte<br />

de l’ordre social 4 .<br />

Au CIPCRE, cette vision humaine du<br />

développem<strong>en</strong>t durable fondé sur l’énergie<br />

spirituelle de la vie, ne concerne pas seulem<strong>en</strong>t<br />

la foi chréti<strong>en</strong>ne. Elle est le lieu par<br />

excell<strong>en</strong>ce du dialogue et de la coopération<br />

interreligieuse : le lieu où se tiss<strong>en</strong>t des<br />

li<strong>en</strong>s d’alliance <strong>en</strong>tre les religions pour le<br />

triomphe de l’humain sur toutes les inhumanités<br />

qui écras<strong>en</strong>t les personnes, les<br />

groupes sociaux et les peuples.<br />

Convaincu que cette alliance des religions<br />

est garante d’une dynamique de mobilisation<br />

sociale à vaste échelle, le CIPCRE a<br />

le souci d’ouvrir le souffle spirituel des religions<br />

sur les forces de la société civile et les<br />

pouvoirs publics, pour des <strong>en</strong>gagem<strong>en</strong>ts<br />

citoy<strong>en</strong>s qui transc<strong>en</strong>d<strong>en</strong>t les aléas et les<br />

étroitesses de la politique politici<strong>en</strong>ne.<br />

De même, convaincu que l’alliance des<br />

religions est garante de l’alliance des civilisations,<br />

le CIPCRE inscrit son action dans<br />

la dynamique d’une coopération Nord-Sud<br />

féconde et créatrice d’espérances. C’est<br />

pour cela qu’il ne se p<strong>en</strong>se pas comme un<br />

projet du Sud à faire financer par les organisations<br />

du Nord, mais comme un espace<br />

où le Sud et le Nord sont unis dans un part<strong>en</strong>ariat<br />

responsable, vivant, dynamique :<br />

un projet d’humanité solidaire. Comme le<br />

dit clairem<strong>en</strong>t le pasteur Jean-Blaise K<strong>en</strong>mogne,<br />

« chez les part<strong>en</strong>aires du Nord<br />

comme ici chez nous au Sud, le projet CIP-<br />

CRE ne se conjugue pas à la troisième personne,<br />

mais à la première personne du plurielle.<br />

Au Nord on ne parle pas de nous <strong>en</strong><br />

disant :« leur projet ». Nous ne disons pas<br />

ici que le CIPPRE est le projet d’un petit<br />

groupe des Camerounais ou des Béninois.<br />

Là-bas comme ici, il s’agir de « notre projet<br />

» dont la réussite ou l’échec nous concerne<br />

tous parce qu’il dép<strong>en</strong>d de nous tous. »<br />

Actions, réussites et problèmes<br />

La philosophie que nous v<strong>en</strong>ons de prés<strong>en</strong>ter,<br />

le CIPCRE l’incarne dans les programmes<br />

que voici :<br />

· l’appui au monde paysan dans les projets<br />

de promotion de développem<strong>en</strong>t local ;<br />

· l’éducation <strong>en</strong>vironnem<strong>en</strong>tale dans les<br />

milieux scolaires et universitaires ;<br />

· la coopération avec la société civile et le<br />

plaidoyer auprès des pouvoirs publics ;<br />

· la promotion du G<strong>en</strong>re et le r<strong>en</strong>forcem<strong>en</strong>t<br />

des capacités de créativité des femmes<br />

;


· la réflexion, les publications et les campagnes<br />

publiques de consci<strong>en</strong>tisation pour<br />

l’avènem<strong>en</strong>t d’une nouvelle société.<br />

Dans le monde paysan, l’action du CIPCRE<br />

consiste à la fois à susciter une dynamique<br />

ferme de la confiance des paysans <strong>en</strong> euxmêmes.<br />

De la foi <strong>en</strong> leurs capacités de gestion<br />

de leurs projets de développem<strong>en</strong>t, grâce<br />

à leurs propres possibilités d’organisation<br />

et de créativité. Le rôle des ag<strong>en</strong>ts du<br />

CIPCRE est d’être des catalyseurs de développem<strong>en</strong>t<br />

et des accoucheurs des tal<strong>en</strong>ts<br />

de transformation sociale dans le monde<br />

paysan. Par la prés<strong>en</strong>ce de ces catalyseurs et<br />

de ces accoucheurs, nous pouvons dire que<br />

l’action du CIPCRE a réussi à créer une<br />

nouvelle consci<strong>en</strong>ce de responsabilité dans<br />

les zones où il travaille. C’est un résultat<br />

non négligeable, qui anime des projets<br />

locaux <strong>en</strong> matière de protection de l’<strong>en</strong>vironnem<strong>en</strong>t,<br />

de souci du reboisem<strong>en</strong>t, de<br />

force de la solidarité paysanne, d’organisation<br />

d’unités de production et de rationalisation<br />

du commerce des produits agricoles.<br />

Une <strong>Afrique</strong> qui bouge, qui crée et qui veut<br />

vivre dans la dignité a ainsi pris corps dans<br />

un espace où l’on aurait eu t<strong>en</strong>dance à croire<br />

à la fatalité du désespoir.<br />

Dans les milieux urbains, le CIPCRE a<br />

mis sur pied des équipes de consci<strong>en</strong>tisation<br />

aux problèmes de salubrité publique. Il<br />

a aussi organisé un service de transformation<br />

des déchets <strong>en</strong> compost pour l’agriculture<br />

à Bafoussam au Cameroun, et une dynamique<br />

de regroupem<strong>en</strong>t des artisans recycleurs<br />

à Porto-Novo au Bénin. Sur la même<br />

lancée, il cherche à susciter et à créer une<br />

consci<strong>en</strong>ce écologique profonde. Celle-ci<br />

passe à la fois par des émissions radiophoniques<br />

sur l’écologie et de développem<strong>en</strong>t<br />

durable et par l’organisation des débats<br />

autour des <strong>en</strong>jeux de la transformation<br />

sociale. Dans les écoles et les universités, le<br />

CIPCRE a mis <strong>en</strong> place de clubs de réflexion<br />

sur l’<strong>en</strong>vironnem<strong>en</strong>t et sur la transformation<br />

sociale. Il anime égalem<strong>en</strong>t des<br />

espaces de lutte pour la paix, la justice et la<br />

sauvegarde de la création, surtout au sein<br />

des églises et des communautés de foi où<br />

fonctionn<strong>en</strong>t des comités « justice et paix<br />

». Au cœur de ces lieux, l’une des dynamiques<br />

fortes du CIPCRE est l’organisation<br />

des Campagnes Semaines Pascales<br />

(www.wagne.net/csp) sur les grands problèmes<br />

de sociétés, comme ceux du tribalisme,<br />

de la corruption, de l’<strong>en</strong>dettem<strong>en</strong>t des Etats<br />

africains, de la viol<strong>en</strong>ce <strong>en</strong>vers les femmes<br />

et de l’exploitation sexuelle des jeunes à des<br />

buts lucratifs.<br />

Dans la même dynamique, la promotion<br />

du G<strong>en</strong>re est dev<strong>en</strong>u un axe c<strong>en</strong>tral d’une<br />

réflexion et d’une action fondam<strong>en</strong>tale<br />

pour la promotion des femmes à travers des<br />

programmes d’éducation et l’<strong>en</strong>gagem<strong>en</strong>t<br />

dans l’action pour les projets de promotion<br />

féminine. Selon une perspective interreligieuse<br />

où les femmes de toutes confessions<br />

sont appelées à se mobiliser autour de la<br />

cause féminine et des programmes communs<br />

de transformation sociale, une consci<strong>en</strong>ce<br />

nouvelle est née que le CIPCRE fertilise<br />

au jour le jour. Ce travail excède l’espace<br />

des confessions religieuses et irrigue les<br />

mouvem<strong>en</strong>ts des femmes dans l’<strong>en</strong>semble<br />

de la société.<br />

La production du magazine ECOVOX<br />

(www.cipcre.org/ecovox), d’ouvrages d’animation<br />

théologique et de pastorale de développem<strong>en</strong>t<br />

constitue une autre activité de<br />

pointe pour le CIPCRE. Il lui permet de disposer<br />

d’un espace de recherche et de p<strong>en</strong>sée<br />

pour une théologie fortem<strong>en</strong>t ancrée<br />

dans le contexte du Cameroun et d’<strong>Afrique</strong>.<br />

Aujourd’hui, la réflexion théologique du<br />

CIPCRE est dev<strong>en</strong>ue l’une des plus riches et<br />

des plus porteuses d’espérance dans la<br />

société africaine. Elle nourrit tous les programmes<br />

de terrain par son souci d’articuler<br />

foi et action, de promouvoir l’humain et<br />

de contribuer à la construction de la nouvelle<br />

humanité par une contestation vigoureuse<br />

de la logique patrimoniale des Etats<br />

africains et de la logique néo-libérale dans<br />

ses effets au sein des pays du Sud.<br />

On le voit : l’<strong>en</strong>jeu majeur de tous les<br />

programmes du CIPCRE est celui de la<br />

transformation sociale par la consci<strong>en</strong>tisation<br />

et la formation de nouveaux acteurs sociaux<br />

capables d’impulser de nouvelles dynamiques<br />

sociales d’action (www.wagne.net/<br />

societecivile). Pour ce faire, le CIPCRE dispose<br />

<strong>en</strong>tre autres un service de promotion<br />

des technologies de l’information et de<br />

communication dans les Eglises et les ONG<br />

(www.wagne.net). Face à cet <strong>en</strong>jeu, les difficultés<br />

majeures qui frein<strong>en</strong>t la créativité<br />

sont de deux ordres.<br />

Le premier ordre est celui de la situation<br />

de crise globale de la société camerounaise.<br />

Crise qui se caractérise aujourd’hui par la<br />

démission de l’Etat, la viol<strong>en</strong>ce sociale, l’insécurité<br />

généralisée, l’immoralité publique,<br />

« l’éclipse de l’av<strong>en</strong>ir » (l’expression est<br />

d’Achille Mbembe) pour les jeunes et pour<br />

beaucoup de catégories sociales, la corruption<br />

galopante, le tribalisme et le s<strong>en</strong>tim<strong>en</strong>t<br />

de soumission à la fatalité. Au Bénin où la<br />

situation politique et sociale est moins<br />

35


36<br />

implosive et plus ét<strong>en</strong>due, les difficultés que<br />

r<strong>en</strong>contre le CIPCRE sont liées plutôt à la<br />

situation globale de pauvreté et au niveau<br />

modeste d’alphabétisation de la population.<br />

A ces contraintes extérieures sont liées des<br />

contraintes internes au CIPCRE lui-même :<br />

la disproportion <strong>en</strong>tre l’imm<strong>en</strong>se tâche de<br />

transformation sociale où l’on est <strong>en</strong>gagé et<br />

les moy<strong>en</strong>s, somme toute très limités dont<br />

on dispose. Cette réalité donne le s<strong>en</strong>tim<strong>en</strong>t<br />

que le CIPCRE n’est qu’une goutte d’espérance<br />

dans un océan des misères sociales.<br />

L’océan noie la goutte et l’on se demande<br />

parfois si ce qui est fait pourra vraim<strong>en</strong>t<br />

libérer des forces de créativité à la hauteur<br />

des <strong>en</strong>jeux de l’av<strong>en</strong>ir africain. En même<br />

temps, certains projets que l’on lance se<br />

trouve plombés par les pesanteurs des m<strong>en</strong>talités<br />

où les g<strong>en</strong>s cherch<strong>en</strong>t à faire primer<br />

l’intérêt individuel sur l’intérêt communautaire.<br />

Cela conduit à des conflits internes<br />

int<strong>en</strong>ses dans le monde paysan particulièrem<strong>en</strong>t<br />

et parfois, à l’abandon des projets de<br />

développem<strong>en</strong>t déjà <strong>en</strong>gagés. Autrem<strong>en</strong>t<br />

dit, l’expéri<strong>en</strong>ce du CIPCRE a montré qu’il<br />

ne suffit pas de lancer des projets pour les<br />

réussir ; il faut <strong>en</strong>core former le type de<br />

personnes pour les réussir.<br />

Malgré ce s<strong>en</strong>tim<strong>en</strong>t qui submerge parfois<br />

ceux et celles qui travaill<strong>en</strong>t au CIP-<br />

CRE, celui-ci reste un haut lieu d’espoir<br />

pour l’<strong>Afrique</strong>, avec des perspectives porteuses<br />

d’optimisme. Notamm<strong>en</strong>t :<br />

· La fidélité aux principes de la philosophie<br />

globale qui ont fait du CIPCRE un<br />

modèle de dynamique créative dans une<br />

société <strong>en</strong> crise<br />

· La volonté de maint<strong>en</strong>ir le cap de la réussite<br />

des projets de transformation sociale<br />

qui ont prouvé leur solidité dans tous les<br />

milieux où ils sont <strong>en</strong>gagés.<br />

· Le souci de dev<strong>en</strong>ir un grand foyer de<br />

production de connaissances et d’initiatives<br />

capables de montrer comm<strong>en</strong>t une<br />

<strong>Afrique</strong> qui réussit et qui gagne est <strong>en</strong><br />

train de lutter et de s’affirmer contre le<br />

défaitisme et le pessimisme.<br />

· Le r<strong>en</strong>forcem<strong>en</strong>t de l’impact du CIPCRE<br />

sur l’espace public à travers la promotion<br />

des campagnes de mobilisation autour<br />

des problèmes ess<strong>en</strong>tiels de la société<br />

actuelle et autour de grands <strong>en</strong>jeux du<br />

futur africain.<br />

Ces perspectives port<strong>en</strong>t <strong>en</strong> elles les exig<strong>en</strong>ces<br />

de solidifier les synergies qui ont<br />

permis au CIPCRE d’être ce qu’il est,synergies<br />

sans lesquelles l’av<strong>en</strong>ir ne pourra pas<br />

être aussi lumineux qu’on peut l’espérer.<br />

Ces exig<strong>en</strong>ces sont les suivantes :<br />

Avant tout, il convi<strong>en</strong>t d’affermir, d’int<strong>en</strong>sifier<br />

et d’<strong>en</strong>richir l’ori<strong>en</strong>tation éthique<br />

et spirituelle qui fait travailler <strong>en</strong>semble<br />

catholiques, protestants, musulmans et forces<br />

religieuses du terroir local. Un lieu où<br />

de telles énergies de coopération sont libérées<br />

ouvre la voie à ce que l’<strong>Afrique</strong> tout<br />

<strong>en</strong>tière devra faire pour se donner une<br />

espérance. Il convi<strong>en</strong>t égalem<strong>en</strong>t de mettre<br />

l’action de toutes ces forces religieuses au<br />

service de l’intérêt public, <strong>en</strong> l’ouvrant aux<br />

forces politiques, gouvernem<strong>en</strong>tales, de<br />

l’opposition ou de la société civile, qui cherch<strong>en</strong>t<br />

fermem<strong>en</strong>t et sincèrem<strong>en</strong>t à bâtir une<br />

société de la cohésion créative et du bonheur<br />

partagé. L’urg<strong>en</strong>ce d’un nouvel espace<br />

du politique où les forces vives cré<strong>en</strong>t des<br />

nouvelles espérances et des nouvelles volontés<br />

d’action est l’une des conditions de la<br />

réussite du projet CIPCRE dans la société.<br />

De même, la fécondité de la coopération<br />

Nord-Sud, où des part<strong>en</strong>aires sont solidem<strong>en</strong>t<br />

<strong>en</strong>gagés <strong>en</strong>semble dans des actions<br />

fortes sur le terrain, constitue la clé de<br />

l’espoir qu’une organisation comme le CIP-<br />

CRE représ<strong>en</strong>te et incarne.<br />

Aujourd’hui plus qu’hier, l’<strong>Afrique</strong> a<br />

besoin de tels lieux de coopération interreligieuse,<br />

de mobilisation de forces politiques<br />

et citoy<strong>en</strong>nes et d’épanouissem<strong>en</strong>t<br />

d’une coopération Nord-Sud qui réussit et<br />

qui rayonne. Le CIPCRE est l’un des lieux<br />

où souffle cet esprit.<br />

1 Kä Mana est professeur d’Université au Cameroun<br />

et <strong>en</strong> Côte d’Ivoire. Il est Conseiller Théologique<br />

au CIPCRE.<br />

2 Jean-Pierre Chréti<strong>en</strong>, « L’<strong>Afrique</strong> face aux défis<br />

du monde », in Esprit, n° 317, août-septembre,<br />

2005, pp. 8-18. Sur la perspective de cette <strong>Afrique</strong><br />

qui crée et qui réussit, on lira avec intérêt : Pierre<br />

Merlin, l’<strong>Afrique</strong> peut gagner, Paris, Karthala,<br />

2000, Kä Mana (sous la direction de), Réussir<br />

l’<strong>Afrique</strong>, Yaoundé-Bafoussam, Editions CIPCRE.<br />

3 Sur la philosophie globale du CIPCRE, on lira<br />

avec intérêt les livres suivants : Ethique écologique<br />

et reconstruction de l’<strong>Afrique</strong> (sous la direction<br />

de Jean-Blaise K<strong>en</strong>mogne et Kä Mana),, Yaoundé,<br />

CLE-CIPCRE, 1997 ; Pour la vie <strong>en</strong> abondance,<br />

L’expéri<strong>en</strong>ce du CIPCRE (par Jean-Blaise<br />

K<strong>en</strong>mogne et Kä Mana), Editions CIPCRE, 2002 ;<br />

Chemin de nouvelle humanité : Spiritualité écologique<br />

et construction de l’av<strong>en</strong>ir (par Jean-Blaise<br />

K<strong>en</strong>mogne), <strong>en</strong> cours d’édition, CLE-CIPCRE. On<br />

consultera égalem<strong>en</strong>t avec intérêt le site web<br />

www.cipcre.org<br />

4 On lira avec intérêt l’excell<strong>en</strong>t livre de Reto<br />

Gmünder, Evangile et développem<strong>en</strong>t, Pour rebâtir<br />

l’<strong>Afrique</strong>, Editions CIPCRE, Yaoundé-Bafoussam,<br />

2004.


What does the Assistant Local Repres<strong>en</strong>tative<br />

of the KfW in Cameroon do?<br />

by DR. ANGELINE NGUEDJEU-MOMEKAM, Yaoundé<br />

he KfW Office in Yaoundé (“Office<br />

Yaoundé”) is headed by a local repres<strong>en</strong>tative<br />

working under the g<strong>en</strong>eral<br />

direction of the KfW Office in Accra (Ghana)<br />

repres<strong>en</strong>ted by its director, Dr. Wolfgang<br />

Weth, and the regional director of<br />

KfW Frankfurt, Mr. Bernd Leibbrandt. The<br />

local repres<strong>en</strong>tative, Dr. Joseph Ntangsi, is<br />

supported by the assistant local repres<strong>en</strong>tative,<br />

Dr. Angeline Nguedjeu-Momekam.<br />

The assistant local repres<strong>en</strong>tative acts under<br />

the guidance and supervision of the local<br />

repres<strong>en</strong>tative.<br />

The g<strong>en</strong>eral function of the Office<br />

Yaoundé is to provide services and support<br />

to KfW headquarters as requested by its sector<br />

and country teams. As such the Office<br />

Yaoundé and its staff has to understand<br />

itself as a service provider which must combine<br />

the available resources in such a way<br />

that KfW can achieve its Cameroon–related<br />

objectives in the best possible manner.<br />

The responsibility of the assistant local<br />

repres<strong>en</strong>tative is therefore to give the staff<br />

of KfW headquarters logistical, organisational,<br />

and professional support with respect<br />

to all relevant matters concerning the preparation<br />

and managem<strong>en</strong>t of projects and<br />

programmes as well as the repres<strong>en</strong>tation<br />

of KfW against the Governm<strong>en</strong>t, donors<br />

and other partners in the conduct of Financial<br />

Cooperation in the most effici<strong>en</strong>t and<br />

effective manner. This includes the necessity<br />

to coordinate KfW’s activities closely with<br />

other institutions and organisations which<br />

are part of the German Developm<strong>en</strong>t<br />

Cooperation in particular GTZ, the<br />

Embassy of the Federal Republic of Germany,<br />

the German Ministry of Economic<br />

Cooperation and Developm<strong>en</strong>t and DED<br />

Dec<strong>en</strong>tralisation and the gre<strong>en</strong> sector are<br />

the responsibilities of the Assistant Local<br />

Repres<strong>en</strong>tative as the Local Repres<strong>en</strong>tative<br />

is responsible in-country for the health sectors,<br />

the transport sector as well as macroeconomic<br />

analysis.<br />

G<strong>en</strong>eral Responsibilities<br />

In close coordination with the sector and<br />

country teams of KfW as well as with the<br />

local repres<strong>en</strong>tative of Office Yaoundé the<br />

assistant local repres<strong>en</strong>tative carries out the<br />

following g<strong>en</strong>eral tasks. She as such:<br />

· facilitates communication betwe<strong>en</strong> KfW<br />

headquarters in Frankfurt and Cameroonian<br />

authorities;<br />

· contributes to effective and effici<strong>en</strong>t mis-<br />

37


38<br />

sions of the sector and country teams by<br />

drawing up appropriate mission programmes<br />

and preparing and facilitating<br />

their execution;<br />

· monitors economic and social developm<strong>en</strong>ts<br />

in the country related to the two<br />

focal areas „natural resources“ and<br />

„dec<strong>en</strong>tralization”; this includes the task<br />

to inform the sector and country teams<br />

on a regular basis;<br />

· carries out the administrative tasks in the<br />

Office Yaoundé in close coordination<br />

with the local repres<strong>en</strong>tative; this includes<br />

the execution of procurem<strong>en</strong>t and<br />

book-keeping in compliance with the<br />

rules submitted by KfW Office Accra;<br />

· contributes to a closer coordination with<br />

other German cooperation institutions in<br />

Cameroon such as GTZ, the Embassy,<br />

DED, DEG, etc;<br />

· repres<strong>en</strong>ts KfW in-country against the<br />

Governm<strong>en</strong>t, donors, consultants and<br />

other partners;<br />

· maintains perman<strong>en</strong>t dialogue with other<br />

donor partners and working with them<br />

to <strong>en</strong>hance the harmonisation and<br />

alignm<strong>en</strong>t ag<strong>en</strong>da;<br />

· contributes to a trustful and effici<strong>en</strong>t<br />

working atmosphere within the Yaounde<br />

Office and the GTZ/KfW headquarters<br />

in Yaoundé;<br />

· contributes to a good reputation of the<br />

German developm<strong>en</strong>t cooperation in<br />

g<strong>en</strong>eral and of the Financial Cooperation<br />

in particular;


Afrika und Europa<br />

39


40<br />

Ergänzung, Ursprung, Anderes: Europas Afrika<br />

von BERNHARD GISSIBL<br />

m Juni 2005 versprach der Augsburger<br />

Tierpark sein<strong>en</strong> Besuchern ein<strong>en</strong> „Zoobesuch<br />

mit Überraschung<strong>en</strong>“. Vier Tage<br />

lang „afrikanisches Dorf“ im Tierpark: „Um<br />

eine einmalige afrikanische Stepp<strong>en</strong>landschaft<br />

gruppier<strong>en</strong> sich Kunsthandwerker,<br />

Silberschmiede, Korbflechter, Zöpfch<strong>en</strong>flechter.“<br />

Ein afrikanisches Dorf im Zoo?<br />

Und Afrikaner, die darin vor Publikum<br />

ihrem Gewerbe nachging<strong>en</strong>? Das klang<br />

nach einer Neuauflage j<strong>en</strong>er unselig<strong>en</strong> Völkerschau<strong>en</strong>,<br />

die zwisch<strong>en</strong> etwa 1870 und<br />

1940 Afrikaner und andere „Eingebor<strong>en</strong>e“<br />

d<strong>en</strong> europäisch<strong>en</strong> Zoobesuchern <strong>zur</strong> Befriedigung<br />

ihrer exotistisch<strong>en</strong> Schaulust vorführt<strong>en</strong>.<br />

Mit einem im Internet kursier<strong>en</strong>d<strong>en</strong><br />

Schreib<strong>en</strong> wandte sich die „Initiative<br />

Schwarze M<strong>en</strong>sch<strong>en</strong> in Deutschland“ (ISD)<br />

an die Augsburger Zoodirektion und übte<br />

scharfe Kritik an der geplant<strong>en</strong> Veranstaltung,<br />

die off<strong>en</strong>sichtlich der „Reproduktion<br />

kolonialer Blick-Verhältnisse“ Vorschub leiste.<br />

In der Tradition der Völkerschau<strong>en</strong><br />

würd<strong>en</strong> „Schwarze M<strong>en</strong>sch<strong>en</strong> als exotische<br />

Objekte, als Un- oder Unterm<strong>en</strong>sch<strong>en</strong> in<br />

trauter Einheit mit der Tierwelt in einer<br />

off<strong>en</strong>bar zeitlos<strong>en</strong> Dörflichkeit“ gezeigt.<br />

Prompt kam die Verteidigung der Augsburger<br />

Zoodirektorin: man wolle keine M<strong>en</strong>sch<strong>en</strong><br />

ausstell<strong>en</strong>, sondern in einem „African<br />

Village“ d<strong>en</strong> Augsburgern „die afrikanische<br />

Kultur näher bring<strong>en</strong>“. Der Zoo sei dafür<br />

„g<strong>en</strong>au der richtige Ort“, „um auch die<br />

Atmosphäre von Exotik zu vermitteln.“<br />

Was im Vorfeld als moderne Form der<br />

Völkerschau kontrovers in d<strong>en</strong> Feuilletons<br />

aller groß<strong>en</strong> Tageszeitung<strong>en</strong> diskutiert wurde<br />

und sogar die Aufmerksamkeit der BBC<br />

erregte, <strong>en</strong>tpuppte sich bei der Eröffnung<br />

am 9. Juni letztlich als banaler Ethno-Flohmarkt<br />

mit der für alle Afrika-Festivals üblich<strong>en</strong><br />

Mischung aus Schnitzwerk, Grillbanan<strong>en</strong><br />

und erdfarb<strong>en</strong><strong>en</strong> Tüchern. D<strong>en</strong>noch<br />

handelte es sich bei d<strong>en</strong> Diskussion<strong>en</strong> um<br />

das „African Village“ nicht nur um „heiße<br />

Luft aus Afrika“, wie die Berliner tageszeitung<br />

am Tag nach der Eröffnung spottete.<br />

Schlaglichtartig geb<strong>en</strong> die Debatt<strong>en</strong> um die<br />

vermeintliche Völkerschau Einblick in die<br />

spezifische Postkolonialität Deutschlands.<br />

Währ<strong>en</strong>d langjährige Dekolonisationsprozesse<br />

und der stete Zuzug von MigrantInn<strong>en</strong><br />

aus d<strong>en</strong> ehemalig<strong>en</strong> Koloni<strong>en</strong> in die<br />

Metropol<strong>en</strong> Frankreichs und Großbritanni<strong>en</strong>s<br />

in dies<strong>en</strong> Ländern bereits seit d<strong>en</strong><br />

1960er Jahr<strong>en</strong> auch m<strong>en</strong>tale Dekolonisationsprozesse<br />

in Gang setzte, existierte in<br />

Deutschland praktisch keine schwarze Minderheit,<br />

die das selbstverständliche „Weiß-<br />

Sein“ der Mehrheitsgesellschaft hätte in<br />

Frage stell<strong>en</strong> könn<strong>en</strong>. Auch die Aufarbeitung<br />

der kolonial<strong>en</strong> Vergang<strong>en</strong>heit im<br />

öff<strong>en</strong>tlich<strong>en</strong> Bewußtsein Deutschlands ist<br />

weitgeh<strong>en</strong>d unterblieb<strong>en</strong>, und so ist die


deutsche Gesellschaft zwar in Bezug auf<br />

Kolonialbesitz in Übersee schon seit 1918<br />

„postkolonial“, nicht jedoch hinsichtlich<br />

kolonialer D<strong>en</strong>kweis<strong>en</strong> und M<strong>en</strong>talität<strong>en</strong>.<br />

Nur so ist die an Naivität gr<strong>en</strong>z<strong>en</strong>de Unbedarftheit<br />

zu erklär<strong>en</strong>, mit der die Verantwortlich<strong>en</strong><br />

des Augsburger Tierparks in<br />

ihr<strong>en</strong> öff<strong>en</strong>tlich<strong>en</strong> Erklärung<strong>en</strong> die<br />

Geschichte der Institution Zoo ignoriert<strong>en</strong><br />

und die Kombination wilder Tiere, Exotik<br />

und „African Village“ als selbstverständlich<br />

reklamiert<strong>en</strong>. Zoos di<strong>en</strong>t<strong>en</strong> seit ihrer Gründung<br />

Mitte des 19. Jahrhunderts der Repräs<strong>en</strong>tation<br />

des Exotisch<strong>en</strong> in d<strong>en</strong> europäisch<strong>en</strong><br />

Metropol<strong>en</strong>, weshalb sie schon<br />

Hag<strong>en</strong>beck und ander<strong>en</strong> Völkerschau-<br />

Impresarios im Kaiserreich als der auth<strong>en</strong>tischste<br />

Ort erschi<strong>en</strong><strong>en</strong>, um „Wild und Wilde“<br />

gemeinsam zu präs<strong>en</strong>tier<strong>en</strong>. Stereotyp<br />

wird dadurch Afrika auf „Natur“ und „Wildnis“<br />

reduziert, und dieser Wildnis korrespondiert<br />

die vermeintliche Ursprünglichkeit<br />

seiner Bewohner. Dadurch erscheint<br />

Afrika als das Geg<strong>en</strong>teil einer durch Industrie,<br />

Urbanität und Zivilisation geprägt<strong>en</strong><br />

europäisch<strong>en</strong> Moderne. Es füllt eine Leerstelle<br />

im europäisch<strong>en</strong> Bewußtsein und<br />

steht für das, worüber Europa nicht verfügt.<br />

Afrika als das „Andere“ Europas hat eine<br />

lange Tradition und ist Teil eines Sets etablierter<br />

D<strong>en</strong>k-, Wahrnehmungs- und<br />

Sprechweis<strong>en</strong>, mit d<strong>en</strong><strong>en</strong> Europa in der<br />

Vergang<strong>en</strong>heit sein asymmetrisches und<br />

koloniales Verhältnis zum afrikanisch<strong>en</strong><br />

Kontin<strong>en</strong>t und sein<strong>en</strong> Bewohnern organisierte<br />

und legitimierte. Dieser bis in die<br />

Geg<strong>en</strong>wart wirk<strong>en</strong>de koloniale Afrikadiskurs<br />

di<strong>en</strong>te immer auch der Stiftung und<br />

Stabilisierung der eig<strong>en</strong><strong>en</strong> Id<strong>en</strong>tität: In der<br />

„Entdeckung“ und Beschreibung des<br />

„dunkl<strong>en</strong> Kontin<strong>en</strong>ts“ ergründete und<br />

beschrieb sich Europa immer auch selbst.<br />

In der Tat geb<strong>en</strong> die europäisch<strong>en</strong> Projektion<strong>en</strong><br />

auf Afrika in erster Linie Aufschluß<br />

über die Wünsche und Befindlichkeit<strong>en</strong><br />

der europäisch<strong>en</strong> Kolonisierer. Sie<br />

sah<strong>en</strong> Afrika als Ergänzung und Zukunftsaufgabe<br />

Europas, als Ursprung und Vergang<strong>en</strong>heit<br />

sowie g<strong>en</strong>erell als das Fremde und<br />

„Andere“. Die Bezugnahme auf Afrika trug<br />

Züge des Phantastisch<strong>en</strong>, di<strong>en</strong>te gleichzeitig<br />

der Distanzierung und erwies sich langfristig<br />

als erstaunlich resist<strong>en</strong>t geg<strong>en</strong>über Veränderung<strong>en</strong>.<br />

Afrika als Ergänzung und Aufgabe<br />

Die räumliche Dim<strong>en</strong>sion der Alterität Afrikas<br />

spielte vor allem im Zeitalter von Imperialismus<br />

und Geopolitik eine wichtige Rol-<br />

le. Afrika schi<strong>en</strong> zu versprech<strong>en</strong>, was<br />

Europa nicht hatte: Raum, Rohstoffe,<br />

Absatzmärkte und Siedlungsgebiet. Im<br />

Wettlauf um die Weltherrschaft vor dem<br />

Erst<strong>en</strong> Weltkrieg versprach<strong>en</strong> sich die europäisch<strong>en</strong><br />

Imperialist<strong>en</strong> von der Vereinnahmung<br />

afrikanischer Gebiete Zugewinn an<br />

politischer Macht. Dabei g<strong>en</strong>ügte oft schon,<br />

die <strong>en</strong>tsprech<strong>en</strong>d<strong>en</strong> Territori<strong>en</strong> auf der<br />

Landkarte in preußisch-blau oder imperial<br />

red einzufärb<strong>en</strong>, um d<strong>en</strong> rivalisier<strong>en</strong>d<strong>en</strong><br />

europäisch<strong>en</strong> Mächt<strong>en</strong> d<strong>en</strong> eig<strong>en</strong><strong>en</strong> Weltmachtanspruch<br />

zu verdeutlich<strong>en</strong>. Doch verhieß<br />

afrikanisches Land Komp<strong>en</strong>sation<br />

auch für andere europäische Defizite. Vor<br />

allem in der deutsch<strong>en</strong> Kolonialpropaganda<br />

firmierte Afrika durchgängig als Rohstofflieferant,<br />

Absatzmarkt und pot<strong>en</strong>tielles<br />

Siedlungsgebiet für auswanderungswillige<br />

Reichsangehörige. Erweckt<strong>en</strong> im 19. Jahrhundert<br />

die weiß<strong>en</strong> Fleck<strong>en</strong> auf d<strong>en</strong> Landkart<strong>en</strong><br />

des „schwarz<strong>en</strong> Kontin<strong>en</strong>ts“ koloniale<br />

Begehrlichkeit<strong>en</strong> und Hoffnung<strong>en</strong> auf<br />

„Schätze nie geahnter Art“, so büßte das<br />

Rohstoff- und Absatzargum<strong>en</strong>t auch nach<br />

dem Erst<strong>en</strong> Weltkrieg nichts an Attraktivität<br />

ein. Obwohl beispielsweise der Import<br />

aus d<strong>en</strong> deutsch<strong>en</strong> Kolonialgebiet<strong>en</strong> zwisch<strong>en</strong><br />

1910 und 1913 nur 0,5% des Importvolum<strong>en</strong>s<br />

des Deutsch<strong>en</strong> Reiches ausgemacht<br />

hatte, betont<strong>en</strong> die Kolonialrevisionist<strong>en</strong><br />

der Weimarer Republik immer wieder<br />

die Notw<strong>en</strong>digkeit einer Rückgabe des alt<strong>en</strong><br />

Kolonialbesitzes, um von Rohstofflieferung<strong>en</strong><br />

aus dem Ausland unabhängig zu sein.<br />

Auch der Umstand, dass bis 1914 nur 24000<br />

Reichsangehörige tatsächlich in die deutsch<strong>en</strong><br />

Kolonialgebiete auswandert<strong>en</strong>,<br />

änderte nichts an der argum<strong>en</strong>tativ<strong>en</strong><br />

Anziehungskraft von Afrika als Raum ohne<br />

Volk für das „Volk ohne Raum“. Koloni<strong>en</strong><br />

war<strong>en</strong>, wie ein Reichstagsabgeordneter<br />

schon 1886 bemerkte, vor allem ein „Spielzeug<br />

für die nationale Phantasie“.<br />

J<strong>en</strong>seits aller imperial<strong>en</strong> Rivalität<strong>en</strong> und<br />

national<strong>en</strong> Hoffnung<strong>en</strong>, die auf Afrika projiziert<br />

wurd<strong>en</strong>, hatte die koloniale Erschließung<br />

des Kontin<strong>en</strong>ts jedoch von Anfang an<br />

ein<strong>en</strong> gemeineuropäisch<strong>en</strong> Charakter. Sie<br />

bildete eine frontier für die Kolonialmächte,<br />

der<strong>en</strong> selbstauferlegter Missionsauftrag<br />

nicht nur Christ<strong>en</strong>tum und Zivilisation, sondern<br />

auch die „Entwicklung“ des Kontin<strong>en</strong>ts<br />

durch die Segnung<strong>en</strong> der technisch<strong>en</strong><br />

Moderne umfaßte. Afrika galt als „natürlicher<br />

Ergänzungsraum“ Europas und di<strong>en</strong>te<br />

als „Laboratorium der Moderne“, als Experim<strong>en</strong>tierfeld<br />

für Landwirtschaft, Sozialpolitik,<br />

Medizin und Infrastruktur. Deutsche<br />

41


42<br />

beteiligt<strong>en</strong> sich auch nach 1918 an der<br />

Erschließung Afrikas, und eines der<br />

bekanntest<strong>en</strong> technisch<strong>en</strong> Großprojekte<br />

stammte von dem Münchner Architekt<strong>en</strong><br />

Hermann Sörgel. Dieser schlug angesichts<br />

der Konkurr<strong>en</strong>z der weltwirtschaftlich<strong>en</strong><br />

Großräume Asi<strong>en</strong> und Amerika vor, Afrika<br />

und Europa durch ein<strong>en</strong> Staudamm an der<br />

Straße von Gibraltar zu verbind<strong>en</strong> und<br />

durch teilweise Trock<strong>en</strong>legung des Mittelmeers<br />

und Bewässerung der Sahara zu<br />

einem Kontin<strong>en</strong>t nam<strong>en</strong>s „Atlantropa“<br />

zusamm<strong>en</strong>zufüg<strong>en</strong>. Über zwanzig Jahre<br />

lang wurde sein Vorschlag immer wieder<br />

ernsthaft diskutiert und erst nach Sörgels<br />

Tod 1952 zu d<strong>en</strong> Akt<strong>en</strong> gelegt. Diese technokratisch<strong>en</strong><br />

Erschließungs- und Entwicklungsideologi<strong>en</strong><br />

wie auch die Überzeugung<br />

von Afrika als gemeinsamer europäischer<br />

Aufgabe prägt<strong>en</strong> noch die Anfänge der offiziell<strong>en</strong><br />

Entwicklungshilfe nach dem Zweit<strong>en</strong><br />

Weltkrieg.<br />

Afrika als Ursprung und Vergang<strong>en</strong>heit<br />

Die meist<strong>en</strong> der eb<strong>en</strong> geschildert<strong>en</strong> Hoffnung<strong>en</strong><br />

und Wünsche war<strong>en</strong> Verheißung<strong>en</strong><br />

für die Zukunft und Projektion<strong>en</strong> einer<br />

nachhol<strong>en</strong>d<strong>en</strong> Entwicklung Afrikas. Gleichzeitig<br />

verlegt<strong>en</strong> europäische Beobachter<br />

d<strong>en</strong> Kontin<strong>en</strong>t in die Vergang<strong>en</strong>heit. Die<br />

Reise nach Afrika geriet <strong>zur</strong> real<strong>en</strong> oder<br />

imaginär<strong>en</strong> Zeitreise, ob auf dem Schiff<br />

oder in Völkerschau oder Völkerkundemuseum.<br />

Räumliche Distanz wurde in zeitliche<br />

Distanz übersetzt. Halbnackte „Kinder der<br />

Natur“ und eine aus der „Tertiärzeit“ übrig<br />

geblieb<strong>en</strong>e Tierwelt erweckt<strong>en</strong> bei europäisch<strong>en</strong><br />

Afrikareis<strong>en</strong>d<strong>en</strong> d<strong>en</strong> Eindruck, in ein<br />

geschichtslos-vorzivilisatorisches Stadium<br />

m<strong>en</strong>schlicher und tierischer Evolution versetzt<br />

word<strong>en</strong> zu sein. Bereits um 1900 war<br />

in Ostafrika der Blick in diese Vergang<strong>en</strong>heit<br />

bequem vom Zugf<strong>en</strong>ster aus möglich,<br />

und die Fahrt mit der Ugandabahn von<br />

Mombasa bis Nairobi im heutig<strong>en</strong> K<strong>en</strong>ia<br />

präs<strong>en</strong>tierte Afrika d<strong>en</strong> europäisch<strong>en</strong> Reis<strong>en</strong>d<strong>en</strong><br />

als d<strong>en</strong> größt<strong>en</strong> natürlich<strong>en</strong> Zoo der<br />

Welt: „Nowhere else in the world was it possible<br />

to look out upon such vast masses of<br />

wild beasts of infinite variety, as if travelling<br />

through a colossal Noah’s Ark. It was truly<br />

named ‘Nature’s Zoo’”, schrieb beispielsweise<br />

der amerikanische Journalist W. Robert<br />

Foran, der 1909 d<strong>en</strong> ehemalig<strong>en</strong> US-Präsid<strong>en</strong>t<strong>en</strong><br />

Roosevelt auf einer Jagdreise durch<br />

Britisch-Ostafrika begleitete. Der deutsche<br />

Jagd- und Forschungsreis<strong>en</strong>de Carl Georg<br />

Schillings glaubte sich in d<strong>en</strong> Wildstepp<strong>en</strong><br />

Ostafrikas mit einem vorweltlich<strong>en</strong> Tierpa-<br />

radies konfrontiert, das in dieser Form vor<br />

Jahrhundert<strong>en</strong> auch in Europa geherrscht<br />

habe, bevor es der Zivilisation habe weich<strong>en</strong><br />

müss<strong>en</strong>. Ähnliche Töne find<strong>en</strong> sich fünfzig<br />

Jahre später bei Bernhard Grzimek. Bei<br />

Schillings wie Grzimek nahm die Zeitreise<br />

nach Afrika durchaus auch selbst- und zivilisationskritische<br />

Züge an. Die europäische<br />

Begeisterung für die paradiesische Tierwelt<br />

des Kontin<strong>en</strong>ts und die Sorge um ihre<br />

Erhaltung hieß seit d<strong>en</strong> 1920er Jahr<strong>en</strong> allerdings<br />

in erster Linie, M<strong>en</strong>sch und Tier zu<br />

tr<strong>en</strong>n<strong>en</strong> und ganze Dörfer zugunst<strong>en</strong> der<br />

organisiert<strong>en</strong> Wildnis in Nationalparks<br />

umzusiedeln. Bis heute perpetuier<strong>en</strong> Dokum<strong>en</strong>tarfilme,<br />

aber auch die Tourismusindustrie<br />

d<strong>en</strong> Mythos von Afrika als wildem<br />

Kontin<strong>en</strong>t der Tiere, in dem M<strong>en</strong>sch<strong>en</strong><br />

schwarzer Hautfarbe als Bedrohung, M<strong>en</strong>sch<strong>en</strong><br />

weißer Hautfarbe hingeg<strong>en</strong> als Expert<strong>en</strong><br />

und Beschützer der paradiesisch<strong>en</strong><br />

Wildnis auftret<strong>en</strong>.<br />

Der Sichtweise Afrikas als Ursprung und<br />

Vergang<strong>en</strong>heit Europas lag die Annahme<br />

zugrunde, daß sich Wildnis in Afrika nur<br />

deshalb habe erhalt<strong>en</strong> könn<strong>en</strong>, weil die dortige<br />

Bevölkerung sich nicht wie der weiße<br />

M<strong>en</strong>sch aus der Knechtschaft der Natur<br />

befreit und „zivilisiert“ habe, sondern in<br />

ihrer Abhängigkeit verblieb<strong>en</strong> sei. Wildnis<br />

<strong>en</strong>tsprach daher dem „Naturvolk“, währ<strong>en</strong>d<br />

„Kulturvölker“ ihre Umwelt beherrscht<strong>en</strong><br />

und ihr<strong>en</strong> Bedürfniss<strong>en</strong> gemäß form<strong>en</strong> und<br />

gestalt<strong>en</strong> würd<strong>en</strong>. Die Auffassung von<br />

„Naturvölkern“ stand ganz in der Hegelsch<strong>en</strong><br />

Tradition des noch völlig „im natürlich<strong>en</strong><br />

Geiste befang<strong>en</strong><strong>en</strong>“ geschichtslos<strong>en</strong><br />

Kontin<strong>en</strong>ts, die jegliche Veränderung und<br />

„Entwicklung“ Anstöss<strong>en</strong> und Einflüss<strong>en</strong><br />

von auß<strong>en</strong> zuschrieb. Die Dichotomie in<br />

Natur- und Kulturvölker, Stämme und<br />

Gesellschaft<strong>en</strong> schrieb sich tief in europäische<br />

Wiss<strong>en</strong>sordnung<strong>en</strong> ein. Als sich geg<strong>en</strong><br />

Ende des 19. Jahrhunderts die Wiss<strong>en</strong>schaftslandschaft<br />

ausdiffer<strong>en</strong>zierte, übernahm<br />

die Soziologie die Erforschung <strong>en</strong>twickelter<br />

Gesellschaft<strong>en</strong>. Für geschichtslose,<br />

in der Natur und vor der (westlich<strong>en</strong>) Kultur<strong>en</strong>twicklung<br />

angesiedelte Völker hingeg<strong>en</strong><br />

war die Ethnologie zuständig. Sie <strong>en</strong>twickelte<br />

eine fast zwanghafte T<strong>en</strong>d<strong>en</strong>z <strong>zur</strong><br />

Sammlung und Musealisierung von Objekt<strong>en</strong><br />

traditioneller „Stämme“, bevor der<strong>en</strong><br />

vermeintliche Auth<strong>en</strong>tizität durch d<strong>en</strong> kolonial<strong>en</strong><br />

Einbruch der Geschichte verdorb<strong>en</strong><br />

würde. Konkurr<strong>en</strong>z im Interesse für die<br />

„Naturvölker“ erhielt die Ethnologie dabei<br />

interessanterweise von der früh<strong>en</strong> international<strong>en</strong><br />

Naturschutzbewegung, die Anfang


des 20. Jahrhunderts d<strong>en</strong> Schutz von<br />

„Naturvölkern“ noch als selbstverständlich<strong>en</strong><br />

Teil ihrer Ag<strong>en</strong>da begriff. Die archäologisch<strong>en</strong><br />

Funde fossiler Hominid<strong>en</strong> in<br />

Äthiopi<strong>en</strong>, Süd- und Ostafrika, welche die<br />

Wiege der gesamt<strong>en</strong> M<strong>en</strong>schheit eindeutig<br />

in Afrika lokalisiert<strong>en</strong>, vermocht<strong>en</strong> die<br />

europäische Auffassung von Afrika als<br />

Ursprung, Vorgeschichte und Natur eher<br />

noch zu verstärk<strong>en</strong>. Egal, ob diese zeitliche<br />

Distanz positiv als Ursprünglichkeit oder<br />

negativ als Primitivität beschrieb<strong>en</strong> wurde:<br />

sie plazierte Afrika in einer ander<strong>en</strong> Zeit<br />

als Europa und produzierte dadurch<br />

Abstand, „Fortschritt“ und „Entwicklung“.<br />

Alterität und Universalismus<br />

Die hier beschrieb<strong>en</strong><strong>en</strong> Konstruktion<strong>en</strong><br />

Afrikas als Ursprung und Vergang<strong>en</strong>heit<br />

einerseits, Ergänzung und Zukunftsaufgabe<br />

andererseits sind Ausprägung<strong>en</strong> eines kolonial<strong>en</strong><br />

Diskurses, der Afrika Gleichzeitigkeit<br />

wie Gleichwertigkeit verweigerte und als<br />

das fundam<strong>en</strong>tal Andere Europas <strong>en</strong>twarf.<br />

Der Literaturwiss<strong>en</strong>schaftler Abdul JanMohammed<br />

hat in seiner Untersuchung europäischer<br />

Kolonialliteratur diese Zuschreibungsmechanism<strong>en</strong><br />

als eine Reihe implizit<br />

und explizit vorg<strong>en</strong>omm<strong>en</strong>er „manichäischer“<br />

Fixierung<strong>en</strong> id<strong>en</strong>tifiziert: Afrika und<br />

Europa stand<strong>en</strong> jeweils für Tradition und<br />

Moderne, Schwarz und Weiß, Natur und<br />

Kultur, Barbararei und Zivilisation, Stamm<br />

und Gesellschaft, Heid<strong>en</strong>tum und Aufklärung,<br />

Emotion und Vernunft, Rückständigkeit<br />

und Fortschritt, Geschichtslosigkeit<br />

und Entwicklung. Die Reihe ließe sich beliebig<br />

fortsetz<strong>en</strong>. Sie zeigt, daß der Konstruktion<br />

Afrikas als „Anderem“ im europäisch<strong>en</strong><br />

Bewußtsein immer eine Dim<strong>en</strong>sion der<br />

Ungleichzeitigkeit eingeschrieb<strong>en</strong> war.<br />

Zudem führt die Geg<strong>en</strong>überstellung dieser<br />

Wertzuweisung<strong>en</strong> deutlich vor Aug<strong>en</strong>, wie<br />

sehr in Europa als selbstverständlich und<br />

universal verstand<strong>en</strong>e Begriffe und Konzepte<br />

in der Praxis <strong>zur</strong> Abgr<strong>en</strong>zung und Festigung<br />

europäischer Id<strong>en</strong>tität und Überleg<strong>en</strong>heit<br />

di<strong>en</strong>t<strong>en</strong>. Europa hat „Fortschritt“,<br />

„Entwicklung“ und „Zivilisation“ nicht alleine<br />

aus sich heraus hervorgebracht, sondern<br />

diese Konzepte immer auch in Abgr<strong>en</strong>zung<br />

zum „Ander<strong>en</strong>“, im hier diskutiert<strong>en</strong> Falle<br />

Afrika, <strong>en</strong>tworf<strong>en</strong>.<br />

Sicherlich hab<strong>en</strong> Dekolonisation, Migration<br />

und die Gleichzeitigkeit der globalisiert<strong>en</strong><br />

Welt in d<strong>en</strong> letzt<strong>en</strong> Jahrzehnt<strong>en</strong> eb<strong>en</strong>so<br />

wie die jüngst<strong>en</strong> Entwicklung<strong>en</strong> in der<br />

Kommunikationstechnologie dazu beigetrag<strong>en</strong>,<br />

daß der universale Anspruch des euro-<br />

päisch-westlich<strong>en</strong> Selbst<strong>en</strong>twurfs von<br />

Modernität, Fortschritt und „Zivilisation“<br />

fragwürdig und die „Mauer der Myth<strong>en</strong>“<br />

(Joseph Ki-Zerbo) zwisch<strong>en</strong> Europa und<br />

Afrika kleiner geword<strong>en</strong> sind. Doch führt<br />

das einleit<strong>en</strong>de Beispiel der Augsburger<br />

Diskussion<strong>en</strong> vor Aug<strong>en</strong>, daß längst nicht<br />

alle m<strong>en</strong>tal<strong>en</strong> Kolonialism<strong>en</strong> verschwund<strong>en</strong><br />

sind und die T<strong>en</strong>d<strong>en</strong>z einer exotistisch<strong>en</strong><br />

Reduktion Afrikas auf seine vermeintliche<br />

„Andersartigkeit“ nach wie vor besteht.<br />

D<strong>en</strong>noch: in d<strong>en</strong> Debatt<strong>en</strong> um die Augsburger<br />

Veranstaltung verschafft<strong>en</strong> sich die<br />

Interess<strong>en</strong>grupp<strong>en</strong> der Minderheit Schwarzer<br />

Deutscher Gehör und machte auf das<br />

Fortwirk<strong>en</strong> kolonialer Prägung<strong>en</strong> in der<br />

deutsch<strong>en</strong> Gesellschaft aufmerksam. Die<br />

Geschichte der afrikanisch<strong>en</strong> Diaspora in<br />

Deutschland ist jüngst verstärkt ins Blickfeld<br />

der Kulturwiss<strong>en</strong>schaft<strong>en</strong> gelangt,<br />

eb<strong>en</strong>so die deutsche Kolonialgeschichte.<br />

Eine Reihe von Ged<strong>en</strong>kveranstaltung<strong>en</strong><br />

anläßlich der Kolonialkriege vor 100 Jahr<strong>en</strong><br />

in d<strong>en</strong> ehemalig<strong>en</strong> deutsch<strong>en</strong> Koloni<strong>en</strong><br />

Südwest- und Ostafrika sind Beleg, daß sich<br />

in Deutschland mom<strong>en</strong>tan eine geschärfte<br />

Aufmerksamkeit geg<strong>en</strong>über der eig<strong>en</strong><strong>en</strong><br />

kolonial<strong>en</strong> Vergang<strong>en</strong>heit <strong>en</strong>twickelt. Es<br />

steht zu hoff<strong>en</strong>, daß diese Aufmerksamkeit<br />

nicht nur der Konjunktur runder Jahrestage<br />

geschuldet ist.<br />

Literatur<br />

· Arndt, Susan (Hg.): AfrikaBilder. Studi<strong>en</strong> zu<br />

Rassismus in Deutschland. Münster 2001.<br />

· Dies., Antje Hornscheidt (Hg.): Afrika und die<br />

deutsche Sprache. Ein kritisches Nachschlagewerk.<br />

Münster 2004.<br />

· Conrad, Sebastian; Shalini Randeria (Hg.): J<strong>en</strong>seits<br />

des Euroz<strong>en</strong>trismus. Postkoloniale Perspektiv<strong>en</strong><br />

in d<strong>en</strong> Geschichts- und Kulturwiss<strong>en</strong>schaft<strong>en</strong>.<br />

Frankfurt/M., New York 2002.<br />

· Fabian, Johannes: Time and the Other. How<br />

Anthropology makes its Object. New York<br />

1983.<br />

· JanMohammed, Abdul: Manichean Aesthetics.<br />

The Politics of Literature in Colonial Africa.<br />

Amherst 1983.<br />

· Kundrus, Birthe (Hg.): Phantasiereiche. Zur<br />

Kulturgeschichte des deutsch<strong>en</strong> Kolonialismus.<br />

Frankfurt/M., New York 2003.<br />

· Mazón, Patricia, Reinhild Steingröver (Hg.):<br />

Not so plain as black and white. Afro-German<br />

Culture and History, 1890-2000. Rochester<br />

2005.<br />

· van Laak, Dirk: Imperiale Infrastruktur. Deutsche<br />

Planung<strong>en</strong> für eine Erschließung Afrikas<br />

1880 bis 1960. Paderborn u.a. 2004.<br />

43


44<br />

Tagebuch einer Kolonialisierung<br />

von ANNABEL EISELE<br />

ies ist die Geschichte von Europäern,<br />

die aus Ab<strong>en</strong>teuerlust, Gier, militärischer<br />

Pflichterfüllung oder auch<br />

Grausamkeit nach Afrika zog<strong>en</strong>, um sich<br />

ein neues Land zu unterwerf<strong>en</strong>.<br />

Stell<strong>en</strong> wir uns vor, ihre Reiseberichte würd<strong>en</strong><br />

in Zeitung<strong>en</strong> gedruckt, in Tagebucheinträg<strong>en</strong><br />

verewigt werd<strong>en</strong> oder in Briefe verfasst<br />

vorlieg<strong>en</strong>. So oder ähnlich könnt<strong>en</strong><br />

ihre aufgeschrieb<strong>en</strong><strong>en</strong> Erlebnisse laut<strong>en</strong>:<br />

Januar 1472<br />

Nach unserer viel zu lang<strong>en</strong> Reise, die ihr<strong>en</strong><br />

Anfang in Portugal fand, segelt<strong>en</strong> wir unter<br />

der Flagge des Königshauses an eine uns bis<br />

dahin unbekannte Küste. In einem Fluss-<br />

Delta ankert nun unser Schiff. Die ausgezehrt<strong>en</strong><br />

Matros<strong>en</strong> glaubt<strong>en</strong> das Paradies vor<br />

Aug<strong>en</strong>, als sie beim Bad<strong>en</strong> auf d<strong>en</strong> schier<br />

unerschöpflich<strong>en</strong> Reichtum dieses Gewässers<br />

stieß<strong>en</strong>. Köstliche Krabb<strong>en</strong>, tonn<strong>en</strong>weise<br />

von d<strong>en</strong> Tier<strong>en</strong>, füll<strong>en</strong> seither unsere<br />

Mäg<strong>en</strong> und Vorratskammern. Unsere<br />

Mannschaft taufte d<strong>en</strong> Fluß daher Rio de<br />

Camaroes, zu deutsch Krabb<strong>en</strong>fluss.<br />

Kapitän Fernando do Poo


Oktober 1520<br />

Unsere portugiesiche Armada kommt mit<br />

voll belad<strong>en</strong><strong>en</strong> Schiff<strong>en</strong> <strong>zur</strong>ück. Die Lagerräume,<br />

sogar unser Deck, sind voll mit Neuem<br />

und in Portugal häufig auch Unbekanntem.<br />

Unsere Haupthandelspartner sind die<br />

Könige der Küst<strong>en</strong>stämme. Unsere heutige<br />

Fracht verdank<strong>en</strong> wir zu groß<strong>en</strong> Teil<strong>en</strong> dem<br />

König von Duala. Sklav<strong>en</strong>, Elf<strong>en</strong>bein und<br />

Palmöl scheint es hier im Überfluss zu<br />

geb<strong>en</strong>. Portugals Handel geht neue Wege.<br />

Pläne für die Anlage von Zuckerrohrplantag<strong>en</strong><br />

lieg<strong>en</strong> bereits vor.<br />

Eintrag eines unbekannt<strong>en</strong><br />

Kapitäns in das Logbuch<br />

April 1807<br />

Die Brit<strong>en</strong> hab<strong>en</strong> dieses Jahr d<strong>en</strong> Sklav<strong>en</strong>handel<br />

für illegal erklärt. Aber wo kein Kläger,<br />

da kein Richter. Ich verschiffe weiterhin<br />

M<strong>en</strong>sch<strong>en</strong> nach Europa. Das Ende des M<strong>en</strong>sch<strong>en</strong>handels<br />

wäre mein Ruin. Allerdings<br />

hat sich nun eine neue Geldquelle für die<br />

lang<strong>en</strong> und kostspielig<strong>en</strong> Überfahrt<strong>en</strong> aufgetan.<br />

Auf jeder Reise bringe ich Missionare<br />

in das Land und die Klöster zahl<strong>en</strong> gutes<br />

Geld für ihre Reise.<br />

Ein europäischer Kaufmann<br />

März 1815<br />

Seit zwei Monat<strong>en</strong> erforsche ich im Auftrag<br />

der Königlich<strong>en</strong> Geographisch<strong>en</strong> Gesellschaft<br />

London innerhalb meiner Reise<br />

durch die Sahara – oder besser gesagt <strong>en</strong>tlang<br />

der Wüste – auch d<strong>en</strong> Nord<strong>en</strong> des Landes.<br />

Ich komme dabei hauptsächlich durch<br />

noch unangetastetes Hinterland. Alles, was<br />

ich hier sehe, scheint mir wild und gefährlich.<br />

Heinrich Barth, Afrikaforscher<br />

März 1839<br />

Die Häuptlinge schließ<strong>en</strong> mit uns Brit<strong>en</strong><br />

Verträge. Beide Seit<strong>en</strong> woll<strong>en</strong> vom Sklav<strong>en</strong>handel<br />

<strong>en</strong>dgültig Abstand nehm<strong>en</strong>.<br />

Ein europäischer Kaufmann<br />

April 1862<br />

Nun hält auch hier Recht und Ordnung einzug.<br />

In Deutsch-Ostafrika wurde ein<br />

Schiedsgericht aus Brit<strong>en</strong> und Afrikanern<br />

eingerichtet.<br />

Ein stationierter G<strong>en</strong>eral<br />

März 1868<br />

Wir Deutsch<strong>en</strong> hab<strong>en</strong> unser<strong>en</strong> Einfluß in<br />

diesem afrikanisch<strong>en</strong> Land unserem kaufmännisch<strong>en</strong><br />

Geschick zu verdank<strong>en</strong>. In diesem<br />

Frühjahr hab<strong>en</strong> wir Handelsniederlassung<strong>en</strong><br />

an der Mündung des Flusses Wouri<br />

eröffnet.<br />

Ein Mitarbeiter des Handelshauses<br />

Woermann, Hambug<br />

Juli 1884<br />

Nun ist es also gescheh<strong>en</strong>. Ich kam als wissbegieriger<br />

Arzt des Militärs und gehe als<br />

Eroberer. Als erster Europäer reiste ich<br />

durch das Innere der anschein<strong>en</strong>d unbezähmbar<strong>en</strong><br />

Sahara. Der Abschluss von<br />

Schutzverträg<strong>en</strong> mit d<strong>en</strong> Fürst<strong>en</strong> Dualas<br />

und ander<strong>en</strong> afrikanisch<strong>en</strong> Herrschern<br />

emöglichte es mir, die noch nicht von ander<strong>en</strong><br />

Möcht<strong>en</strong> beansprucht<strong>en</strong> Gebiete in<br />

Kamerun, dem Land der Krabb<strong>en</strong>, und in<br />

Togo unter deutsche Herrschaft zu stell<strong>en</strong>.<br />

Bismarck selbst gab mir d<strong>en</strong> Auftrag, nach<br />

Abschluss der Verträge die deutsche Fahne<br />

in Kamerun zu hiss<strong>en</strong> und so das Land zu<br />

deutschem Schutzgebiet zu erklär<strong>en</strong>, nachdem<br />

ich die ob<strong>en</strong> g<strong>en</strong>annt<strong>en</strong> Verträge ausgehandelt<br />

habe. Bismarck wurde vom hier<br />

ansässig<strong>en</strong> Handelshaus Woermann geradezu<br />

zu diesem Schritt gedrängt. Er gab dies<strong>en</strong><br />

Auftrag an mich weiter.<br />

Gustav Nachtigal, deutscher Militärarzt<br />

Mitte Juli 1884<br />

Diese Deutsch<strong>en</strong>! Unter Protest musste ich<br />

<strong>zur</strong> K<strong>en</strong>ntnis nehm<strong>en</strong>, dass die Deutsch<strong>en</strong><br />

Kamerun vor fünf Tag<strong>en</strong> zu deutschem<br />

Schutzgebiet erklärt hab<strong>en</strong>. Es ist einfach<br />

unglaublich. Das Land sollte doch unter<br />

d<strong>en</strong> Schutz der Britisch<strong>en</strong> Krone gestellt<br />

werd<strong>en</strong>!<br />

Ein britischer Konsul<br />

Kongo-Konfer<strong>en</strong>z 1885<br />

Die Gr<strong>en</strong>z<strong>en</strong> des Schutzgebiets wurd<strong>en</strong> auf<br />

der Kongo-Konfer<strong>en</strong>z in Berlin festgelegt.<br />

Weil uns die Eingebor<strong>en</strong><strong>en</strong> nicht akzeptier<strong>en</strong>,<br />

kommt es zu Aufständ<strong>en</strong>. Das Volk der<br />

Douala streitet um die Beträge, die deutsche<br />

Firm<strong>en</strong> für die vertraglich<strong>en</strong> Rechte<br />

unter ihrem König Bell gezahlt hab<strong>en</strong>. Dies<strong>en</strong><br />

und andere Aufstände wurd<strong>en</strong> von uns<br />

blutig niedergeschlag<strong>en</strong>.<br />

Ein deutscher G<strong>en</strong>eral<br />

45


Juli 1887<br />

Die Zivilisation hält Einzug. Heute hab<strong>en</strong><br />

wir die erste Regierungsschule eröffnet.<br />

Wie ich soeb<strong>en</strong> erfahr<strong>en</strong> habe, erforscht<br />

Eug<strong>en</strong> Zintgraff das nordwestliche Hinterland<br />

und hat dort die Barombi Station<br />

gegründet. Hauptmann Kund erforscht das<br />

südliche Hinterland.<br />

Ein Schulmeister<br />

März 1889<br />

Endlich habe ich das Grasland erreicht.<br />

Hier werde ich eine Station mit dem<br />

Nam<strong>en</strong> Baliburg erricht<strong>en</strong>.<br />

Eug<strong>en</strong> Zintgraff<br />

Mai 1890<br />

Nun bin ich von Kribi/ Südkamerun bis<br />

nach Jaunde vorgedrung<strong>en</strong>. Hier werde ich<br />

eine Station gründ<strong>en</strong>.<br />

Hauptmann Morg<strong>en</strong><br />

Juni 1891<br />

Schon zu Beginn des Jahres hab<strong>en</strong> wir eine<br />

Polizeitruppe aufgestellt. D<strong>en</strong>noch hab<strong>en</strong><br />

wir immer wieder Verluste durch d<strong>en</strong><br />

Widerstand der Einheimisch<strong>en</strong> zu beklag<strong>en</strong>.<br />

Eine Handelsexpedition drang von der<br />

Station Baliburg nach Bafut vor. Dort wurde<br />

sie in ein<strong>en</strong> Kampf mit d<strong>en</strong> Bafut verwikkelt,<br />

bei dem vier Deutsche getötet wurd<strong>en</strong>.<br />

Ein deutscher G<strong>en</strong>eral<br />

Juni 1893<br />

Kamerun wird über ein <strong>en</strong>glisches Kabel an<br />

das Welttelegraph<strong>en</strong>netz angeschloss<strong>en</strong>.<br />

Welch ein Triumph der Technik, von dem<br />

bald die ganze Welt profitier<strong>en</strong> kann. Es<br />

lebe der Fortschritt.<br />

Ein Ing<strong>en</strong>ieur<br />

Juli 1898<br />

Die Erforschung des südöstlich<strong>en</strong> Kameruns<br />

hat sich gelohnt. Wir hab<strong>en</strong> reiche<br />

Gummibestände gefund<strong>en</strong>. Die Wute-Adamaua-<br />

Expedition drang unter teils schwer<strong>en</strong><br />

Kämpf<strong>en</strong> bis Joko und Ngaundere vor.<br />

Der Kampf war hart.<br />

Ein Expeditionsteilnehmer<br />

Januar 1900<br />

Transportprobleme und der Widerstand<br />

der Bevölkerung behindern die Erschlie-<br />

46<br />

ßung des Gebietes Schließlich ist es uns<br />

aber doch gelung<strong>en</strong>, weitere große Kakao-,<br />

Palm<strong>en</strong>- und Kautschukplantag<strong>en</strong> und einige<br />

Straß<strong>en</strong> anzuleg<strong>en</strong>. Außerdem wurde mit<br />

dem Bau einer Eis<strong>en</strong>bahn sowie der Anlage<br />

des Haf<strong>en</strong>s von Douala an der Atlantikküste<br />

begonn<strong>en</strong>.<br />

Ein deutscher G<strong>en</strong>eral<br />

5. Mai 1902<br />

Die Tschadsee-Expedition erreicht nach<br />

kriegerisch<strong>en</strong> Auseinandersetzung<strong>en</strong>, die<br />

nördlichste Spitze Kameruns. Jetzt hab<strong>en</strong><br />

wir es geschafft. Wir sind quer durch das<br />

Land gezog<strong>en</strong>.<br />

Ein Expeditionsteilnehmer<br />

März 1909<br />

Nicht nur die Eröffnung der Man<strong>en</strong>gubabahn<br />

im Nordwest<strong>en</strong> des Landes zeugt vom<br />

Fortschritt in unserer Kolonie. Seit diesem<br />

Jahr gibt es auch das erste Lepraheim in<br />

Ossidinge. Die medizinische Versorgung<br />

der Eingebor<strong>en</strong><strong>en</strong> wird durch Impfung<strong>en</strong><br />

und Krank<strong>en</strong>station<strong>en</strong> verbessert. Das<br />

schützt auch die Weiß<strong>en</strong>.<br />

Ein Arzt<br />

Juli 1911<br />

Die zweite Marokko-Krise hat uns ein<br />

Gestalt von einem Gebiet, das wir nun<br />

„Neu-Kamerun“ n<strong>en</strong>n<strong>en</strong>, 280 000 Quadratkilometer<br />

Land für Deutschland gebracht.<br />

Die Deutsch<strong>en</strong> träum<strong>en</strong> von einem zusamm<strong>en</strong>häng<strong>en</strong>d<strong>en</strong><br />

mittelafrikanisch<strong>en</strong> Kolonialgebiet.<br />

Der Marokko-Kongo-Vertrag geht<br />

auf Kost<strong>en</strong> der französisch<strong>en</strong> Koloni<strong>en</strong>.<br />

Ein deutscher G<strong>en</strong>eral<br />

Oktober 1914<br />

In Douala brech<strong>en</strong> weg<strong>en</strong> der geplant<strong>en</strong><br />

Enteignung von Land der Eingebor<strong>en</strong><strong>en</strong><br />

Unruh<strong>en</strong> aus. Oberhäuptling Rudolf Manga<br />

Bell wird deshalb in einem Hochverratsprozeß<br />

zum Tode verurteilt und am 9.8.14 hingerichtet.<br />

Die Dualas unterstütz<strong>en</strong> die Alliiert<strong>en</strong>.<br />

Bei Kriegsausbruch am 1.8.14 verfügt<br />

die Schutztruppe für Kamerun über<br />

185 weiße und 1550 eingebor<strong>en</strong>e Soldat<strong>en</strong>.<br />

Am 27.9 wird Duala durch Alliierte Trupp<strong>en</strong><br />

besetzt. Alle Deutsch<strong>en</strong> werd<strong>en</strong> interniert<br />

und außer Landes gebracht.<br />

Ein Geschichtsschreiber


Januar 1915<br />

Die Schutztruppe ist <strong>zur</strong>ück. Sie kämpft<br />

geg<strong>en</strong> Engländer, Franzos<strong>en</strong> und Belgier<br />

ohne Nachschub zu erhalt<strong>en</strong>. Eine zusamm<strong>en</strong>häng<strong>en</strong>de<br />

mittelafrikanische Kolonie<br />

ist in diesem Weltkrieg unser Kriegsziel.<br />

Wie das alles ausgeh<strong>en</strong> wird, weiß niemand.<br />

Ein deutscher G<strong>en</strong>eral<br />

März 1916<br />

Am 20. Februar 1916 begab sich die letzte<br />

Garnison in Mora/Nordkamerun nach der<br />

Zusage eines frei<strong>en</strong> Abzugs in die Hände<br />

der Brit<strong>en</strong>.<br />

Ein deutscher Soldat<br />

Dezember 1919<br />

Wir hab<strong>en</strong> geg<strong>en</strong> die Welt verlor<strong>en</strong>. Unser<br />

Land in Afrika geht laut dem Versailler Vertrag<br />

nach dem Weltkrieg als Mandatsgebiet<br />

an d<strong>en</strong> Völkerbund. Dabei wurde ein Fünftel<br />

des Territoriums, das an Ost-Nigeria<br />

angr<strong>en</strong>zte, Großbritanni<strong>en</strong> zugeteilt. Die<br />

übrig<strong>en</strong> vier Fünftel wurd<strong>en</strong> Frankreich<br />

zugesproch<strong>en</strong>. Deutschland ist am Ende.<br />

Britisch-Kamerun besteht nun aus Nordund<br />

Süd-Kamerun, die durch ein<strong>en</strong> 72<br />

Kilometer lang<strong>en</strong> Streif<strong>en</strong> <strong>en</strong>tlang des Flusses<br />

B<strong>en</strong>ue getr<strong>en</strong>nt sind. Der von sudanische<br />

Sprach<strong>en</strong> sprech<strong>en</strong>d<strong>en</strong> Völkern<br />

bewohnte Nordteil wird als Teil Nord-Nigerias<br />

verwaltet. Das von viel<strong>en</strong> verschied<strong>en</strong>er<br />

Ethni<strong>en</strong> bewohnte Süd-Kamerun wird als<br />

Teil der Föderation Nigeria verwaltet, hat<br />

aber ein regional gewähltes Parlam<strong>en</strong>t.<br />

Französisch-Kamerun erhielt als eig<strong>en</strong>ständiges<br />

Gebiet eine von ander<strong>en</strong> Koloni<strong>en</strong><br />

unabhängige Verwaltung.<br />

Ein deutscher G<strong>en</strong>eral<br />

September 1928<br />

Deutschland ist unter all<strong>en</strong> Länders des<br />

Krieges das einzige, das mit Fug und recht<br />

behaupt<strong>en</strong> kann, der Fried<strong>en</strong>svertrag habe<br />

ihm Nutz<strong>en</strong> gebracht. Es hat zwar Gebiete<br />

verlor<strong>en</strong>, es muss schwere Reparation<strong>en</strong> leist<strong>en</strong>,<br />

und noch ist ein Stück Rheinufer<br />

besetzt. Dafür aber ist es aus der Sphäre des<br />

Imperialismus heraus, und es hat kein<br />

Deutschland in Übersee zu verteidig<strong>en</strong>.<br />

Carl von Ossietzky<br />

Literatur<br />

· http://de.wikipedia.org/wiki/Kamerun#Gesch<br />

ichte (1.11.2005)<br />

· http://www.auswaertigesamt.de/www/de/la<strong>en</strong>derinfos<br />

(Juni 2005)<br />

· http://www.kamerun.net (Oktober 2005)<br />

· Bundesz<strong>en</strong>trale für Politische Bildung: Aus Politik<br />

und Zeitgeschichte 4/2005, 24. Januar<br />

2005, „Afrika“<br />

Deutsche Kolonialkarte<br />

von Kamerun;<br />

aus : Gisela Graich<strong>en</strong>,<br />

Horst Gründer, Deutsche<br />

Koloni<strong>en</strong>. Traum<br />

und Trauma, Berlin:<br />

Ullstein 2005<br />

47


48<br />

Sprachlos in Nairobi<br />

Postkoloniale Literatur in Afrika<br />

von SVEN WEBER<br />

ie „Theorie des Postkolonialismus“<br />

beinhaltet Diskussion<strong>en</strong> über Them<strong>en</strong>komplexe<br />

verschied<strong>en</strong>ster Art:<br />

Migration, Sklaverei, Unterdrückung,<br />

Widerstand, Geschichte, Philosophie und<br />

Sprache. Weiterhin werd<strong>en</strong> die grundleg<strong>en</strong>d<strong>en</strong><br />

Praktik<strong>en</strong> des Sprech<strong>en</strong>s und Schreib<strong>en</strong>s<br />

behandelt, durch die all die g<strong>en</strong>annt<strong>en</strong><br />

Aspekte <strong>en</strong>tsteh<strong>en</strong>.<br />

Betrachtet man jed<strong>en</strong> Them<strong>en</strong>komplex<br />

für sich alleine, so kann keiner d<strong>en</strong> Begriff<br />

„postkolonial“ erschöpf<strong>en</strong>d beschreib<strong>en</strong>,<br />

zusamm<strong>en</strong> jedoch bild<strong>en</strong> sie die komplexe<br />

Struktur dieser Disziplin, die unter anderem<br />

in Geschichtswiss<strong>en</strong>schaft<strong>en</strong>, der politisch<strong>en</strong><br />

Theorie, sowie d<strong>en</strong> Literaturwiss<strong>en</strong>schaft<strong>en</strong><br />

beheimatet ist. D<strong>en</strong> Anspruch, das<br />

No!<br />

I will not still my voice!<br />

I have<br />

Too much claimif<br />

you see me looking at books coming to your house<br />

or walking in the sun<br />

know that I look for fire!<br />

I have learnt<br />

from books dear fri<strong>en</strong>d<br />

of m<strong>en</strong> dreaming and living<br />

and hungering in a room without a light<br />

who could not die since death was far too poor<br />

who did not sleep to dream, but dreamed to change the world!<br />

And so<br />

if you see me<br />

looking at your hands<br />

list<strong>en</strong>ing wh<strong>en</strong> you speak<br />

marching in your ranks<br />

you must know<br />

I do not sleep to dream, but dream to change the world.<br />

Martin Carter 1<br />

Phänom<strong>en</strong> „Postkolonialismus“ erschöpf<strong>en</strong>d<br />

zu erklär<strong>en</strong>, kann dieser Aufsatz nicht<br />

hab<strong>en</strong> – eine kurze Einführung in einige<br />

postkoloniale Fragestellung<strong>en</strong> der Literaturwiss<strong>en</strong>schaft<strong>en</strong><br />

soll die Tür zu diesem oft<br />

widersprüchlich diskutiert<strong>en</strong> Them<strong>en</strong>komplex<br />

ein<strong>en</strong> Spalt breit öffn<strong>en</strong> und d<strong>en</strong> interessiert<strong>en</strong><br />

Leser zum Weiterles<strong>en</strong> motivier<strong>en</strong>.<br />

Sprache ist ein fundam<strong>en</strong>taler Aspekt<br />

des postkolonial<strong>en</strong> Diskurses, da der Kolonialisierungsprozess<br />

selber mit der Sprache<br />

beginnt. Die Macht des Imperialismus gipfelt<br />

in der Festlegung der Amtssprache und<br />

stellt das wirksamste Instrum<strong>en</strong>t kultureller<br />

Kontrolle dar. Sprache liefert uns die Wörter,<br />

mit der die Welt verstand<strong>en</strong> werd<strong>en</strong>


kann. Sie bildet d<strong>en</strong> Schlüssel <strong>zur</strong> Konstruktion<br />

der Realität. Durch ihre bewert<strong>en</strong>de<br />

Eig<strong>en</strong>schaft wird Sprache zu einem System,<br />

auf dem soziale, ökonomische und politische<br />

Diskurse basier<strong>en</strong>.<br />

Sprache ist auch die Macht „etwas b<strong>en</strong><strong>en</strong>n<strong>en</strong><br />

zu könn<strong>en</strong>“. Da die Literatur früherer<br />

imperialer Koloni<strong>en</strong> diese Kontrolle der<br />

Sprach<strong>en</strong> dez<strong>en</strong>tralisierte, dekolonialisierte<br />

sich die Sprache bis zu einem gewiss<strong>en</strong><br />

Grad selber. Die „zweisprachig<strong>en</strong> Intellektuell<strong>en</strong>“<br />

unter d<strong>en</strong> postkolonial<strong>en</strong> Schriftsteller<br />

musst<strong>en</strong> das Kräftespiel der Mächte<br />

bezüglich einiger Spannungsfelder wie z.B.<br />

„Kolonialisierte – Kolonialmacht“ und „Einheimische<br />

– Ausländer“ aushandeln. Die<br />

postkoloniale Literatur selber ist ein<br />

Schlachtfeld, auf dem das aktive Streb<strong>en</strong><br />

nach Dekolonialisierung weiter ausgespielt<br />

wird.<br />

Bewaffnet mit ihr<strong>en</strong> Stift<strong>en</strong> bezieh<strong>en</strong> sich<br />

diese Autor<strong>en</strong> auf „die Dominanz der imperialisitisch<strong>en</strong><br />

Sprache“ in Form des Ausbildungssystems,<br />

der ökonomische Struktur<br />

und der Medi<strong>en</strong>, durch die antiimperialistische<br />

Ide<strong>en</strong> unterdrückt werd<strong>en</strong>.<br />

Die postkoloniale Stimme kann auf zwei<br />

unterschiedliche Art<strong>en</strong> <strong>en</strong>tscheid<strong>en</strong>, sich<br />

der imperialistisch<strong>en</strong> sprachlich<strong>en</strong> Dominierung<br />

zu verwehr<strong>en</strong> – indem sie die Sprache<br />

der Kolonialmacht völlig <strong>zur</strong>ückweist<br />

und in ihrer Muttersprache publiziert oder<br />

das Imperium untergräbt, indem sie ihre<br />

Antwort<strong>en</strong> in einer europäisch<strong>en</strong> Sprache<br />

formuliert.<br />

Ein Autor, der sich für d<strong>en</strong> erst<strong>en</strong> dieser<br />

beid<strong>en</strong> Wege <strong>en</strong>tschied, ist der k<strong>en</strong>ianische<br />

Autor Ngugi Wa Thiong´o. Er wurde 1938<br />

als Sohn eines Bauern in Limuru gebor<strong>en</strong>.<br />

Nach dem Besuch der Missionsschule studierte<br />

er am Makarere University College<br />

und begann dort seine schriftstellerische<br />

Laufbahn. Seit 1978 publiziert er in seiner<br />

eig<strong>en</strong><strong>en</strong> Sprache, dem Kikuyu, einer rein<strong>en</strong><br />

Sprechsprache, für die es bis dahin kaum<br />

Versuche einer Verschriftlichung gab. Der<br />

k<strong>en</strong>ianische Schriftsteller und Kulturwiss<strong>en</strong>schaftler,<br />

der sich als antikolonialer Autor<br />

versteht, gilt heute als einer der bedeut<strong>en</strong>dst<strong>en</strong><br />

Autor<strong>en</strong> Ostafrikas. Populär macht<strong>en</strong><br />

ihn nicht nur die aufklärerisch<strong>en</strong> Them<strong>en</strong>,<br />

sondern sein Widerstand geg<strong>en</strong> die britische<br />

Kolonialpolitik und die spätere postkoloniale<br />

Herrschaft der Moi-Regierung sowie<br />

sein Bezug auf traditionelle afrikanische<br />

Theater- und Erzählkunst.<br />

In d<strong>en</strong> spät<strong>en</strong> 70er Jahr<strong>en</strong> ließ ihn sein<br />

Engagem<strong>en</strong>t in Kunst und Gesellschaft einige<br />

kommunale Theatergrupp<strong>en</strong> in Dörfern<br />

gründ<strong>en</strong>, die einige seiner kritischst<strong>en</strong> Werke<br />

aufführt<strong>en</strong>. Diese Stücke portraitiert<strong>en</strong><br />

die politische Korruption des postkolonial<strong>en</strong><br />

Leb<strong>en</strong>s in K<strong>en</strong>ia, sowie d<strong>en</strong> Kampf der<br />

M<strong>en</strong>sch<strong>en</strong>, ihre Id<strong>en</strong>tität trotz der <strong>zur</strong>ücklieg<strong>en</strong>d<strong>en</strong><br />

Jahre von rau<strong>en</strong> politisch<strong>en</strong> und<br />

sozial<strong>en</strong> Veränderung<strong>en</strong> zu definier<strong>en</strong>. Im<br />

Jahr 1977 wurde Ngugi für sein Engagem<strong>en</strong>t<br />

an d<strong>en</strong> kommunal<strong>en</strong> Theatern verhaftet.<br />

Im Gefängnis wurde ihm die Dringlichkeit<br />

bewusst, die „wahre afrikanische Literatur“<br />

zu begründ<strong>en</strong> – Ngugi schrieb in<br />

seiner Zelle sein Buch „Devil on the Cross“<br />

auf Toilett<strong>en</strong>papier. Nach seiner Entlassung<br />

verlor er seine Anstellung an der Universität<br />

und seine Familie litt unter ständig<strong>en</strong><br />

Morddrohung<strong>en</strong>. 1982 verließ Ngugi K<strong>en</strong>ia<br />

und lebt seitdem im Exil.<br />

Ngugi Wa Thiong´o schlägt in seinem<br />

Buch „Decolonising the Mind“, ein Programm<br />

radikaler Dekolonialisierung vor,<br />

welches deutlich macht, dass die Sprache<br />

der afrikanisch<strong>en</strong> Literatur d<strong>en</strong> Imperialismus<br />

bekundet. Er fordert afrikanische<br />

Schriftsteller auf, in ihr<strong>en</strong> traditionell<strong>en</strong><br />

afrikanisch<strong>en</strong> Sprach<strong>en</strong> zu schreib<strong>en</strong>,<br />

anstatt sich in d<strong>en</strong> europäisch<strong>en</strong> Sprach<strong>en</strong><br />

auszudrück<strong>en</strong>. In der Sprache der Kolonialmacht<br />

zu schreib<strong>en</strong>, behauptet Ngugi,<br />

bedeute, dass sehr viele der eig<strong>en</strong><strong>en</strong> Landsleute<br />

– gemeint sind die M<strong>en</strong>sch<strong>en</strong>, mit<br />

d<strong>en</strong><strong>en</strong> sich ein postkolonialer Autor von<br />

Grund auf id<strong>en</strong>tifiziert – nicht fähig sei<strong>en</strong>,<br />

dass Originalwerk des Autors zu les<strong>en</strong>.<br />

Über afrikanische Literatur, die in europäischer<br />

Sprache geschrieb<strong>en</strong> ist, schreibt<br />

Ngugi, „dass ihre große Schwäche immer<br />

bei der Zielgruppe liegt.“ Die kleinbürgerliche<br />

Leserschaft finde aufgrund der Wahl<br />

der Sprache der Autor<strong>en</strong> automatisch kein<strong>en</strong><br />

Zugang zu seinem Werk.<br />

Geht es nach Ngugi, so könne Literatur,<br />

die in europäischer Sprache geschrieb<strong>en</strong> ist,<br />

nicht als afrikanische Literatur bezeichnet<br />

werd<strong>en</strong>. Er fragt sich, warum ein afrikanischer<br />

Autor oder jede andere Autor davon<br />

überzeugt sein kann, andere Sprach<strong>en</strong> zu<br />

bereichern, indem er seine Muttersprache<br />

vernachlässigt.<br />

Für Ngugi ist es unverständlich, dass sich<br />

afrikanische Schriftsteller nicht die Frage<br />

stell<strong>en</strong>, wie sie ihre eig<strong>en</strong>e Sprache bereichern<br />

könn<strong>en</strong>. Er glaubt daran, dass das<br />

Schreib<strong>en</strong> in seiner Muttersprache Kikuyu –<br />

einer k<strong>en</strong>ianisch<strong>en</strong> Sprache – ein<strong>en</strong> Teil zu<br />

d<strong>en</strong> antiimperialistisch<strong>en</strong> Kämpf<strong>en</strong> der<br />

K<strong>en</strong>ianer und der Afrikaner im Allgemein<strong>en</strong><br />

beitrag<strong>en</strong> könne. Die aktuelle Situation<br />

ist eine andere: In Schul<strong>en</strong> und Universitä-<br />

Der k<strong>en</strong>ianische Autor<br />

Ngugi Wa Thiong´o<br />

49


50<br />

t<strong>en</strong> wird die k<strong>en</strong>ianische Sprache mit negativ<strong>en</strong><br />

Eig<strong>en</strong>schaft<strong>en</strong> wie Rückständigkeit,<br />

Unter<strong>en</strong>twicklung und Demütigung assoziiert.<br />

Das Schreib<strong>en</strong> in der Muttersprache per<br />

se wird jedoch nicht die R<strong>en</strong>aissance der<br />

afrikanisch<strong>en</strong> Kultur bring<strong>en</strong>.<br />

Ngugi ist überzeugt, dass afrikanische<br />

Schriftsteller d<strong>en</strong> Inhalt der antiimperialistisch<strong>en</strong><br />

Kämpfe ihrer Landsleute vermitteln<br />

müss<strong>en</strong>, um ihre produktiv<strong>en</strong> Kräfte von<br />

ausländischer Kontrolle zu befrei<strong>en</strong>.<br />

„Decolonising the Mind“ ist ein interessantes,<br />

w<strong>en</strong>n teilweise auch sehr überhitzt<br />

geschrieb<strong>en</strong>es Buch, das sich mit d<strong>en</strong> signifikant<strong>en</strong><br />

postkolonial<strong>en</strong> Fragestellung<strong>en</strong><br />

der Literaturwiss<strong>en</strong>schaft<strong>en</strong> beschäftigt.<br />

Obwohl einige Aspekte aus dem Blickwinkel<br />

der aktuell<strong>en</strong> Forschung bereits überholt<br />

sein mög<strong>en</strong>, kann dieses Buch eine<br />

Basis für eine anreg<strong>en</strong>de Diskussion über<br />

ein Thema sein, das auf zunehm<strong>en</strong>des<br />

Interesse stößt.<br />

1 Auszug aus dem Gedicht „Looking at your<br />

hands“; Carter, Martin; Poems of succession; London:<br />

New Beacon Books, 1977<br />

Literatur<br />

· Ngugi wa Thiong’o<br />

Decolonising the mind – The politics in African<br />

literature<br />

London: James Currey, 1992<br />

· Ashcroft, Bill (Hrsg.)<br />

The Empire Writes Back: Theory and Practice<br />

in Post-Colonial Literatures<br />

New York: Routledge, 1989.<br />

· Ashcroft, Bill (Hrsg.)<br />

The post-colonial studies reader<br />

London: Routledge, 1995<br />

· Young, Robert J. C.<br />

Postcolonialism – an historical introduction<br />

Oxford: Blackwell, 2001


Die koloniale Vergang<strong>en</strong>heit<br />

51


52<br />

„Au nom de Dieu Tout-Puissant…“<br />

Die Berliner „Kongo-Konfer<strong>en</strong>z“ vom 15.11.1884 bis zum 26.02.1885<br />

von HORST WIESHUBER<br />

m 15. November 1884 hob sich der<br />

Vorhang für das seltsame, beinahe<br />

surrealistische Diplomat<strong>en</strong>stück, das<br />

als Berliner Westafrikakonfer<strong>en</strong>z in die<br />

Geschichtsbücher einging. Es dauerte drei<br />

Monate an, und bis heute geh<strong>en</strong> die Meinung<strong>en</strong><br />

darüber auseinander, ob es eher als<br />

Tragödie oder als Komödie zu betracht<strong>en</strong><br />

ist. Die Konfer<strong>en</strong>z von Berlin war in vieler<br />

Hinsicht merkwürdig. Sie war gek<strong>en</strong>nzeichnet<br />

durch Zufälle und Paradoxa. Für viel<br />

europäische Historiker stellt sie zwar nicht<br />

mehr als eine winzige Fußnote in d<strong>en</strong> Annal<strong>en</strong><br />

der europäisch<strong>en</strong> Diplomatie dar. In<br />

d<strong>en</strong> Aug<strong>en</strong> der Afrikaner markiert sie<br />

jedoch ein<strong>en</strong> bedeut<strong>en</strong>d<strong>en</strong> und dunkl<strong>en</strong><br />

Meil<strong>en</strong>stein in der Weltgeschichte, dess<strong>en</strong><br />

unheilvolle Auswirkung<strong>en</strong> auch noch über<br />

„Ich kann nicht darüber hinwegseh<strong>en</strong>, daß in<br />

unserem Kreis keine Eingebor<strong>en</strong><strong>en</strong> vertret<strong>en</strong><br />

sind, und daß die Beschlüsse der Konfer<strong>en</strong>z<br />

d<strong>en</strong>noch von größter Wichtigkeit für sie sein<br />

werd<strong>en</strong>.“<br />

Sir Edward Malet, britischer Botschafter in<br />

Berlin, 1884<br />

hundert Jahre danach erlebbar sind. Daß an<br />

einer Konfer<strong>en</strong>z über die Zukunft ihres Erdteils<br />

kein einziger Afrikaner teilnahm,<br />

betrachtet<strong>en</strong> die Europäer im Jahre 1884 als<br />

Konsequ<strong>en</strong>z der natürlich<strong>en</strong> Ordnung. Die<br />

Afrikaner interpretier<strong>en</strong> es jedoch über ein<br />

Jahrhundert später als ein<strong>en</strong> Akt ungeheuerlicher<br />

Arroganz.<br />

„Bühne“ der Konfer<strong>en</strong>z war der große<br />

Festsaal im Obergeschoss des Kanzleramtes<br />

in der Wilhelmstraße. Als wichtigste Requisit<strong>en</strong><br />

in diesem Raum di<strong>en</strong>t<strong>en</strong> ein hufeis<strong>en</strong>förmiger<br />

Tisch, dess<strong>en</strong> off<strong>en</strong>es Ende dem<br />

Gart<strong>en</strong> zugewandt war und eine fünf Meter<br />

hohe Afrikakarte. Die Hauptroll<strong>en</strong> war<strong>en</strong><br />

mit d<strong>en</strong> Botschaftern und Ministern der<br />

vierzehn Teilnehmerländer besetzt. Die<br />

Eröffnungs- und die Schlußversammlung


Afrikakonfer<strong>en</strong>z in<br />

Berlin; aus der „Gart<strong>en</strong>laube“<br />

von 1885<br />

wurd<strong>en</strong> von Bismarck persönlich geleitet,<br />

und seine Stellvertreter übernahm<strong>en</strong> d<strong>en</strong><br />

Vorsitz über die acht weiter<strong>en</strong> offiziell<strong>en</strong><br />

Sitzung<strong>en</strong>. Da auf der Konfer<strong>en</strong>z jedoch<br />

mehr über Prinzipi<strong>en</strong> und Abstraktion<strong>en</strong><br />

gesproch<strong>en</strong> wurde als über Bündnisse und<br />

Verteilung<strong>en</strong>, stand die Konfer<strong>en</strong>z nur im<br />

bedingt<strong>en</strong> Interesse des Realpolitikers Bismarck.,<br />

zumal das „Schauspiel“ in einer Zeit<br />

voll internationaler Spannung<strong>en</strong> und Konflikte<br />

abgehalt<strong>en</strong> wurde. Hinter d<strong>en</strong> Kuliss<strong>en</strong><br />

schart<strong>en</strong> sich mass<strong>en</strong>weise Statist<strong>en</strong> –<br />

Geschäftsleute und Ab<strong>en</strong>teurer – von<br />

d<strong>en</strong><strong>en</strong> jeder sein<strong>en</strong> Profit in einem ganz<br />

bestimmt<strong>en</strong> Teil des afrikanisch<strong>en</strong> Kontin<strong>en</strong>ts<br />

im Blick hatte, und die alle hofft<strong>en</strong>,<br />

ihre Regierung würde ihn<strong>en</strong> dabei zu Hilfe<br />

komm<strong>en</strong>. Der hartnäckigste und ambitionierteste<br />

unter d<strong>en</strong> Geschäftsleut<strong>en</strong> konnte<br />

allerdings nicht teilnehm<strong>en</strong>, da er zufällig<br />

der König von Belgi<strong>en</strong> war. Er war es<br />

jedoch, der das ganze Gescheh<strong>en</strong> inspiriert<br />

und d<strong>en</strong> größt<strong>en</strong> Nutz<strong>en</strong> aus der Veranstaltung<br />

zog. Seit der sog. „Erdkunde-Konfer<strong>en</strong>z“<br />

(Confér<strong>en</strong>ce Géographique de Bruxelles),<br />

die Leoplod II. 1876 in Brüssel organisierte,<br />

richtete sich sein Aug<strong>en</strong>merk<br />

zunehm<strong>en</strong>d auf Afrika, insbesondere auf<br />

d<strong>en</strong> Kongo. Durch sein<strong>en</strong> Ag<strong>en</strong>t<strong>en</strong>, d<strong>en</strong><br />

Endeckungsreis<strong>en</strong>d<strong>en</strong> H. M. Stanley verfolgte<br />

er die Absicht in Afrika ein<strong>en</strong> Staat<br />

unter seiner Leitung zu gründ<strong>en</strong>. Savorgnan<br />

de Brazza, ein französischer Marineoffizier,<br />

kam ihm jedoch zuvor, schloß d<strong>en</strong><br />

bekannt<strong>en</strong> Brazza-Makoko-Vertrag, der am<br />

21. November 1882 vom französisch<strong>en</strong> Parlam<strong>en</strong>t<br />

ratifiziert wurde und hisste im neu<br />

gegründet<strong>en</strong> Brazzaville die französische<br />

Flagge. Die Engländer befürchtet<strong>en</strong>, daß<br />

Frankreich d<strong>en</strong> <strong>en</strong>glisch<strong>en</strong> Handel in<br />

Gefahr bring<strong>en</strong> würde und die Portugies<strong>en</strong><br />

macht<strong>en</strong> jahrhundertealte Ansprüche auf<br />

dieses Gebiet gelt<strong>en</strong>d. Im <strong>en</strong>glisch-portugiesisch<strong>en</strong><br />

Vertrag vom 26. Februar 1884<br />

erkannte England die portugiesisch<strong>en</strong><br />

Ansprüche im Kongo an und wollte der<br />

1978 von Leopold II. gegründet<strong>en</strong> Kongo-<br />

gesellschaft (AIC) d<strong>en</strong> Zugang zum Atlantik<br />

versperr<strong>en</strong>. International brach daraufhin<br />

großer Aufruhr aus. Zur gleich<strong>en</strong> Zeit drang<strong>en</strong><br />

mehrere europäische Staat<strong>en</strong> nach Afrika<br />

vor und es begann der „Wettlauf um<br />

Afrika“. Leopold II. leitete erfolgreich<br />

Schritte mit dem Ziel der Anerk<strong>en</strong>nung seiner<br />

Ansprüche ein. So seltsam es klingt,<br />

kam der Vorschlag <strong>zur</strong> Kongokonfer<strong>en</strong>z von<br />

der schwächst<strong>en</strong> der beteiligt<strong>en</strong> Nation<strong>en</strong>,<br />

nämlich Portugal. Bismarck und der französische<br />

Präsid<strong>en</strong>t Jules Ferry war<strong>en</strong> gleichermaß<strong>en</strong><br />

empört, wollt<strong>en</strong> das Ende der inoffiziell<strong>en</strong><br />

britische Hegemonie in Afrika<br />

demonstrier<strong>en</strong>, tat<strong>en</strong> sich zusamm<strong>en</strong> und<br />

initiiert<strong>en</strong> eine internationale Konfer<strong>en</strong>z.<br />

England, vorab w<strong>en</strong>ig informiert, stimmte<br />

schließlich zu.<br />

Bei d<strong>en</strong> vierzehn Mächt<strong>en</strong>, die sich im<br />

Kanzleramt zusamm<strong>en</strong>fand<strong>en</strong> handelte es<br />

sich um das Deutsche Reich, Frankreich,<br />

Großbritanni<strong>en</strong>, Portugal, Belgi<strong>en</strong>, Österreich-Ungarn,<br />

Rußland, Spani<strong>en</strong>, Dänemark,<br />

die Union Schwed<strong>en</strong>-Norweg<strong>en</strong>, die<br />

Niederlande, Itali<strong>en</strong>, die USA und das<br />

Osmanische Reich. Mehr oder w<strong>en</strong>iger willkürlich<br />

scheint die Zusamm<strong>en</strong>stellung der<br />

Gästeliste gewes<strong>en</strong> zu sein. Nur vier der<br />

Teilnehmer – Deutschland, Frankreich,<br />

Großbritanni<strong>en</strong> und Portugal – hatt<strong>en</strong><br />

Interesse am Ausgang der Konfer<strong>en</strong>z. Belgi<strong>en</strong><br />

und die USA war<strong>en</strong> taktische Figur<strong>en</strong><br />

Leopolds. Was die übrig<strong>en</strong> Staat<strong>en</strong> betraf,<br />

so ist ihre Rolle unklar. Auf alle Fälle ging<br />

es darum, ein<strong>en</strong> möglichst breit<strong>en</strong> Kons<strong>en</strong>s<br />

zu erreich<strong>en</strong>, sozusag<strong>en</strong> ein europäisches<br />

Konzert in Sach<strong>en</strong> Afrika. In Wirklichkeit<br />

mangelte es der Konfer<strong>en</strong>z jedoch an der<br />

Spannung eines Gipfeltreff<strong>en</strong>s. Afrika galt<br />

als nicht wichtig g<strong>en</strong>ug, als daß Regierungschefs<br />

oder Auß<strong>en</strong>minister daran teilg<strong>en</strong>omm<strong>en</strong><br />

hätt<strong>en</strong>. Der Geg<strong>en</strong>stand des „Stücks“<br />

war subtiler Natur: ein vielfältiges Zusamm<strong>en</strong>spiel<br />

ehrgeiziger Ab<strong>en</strong>teurer – Leopold<br />

II. und Stanley, DeBrazza, der <strong>en</strong>glische<br />

Handelsmann Sir George Goldie und die<br />

deutsch<strong>en</strong> Kaufleute Lüderitz und Woermann<br />

– und vorsichtiger Regierungsbeamter.<br />

Erstere jagt<strong>en</strong> ihrem Traum von Reichtum<br />

nach, letztere musst<strong>en</strong> die Verwaltungskost<strong>en</strong><br />

s<strong>en</strong>k<strong>en</strong> und ihre Regierung<strong>en</strong> geg<strong>en</strong><br />

konkurrier<strong>en</strong>de Mächte verteidig<strong>en</strong>. Der<br />

Hauptakteur des Stückes, Leopold II. von<br />

Belgi<strong>en</strong>, allerdings blieb ganz im Hintergrund<br />

und bis zuletzt wurde nicht mal sein<br />

Name erwähnt, obwohl er aus der Distanz<br />

die Konfer<strong>en</strong>z g<strong>en</strong>au mitverfolgte, nichts<br />

dem Zufall überließ und telegraphisch seine<br />

Anweisung<strong>en</strong> gab.<br />

53


Offiziell hatte man sich auf drei Punkte –<br />

nämlich der freie Handel am Kongo(beck<strong>en</strong>),<br />

freie Schiffahrt auf Kongo und Niger<br />

unter internationaler Kontrolle und die<br />

Festlegung von „effektiv<strong>en</strong>“ Okkupationsrichtlini<strong>en</strong><br />

– als Diskussionsgrundlage geeinigt.<br />

Vor diesem Hintergrund ging es vor<br />

allem um Prinzipi<strong>en</strong> und allgemeine<br />

Regeln. Anfangs erwartete man sich ein<strong>en</strong><br />

Kongreß in der Tradition von Wi<strong>en</strong><br />

(1814/15) oder Paris (1856). Aber der Ton<br />

war anders. Hier wurde nicht die Sprache<br />

der Realpolitik gesproch<strong>en</strong>, sondern die<br />

des Völkerrechts imitiert. Nicht der Geist<br />

Machiavellis wehte hier, sondern der von<br />

Hugo Grotius. Man betrieb Haarspalterei,<br />

legte jedes Wort auf die Goldwaage. Sätze<br />

wurd<strong>en</strong> neu formuliert, Paragraph<strong>en</strong> zigmal<br />

umgeschrieb<strong>en</strong>. Kurz: es war deutlich,<br />

daß hier Unwichtiges geschah, jed<strong>en</strong>falls<br />

Unaufrichtiges. Es ging für niemand<strong>en</strong> um<br />

leb<strong>en</strong>swichtige Frag<strong>en</strong>.<br />

Die Franzos<strong>en</strong> bestand<strong>en</strong> darauf, daß<br />

sich die Tagesordnung auf prinzipielle Frag<strong>en</strong><br />

beschränkte, und keinerlei Gebietsansprüche<br />

diskutiert werd<strong>en</strong> sollt<strong>en</strong>. Man<br />

wollte mit d<strong>en</strong> Rival<strong>en</strong> Belgi<strong>en</strong> und Portugal<br />

am Kongo und Großbritanni<strong>en</strong> am<br />

Niger besser abschneid<strong>en</strong> als in Einzelverhandlung<strong>en</strong>.<br />

D<strong>en</strong> Brit<strong>en</strong> bereitete das Thema<br />

„Kongo“ kein Problem. Anders sah es<br />

allerdings mit dem neu<strong>en</strong> Protektorat am<br />

Niger aus, das man als eindeutig britische<br />

Sphäre betrachtete. Bismarcks Theorie von<br />

der „effektiv<strong>en</strong> Besetzung“ stand man mit<br />

Mißtrau<strong>en</strong> geg<strong>en</strong>über, da dies mögliche teure<br />

Verpflichtung<strong>en</strong> mit sich brachte. Großbritanni<strong>en</strong><br />

nahm die Einladung schließlich<br />

an in der Erwartung, daß seine Rechte am<br />

unter<strong>en</strong> Niger gewahrt blieb<strong>en</strong>.<br />

Die belgische Regierung hatte bis zum<br />

Schluß Zweifel, ob sie die ehrgeizig<strong>en</strong> Pläne<br />

Leopolds überhaupt unterstütz<strong>en</strong> sollte,<br />

wesweg<strong>en</strong> sie ihre Delegation anwies, auf<br />

jegliche Eig<strong>en</strong>initiative zu verzicht<strong>en</strong>. Leopold<br />

stellte dem Delegationsführer jedoch<br />

seine beid<strong>en</strong> <strong>en</strong>gst<strong>en</strong> Mitarbeiter an die Seite.<br />

Obwohl Deutschland anfänglich kein<br />

Interesse an Koloni<strong>en</strong> hatte, so wollte es<br />

1884 als Kolonialmacht d<strong>en</strong>noch ernst<br />

g<strong>en</strong>omm<strong>en</strong> werd<strong>en</strong>. Das einzige Interesse<br />

Deutschlands am Kongo war die Sicherstellung<br />

deutscher Handelsinteress<strong>en</strong>, was man<br />

durch die Schaffung einer riesig<strong>en</strong> Freihandelszone<br />

auch erreichte.<br />

Jeder der Teilnehmer wußte allerdings,<br />

daß die Zusamm<strong>en</strong>kunft katastrophal<br />

<strong>en</strong>d<strong>en</strong> würde, w<strong>en</strong>n man nicht einmal die<br />

Frage lös<strong>en</strong> konnte, wem was am Kongo<br />

54<br />

gehörte. Da sich die Konfer<strong>en</strong>z mit dies<strong>en</strong><br />

Frag<strong>en</strong> jedoch nicht befass<strong>en</strong> konnte, mußt<strong>en</strong><br />

außerhalb begleit<strong>en</strong>de Verhandlung<strong>en</strong><br />

geführt werd<strong>en</strong>. Die offiziell<strong>en</strong> Vertreter<br />

war<strong>en</strong> also gehalt<strong>en</strong>, Däumch<strong>en</strong> zu dreh<strong>en</strong>,<br />

bis die Auseinandersetzung be<strong>en</strong>det word<strong>en</strong><br />

war.<br />

Bismarck war es, der parallele Verhandlung<strong>en</strong><br />

über Gebietsfrag<strong>en</strong> eröffnete. Diese<br />

begann<strong>en</strong> im Dezember 1884 in Berlin,<br />

wurd<strong>en</strong> im Januar in Paris fortgesetzt und<br />

ging<strong>en</strong> im Februar in Berlin weiter, wo man<br />

am 14. zu einer Entscheidung gelangte. Daraufhin<br />

konnte die Konfer<strong>en</strong>z selbst zwölf<br />

Tage später eb<strong>en</strong>falls <strong>en</strong>d<strong>en</strong>. Die drei Teilnehmer<br />

am Spiel um das kongolesische<br />

Land war<strong>en</strong> Frankreich, Portugal und der<br />

belgische König. Leopold hatte Angst, daß<br />

das Bündnis zwisch<strong>en</strong> Frankreich und<br />

Deutschland, sowie das wachs<strong>en</strong>de Verständnis<br />

zwisch<strong>en</strong> Frankreich und Portugal<br />

ihn ausboot<strong>en</strong> würde und wurde deshalb als<br />

erster aktiv. Leopolds Vertrauter Stanley<br />

mußte nach London reis<strong>en</strong> und sollte der<br />

vom belgisch<strong>en</strong> König gegründet<strong>en</strong> international<strong>en</strong><br />

Kongovereinigung (AIC) das<br />

gesamte rechte Kongoufer bis einschließlich<br />

dem recht<strong>en</strong> Ufer des Stanleypool sichern.<br />

Portugals Forderung<strong>en</strong> sollt<strong>en</strong> an der Küste<br />

<strong>en</strong>tlang bis ans südliche Ufer anerkannt<br />

werd<strong>en</strong>. Die Gr<strong>en</strong>ze nördlich des Nokkiflußes<br />

zwisch<strong>en</strong> der AIC und Frankreich sollte<br />

d<strong>en</strong> Franzos<strong>en</strong> Zugang zum ober<strong>en</strong> Kongo<br />

bei Brazzaville ermöglich<strong>en</strong>. Dieser Plan<br />

war ein Schlag geg<strong>en</strong> d<strong>en</strong> Brazza-Makoko-<br />

Vertrag. Würde Bismarck mitspiel<strong>en</strong> und<br />

Frankreich und Portugal dahingeh<strong>en</strong>d<br />

beeinfluß<strong>en</strong>, daß sie Leopold d<strong>en</strong> Zugang<br />

zum Meer gewährt<strong>en</strong>, d<strong>en</strong> er <strong>zur</strong> Erfüllung<br />

seines Traumes so dring<strong>en</strong>d brauchte?<br />

Mehrere Tage war alles in der Schwebe. Fast<br />

wie ein Wunder teilte am 20. Dezember der<br />

französische Diplomat Courcel Deutschland<br />

mit, Frankreich sei bereit, d<strong>en</strong> Kongo mit<br />

Portugal und der Vereinigung zu teil<strong>en</strong>.<br />

Nach Gespräch<strong>en</strong> über die Weihnachtstage<br />

wurde die Gebietsfrage am Silvesterab<strong>en</strong>d<br />

1884 im Büro des französisch<strong>en</strong> Präsid<strong>en</strong>t<strong>en</strong><br />

Jules Ferry schließlich geklärt. Hauptproblem<br />

war nunmehr, ob Frankreich Leopold<br />

dafür <strong>en</strong>tschädig<strong>en</strong> mußte, daß sich<br />

dieser vom Niari-Kwilu <strong>zur</strong>ückzog oder der<br />

Vereinigung erlaubt wurde in Frankreich<br />

eine Kongoanleihe mit der gigantisch<strong>en</strong><br />

Summe von sechs Million<strong>en</strong> Francs einzubring<strong>en</strong>.<br />

Das schi<strong>en</strong> Ferry akzeptabel. Die<br />

Portugies<strong>en</strong> jedoch weigert<strong>en</strong> sich wie<br />

üblich in ihr<strong>en</strong> Position<strong>en</strong> nachzugeb<strong>en</strong><br />

und erneut stand die Exist<strong>en</strong>z der Kongo-


vereinigung auf dem Spiel. Am 13. Februar<br />

1885 teilt<strong>en</strong> die Großmächte Portugal im<br />

Rahm<strong>en</strong> der Gespräche in Berlin mit, daß<br />

es völlig leer ausgeh<strong>en</strong> würde, falls es weiter<br />

auf seine Forderung<strong>en</strong> besteht. Die Portugies<strong>en</strong><br />

wußt<strong>en</strong> zwar um die verlor<strong>en</strong><br />

Schlacht, bestand<strong>en</strong> aber um ihrer Ehre will<strong>en</strong><br />

darauf, die damals völlig wertlose Enklave<br />

Kabinda nördlich des Kongo Angola<br />

zuzuerk<strong>en</strong>n<strong>en</strong>. Damals wußte man noch<br />

nicht, daß man dort eines Tages Öl find<strong>en</strong><br />

würde und Kabinda der reichste Teil Angolas<br />

werd<strong>en</strong> würde. So unterzeichnet<strong>en</strong> die<br />

AIC und Portugal am 15. Februar eine Konv<strong>en</strong>tion,<br />

die Gebietsfrag<strong>en</strong> <strong>zur</strong> allseitig<strong>en</strong><br />

Zufried<strong>en</strong>heit regelte. Auf diese Weise<br />

erhielt Leopold II. d<strong>en</strong> Kongo, legte Portugal<br />

die Gr<strong>en</strong>z<strong>en</strong> des heutig<strong>en</strong> Angola fest<br />

und schuf Frankreich die Basis für sein<br />

Kongo-Brazzaville. Währ<strong>en</strong>d die Kolonialmächte<br />

in d<strong>en</strong> Koloni<strong>en</strong> d<strong>en</strong> Eingebor<strong>en</strong><strong>en</strong><br />

bereits alles über Kommerz, Kirche und<br />

Kultur beibracht<strong>en</strong>, verfaßt<strong>en</strong> die Diplomat<strong>en</strong><br />

in der luxuriös<strong>en</strong> und friedvoll<strong>en</strong> Atmosphäre<br />

der Wilhelmstraße immer noch<br />

wohlgesetzte Phras<strong>en</strong>. Was aber war nun<br />

der Inhalt der Beschlüsse der Konfer<strong>en</strong>z<br />

von Berlin?<br />

Wie bereits erwähnt kam<strong>en</strong> keine groß<strong>en</strong><br />

politisch<strong>en</strong> Beschlüsse zustande. Keine Teilung<br />

Afrikas, wie erwartet. Aber die Teilung<br />

wurde auch nicht aufgehalt<strong>en</strong>. Sie beschleunigte<br />

sich und schlug um in ein<strong>en</strong> „scramble“,<br />

in ein<strong>en</strong> Wettlauf. Offiziell kam man<br />

in einer G<strong>en</strong>eralakte über die Handelsfreiheit<br />

im Kongogebiet überein, aber nichts<br />

davon wurde je verwirklicht. Freie Schifffahrt<br />

auf dem Kongo und Niger hat es nie<br />

gegeb<strong>en</strong>. Der untere Niger wurde sogar<br />

sehr schnell Handelsmonopol der britisch<strong>en</strong><br />

Chartered Company von Sir George<br />

Goldie. Der Kongo-Freistaat wurde unter<br />

dem sog. dominial<strong>en</strong> System vollständig<br />

von Monopol<strong>en</strong> beherrscht. Neb<strong>en</strong> dies<strong>en</strong><br />

beid<strong>en</strong> Punkt<strong>en</strong> bezog sich die dritte<br />

Grundlage der Konfer<strong>en</strong>z auf die Verpflichtung<strong>en</strong><br />

„effektiver Besetzung“ von Territori<strong>en</strong>,<br />

also eine Art Verhalt<strong>en</strong>scodex für die<br />

Teilung. Dank der Brit<strong>en</strong> wurd<strong>en</strong> diese<br />

Bestimmung<strong>en</strong> sehr vage gehalt<strong>en</strong> und<br />

bezog<strong>en</strong> sich nur auf neue Besetzung<strong>en</strong> an<br />

der Küste, nicht auf das Landesinnere. Die<br />

vorherige Ankündigung einer Okkupation<br />

als Pflicht war reine Formsache. Das ganze<br />

Prinzip, obwohl real nie angwandt erhielt in<br />

der Praxis paradoxerweise eine Art Vorbildwirkung.<br />

Ein zusätzlicher Punkt, der bei der<br />

Eröffnung hinzugefügt word<strong>en</strong> war, war die<br />

Frage, um humanitäre Prinzipi<strong>en</strong>, wie bspw.<br />

die Bekämpfung der Sklaverei, der Einfuhr<br />

von Gewehr<strong>en</strong>, Munition und Spirituos<strong>en</strong>.<br />

Es wurd<strong>en</strong> viele feierlich Erklärung<strong>en</strong> abgegeb<strong>en</strong>,<br />

aber das Ergebnis beeindruckte<br />

nicht.<br />

Am 26. Februar 1885 kam die Konfer<strong>en</strong>z<br />

schließlich an ein Ende. Die Berliner Konfer<strong>en</strong>z<br />

war vor allem öff<strong>en</strong>tliche und symbolische<br />

Bestätigung des „point of no return“.<br />

Die Teilung Afrikas war bereits begonn<strong>en</strong><br />

und man teilte in hohem Tempo weiter auf,<br />

bis es nichts mehr gab. Der Endpunkt war<br />

bereits nach 10 Jahr<strong>en</strong> fast erreicht. Angesichts<br />

dess<strong>en</strong>, was erreicht word<strong>en</strong> war<br />

nahm sich die pompöse Abschlußzeremonie<br />

mehr als absurd aus. „Au nom de Dieu<br />

Tout-Puissant“, so begann die Urkunde der<br />

Konfer<strong>en</strong>z. Im Grunde blieb jedoch alles<br />

beim Alt<strong>en</strong>. Aus europäischer Perspektive<br />

ist die Konfer<strong>en</strong>z mehr ein Phänom<strong>en</strong> der<br />

international<strong>en</strong> Politik Europas. Es war das<br />

letzte gemeinsame friedliche Auftret<strong>en</strong> des<br />

Kontin<strong>en</strong>ts, bevor er 1914 auseinanderfiel.<br />

Für Afrika jedoch lag die wahre Bedeutung<br />

der Kongokonfer<strong>en</strong>z in einem Handeln,<br />

über das sich die Berliner Delegiert<strong>en</strong> nicht<br />

wirklich klar war<strong>en</strong>. Sie schuf<strong>en</strong> nämlich die<br />

Grundsteine für die größt<strong>en</strong> und stark mit<br />

Konflikt belad<strong>en</strong><strong>en</strong> Nationalstaat<strong>en</strong> des<br />

heutig<strong>en</strong> Afrika: d<strong>en</strong> Kongo und Nigeria. In<br />

Berlin begann man mit der Festlegung politischer<br />

Gr<strong>en</strong>z<strong>en</strong> quer durch Afrika, frei<br />

nach dem Motto der Dreigrosch<strong>en</strong>oper: „Es<br />

kann auch anders, aber so kann es auch!“<br />

Aber nicht nur politisch, sondern auch wirtschaftlich<br />

stellte die Berliner Konfer<strong>en</strong>z<br />

ein<strong>en</strong> Meil<strong>en</strong>stein in der Ausbeutung des<br />

afrikanisch<strong>en</strong> Kontin<strong>en</strong>ts dar. Doch das wiederum<br />

wäre ein anderer „Akt“ dieses vielberedt<strong>en</strong><br />

europäisch<strong>en</strong> Stücks über d<strong>en</strong><br />

„stumm<strong>en</strong> Kontin<strong>en</strong>t“.<br />

Literatur<br />

· Schildknecht, Jörg, Bismarck, Südwestafrika<br />

und die Kongokonfer<strong>en</strong>z. Die völkerrechtlich<strong>en</strong><br />

Grundlag<strong>en</strong> der effektiv<strong>en</strong> Okkupation und<br />

ihre Neb<strong>en</strong>pflicht<strong>en</strong> am Beispiel des Erwerbs<br />

der erst<strong>en</strong> deutsch<strong>en</strong> Kolonie (=Juristische<br />

Schrift<strong>en</strong>reihe Bd. 135), Berlin 1999.<br />

· Weiss, Ruth; Mayer, Hans, Afrika d<strong>en</strong> Europäern.<br />

Von der Berliner Kongokonfer<strong>en</strong>z 1884<br />

ins Afrika der neu<strong>en</strong> Kolonisation (unter Mitarbeit<br />

von Antony Martin), Wuppertal 1984.<br />

· Wesseling, H<strong>en</strong>k L., Die Berliner Kongo-Konfer<strong>en</strong>z<br />

und die Teilung Afrikas (=Kleine Beiträge<br />

<strong>zur</strong> europäisch<strong>en</strong> Überseegeschichte Heft 1),<br />

Bamberg 1989.<br />

Aus Wild-Afrika: Engländer<br />

und Portugiese<br />

streit<strong>en</strong> sich: „Armer<br />

Neger! W<strong>en</strong>n sie nicht<br />

dem Sklav<strong>en</strong>händler<br />

verfall<strong>en</strong>, werd<strong>en</strong> sie<br />

von der Zivilisation<br />

zerriss<strong>en</strong>.“<br />

aus: Humoristische<br />

Blätter Nr. 3 - Wi<strong>en</strong><br />

19. Jänner 1890<br />

55


Die „Schutzverträge“<br />

Vom Hiss<strong>en</strong> der deutsch<strong>en</strong> Flagge<br />

(14.07.1884) bis <strong>zur</strong> Kapitulation<br />

deutscher Trupp<strong>en</strong> (04.03.1916)<br />

von ANNELIESE QUAST<br />

m 14.07.1884 werd<strong>en</strong> in Bell-, Akwaund<br />

Dido-Town der heutig<strong>en</strong> Republik<br />

Kamerun 1 im Auftrag von Bismarck<br />

2 die deutsche Reichsflagge gehißt 3<br />

und die immergleiche Proklamation durch<br />

Gustav Nachtigal verles<strong>en</strong>. 4 Marinesoldat<strong>en</strong><br />

grüß<strong>en</strong> ihre Farb<strong>en</strong> mit 3 Salv<strong>en</strong>, die<br />

„Möwe“, ein deutsches Kanon<strong>en</strong>boot,<br />

schickt 21 Schuß Salut hinterher. 5 Das<br />

deutsche Reich hat das Wettr<strong>en</strong>n<strong>en</strong> geg<strong>en</strong><br />

England gewonn<strong>en</strong> und „Kamerun“ 6 in<br />

Besitz g<strong>en</strong>omm<strong>en</strong>. Der <strong>en</strong>glische Konsul<br />

Edward Eyde Hewett, der am 19.07.1884 <strong>zur</strong><br />

geplant<strong>en</strong> <strong>en</strong>glisch<strong>en</strong> Flagg<strong>en</strong>hissung und<br />

Besitzergreifung eintrifft, vermag geg<strong>en</strong>über<br />

Nachtigal nur noch offiziell zu protestier<strong>en</strong><br />

7 und sollte in die Kolonialgeschichte<br />

als „too-late-consul“ eingeh<strong>en</strong> 8 , der England<br />

eine Kolonie kostete.<br />

Doch davon abgeseh<strong>en</strong>, dass die Engländer<br />

zu spät war<strong>en</strong> – wesweg<strong>en</strong> kam es<br />

eig<strong>en</strong>tlich zu der Gründung des deutsch<strong>en</strong><br />

„Schutzgebietes“ Kamerun? Das deutsche<br />

Reich hatte lange Zeit gar kein Interesse an<br />

Koloni<strong>en</strong> gezeigt – Bismarck galt aufgrund<br />

öff<strong>en</strong>tlicher ablehn<strong>en</strong>der Äußerung<strong>en</strong> allgemein<br />

als Kolonialgegner 9 . In Bezug auf<br />

56<br />

die afrikanische Seite sind (zumindest auf<br />

d<strong>en</strong> erst<strong>en</strong> Blick) „Schutzverträge“ und<br />

andere Quell<strong>en</strong> 10 schwer verständlich,<br />

d<strong>en</strong><strong>en</strong> zufolge afrikanische Stämme europäische<br />

Mächte regelrecht zu ihrer Annexion<br />

auffordern 11 bzw. der<strong>en</strong> Schutz<br />

erbet<strong>en</strong> 12 .<br />

Das deutsche Reich bezweckte mit der<br />

Flagg<strong>en</strong>hissung hauptsächlich d<strong>en</strong> Schutz<br />

der deutsch<strong>en</strong> Handelsinteress<strong>en</strong>. 13 Gouverneur<br />

Jesco v. Puttkamer (Gouverneurszeit:<br />

1895-1907) wies d<strong>en</strong>n auch 1905 die<br />

Beamt<strong>en</strong> in der Kolonie „erneut“ darauf<br />

hin, „dass die Verwaltung nicht Selbstzweck<br />

ist sondern in erster Linie beruf<strong>en</strong> ist, die<br />

Handelsinteress<strong>en</strong> des „Schutzgebietes“ zu<br />

fördern und zu sichern“. 14 Als man in der<br />

deutsch<strong>en</strong> Regierung über Koloni<strong>en</strong> nachdachte,<br />

ging es in erster Linie um Handelsund<br />

nicht um Siedlungskoloni<strong>en</strong>. Im<br />

Geg<strong>en</strong>satz zu Frankreich und Portugal<br />

strebte das deutsche Reich keine Assimilation<br />

bzw. Integration der Kolonial- bzw.<br />

„Schutzgebiete“ in das Mutterland an. 15<br />

Wie es zu dem bereits erwähnt<strong>en</strong><br />

Umschwung in der Bismarcksch<strong>en</strong> Kolonialpolitik<br />

kam, ist bis heute Geg<strong>en</strong>stand der<br />

Zeitg<strong>en</strong>össischer Holzstich:<br />

Gustav Nachtigal<br />

hisst am 14. Juli 1884<br />

die deutsche Flagge in<br />

Kamerun.<br />

aus: Gisela Graich<strong>en</strong>,<br />

Horst Gründer, Deutsche<br />

Koloni<strong>en</strong>. Traum<br />

und Trauma, Berlin:<br />

Ullstein 2005


Diskussion: währ<strong>en</strong>d einige eine monokausale<br />

Erklärung find<strong>en</strong>, wie z.B. die Zusage,<br />

dass die Koloni<strong>en</strong> sich selbst finanzier<strong>en</strong><br />

würd<strong>en</strong> 16 , führ<strong>en</strong> andere d<strong>en</strong> Umschwung<br />

auf das Zusamm<strong>en</strong>spiel mehrerer Faktor<strong>en</strong><br />

<strong>zur</strong>ück 17 : die gerade erwähnte Finanzierungszusage<br />

sowie die mittlerweile positive<br />

Einstellung der deutsch<strong>en</strong> Bevölkerung; die<br />

relative Stabilität der europäisch<strong>en</strong> Beziehung<strong>en</strong><br />

aufgrund Bismarcks Vertragsnetz<br />

oder eine antibritische Motivation werd<strong>en</strong><br />

auch angeführt: ein<strong>en</strong> Keil in die deutsch<strong>en</strong>glisch<strong>en</strong><br />

Beziehung<strong>en</strong> zu treib<strong>en</strong> im Hinblick<br />

auf d<strong>en</strong> zukünftig<strong>en</strong> Kaiser und jetzig<strong>en</strong><br />

Kronprinz<strong>en</strong> Friedrich Wilhelm 18 , der<br />

mit einer Engländerin verheiratet und zum<br />

Missfall<strong>en</strong> Bismarcks allgemein probritisch<br />

war.<br />

Auch die Motivation afrikanischer Stammeshäuptlinge,<br />

„Schutzverträge“ zu unterzeichn<strong>en</strong>,<br />

wird von d<strong>en</strong> Historikern unterschiedlich<br />

erklärt: speziell in Bezug auf<br />

Kamerun wird vertret<strong>en</strong>, dass die Häuptlinge<br />

sich vor „britischer Bedrohung“ schütz<strong>en</strong><br />

wollt<strong>en</strong> – ein <strong>en</strong>glischer Gesandter vor Ort<br />

hatte ihn<strong>en</strong> im Falle einer Vertragsunterzeichnung<br />

mit d<strong>en</strong> Deutsch<strong>en</strong> das Abbr<strong>en</strong>n<strong>en</strong><br />

ihrer Dörfer und ihre Entmachtung<br />

angedroht. 19 Andere verweis<strong>en</strong> auf ein<strong>en</strong><br />

Bericht Nachtigals an Bismarck 20 , der<br />

besagt, dass die Häuptlinge ausdrücklich<br />

eine „annection“ und nicht „protection“<br />

fordert<strong>en</strong> 21 , da sie sich nur von ersterer<br />

Schul<strong>en</strong> und andere soziale Einrichtung<strong>en</strong><br />

bzw. europäische Verwaltung versprach<strong>en</strong>.<br />

22 Wieder andere führ<strong>en</strong> Annexionsaufforderung<strong>en</strong><br />

an europäische Mächte auf<br />

innere Unruh<strong>en</strong> und Spannung<strong>en</strong> <strong>zur</strong>ück.<br />

Diese soll<strong>en</strong> dazu geführt hab<strong>en</strong>, dass die<br />

Stammeshäuptlinge sich nicht mehr <strong>zur</strong><br />

Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung<br />

in der Lage sah<strong>en</strong> und die „Schutzverträge“<br />

dann unter der Bedingung unterzeichnet<strong>en</strong>,<br />

dass die europäisch<strong>en</strong> Mächte die traditionell<strong>en</strong><br />

Machtstruktur<strong>en</strong> anzuerk<strong>en</strong>n<strong>en</strong><br />

und zu schütz<strong>en</strong> gewillt war<strong>en</strong>. 23 Die geg<strong>en</strong>sätzliche<br />

Ansicht wird eb<strong>en</strong>falls vertret<strong>en</strong>,<br />

der zufolge die Erklärung der afrikanisch<strong>en</strong><br />

Machthaber, des Regier<strong>en</strong>s zeitweilig unfähig<br />

zu sein, ein bloßer, von d<strong>en</strong> Kaufleut<strong>en</strong><br />

suggerierter Topos ist. 24<br />

Die drei Jahrzehnte Kolonialherrschaft<br />

Im erst<strong>en</strong> Jahrzehnt blieb die Kolonialherrschaft<br />

im wes<strong>en</strong>tlich<strong>en</strong> auf das Küst<strong>en</strong>gebiet<br />

beschränkt. 25 Mit militärischer Gewalt wurde<br />

nach und nach das Zwisch<strong>en</strong>handelsmonopol<br />

der Duala gebroch<strong>en</strong>. Unter Gouverneur<br />

v. Puttkamer begann 1895 die systema-<br />

tische Ausdehnung der deutsch<strong>en</strong> Herrschaft<br />

in das Landesinnere. 26 Die „Befriedung“<br />

erfolgte in militärisch<strong>en</strong> Auseinandersetzung<strong>en</strong><br />

mit afrikanisch<strong>en</strong> Volksstämm<strong>en</strong>:<br />

„Les revoltes dans l’<strong>Afrique</strong> allemande<br />

ont été incessantes. Les annales du Cameroun<br />

de 1891 à 1903 sont tachés d’un sang<br />

inutilem<strong>en</strong>t versé… il est impossible de dire<br />

que nulle part, la domination allemande ait<br />

été bi<strong>en</strong> accueillie. 27 Nach d<strong>en</strong> direkt<strong>en</strong><br />

Kampfhandlung<strong>en</strong> kam es immer wieder zu<br />

Unruh<strong>en</strong> und Widerstandsbewegung<strong>en</strong>.<br />

Insgesamt war<strong>en</strong> die drei Jahrzehnte der<br />

Kolonialisierung geprägt durch die fortwähr<strong>en</strong>de<br />

innere Eroberung und „Befriedung“.<br />

28<br />

Das Vorgeh<strong>en</strong> mancher Kolonialoffiziere<br />

hierbei ging weit über das <strong>zur</strong> Erschließung<br />

militärisch Notw<strong>en</strong>dige hinaus – unter<br />

anderem wurde Anordnung gegeb<strong>en</strong>, Leich<strong>en</strong>teile<br />

abzutr<strong>en</strong>n<strong>en</strong>, um die Gefall<strong>en</strong><strong>en</strong><br />

der Geg<strong>en</strong>seite zähl<strong>en</strong> zu könn<strong>en</strong>. 29<br />

Obwohl dieses barbarische Verhalt<strong>en</strong> in<br />

deutsch<strong>en</strong> Zeitung<strong>en</strong> und dem Reichstag<br />

angeprangert wurde, unternahm die Kolonialregierung<br />

nur w<strong>en</strong>ig um geg<strong>en</strong> die<br />

„nam<strong>en</strong>tlich in Kamerun immer wieder vorkomm<strong>en</strong>d<strong>en</strong><br />

Ausschreitung<strong>en</strong>“ von Schutztrupp<strong>en</strong>angehörig<strong>en</strong><br />

und Kolonialbeamt<strong>en</strong><br />

vorzugeh<strong>en</strong>. 30<br />

Zu dies<strong>en</strong> Ausschreitung<strong>en</strong> gehört auch<br />

einer „der aufseh<strong>en</strong>erreg<strong>en</strong>dst<strong>en</strong> Skandale<br />

der deutsch<strong>en</strong> Kolonialgeschichte“ 31 [also<br />

nicht auf Kameruns Geschichte<br />

beschränkt]: die Kamerunregierung hatte<br />

1891 dem Dahomey-König Behanzin 370<br />

Sklav<strong>en</strong> 32 abgekauft, Männer zum Preis von<br />

je 320 Mark, Frau<strong>en</strong> zu 280 Mark. Einige<br />

dieser Person<strong>en</strong> wurd<strong>en</strong> in die 1891 gegründete<br />

und für die Erschließung des Hinterlandes<br />

zuständige Polizeitruppe eingegliedert<br />

und bekam<strong>en</strong> für ihre Di<strong>en</strong>ste Kleidung<br />

und Ernährung, jedoch kein<strong>en</strong> Lohn<br />

– um die „Freikaufsumme“ abzugelt<strong>en</strong>. 33<br />

Dies und andere ungerechte Behandlung<br />

führte zu passivem Widerstand in der Truppe<br />

und einem Konflikt, der sein<strong>en</strong> Höhepunkt<br />

in der angeordnet<strong>en</strong> 34 Auspeitschung<br />

nackter Dahomey-Frau<strong>en</strong> vor versammelter<br />

Polizeitruppe fand. 35 Es kam<br />

zum Aufstand der Dahomeyleute. Eine<br />

Woche lang besetzt<strong>en</strong> die Aufständisch<strong>en</strong><br />

das Regierungsgebäude, ein Deutscher wurde<br />

erschoss<strong>en</strong>; dann wurde der Aufstand<br />

unter Einsatz eines Kanon<strong>en</strong>bootes niedergeschlag<strong>en</strong>.<br />

36<br />

Währ<strong>en</strong>d man in Kamerun auf d<strong>en</strong> Aufstand<br />

mit der Reorganisation der Kolonialtruppe<br />

reagierte [die Polizeitruppe (1891:<br />

57


58<br />

50 Mann; 1893: 100 Mann) 37 wurde 1894 in<br />

eine Schutztruppe umgewandelt 38 und ausgebaut<br />

39 ] war die Öff<strong>en</strong>tlichkeit im deutsch<strong>en</strong><br />

Reich <strong>en</strong>tsetzt, eine Untersuchung<br />

wurde angeordnet. In dem Berufungsurteil<br />

wurde Leist aus dem Post<strong>en</strong> <strong>en</strong>thob<strong>en</strong> und<br />

dem Staatsdi<strong>en</strong>st <strong>en</strong>tlass<strong>en</strong>. Auch von Puttkamer,<br />

der Nachfolger Zimmerers, wurde<br />

aufgrund g<strong>en</strong>ereller Vorwürfe geg<strong>en</strong> die<br />

Handhabung der Verwaltung und Rechtsprechung,<br />

als auch weg<strong>en</strong> privater Skandalaffär<strong>en</strong><br />

40 1907 abgesetzt 41 .<br />

Um zu zeig<strong>en</strong>, dass es auch Gouverneure<br />

mit anderem Verwaltungsstil gab: der Puttkamer<br />

nachfolg<strong>en</strong>de Gouverneur Seitz<br />

(1907-10) unternahm Versuche, die afrikanische<br />

Bevölkerung vor d<strong>en</strong> exzessiv<strong>en</strong> Forderung<strong>en</strong><br />

der europäisch<strong>en</strong> Unternehm<strong>en</strong> zu<br />

schütz<strong>en</strong>, unter anderem sah er eine Mitbeteiligung<br />

der Einheimisch<strong>en</strong> an der Verwaltung<br />

vor 42 – w<strong>en</strong>n sie sich auch nicht in die<br />

Praxis umsetz<strong>en</strong> ließ aufgrund der europäisch<strong>en</strong><br />

Interess<strong>en</strong> in der Kolonie. 43<br />

An dieser Stelle soll nun die Verwaltung<br />

und Organisation der Kolonie dargestellt<br />

werd<strong>en</strong>. Die Verwaltung folgte in ihrer geographisch<strong>en</strong><br />

Ausdehnung der Gebietseroberung,<br />

in ihrer<br />

Art der Ausübung dem Grad der Unterwerfung<br />

der Stämme 44 : Währ<strong>en</strong>d im Süd<strong>en</strong><br />

Bezirksamtsmänner autoritär über die afrikanische<br />

Bevölkerung herrsch<strong>en</strong> konnt<strong>en</strong><br />

45 , wurde in viel<strong>en</strong> ander<strong>en</strong> Teil<strong>en</strong> der<br />

Kolonie das System der „ indirect rule „ eingeführt.<br />

46 Dem gemäß ging man auf lokaler<br />

Eb<strong>en</strong>e Allianz<strong>en</strong> mit kollaborationsbereit<strong>en</strong><br />

Stammeshäuptling<strong>en</strong> ein, die, zumindest<br />

nach auß<strong>en</strong> hin, die Macht innehatt<strong>en</strong>. Der<br />

Stamm hatte Tribut oder Kopfsteuer zu<br />

zahl<strong>en</strong>; die deutsche Einwirkung war indirekt<br />

und bezog sich z.B. auf die Besetzung<br />

der lokal<strong>en</strong> Machtpost<strong>en</strong> und Polizeimaßnahm<strong>en</strong>.<br />

Erwähn<strong>en</strong>swert ist schließlich, dass es keine<br />

Gewalt<strong>en</strong>teilung gab: der Gouverneur,<br />

wie auch unter ihm die Bezirksamtsmänner,<br />

konnte dank des Verordnungssystems das<br />

Recht sowohl setz<strong>en</strong> als auch anw<strong>en</strong>d<strong>en</strong>,<br />

praktisch nach eig<strong>en</strong>em Ermess<strong>en</strong>. „Der<br />

koloniale Staat war ein autoritärer Verwaltungsstaat<br />

ohne Gewalt<strong>en</strong>teilung, eine Despotie,<br />

die sich auf eine Herrschaftsallianz<br />

mit d<strong>en</strong> Kräft<strong>en</strong> des Hinterlandes stützte.“<br />

47<br />

Insbesondere im dritt<strong>en</strong> Jahrzehnt der<br />

Kolonialherrschaft setzte das ein, was sich,<br />

zumindest nach Deutung einiger Historiker<br />

48 , die Kings von der Unterzeichnung<br />

der „Schutzverträge“ erhofft hatt<strong>en</strong> 49 :<br />

Wege- und Straß<strong>en</strong> wurd<strong>en</strong> ausgebaut, auch<br />

mit dem Bau von 3 Eis<strong>en</strong>bahnstreck<strong>en</strong> wurde<br />

begonn<strong>en</strong>. Es gab eine Funkstation in<br />

Duala, ein Post- und Telegraph<strong>en</strong>wes<strong>en</strong>. In<br />

Schul<strong>en</strong> wurde die deutsche Sprache, christliche<br />

Lehre, Baumwollkultur & Landwirtschaft<br />

sowie Handwerkswes<strong>en</strong> unterrichtet.<br />

Die Medizinalverwaltung, die ursprünglich<br />

ausschließlich der Verbesserung der<br />

Gesundheitsverhältnisse der Deutsch<strong>en</strong><br />

di<strong>en</strong>te 50 , arbeitete später an einer allgemein<strong>en</strong><br />

Gesundheitsfürsorge, bekämpfte Seuch<strong>en</strong><br />

etc..<br />

Als tiefgreif<strong>en</strong>dste Veränderung wird die<br />

Schaffung eines Territorialstaates angeseh<strong>en</strong><br />

51 : vor der Kolonialisierung war<strong>en</strong> die<br />

Gr<strong>en</strong>z<strong>en</strong> unpräzise, ändert<strong>en</strong> sich ständig;<br />

es gab um die 200 verschied<strong>en</strong><strong>en</strong> ethnisch<strong>en</strong><br />

Grupp<strong>en</strong>, mit eig<strong>en</strong><strong>en</strong> Sprach<strong>en</strong> oder<br />

Dialekt<strong>en</strong>, Göttern, Tradition<strong>en</strong> und Kultur<strong>en</strong><br />

und eb<strong>en</strong>so eine Vielzahl politischer<br />

Ordnung<strong>en</strong>. Durch die Kolonialisierung<br />

gab es ein in völkerrechtlich<strong>en</strong> Verträg<strong>en</strong><br />

abgestecktes Gebiet „Kamerun“, mit einer<br />

Z<strong>en</strong>tralgewalt und einer Amtssprache.<br />

Die Verwaltungsform der „ indirect rule<br />

„ der Kolonie spiegelt einerseits wieder,<br />

dass in manch<strong>en</strong> Gebiet<strong>en</strong> die Herrschaft<br />

der deutsch<strong>en</strong> Kolonialmacht w<strong>en</strong>iger stark<br />

bzw. gesichert war als in ander<strong>en</strong>; zeitgleich<br />

verdeutlicht sie aber auch, worum es dem<br />

deutsch<strong>en</strong> Reich ging: Ursprung der Kolonialisierung<br />

Kameruns war<strong>en</strong> deutsche<br />

Wirtschaftsinteress<strong>en</strong>; ihr Ziel der<strong>en</strong><br />

Schutz. In scharfem Geg<strong>en</strong>satz dazu steht<br />

der Erfolg dieser wirtschaftlich<strong>en</strong> Nutzung:<br />

„Nationalökonomisch relevant wurde<br />

Kamerun bis 1914 weder als Absatzmarkt<br />

noch als Rohstofflieferant und Zielgebiet<br />

für Kapitalexport.“ 52 Ein anderer Historiker:<br />

„Wie untergeordnet die objektiv funktionale<br />

Bedeutung der Koloni<strong>en</strong> für die<br />

Wirtschaft der Metropolitanstaat<strong>en</strong> in der<br />

Folge auch immer sein sollte, j<strong>en</strong>e, die aktiv<br />

Kolonialpolitik betrieb<strong>en</strong>, hielt<strong>en</strong> an der<br />

ökonomisch<strong>en</strong> Zielvorstellung fest, die<br />

bestimmte, dass die Koloni<strong>en</strong> wirtschaftlich<br />

nutzbar zu mach<strong>en</strong> sei<strong>en</strong>. Insofern hatte die<br />

Kolonialverwaltung nur instrum<strong>en</strong>tal<strong>en</strong><br />

Charakter. 53<br />

Dem<strong>en</strong>tsprech<strong>en</strong>d kurz soll hier auf die<br />

wirtschaftliche Nutzung eingegang<strong>en</strong> werd<strong>en</strong>:<br />

Von 1896-1905 steht Kamerun meist<br />

an der Spitze der deutsch<strong>en</strong> Koloni<strong>en</strong> hinsichtlich<br />

des Exports von Kolonialwar<strong>en</strong> 54 .<br />

Der Großteil der Exporte wird im Rahm<strong>en</strong><br />

der traditionell<strong>en</strong> afrikanisch<strong>en</strong> Wirtschaft<br />

getätigt. Führ<strong>en</strong>d unter d<strong>en</strong> kolonialwirtschaftlich<strong>en</strong><br />

Produkt<strong>en</strong> war<strong>en</strong> Kautschuk,


Kakao, Palmöl (für Kerz<strong>en</strong>, Reif<strong>en</strong>,<br />

Schmiermittel); Palmkerne (für Seif<strong>en</strong>, Kerz<strong>en</strong>,<br />

Margarine) und Elf<strong>en</strong>bein. Ein<strong>en</strong><br />

gering<strong>en</strong> Anteil an d<strong>en</strong> Export<strong>en</strong> macht<strong>en</strong><br />

aus: Hölzer; Kolanüsse; Banan<strong>en</strong>; Vieh und<br />

Häute. Kaffeeanbau, Tee und Tabak blieb<strong>en</strong><br />

erfolglos.<br />

Neb<strong>en</strong> die wirtschaftliche Nutzung in<br />

Form von bloßem „ Handel „ trat ab 1895<br />

auch „Produktion „ durch Anlegung und<br />

Bewirtschaftung von Kakao-, Kautschukund<br />

Ölpalm<strong>en</strong>plantag<strong>en</strong>. 1914 war der<br />

Kamerunberg das umfangreichste, zusamm<strong>en</strong>häng<strong>en</strong>de<br />

Pflanzungsgebiet Westafrikas.<br />

Auch w<strong>en</strong>n die wirtschaftliche Bedeutung<br />

der europäisch<strong>en</strong> Plantag<strong>en</strong>produktion<br />

im Vergleich zum rein<strong>en</strong><br />

Handelsgeschäft gering war, hatte sie <strong>en</strong>orme<br />

soziale Auswirkung<strong>en</strong> und nahm somit<br />

in der deutsch<strong>en</strong> Kolonialdiskussion groß<strong>en</strong><br />

Raum ein 55 :<br />

Die Plantag<strong>en</strong>produktion führte <strong>zur</strong> weitreich<strong>en</strong>d<strong>en</strong><br />

Enteignung der Bevölkerung in<br />

diesem Gebiet sowie zu einer zunehm<strong>en</strong>d<strong>en</strong><br />

„Proletarisierung“. 56 Hier wurde die zahl<strong>en</strong>mäßig<br />

größte Lohnarbeitergruppe<br />

beschäftigt. 57 (Kamerun wurde wohl desweg<strong>en</strong><br />

von DDR-Historikern als erster deutscher<br />

Arbeiter- und Bauernstaat angeseh<strong>en</strong><br />

und somit Geg<strong>en</strong>stand der historisch<strong>en</strong> Forschung<br />

58 .) Die rücksichtslose Arbeiterbehandlung<br />

und die verstärkt zu einer Angeleg<strong>en</strong>heit<br />

der Behörd<strong>en</strong> werd<strong>en</strong>de Arbeiteranwerbung<br />

wurde mit „Sklaverei“<br />

verglich<strong>en</strong>, Meldung<strong>en</strong> hierüber besagt<strong>en</strong>,<br />

daß: „ganze Streck<strong>en</strong> … von Männern vollständig<br />

<strong>en</strong>tblößt sei<strong>en</strong>, und daß im Edea-<br />

Bezirk die Leute einfach wie Sklav<strong>en</strong> weggefang<strong>en</strong><br />

und mit Strick<strong>en</strong> zusamm<strong>en</strong>gekoppelt<br />

auf die Plantag<strong>en</strong> gebracht würd<strong>en</strong>,<br />

und daß dadurch eine vollständige Flucht<br />

der Eingebor<strong>en</strong><strong>en</strong> in d<strong>en</strong> Busch <strong>en</strong>tstand<strong>en</strong><br />

sei.“ 59<br />

Das Ende der deutsch<strong>en</strong> Kolonialherrschaft<br />

in Kamerun<br />

Das Ende der deutsch<strong>en</strong> Kolonialherrschaft<br />

wurde mit dem erst<strong>en</strong> Weltkrieg 1914 eingeläutet,<br />

der von d<strong>en</strong> europäisch<strong>en</strong> Kolonialmächt<strong>en</strong><br />

in die Koloni<strong>en</strong> getrag<strong>en</strong> wurde.<br />

Die afrikanische Bevölkerung litt nicht nur<br />

indirekt an d<strong>en</strong> Folg<strong>en</strong> sondern nahm teilweise<br />

auch an d<strong>en</strong> Kampfhandlung<strong>en</strong> teil.<br />

Am 20.2.1916 begab sich die letzte deutsche<br />

Garnison in Mora (Nordkamerun) nach<br />

Zusage eines frei<strong>en</strong> Abzugs in die Hände<br />

der britisch<strong>en</strong> Kolonialarmee. 60<br />

1 „Cameroun tire, <strong>en</strong> effet, son nom d’un mot portugais<br />

« camaro » qui signifie « crevette »… “,<br />

Owona, S. 10.<br />

2 Otto von Bismarck, 1. Reichskanzler (1871-90) des<br />

(2.) Deutsch<strong>en</strong> Reiches.<br />

3 Graud<strong>en</strong>z/Schindler, S. 191/2.<br />

4 Graud<strong>en</strong>z/Schindler, S. 191/2; Längin, S. 69;<br />

Owona, S. 31-2; Stoecker, S. 69.<br />

5 Längin, S. 69; Owona, S. 32: „Le scénario avait<br />

été bi<strong>en</strong> préparé pour faire impression sur les<br />

indigènes, les intimider et pour leur montrer que<br />

le Kaiser était un roi puissant“. Dieselbe Wertung<br />

bei Längin.<br />

6 Gemeint ist nicht das heutige Gebiet sondern das<br />

einiger w<strong>en</strong>iger Küst<strong>en</strong>dörfer.<br />

7 Owona, S. 33; Stoecker, S. 69; siehe auch Längin,<br />

S. 70.<br />

8 Graud<strong>en</strong>z/Schindler, S. 192; Längin, S. 70.<br />

9 Gründer, S. 51; Längin, S. 26; Owona, S. 24;<br />

Pak<strong>en</strong>ham, S. 201&3. Der Begriff „Schutzgebiet“<br />

wird auf diese ablehn<strong>en</strong>de Haltung Bismarcks<br />

geg<strong>en</strong>über Koloni<strong>en</strong> <strong>zur</strong>ückgeführt, Gründer, S.<br />

58.<br />

10 „Loving letter“ von einig<strong>en</strong> Häuptling<strong>en</strong> an<br />

Que<strong>en</strong> Victoria, 7.8.1879: „Dearest Madam, we<br />

your servants have join together and thoughts its<br />

better to write you a nice loving letter which will<br />

tell you about all our wishes. We wish to have<br />

your laws in our towns. We want to have every<br />

fashion altered, also we will do according to your<br />

Consul’s word…“, <strong>en</strong>tnomm<strong>en</strong> Pak<strong>en</strong>ham, S. 182.<br />

11 Stoecker, S. 67 & Fußnote 20; siehe Fußnote<br />

19&20 in diesem Text.<br />

12 Owona, S. 29; Siehe auch: Erster „Schutzvertrag“<br />

mit Togo, 5.7.1848, §1:„König Mlapa von Togo,<br />

geleitet von dem Wunsch, d<strong>en</strong> legitim<strong>en</strong> Handel,<br />

welcher sich hauptsächlich in d<strong>en</strong> Händ<strong>en</strong> deutscher<br />

Kaufleute befindet, zu beschütz<strong>en</strong> und d<strong>en</strong><br />

deutsch<strong>en</strong> Kaufleut<strong>en</strong> volle Sicherheit des Leb<strong>en</strong>s<br />

und Eig<strong>en</strong>tums zu gewähr<strong>en</strong>, bittet um d<strong>en</strong><br />

Schutz Seiner Majestät d<strong>en</strong> deutsch<strong>en</strong> Kaiser,<br />

damit er in d<strong>en</strong> Stand gesetzt werde, die Unabhängigkeit<br />

seines … Gebietes zu bewahr<strong>en</strong>.“<br />

13 Haus<strong>en</strong>, S. 64:„…das Primärziel der Kolonisation,<br />

nämlich die wirtschaftliche Ausbeutung der Kolonie.“;<br />

Owona, S. 75, zitiert die kolonialpolitische<br />

Korrespond<strong>en</strong>z 3, 1886: „le but de la colonisation<br />

est d’<strong>en</strong>richir sans scrupule et avec décision notre<br />

peuple aux dép<strong>en</strong>s d’autres peuples plus faibles“;<br />

Wirz, S. 7.<br />

14 Runderlaß Nr. 160, betr. Die Förderung der Handelsinteress<strong>en</strong><br />

des Schutzgebietes, vom 7.6.1905,<br />

DZA Nr. 3818, Bl. 87; zitiert nach Wirz, Albert, S.<br />

8&240.<br />

15 Eckert, S. 170.<br />

16 So z.B. Owona, S. 24.<br />

17 Gründer, S. 50-60; Längin 26-29; Pak<strong>en</strong>ham, S.<br />

204-7.<br />

18 Später Kaiser Friedrich (III.), bekannt als „Kaiser<br />

für 99 Tage“ im Dreikaiserjahr 1888.<br />

19 Owona, S. 29.<br />

20 vom 16.8.1884, über die Annexion, DZA, Potsdam,<br />

RKA Nr. 4204, zitiert nach Owona, S. 30.<br />

21 Stoecker, Band I, S. 67 zitiert d<strong>en</strong> Bericht Nachtigals<br />

an Bismarck, vom 16.8.1884.<br />

22 Siehe auch Längin, S. 69: „die Kings versprech<strong>en</strong><br />

sich vom Vertragswerk die Anlage eines richtig<strong>en</strong><br />

Haf<strong>en</strong>s, d<strong>en</strong> Bau von Schul<strong>en</strong>, Hospitälern, Straß<strong>en</strong>,<br />

vielleicht sogar einer Bahnstrasse.“<br />

59


60<br />

23 Wirz, S. 227. In dem „loving letter“, siehe Fußnote<br />

10 in diesem Text, erklär<strong>en</strong> die Kings ihr Schutzgesuch<br />

mit Verweis auf „wars“, „murder“ and<br />

„idol worshippers“, sowie „superstitions“, Pak<strong>en</strong>ham,<br />

S. 182-3.<br />

24 Wirz, S. 227 zitiert Dike, K.O. „Trade and Politics<br />

in the Niger Delta 1830-85“, Oxford 1956.<br />

25 Eckert, S. 168; Gründer, S. 138.<br />

26 Gründer, S. 138; für g<strong>en</strong>aueres: Stoecker, Band II,<br />

S. 1-93, nach Gebiet<strong>en</strong> aufgeteilt.<br />

27 Lewin, S. 39, hier zitiert nach Owona, S. 90.<br />

28 Eckert, S. 168.<br />

29 Owona, S. 91 mit Verweis auf Äußerung<strong>en</strong> Bebels<br />

im Reichstag. Weiter soll<strong>en</strong> 52 Kinder, die ein<br />

Dorfmassaker überlebt<strong>en</strong>, auf Befehl hin in Körb<strong>en</strong><br />

in Stromschnell<strong>en</strong> geworf<strong>en</strong> und so vor d<strong>en</strong><br />

Aug<strong>en</strong> der Soldat<strong>en</strong> zu Tode gekomm<strong>en</strong> sein.<br />

Erwähnt wird außerdem die Köpfung eines Stammeshäuptlings,<br />

die statt des Mittagess<strong>en</strong>, zu dem<br />

er eingelad<strong>en</strong> word<strong>en</strong> war, stattfand.<br />

30 Gründer, S. 140.<br />

31 Gründer, S. 139.<br />

32 Bzgl Sklaverei: Eckert, S. 169/70: die deutsche<br />

Verwaltung ist zwar gesetzlich geg<strong>en</strong> Sklaverei vorgegang<strong>en</strong>,<br />

in die Praxis wurde dies jedoch nur<br />

halbherzig umgesetzt, da man sich vor einem massiv<strong>en</strong><br />

Rückgang der Produktivität und Gesetzlosigkeit<br />

im Falle einer Sklav<strong>en</strong>befreiung fürchtete. Die<br />

Anti-Sklaverei-Rethorik di<strong>en</strong>te der Legitimierung<br />

der kolonial<strong>en</strong> Interv<strong>en</strong>tion & der Ruhigstellung<br />

der Mission<strong>en</strong> / humanitär<strong>en</strong> Organisation<strong>en</strong>.<br />

33 Längin, S. 80; Graud<strong>en</strong>z/Schindler, S. 196.<br />

34 Durch Heinrich Leist, der Stellvertreter des Gouverneurs<br />

von Zimmerer (1891-1895). Er war<br />

berüchtigt, sowohl weg<strong>en</strong> Folterung<strong>en</strong>xxxvi (Gründer,<br />

S. 139) als auch weg<strong>en</strong> „der skandalös<strong>en</strong><br />

Nähe zu Landestöchtern (unzüchtiger Verkehr mit<br />

im Gefängnis einsitz<strong>en</strong>d<strong>en</strong> Pfandweibern)“, Längin,<br />

S. 80.<br />

35 Gründer, S. 139; Stoecker, S. 117.<br />

36 Längin, S. 80<br />

37 Haus<strong>en</strong>, S. 92.<br />

38 Gründer, S. 140; Längin, S. 79-80.<br />

39 1900: neb<strong>en</strong> ca 100 Offizier<strong>en</strong> und Unteroffizier<strong>en</strong><br />

900 afrikanische Söldner, Gründer, S. 140.<br />

40 Gründer, S. 150.<br />

41 Siehe zu diesem Absatz: Gründer, S. 140.<br />

42 Gründer, S. 150; Wirz, S. 8.<br />

43 Gründer, S. 150.<br />

44 Haus<strong>en</strong>, S. 96.<br />

45 Und dabei Aufgab<strong>en</strong> wie Steuereintreibung,<br />

Rechtsetzung und –sprechung oder aber die Anlage<br />

von botanisch<strong>en</strong> Gärt<strong>en</strong> etc. erledigt<strong>en</strong>, siehe<br />

Eckert, S. 171; Haus<strong>en</strong>, S. 100.<br />

46 Eckert, S. 172; Haus<strong>en</strong>, 105-109; Owona, S. 67.<br />

47 Eckert, S. 169.<br />

48 So Längin, Fußnote 21, und Stoecker, Fußnote 20,<br />

(Fußnot<strong>en</strong> dieses Textes).<br />

49 vergleiche zum folg<strong>en</strong>d<strong>en</strong>: Haus<strong>en</strong>, S. 81-5; Längin,<br />

S. 91-2.<br />

50 Hier wird noch einmal deutlich, daß währ<strong>en</strong>d der<br />

Kolonialzeit Rass<strong>en</strong>diskriminierung herrschte und<br />

Deutsche zumindest in d<strong>en</strong> Koloni<strong>en</strong> häufig<br />

davon ausging<strong>en</strong>, dass ihn<strong>en</strong> die afrikanische<br />

Bevölkerung in jeglicher Hinsicht unterleg<strong>en</strong> sei.<br />

Owona, S. 125: „… la colonisation: un système<br />

dans lequel une minorité d’hommes appart<strong>en</strong>ant<br />

à la race blanche, dite supérierue, domine superbem<strong>en</strong>t<br />

une majorité d’hommes d’une autre race,<br />

la race noire, considérée comme la race inférieure.“<br />

51 Eckert, S. 170; Owona, S. 9-10 & 124.<br />

52 K. Haus<strong>en</strong>, zitiert über Gründer, S. 146.<br />

53 Wirz, S. 7.<br />

54 Gründer, S. 146.<br />

55 Gründer, S. 143.<br />

56 Längin, S. 95.<br />

57 Längin, S. 95.<br />

58 2-bändige Dokum<strong>en</strong>tarreihe von Stoecker, Helmuth:<br />

Kamerun unter deutscher Kolonialherrschaft,<br />

1960.<br />

59 Gründer, S. 151-2.<br />

60 Graud<strong>en</strong>z/Schindler , S. 213.<br />

Literatur<br />

· Eckert, Andreas<br />

Verwaltung, Recht und koloniale Praxis in<br />

Kamerun 1884-1914 (Kapitel)<br />

Aus: Kolonialisierung des Rechts, Rüdiger<br />

Voigt, Peter Sack (Hrsg)<br />

Nomos Verlagsgesellschaft, Bad<strong>en</strong> Bad<strong>en</strong>, 1.<br />

Auflage 2001<br />

· Graud<strong>en</strong>z, Karlheinz; Schindler, Hanns; Michael<br />

Schindler<br />

Deutsche Kolonialgeschichte in Dat<strong>en</strong> und Bildern<br />

1984 Südwest Verlag Münch<strong>en</strong><br />

· Gründer, Horst<br />

Geschichte der deutsch<strong>en</strong> Koloni<strong>en</strong><br />

1985 Ferdinand Schöningh, Paderborn Münch<strong>en</strong><br />

Wi<strong>en</strong> Zürich<br />

· Haus<strong>en</strong>, Karin<br />

Deutsche Kolonialherrschaft in Afrika<br />

1970 Atlantis Verlag, Zürich und Freiburg i. Br.<br />

· Längin, Bernd G.<br />

Die deutsch<strong>en</strong> Koloni<strong>en</strong><br />

2004 Mittler&Sohn GmbH, Hamburg Berlin<br />

Bonn<br />

· Lewin, Evans<br />

German Rule in Africa<br />

1918<br />

· Owona, Adalbert<br />

La naissance du Cameroun 1884-1914<br />

1996 Editions L’Harmattan, Paris<br />

· Stoecker, Helmuth (Hrsg.), 2 Bände<br />

Kamerun unter deutscher Kolonialherrschaft<br />

1960 Rütt<strong>en</strong>&Lo<strong>en</strong>ing, Berlin ("Printed in the<br />

German Democratic Republic")<br />

· Wirz, Albert<br />

Vom Sklav<strong>en</strong>handel zum kolonial<strong>en</strong> Handel<br />

1972 Atlantis Verlag, Zürich und Freiburg i. Br.<br />

DZA = Deutsches Z<strong>en</strong>tralarchiv Potsdam<br />

RKA = Reichskolonialamt


Licht in die Dunkelheit<br />

Missionarsgeschichte(n) Kameruns<br />

von RALF GERETSHAUSER<br />

ie viel schleich<strong>en</strong>der Finsternis<br />

hat die kleine Flamme widerstand<strong>en</strong>,<br />

die wir vor nun etwas w<strong>en</strong>iger<br />

als 25 Jahr<strong>en</strong> aus Europa hierher mitgebracht<br />

hab<strong>en</strong>! Wie viel<strong>en</strong> dunkl<strong>en</strong> Gefahr<strong>en</strong><br />

aus dem Inner<strong>en</strong> hat sie getrotzt! Wie viel<br />

Licht hat sie bis in die äußerst<strong>en</strong> Winkel<br />

Kameruns gebracht, wie viele schwarze Seel<strong>en</strong><br />

erleuchtet! Und nun scheint sie zu erlösch<strong>en</strong>,<br />

erstickt von d<strong>en</strong> Schatt<strong>en</strong>, die uns<br />

aus Europa erreicht hab<strong>en</strong>.<br />

Der Anfang<br />

Unter ander<strong>en</strong> Umständ<strong>en</strong> wäre ich sehr<br />

geehrt von der Anfrage des „Sterns von<br />

Afrika“ angesichts meines nah<strong>en</strong>d<strong>en</strong> silbern<strong>en</strong><br />

Missionarsjubiläums, als einziger noch<br />

„Duala ist dunkel, sehr dunkel –<br />

schwarz wie der Tod. Aber gepries<strong>en</strong><br />

sei Gott; das Evangelium, welches wir<br />

bring<strong>en</strong>, ist imstande, diese Finsternis<br />

zu vertreib<strong>en</strong>, wie groß sie auch sein mag.“<br />

Alfred Saker<br />

Dieser fiktive Bericht wurde Br. Robert Ulrich, P.S.M. in d<strong>en</strong> Mund gelegt.<br />

Er starb im Alter von 44 Jahr<strong>en</strong> am 4. September 1915 nach knapp 25 Jahr<strong>en</strong><br />

missionarischer Tätigkeit und wurde als letzter deutscher Missionar seiner<br />

Zeit auf kamerunschem Bod<strong>en</strong> beigesetzt. Der letzte aktive deutsche<br />

Missionar unter deutscher Kolonialherrschaft wurde am 5. Mai 1916 aus<br />

Kamerun vertrieb<strong>en</strong>.<br />

in Kamerun verblieb<strong>en</strong>er Missionar der<br />

erst<strong>en</strong> Gesandtschaft ein<strong>en</strong> Artikel für all<br />

die treu<strong>en</strong> Leser zu verfass<strong>en</strong>, die uns durch<br />

unsere jahrelange Tätigkeit hindurch so<br />

wohlwoll<strong>en</strong>d unterstützt hab<strong>en</strong>. Im Blicke<br />

auf die jetzige Lage, scheint mir in dies<strong>en</strong><br />

Zeil<strong>en</strong> etwas Abschließ<strong>en</strong>des zu lieg<strong>en</strong>. Ich<br />

will trotzdem versuch<strong>en</strong> meine Trauer über<br />

die aktuell<strong>en</strong> Geschehnisse zu vergess<strong>en</strong><br />

und mit Freude über das Erreichte bericht<strong>en</strong>.<br />

D<strong>en</strong> erst<strong>en</strong> Funk<strong>en</strong> der Froh<strong>en</strong> Botschaft<br />

bracht<strong>en</strong> die Babtist<strong>en</strong>missionare J. Clarke<br />

und Dr. G.K. Prince nach Kamerun. Sie<br />

war<strong>en</strong> vorher auf der Insel Jamaika tätig<br />

gewes<strong>en</strong> und einige ihrer Schützlinge, die<br />

dort in Sklaverei lebt<strong>en</strong>, hatt<strong>en</strong> sie<br />

61


Im Kloster Koutaba<br />

FOTO Stefan Rostock<br />

62<br />

gedrängt, auch ihr<strong>en</strong> Ahn<strong>en</strong> in der fern<strong>en</strong><br />

Heimat, das Evangelium unseres Herrn<br />

Jesus Christus zu bring<strong>en</strong>. Am erst<strong>en</strong> Tag<br />

des Jahres 1841 traf<strong>en</strong> sie auf der Insel Fernando<br />

Poo ein, die Kamerun vorgelagert<br />

ist. Unverzüglich erstattet<strong>en</strong> sie in ihrer <strong>en</strong>glisch<strong>en</strong><br />

Heimat Bericht und versucht<strong>en</strong> weitere<br />

Helfer für die afrikanische Mission zu<br />

gewinn<strong>en</strong>. Ihr<strong>en</strong> Wort<strong>en</strong> mangelte es nicht<br />

an Überzeugungskraft, so dass sich in d<strong>en</strong><br />

folg<strong>en</strong>d<strong>en</strong> Jahr<strong>en</strong> mehrere Dutz<strong>en</strong>d Missionare<br />

auf Fernando Poo einfand<strong>en</strong>. Im Jahre<br />

1845 gelangte j<strong>en</strong>es jedoch in d<strong>en</strong> Besitz<br />

der Spanisch<strong>en</strong> Krone, die ihrerseits ein<strong>en</strong><br />

katholisch<strong>en</strong> Bischof dort einsetzte. Die<br />

Vertreibung der Baptist<strong>en</strong> war unausweichlich.<br />

Sie erfolgte im Jahre 1858. Die Baptist<strong>en</strong>,<br />

vor all<strong>en</strong> A. Saker hatt<strong>en</strong> zu diesem<br />

Zeitpunkt aber schon mit der Missionierung<br />

des Festlandes begonn<strong>en</strong> und dort die<br />

erste Missionsstation „Bethel“ auf dem<br />

Gebiet errichtet, das heute die Hauptstadt<br />

Duala bildet. Im Zuge der Vertreibung <strong>en</strong>tstand<strong>en</strong><br />

die Station<strong>en</strong> Bellstadt und Viktoria.<br />

Saker baute sich selbst eine Druckerpresse<br />

und begann mit der Produktion<br />

allerhand religiöser Schrift<strong>en</strong> im Jahre<br />

1848. Er eignete sich mit flamm<strong>en</strong>dem<br />

Eifer die Sprache der Duala an und mit<br />

demselb<strong>en</strong> Ehrgeiz komplettierte er 1872<br />

die erste Übersetzung der Hl. Schrift auf<br />

Duala. Dem Sprachtal<strong>en</strong>t Sakers war<strong>en</strong><br />

jedoch Gr<strong>en</strong>z<strong>en</strong> gesetzt, so dass sein Werk<br />

trotz all<strong>en</strong> Müh<strong>en</strong>s unverständlich und weitgeh<strong>en</strong>d<br />

ungeles<strong>en</strong> blieb. Nach mehr als 30<br />

Jahr<strong>en</strong> missionarischer Tätigkeit musste<br />

Saker seiner Gesundheit Tribut zoll<strong>en</strong>. Er<br />

kehrte 1876 nach England <strong>zur</strong>ück, wo ihn<br />

der Herr vier Jahre später zu sich rief.<br />

Seine baptistisch<strong>en</strong> Mitbrüder setzt<strong>en</strong> ihr<br />

Werk an der Küste in rastlosem Streb<strong>en</strong> fort<br />

bis Dr. Gustav Nachtigal am 11. Juli 1884<br />

die deutsche Flagge über Kamerun hisste.<br />

Fortan sollt<strong>en</strong> deutsch-nationale Interess<strong>en</strong><br />

die Geschicke dieses Landes l<strong>en</strong>k<strong>en</strong>. Bereits<br />

1885 erreichte eine Anfrage der französisch<strong>en</strong><br />

„Väter vom Hl. Geist“ das Auslandsamt<br />

in Berlin. Diese wurde jedoch abschlägig<br />

beschied<strong>en</strong>, da zum ein<strong>en</strong> der Ord<strong>en</strong><br />

mit d<strong>en</strong> Jesuit<strong>en</strong> in Verbindung gebracht<br />

wurde und die Societas Jesu durch Bismarck<br />

verbot<strong>en</strong> word<strong>en</strong> war und man zum<br />

ander<strong>en</strong> eine französische Einflussnahme<br />

in Kamerun fürchtete. Die ansässig<strong>en</strong> Baptist<strong>en</strong><br />

fühlt<strong>en</strong> sich unter der neu<strong>en</strong> Obrigkeit<br />

nicht mehr wohl und ersucht<strong>en</strong> um<br />

Übernahme ihrer Station<strong>en</strong> durch eine<br />

geeignete Organisation. Im Jahre 1886 <strong>en</strong>tsandte<br />

die evangelische Basler Missionsgesellschaft,<br />

die zunächst nicht allzu motiviert<br />

schi<strong>en</strong>, noch ein weiteres Missionsgebiet in<br />

Afrika übernehm<strong>en</strong> zu müss<strong>en</strong>, die Missionare<br />

Rottmann und Bohner ob einer Sondierung<br />

und möglicher Übernahme der<br />

Baptist<strong>en</strong>gemeind<strong>en</strong> nach Kamerun aus.<br />

Sie beurteilt<strong>en</strong> die Lage als günstig. Mit<br />

finanzieller Unterstützung der Regierung,<br />

unter der Bedingung größtmöglicher Bewegungsfreiheit<br />

und autonomer Arbeit willigt<strong>en</strong><br />

die Basler in die Missionierung Kameruns<br />

ein und erwarb<strong>en</strong> die baptistisch<strong>en</strong><br />

Lieg<strong>en</strong>schaft<strong>en</strong>. Jedoch schon nach kurzer<br />

Zeit sagt<strong>en</strong> sich die Station<strong>en</strong> Bethel und<br />

Viktoria weg<strong>en</strong> Zwistigkeit<strong>en</strong> um Schule<br />

und Gemeindestruktur wieder los und wurd<strong>en</strong><br />

von deutsch<strong>en</strong> Baptist<strong>en</strong> übernomm<strong>en</strong>.<br />

Eine lange Zeit war seit der deutsch<strong>en</strong><br />

Besitzergreifung vergang<strong>en</strong> und die katholisch<strong>en</strong><br />

Bemühung<strong>en</strong>, auf dem Missionarsfeld<br />

Kamerun tätig zu werd<strong>en</strong> war<strong>en</strong> bisher<br />

im Sande verlauf<strong>en</strong>, was nicht zuletzt auf<br />

Spannung<strong>en</strong> zwisch<strong>en</strong> Rom und Berlin<br />

<strong>zur</strong>ückzuführ<strong>en</strong> ist. Die Jesuit<strong>en</strong> und Trapist<strong>en</strong><br />

musst<strong>en</strong> ablehn<strong>en</strong>. In Deutschland<br />

herrschte Priestermangel und auch die<br />

finanzielle Unterstützung war eher spärlich.<br />

Im März 1890, also erst sechs Jahre nachdem<br />

Kamerun deutsches Protektorat<br />

geword<strong>en</strong> war, erklärte sich die von Vinz<strong>en</strong>z<br />

Pallotti 1835 gegründete Pia Societas Missionum<br />

bereit, dort für Rom tätig zu werd<strong>en</strong>.<br />

Die S. Congregatio de Propaganda<br />

Fide spaltete Kamerun vom Vicariatus apostolicus<br />

utriusque Guineae ab und erhob es


selbst zum Apostolisch<strong>en</strong> Vikariat, dess<strong>en</strong><br />

erster Vikar P. Heinrich Vieter werd<strong>en</strong> sollte.<br />

Von Seit<strong>en</strong> der deutsch<strong>en</strong> Regierung gab<br />

es w<strong>en</strong>ig Entgeg<strong>en</strong>komm<strong>en</strong>. Die Bedingung<strong>en</strong><br />

an die Pallottiner war<strong>en</strong> hart: Nur deutsche<br />

Missionare sollt<strong>en</strong> <strong>en</strong>tsandt werd<strong>en</strong>,<br />

die Missionsleitung sollte sich in der Kolonie<br />

befind<strong>en</strong>, eine Einmischung seit<strong>en</strong>s des<br />

Auslandes sollte str<strong>en</strong>g ausgeschloss<strong>en</strong> sein<br />

und das Arbeitsfeld der katholisch<strong>en</strong> Missionare<br />

sollte von dem der protestantisch<strong>en</strong><br />

str<strong>en</strong>g getr<strong>en</strong>nt sein (letzteres konnte gottlob<br />

im Reichstag verhindert werd<strong>en</strong>). D<strong>en</strong><br />

größt<strong>en</strong> Kummer aber bereitete uns, dass<br />

unserer Gemeinschaft nicht erlaubt wurde,<br />

ein Missionshaus auf deutschem Bod<strong>en</strong> zu<br />

erricht<strong>en</strong>. Ohne ein<strong>en</strong> Ort der Ausbildung,<br />

der Kommunikation, der Koordination und<br />

der Reg<strong>en</strong>eration sollte die Gemeinschaft<br />

ihre Arbeit aufnehm<strong>en</strong>. Erst im Jahre 1892<br />

nach langem und zähem Ring<strong>en</strong> erhielt<br />

man die Erlaubnis in Limburg an der Lahn<br />

ein größeres leersteh<strong>en</strong>des Gebäude d<strong>en</strong><br />

Bedürfniss<strong>en</strong> <strong>en</strong>tsprech<strong>en</strong>d her<strong>zur</strong>icht<strong>en</strong>.<br />

Davon war jedoch noch nichts zu ahn<strong>en</strong>, als<br />

P. Vieter am 1. Oktober 1890 mit zwei weiter<strong>en</strong><br />

Klerikern und fünf Lai<strong>en</strong>brüdern auf<br />

einem Schiff der Linie Woermann von<br />

Hamburg aus in See stach. Wir war<strong>en</strong> froh<br />

und guter Dinge und unser geistiges Auge<br />

blickte dem unbekannt<strong>en</strong> Land <strong>en</strong>tgeg<strong>en</strong>,<br />

das für uns Feld der Arbeit, des Leid<strong>en</strong>s<br />

und der Entbehrung, oder – unser Friedhof<br />

werd<strong>en</strong> sollte.<br />

Die erst<strong>en</strong> Station<strong>en</strong><br />

Am 24. Oktober 1890 betrat<strong>en</strong> wir zum<br />

erst<strong>en</strong> Mal d<strong>en</strong> Bod<strong>en</strong> Kameruns. Unser<br />

Mut war gesunk<strong>en</strong> ob der Erinnerung an<br />

d<strong>en</strong> schwer<strong>en</strong> Sturm, der ein<strong>en</strong> Großteil<br />

der Erstausstattung über Bord gespült hatte,<br />

die uns vom Afrika-Verein deutscher<br />

Katholik<strong>en</strong> <strong>zur</strong> Verfügung gestellt word<strong>en</strong><br />

war. Als erstes musste man beim Gouverneur<br />

Jesko von Puttkamer vorstellig werd<strong>en</strong>,<br />

um ein<strong>en</strong> geeignet<strong>en</strong> Ort für die erste Station<br />

auszuwähl<strong>en</strong>. P. Vieter pochte auf die<br />

Zusicherung des Reichstages und sprach<br />

sich geg<strong>en</strong> die räumliche Tr<strong>en</strong>nung von d<strong>en</strong><br />

Baslern aus. Er wollte die Arbeit von der<br />

Küste aus beginn<strong>en</strong>. Der Gouverneur –<br />

ohne Zweifel beeinflusst durch die zahllos<strong>en</strong><br />

Eingab<strong>en</strong> der Basler – wies Nordkamerun<br />

als Missionsgebiet aus, das noch völlig<br />

unerschloss<strong>en</strong> und unzugänglich war. Vieters<br />

<strong>en</strong>ergisch<strong>en</strong> Hinweis auf die Vereinbarung<br />

mit der Regierung quittierte von Puttkamer<br />

folg<strong>en</strong>dermaß<strong>en</strong>: „Entschuldig<strong>en</strong><br />

Sie, Herr Pater, hier befehle ich und nicht<br />

der Reichstag!“ In Absprache mit dem Missionsvorsteher<br />

der Basler wurde schließlich<br />

das Dorf Edea als Standort der erst<strong>en</strong> Pallottinermision<br />

bestimmt. Dies befand sich<br />

zwar im Landesinner<strong>en</strong>, konnte aber von<br />

der Küste aus mit dem Schiff auf dem Sanga<br />

erreicht werd<strong>en</strong>. W<strong>en</strong>ig später brach die<br />

Gruppe unter Vieters Führung nach Edea<br />

auf. Bot<strong>en</strong> wurd<strong>en</strong> zu Häuptling Bombe<br />

geschickt, doch anstatt zu erschein<strong>en</strong>, zeigt<strong>en</strong><br />

sich mehr und mehr seiner Krieger. Diese<br />

feindliche Haltung veranlasste Vieter, die<br />

erste Station im Dorf des Häuptlings Toko,<br />

etwas weiter Sanga abwärts zu erricht<strong>en</strong>.<br />

Unter dies<strong>en</strong> ungünstig<strong>en</strong> Vorzeich<strong>en</strong> <strong>en</strong>tstand<br />

Mari<strong>en</strong>berg.<br />

Der folg<strong>en</strong>de Aufbau der Missionsstation<br />

sollte auch für alle folg<strong>en</strong>d<strong>en</strong> beispielhaft<br />

sein. Zuerst errichtete man mit tatkräftiger<br />

Hilfe der eingebor<strong>en</strong><strong>en</strong> Bevölkerung ein<br />

Schlafhaus in Hütt<strong>en</strong>bauweise. Dies sollte<br />

d<strong>en</strong> Missionar<strong>en</strong> als erste Zuflucht di<strong>en</strong><strong>en</strong>.<br />

Es folgt<strong>en</strong> eine Schule, eine Kapelle und ein<br />

Schlafraum für Schüler. Letztere kam<strong>en</strong> nur<br />

zögerlich. Unter d<strong>en</strong> Eingebor<strong>en</strong><strong>en</strong> kursierte<br />

das Gerücht, dass man bei d<strong>en</strong> Katholik<strong>en</strong><br />

nicht heirat<strong>en</strong> dürfe (böse Zung<strong>en</strong><br />

behaupt<strong>en</strong>, die Basler hätt<strong>en</strong> es in die Welt<br />

gesetzt). Jedoch bracht<strong>en</strong> lange Gespräche<br />

mit Häuptling Toko die W<strong>en</strong>de. Dieser<br />

erklärte sich bereit, seine eig<strong>en</strong><strong>en</strong> Söhne<br />

<strong>zur</strong> Schule zu schick<strong>en</strong>. Seinem Beispiel<br />

folgt<strong>en</strong> viele aus der Bevölkerung und<br />

schon bald sah<strong>en</strong> sich die Patres einer<br />

ansehnlich<strong>en</strong> Schar interessierter Jung<strong>en</strong><br />

geg<strong>en</strong>über. Im Geg<strong>en</strong>satz zu d<strong>en</strong> Baslern,<br />

die ihr<strong>en</strong> Grundsätz<strong>en</strong> folg<strong>en</strong>d, jed<strong>en</strong><br />

Stamm in seiner Muttersprache zu unterricht<strong>en</strong><br />

sucht<strong>en</strong>, setzt<strong>en</strong> die Pallottiner<br />

immer auf eine möglichst frühe Vermittlung<br />

der deutsch<strong>en</strong> Sprache, die dann auch<br />

als Unterrichtssprache verw<strong>en</strong>det wurde.<br />

Dies sollte sich später als Vorteil erweis<strong>en</strong>,<br />

als auch aus d<strong>en</strong> umlieg<strong>en</strong>d<strong>en</strong> Dörfern<br />

Schüler <strong>zur</strong> Station kam<strong>en</strong>. In dies<strong>en</strong> wurd<strong>en</strong><br />

teils andere Dialekte teils sogar andere<br />

Sprach<strong>en</strong> gesproch<strong>en</strong>, so dass die Klein<strong>en</strong><br />

auch untereinander Deutsch sprech<strong>en</strong><br />

musst<strong>en</strong>. Das Gewicht der Erziehung sollte<br />

auf die Jug<strong>en</strong>d gelegt werd<strong>en</strong>, da Erwachs<strong>en</strong>e<br />

schon zu sehr unter dem Einfluss ihres<br />

heidnisch<strong>en</strong> Erbes stand<strong>en</strong>. Vor allem der<br />

Polygynie musste mit <strong>en</strong>tschied<strong>en</strong>er Härte<br />

<strong>en</strong>tgeg<strong>en</strong>getret<strong>en</strong> werd<strong>en</strong>. Frau<strong>en</strong> galt<strong>en</strong> als<br />

Besitz ihres Mannes oder, w<strong>en</strong>n sie noch<br />

unverheiratet war<strong>en</strong>, ihres Vaters. So war<strong>en</strong><br />

viele Frau<strong>en</strong> auch ein Zeich<strong>en</strong> des Wohlstands,<br />

ja fast ein Handelsgut, d<strong>en</strong>n sie<br />

musst<strong>en</strong> von ihr<strong>en</strong> Famili<strong>en</strong> gekauft wer-<br />

63


d<strong>en</strong>. Wer nicht vermög<strong>en</strong>d g<strong>en</strong>ug war,<br />

musste sich damit zufried<strong>en</strong> geb<strong>en</strong>, eine<br />

Frau zu leih<strong>en</strong>.<br />

Der Erfolg von Mari<strong>en</strong>berg weckte d<strong>en</strong><br />

Neid von Häuptling Bombe, der uns in<br />

Edea zuvor so schmählich empfang<strong>en</strong> hatte.<br />

Nun suchte er mit all<strong>en</strong> Mitteln, P. Vieter<br />

davon zu überzeug<strong>en</strong>, auch in seinem Dorf<br />

eine Missionsstation zu gründ<strong>en</strong>. Fast<br />

gleichzeitig <strong>en</strong>tstand<strong>en</strong> dort und in Kribi an<br />

der Küste neue Orte missionarisch<strong>en</strong> Wirk<strong>en</strong>s.<br />

Wie überall so lauerte auch hier das<br />

Heid<strong>en</strong>tum hinter jedem Busch. Fetische<br />

wurd<strong>en</strong> verehrt und Giftmischerei, Zauberwes<strong>en</strong><br />

und Aberglaube bestimmt<strong>en</strong> d<strong>en</strong> Alltag.<br />

Besonders verruf<strong>en</strong> war ein Stand, der<br />

sich die „Losango“ nannte. Es handelte sich<br />

dabei um Geheimbünde, die sich um ein<strong>en</strong><br />

Gott oder ein<strong>en</strong> Teufel schart<strong>en</strong>. Sie übt<strong>en</strong><br />

polizeiliche und gerichtliche Gewalt aus<br />

und hatt<strong>en</strong> neb<strong>en</strong> dem Häuptling (der<br />

ihn<strong>en</strong> in d<strong>en</strong> meist<strong>en</strong> Fäll<strong>en</strong> wohl zu<strong>zur</strong>echn<strong>en</strong><br />

war) die größte Autorität im Dorf. Sie<br />

hielt<strong>en</strong> gottesdi<strong>en</strong>stähnliche Gerichte ab,<br />

bei d<strong>en</strong><strong>en</strong> der Angeklagte ein<strong>en</strong> Gifttrank<br />

zu sich nehm<strong>en</strong> musste. Erbrach j<strong>en</strong>er das<br />

teuflische Gemisch, war seine Unschuld<br />

erwies<strong>en</strong>, brach er darunter zusamm<strong>en</strong> war<br />

er schuldig und wurde hingerichtet. Beinahe<br />

wäre ihn<strong>en</strong> einmal ein Missionar zum<br />

Opfer gefall<strong>en</strong>, der beschuldigt wurde,<br />

einem Häuptling die Seele geraubt zu<br />

hab<strong>en</strong>. Die Bevölkerung zeigte sich jedoch<br />

immer mehr der dunkl<strong>en</strong> Schreck<strong>en</strong>sherrschaft<br />

der Losango überdrüssig und wandte<br />

sich der Liebe des Gottes der Christ<strong>en</strong> zu.<br />

Schon bald off<strong>en</strong>barte sich der Preis, d<strong>en</strong><br />

die Missionare für die Arbeit im Nam<strong>en</strong> des<br />

Herrn zahl<strong>en</strong> sollt<strong>en</strong>. Es dauerte nicht lange,<br />

da gab es kein<strong>en</strong> Bruder, der noch nicht<br />

vom Malariafieber befall<strong>en</strong> war, das in<br />

regelmäßig<strong>en</strong> Abständ<strong>en</strong> an ihr<strong>en</strong> Kräft<strong>en</strong><br />

zehrte. Dem übermäßig<strong>en</strong> Gebrauch des<br />

„Jesuit<strong>en</strong>pulvers“ oder Chinin konnte das<br />

Auftret<strong>en</strong> des Schwarzwasserfiebers leider<br />

erst viel zu spät zugeschrieb<strong>en</strong> werd<strong>en</strong>. Die<br />

ungewohnte Nahrung, die der afrikanische<br />

Bod<strong>en</strong> d<strong>en</strong> Missionar<strong>en</strong> sch<strong>en</strong>kte, gereichte<br />

eb<strong>en</strong>falls mehr der Entkräftung als der Stärkung.<br />

Viele arbeitet<strong>en</strong> im ungewohnt<strong>en</strong> Klima<br />

geschwächt und fiebrig bis <strong>zur</strong> völlig<strong>en</strong><br />

Erschöpfung weiter. In d<strong>en</strong> erst<strong>en</strong> zwei Jahr<strong>en</strong><br />

musst<strong>en</strong> drei Brüder weg<strong>en</strong> Krankheit<br />

ihre Tätigkeit in Kamerun unterbrech<strong>en</strong><br />

und Erholung in Deutschland such<strong>en</strong>. Drei<br />

weitere Brüder rief der Herr nach schwerem<br />

Leid<strong>en</strong> zu sich. Eine Erholungsstation<br />

war unabdingbar. Im Jahre 1894 wurde<br />

„Engelberg“ in klimatisch ang<strong>en</strong>ehm hoher<br />

64<br />

Lage am Kamerunberg gegründet und<br />

di<strong>en</strong>te von dieser Zeit an viel<strong>en</strong> Brüdern als<br />

Ort der Labsal.<br />

Festigung und Erweiterung<br />

Die folg<strong>en</strong>d<strong>en</strong> Jahre sollt<strong>en</strong> die Jahre der<br />

Festigung sein. Die finanzielle und personelle<br />

Lage der Pallottiner erlaubte nicht,<br />

weiter in das Innere Kameruns vorzustoß<strong>en</strong>,<br />

w<strong>en</strong>n das Erreichte nicht verderb<strong>en</strong><br />

sollte. Anlass zu dieser Sorge gab es leider<br />

g<strong>en</strong>ug. Nach der erst<strong>en</strong> Begeisterung über<br />

die Frohe Botschaft unseres Herrn wurd<strong>en</strong><br />

einige wankelmütige Seel<strong>en</strong> der Entbehrung<strong>en</strong><br />

überdrüssig, die die neue Religion von<br />

ihn<strong>en</strong> forderte. Vor allem die Vielweiberei<br />

wurde von ihn<strong>en</strong> schmerzlich vermisst. Einige<br />

bereits getaufte musst<strong>en</strong> sogar wieder<br />

ausgeschloss<strong>en</strong> werd<strong>en</strong>. Besonders rasch<br />

breitete sich ein Alkoholproblem unter d<strong>en</strong><br />

Eingebor<strong>en</strong><strong>en</strong> aus. J<strong>en</strong>es hatte sein<strong>en</strong><br />

Ursprung in Deutschland, das die unglaubliche<br />

M<strong>en</strong>ge von einer Million Liter Brandwein<br />

jährlich nach Kamerun exportierte.<br />

Mancherorts wurde dieses Laster sogar<br />

durch die Eingebor<strong>en</strong><strong>en</strong> institutionalisiert.<br />

Es <strong>en</strong>tstand die „Almela-Kirche“, welche als<br />

eine Nachäffung unserer heilig<strong>en</strong> christlich<strong>en</strong><br />

Kirche daherkam. Es gab ein<strong>en</strong> Taufritus,<br />

in d<strong>en</strong> „Gottesdi<strong>en</strong>st<strong>en</strong>“ wurde Brandwein<br />

mass<strong>en</strong>haft konsumiert und in Predigt<strong>en</strong><br />

zum Trink<strong>en</strong> und ander<strong>en</strong> Lastern<br />

aufgeruf<strong>en</strong>.<br />

Unvermutet kam<strong>en</strong> die Probleme, die<br />

aus dem Untergang des Losango-Kults<br />

erwuchs<strong>en</strong>. Nicht w<strong>en</strong>ige verstand<strong>en</strong> im<br />

Auftret<strong>en</strong> unserer Missionare geg<strong>en</strong> dies<strong>en</strong><br />

als eine Verkündigung fleischlicher Gelüste,<br />

die bereits unter d<strong>en</strong> Losango im Zaume<br />

gehalt<strong>en</strong> word<strong>en</strong> war<strong>en</strong>. Es machte sich<br />

auch Ratlosigkeit unter d<strong>en</strong> Eingebor<strong>en</strong><strong>en</strong><br />

breit. Es gab niemand<strong>en</strong> mehr, an d<strong>en</strong> man<br />

sich in Frag<strong>en</strong> der Geburt und Krankheit,<br />

bei zweifelhaft<strong>en</strong> Todesursach<strong>en</strong> oder auch<br />

um Schutz bei der Jagd w<strong>en</strong>d<strong>en</strong> konnte. Ein<br />

Eingebor<strong>en</strong>er sagte einmal: „Wir komm<strong>en</strong><br />

uns vor, wie Kinder, die man der Eltern<br />

beraubt hat und ohne Hilfe hinausstößt.“ In<br />

all dies<strong>en</strong> Angeleg<strong>en</strong>heit<strong>en</strong> musste nun der<br />

Missionar mit Rat und Tat abhelf<strong>en</strong>.<br />

Bald machte sich auch bemerkbar, dass<br />

unter d<strong>en</strong> Schülern die Mädch<strong>en</strong> fehlt<strong>en</strong>.<br />

Immer mehr Jung<strong>en</strong> blieb<strong>en</strong> der Schule<br />

fern, weil sie keine Aussicht hatt<strong>en</strong>, eine<br />

christliche Frau zu find<strong>en</strong>. Zum Zwecke der<br />

Mädch<strong>en</strong>erziehung wurd<strong>en</strong> deshalb auch<br />

umgeh<strong>en</strong>d Schwestern der Pallottiner nach<br />

Kamerun <strong>en</strong>tsandt. Jedoch mocht<strong>en</strong> die<br />

eingebor<strong>en</strong><strong>en</strong> Famili<strong>en</strong> ihre Töchter nicht


so leicht <strong>zur</strong> Erziehung geb<strong>en</strong>, wie die Söhne.<br />

Dies hatte vor allem drei Gründe: Zum<br />

ein<strong>en</strong> erwuchs d<strong>en</strong> Famili<strong>en</strong> keine Steigerung<br />

des Anseh<strong>en</strong>s durch gebildete Töchter,<br />

zum ander<strong>en</strong> fehlt<strong>en</strong> diese bei der Feldarbeit,<br />

w<strong>en</strong>n sie <strong>zur</strong> Schule geh<strong>en</strong> musst<strong>en</strong>.<br />

Am gewichtigst<strong>en</strong> war aber, dass christlich<br />

erzog<strong>en</strong>e Frau<strong>en</strong> nicht mehr an polygyne<br />

Männer verheiratet werd<strong>en</strong> konnt<strong>en</strong>. Da<br />

diese jedoch meist die wohlhab<strong>en</strong>dst<strong>en</strong><br />

war<strong>en</strong>, verlor die Tochter an materiellem<br />

Wert. Doch auch hier bildet<strong>en</strong> die Häuptlinge<br />

meist die Vorhut und bracht<strong>en</strong> ihre<br />

Töchter d<strong>en</strong> Schwestern <strong>zur</strong> Erziehung.<br />

Doch aus dies<strong>en</strong> Jahr<strong>en</strong> gibt es auch<br />

Erfreuliches zu bericht<strong>en</strong>. Aus d<strong>en</strong> Schul<strong>en</strong><br />

<strong>en</strong>tspross<strong>en</strong> junge, hoffnungsvolle Bursch<strong>en</strong>,<br />

von d<strong>en</strong><strong>en</strong> einige in höher<strong>en</strong> Schul<strong>en</strong><br />

zu Lehrern und Katechum<strong>en</strong>at<strong>en</strong> (Religionslehrern)<br />

weitergebildet und in Auß<strong>en</strong>stell<strong>en</strong><br />

der Station<strong>en</strong> <strong>en</strong>tsandt werd<strong>en</strong><br />

konnt<strong>en</strong>, um dort zu wirk<strong>en</strong>. In „Einsiedeln“<br />

wurde alsbald eine Katechet<strong>en</strong>schule<br />

und ein Priesterseminar gegründet. Um die<br />

Schul<strong>en</strong> herum <strong>en</strong>tstand<strong>en</strong> Pflanzung<strong>en</strong><br />

und Handwerksbetriebe in d<strong>en</strong><strong>en</strong> die jung<strong>en</strong><br />

Christ<strong>en</strong> weitergebildet werd<strong>en</strong> konnt<strong>en</strong>.<br />

Viele fand<strong>en</strong> ob ihrer Tal<strong>en</strong>te und<br />

Deutschk<strong>en</strong>ntnisse bei der Regierung oder<br />

in d<strong>en</strong> Faktorei<strong>en</strong> der Handelsfirm<strong>en</strong> eine<br />

Anstellung.<br />

D<strong>en</strong> Fortschritt der katholisch<strong>en</strong> Mission<br />

honorierte die Propaganda in Rom mit der<br />

Weihe und Ern<strong>en</strong>nung P. Vieters zum<br />

erst<strong>en</strong> Bischof von Kamerun am 22. Dezember<br />

1904. Unter derart gut<strong>en</strong> Vorzeich<strong>en</strong><br />

drang die Mission weiter ins Innere Kameruns<br />

vor und erreichte die Hocheb<strong>en</strong><strong>en</strong> des<br />

Graslandes. In d<strong>en</strong> dortig<strong>en</strong> groß<strong>en</strong>, befestigt<strong>en</strong><br />

Städt<strong>en</strong>, die taus<strong>en</strong>de von M<strong>en</strong>sch<strong>en</strong><br />

beherbergt<strong>en</strong> fand<strong>en</strong> die Schul<strong>en</strong> und die<br />

neue Religion größt<strong>en</strong>teils herzliche und<br />

begeisterte Aufnahme. Dort traf man auch<br />

auf d<strong>en</strong> Islam, der von Handelsreis<strong>en</strong>d<strong>en</strong><br />

aus Nordafrika in d<strong>en</strong> Süd<strong>en</strong> getrag<strong>en</strong> word<strong>en</strong><br />

war. Echte Begeisterung für die Lehr<strong>en</strong><br />

des falsch<strong>en</strong> Prophet<strong>en</strong>, war jedoch nie<br />

wirklich aufgekomm<strong>en</strong>, so dass j<strong>en</strong>er sich<br />

leichter <strong>zur</strong>ückdräng<strong>en</strong> ließ als erwartet.<br />

Duala (1897), Groß-Batanga (1900), Ikassa<br />

(1906), Ngowayang (1909), Dschang<br />

(1910), Minlaba und Ossing (1912) war<strong>en</strong><br />

die neu<strong>en</strong> Station<strong>en</strong> von d<strong>en</strong><strong>en</strong> aus sich die<br />

Frohe Botschaft wie ein Lauffeuer verbreitete.<br />

Keine jedoch reichte an die Krone unseres<br />

Müh<strong>en</strong>s heran: Jaunde (1901) sollte das<br />

Musterbild einer Missionsstation bleib<strong>en</strong>.<br />

Dort unterlief<strong>en</strong> uns keine Fehltritte, bis<br />

zum Ende.<br />

Das Ende<br />

Die Chronik der Zerstörung begann am 27.<br />

September 1914, als französische und <strong>en</strong>glische<br />

Trupp<strong>en</strong> Duala einnehm<strong>en</strong>. Die ansässig<strong>en</strong><br />

Missionare wurd<strong>en</strong> gefang<strong>en</strong> gesetzt.<br />

Im Oktober 1914 wurd<strong>en</strong> unsere erst<strong>en</strong> Station<strong>en</strong><br />

Mari<strong>en</strong>berg und Edea geräumt und<br />

geplündert, die dortig<strong>en</strong> Brüder ereilte das<br />

Schicksal der Verbannung.<br />

Dies alles geschieht noch unter d<strong>en</strong><br />

Aug<strong>en</strong> von Bischof Vieter, der in Jaunde<br />

weilte und von Botschaftern erfahr<strong>en</strong> musste,<br />

wie sein Leb<strong>en</strong>swerk Stück für Stück in<br />

Flamm<strong>en</strong> aufging. Am 7. November 1904<br />

bereitete der Herr seinem Leid<strong>en</strong> ein Ende<br />

und rief ihn zu sich. Er starb an Herzversag<strong>en</strong>.<br />

Im Dezember 1914 wurde Engelberg<br />

g<strong>en</strong>omm<strong>en</strong> und alle Einwohner vertrieb<strong>en</strong>,<br />

ohne Rücksicht darauf, wer gesund war und<br />

wer krank. Kurz vor dem Einmarsch der<br />

Trupp<strong>en</strong> hatt<strong>en</strong> die Patres noch alle Hände<br />

voll zu tun, eine Schar junger Paare zu trau<strong>en</strong>,<br />

die befürcht<strong>en</strong>, sonst nicht mehr d<strong>en</strong><br />

Bund der Ehe eingeh<strong>en</strong> zu könn<strong>en</strong>.<br />

In dies<strong>en</strong> Tag<strong>en</strong>, da ich diese Zeil<strong>en</strong> zu<br />

Papier bringe, sind die Trupp<strong>en</strong> auf dem<br />

Vormarsch in das Hinterland. Was aus all<br />

d<strong>en</strong> Seel<strong>en</strong> werd<strong>en</strong> wird, die uns anheim<br />

gegeb<strong>en</strong> war<strong>en</strong>, weiß nur der Allmächtige.<br />

Ngowayang im August 1915<br />

Br. Robert Ulrich, P.S.M.<br />

Literatur<br />

· Berger, Heinrich, Mission und Kolonialpolitik<br />

in Neue Zeitschrift für Missionswiss<strong>en</strong>schaft,<br />

Imm<strong>en</strong>see 1978<br />

· Hering, Wolfgang (Hrsg.), Christus in Afrika<br />

in Glaube, Wiss<strong>en</strong>, Wirk<strong>en</strong> 15, Lahn-Verlag,<br />

Limburg 1991<br />

· Skolaster, Hermann, Die Pallottiner in Kamerun<br />

Druck & Verlag der Kongregation der Pallottiner,<br />

Limburg/Lahn 1924<br />

· Schlatter, Wilhelm, Geschichte der Basler Mission<br />

1815-1915, Band III<br />

Basler Missionsbuchhandlung, Basel 1916<br />

· Joseph Schmidlin, Katholische Missionsgeschichte<br />

Missionsdruckerei Steyl, Kald<strong>en</strong>kirch<strong>en</strong> 1924<br />

65


66<br />

Das „Kamerun-Spiel“<br />

uf d<strong>en</strong> deutsch<strong>en</strong> Gab<strong>en</strong>tisch<strong>en</strong> des<br />

Jahres 1885 beispielsweise war insbesondere<br />

Kamerun, das Bismarck<br />

soeb<strong>en</strong> d<strong>en</strong> Engländern in einer Art kolonialem<br />

Wettr<strong>en</strong>n<strong>en</strong> weggeschnappt hatte, in<br />

spielerischem Gewand präs<strong>en</strong>t. Als Weihnachtsgesch<strong>en</strong>k<br />

für die ganze Familie empfahl<br />

sich „Das Kamerun-Spiel oder King<br />

Bell und seine Leute“, ein Produkt des<br />

Leipziger Militaria-Verlags Moritz Ruhl, der<br />

später vor allem durch seine Prachtbände<br />

über Uniform<strong>en</strong> (speziell die der deutsch<strong>en</strong><br />

Schutztrupp<strong>en</strong>) bekannt wurde. Das reich<br />

ausgestattete Kart<strong>en</strong>spiel nahm Bezug auf<br />

die Ereignisse des Jahres 1884, als das deutsche<br />

Kanon<strong>en</strong>boot „Möwe“ in d<strong>en</strong> Kamerunfluß<br />

eingelauf<strong>en</strong> war und w<strong>en</strong>ig später<br />

die Könige Bell und Akwa mit divers<strong>en</strong><br />

Unterhäuptling<strong>en</strong> die Abtretung der<br />

Hoheitsrechte unterzeichnet<strong>en</strong>.<br />

Famili<strong>en</strong>, die das exotische Präs<strong>en</strong>t im<br />

Winter 1885/86 in Gebrauch nahm<strong>en</strong>,<br />

konnt<strong>en</strong> darin als Spielmaterial sechzehn<br />

„fein ausgeführte Neger-Porträts in Farb<strong>en</strong>druck<br />

auf Karton“ und eb<strong>en</strong>so viele<br />

Nam<strong>en</strong>s- und Ereigniskart<strong>en</strong> find<strong>en</strong>. Über<br />

ein<strong>en</strong> relativ einfach<strong>en</strong> Spielaufbau wird am<br />

Ende derj<strong>en</strong>ige „von d<strong>en</strong> Kamerun-Negern“<br />

ermittelt, der „die größte Treue und Ausdauer<br />

in sein<strong>en</strong> friedlich<strong>en</strong> Gesinnung<strong>en</strong><br />

geg<strong>en</strong> die Deutsch<strong>en</strong> bewahrt“. Dess<strong>en</strong><br />

glücklicher „Besitzer“ wird mit dem verblieb<strong>en</strong><strong>en</strong><br />

Kass<strong>en</strong>bestand belohnt.<br />

Das Spiel ist geprägt durch Auszeichnungs-<br />

und Bestrafungsaktion<strong>en</strong>, die sich in<br />

neutralerer Form in viel<strong>en</strong> Gesellschaftsspiel<strong>en</strong><br />

eingebürgert hab<strong>en</strong> und in diesem<br />

„schwarz<strong>en</strong> Monopoly“ quasi eine Grundlegung<br />

erfuhr<strong>en</strong>. Hinrichtung<strong>en</strong>, gnad<strong>en</strong>halber<br />

und geg<strong>en</strong> Zahlung von Spielgeld in<br />

Verbannung umgewandelt, gehör<strong>en</strong> eb<strong>en</strong>so<br />

dazu wie Belohnung<strong>en</strong> für „Gesang in der<br />

Negersprache“, der d<strong>en</strong> Kolonialherr<strong>en</strong><br />

„Ergötz<strong>en</strong>“ bereitet hat.<br />

Die Duala, die Ureinwohner Kameruns,<br />

agier<strong>en</strong> in der Spielhandlung stereotyp <strong>en</strong>tweder<br />

als folgsame Unterstützer deutscher<br />

Interess<strong>en</strong> oder als böswillige Aufrührer<br />

und Diebe. Ihre Kulthandlung<strong>en</strong> werd<strong>en</strong> –<br />

w<strong>en</strong>n sie nicht als Spektakel zum Vergnüg<strong>en</strong><br />

der Weiß<strong>en</strong> einsetzbar sind – als heimtückische<br />

Hexerei verworf<strong>en</strong>.<br />

„Das ‘Kamerun-Spiel’“, schreibt die Kulturwiss<strong>en</strong>schaftlerin<br />

Nana Bad<strong>en</strong>berg, die<br />

diese spezielle Variante kolonialer Mobilmachung<br />

eindrucksvoll dokum<strong>en</strong>tiert hat,<br />

„sollte für deutsche Famili<strong>en</strong> eine Sonntagsverlustierung<br />

sein“; zugleich jedoch sollte<br />

der Kolonialismus spielerisch-alltäglich<br />

„eingeübt“ und die angebliche sittliche<br />

(Fehl-)Disposition bestimmter afrikanischer<br />

Stämme transpar<strong>en</strong>t werd<strong>en</strong>. Ohne je in<br />

direkt<strong>en</strong> Kontakt mit der einheimisch<strong>en</strong><br />

Bevölkerung zu komm<strong>en</strong>, ließ sich – so<br />

Bad<strong>en</strong>berg – „anhand der Vulgärethnographie<br />

des ‘Kamerun-Spiels’ lern<strong>en</strong>“, was man<br />

von ihr zu halt<strong>en</strong> hatte: ein dem Trunk ergeb<strong>en</strong>es<br />

Volk von Händlern, zu Streit, Verrat<br />

und off<strong>en</strong>em Aufruhr neig<strong>en</strong>d, charakterlich<br />

geprägt, wie Hugo Zöller, einer der<br />

kolonial<strong>en</strong> Wortführer geißelte, durch<br />

„Eitelkeit, Faulheit, Habgier“, und deshalb<br />

allein durch ein striktes Regime von Zuckerbrot<br />

und Peitsche unter Kontrolle zu halt<strong>en</strong>.<br />

Quelle<br />

Hans Helmut Hillrichs, Waldaff<strong>en</strong>, „Nickneger“,<br />

schwarze Perl<strong>en</strong> – Und ewig leb<strong>en</strong> die (Zerr-)Bilder,<br />

in: Gisela Graich<strong>en</strong>, Horst Gründer, Deutsche<br />

Koloni<strong>en</strong>. Traum und Trauma, Berlin: Ullstein<br />

2005, 453-461, 455f.


Die deutsch-kamerunische Geg<strong>en</strong>wart<br />

67


68<br />

Die sind so<br />

Was Deutsche und Kameruner voneinander wiss<strong>en</strong><br />

von ANJA DODEK<br />

Teil 1: Kamerun-Bild in Deutschland<br />

Die unbekannt<strong>en</strong> Löw<strong>en</strong><br />

amerun?! Boah, da weiß ich (fast) gar<br />

nichts drüber“ – das war mit Abstanddie<br />

erste und häufigste Reaktion<br />

von Passant<strong>en</strong>, die ich in der Heidelberger<br />

Fußgängerzone ansprach, um mehr über<br />

das Kamerun- Bild in Deutschland zu erfahr<strong>en</strong>.<br />

Mithilfe eines kurz<strong>en</strong> Fragebog<strong>en</strong>s<br />

wollte ich herausfind<strong>en</strong>, was die M<strong>en</strong>sch<strong>en</strong><br />

mit Kamerun assoziier<strong>en</strong>, was sie über das<br />

Land wiss<strong>en</strong> und wodurch diese Vorstellung<strong>en</strong><br />

geprägt sind. Insgesamt interviewte ich<br />

Rundes, faustgroßes<br />

Fettgebäck aus Hefeteig<br />

hat viele Nam<strong>en</strong>:<br />

Krapf<strong>en</strong>. Berliner,<br />

Pfannkuch<strong>en</strong> – oder<br />

eb<strong>en</strong> auch Kameruner.<br />

dazu 51 Person<strong>en</strong> im Alter von 16 bis 87<br />

Jahr<strong>en</strong> (mean=38), davon 56 % Frau<strong>en</strong>.<br />

„Welche drei Begriffe fall<strong>en</strong> Ihn<strong>en</strong> spontan<br />

zu Kamerun ein ?“ lautete meine erste<br />

Frage, mit der für drei Person<strong>en</strong> auch<br />

schon das Interview <strong>en</strong>dete, da sie d<strong>en</strong><br />

Begriff „Kamerun“ noch nie gehört hatt<strong>en</strong><br />

und ihn<strong>en</strong> nicht klar war, dass es sich dabei<br />

um ein<strong>en</strong> (afrikanisch<strong>en</strong>) Staat handelt.<br />

Die häufigst<strong>en</strong> Assoziation<strong>en</strong> der ander<strong>en</strong><br />

Befragt<strong>en</strong> war<strong>en</strong> „Afrika“, „Fußball“


und „Armut“. Nimmt man zu Fußball noch<br />

die Begriffe „Winfried Schäfer“, „Roger Milla“<br />

und „die Löw<strong>en</strong>“ hinzu, so wird der<br />

beliebte Ballsport zum häufigst g<strong>en</strong>annt<strong>en</strong><br />

Begriff im Zusamm<strong>en</strong>hang mit Kamerun.<br />

Auch in später<strong>en</strong> Antwort<strong>en</strong> zeigt sich diese<br />

Dominanz. So meint eine Mehrheit der<br />

Befragt<strong>en</strong>, ihr Bild über Kamerun sei<br />

hauptsächlich durch Länderspiele und Länderportraits<br />

im Fernseh<strong>en</strong> währ<strong>en</strong>d Fußballweltmeisterschaft<strong>en</strong><br />

bestimmt. Man<br />

erinnert sich an d<strong>en</strong> stark<strong>en</strong> Auftritt von<br />

Roger Milla bei der WM 1990, sein<strong>en</strong> leg<strong>en</strong>där<strong>en</strong><br />

Tanz um die Eckfahne und dass 2003<br />

ein kamerunischer Spieler, Marc-Vivi<strong>en</strong><br />

Foé, beim Konföderation<strong>en</strong>-Pokal in Frankreich<br />

auf dem Platz zusamm<strong>en</strong>brach und<br />

w<strong>en</strong>ig später starb.<br />

Damit ist für viele ihr Wiss<strong>en</strong> über Kamerun<br />

aber auch schon erschöpft. „Voll ins<br />

Leere getroff<strong>en</strong>“ meint eine 44-jährige<br />

Frau, auf die Frage, was ihr Bild von Kamerun<br />

bestimmt und so lautet die typische<br />

Antwort „man weiß einfach sehr w<strong>en</strong>ig darüber“.<br />

Erschreck<strong>en</strong>d und peinlich findet<br />

das ein 38-jähriger Mann und ein 72-Jähriger<br />

erklärt seine Unwiss<strong>en</strong>heit damit, dass<br />

Kamerun eb<strong>en</strong> nicht „durch negative<br />

Schlagzeil<strong>en</strong> wie Bürgerkriege oder Naturkatastroph<strong>en</strong><br />

unang<strong>en</strong>ehm auffalle“. Gibt<br />

man „Kamerun“ als Suchbegriff in d<strong>en</strong><br />

Online-Archiv<strong>en</strong> von Zeitung<strong>en</strong> und Zeitschrift<strong>en</strong><br />

wie „Die Zeit“, „Spiegel“, „FAZ“,<br />

„Stern“ und „SZ“ ein, so erhält man bis zu<br />

150 Treffern, wobei auch hier die meist<strong>en</strong><br />

Artikel mit Fußball zu tun hab<strong>en</strong>. Flüchtlingspolitik,<br />

AIDS und Weltkirche sind weitere<br />

häufigere Them<strong>en</strong>. Aber auch über<br />

„Die Macht der Hex<strong>en</strong>“ (DIE ZEIT, Nr.38,<br />

2005), interkulturelle Schönheitsideale (DIE<br />

ZEIT, Nr.7, 2004) und deutsche vs. kamerunische<br />

Komplim<strong>en</strong>te (SZ, 14.09.2005) kann<br />

man etwas lern<strong>en</strong>.<br />

Insbesondere ältere Person<strong>en</strong> erinnern<br />

sich noch daran, dass Kamerun vor dem<br />

erst<strong>en</strong> Weltkrieg deutsche Kolonie war und<br />

im Geschichtsunterricht behandelt wurde.<br />

Auch in d<strong>en</strong> Medi<strong>en</strong> findet man hierzu<br />

noch einige Berichte, und sei es nur als<br />

Ankündigung einer Fotoausstellung. Für<br />

die Mehrheit der Befragt<strong>en</strong> spielt die koloniale<br />

Vergang<strong>en</strong>heit Deutschlands für ihr<br />

Kamerunbild jedoch kaum eine Rolle.<br />

Vielmehr führ<strong>en</strong> mangelnde K<strong>en</strong>ntnisse<br />

über Land und Leute dazu, dass allgemeine<br />

Klischees über Afrika, die sich aus verschied<strong>en</strong><strong>en</strong><br />

Quell<strong>en</strong> zusamm<strong>en</strong>setz<strong>en</strong>, einfach<br />

auf Kamerun übertrag<strong>en</strong> werd<strong>en</strong>.<br />

So ergibt sich das Bild von arm<strong>en</strong>,<br />

schwarz<strong>en</strong> M<strong>en</strong>sch<strong>en</strong>, die trotz aller widrig<strong>en</strong><br />

Umstände leb<strong>en</strong>sfroh und freundlich<br />

sind. Sie tanz<strong>en</strong> gerne, ess<strong>en</strong> hauptsächlich<br />

Reis und Früchte und leb<strong>en</strong> in einer heiß<strong>en</strong>,<br />

trock<strong>en</strong><strong>en</strong> Landschaft. Die meist<strong>en</strong><br />

sind von Christ<strong>en</strong> missioniert word<strong>en</strong>,<br />

hab<strong>en</strong> aber noch ihre einheimisch<strong>en</strong> Naturreligion<strong>en</strong><br />

und Bräuche, die auf Europäer<br />

fremd und unbekannt oder aber exotisch<br />

anzieh<strong>en</strong>d wirk<strong>en</strong>. Es herrsch<strong>en</strong> die typisch<br />

afrikanisch<strong>en</strong> Probleme wie Armut, mangelnde<br />

Bildung, Unterdrückung von Frau<strong>en</strong>,<br />

Hunger und evtl. Krieg.<br />

So zumindest würde eine äußert knappe<br />

Zusamm<strong>en</strong>fassung der Hauptaussag<strong>en</strong> meiner<br />

Umfrage laut<strong>en</strong>, der<strong>en</strong> Ergebnisse ich<br />

in Form eines Gesamtfragebog<strong>en</strong>s in einem<br />

Kast<strong>en</strong> dargestellt habe.<br />

Es ist jedoch falsch, einfach alle Aussag<strong>en</strong><br />

über alle Person<strong>en</strong> hinweg zu addier<strong>en</strong>, weil<br />

dadurch interindividuelle Unterschiede einfach<br />

verwischt werd<strong>en</strong>. So gibt es durchaus<br />

Person<strong>en</strong>, die ein differ<strong>en</strong>ziertes Kamerun -<br />

und Afrikabild hab<strong>en</strong> und nicht zuletzt sind<br />

das vor allem diej<strong>en</strong>ig<strong>en</strong>, die schon mal ein<br />

afrikanisches Land bereist hab<strong>en</strong> oder<br />

ein<strong>en</strong> Kameruner persönlich k<strong>en</strong>n<strong>en</strong>.<br />

Dies zeigt, dass Vorurteile und Klischees<br />

letztlich nur durch Wiss<strong>en</strong> und persönliche<br />

Begegnung abgebaut und verändert werd<strong>en</strong><br />

könn<strong>en</strong>. Eine Chance, die wir als Teilnehmer<br />

der Kamerunakademie im Februar<br />

2006 selbst hab<strong>en</strong> werd<strong>en</strong> – nutz<strong>en</strong> wir sie.<br />

69


70<br />

?<br />

Welche drei Begriffe<br />

fall<strong>en</strong> Ihn<strong>en</strong> spontan<br />

zu Kamerun ein?<br />

Was verbind<strong>en</strong> Sie<br />

spontan mit d<strong>en</strong> M<strong>en</strong>sch<strong>en</strong><br />

in Kamerun?<br />

Wo liegt Kamerun?<br />

Welche Sprache(n)<br />

spricht man in Kamerun?<br />

K<strong>en</strong>n<strong>en</strong> Sie eine Stadt<br />

in Kamerun, w<strong>en</strong>n ja,<br />

welche?<br />

Gehört Kamerun<br />

Ihrer Meinung nach<br />

zu d<strong>en</strong> eher reicher<strong>en</strong>/ärmer<strong>en</strong><br />

Staat<strong>en</strong><br />

Afrikas, weder noch?<br />

Kamerun exportiert<br />

vor allem…<br />

Umfrage zum Kamerunbild in Deutschland<br />

Zusamm<strong>en</strong>fassung der Ergebnisse einer mündlich<strong>en</strong> Befragung<br />

von 51 Passant<strong>en</strong> in der Heidelberger Fußgängerzone vom<br />

Oktober 2005.<br />

Afrika (22), Fußball (18), Armut (18), Farbige/schwarz/dunkelhäutig<br />

(12), warm/heiß/Sonne (7), Landschaft/Natur (7), deutsche<br />

Kolonie (6), Winfried Schäfer (3), Roger Milla (2), „die Löw<strong>en</strong>“ (2),<br />

Hunger (2), bunte Kleider (2), Schmuck (2), Krieg (2), unbekannt<br />

(2), andere Kultur(2), ganz weit weg, „Kameruner“(= Fett- bzw.<br />

Schmalzgebäck), „Krabb<strong>en</strong>“ (= Kamerun von Rio de Camarões),<br />

Südamerika, Kaffee, Frau<strong>en</strong>rechte, ist überbevölkert, Kinder, Diktatur,<br />

Demokratie, Lehmhütte, Entwicklungsland<br />

arm (18), schwarz (12), fröhlich/leb<strong>en</strong>sfroh (9), freundlich/nett<br />

(7), unbekannt/fremd (6), gastfreundlich/off<strong>en</strong> (5), groß (3), herzlich<br />

(2), arbeitslos (2), bunte Kleidung (2), französisch (2), Viehwirtschaft<br />

(2), Diskriminierung von Frau<strong>en</strong> (2), andere Kultur (2), Wiss<strong>en</strong>sdrang,<br />

phlegmatisch, tun uns leid, einfache Leb<strong>en</strong>sweise, w<strong>en</strong>iger<br />

Stress, sorgloser, Tanz an der Eckfahne, woll<strong>en</strong> flieh<strong>en</strong>,<br />

Partnergemeinde, anders gebaut, schöne M<strong>en</strong>sch<strong>en</strong>, elegant, spontan,<br />

witzig, laut, traditionell, Tod, Entwicklungshilfe angebracht (es<br />

fehlt an Wasser, Bildung), für Frau<strong>en</strong> schwer zu leb<strong>en</strong>, kleine Dörfer,<br />

war<strong>en</strong> mit deutscher Besatzung zufried<strong>en</strong><br />

Afrika (46), Westafrika (10), Z<strong>en</strong>tralafrika (9), Südafrika (4), Nordafrika<br />

(3), Südwestafrika, Ostafrika, Südamerika, außerhalb von<br />

Europa, bei Nigeria/Tschad, bei Togo, Elf<strong>en</strong>beinküste<br />

französisch (27), <strong>en</strong>glisch (20), verschied<strong>en</strong>e einheimische Slangs<br />

(18), afrikanisch (7), kamerunisch (2), spanisch, (2) portugiesisch<br />

(2), kisuaheli (2), deutsch<br />

nein (47), Yaoundé (2), Nigeria, Djibouti<br />

eher ärmer (19), mittel (14), eher reicher (12), mittel bis reich (2)<br />

geschätztes Pro-Kopf-Jahreseinkomm<strong>en</strong>: 120 – 9000 Euro (Schnitt:<br />

1950 Euro)<br />

Kaffee (16), Bod<strong>en</strong>schätze/Rohstoffe (7), Obst/Früchte (7),<br />

Leb<strong>en</strong>smittel/landwirtschaftliche Erzeugnisse (6), Textili<strong>en</strong> (5),<br />

Kunsthandwerk (4), Kakao (4), Banan<strong>en</strong> (4), Tee (3), Tabak (3),<br />

Diamant<strong>en</strong> (3), Kupfer (3), Schmuck (2), Fische (2), Gewürze (2),


Wie viele M<strong>en</strong>sch<strong>en</strong><br />

leb<strong>en</strong> in Kamerun?<br />

Was fällt Ihn<strong>en</strong> spontan<br />

<strong>zur</strong> Landschaft<br />

und zum Klima in<br />

Kamerun ein?<br />

Welche Bräuche oder<br />

Tradition<strong>en</strong> k<strong>en</strong>n<strong>en</strong><br />

Sie aus Kamerun?<br />

Was isst man typischerweise<br />

in Kamerun?<br />

Welcher Religion<br />

gehör<strong>en</strong> die meist<strong>en</strong><br />

Kameruner an?<br />

K<strong>en</strong>n<strong>en</strong> Sie eine<br />

berühmte Persönlichkeit<br />

aus Kamerun<br />

bzw. im Zusamm<strong>en</strong>hang<br />

mit Kamerun?<br />

Frag<strong>en</strong> <strong>zur</strong> Person<br />

Alter:<br />

Geschlecht:<br />

Hab<strong>en</strong> Sie schon mal<br />

ein afrikanisches Land<br />

bereist, w<strong>en</strong>n ja, welches?<br />

K<strong>en</strong>n<strong>en</strong> Sie ein<strong>en</strong><br />

Kameruner persönlich?<br />

Trop<strong>en</strong>hölzer (2),<br />

Erz, Gold, Öl, Holzfigur<strong>en</strong>, Teppiche, Blum<strong>en</strong>, Soja, Ananas, Zukkerrohr,<br />

Gemüse, Drog<strong>en</strong>, Sklav<strong>en</strong> (früher)<br />

sehr w<strong>en</strong>ig (weil viele sterb<strong>en</strong>) bis 200 Million<strong>en</strong> (ist übervölkert)<br />

(Schnitt: 32,85 Million<strong>en</strong>)<br />

heiß und trock<strong>en</strong> (15), warm/heiß (9), Steppe (8),<br />

durchwachs<strong>en</strong>/vielseitig (tropisches Klima, Reg<strong>en</strong>wald, auch Küste,<br />

Steppe) (7), tropisch/eher feucht (5), Reg<strong>en</strong>wald (4), Äquatornähe<br />

(4), Savanne (3), trock<strong>en</strong>/Dürre (3), bergig (3), rel. fruchtbar (3),<br />

Reg<strong>en</strong>zeit<strong>en</strong>, Weidelandschaft, 1-2 größere Städte sonst Siedlung<strong>en</strong>,<br />

schwül, Sahara, Monsun, salzige Luft am Meer<br />

Tänze (16), Frau<strong>en</strong> hab<strong>en</strong> w<strong>en</strong>ig Rechte (6), Trommeln<br />

(4),Beschneidung (von Männern und Frau<strong>en</strong>) (3), Musik, Gesänge,<br />

christliche Feste, Famili<strong>en</strong>bund (geg<strong>en</strong>seitige Hilfe), Vielehe, Voodoo<br />

(je 2), Medizinmänner, Ringe um d<strong>en</strong> Hals, w<strong>en</strong>ig Bücher,<br />

Schnitzerei<strong>en</strong>, Initiationsrit<strong>en</strong>, Stammesrituale<br />

Reis (14), Früchte/ Obst (10), Hirse (8), Mais (8), Fleisch (9) (Zieg<strong>en</strong><br />

(4), Geflügel (3), Springbock (2), Lamm, Rind, Aff<strong>en</strong>, Büffel),<br />

Getreide (6), Gemüse (5), alles was sie selber anbau<strong>en</strong> könn<strong>en</strong> (5),<br />

Couscous (4), eher w<strong>en</strong>ig Fleisch (4), Milch (4), Fisch (3), Banan<strong>en</strong><br />

(2), Wurzeln (2), Flad<strong>en</strong>brot (2), Blätter, Ameis<strong>en</strong>, Grashüpfer, Fast-<br />

Food (vergleichbar mit Europa), man wird nicht dick davon, keine<br />

Hungersnot, Maniok<br />

Christ<strong>en</strong> (23), Naturreligion<strong>en</strong>/einheimische Religion<strong>en</strong> (14), Christ<strong>en</strong>&Muslime<br />

(6), sicher keine Christ<strong>en</strong> (5), keine Muslime, Voodoo,<br />

Hindus (je 3), Muslime, Buddhist<strong>en</strong> (je 2), Sekt<strong>en</strong>, überirdische<br />

Mächte<br />

ein<strong>en</strong> Fußballer (14), Winfried Schäfer (10), Roger Milla (6), Fußballer,<br />

der 2003 auf Platz gestorb<strong>en</strong> ist; ein<strong>en</strong> König, der in Ludwigshaf<strong>en</strong><br />

als Kfz-Mechaniker arbeitet (Anm.: stimmt, aber der<br />

König ist aus Ghana), Nelson Mandela für ganz Afrika, ein<strong>en</strong> Musiker,<br />

ein<strong>en</strong> Feldherrn<br />

16- 87 (Schnitt: 38)<br />

29 Frau<strong>en</strong>, 22 Männer<br />

Tunesi<strong>en</strong> (12), Marokko (5), Südafrika (4), Ägypt<strong>en</strong> (3), Namibia<br />

(2)<br />

Ja, flüchtig (aus Jug<strong>en</strong>dherberge, Künstler, geschäftlich)(7); ja,<br />

Freund (ehemaliger Studi<strong>en</strong>kollege); nein, aber meine Schwester<br />

lebte viele Jahre als Missionsschwester in Kamerun<br />

71


Brücke über d<strong>en</strong><br />

Lokoundjé River, 1908<br />

von Deutsch<strong>en</strong> erbaut,<br />

Bipinidi<br />

72<br />

Teil 2: Deutschland-Bild in Kamerun<br />

Die lauf<strong>en</strong> schneller als Autos<br />

eutschland ist wie ein Paradies: Die<br />

Leute hab<strong>en</strong> unglaublich viel Geld,<br />

schnelle Autos und leb<strong>en</strong> im Luxus“,<br />

so beschreibt Michael, 25, das Bild, das er<br />

von Deutschland hatte, bevor er 1999 aus<br />

Manhon, einem Dorf in der Nähe von<br />

Bam<strong>en</strong>da nach Heidelberg kam und erinnert<br />

sich an die viel<strong>en</strong> und teur<strong>en</strong> Gesch<strong>en</strong>ke,<br />

die Bekannte, die in Deutschland lebt<strong>en</strong>,<br />

in d<strong>en</strong> Weihnachtsferi<strong>en</strong> immer verteilt<strong>en</strong>.<br />

Auch D<strong>en</strong>is, 30, aus einem Dorf im<br />

Ost<strong>en</strong> Kameruns bei Batouri, stellte sich<br />

Deutschland als reiches Industrieland vor,<br />

in dem es kein<strong>en</strong> Wald, sondern nur Häuser,<br />

Autos und Straß<strong>en</strong> gäbe. „Deutschland<br />

ist das Land der Arbeit. Die M<strong>en</strong>sch<strong>en</strong> sind<br />

pünktlich, ernsthaft und gewiss<strong>en</strong>haft. Was<br />

gemacht wird, ist gut und auf Dauer ausgelegt.<br />

Das kann man an d<strong>en</strong> deutsch<strong>en</strong> Eis<strong>en</strong>bahnbrück<strong>en</strong><br />

aus der Kolonialzeit seh<strong>en</strong>.<br />

Die steh<strong>en</strong> immer noch, währ<strong>en</strong>d andere<br />

schon wieder eingestürzt sind.“<br />

Diese Schilderung<strong>en</strong> der beid<strong>en</strong> jung<strong>en</strong><br />

kamerunisch<strong>en</strong> Männer zeig<strong>en</strong> einige der<br />

typisch<strong>en</strong> Klischees, auf die man auch in<br />

ander<strong>en</strong> Bericht<strong>en</strong> über das Deutschland-<br />

Bild in Kamerun immer wieder stößt. So ist<br />

dieses Bild geprägt von einem Mix aus oftmals<br />

positiv verklärt<strong>en</strong> Erinnerung<strong>en</strong> an die<br />

deutsche Kolonialzeit, einer weit verbreitet<strong>en</strong><br />

Anerk<strong>en</strong>nung deutscher Wiss<strong>en</strong>schaft<br />

und Technik, aktuell<strong>en</strong> Erfahrung<strong>en</strong> aus<br />

der Entwicklungszusamm<strong>en</strong>arbeit sowie<br />

persönlich<strong>en</strong> Erlebniss<strong>en</strong> mit Deutsch<strong>en</strong><br />

oder in Deutschland leb<strong>en</strong>d<strong>en</strong> Person<strong>en</strong>.<br />

Topographische Orte in Kamerun wie<br />

das Gouverneurshaus Jesko von Puttkamers<br />

oder der Bismarckbrunn<strong>en</strong> in Buea, zahlreiche<br />

Eis<strong>en</strong>bahnbrück<strong>en</strong>, Kirch<strong>en</strong> und einige<br />

verwahrloste Friedhöfe geb<strong>en</strong> noch heute<br />

Zeugnis deutscher Vergang<strong>en</strong>heit. Solche<br />

Monum<strong>en</strong>te werd<strong>en</strong> nach Dr. Stefanie<br />

Michels, einer deutsch<strong>en</strong> Afrikanistin, die<br />

die koloniale Erinnerungskultur in Kamerun<br />

erforscht, sowohl als Orte des Schrekk<strong>en</strong>s<br />

(German execution c<strong>en</strong>ter) als auch<br />

der Bewunderung (German bridge) erinnert.<br />

Aber auch Bücher <strong>zur</strong> „Geschichte<br />

Kameruns“ präg<strong>en</strong> das Bild von Schülern<br />

und Stud<strong>en</strong>t<strong>en</strong> zum kolonial<strong>en</strong> Deutschland.<br />

So preist laut Michels z.B. Engelbert<br />

Mv<strong>en</strong>g in seinem 1963 erschi<strong>en</strong><strong>en</strong> Werk<br />

„Histoire du Cameroun“ das deutsche œuvre<br />

in Kamerun als wirtschaftlich<strong>en</strong> (Infrastruktur<br />

& Verwaltung) und sozial<strong>en</strong> (Bildung,<br />

Wiss<strong>en</strong>schaft) „Aufstieg“, währ<strong>en</strong>d<br />

der spätere vielzitierte Autor <strong>zur</strong> kamerunisch<strong>en</strong><br />

Geschichte, Victor Julius Ngoh


(1988), diese Zeit wes<strong>en</strong>tlich kritischer darstellt<br />

und d<strong>en</strong> Widerstandskrieg<strong>en</strong> viel Platz<br />

einräumt.<br />

Mit deutscher Technik und Wiss<strong>en</strong>schaft<br />

werd<strong>en</strong> Produkte von hoher Qualität verbund<strong>en</strong>.<br />

„W<strong>en</strong>n du die Leute fragst, woher<br />

die best<strong>en</strong> Autos komm<strong>en</strong>, dann werd<strong>en</strong><br />

80% Deutschland sag<strong>en</strong>“ meint Michael,<br />

der hier Medizin studiert und die gut<strong>en</strong> Studi<strong>en</strong>bedingung<strong>en</strong><br />

zu schätz<strong>en</strong> weiß. „Ich<br />

möchte auf jed<strong>en</strong> Fall meine Ausbildung<br />

hier in Deutschland abschließ<strong>en</strong> und<br />

irg<strong>en</strong>dwann als guter Arzt nach Kamerun<br />

<strong>zur</strong>ückkehr<strong>en</strong>“.<br />

D<strong>en</strong>is Kontakt mit Deutschland <strong>en</strong>tstand<br />

über die Entwicklungszusamm<strong>en</strong>arbeit. Als<br />

er nach seinem Abitur im Priesterseminar<br />

lebte und Philosophie studierte, lernte er<br />

eine junge „Missionarin auf Zeit“ k<strong>en</strong>n<strong>en</strong>,<br />

die ein Jahr lang bei einem Ord<strong>en</strong> als Freiwillige<br />

mithalf. Ihn beeindruckte das Motto<br />

von MaZ „mitleb<strong>en</strong>-mitbet<strong>en</strong>-mitarbeit<strong>en</strong>“<br />

und so kam er im Oktober 2004 durch die<br />

Initiative „MaZ im Austausch“, die sich<br />

dafür einsetzt, dass auch junge M<strong>en</strong>sch<strong>en</strong><br />

aus der „Dritt<strong>en</strong> Welt“ hier bei uns ein<strong>en</strong><br />

Freiwillig<strong>en</strong>di<strong>en</strong>st leist<strong>en</strong> könn<strong>en</strong>, für ein<br />

Jahr nach Deutschland. „Ich habe immer<br />

davon geträumt, ander<strong>en</strong> Völkern zu begegn<strong>en</strong>,<br />

ihre Kultur versteh<strong>en</strong> zu lern<strong>en</strong>, verschied<strong>en</strong>e<br />

Sprach<strong>en</strong> zu könn<strong>en</strong> und Bänder<br />

der Freundschaft zu knüpf<strong>en</strong>, d<strong>en</strong>n es ist<br />

wichtig, dass sich die M<strong>en</strong>sch<strong>en</strong> k<strong>en</strong>n<strong>en</strong>,<br />

damit sie sich schätz<strong>en</strong> und miteinander<br />

leb<strong>en</strong> könn<strong>en</strong>. Je besser sich M<strong>en</strong>sch<strong>en</strong> k<strong>en</strong>n<strong>en</strong>,<br />

um so besser versteh<strong>en</strong> sie sich und<br />

um so besser könn<strong>en</strong> sie in Fried<strong>en</strong> leb<strong>en</strong>“.<br />

Michael und D<strong>en</strong>is hatt<strong>en</strong> die Möglichkeit<br />

Deutschland k<strong>en</strong>n<strong>en</strong> zu lern<strong>en</strong>,<br />

wodurch sich ihr Deutschland-Bild zum Teil<br />

veränderte und auf jed<strong>en</strong> Fall differ<strong>en</strong>zierter<br />

wurde. Und w<strong>en</strong>n sie heute nach Kamerun<br />

<strong>zur</strong>ückkehr<strong>en</strong>, trag<strong>en</strong> sie selbst wiederum<br />

dazu bei, das Bild von Deutschland in<br />

ihrer Heimat zu präg<strong>en</strong>.<br />

Auf die Frage, was sie Freund<strong>en</strong> und<br />

Bekannt<strong>en</strong> d<strong>en</strong>n von Deutschland erzähl<strong>en</strong><br />

werd<strong>en</strong>, w<strong>en</strong>n sie <strong>zur</strong>ückkomm<strong>en</strong>, sind sie<br />

sich einig: „Das Leb<strong>en</strong> in Deutschland ist<br />

nicht so leicht, wie man es sich vorstellt.<br />

Man muss hart arbeit<strong>en</strong>, um klarzukomm<strong>en</strong>“.<br />

Als Schwierigkeit<strong>en</strong> n<strong>en</strong>n<strong>en</strong> sie<br />

zunächst die Sprache und das Wetter. „Als<br />

ich das erste Mal Schnee geseh<strong>en</strong> habe,<br />

habe ich mich gefreut, wie ein kleines Kind.<br />

Ich bin raus und hab gleich Fotos für meine<br />

Eltern gemacht“, sagt Michael, währ<strong>en</strong>d<br />

D<strong>en</strong>is die erst<strong>en</strong> Woch<strong>en</strong> nur gefror<strong>en</strong> hat.<br />

Auch das öff<strong>en</strong>tliche Leb<strong>en</strong> ist für ein<strong>en</strong><br />

Afrikaner eine sehr große Umstellung. „Bei<br />

uns ist das Leb<strong>en</strong> drauß<strong>en</strong> wichtig. Leute<br />

brauch<strong>en</strong> nicht unbedingt die vier Wände<br />

und Termine; sie treff<strong>en</strong> sich auf der Straße,<br />

red<strong>en</strong> miteinander und lern<strong>en</strong> sich k<strong>en</strong>n<strong>en</strong>.<br />

Und so <strong>en</strong>tsteh<strong>en</strong> auch oft Freundschaft<strong>en</strong>.<br />

In Deutschland ist es auf der Straße<br />

sehr ruhig, es gibt w<strong>en</strong>ig Kontakte<br />

zwisch<strong>en</strong> Leut<strong>en</strong>. Die lauf<strong>en</strong> manchmal<br />

schneller als Autos und sag<strong>en</strong> zueinander<br />

auch oft nicht mehr als Bitte, … Danke, …<br />

Tschüs!“ beschreibt D<strong>en</strong>is. Seltsam sei das<br />

Verhältnis der Deutsch<strong>en</strong> zu ihr<strong>en</strong> Hund<strong>en</strong>.<br />

„Die werd<strong>en</strong> fast g<strong>en</strong>auso wie M<strong>en</strong>sch<strong>en</strong><br />

behandelt“ sagt D<strong>en</strong>is kopfschüttelnd. Ich<br />

weiß nicht, ob ihm dabei bewusst war, dass<br />

sein Landsmann, der kamerunische Ethnologe<br />

Dr. Flavi<strong>en</strong> Ndonko eine ganze Forschungsarbeit<br />

über Deutsche, ihre Hunde<br />

und was man daraus über unsere Gesellschaft<br />

lern<strong>en</strong> kann, verfasst hat.<br />

Zum Deutschlandbild von Michael<br />

gehört nach seiner Zeit in Deutschland leider<br />

auch die Erfahrung von Diskriminierung<br />

und Ausländerfeindlichkeit. So war<br />

beispielsweise auf dem Arbeitsamt ein<br />

bestimmter Neb<strong>en</strong>job auf seine Anfrage hin<br />

bereits vergeb<strong>en</strong>, währ<strong>en</strong>d sein deutscher<br />

Kommilitone w<strong>en</strong>ig später g<strong>en</strong>au dieses<br />

Angebot bekam. In Diskothek<strong>en</strong> werde er<br />

manchmal nicht reingelass<strong>en</strong> und in der<br />

Uni musste er sich schon mal auf eine seiner<br />

Frag<strong>en</strong> folg<strong>en</strong>d<strong>en</strong> Komm<strong>en</strong>tar eines<br />

Doz<strong>en</strong>t<strong>en</strong> gefall<strong>en</strong> lass<strong>en</strong>: „Ich k<strong>en</strong>ne kein<strong>en</strong><br />

Afrikaner, der das geschafft hat“. Zum<br />

Glück sei<strong>en</strong> die meist<strong>en</strong> Leute in Deutschland<br />

aber wirklich freundlich. Beide jung<strong>en</strong><br />

Männer schätz<strong>en</strong> hier außerdem die Ordnung,<br />

Sauberkeit und Pünktlichkeit, gerade<br />

auch von öff<strong>en</strong>tlich<strong>en</strong> Verkehrsmitteln. „In<br />

Kamerun fährt der Bus erst los, w<strong>en</strong>n er<br />

voll ist… und das kann manchmal sehr lange<br />

dauern…“. Ein deutsches Volksfest mit<br />

Geisterbahn, Karussell und Zuckerwatte in<br />

Nürnberg zählt zu d<strong>en</strong> schönst<strong>en</strong> Erlebniss<strong>en</strong><br />

von Michael in Deutschland. Auch<br />

D<strong>en</strong>is verbindet viele schöne Erfahrung<strong>en</strong><br />

und Begegnung<strong>en</strong> mit seinem Auf<strong>en</strong>thalt in<br />

Deutschland und so lautete sein Fazit bei<br />

seiner Rückkehr im Oktober 2005: „Schwierigkeit<strong>en</strong><br />

gehör<strong>en</strong> dazu g<strong>en</strong>auso wie Missverständnisse<br />

und was ein Gast als Dummheit<strong>en</strong><br />

mach<strong>en</strong> kann, darauf gibt es keine<br />

Vorbereitung! Aber Deutschland ist ein<br />

sehr schönes Land. Ich bin sehr froh hier<br />

gewes<strong>en</strong> zu sein. Als Kameruner kann man<br />

in Deutschland viel lern<strong>en</strong>.“<br />

D<strong>en</strong>is und Michael<br />

73


74<br />

Kameruner in Deutschland<br />

von LISA EHRENFRIED<br />

ameruner in Deutschland – Diese<br />

Aufgab<strong>en</strong>stellung ist schon alleine<br />

dadurch interessant, dass wir als<br />

„Weiße“ die schlechte Angewohnheit hab<strong>en</strong><br />

„schwarze“ M<strong>en</strong>sch<strong>en</strong> zuerst einmal alle in<br />

d<strong>en</strong> ein<strong>en</strong> groß<strong>en</strong> Topf der Afrikaner zu<br />

werf<strong>en</strong>. Weitere Unterschiede über g<strong>en</strong>auere<br />

Herkunft etc. werd<strong>en</strong> auf Anhieb eher<br />

selt<strong>en</strong> gemacht. Das hat – w<strong>en</strong>n man nur<br />

ein w<strong>en</strong>ig darüber nachd<strong>en</strong>kt – ein<strong>en</strong><br />

schlecht<strong>en</strong> Beigeschmack, d<strong>en</strong>n selbst w<strong>en</strong>n<br />

ich mich als Europäer und global d<strong>en</strong>k<strong>en</strong>d<strong>en</strong><br />

M<strong>en</strong>sch<strong>en</strong> verstehe, so möchte ich<br />

doch nicht, dass alle europäisch<strong>en</strong> Kultur<strong>en</strong><br />

zu einem „weiß<strong>en</strong> Einheitsbrei“ verrührt<br />

werd<strong>en</strong>. Vive la différ<strong>en</strong>ce! Anstatt im Sinne<br />

von „<strong>Afrique</strong> <strong>en</strong> Miniature“ auch noch<br />

andere Bevölkerungsgrupp<strong>en</strong> aus Afrika<br />

mit einzubezieh<strong>en</strong> und von ihn<strong>en</strong> <strong>zur</strong>ück<br />

auf Kameruner zu schließ<strong>en</strong>, habe daher<br />

ich meine Recherch<strong>en</strong> ausschließlich auf<br />

Kameruner in Deutschland beschränkt.<br />

Konkret bestand<strong>en</strong> die Recherch<strong>en</strong> zum<br />

Großteil aus Interviews: mit einem Kameruner<br />

Kommiliton<strong>en</strong>, William Tekouo; mit<br />

dem Vorsitz<strong>en</strong>d<strong>en</strong> des Kamerun-Vereins in<br />

Münch<strong>en</strong>, Dr. Landry Ndogmo, sowie mit<br />

dem Kamerun-Expert<strong>en</strong> des Instituts für<br />

Afrikanistik der Universität Münch<strong>en</strong>, Dr.<br />

Klaus Schubert. William ist seit 5 Jahr<strong>en</strong> in<br />

Deutschland und studiert Maschin<strong>en</strong>bau an<br />

der TU Münch<strong>en</strong>. Dr. Ndogmo ist Bauing<strong>en</strong>ieur<br />

und lebt seit Beginn seines Studiums<br />

vor 20 Jahr<strong>en</strong> in Deutschland.<br />

Des Weiter<strong>en</strong> s<strong>en</strong>det<strong>en</strong> mir das Bundesamt<br />

für Statistik und die Bundesag<strong>en</strong>tur für<br />

Arbeit Dat<strong>en</strong> über Kameruner in Deutschland<br />

zu.<br />

Als erstes stellt sich, mit Blick auf Kameruner<br />

in Deutschland, die Frage: Wie viele<br />

Kameruner leb<strong>en</strong> eig<strong>en</strong>tlich in Deutschland?<br />

Hier gibt das Bundesamt für Statistik<br />

Auskunft: 13834 Kameruner, davon zwei<br />

Drittel männlich, ein Drittel weiblich, leb<strong>en</strong><br />

<strong>zur</strong> Zeit (d.h. am 31.12.2004) in Deutschland.<br />

Ihre Aufteilung nach Altersgrupp<strong>en</strong><br />

ist in Abbildung 1 dargestellt.<br />

Man sieht, dass der Großteil zwisch<strong>en</strong> 21<br />

und 35 Jahr<strong>en</strong> alt ist. Vermutlich befind<strong>en</strong><br />

sich darunter viele Stud<strong>en</strong>t<strong>en</strong>, da Deutschland,<br />

wie ich von meinem Kommiliton<strong>en</strong><br />

erfahr<strong>en</strong> habe, ein unter Kamerunern sehr<br />

beliebtes Land zum Studier<strong>en</strong> ist. Grund<br />

dafür ist zum ein<strong>en</strong> die gute Ausstattung,<br />

zum ander<strong>en</strong> aber auch, weil es gerade in<br />

technisch<strong>en</strong> Fächern eig<strong>en</strong>tlich keine Zulassungsbeschränkung<strong>en</strong><br />

gibt. Jeder Kameruner<br />

mit Abitur kann in Deutschland nach


Besteh<strong>en</strong> eines Sprachtestes studier<strong>en</strong>. In<br />

Kamerun ist das Universitätssystem dem<br />

französisch<strong>en</strong> recht ähnlich: es gibt Eliteschul<strong>en</strong>,<br />

der<strong>en</strong> Plätze sehr rar sind, unter<br />

anderem . deshalb, weil sie nach Stammeszugehörigkeit<br />

vergeb<strong>en</strong> werd<strong>en</strong>.<br />

Für viele ankomm<strong>en</strong>de Kameruner Stud<strong>en</strong>t<strong>en</strong><br />

ist die Kameruner Gemeinschaft die<br />

erste Anlaufstelle, um sich wichtige Information<strong>en</strong><br />

einzuhol<strong>en</strong>. Derartige Zusamm<strong>en</strong>künfte<br />

gibt es in fast all<strong>en</strong> deutsch<strong>en</strong><br />

Großstädt<strong>en</strong> – so auch in Münch<strong>en</strong>, wo sie<br />

1985 gegründet wurde. Ziel der Kameruner<br />

Gemeinschaft Münch<strong>en</strong> ist es, Stud<strong>en</strong>t<strong>en</strong><br />

bei Behörd<strong>en</strong>gäng<strong>en</strong> sowie währ<strong>en</strong>d des<br />

Studiums zu unterstütz<strong>en</strong>. So erhielt<strong>en</strong> 10<br />

Kameruner Stud<strong>en</strong>t<strong>en</strong> ein<strong>en</strong> Computer, die<br />

in der Firma eines ander<strong>en</strong> Mitgliedes der<br />

Gemeinschaft ausgemustert word<strong>en</strong> war<strong>en</strong>.<br />

Auch bei der Wohnungssuche und beim<br />

Find<strong>en</strong> eines Arbeitsplatzes nach Abschluss<br />

des Studiums werd<strong>en</strong> Stud<strong>en</strong>t<strong>en</strong> unterstützt.<br />

Neb<strong>en</strong> dies<strong>en</strong> praktisch<strong>en</strong> Hilf<strong>en</strong> werd<strong>en</strong><br />

außerdem Theaterbesuche, Ausflüge und<br />

Fußballturniere organisiert. Letztere find<strong>en</strong><br />

auch in Zusamm<strong>en</strong>arbeit mit d<strong>en</strong> ander<strong>en</strong><br />

Kameruner Gemeinschaft<strong>en</strong> in Deutschland<br />

statt.<br />

W<strong>en</strong>n die Vereinskasse es zulässt, werd<strong>en</strong><br />

caritative Sp<strong>en</strong>d<strong>en</strong> in die Heimat durchgeführt<br />

(z.B. an eine Behindert<strong>en</strong>schule).<br />

Daneb<strong>en</strong> ist natürlich auch die Möglichkeit,<br />

sich mit M<strong>en</strong>sch<strong>en</strong> der gleich<strong>en</strong> Herkunft<br />

auszutausch<strong>en</strong> von großer Bedeutung.<br />

Als ich mein<strong>en</strong> Kommiliton<strong>en</strong> William<br />

nach seinem Deutschlandbild vor der<br />

Ankunft fragte, wie er das Leb<strong>en</strong> hier nun<br />

empfinde, und was für ihn typisch deutsch<br />

sei, kam er fast gar nicht mehr aus dem<br />

Erzähl<strong>en</strong> heraus.<br />

Bei seiner Ankunft in Deutschland war<strong>en</strong><br />

seine Erwartung<strong>en</strong> neutral bis positiv. Er<br />

hatte sich keine g<strong>en</strong>au<strong>en</strong> Vorstellung<strong>en</strong><br />

gemacht. G<strong>en</strong>erell herrscht aber noch seit<br />

der Kolonialzeit ein positives Bild von Deutsch<strong>en</strong><br />

im Kamerun. William machte dies<br />

am Beispiel der Eis<strong>en</strong>bahnlinie klar: sie<br />

wurde einst von der deutsch<strong>en</strong> Kolonialmacht<br />

gebaut und besteht noch heute.<br />

Dageg<strong>en</strong> würd<strong>en</strong> die Baut<strong>en</strong> der Engländer<br />

und Franzos<strong>en</strong> schon etwas bröckeln -<br />

„Made in Germany“ scheint also immer<br />

noch ein Qualitätssiegel erster Güte zu sein.<br />

William würde dieses Siegel jedoch bei<br />

Weitem nicht ausnahmslos an alles und<br />

jed<strong>en</strong> aus Deutschland verteil<strong>en</strong>. Er ist zwar<br />

mit der Universität recht zufried<strong>en</strong>, aber<br />

vom deutsch<strong>en</strong> Schulsystem hätte er weitaus<br />

mehr erwartet. In d<strong>en</strong> erst<strong>en</strong> Semestern<br />

hatte er sich – im Geg<strong>en</strong>satz zu sein<strong>en</strong> Kommiliton<strong>en</strong><br />

–in d<strong>en</strong> Vorlesung<strong>en</strong> teilweise<br />

gelangweilt und konnte es nicht versteh<strong>en</strong>,<br />

warum sich viele Deutsche quasi blind auf<br />

die Formelsammlung verlass<strong>en</strong>. Auch von<br />

der Allgemeinbildung der Deutsch<strong>en</strong> ist er<br />

ein w<strong>en</strong>ig <strong>en</strong>ttäuscht: als Beispiel führte er<br />

„Trivial Persuit“ an, welches er geg<strong>en</strong> Deutsche<br />

stets gewonn<strong>en</strong> hatte.<br />

Was die Werte betrifft, so war<strong>en</strong> sich Dr.<br />

Ndogmo und William einig: Familie hat in<br />

Kamerun eine weitaus höhere Stellung als<br />

in Deutschland. Dabei drückte sich Dr.<br />

Ndogmo folg<strong>en</strong>dermaß<strong>en</strong> aus: „W<strong>en</strong>n man<br />

Politikern so zuhört, braucht man sich nicht<br />

zu wundern, dass Deutsche keiner mehr<br />

Kinder bekomm<strong>en</strong> möcht<strong>en</strong>.“ Er hat eine<br />

Tochter und weiß daher, was mangelnde<br />

Kindergart<strong>en</strong>plätze bedeut<strong>en</strong>. Für William<br />

geht ganz selbstverständlich mit dem erst<strong>en</strong><br />

Job auch die Gründung seiner Familie einher,<br />

währ<strong>en</strong>d viele Deutsche seiner Ansicht<br />

nach doch lieber erst mal in ein großes<br />

Auto, d<strong>en</strong> Bausparvertrag oder Urlaub inve-<br />

Abbildung 1: Kamerunische<br />

Bevölkerung<br />

nach Altersgrupp<strong>en</strong> in<br />

Deutschland (Quelle:<br />

Statistisches Bundesamt,<br />

Wiesbad<strong>en</strong>, 2004)<br />

75


76<br />

stier<strong>en</strong> würd<strong>en</strong>. Urlaub dageg<strong>en</strong> ist für ihn<br />

Geldverschw<strong>en</strong>dung – er würde sein Einkomm<strong>en</strong><br />

zuallererst der Familie und sein<strong>en</strong><br />

Eltern zugute komm<strong>en</strong> lass<strong>en</strong>.<br />

Sowohl William als auch Dr. Ndogmo<br />

sind der Ansicht, dass wir Deutsch<strong>en</strong> zu<br />

<strong>zur</strong>ückhalt<strong>en</strong>d und zu w<strong>en</strong>ig off<strong>en</strong> sind. Das<br />

zeigt sich schon im Gottesdi<strong>en</strong>st, der hier<br />

„in Schemata gepresst – zack-zack- in 45<br />

Minut<strong>en</strong>“ abgehalt<strong>en</strong> wird, jedoch in Kamerun<br />

als ein leb<strong>en</strong>diges Fest mit Sing<strong>en</strong> und<br />

Tanz<strong>en</strong> von eineinhalb Stund<strong>en</strong> Länge<br />

gefeiert wird.<br />

Auch im Umgang miteinander seh<strong>en</strong> die<br />

Deutsch<strong>en</strong> <strong>en</strong>ger. Sei<strong>en</strong> es nun Pünktlichkeit,<br />

das Grüß<strong>en</strong> von Fremd<strong>en</strong>, erwünschte<br />

Voranmeldung bei Besuch oder leb<strong>en</strong>dige<br />

(und damit etwas lautere) Ab<strong>en</strong>de mit<br />

Freund<strong>en</strong> zu Hause. Dies ist für Dr. Ndogmo<br />

auch der Grund, warum er mit Deutsch<strong>en</strong><br />

nur beruflich zu tun hat. Williams<br />

Freundeskreis setzt sich dageg<strong>en</strong> aus Deutsch<strong>en</strong>,<br />

Kamerunern und Lateinamerikanern<br />

zusamm<strong>en</strong>. Wobei auch er vom „Jammerweltmeister<br />

Deutschland“, wie er es<br />

nannte, g<strong>en</strong>ug hat, und es nicht versteht,<br />

warum Stillstand dring<strong>en</strong>d notw<strong>en</strong>dig<strong>en</strong><br />

Reform<strong>en</strong> geg<strong>en</strong>über vorgezog<strong>en</strong> wird. Am<br />

meist<strong>en</strong> ärgert ihn jedoch die Voreing<strong>en</strong>omm<strong>en</strong>heit<br />

der M<strong>en</strong>sch<strong>en</strong>. Er muss<br />

immer wieder beweis<strong>en</strong>, dass er nur, „weil<br />

er aus einem arm<strong>en</strong> Land kommt, nicht<br />

automatisch dumm ist“. Besonders frustrier<strong>en</strong>d<br />

für ihn ist, dass selbst w<strong>en</strong>n er sein<br />

Geg<strong>en</strong>über von sein<strong>en</strong> Qualität<strong>en</strong> überzeug<strong>en</strong><br />

konnte, die g<strong>en</strong>erell<strong>en</strong> Vorurteile Afrikanern<br />

geg<strong>en</strong>über nicht automatisch geändert<br />

sind. Dies sei im eher konservativ<strong>en</strong><br />

Süddeutschland schlimmer als in Mittelund<br />

Norddeutschland, wo die M<strong>en</strong>sch<strong>en</strong><br />

zwar auch nicht frei von Vorurteil<strong>en</strong>, aber<br />

off<strong>en</strong>er und interessierter sei<strong>en</strong>.<br />

Nach Unterschied<strong>en</strong> im Arbeitsalltag<br />

gefragt, halt<strong>en</strong> sowohl William als auch Dr.<br />

Ndogmo das deutsche Arbeitverhalt<strong>en</strong> für<br />

viel zielstrebiger und organisierter. Herr Dr.<br />

Ndogmo ist zwar nicht immer ein Befürworter<br />

der „pedantisch<strong>en</strong>“ Arbeitsweise der<br />

Deutsch<strong>en</strong>“, würde es aber gutheiß<strong>en</strong>, w<strong>en</strong>n<br />

auch in Kamerun ähnlich gearbeitet würde,<br />

weil dies der Wirtschaft voran brächte.<br />

In Kamerun geht, so William, wertvolle<br />

Erfahrung oft dadurch verlor<strong>en</strong>, dass mit<br />

dem Chef – w<strong>en</strong>n dieser einem ander<strong>en</strong><br />

Stamm angehört – auch alle Mitarbeiter<br />

ausgetauscht werd<strong>en</strong>. Auch würde man hier<br />

viel mehr nach seiner Arbeitsleistung als<br />

nach seiner Stammeszugehörigkeit gefördert<br />

werd<strong>en</strong>.<br />

Als weiter<strong>en</strong> eklatant<strong>en</strong> Unterschied<br />

sah<strong>en</strong> beide an, dass Deutsche viel mehr für<br />

das Gemeinwohl der Firma, des Landes,<br />

etc. arbeit<strong>en</strong> und nicht nur für die eig<strong>en</strong>e<br />

Tasche. Dieses Problem liegt, so Dr. Ndogmo<br />

nicht etwa an der M<strong>en</strong>talität der Kameruner,<br />

sondern vielmehr an dem Vorbild<br />

der höchst korrupt<strong>en</strong> Regierung,. Der<strong>en</strong><br />

Hauptinteresse liegt eher an der eig<strong>en</strong><strong>en</strong><br />

Bereicherung als daran, das eig<strong>en</strong>e Land<br />

voran zu bring<strong>en</strong>. William verdeutlichte<br />

dies, in dem er die Größe des Privathauses<br />

Stoibers mit dem Ausmaß der Küche von<br />

Präsid<strong>en</strong>t Biya verglich. Solange sich jedoch<br />

die europäisch<strong>en</strong> Staatschefs so gut mit Präsid<strong>en</strong>t<br />

Biya versteh<strong>en</strong>, sei eine Änderung<br />

nicht absehbar. William dazu: „Kein afrikanischer<br />

Präsid<strong>en</strong>t kann sich an der Macht<br />

halt<strong>en</strong> ohne die Unterstützung der EU“.<br />

Hab<strong>en</strong> sie einmal ein anderes Arbeitssystem<br />

k<strong>en</strong>n<strong>en</strong> gelernt, möcht<strong>en</strong> die w<strong>en</strong>igst<strong>en</strong><br />

der im Ausland studier<strong>en</strong>d<strong>en</strong> Kameruner,<br />

später dauerhaft in ihre Heimat <strong>zur</strong>ückkehr<strong>en</strong><br />

– nach Williams Schätzung nur etwa<br />

1%. Er hat in der Kameruner Gemeinschaft<br />

in Münch<strong>en</strong> einmal nachgefragt, und tatsächlich<br />

wollte von d<strong>en</strong> 60 Ing<strong>en</strong>ieursstud<strong>en</strong>t<strong>en</strong><br />

kein einziger wieder nach Kamerun.<br />

Dass die Chanc<strong>en</strong> der Kameruner Stud<strong>en</strong>t<strong>en</strong><br />

auf dem deutsch<strong>en</strong> Arbeitsmarkt<br />

nicht schlecht sind, zeigt die Statistik der<br />

Arbeitsag<strong>en</strong>tur, nach der lediglich 856<br />

Kameruner ohne Arbeit gemeldet sind.<br />

Bezog<strong>en</strong> auf pot<strong>en</strong>tielle Arbeitskräfte, zu<br />

d<strong>en</strong><strong>en</strong> ich alle 21-55 jährig<strong>en</strong> zähle, ist das<br />

eine Arbeitslos<strong>en</strong>quote von 7.3%, wobei nur<br />

8.5% akademisch<strong>en</strong> Berufsgrupp<strong>en</strong> zugerechnet<br />

werd<strong>en</strong> könn<strong>en</strong> (Vgl. Abbildung 2).<br />

Das Leb<strong>en</strong> in Deutschland hat für Kameruner<br />

so manche Licht- und Schatt<strong>en</strong>seite.<br />

Die Universitätsausbildung ist gut, die<br />

deutsche Arbeitsweise etwas pedantisch,<br />

aber dafür produktiv und frei von Stammesd<strong>en</strong>k<strong>en</strong>.<br />

Andererseits muss mit Vorurteil<strong>en</strong><br />

und Bürokratie gekämpft werd<strong>en</strong>. Deshalb<br />

interessiert<strong>en</strong> mich die 3 Wünsche, welche<br />

die berühmte gute Fee erfüll<strong>en</strong> müsste,<br />

damit es Kamerunern in Deutschland besser<br />

ginge.<br />

Dr. Ndogmo würde sich eine gesicherte<br />

Studi<strong>en</strong>finanzierung wünsch<strong>en</strong>, damit Stud<strong>en</strong>t<strong>en</strong><br />

nicht zusätzlich <strong>zur</strong> Uni noch jobb<strong>en</strong><br />

müsst<strong>en</strong>. Als zweit<strong>en</strong> Wunsch äußerte er,<br />

dass ausländisch<strong>en</strong> Stud<strong>en</strong>t<strong>en</strong> die Möglichkeit<br />

gegeb<strong>en</strong> werd<strong>en</strong> sollte, sich nach<br />

Abschluss des Studiums hier auch eine<br />

Arbeitsstelle such<strong>en</strong> zu könn<strong>en</strong>. Obwohl<br />

dieser Wunsch inzwisch<strong>en</strong> schon erfüllt ist,<br />

konnte er kein<strong>en</strong> dritt<strong>en</strong> n<strong>en</strong>n<strong>en</strong>, der ihm


unter d<strong>en</strong> Nägeln br<strong>en</strong>n<strong>en</strong> würde.<br />

William hatte keine Wünsche allein für<br />

die in Deutschland leb<strong>en</strong>d<strong>en</strong> Kameruner,<br />

sondern für alle in der Welt leb<strong>en</strong>d<strong>en</strong><br />

Schwarzafrikaner: „Ich wünsche mir, dass<br />

wir nicht immer als „minderwertiger“ oder<br />

„w<strong>en</strong>iger kluge“ M<strong>en</strong>sch<strong>en</strong> geseh<strong>en</strong> werd<strong>en</strong>,<br />

nur weil wir arm sind oder aus arm<strong>en</strong> Ländern<br />

komm<strong>en</strong>. Ich wünsche mir auch, dass<br />

uns die Chance gegeb<strong>en</strong> wird, zu beweis<strong>en</strong>,<br />

wozu wir fähig sind und nicht vorab mit<br />

negativ<strong>en</strong> Vorurteil<strong>en</strong> abgestempelt werd<strong>en</strong>.“<br />

Außerdem vermisst er positive Schlagzeil<strong>en</strong><br />

über Afrika, „als ob es nur Schlechtes<br />

über unser<strong>en</strong> Kontin<strong>en</strong>t zu bericht<strong>en</strong><br />

gäbe“. Bleibt zu hoff<strong>en</strong>, dass unsere Erfahrung<strong>en</strong><br />

aus Kamerun in Deutschland auf<br />

off<strong>en</strong>e Ohr<strong>en</strong> stoß<strong>en</strong>, und wir zumindest<br />

ein<strong>en</strong> klein<strong>en</strong> Stein positiver Nachricht<strong>en</strong><br />

über Afrika ins Roll<strong>en</strong> bring<strong>en</strong>.<br />

Abbildung 2: Statistik<br />

arbeitsloser Kameruner<br />

(Auszug) (Quelle:<br />

Bundesag<strong>en</strong>tur für<br />

Arbeit, Sept. 2005)<br />

77


78<br />

„D<strong>en</strong>n eine WM ohne Kamerun, das ist<br />

und<strong>en</strong>kbar…“<br />

und andere Asymmetri<strong>en</strong> in d<strong>en</strong> deutsch-kamerunisch<strong>en</strong> Beziehung<strong>en</strong><br />

von JOHANNES LANDSTORFER<br />

ür d<strong>en</strong> Kameruner Fußball und damit<br />

auch für das ganze Land hätte 2004 ein<br />

großes Jahr werd<strong>en</strong> könn<strong>en</strong>: Der offizielle<br />

Ausrüster Puma war dabei, die Mannschaft<br />

in d<strong>en</strong> Stand der modisch<strong>en</strong> Avantgarde<br />

zu heb<strong>en</strong>, d<strong>en</strong>n sie hatte neue, einteilige<br />

Trikots bekomm<strong>en</strong>. Zumindest der<br />

Werbeeffekt dürfte hoch gewes<strong>en</strong> sein, weil<br />

das neue Äußere für groß<strong>en</strong> Wirbel bei d<strong>en</strong><br />

Afrika-Meisterschaft<strong>en</strong> sorgte: Die FIFA<br />

lehnte die Trikots nachträglich ab, verhängte<br />

Straf<strong>en</strong> und Strafpunkte. Die Meisterschaft<strong>en</strong><br />

hat Kamerun dann außerdem auch<br />

nicht gewonn<strong>en</strong>.<br />

Für die bedeut<strong>en</strong>dste Fußball-Mannschaft<br />

in Afrika („Lions Indomptables“) ist<br />

das schon eine recht dramatische Entwicklung,<br />

die sich nun mit der wohl selbstverschuldet<br />

verpasst<strong>en</strong> Qualifikation für die<br />

WM 2006 fortsetzt. Weil neb<strong>en</strong> Kamerun<br />

das zweite Spitz<strong>en</strong>team, Nigeria, eb<strong>en</strong>falls<br />

nicht dabei sein wird, seh<strong>en</strong> manche Fans<br />

die Attraktivität der WM ohne afrikanische<br />

Spielfreude bereits stark beeinträchtigt.<br />

Auch meine erste bewusste Wahrnehmung<br />

Kameruns dürfte die WM 1990 gewes<strong>en</strong><br />

sein, wobei ich mich insbesondere daran<br />

erinnere, Kamerun oft mit Kolumbi<strong>en</strong><br />

verwechselt zu hab<strong>en</strong>; nicht nur weg<strong>en</strong><br />

(zumindest ganz <strong>en</strong>tfernt) ähnlicher<br />

Nam<strong>en</strong>, sondern auch weg<strong>en</strong> der gleichermaß<strong>en</strong><br />

zu bunt<strong>en</strong> Trikots und ausführlich<strong>en</strong><br />

Ausflüg<strong>en</strong> neig<strong>en</strong>d<strong>en</strong> Torwarte.<br />

Bei solch<strong>en</strong> Stars (und ihrem Marketingwert)<br />

legte sich natürlich auch Puma mehr<br />

für die deutsch-kamerunisch<strong>en</strong> Beziehung<strong>en</strong><br />

ins Zeug und sah sich gezwung<strong>en</strong>, die<br />

Modez<strong>en</strong>sur der FIFA gerichtlich prüf<strong>en</strong> zu<br />

lass<strong>en</strong>. Immerhin mit dem Erfolg eines Vergleichs<br />

und dem Antrag, derartige Fortschritte<br />

in der deutsch-afrikanisch<strong>en</strong> Bekleidungskultur<br />

in Zukunft auf dem Spielfeld<br />

zuzulass<strong>en</strong>.<br />

Kultur<br />

Die Ausführlichkeit zum Thema Fußball<br />

kommt dabei nicht von ungefähr. Zum<br />

ein<strong>en</strong> verknüpft sich auf diesem Gebiet Kultur,<br />

öff<strong>en</strong>tliches Leb<strong>en</strong> und Politik in Kamerun<br />

sehr stark. Zum ander<strong>en</strong> ist das g<strong>en</strong>erelle<br />

Interesse an kulturellem Austausch<br />

zumindest von Deutschland aus ansonst<strong>en</strong><br />

nicht allzu üppig.<br />

Kulturelle Angebote, Literatur und ganze<br />

Afrika-Festivals sind zwar relativ häufig<br />

in Deutschland zu find<strong>en</strong>, gelt<strong>en</strong> aber noch<br />

als exotisch. Im Normalfall wird der Kontin<strong>en</strong>t<br />

im Kollektiv betrachtet, man könnte<br />

fast sag<strong>en</strong>, „alles in ein<strong>en</strong> Topf geworf<strong>en</strong>“.<br />

Gerade Kamerun als „Miniatur-Afrika“ <strong>en</strong>tspricht<br />

dem zwar am best<strong>en</strong>, kommt dabei<br />

aber selt<strong>en</strong> und als alleiniges Thema schon<br />

gar nicht vor.<br />

Music is more than Makossa<br />

Afrikanische Musik fristet folglich in<br />

Deutschland g<strong>en</strong>auso ein Nisch<strong>en</strong>dasein,<br />

über die man nur in d<strong>en</strong> „Weltmusik“-Bereich<strong>en</strong><br />

der CD-Abteilung<strong>en</strong> stolpern kann<br />

oder auf so bekannt<strong>en</strong> S<strong>en</strong>dern wie dem


Berliner Radio Multikulti. Jay Rutledge,<br />

Redakteur beim Zündfunk des Bayerisch<strong>en</strong><br />

Rundfunks, kann dabei als Organisater des<br />

Urban African Sounds-Festival in Münch<strong>en</strong><br />

regelrecht als Botschafter gelt<strong>en</strong>. Und so<br />

schreibt auch africasounds.com in seinem<br />

Spotlight: „There is a wide variety of music<br />

from Cameroon, however until rec<strong>en</strong>tly it<br />

was unavailable outside of Cameroon, particularly<br />

on CD format. If one were lucky,<br />

they might find a handful of Makossa<br />

releases, but little else. Styles such as B<strong>en</strong><br />

Skin, Assiko and Bikutsi, which are popular<br />

within Cameroon and provide some of the<br />

more interesting list<strong>en</strong>ing experi<strong>en</strong>ces, just<br />

could not be found. The result: the music<br />

buying public has be<strong>en</strong> largely unaware of<br />

these music styles and a g<strong>en</strong>eralization<br />

about Cameroon music has wrongly emerged<br />

– that it all sounds like Makossa.“<br />

Schüleraustausch<br />

Deutschland ist in Kamerun sehr beliebt, da<br />

die Kolonialvergang<strong>en</strong>heit vor allem noch<br />

in off<strong>en</strong>bar sehr solid<strong>en</strong> Baut<strong>en</strong> zu find<strong>en</strong><br />

ist und von daher etwas verklärt erscheint.<br />

Nicht zuletzt der Ruf des deutsch<strong>en</strong> Bildungssystems<br />

(zumindest im Ausland) füllt<br />

außerord<strong>en</strong>tlich viele Sprachkurse. Da das<br />

hochverschuldete Kamerun nicht alle Studi<strong>en</strong>richtung<strong>en</strong><br />

anbietet, müss<strong>en</strong> viele Schulabgänger<br />

zwangsläufig ihr Land zum Studier<strong>en</strong><br />

verlass<strong>en</strong>. Die deutsch<strong>en</strong> Universität<strong>en</strong><br />

werd<strong>en</strong> bei d<strong>en</strong> kameruner Stud<strong>en</strong>t<strong>en</strong><br />

immer beliebter. An der FU Berlin bild<strong>en</strong><br />

sie schon die größte Ausländergruppe.<br />

„Die Zahl der Deutschschüler in Kamerun<br />

beträgt mittlerweile 150 000 (die meist<strong>en</strong><br />

mit dem Fach Deutsch in Afrika) und<br />

laut einer Verlautbarung des kamerunisch<strong>en</strong><br />

Erziehungsministeriums unterricht<strong>en</strong><br />

<strong>zur</strong> Zeit fast 1000 Lehrer das Fach Deutsch<br />

in Kamerun. Seit 1997 hat die Universität<br />

Jaunde I das Promotionsrecht für Germanistik.<br />

[…] Die Zahl der derzeit an deutsch<strong>en</strong><br />

Hochschul<strong>en</strong> studier<strong>en</strong>d<strong>en</strong> Kameruner hat<br />

sich auf über 5000 erhöht. Das Goethe-Institut<br />

in Jaunde erfreut sich großer Beliebtheit.“<br />

So beschreibt es die Deutsche Botschaft<br />

in Yaoundé.<br />

Die finanzielle Situation in Kamerun<br />

lässt keine nationale Kulturpolitik zu und so<br />

sind die jung<strong>en</strong> Künstler des Landes auf die<br />

Unterstützung durch die ausländisch<strong>en</strong> Kulturinstitute<br />

angewies<strong>en</strong>. Viele erfolgreiche<br />

Künstler wandern aus – allein schon weg<strong>en</strong><br />

der Sprache oft nach Frankreich. Aber auch<br />

in Deutschland schaff<strong>en</strong> es Künstler auf diesem<br />

Wege zu öff<strong>en</strong>tlicher Aufmerksamkeit.<br />

Am bekanntest<strong>en</strong> könnte dabei Bathelemy<br />

Toguo sein, der u.a. an der Kunstakademie<br />

Düsseldorf studierte und es zu einer Ausstellung<br />

im Ludwig Museum in Köln brachte.<br />

Im Bereich der Forschung gibt es eb<strong>en</strong>falls<br />

Kooperatione einiger Hochschul<strong>en</strong> in<br />

Deutschland über <strong>en</strong>tsprech<strong>en</strong>de Afrika-<br />

Institute (z.B. kooperiert Bayreuth mit<br />

Buea), umfangreiche Publikation<strong>en</strong> findet<br />

man beim Institut für Afrika-Kunde im<br />

Deutsch<strong>en</strong> Übersee-Institut in Hamburg.<br />

Die Stiftung AfricAv<strong>en</strong>ir versucht d<strong>en</strong><br />

Brück<strong>en</strong>schlag von Douala nach Berlin,<br />

wobei sie sich vor allem um ein gestärktes<br />

afrikanisches Selbstbewusstsein im Zuge<br />

einer „Afrikanisch<strong>en</strong> R<strong>en</strong>aissance“<br />

bemüht. Dazu gehört die Erforschung der<br />

Geschichte, aber auch die Analyse der<br />

Geg<strong>en</strong>wart und auch der Austausch von<br />

Stud<strong>en</strong>t<strong>en</strong> zwisch<strong>en</strong> Deutschland und<br />

Kamerun.<br />

An der Uni Tübing<strong>en</strong> gründet<strong>en</strong> 1994<br />

Medizin- und Pharmaziestud<strong>en</strong>t<strong>en</strong> aus<br />

Kamerun Camfomedics (Cameroonian<br />

Forum for the Medical Sci<strong>en</strong>ces), das sich<br />

um Reintegration seiner Mitglieder nach<br />

ihrer Rückkehr, um wiss<strong>en</strong>schaftliche Kontakte<br />

und eine Stimme bei international<strong>en</strong><br />

Organisation<strong>en</strong> bemüht. Wie diese Initiative<br />

gibt es eine Vielzahl wohl eher unbekannter<br />

Vereine, die w<strong>en</strong>iger auf offiziell<strong>en</strong><br />

Kooperatione als auf dem persönlich<strong>en</strong> Einsatz<br />

kamerunischer Stud<strong>en</strong>t<strong>en</strong> in Deutschland<br />

aufbau<strong>en</strong>.<br />

Auch die Fußballer sind schon längst<br />

zum begehrt<strong>en</strong> Austauschobjekt geword<strong>en</strong>.<br />

Der berühmteste Club dürfte dabei Canon<br />

Yaoundé sein. Die meist<strong>en</strong> Legionäre sind<br />

wohl weg<strong>en</strong> der <strong>en</strong>ger<strong>en</strong> Beziehung<strong>en</strong> vor<br />

allem in Frankreich zu find<strong>en</strong>, aber auch in<br />

beid<strong>en</strong> Bundeslig<strong>en</strong> spiel<strong>en</strong> einige Kameruner<br />

(Thimothée Atouba, Hamburger SV,<br />

Blaise Mamoum, Waldhof Mannheim,<br />

Mohammadou Idrissou, Hannover 96,<br />

Samuel Ipoua, LR Ahl<strong>en</strong>, Luci<strong>en</strong> Mettomo,<br />

Kaiserslautern).<br />

Trikot des Anstoßes:<br />

Der Einteiler<br />

von Puma<br />

79


In Deutschland unbekannt:<br />

Musik aus<br />

Kamerun<br />

80<br />

Die Richtung des Austauschs ist sehr<br />

symptomatisch für die Beziehung<strong>en</strong> der beid<strong>en</strong><br />

Länder: Süd nach Nord. Eine große<br />

Ausnahme bildet dabei der „am w<strong>en</strong>igst<strong>en</strong><br />

afrikanisch ausseh<strong>en</strong>de M<strong>en</strong>sch der Erde“<br />

(Financial Times Deutschland). Mit Winnie<br />

Schäfer versprach man sich, die eig<strong>en</strong>e<br />

Spielfreude mit deutscher Disziplin kombinier<strong>en</strong><br />

zu könn<strong>en</strong>. Prompt wurde Kamerun<br />

ohne ein einziges Geg<strong>en</strong>tor 2002 Afrikameister.<br />

Als derartige Erfolge allerdings w<strong>en</strong>iger<br />

häufig erreicht wurd<strong>en</strong>, tr<strong>en</strong>nte man<br />

sich auch von Schäfer schnell.<br />

Kamerun für Lang- und Kurzstreck<strong>en</strong>flieger<br />

W<strong>en</strong>n ein<strong>en</strong> nun die viel<strong>en</strong> Kultur<strong>en</strong> und<br />

das „Afrika im Klein<strong>en</strong>“ fasziniert hab<strong>en</strong>,<br />

wird man sich (wie das <strong>Cusanuswerk</strong>) hoff<strong>en</strong>tlich<br />

bald Gedank<strong>en</strong> um eine Reise<br />

mach<strong>en</strong>. Dabei ist der Aufwand viel kleiner<br />

als man vermut<strong>en</strong> möchte: Kamerun liegt<br />

etwas südlich von Bayreuth (die bereits<br />

erwähnte dortige Uni verfolgt ihr Afrika<br />

Institut sicherlich auch im Interesse der<br />

Region), und ist über die B 85 als Stadtteil<br />

von Creuß<strong>en</strong> leicht zu erreich<strong>en</strong>. Für Afrika-Reis<strong>en</strong>de<br />

aus Norddeutschland empfiehlt<br />

sich auch der Landkreis Ludwigslust<br />

(dort hat Kamerun knapp 1500 Einwohner)<br />

oder Löbau-Zittau an der sächsisch-tschechisch<strong>en</strong><br />

Gr<strong>en</strong>ze (Kamerun als Teil des<br />

Staat<strong>en</strong>bundes Neugersdorf mit 6300 Einwohnern).<br />

Die nam<strong>en</strong>tliche Verwandtschaft<br />

führt zu WM Zeit<strong>en</strong> regelmäßig zu <strong>en</strong>tsprech<strong>en</strong>d<strong>en</strong><br />

Kurz-Reportag<strong>en</strong>, w<strong>en</strong>n die<br />

Bewohner sich zwisch<strong>en</strong> Deutschland und<br />

eb<strong>en</strong> der Verwandtschaft ihrer Heimat <strong>en</strong>tscheid<strong>en</strong><br />

müss<strong>en</strong>. Auch hier ist Fußball ein<br />

verbind<strong>en</strong>des Elem<strong>en</strong>t. Etwas verwirr<strong>en</strong>d<br />

allerdings empfiehlt als Eig<strong>en</strong>tümer der<br />

prädestiniert<strong>en</strong> Deutschland-Kamerun-Seite<br />

www.kamerun.de das Forsthaus Kamerun<br />

„feine itali<strong>en</strong>ische Küche".<br />

Nun wird man bei d<strong>en</strong> Reisevorbereitung<strong>en</strong><br />

nicht als erstes über diese Skurilität<strong>en</strong><br />

fall<strong>en</strong>. Besonders einfach ist es allerdings<br />

auch nicht, in das allgemein bekanntere,<br />

größere Kamerun zu komm<strong>en</strong>. Die Website<br />

der Deutsch-Kamerunisch<strong>en</strong> Gesellschaft<br />

(dekage.de) verfügte am 19.11.05 über 916<br />

Besucher. Wie Creuß<strong>en</strong> und der Hauptsitz<br />

von Puma liegt auch das Büro dieser Gesellschaft<br />

übrig<strong>en</strong>s in Frank<strong>en</strong>. Neb<strong>en</strong> d<strong>en</strong><br />

nordafrikanisch<strong>en</strong> (Mittelmeer-)Staat<strong>en</strong> findet<br />

man im Angebot auch spezialisierter<br />

Reiseveranstalter vor allem südafrikanische<br />

Staat<strong>en</strong> wie Namibia oder Südafrika mit<br />

eig<strong>en</strong><strong>en</strong> Programm<strong>en</strong> vertret<strong>en</strong>. Trotz des<br />

groß<strong>en</strong> Spektrums an beeindruck<strong>en</strong>der<br />

Landschaft und kulturellem Reichtum ist<br />

der Tourismus in Kamerun nur schwach<br />

<strong>en</strong>twickelt. Das Tourismus-Ministerium existiert<br />

erst seit ca. 10 Jahr<strong>en</strong>, ein eig<strong>en</strong>es<br />

Büro unterhält das Land in Europa nur im<br />

ehemalig<strong>en</strong> Kolonialmutterland Frankreich.<br />

Die GTZ betrachtet dies<strong>en</strong> Mangel aber<br />

durchaus als Chance, neue Wege zu<br />

beschreit<strong>en</strong>: In Zusamm<strong>en</strong>arbeit mit dem<br />

DED und dem Tourismusministerium<br />

Kameruns hat sie die Mount Cameroon<br />

Ecotourism Organisation ins Leb<strong>en</strong> geruf<strong>en</strong>,<br />

der<strong>en</strong> Ziele es sind, „d<strong>en</strong> umwelt- und<br />

sozialverträglich<strong>en</strong> Tourismus zu fördern<br />

und der Bevölkerung dadurch eine geregelte<br />

Einnahmequelle zu sichern. Die Regierung<br />

der Republik Kamerun sieht in der<br />

Entwicklung eines nachhaltig<strong>en</strong> Tourismus<br />

eb<strong>en</strong>falls die Chance, Armut zu bekämpf<strong>en</strong><br />

und d<strong>en</strong> Raubbau an natürlich<strong>en</strong> Ressourc<strong>en</strong><br />

einzudämm<strong>en</strong>. Durch verstärkte Werbung<br />

auch im Internet ist man dabei, d<strong>en</strong><br />

nachhaltig<strong>en</strong> Tourismus weiter zu forcier<strong>en</strong><br />

und somit Einsätze und Einkomm<strong>en</strong> zu steigern."<br />

Wirtschaft im Promille-Bereich<br />

Wie bereits erwähnt, ist Deutschland neb<strong>en</strong><br />

d<strong>en</strong> Stud<strong>en</strong>t<strong>en</strong> und Fußballern vor allem<br />

<strong>en</strong>twicklungspolitisch mit Kamerun verbund<strong>en</strong>.<br />

Kamerun zählt zu d<strong>en</strong> ärmst<strong>en</strong> Ländern<br />

der Welt, der<strong>en</strong> Entwicklung besonders<br />

unter der hoh<strong>en</strong> Verschuldung zu leid<strong>en</strong><br />

hat. Es wurde damit in d<strong>en</strong><br />

HIPC-Prozess aufg<strong>en</strong>omm<strong>en</strong>, in dem es<br />

nach tiefgreif<strong>en</strong>d<strong>en</strong> Umstrukturierung<strong>en</strong><br />

und einem „Poverty Reduction Strategy<br />

Paper“ d<strong>en</strong> „Entscheidungspunkt“ erreicht<br />

hat. Deutschland als drittgrößter Gläubiger<br />

nach Frankreich und Österreich erlässt<br />

dabei Kamerun alle Schuld<strong>en</strong> aus Exportbürgschaft<strong>en</strong><br />

(585 Mio Euro) und finanzieller<br />

Zusamm<strong>en</strong>arbeit (347 Mio Euro). Tatsächlich<br />

spielt Kamerun im Auß<strong>en</strong>handel<br />

für Deutschland mit 0,02% an all<strong>en</strong> Im- und<br />

Export<strong>en</strong> kaum eine Rolle. Die Volum<strong>en</strong><br />

nehm<strong>en</strong> t<strong>en</strong>d<strong>en</strong>ziell sogar ab und folg<strong>en</strong><br />

damit dem Tr<strong>en</strong>d des ganz<strong>en</strong> Kontin<strong>en</strong>ts,<br />

dess<strong>en</strong> Anteil am Welthandel in letzter Zeit<br />

zunehm<strong>en</strong>d schwindet. Zu d<strong>en</strong> Direktinvestion<strong>en</strong><br />

der deutsch<strong>en</strong> Wirtschaft verzeichnet<br />

das Auswärtige Amt seit einig<strong>en</strong> Jahr<strong>en</strong><br />

schlicht „keine".<br />

Highly Indepted and Poor<br />

"Strukturanpassungsmaßnahm<strong>en</strong>“ werd<strong>en</strong><br />

vom IWF und der Weltbank vorgeschlag<strong>en</strong><br />

und ruf<strong>en</strong> fast immer die Kritik zahlreicher


egierungsabhängiger Institution<strong>en</strong> hervor.<br />

Südwind beklagt: „So hat zum Beispiel der<br />

Bildungssektor in d<strong>en</strong> vergang<strong>en</strong><strong>en</strong> Jahr<strong>en</strong><br />

<strong>en</strong>orme Einbuß<strong>en</strong> im Primar- und im<br />

Sekundarbereich hinnehm<strong>en</strong> müss<strong>en</strong>. Die<br />

Reallöhne im öff<strong>en</strong>tlich<strong>en</strong> Sektor sind um<br />

die Hälfte gesunk<strong>en</strong>. Eltern müss<strong>en</strong> Schulgeld<br />

für ihre Kinder zahl<strong>en</strong>[…] Die gesundheitliche<br />

Versorgung verschlechtert sich<br />

zuseh<strong>en</strong>ds."<br />

Südwind ist am Forum Kamerun beteiligt,<br />

das als regierungsunabhängige „Koordinierungsstelle<br />

die Beteiligung von Hilfswerk<strong>en</strong><br />

und sonstig<strong>en</strong> Kamerun-Initiativ<strong>en</strong><br />

an einer erfolgreich<strong>en</strong> Umsetzung der<br />

HIPC-Beschlüsse“ fördern möchte. Als<br />

„erfolgreich“ wird dabei verstand<strong>en</strong>, w<strong>en</strong>n<br />

die „wichtig<strong>en</strong> Entscheidungsträger in<br />

Deutschland (BMZ, KfW, GTZ, BMF), [auf]<br />

die Forderung<strong>en</strong> der kamerunisch<strong>en</strong> Partner<br />

für eine effektive Entschuldung im Sinne<br />

der Arm<strong>en</strong>“ eingeh<strong>en</strong>. Neb<strong>en</strong> dem Bistum<br />

Limburg, Brot für die Welt, dem Evangelisch<strong>en</strong><br />

Entwicklungsdi<strong>en</strong>st, Misereor und<br />

d<strong>en</strong> ev. Kirch<strong>en</strong> von Westfal<strong>en</strong> und des<br />

Rheinlands ist dabei sogar der Kirch<strong>en</strong>kreis<br />

Witz<strong>en</strong>haus<strong>en</strong> und neb<strong>en</strong> Südwind auch<br />

Snowball auf deutscher Seite aktiv. In<br />

Kamerun beteilig<strong>en</strong> sich vor allem der<br />

Yaoundé Club, eine Initiative der Fédération<br />

des Eglises et Missions Evangéliques du<br />

Cameroun und weitere kirchliche Träger<br />

(z.B. Justice et Paix). Die Kirch<strong>en</strong> spiel<strong>en</strong><br />

eine wichtige Rolle: Sie gehör<strong>en</strong> zu d<strong>en</strong><br />

w<strong>en</strong>ig<strong>en</strong> Organisation<strong>en</strong> mit einem national<strong>en</strong><br />

Wirkungsbereich und versuch<strong>en</strong> d<strong>en</strong><br />

Gesundheits- und Bildungsbedürfniss<strong>en</strong><br />

der Arm<strong>en</strong> nachzukomm<strong>en</strong>.<br />

Das Auswärtige Amt wie auch das Ministerium<br />

für Zusamm<strong>en</strong>arbeit hab<strong>en</strong> Kamerun<br />

als „Schwerpunktland“ eingestuft. Das<br />

BMZ sieht d<strong>en</strong> größt<strong>en</strong> Handlungsbedarf<br />

im Gesundheitssektor, auch Kamerun leidet<br />

unter einer hoh<strong>en</strong> HIV-Infektions-Rate. Für<br />

eine nachhaltige Entwicklung soll, wie<br />

bereits erwähnt, gerade im Tourismus<br />

gesorgt werd<strong>en</strong>. Daneb<strong>en</strong> muss die immer<br />

noch teils autokratisch organisierte Verwaltungsstruktur<br />

dez<strong>en</strong>tralisiert und demokratisiert<br />

werd<strong>en</strong>.<br />

Fußball und die politische Lage<br />

Der politisch<strong>en</strong> und demokratisch<strong>en</strong> Entwicklung<br />

und einer Stärkung bürgerlich<strong>en</strong><br />

Engagem<strong>en</strong>ts sieht sich auch die Friedrich-<br />

Ebert-Stiftung verpflichtet, die als einzige<br />

deutsche politische Stiftung in Kamerun<br />

über ein Büro verfügt.<br />

Weit mehr noch als in Deutschland ist<br />

Fußball in Afrika auch eine politische Disziplin.<br />

Gewinnt die Nationalmannschaft, so<br />

gewinnt auch das Regime. Gerade autokratische<br />

Regime ohne Entwicklungserfolge<br />

setz<strong>en</strong> auf dies<strong>en</strong> Faktor (Kamerun unter<br />

Biya, Nigeria unter Militärdiktator Abacha).<br />

Währ<strong>en</strong>d nun diese Staat<strong>en</strong> als verschloss<strong>en</strong><br />

und korrupt, in der Weltpolitik dabei<br />

w<strong>en</strong>ig gelt<strong>en</strong>, zeigte sich wiederum beim<br />

Fußball, dass manchmal alles ganz anders<br />

kommt: 2002 trat erstmals ein Afrikaner bei<br />

der Wahl zum FIFA-Präsid<strong>en</strong>t<strong>en</strong> an: Issa<br />

Hayatou. W<strong>en</strong>ngleich er aus einer einflussreich<strong>en</strong><br />

Familie im durchaus von Korruption<br />

durchdrung<strong>en</strong><strong>en</strong> Kamerun kommt, so<br />

gilt er selbst als sehr integer. Gerade dafür<br />

ist die FIFA wiederum nicht bekannt und so<br />

wurde w<strong>en</strong>ig verwunderlich, aber doch ironischerweise<br />

nicht Hayatou sondern Sepp<br />

Blatter Fußball-Präsid<strong>en</strong>t. Im Vorfeld wurd<strong>en</strong><br />

aber wohl nicht w<strong>en</strong>ige (auch afrikanische)<br />

Verbände von dess<strong>en</strong> Vorzüg<strong>en</strong> erst<br />

noch „überzeugt".<br />

Quell<strong>en</strong><br />

· Deutschland offiziell<br />

bundesregierung.de, AA, BMZ, BMF, BMBF,<br />

BMWA<br />

· dt. Botschaft Yaoundé<br />

www.jaunde.diplo.de<br />

· dt. off. Entwicklungszusamm<strong>en</strong>arbeit<br />

GTZ, DED<br />

· Goethe-Institut Yaoundé<br />

www.goethe.de/ins/cm/yao<br />

· Landeskundliche Information<strong>en</strong> von inw<strong>en</strong>t<br />

www.inw<strong>en</strong>t.org/v-ez/lis/kameru<br />

· Africome-Special der bpb<br />

www.bpb.de/them<strong>en</strong>/2MDWSY,0,Afrika.html<br />

· alle Kontakte zwisch<strong>en</strong> D und CAM<br />

www.la<strong>en</strong>derkontakte.de/kamerun<br />

· AfricAv<strong>en</strong>ir<br />

www.africav<strong>en</strong>ir.com<br />

· Dt. Übersee-Institut / Afrika-Studi<strong>en</strong><br />

www.duei.de/iak/show.php<br />

· Forum Kamerun bei Suedwind<br />

www.suedwind-institut.de/3-013_fs.htm<br />

· Cameroon-Spotlight von Africasounds<br />

www.africasounds.com/cameroon_spotlight_2002.htm<br />

· Mount Cameroon Ecotourism Organisation<br />

www.mcbcclimbe.org/mc_ecotourism.shtml<br />

· die Spieler der dt. Fußball-Lig<strong>en</strong><br />

www.homecourt.de/weltfussball<br />

81


82<br />

Entwicklung? (s) Hilfe!<br />

von DIETER LENS<br />

eptember 2000 – auf dem Mill<strong>en</strong>niumsgipfel<br />

der Vereint<strong>en</strong> Nation<strong>en</strong> wird die<br />

Mill<strong>en</strong>niumserklärung van all<strong>en</strong> Mitgliedstaat<strong>en</strong><br />

ang<strong>en</strong>omm<strong>en</strong> und besitzt seitdem<br />

eine herausrag<strong>en</strong>de politische Bedeutung<br />

in Sach<strong>en</strong> Entwicklungspolitik der<br />

arm<strong>en</strong> Länder dieser Welt. Die darin <strong>en</strong>thalt<strong>en</strong><strong>en</strong><br />

Ziele wurd<strong>en</strong> von UN-G<strong>en</strong>eralsekretär<br />

Kofi Annan im darauf folg<strong>en</strong>d<strong>en</strong><br />

Jahr aufgegriff<strong>en</strong>. Er b<strong>en</strong>annte und quantifizierte<br />

acht messbare Entwicklungsziele,<br />

die er aus der Mill<strong>en</strong>niumserklärung ableitete<br />

– die so g<strong>en</strong>annt<strong>en</strong> „Mill<strong>en</strong>nium Developm<strong>en</strong>t<br />

Goals“ (MDG), welche bis 2015<br />

erreicht werd<strong>en</strong> sollt<strong>en</strong>:<br />

1. Beseitigung der extrem<strong>en</strong> Armut und<br />

des Hungers<br />

2. Verwirklichung der allgemein<strong>en</strong> Primärschulbildung<br />

3. Förderung der Gleichstellung der<br />

Geschlechter und Ermächtigung der<br />

Frau<br />

4. S<strong>en</strong>kung der Kindersterblichkeit<br />

5. Verbesserung der Gesundheit von Müttern<br />

6. Bekämpfung von HIV/AIDS und ander<strong>en</strong><br />

Krankheit<strong>en</strong><br />

7. Sicherung der ökologisch<strong>en</strong> Nachhaltigkeit<br />

8. Aufbau einer weltweit<strong>en</strong> Entwicklungspartnerschaft<br />

In diesem Bericht möchte ich darstell<strong>en</strong>,<br />

wie und auf welch<strong>en</strong> Eb<strong>en</strong><strong>en</strong> die Bundesrepublik<br />

mit Kamerun zusamm<strong>en</strong>arbeitet, um<br />

d<strong>en</strong> g<strong>en</strong>annt<strong>en</strong> Ziel<strong>en</strong> näher zu komm<strong>en</strong>.<br />

Dabei ist die Mill<strong>en</strong>niumserklärung für die<br />

deutsche Entwicklungszusamm<strong>en</strong>arbeit ein<br />

wichtiger Bezugspunkt. So hat die Bundesregierung<br />

in dem „Aktionsprogramm 2015“<br />

Ansätze formuliert, um die Mill<strong>en</strong>niumsziele<br />

umzusetz<strong>en</strong>, dabei ist die Armutsbekämpfung<br />

als wichtigste Aufgabe festgeschrieb<strong>en</strong>.<br />

Hervorzuheb<strong>en</strong> ist auch das Ziel, „Partnerschaft<strong>en</strong><br />

mit all<strong>en</strong> gesellschaftlich<strong>en</strong> Kräft<strong>en</strong><br />

der jeweilig<strong>en</strong> Länder zu <strong>en</strong>twickeln“.<br />

Sicher auch durch bisherige Erfahrung<strong>en</strong><br />

wird heute die Fähigkeit <strong>zur</strong> Selbsthilfe<br />

betont und deshalb die Stärkung von besteh<strong>en</strong>d<strong>en</strong><br />

Organisation<strong>en</strong> angestrebt, vor<br />

allem der arm<strong>en</strong> Bevölkerungsgrupp<strong>en</strong>.<br />

Auch gemeinnützig ori<strong>en</strong>tierte deutsche<br />

und internationale Nichtregierungsorganisation<strong>en</strong><br />

(NRO) werd<strong>en</strong> mit öff<strong>en</strong>tlich<strong>en</strong><br />

Mitteln gefördert. Somit ergibt sich ein<br />

breit gefächertes Spektrum von Entwicklungszusamm<strong>en</strong>arbeit,<br />

um eine größtmögliche<br />

Wirkung erreich<strong>en</strong> zu könn<strong>en</strong>.<br />

Bevor ich näher auf die Zusamm<strong>en</strong>arbeit


von Kamerun und Deutschland eingehe,<br />

möchte ich einige kritische Stimm<strong>en</strong> aus<br />

Kamerun zu Wort komm<strong>en</strong> lass<strong>en</strong>, um die<br />

Entwicklungshilfe einmal von einer ander<strong>en</strong><br />

Perspektive aus zu betracht<strong>en</strong>.<br />

In einem Artikel des Internet-Journals<br />

Ecovox schreibt der Journalist Souley Onohiolo<br />

über Vorurteil und Stereotyp<strong>en</strong> in der<br />

Zusamm<strong>en</strong>arbeit zwisch<strong>en</strong> Nord und Süd:<br />

«Schlimmer und heimtückischer ist das<br />

Vorteil welches darauf besteht, d<strong>en</strong> Schwarz<strong>en</strong><br />

als intellektuell rückständig und unfähig<br />

der Kreativität zu betracht<strong>en</strong>. […] Ihre<br />

Erneuerungsarbeit (Anm.: die Arbeit der<br />

Entwicklungshelfer) wird nie von Grund auf<br />

gemacht. Sie arbeit<strong>en</strong> nicht um überflüssig<br />

zu werd<strong>en</strong>, sondern um un<strong>en</strong>tbehrlich und<br />

unumgänglich zu bleib<strong>en</strong>.»<br />

Félix Meutchieye schreibt: „Das übliche<br />

Verständnis des Begriffs „Kooperation“ verweist<br />

auf Definition<strong>en</strong> wie: Zusamm<strong>en</strong>arbeit,<br />

zusamm<strong>en</strong> tätig sein oder noch einfacher<br />

zusamm<strong>en</strong> bewältig<strong>en</strong>. Aber es<br />

scheint, angesichts dess<strong>en</strong> was tatsächlich<br />

jedes Mal passiert w<strong>en</strong>n dieser Begriff<br />

b<strong>en</strong>utzt wird, dass er sich eher bezieht auf:<br />

arbeit<strong>en</strong> mit, tätig sein mit oder durchführ<strong>en</strong><br />

mit. […] Mit einem schnell<strong>en</strong> Blick auf<br />

die Dinge scheint es mir, dass diese Kooperation<br />

ist, welche wir leb<strong>en</strong>… und ausüb<strong>en</strong>!<br />

[…] Kann diese Art von Verhältnis konstruktiv<br />

sein? Und zu welchem Preis?“<br />

Der M<strong>en</strong>sch<strong>en</strong>rechtsexperte Jean Takougang<br />

fordert, dass humanitäre Interv<strong>en</strong>tion<strong>en</strong><br />

str<strong>en</strong>g reglem<strong>en</strong>tiert werd<strong>en</strong> und klagt<br />

die Staat<strong>en</strong> des Nord<strong>en</strong>s an, mit Interv<strong>en</strong>tion<strong>en</strong><br />

aus vorgeschob<strong>en</strong><strong>en</strong> Gründ<strong>en</strong> nur<br />

ihre Interess<strong>en</strong> durchsetz<strong>en</strong> zu woll<strong>en</strong>, beispielsweise<br />

Frankreich an der Elf<strong>en</strong>beinküste<br />

und die USA in Afghanistan und Irak.<br />

Unabhängig davon, ob diese Kritik<strong>en</strong><br />

jeweils berechtigt oder aber zu einseitig<br />

sind, sie <strong>en</strong>thalt<strong>en</strong> wichtige Maßstäbe für<br />

die Entwicklungszusamm<strong>en</strong>arbeit.<br />

Wirtschaftliche Entwicklung und Situation<br />

in Kamerun<br />

Unter d<strong>en</strong> Entwicklungsländern hatte<br />

Kamerun in d<strong>en</strong> 70er und 80er Jahr<strong>en</strong> eine<br />

hoffnungsvolle Ausgangsposition; die<br />

Erwartung<strong>en</strong> einer schnell<strong>en</strong> Industrialisierung<br />

hab<strong>en</strong> sich jedoch währ<strong>en</strong>d der 80er<br />

und 90er Jahre zerschlag<strong>en</strong>. Daran hab<strong>en</strong><br />

sowohl weltweite Wirtschaftskris<strong>en</strong> als auch<br />

innere Faktor<strong>en</strong> ihr<strong>en</strong> Anteil. Heute wird<br />

Kamerun von dem United Nations Developm<strong>en</strong>t<br />

Programme im allgemein<strong>en</strong> HDI<br />

(Human Developm<strong>en</strong>t Index) auf Platz 125<br />

von 162 geführt. Dieser Index fasst mehre-<br />

re Kriteri<strong>en</strong> zusamm<strong>en</strong>, unter anderem Bildung,<br />

Gesundheit, wirtschaftliche Entwicklung<br />

und Umwelt. Kamerun konnte nicht<br />

mit der Entwicklung in Südafrika mithalt<strong>en</strong>,<br />

jedoch gibt es keine so große Armut wie<br />

beispielsweise in d<strong>en</strong> angr<strong>en</strong>z<strong>en</strong>d<strong>en</strong> Ländern<br />

Tschad und der Z<strong>en</strong>tral-afrikanische<br />

Republik und d<strong>en</strong> Sahelländern. Der überwieg<strong>en</strong>de<br />

Teil der Bevölkerung arbeitet<br />

noch immer in der Landwirtschaft (1997:<br />

75%). Trotzdem hat dieser Sektor ein<strong>en</strong><br />

wes<strong>en</strong>tlich geringer<strong>en</strong> Anteil am Bruttoinlandsprodukt<br />

(1997: 25%), was auf eine<br />

niedrige Produktivität hindeutet. Bei d<strong>en</strong><br />

Exportgütern herrsch<strong>en</strong> jedoch die landwirtschaftlich<strong>en</strong><br />

Produkte vor, z.B. Kaffee,<br />

Kakao, Palmöl, Baumwolle, Kautschuk,<br />

Banan<strong>en</strong> und Erdöl. Der Industriesektor<br />

besteht vor allem aus der Verarbeitung von<br />

Aluminium, Erdöl, Holz, Baumwolle und<br />

Tabak und der Getränkeherstellung. Wirtschaftliches<br />

Herz Kameruns ist die Haf<strong>en</strong>stadt<br />

Douala.<br />

Durch d<strong>en</strong> Verfall der Weltmarktpreise<br />

für Kakao und Kaffee (seit 1986) kam es zu<br />

stark<strong>en</strong> Einkomm<strong>en</strong>sverlust<strong>en</strong> für die Bevölkerung<br />

und ein<strong>en</strong> Rückgang der staatlich<strong>en</strong><br />

Einkünfte. Durch teilweise illegale Holzexporte<br />

wurde versucht, d<strong>en</strong> Staatshaushalt<br />

aufzubessern, dadurch ist allerdings der<br />

Bestand des tropisch<strong>en</strong> Reg<strong>en</strong>waldes in<br />

Kamerun stark gefährdet. Zudem verursachte<br />

eine Abwertung der Landeswährung<br />

in 1994 empfindliche Preissteigerung<strong>en</strong><br />

und Entlassung<strong>en</strong>. Diese Entwicklung<strong>en</strong><br />

werd<strong>en</strong> verschärft durch ein Bevölkerungswachstum<br />

von jährlich fast 3%, so dass das<br />

Wohlstandsniveau der früh<strong>en</strong> 80er Jahre<br />

nicht gehalt<strong>en</strong> werd<strong>en</strong> konnte. Problematisch<br />

ist <strong>zur</strong>zeit die schwierige Haushaltslage.<br />

Diese verringert die Investition<strong>en</strong> in das<br />

Schul- und Gesundheitswes<strong>en</strong> und in die<br />

Infrastruktur. Zusamm<strong>en</strong> mit der vorherrsch<strong>en</strong>d<strong>en</strong><br />

Rechtsunsicherheit wird die Entwicklung<br />

in viel<strong>en</strong> Bereich<strong>en</strong> gehemmt. So<br />

ist der Tourismus stark unter<strong>en</strong>twickelt<br />

trotz sehr guter Voraussetzung<strong>en</strong>. Eine politische<br />

Hemmschwelle ist die z<strong>en</strong>tralistische<br />

Regierungsform, die der Vielfalt der Völker<br />

und Sprach<strong>en</strong> in Kamerun nicht gerecht<br />

wird. Die ethnisch<strong>en</strong> Bindung<strong>en</strong> sind oft<br />

die einzige soziale Absicherung, was dazu<br />

führt, dass <strong>en</strong>twicklungspolitisches Handeln<br />

staatlicher Funktionsträger und des Staates<br />

insgesamt w<strong>en</strong>ig ausgeprägt ist. Auch eine<br />

wirksame, geeinte Opposition konnte sich<br />

bis heute nicht bild<strong>en</strong>, so dass die öff<strong>en</strong>tlich<br />

kritisiert<strong>en</strong> Missstände, z.B. die Korruption,<br />

und M<strong>en</strong>sch<strong>en</strong>rechtsverletzung<strong>en</strong> weiter<br />

83


84<br />

besteh<strong>en</strong>.<br />

Trotz allem gibt es auch n<strong>en</strong>n<strong>en</strong>swerte<br />

Fortschritte, z.B. bei der Liberalisierung des<br />

Bank<strong>en</strong>sektors und der lauf<strong>en</strong>d<strong>en</strong> Privatisierung,<br />

wodurch der Spielraum des Privatsektors<br />

zug<strong>en</strong>omm<strong>en</strong> hat. Auch die Lage<br />

der M<strong>en</strong>sch<strong>en</strong>rechte hat sich durch die<br />

langsame demokratische Öffnung <strong>en</strong>tscheid<strong>en</strong>d<br />

verbessert.<br />

Als eines der am höchst<strong>en</strong> verschuldet<strong>en</strong><br />

Ländern Afrikas hat Kamerun Chanc<strong>en</strong>, in<br />

dem Entschuldungsprogramm des International<strong>en</strong><br />

Währungsfonds IMF (International<br />

Monetary Fund) aufg<strong>en</strong>omm<strong>en</strong> zu werd<strong>en</strong>,<br />

was eine erhebliche Erleichterung für<br />

d<strong>en</strong> öff<strong>en</strong>tlich<strong>en</strong> Haushalt bedeut<strong>en</strong> würde.<br />

Die Auslandsverschuldung des Landes<br />

belief sich 1999 auf 9,4 Mrd. US$, <strong>en</strong>tsprech<strong>en</strong>d<br />

76% des BSP, der Schuld<strong>en</strong>di<strong>en</strong>st lag<br />

bei 24% der Exporte. Zudem erhält Kamerun<br />

Zahlung<strong>en</strong> der Weltbank <strong>zur</strong> Strukturanpassung,<br />

allerdings verschärft die daran<br />

geknüpfte Bedingung <strong>zur</strong> Privatisierung<br />

das Problem der Arbeitslosigkeit durch Entlassung<strong>en</strong>.<br />

Viele Projekte der Entwicklungszusamm<strong>en</strong>arbeit<br />

setz<strong>en</strong> auf der Eb<strong>en</strong>e der Kleinunternehmer<br />

und der Selbsthilfeaktivität<strong>en</strong><br />

an. Die z<strong>en</strong>tralistische Bürokratie der<br />

Hauptstadt soll dadurch vermied<strong>en</strong> und das<br />

Fehl<strong>en</strong> konstruktiver Angebote des Staates<br />

aufgefang<strong>en</strong> werd<strong>en</strong>. Auch werd<strong>en</strong> nichtstaatliche<br />

Einrichtung<strong>en</strong> besonders gefördert.<br />

Ein wichtiges Pot<strong>en</strong>tial ist das hohe<br />

Bildungsniveau der Kameruner Bevölkerung,<br />

welches als Entwicklungsfaktor bisher<br />

kaum g<strong>en</strong>utzt wird.<br />

Entwicklungszusamm<strong>en</strong>arbeit von<br />

Deutschland und Kamerun<br />

Im Jahr 2003 belief<strong>en</strong> sich die Gesamtleistung<strong>en</strong><br />

der deutsch<strong>en</strong> öff<strong>en</strong>tlich<strong>en</strong> Entwicklungshilfe<br />

auf 6 Mrd. Euro, was einem<br />

Anteil am Bruttonationaleinkomm<strong>en</strong> von<br />

0,28% <strong>en</strong>tspricht. Die MDG fordern bis<br />

2015 ein<strong>en</strong> Anteil von 0,7%. Von dies<strong>en</strong><br />

Zahlung<strong>en</strong> ging<strong>en</strong> 60% an die Entwicklungsländer<br />

direkt, 40% <strong>en</strong>tfiel<strong>en</strong> auf Beiträge<br />

an multilaterale Entwicklungshilfegeber.<br />

Es gibt regelmäßig stattfind<strong>en</strong>de Regierungsverhandlung<strong>en</strong><br />

mit d<strong>en</strong><br />

Kooperationsländern, in d<strong>en</strong><strong>en</strong> die Verw<strong>en</strong>dung<br />

der Mittel für Projekte und Programme<br />

festgelegt wird. Kamerun ist dabei als<br />

eines von derzeit 40 Schwerpunktländern<br />

der Entwicklungspolitisch<strong>en</strong> Zusamm<strong>en</strong>arbeit<br />

(EZ) eingestuft. Diese Zusamm<strong>en</strong>arbeit<br />

teilt sich hauptsächlich in zwei Gebiete auf:<br />

Die Technische Zusamm<strong>en</strong>arbeit (TZ), bei<br />

der Know-how und Material <strong>zur</strong> Verfügung<br />

gestellt werd<strong>en</strong>, die sonst für das Partnerland<br />

unerschwinglich wär<strong>en</strong>, und die Finanzielle<br />

Zusamm<strong>en</strong>arbeit (FZ), bei der Mittel<br />

für Projekte <strong>zur</strong> Verfügung gestellt werd<strong>en</strong>,<br />

die der Bevölkerung direkt zu Gute komm<strong>en</strong>.<br />

Für 2004/2005 wurd<strong>en</strong> Kamerun<br />

Neuzusag<strong>en</strong> in Höhe von insgesamt 29 Mio.<br />

Euro gemacht.<br />

Zuständig für die deutsche Entwicklungszusamm<strong>en</strong>arbeit<br />

sind unter anderem das<br />

Bundesministerium für wirtschaftliche<br />

Zusamm<strong>en</strong>arbeit und Entwicklung (BMZ),<br />

die deutsche Gesellschaft für Technische<br />

Zusamm<strong>en</strong>arbeit (GTZ), die Kreditanstalt<br />

für Wiederaufbau (KfW), die Deutsche<br />

Investitions- und Entwicklungsgesellschaft<br />

(DEG), das Auswärtige Amt (AA), das Deutsche<br />

Institut für Entwicklungspolitik (DIE),<br />

der Deutsche Entwicklungsdi<strong>en</strong>st (DED)<br />

und die Internationale Weiterbildung und<br />

Entwicklung GmbH (InWEnt) .<br />

Die Projekte konz<strong>en</strong>trier<strong>en</strong> sich auf drei<br />

Schwerpunkte. Der erste ist die Verbesserung<br />

der Gesundheitsversorgung. Im<br />

Durchschnitt betreut ein Arzt in Kamerun<br />

13.500 M<strong>en</strong>sch<strong>en</strong> und es gibt lediglich 25<br />

Krank<strong>en</strong>hausbett<strong>en</strong> pro 10.000 Einwohner.<br />

In d<strong>en</strong> staatlich<strong>en</strong> Krank<strong>en</strong>häusern kommt<br />

es immer wieder zu Engpäss<strong>en</strong> bei der Versorgung<br />

mit Medikam<strong>en</strong>t<strong>en</strong> und medizinischem<br />

Material. Hinzu kommt, dass 12 Proz<strong>en</strong>t<br />

der M<strong>en</strong>sch<strong>en</strong> mit HIV infiziert sind,<br />

Malaria und Tuberkulose stell<strong>en</strong> eine weitere<br />

Belastung dar. Ziel eines Projektes des<br />

BMZ ist es, die Gesundheitsversorgung in<br />

drei ausgewählt<strong>en</strong> Provinz<strong>en</strong> zu verbessern.<br />

Dafür werd<strong>en</strong> von 2002 bis 2014 ca. 41,8<br />

Million<strong>en</strong> Euro von deutscher Seite <strong>zur</strong> Verfügung<br />

gestellt. Dies umfasst d<strong>en</strong> Bau und<br />

die Instandsetzung von Krank<strong>en</strong>häusern<br />

und Gesundheitsz<strong>en</strong>tr<strong>en</strong> und der<strong>en</strong> Ausstattung,<br />

aber auch die Aus- und Fortbildung<br />

des medizinisch<strong>en</strong> Personals. Außerdem<br />

werd<strong>en</strong> Programme <strong>zur</strong> AIDS-Aufklärung,<br />

zu Famili<strong>en</strong>planung und<br />

Tuberkulosebekämpfung gefördert. Um<br />

d<strong>en</strong> Zugang <strong>zur</strong> medizinisch<strong>en</strong> Versorgung<br />

für die ganze Bevölkerung zu verbessern,<br />

wird eine dez<strong>en</strong>trales System angestrebt,<br />

werd<strong>en</strong> auch nichtstaatliche Einrichtung<strong>en</strong><br />

und die Eig<strong>en</strong>beteiligung der Kommun<strong>en</strong><br />

und der Bevölkerung gestärkt, beispielsweise<br />

durch die Einführung zusätzlicher privater<br />

Versicherung<strong>en</strong>.<br />

Der zweite Schwerpunkt ist die Nachhaltigkeit<br />

in der Nutzung der natürlich<strong>en</strong> Ressourc<strong>en</strong>.<br />

In keinem Land Afrikas ist der<br />

Waldverlust so groß wie in Kamerun, dabei


ist der Urwald eines der wichtigst<strong>en</strong> Einnahmequell<strong>en</strong>.<br />

Ein Projekt des BMZ unterstützt<br />

das kamerunsche Waldprogramm PSFE<br />

(Programme Sectoriel Forêts et Environnem<strong>en</strong>t)<br />

von 2003 bis 2015 mit 26 Million<strong>en</strong><br />

Euro. Das Ziel ist es, die Forst- und Umweltpolitik<br />

besser auf die Bevölkerung abzustimm<strong>en</strong>,<br />

für die der Wald oft die einzige Nahrungs-<br />

und Einkomm<strong>en</strong>squelle ist, leider<br />

auch durch Handel mit dem Fleisch gewilderter<br />

Tiere. Gemeinsam werd<strong>en</strong> alternative<br />

Einkomm<strong>en</strong>squell<strong>en</strong> geschaff<strong>en</strong>, zum<br />

Beispiel Ökotourismus. Um d<strong>en</strong> Wald und<br />

das Einkomm<strong>en</strong> der Bevölkerung auch in<br />

Zukunft zu sichern, werd<strong>en</strong> Konzepte <strong>en</strong>twickelt<br />

für die nachhaltige Nutzung des<br />

Waldes. Die Einführung des FSC-Siegels soll<br />

zudem der illegal<strong>en</strong> Abholzung von wertvoll<strong>en</strong><br />

Trop<strong>en</strong>hölzern d<strong>en</strong> Nährbod<strong>en</strong> <strong>en</strong>tzieh<strong>en</strong>.<br />

Die Arbeit der GTZ konz<strong>en</strong>triert sich<br />

vor allem auf die Einrichtung eines Fonds<br />

<strong>zur</strong> Finanzierung des national<strong>en</strong> Forstprogramms.<br />

Darüber hinaus berät sie das Ministerium<br />

für Forst und Natur beim Aufbau<br />

von Fondmanagem<strong>en</strong>t-Kompet<strong>en</strong>z<strong>en</strong>, damit<br />

der Fonds mittel- bis langfristig auch ohne<br />

externe Unterstützung abgewickelt werd<strong>en</strong><br />

kann.<br />

Der dritte Schwerpunkt ist die Dez<strong>en</strong>tralisierung<br />

der Regierungsführung und die<br />

Bekämpfung von Korruption. Die Arbeit<br />

knüpft unter anderem an die nationale Strategie<br />

<strong>zur</strong> Armutsreduzierung an. Die GTZ<br />

übt hier eine berat<strong>en</strong>de Funktion aus in<br />

Politik und Zivilgesellschaft bei der Umsetzung<br />

der Strategi<strong>en</strong>. Die DED unterstützt<br />

Zivilgesellschaftliche- und Selbsthilfe-Initiativ<strong>en</strong>.<br />

Da die Korruption ein z<strong>en</strong>trales Problem<br />

ist, werd<strong>en</strong> für die Projekte aus all<strong>en</strong><br />

Schwerpunkt<strong>en</strong> vorher feste Verhalt<strong>en</strong>sregeln<br />

festgeschrieb<strong>en</strong>. Ein ständiges Übertret<strong>en</strong><br />

dieser Regeln kann zum Abbruch der<br />

Förderung des Projekts führ<strong>en</strong>.<br />

Nach dem Scheitern der Modelle wirtschaftlicher<br />

Entwicklung durch nachhol<strong>en</strong>de<br />

Industrialisierung gewann der informelle<br />

Sektor in Kamerun an Aufmerksamkeit.<br />

Ziel der Arbeit des DED im Sektor Kleingewerbe,<br />

Managem<strong>en</strong>t und Verwaltung ist es,<br />

ein<strong>en</strong> Beitrag <strong>zur</strong> Milderung der Beschäftigungskrise<br />

in Kamerun zu leist<strong>en</strong>. Da der<br />

öff<strong>en</strong>tliche Di<strong>en</strong>st in Kamerun stark vernachlässigt<br />

wurde, hat sich der DED darauf<br />

konz<strong>en</strong>triert, mit nichtstaatlich<strong>en</strong> Trägern<br />

zusamm<strong>en</strong>zuarbeit<strong>en</strong>. Konkret geht es um<br />

die Förderung von Handwerk und Kleingewerbe<br />

mit dem Ziel der Einkomm<strong>en</strong>ssteigerung,<br />

Organisationsberatung für Verbandsbildung<br />

und beschäftigungsori<strong>en</strong>tierte<br />

berufliche Bildung mit Integration von<br />

Mädch<strong>en</strong> und Frau<strong>en</strong>. Darüber hinaus werd<strong>en</strong><br />

in Kooperation mit der KfW Vorhab<strong>en</strong><br />

<strong>zur</strong> Verbesserung der Trinkwasserversorgung<br />

im Süd<strong>en</strong> Kameruns und ein Weiterbildungsprogramm<br />

für Lehrer in Zusamm<strong>en</strong>arbeit<br />

mit d<strong>en</strong> Kirch<strong>en</strong> durchgeführt.<br />

Die KfW fördert einige Projekte <strong>zur</strong> Verbesserung<br />

der Infrastruktur, da eine nicht<br />

befahrbare Straße dafür sorg<strong>en</strong> kann, dass<br />

Zulieferer sehr große Umwege fahr<strong>en</strong> müss<strong>en</strong><br />

und die Preise der Verbrauchsgüter im<br />

Inland ansteig<strong>en</strong>.<br />

Um die Auswahl von Projekt<strong>en</strong> ab<strong>zur</strong>und<strong>en</strong>,<br />

möchte ich zum Schluss noch einige<br />

NRO und private Unternehm<strong>en</strong> vorstell<strong>en</strong>,<br />

welche mit öff<strong>en</strong>tlich<strong>en</strong> Mitteln gefördert<br />

werd<strong>en</strong>, weil ihre Projekte eine starke <strong>en</strong>twicklungspolitisch<strong>en</strong><br />

Kompon<strong>en</strong>te hab<strong>en</strong>.<br />

Aus dieser Zusamm<strong>en</strong>arbeit kann für<br />

Unternehm<strong>en</strong> und Bundesregierung, aber<br />

auch für das Entwicklungsland ein größerer<br />

Nutz<strong>en</strong> <strong>en</strong>tsteh<strong>en</strong> als bei einem rein öff<strong>en</strong>tlich<strong>en</strong><br />

oder rein privatwirtschaftlich<strong>en</strong><br />

Engagem<strong>en</strong>t. Im medizinisch<strong>en</strong> Bereich ist<br />

Action Medeor tätig, die Stiftung liefert<br />

Medikam<strong>en</strong>t<strong>en</strong> und medizinische Ausrüstung<br />

geg<strong>en</strong> Erstattung der Selbstkost<strong>en</strong><br />

oder als Sp<strong>en</strong>de. Der Deutsche Caritasverband<br />

leistet Nothilfe und Wiederaufbau.<br />

Die Reg<strong>en</strong>wald Arbeitsgemeinschaft Cameroun<br />

e.V. führt Entwicklungsprojekte zum<br />

Erhalt des Reg<strong>en</strong>waldes in Z<strong>en</strong>tralafrika<br />

durch, besonders in Kamerun. Eine<br />

gemeinnützige Firma ist die Technologie<br />

Transfer Marburg in die Dritte Welt e.V.,<br />

welche angepasste medizinische Geräte und<br />

Materiali<strong>en</strong> herstellt und liefert. Diese sind<br />

speziell an die Bedingung<strong>en</strong> vor Ort angepasst<br />

und besonders kost<strong>en</strong>günstig, da auf<br />

unnötige Ausstattung<strong>en</strong> verzichtet wird.<br />

Die g<strong>en</strong>annt<strong>en</strong> Projekte sind wie schon<br />

gesagt nur eine kleine Auswahl, welche hoff<strong>en</strong>tlich<br />

repräs<strong>en</strong>tativ sind für die gesamte<br />

Entwicklungszusamm<strong>en</strong>arbeit. Kritisier<strong>en</strong><br />

kann man, dass von deutscher Seite noch<br />

nicht so viele Entwicklungsmittel <strong>zur</strong> Verfügung<br />

gestellt werd<strong>en</strong>, wie von d<strong>en</strong> MDG<br />

gefordert. Andererseits ist meiner Meinung<br />

nach mehr als deutlich, dass die Projekte<br />

der Entwicklungszusamm<strong>en</strong>arbeit wirklich<br />

Hilfe <strong>zur</strong> Selbsthilfe darstell<strong>en</strong>. Es bleibt zu<br />

hoff<strong>en</strong>, dass in Deutschland die Einsicht<br />

wächst, wie wichtig die Entwicklung der<br />

arm<strong>en</strong> Länder dieser Welt ist.<br />

85


86<br />

Them<strong>en</strong>schwerpunkt der Bundesz<strong>en</strong>trale für politische Bildung<br />

frika ist ein spann<strong>en</strong>der Kontin<strong>en</strong>t,<br />

voller Vielfalt und Herausforderung<strong>en</strong>.<br />

Afrika ist aufreg<strong>en</strong>d und vielschichtig,<br />

stets im Wandel begriff<strong>en</strong>. Afrika<br />

ist Faszination und Leb<strong>en</strong>digkeit. Doch<br />

trotz der Diversität, die unser Nachbarkontin<strong>en</strong>t<br />

zu biet<strong>en</strong> hat, verbind<strong>en</strong> die meist<strong>en</strong><br />

M<strong>en</strong>sch<strong>en</strong> hierzulande mit Afrika nur Kris<strong>en</strong>sz<strong>en</strong>ari<strong>en</strong>.<br />

Das Wiss<strong>en</strong> der deutsch<strong>en</strong><br />

Bevölkerung um die komplexe politische,<br />

gesellschaftliche und kulturelle Realität auf<br />

dem zweitgrößt<strong>en</strong> Erdteil der Welt ist<br />

erschreck<strong>en</strong>d gering. Ganz im Geg<strong>en</strong>satz zu<br />

unser<strong>en</strong> europäisch<strong>en</strong> Nachbarn übrig<strong>en</strong>s,<br />

die nicht nur besser informiert, sondern<br />

auch wes<strong>en</strong>tlich interessierter am Gescheh<strong>en</strong><br />

in d<strong>en</strong> insgesamt 53 Staat<strong>en</strong> Afrikas<br />

sind.<br />

Um diesem Missstand nachhaltig <strong>en</strong>tgeg<strong>en</strong>zuwirk<strong>en</strong>,<br />

hat die Bundesz<strong>en</strong>trale für<br />

politische Bildung/bpb zum erst<strong>en</strong> Mal<br />

ein<strong>en</strong> mehrjährig<strong>en</strong> Schwerpunkt initiiert:<br />

Fokus Afrika: Africome 2004-2006. Um vor<br />

allem junge Zielgrupp<strong>en</strong> zu erreich<strong>en</strong>, hat<br />

die bpb zunächst ein<strong>en</strong> kulturell-künstlerisch<strong>en</strong><br />

Ansatz ge-wählt, um das Interesse für<br />

d<strong>en</strong> Kontin<strong>en</strong>t neu zu weck<strong>en</strong>. Diskursive<br />

Veranstaltung<strong>en</strong> und Begeg-nungsprogramme<br />

der politisch<strong>en</strong> Bildung sowie eine Vielzahl<br />

von Publikation<strong>en</strong> ergänz<strong>en</strong> dies<strong>en</strong> Ansatz.<br />

Die eklatant<strong>en</strong> Lück<strong>en</strong> im Bewusstsein<br />

der Bevölkerung zu schließ<strong>en</strong> und neue<br />

Impulse zu einer konstruktiv<strong>en</strong> Auseinandersetzung<br />

mit Afrikas Realität<strong>en</strong> zu geb<strong>en</strong>,<br />

ist hierbei nur eine der Zielsetzun-g<strong>en</strong>. Beispiele,<br />

etwa aus d<strong>en</strong> Bereich<strong>en</strong> Film, Literatur,<br />

Malerei, Medi<strong>en</strong>, Musik und Mode, woll<strong>en</strong><br />

die Besucherinn<strong>en</strong> und Besucher einlad<strong>en</strong>,<br />

eingefahr<strong>en</strong>e D<strong>en</strong>kbahn<strong>en</strong> zu<br />

verlass<strong>en</strong> und eine differ<strong>en</strong>zier-te Sichtweise<br />

der afrikanisch<strong>en</strong> Realität zu schaff<strong>en</strong>.<br />

D<strong>en</strong>n originelle, künstlerische Ansätze vermög<strong>en</strong><br />

immer wieder neue Zugänge zu<br />

eröffn<strong>en</strong>, mit d<strong>en</strong><strong>en</strong> eingefahr<strong>en</strong>e D<strong>en</strong>kbahn<strong>en</strong><br />

verlass<strong>en</strong> werd<strong>en</strong>. Prinzipiell liegt<br />

der bpb daran, die Bürger/inn<strong>en</strong> für ein<br />

selbständiges Engagem<strong>en</strong>t in d<strong>en</strong> verschiede-n<strong>en</strong><br />

politisch<strong>en</strong> Them<strong>en</strong>feldern zu mobilisier<strong>en</strong>.<br />

Eine kritische Auseinandersetzung,<br />

die auf einer diffe-r<strong>en</strong>ziert<strong>en</strong> Betrachtungsweise<br />

und auf K<strong>en</strong>ntnis der tatsächlich<strong>en</strong><br />

afrikanisch<strong>en</strong> Wirklichkeit beruh<strong>en</strong> sollte,<br />

ist dabei selbstverständlich gefragt.<br />

Es ist an der Zeit, unsere euroz<strong>en</strong>trisch<strong>en</strong><br />

und klischeehaft<strong>en</strong> Bilder durch neue Information<strong>en</strong><br />

und eine neue Wahrnehmung zu<br />

ersetz<strong>en</strong>. Afrika ist eb<strong>en</strong> nicht gleichbedeut<strong>en</strong>d<br />

mit Rückstand, Krieg, Hunger und<br />

Katastroph<strong>en</strong> – auch w<strong>en</strong>n uns die Medi<strong>en</strong><br />

teilweise dieses Bild übermitteln. Das<br />

moder-ne Afrika steht im 21. Jahrhundert,<br />

im Kontext der Globalisierung, vor ähnlich<strong>en</strong><br />

Herausforderung<strong>en</strong> wie die übrige<br />

Welt auch.<br />

Die bpb will mit Fokus Afrika: Africome<br />

2004-2006 auch die M<strong>en</strong>sch<strong>en</strong> erreich<strong>en</strong>,<br />

die bisher nur ge-ringe oder gar keine<br />

K<strong>en</strong>ntnisse über d<strong>en</strong> Kontin<strong>en</strong>t gehabt<br />

hab<strong>en</strong> oder ihm aus unterschiedlich<strong>en</strong><br />

Gründ<strong>en</strong> ausgewich<strong>en</strong> sind. Dabei ist es ihr<br />

besonders wichtig, Schülerinn<strong>en</strong> und Schüler<br />

auf d<strong>en</strong> verschied<strong>en</strong><strong>en</strong> Bildungseb<strong>en</strong><strong>en</strong><br />

zu erreich<strong>en</strong>. Wichtig ist es auch, eine neue<br />

Auseinandersetzung über die deutsche<br />

Kolonialpolitik in Gang zu setz<strong>en</strong>, ein<strong>en</strong> bisher<br />

vernachlässigt<strong>en</strong> Teil deutscher Geschichte.<br />

Begeisterung für die Vielfalt und<br />

Vielschichtigkeit Afrikas weck<strong>en</strong> und auf<br />

diese Weise mehr Verständnis und Toleranz<br />

im eig<strong>en</strong><strong>en</strong> Land erreich<strong>en</strong> – das will die<br />

bpb mit ihrem Schwerpunkt, Fokus Afrika:<br />

Africome 2004-2006.<br />

Weitere Information<strong>en</strong><br />

www.bpb.de<br />

oder www.africome.de


Aktuelle gesellschaftliche Herausforderung<strong>en</strong> in<br />

Kamerun<br />

87


88<br />

Kamerun – ethnisches Br<strong>en</strong>nglas Afrikas<br />

von REGINA LADERMANN<br />

ie verbind<strong>en</strong>de Lage Kameruns zwisch<strong>en</strong><br />

West- und Z<strong>en</strong>tralafrika als<br />

auch seine lange Ausbreitung von<br />

der Küste zum Tschadsee ist kausal mit der<br />

heterog<strong>en</strong><strong>en</strong> Zusamm<strong>en</strong>setzung der Bevölkerung<br />

dieses Landes zu assoziier<strong>en</strong>. So existier<strong>en</strong><br />

mehr als 200 verschied<strong>en</strong>e Volksgrupp<strong>en</strong><br />

und weit über 160 unterschiedliche<br />

Sprach<strong>en</strong>. Jede Ethnie zeichnet sich<br />

durch ihre unterschiedliche Kultur, Sprache,<br />

Tradition und Religion aus. Die heutige<br />

Verteilung der Völker Kameruns, welche<br />

u.a. in der Abbildung 1 illustriert ist, resultiert<br />

aus d<strong>en</strong> Völkerwanderung<strong>en</strong> der letzt<strong>en</strong><br />

Jahrhunderte. Die Willkür der kolonial<strong>en</strong><br />

Gr<strong>en</strong>zziehung und die damit <strong>en</strong>tstand<strong>en</strong>e<br />

Tr<strong>en</strong>nung von Ethni<strong>en</strong> geg<strong>en</strong> ihr<strong>en</strong><br />

Will<strong>en</strong> ist bei der Betrachtung der unterschiedlich<strong>en</strong><br />

Volksgrupp<strong>en</strong> Kameruns stets<br />

zu berücksichtig<strong>en</strong>.<br />

Die Völker des Nord<strong>en</strong>s – Sudan-Sahel-<br />

Völker<br />

Die Bevölkerung im Nord<strong>en</strong> Kameruns gliedert<br />

sich in die islamisch<strong>en</strong> Volksgrupp<strong>en</strong><br />

und die Ethni<strong>en</strong> mit traditionell<strong>en</strong> Religion<strong>en</strong>,<br />

welche von d<strong>en</strong> islamisch<strong>en</strong> Ethni<strong>en</strong><br />

verächtlich Kirdi (=Heid<strong>en</strong>) g<strong>en</strong>annt werd<strong>en</strong>.<br />

Das heutige nördliche Staatsgebiet wurde<br />

als erstes von d<strong>en</strong> Sudanes<strong>en</strong> bewohnt. Die<br />

Mafa (=Matakam), Kapsiki und Podoko zähl<strong>en</strong><br />

u.a. zu d<strong>en</strong> Zeug<strong>en</strong> dieser altafrikanisch<strong>en</strong><br />

Kultur. Auf der Flucht vor d<strong>en</strong> aus<br />

der trock<strong>en</strong><strong>en</strong> Sahara einwandernd<strong>en</strong> Völker<br />

zog der größte Teil der sudanesisch<strong>en</strong><br />

Bevölkerung in die Mandara-Berge im<br />

Gr<strong>en</strong>zbereich zwisch<strong>en</strong> Kamerun und Nigeria.<br />

Somit konnt<strong>en</strong> sie sich einer Fulanisierung,<br />

d.h. der Islamisierung durch die eindring<strong>en</strong>d<strong>en</strong><br />

Fulbe-Nomad<strong>en</strong> des auslauf<strong>en</strong>d<strong>en</strong><br />

18. Jahrhunderts widersetz<strong>en</strong>. Noch<br />

heute leb<strong>en</strong> diese Ethni<strong>en</strong> in der Abgeschied<strong>en</strong>heit<br />

ihrer Berge und sind dort als Hackbauern<br />

auf ihr<strong>en</strong> Terrass<strong>en</strong>feldern tätig.<br />

Die Bergkirdi hab<strong>en</strong> sich ihre ursprüngliche<br />

Tradition<strong>en</strong> und Naturreligion bis heute<br />

bewahrt.<br />

Zu der islamisch<strong>en</strong> Volksgruppe der<br />

Sudan-Sahel-Völker zähl<strong>en</strong> die Fulbe. Sie<br />

stell<strong>en</strong> ein Drittel der knapp vier Million<strong>en</strong><br />

Einwohner Nordkameruns dar. Ursprünglich<br />

sind sie viehzücht<strong>en</strong>de Nomad<strong>en</strong>, die<br />

sich kriegerisch für die Verbreitung ihrer<br />

Religion eingesetzt hab<strong>en</strong>. Prämisse für die<br />

Entwicklung eines Kriegervolkes zu einer<br />

Gesellschaft mit politischer Strukturierung<br />

war die Involvierung der ansässig<strong>en</strong> Bevöl-


kerung und der<strong>en</strong> Annahme des Islams.<br />

Somit konnt<strong>en</strong> sie große Eb<strong>en</strong><strong>en</strong> bis hin zu<br />

d<strong>en</strong> Graslandschaft<strong>en</strong> des Adamaoua-Hochplateaus<br />

im Z<strong>en</strong>trum besiedeln. Die Nachfahr<strong>en</strong><br />

der Eroberer von einst spiel<strong>en</strong> heutzutage<br />

eine wichtige Rolle als Viehzüchter,<br />

Großgrundbesitzer, Transportunternehmer<br />

und Politiker. Auch die Sprache, das Fulfulde,<br />

stellt, ohne Amtssprache zu sein, eine<br />

wichtige Alternative zum Französisch als<br />

sprach<strong>en</strong>übergreif<strong>en</strong>des Kommunikationsmittel<br />

dar. Trotzdem existier<strong>en</strong> im Vergleich<br />

zu d<strong>en</strong> sesshaft<strong>en</strong> Fulbe noch nomadisch<br />

leb<strong>en</strong>de Rinderhirt<strong>en</strong>, die Fulbe-Mbororo.<br />

Ein weiteres zahl<strong>en</strong>mäßig großes und mit<br />

einer Vormachtstellung im sozial<strong>en</strong>, wirtschaftlich<strong>en</strong><br />

und administrativ<strong>en</strong> Bereich<br />

behaftetes Volk sind die Haussa. Ihre Sprache,<br />

das Haussa, ist wie das Fulfulde Han-<br />

delssprache in Westafrika. Auch sie spielt<strong>en</strong><br />

eine wichtige Rolle bei der Verbreitung des<br />

Islams. Die Angehörig<strong>en</strong> der Haussa sind<br />

insbesondere als Handwerker und Fernhändler<br />

tätig.<br />

An d<strong>en</strong> Ufern der Flüsse Logone und<br />

Chari, im äußerst<strong>en</strong> Nord<strong>en</strong> des Landes,<br />

leb<strong>en</strong> die Choa-Araber und die Kotoko. Vor<br />

allem in letzter Zeit flamm<strong>en</strong> immer wieder<br />

alte Animosität<strong>en</strong> bezüglich des Landbesitzes<br />

als auch der Bod<strong>en</strong>nutzungsform<strong>en</strong> zwisch<strong>en</strong><br />

dies<strong>en</strong> Ethni<strong>en</strong> auf. Diese führ<strong>en</strong> zu<br />

gewalttätig<strong>en</strong> Auseinandersetzung<strong>en</strong>. Die<br />

Choa-Araber sind Muslime, welche als Tierzüchter<br />

und Händler tätig sind. Hingeg<strong>en</strong><br />

leb<strong>en</strong> die christlich<strong>en</strong> Kotoko als Fischer<br />

und Bauern. Weitere islamische Ethni<strong>en</strong><br />

des Nord<strong>en</strong>s sind z.B. die Mousgoum oder<br />

die Massa.<br />

Abbildung 1: Verteilung<br />

der Völker Kameruns<br />

und der dominier<strong>en</strong>d<strong>en</strong><br />

Sprach<strong>en</strong> aus<br />

Fuchs, 2004 et al.<br />

89


90<br />

Die Völker im Z<strong>en</strong>trum<br />

Zu d<strong>en</strong> Ethni<strong>en</strong> im Z<strong>en</strong>trum Kameruns<br />

gehör<strong>en</strong> u.a. die Mambila, die Wute aber<br />

auch die Tikar. Heute sind vor allem die traditionell<strong>en</strong><br />

Würd<strong>en</strong>träger der Wute, welche<br />

auf der Flucht vor d<strong>en</strong> islamisch<strong>en</strong> Fulbe<br />

feudale Fürst<strong>en</strong>tümer mit traditionell<strong>en</strong><br />

Oberhäupt<strong>en</strong> (Mfoi g<strong>en</strong>annt) errichtet<strong>en</strong>,<br />

fest in das politische Verwaltungssystem<br />

integriert. Die Mambila leb<strong>en</strong> als Feldbauern,<br />

wobei sie sich in selbstständig<strong>en</strong> Dörfern<br />

mit sozial gleichgestellt<strong>en</strong> Bewohnern<br />

organisier<strong>en</strong>. Aus einem rituell<strong>en</strong> Oberhaupt,<br />

Palastinstitution<strong>en</strong> sowie ratgeb<strong>en</strong>de<br />

Versammlung setzt sich die Gesellschaftsstruktur<br />

der Kaffee exportier<strong>en</strong>d<strong>en</strong> Tikar<br />

zusamm<strong>en</strong>.<br />

Die Völker des West<strong>en</strong>s – Halb-Bantu-<br />

Völker (Semi-Bantu)<br />

Die im gebirgig<strong>en</strong> West<strong>en</strong> leb<strong>en</strong>d<strong>en</strong> Halb-<br />

Bantu-Völker Bamiléké und Bamoun sind<br />

aufgrund der Fruchtbarkeit ihrer Region<br />

sehr wohlhab<strong>en</strong>d. Völkerkundlich ist sehr<br />

interessant, dass hier sog<strong>en</strong>annte Chefferi<strong>en</strong>,<br />

also Häuptlingstümer, und Sultanate<br />

exist<strong>en</strong>t war<strong>en</strong>, der<strong>en</strong> uralte Tradition<strong>en</strong> bis<br />

heute besteh<strong>en</strong>.<br />

Die Bamiléké bild<strong>en</strong> mit ca. zwei Million<strong>en</strong><br />

die größte Volksgruppe Kameruns. Sie<br />

sind bek<strong>en</strong>n<strong>en</strong>de Christ<strong>en</strong>. Die Gesellschaft<br />

der Bamiléké organisiert sich in ca. 100<br />

Chefferi<strong>en</strong>. Der Fon als oberster Würd<strong>en</strong>träger<br />

stellt dabei das Z<strong>en</strong>trum der sozial<strong>en</strong><br />

und politisch<strong>en</strong> Hierarchie dar. Innerhalb<br />

des Bamiléké-Volkes <strong>en</strong>tsteh<strong>en</strong> immer wieder<br />

politische Konflikte unter d<strong>en</strong> einzeln<strong>en</strong><br />

klein<strong>en</strong> Grupp<strong>en</strong> der Bangangté,<br />

Bafoussam, Balam usw. Die Ethnie der<br />

Bamiléké hat heutzutage ein<strong>en</strong> dominant<strong>en</strong><br />

Einfluss in der Holz-, Kaffee- und Kakaoverarbeitung,<br />

welche die größt<strong>en</strong> Wirtschaftszweige<br />

Kameruns darstell<strong>en</strong>.<br />

Die Bamoun sind die einzige teilweise<br />

islamisierte Volksgruppe im Süd<strong>en</strong> und<br />

West<strong>en</strong> Kameruns. Mittelpunkt des Bamouner<br />

Königreiches ist die Stadt Foumban,<br />

welche von einem Sultan regiert wird. Weiterhin<br />

existier<strong>en</strong> hierarchisch gegliederte<br />

Chefferi<strong>en</strong>. Geg<strong>en</strong>wärtig kommt dem Sultan<br />

verfassungsmäßig kaum politische<br />

Macht zu. Trotzdem gilt für die Bamoun<br />

Abbildung 2: In einem<br />

Pygmä<strong>en</strong>dorf bei Lolodorf<br />

aus Fuchs 2004 et<br />

al.<br />

seine Meinung als verbindlich. So ist es<br />

möglich, dass auch heute noch die alte Tradition<br />

des Bamoun-Reiches weiterlebt und<br />

die Bamoun eine aktive Rolle in der Politik<br />

und Wirtschaft Kameruns spiel<strong>en</strong>.<br />

Die Völker im Süd<strong>en</strong> und Ost<strong>en</strong> – Ethni<strong>en</strong><br />

der Bantu-Sprachgruppe<br />

Unter d<strong>en</strong> Völkern der Bantu-Sprachgruppe<br />

werd<strong>en</strong> u.a. die Duala, Fang aber auch<br />

die in d<strong>en</strong> unzugänglich<strong>en</strong> Region<strong>en</strong> im<br />

äußerst<strong>en</strong> Ost<strong>en</strong> leb<strong>en</strong>d<strong>en</strong> Pygmä<strong>en</strong> (auch<br />

Bakô g<strong>en</strong>annt) subsummiert. Auch das Volk<br />

der Duala ist in Chefferi<strong>en</strong> organisiert. Sie<br />

sind vor allem als Händler und Verwaltungsbeamte<br />

tätig, wodurch Douala <strong>zur</strong>


Wirtschaftsmetropole des Landes wurde.<br />

Die Fang implizier<strong>en</strong> die größer<strong>en</strong> Grupp<strong>en</strong><br />

der Beti und Bulu, welche sich wiederum in<br />

weitere Subgrupp<strong>en</strong> (z.B. die Ewondo)<br />

untergliedern. Auf ca. zwei Million<strong>en</strong> wird<br />

die Gesamtbevölkerung der Fang-Grupp<strong>en</strong><br />

geschätzt. Dorfoberhäupter und Dorfältest<strong>en</strong>rat<br />

regeln das Miteinander in d<strong>en</strong> Dörfern<br />

der Fang. Zur Gewährleistung des<br />

Leb<strong>en</strong>sunterhalts steht der Hackbau im tropisch<strong>en</strong><br />

Reg<strong>en</strong>wald im Vordergrund.<br />

Das Volk der Pygmä<strong>en</strong> lebt in einem<br />

Reg<strong>en</strong>waldgürtel Afrikas, welcher sich von<br />

Kamerun über Gabun, Kongo, die Z<strong>en</strong>tralafrikanische<br />

Republik, Zaïre, Uganda,<br />

Ruanda bis nach Burundi erstreckt. Sie gelt<strong>en</strong><br />

als die Urbevölkerung des Reg<strong>en</strong>waldes.<br />

Ihr<strong>en</strong> Nahrungserwerb bestreit<strong>en</strong> sie über<br />

das Jag<strong>en</strong> und Sammeln. Um eine Reg<strong>en</strong>eration<br />

von Wald und Tier<strong>en</strong> zu gewährleist<strong>en</strong>,<br />

halt<strong>en</strong> sie sich nicht länger als zwei<br />

Monate an einem Ort des Reg<strong>en</strong>waldes auf.<br />

Allerdings leidet ihre Gemeinschaft unter<br />

dem Rückgang der Wälder infolge von<br />

Rodung<strong>en</strong> und Raubbau. Die für eine ausgewog<strong>en</strong>e<br />

Ernährung notw<strong>en</strong>dig<strong>en</strong> Früchte<br />

sind nicht mehr ausreich<strong>en</strong>d vorhand<strong>en</strong>.<br />

Somit <strong>en</strong>tsteht eine Abhängigkeit von d<strong>en</strong><br />

b<strong>en</strong>achbart<strong>en</strong> Bantu-Feldbauern. Die Bantu<br />

verlang<strong>en</strong> dafür Geg<strong>en</strong>leistung<strong>en</strong> in Form<br />

von Hilfsarbeit<strong>en</strong> auf ihr<strong>en</strong> Feldern oder<br />

das Jag<strong>en</strong> von Wild zum Verkauf dess<strong>en</strong> an<br />

die Fleischhändler. Da die Pygmä<strong>en</strong> nicht<br />

ausreich<strong>en</strong>d an ein solches Leb<strong>en</strong> adaptiert<br />

sind, resultier<strong>en</strong> Krankheit<strong>en</strong> wie Lung<strong>en</strong>infektion<strong>en</strong><br />

oder Kreislaufschwäche. Aufgrund<br />

der Abhängigkeit von Tauschgütern<br />

sind viele Angehörige der Pygmä<strong>en</strong> gezwung<strong>en</strong>,<br />

an Forststraß<strong>en</strong> zu zieh<strong>en</strong>. Diese Art<br />

der Integration und „Zivilisation“ steht<br />

eb<strong>en</strong>falls im Interesse der Regierung. Des<br />

Weiter<strong>en</strong> wird dieses Naturvolk auf grausame<br />

Art und Weise im Rahm<strong>en</strong> des Tourismus<br />

als eine der letzt<strong>en</strong> Begegnung<strong>en</strong> mit<br />

Reg<strong>en</strong>waldbewohnern vermarktet.<br />

In d<strong>en</strong> obig<strong>en</strong> Darstellung<strong>en</strong> wurde<br />

bereits vereinzelt angedeutet, welche<br />

Bedeutung die politisch<strong>en</strong> Autorität<strong>en</strong> der<br />

alt<strong>en</strong> ethnisch<strong>en</strong> Gesellschaftsstruktur<strong>en</strong> in<br />

jüngster Geschichte aber auch noch heutzutage<br />

für d<strong>en</strong> Vielvölkerstaat Kamerun<br />

hab<strong>en</strong>. Zur Stabilisierung der Herrschaft<br />

des Staatspräsid<strong>en</strong>t<strong>en</strong> musste dieser auf die<br />

Integration von ethnisch<strong>en</strong> und regional<strong>en</strong><br />

Elit<strong>en</strong> („Barone“ g<strong>en</strong>annt), der<strong>en</strong> Loyalität<br />

ihm geg<strong>en</strong>über immer wieder getestet wurde,<br />

acht<strong>en</strong>. Der Balanceakt zwisch<strong>en</strong> dem<br />

„Bei-Laune-Halt<strong>en</strong>“ der Gefolgschaft, welches<br />

durch Schutz und Führsorge erfolgte,<br />

und der Präv<strong>en</strong>tion von zu viel Macht seit<strong>en</strong>s<br />

der Barone war zu gewährleist<strong>en</strong>.<br />

Eine weitere Folge des Ethni<strong>en</strong>reichtums<br />

Kameruns ist, wie bereits erwähnt, die große<br />

Sprach<strong>en</strong>vielfalt. Sie stellt ein<strong>en</strong> unersetzlich<strong>en</strong><br />

kulturell<strong>en</strong> Reichtum des Landes<br />

dar. Laut einer UNESCO-Forderung von<br />

1953 sollte die Schulausbildung eines jed<strong>en</strong><br />

Kindes in seiner Muttersprache initiiert<br />

werd<strong>en</strong>. Die Umsetzung dieser Forderung<br />

in Rahm<strong>en</strong> von der Erstellung der Lehrund<br />

Lernmateriali<strong>en</strong> als auch die Lehrerausbildung<br />

ist sehr kost<strong>en</strong>int<strong>en</strong>siv und aufw<strong>en</strong>dig<br />

für Kamerun.<br />

Zusamm<strong>en</strong>fass<strong>en</strong>d lässt sich konstatier<strong>en</strong>,<br />

dass die inn<strong>en</strong>politisch<strong>en</strong> Aufgab<strong>en</strong> des<br />

amtier<strong>en</strong>d<strong>en</strong> Präsid<strong>en</strong>t<strong>en</strong> Biya und seiner<br />

Regierung der perman<strong>en</strong>te Ausgleich der<br />

unterschiedlich<strong>en</strong> Interess<strong>en</strong> der Ethni<strong>en</strong><br />

Kameruns und der frankophon<strong>en</strong> sowie<br />

anglophon<strong>en</strong> Region<strong>en</strong> des Landes als auch<br />

die Wahrung des sozial<strong>en</strong> Fried<strong>en</strong>s sind.<br />

Quell<strong>en</strong><br />

· Fuchs R., Stefanie M.: Kamerun, 4.Auflage<br />

2004, Reise Know-How Verlag Därr.<br />

· Fochler-Hauke G., Karger A., Schlegel W.: Länder<br />

Völker Kontin<strong>en</strong>te Band II – Afrika (südlich<br />

der Sahara) und Amerika, 1996, Bertelsmann<br />

Lexikothek Verlag GmbH, Gütersloh.<br />

· www.bpb.de/afrika (Zugriff am 02.11.05)<br />

· http://home.arcor.de/heier.matthias/grundkurs_erdkunde.htm<br />

(Zugriff am 05.11.05)<br />

91


92<br />

Glaube und Religion in Kamerun<br />

von STEFAN TROMETER<br />

n Kamerun, wie in d<strong>en</strong> meist<strong>en</strong> Ländern<br />

Afrikas, gibt es eine Vielzahl Religion<strong>en</strong><br />

und Glaub<strong>en</strong>srichtung<strong>en</strong>. Strukturelle<br />

Übergreifung<strong>en</strong> und individuelle<br />

Ausprägung<strong>en</strong> sind im Alltag allgeg<strong>en</strong>wärtig.<br />

Der Glaube ist bei d<strong>en</strong> M<strong>en</strong>sch<strong>en</strong> tief<br />

verwurzelt und stellt ein<strong>en</strong> bedeut<strong>en</strong>d<strong>en</strong><br />

Teil ihres sozial<strong>en</strong> und gesellschaftlich<strong>en</strong><br />

Leb<strong>en</strong>s dar.<br />

Die Angab<strong>en</strong> über die Verteilung der<br />

Glaub<strong>en</strong>szugehörigkeit schwank<strong>en</strong> in d<strong>en</strong><br />

verschied<strong>en</strong><strong>en</strong> Quell<strong>en</strong> sehr. Man kann aber<br />

sag<strong>en</strong>, dass etwa 25% der Bevölkerung d<strong>en</strong><br />

afrikanisch<strong>en</strong> Religion<strong>en</strong> und 25% dem<br />

Islam angehör<strong>en</strong>, währ<strong>en</strong>d das Christ<strong>en</strong>tum<br />

mit etwa 50% die größte Glaub<strong>en</strong>sgemeinschaft<br />

darstellt. Von d<strong>en</strong> Christ<strong>en</strong> seh<strong>en</strong><br />

sich etwa 60% d<strong>en</strong> Katholik<strong>en</strong> und 40% d<strong>en</strong><br />

Protestant<strong>en</strong> zugehörig. Möchte man eine<br />

grobe geographische Einteilung vornehm<strong>en</strong>,<br />

so müsste man d<strong>en</strong> Nord<strong>en</strong> Kameruns<br />

dem Islam zuordn<strong>en</strong> und d<strong>en</strong> Süd<strong>en</strong><br />

und West<strong>en</strong> dem Christ<strong>en</strong>tum, wobei die<br />

Afrikanisch<strong>en</strong> Religion<strong>en</strong> überall vertret<strong>en</strong><br />

sind. Grundsätzlich ist die Situation in<br />

Kamerun aber von einer Verschmelzung<br />

der Religion<strong>en</strong> geprägt, wobei die Grundlage<br />

des religiös<strong>en</strong> D<strong>en</strong>k<strong>en</strong>s durch ein starkes<br />

Traditionsbewusstsein gebildet wird. Beson-<br />

ders komplex ist die Vermischung von<br />

Naturreligion<strong>en</strong> und Christ<strong>en</strong>tum. Aber<br />

auch der Islam tritt hier in d<strong>en</strong> verschied<strong>en</strong>st<strong>en</strong><br />

Ausprägung<strong>en</strong> in Erscheinung.<br />

Afrikanische Religion<strong>en</strong><br />

Die Vielzahl traditioneller Glaub<strong>en</strong>sstruktur<strong>en</strong><br />

ist beachtlich. Sehr verbreitet sind<br />

Naturreligion<strong>en</strong>, bei d<strong>en</strong><strong>en</strong> Geister oder<br />

Seel<strong>en</strong> unbelebte Geg<strong>en</strong>stände bewohn<strong>en</strong><br />

und Erscheinung<strong>en</strong> in der Natur eine phantastische<br />

Belegung erfahr<strong>en</strong>. Man glaubt,<br />

dass höhere Wes<strong>en</strong> alles Leb<strong>en</strong> schaff<strong>en</strong><br />

und beeinfluss<strong>en</strong>. Die Anhänger wiss<strong>en</strong> sich<br />

von dies<strong>en</strong> höher<strong>en</strong>, überm<strong>en</strong>schlich<strong>en</strong><br />

Mächt<strong>en</strong> abhängig und ordn<strong>en</strong> sich ihn<strong>en</strong><br />

unter. Da der Alltag in Kamerun in einer<br />

sehr <strong>en</strong>g<strong>en</strong> Beziehung <strong>zur</strong> Natur steht, ist es<br />

leicht verständlich, dass d<strong>en</strong> meist<strong>en</strong> Naturereigniss<strong>en</strong><br />

eine besondere Stellung eingeräumt<br />

wird. Die Bewohner der westlich<strong>en</strong><br />

Waldgebiete z.B. glaub<strong>en</strong>, dass sich gewisse<br />

M<strong>en</strong>sch<strong>en</strong> in Tiere, wie Elefant<strong>en</strong> und Krokodile,<br />

verwandeln könn<strong>en</strong>. Wird also ein<br />

Feld von einem Elefant<strong>en</strong> verwüstet, so vermutet<br />

man, dass jemand dem Feldbesitzer<br />

böse gesonn<strong>en</strong> war und als Elefant das Feld<br />

beschädigt hat. Der Glaube an diese Naturkräfte<br />

beherrscht das Leb<strong>en</strong> jedes Einzel-


n<strong>en</strong> und wird an verschied<strong>en</strong>st<strong>en</strong> Ritual<strong>en</strong><br />

sichtbar, die bis heute längst nicht alle<br />

bekannt sind. Darüber hinaus wird das Wiss<strong>en</strong><br />

um diese Phänom<strong>en</strong>e, die aus der eig<strong>en</strong><strong>en</strong><br />

Selbsterfahrung und der Auseinandersetzung<br />

mit der Natur resultier<strong>en</strong>, str<strong>en</strong>g<br />

geheim gehalt<strong>en</strong>.<br />

Das Zusamm<strong>en</strong>leb<strong>en</strong> in der Dorfgemeinschaft<br />

wird durch sog<strong>en</strong>annte Geheimgesellschaft<strong>en</strong><br />

geregelt, die auch für die soziale<br />

Gerechtigkeit verantwortlich sind. Durch<br />

die Initiation wird ein junger M<strong>en</strong>sch in dies<strong>en</strong><br />

Kreis der Standesgemeinschaft aufg<strong>en</strong>omm<strong>en</strong>.<br />

Das Ereignis ist immer an<br />

bestimmte Rituale gebund<strong>en</strong>, bei d<strong>en</strong><strong>en</strong> für<br />

die Beteiligt<strong>en</strong> eine str<strong>en</strong>ge Schweigepflicht<br />

herrscht. Uneingeweihte sind bei der Initiation<br />

nicht zugelass<strong>en</strong>. D<strong>en</strong> neu Aufg<strong>en</strong>omm<strong>en</strong><strong>en</strong><br />

wird nun in einer Art traditionell<strong>en</strong><br />

Schule Wiss<strong>en</strong> über das Leb<strong>en</strong> und d<strong>en</strong> Tod<br />

vermittelt. Sie lern<strong>en</strong> auch, mit d<strong>en</strong> Kräft<strong>en</strong><br />

der Natur und mit d<strong>en</strong> Ahn<strong>en</strong> in Verbindung<br />

zu tret<strong>en</strong>.<br />

Die Ahn<strong>en</strong>verehrung spielt in Kamerun<br />

eine große Rolle. Die Familie gilt als wichtigste<br />

soziale Einheit. Darum steht der<br />

Ahn<strong>en</strong>kult im Mittelpunkt der religiös<strong>en</strong><br />

Vorstellung<strong>en</strong>. Man glaubt, dass der Geist<br />

und die Seele der Verstorb<strong>en</strong><strong>en</strong> über d<strong>en</strong><br />

Tod hinaus weiterleb<strong>en</strong> und große Kraft<br />

und Weißheit besitz<strong>en</strong>. Mit Hilfe von<br />

Ahn<strong>en</strong>zeremoni<strong>en</strong> soll das Gefühl verstärkt<br />

werd<strong>en</strong>, dass der Verstorb<strong>en</strong>e mit und bei<br />

sein<strong>en</strong> Nachkomm<strong>en</strong> lebt. Die Ahn<strong>en</strong> gelt<strong>en</strong><br />

als Vermittler zwisch<strong>en</strong> d<strong>en</strong> Leb<strong>en</strong>d<strong>en</strong><br />

und d<strong>en</strong> Gottheit<strong>en</strong> und werd<strong>en</strong> durch<br />

Opferrituale und Tänze um Schutz gebet<strong>en</strong><br />

und gnädig gestimmt. In regelmäßig<strong>en</strong><br />

Abständ<strong>en</strong> wird beispielsweise bei d<strong>en</strong><br />

Bergland-Kirdi ein großes Opferfest zu<br />

Ehr<strong>en</strong> der Verstorb<strong>en</strong><strong>en</strong> abgehalt<strong>en</strong>. Dieses<br />

Fest n<strong>en</strong>nt man Maray, das Fest des Stieres.<br />

Dazu wird d<strong>en</strong> Fulbe in der Eb<strong>en</strong>e ein junger<br />

Stier abgekauft, der dann innerhalb des<br />

Gehöfts in einer mit Dachluke verseh<strong>en</strong><strong>en</strong><br />

Hütte groß gezog<strong>en</strong> wird. Sobald er gemästet<br />

ist, wird die Lehmmauer der Hütte<br />

durchbroch<strong>en</strong>, und das Tier wird zum<br />

Opferplatz gebracht. Einige Tage lang feiert<br />

die Familie dann ein Festmahl. Es lässt die<br />

Verstorb<strong>en</strong><strong>en</strong> weiterhin im Mittelpunkt der<br />

Familie steh<strong>en</strong>. Begräbnisse sind in Afrika<br />

häufig ein Anlass <strong>zur</strong> Freude, besonders<br />

w<strong>en</strong>n der Verstorb<strong>en</strong>e ein langes und erfülltes<br />

Leb<strong>en</strong> hatte. Die ganze Familie tanzt,<br />

trinkt und isst, und das Fest kann mehrere<br />

Woch<strong>en</strong> dauern.<br />

Auch der Fetisch-Glaube ist anzutreff<strong>en</strong>.<br />

Man versteht darunter d<strong>en</strong> Glaub<strong>en</strong> an<br />

übernatürliche Eig<strong>en</strong>schaft<strong>en</strong> bestimmter<br />

auserwählter oder ungewöhnlicher Geg<strong>en</strong>stände<br />

und der<strong>en</strong> Verehrung. Dabei werd<strong>en</strong><br />

bestimmte, auch ganz alltägliche Geg<strong>en</strong>stände<br />

von einem Féticheur oder Marabout<br />

einer rituell<strong>en</strong> Handlung unterzog<strong>en</strong>. Die<br />

so behandelt<strong>en</strong> Objekte, wie Federbüschel<br />

oder Tierpfot<strong>en</strong>, schütz<strong>en</strong> vor bös<strong>en</strong> Kräft<strong>en</strong>.<br />

Dieser Fetisch, oder auch Gri-Gri<br />

g<strong>en</strong>annt, wird oft um d<strong>en</strong> Hals getrag<strong>en</strong>, in<br />

die Kleidung eing<strong>en</strong>äht oder im Haus platziert.<br />

Die Magier, auch Sorcier (Zauberer),<br />

Guérisseur (Heiler) oder Witchdoctor<br />

(Hexer) g<strong>en</strong>annt, di<strong>en</strong><strong>en</strong> als Mittler zwisch<strong>en</strong><br />

Ahn<strong>en</strong> und Leb<strong>en</strong>d<strong>en</strong> und überbring<strong>en</strong><br />

auch die Botschaft<strong>en</strong> der Gottheit<strong>en</strong><br />

und Naturgeister. Weit über die Gr<strong>en</strong>z<strong>en</strong><br />

seines Dorfes hinaus ist das Krabb<strong>en</strong>orakel<br />

des Witchdoctors von Rhumsiki bekannt.<br />

Er gehört zusamm<strong>en</strong> mit dem Dorfältest<strong>en</strong><br />

zu d<strong>en</strong> wichtigst<strong>en</strong> Persönlichkeit<strong>en</strong> im Ort.<br />

Aus der gesamt<strong>en</strong> Umgebung komm<strong>en</strong> die<br />

M<strong>en</strong>sch<strong>en</strong> zu ihm, um sich die Zukunft voraussag<strong>en</strong><br />

zu lass<strong>en</strong>. Er beginnt mit seinem<br />

uralt<strong>en</strong> überliefert<strong>en</strong> Ritual. Eine große<br />

Kalebass<strong>en</strong>hälfte ist mit Sand gefüllt. Darin<br />

steckt er kleine Holzstückch<strong>en</strong> und Tonscherb<strong>en</strong>,<br />

die jedes für sich eine Bedeutung<br />

hab<strong>en</strong>. Danach nimmt er die Krabbe aus<br />

einem teilweise mit Wasser gefüllt<strong>en</strong> Krug,<br />

setzt sie in d<strong>en</strong> Sand und deckt die Kalebass<strong>en</strong>hälfte<br />

ab. Ein paar mal spuckt er auf die<br />

Abdeckung und murmelt unverständliche<br />

Sprüche vor sich hin. Nach ein paar Minut<strong>en</strong><br />

hebt er d<strong>en</strong> Deckel wieder ab. Die Krabbe<br />

hat die Holz- und Tonstückch<strong>en</strong> durcheinander<br />

gebracht. Daraus deutet er nun<br />

Antwort<strong>en</strong> auf die gestellt<strong>en</strong> Frag<strong>en</strong>.<br />

Witchdoctor von<br />

Rhumsiki<br />

93


Christ<strong>en</strong>tum<br />

Die Missionierung Kameruns begann mit<br />

der Landung der protestantisch<strong>en</strong> Missionare<br />

der Londoner Baptist<strong>en</strong>-Mission im<br />

Jahr 1845 von der Küste her. Seit damals<br />

hab<strong>en</strong> sich viele christliche Konfession<strong>en</strong><br />

im Land angesiedelt. In d<strong>en</strong> letzt<strong>en</strong> Jahr<strong>en</strong><br />

ist auch ein rasantes Anwachs<strong>en</strong> von<br />

zumeist christlich<strong>en</strong> Sekt<strong>en</strong> im urban<strong>en</strong><br />

Milieu zu registrier<strong>en</strong>. Eine weitere Besonderheit<br />

bildet die Tatsache, dass es im<br />

Gebiet zwisch<strong>en</strong> Douala und dem Kamerunberg<br />

bereits seit 1846 eine jamaikanische<br />

Baptist<strong>en</strong>mission gibt. Man kann<br />

sag<strong>en</strong>, dass in d<strong>en</strong> westlich<strong>en</strong> Provinz<strong>en</strong> und<br />

an der Küste die protestantisch<strong>en</strong> Mission<strong>en</strong><br />

überwieg<strong>en</strong>, was auf die Verteilung der<br />

Einflusssphär<strong>en</strong> der einzeln<strong>en</strong> Kirch<strong>en</strong><br />

noch <strong>zur</strong> deutsch<strong>en</strong> Kolonialzeit <strong>zur</strong>ückzuführ<strong>en</strong><br />

ist. Zu n<strong>en</strong>n<strong>en</strong> sind die Lutheraner<br />

und Katholik<strong>en</strong>, die evangelische Mission<br />

aus Frankreich, die Basler Mission, amerikanische<br />

Presbyterianer und Baptist<strong>en</strong>, wobei<br />

die Katholik<strong>en</strong> erst 1890 nach Kamerun<br />

kam<strong>en</strong>. Sie bemüht<strong>en</strong> sich um die religiöse<br />

Bekehrungsarbeit und später auch um d<strong>en</strong><br />

Auf- und Ausbau zahlreicher sozialer Einrichtung<strong>en</strong>,<br />

wie Schul<strong>en</strong>, Krank<strong>en</strong>häuser<br />

und Erwachs<strong>en</strong><strong>en</strong>-Bildungshäuser, die in<br />

ihrem Nam<strong>en</strong> gegründet wurd<strong>en</strong> und bis<br />

heute aktiv sind. Die vielseitige Ori<strong>en</strong>tierung<br />

der verschied<strong>en</strong><strong>en</strong> Missionsschul<strong>en</strong><br />

wurde von viel<strong>en</strong> neu<strong>en</strong> Christ<strong>en</strong> zunächst<br />

nur schwer begriff<strong>en</strong>. Daher gibt es in<br />

Kamerun auch eine ausgeprägte ökum<strong>en</strong>ische<br />

Bewegung. Initiativ<strong>en</strong> der katholisch<strong>en</strong><br />

Bischofskonfer<strong>en</strong>z und der Vereinigung der<br />

evangelisch<strong>en</strong> Kirch<strong>en</strong> und Mission<strong>en</strong><br />

befass<strong>en</strong> sich beispielsweise mit d<strong>en</strong> Them<strong>en</strong><br />

Schuld<strong>en</strong>erlass, Korruption und M<strong>en</strong>sch<strong>en</strong>rechtsverletzung<strong>en</strong>.<br />

Schon seit Beginn<br />

der Missionierung gab es soziale Spannung<strong>en</strong><br />

zwisch<strong>en</strong> d<strong>en</strong> Gebot<strong>en</strong> der christlich<strong>en</strong><br />

Kirche und d<strong>en</strong> Tradition<strong>en</strong> der M<strong>en</strong>sch<strong>en</strong>,<br />

die oft nur schwer in Einklang zu bring<strong>en</strong><br />

sind. D<strong>en</strong> größt<strong>en</strong> Widerspruch zum christlich<strong>en</strong><br />

Glaub<strong>en</strong> stellte dabei die Polygamie<br />

dar, die es d<strong>en</strong> Männern erlaubt, mehrere<br />

Frau<strong>en</strong> gleichzeitig zu heirat<strong>en</strong>. Bis heute<br />

gibt es in Kamerun gläubige Christ<strong>en</strong>, die<br />

an diesem Brauch festhalt<strong>en</strong>. Früher war<strong>en</strong><br />

die Frau<strong>en</strong> sowohl Arbeitskraft, als auch für<br />

die Nachkomm<strong>en</strong> der Familie verantwortlich.<br />

W<strong>en</strong>n eine Frau schwanger war, musste<br />

eine andere ihre Pflicht<strong>en</strong> übernehm<strong>en</strong>.<br />

Aus diesem ökonomisch<strong>en</strong> Zwang <strong>en</strong>tstand<br />

die Polygamie, die sich bis in die heutige<br />

Zeit erhalt<strong>en</strong> hat. Und so ist es keine Beson-<br />

94<br />

derheit, w<strong>en</strong>n man Männern begegnet, die<br />

Christ<strong>en</strong> sind und trotzdem mehrere Frau<strong>en</strong><br />

hab<strong>en</strong>.<br />

Auch christliche Feiertage, wie Ostern,<br />

Mariä Himmelfahrt, Weihnacht<strong>en</strong> und der<br />

Evamalunga-Tag, der als Festtag des Dankes<br />

der christlich<strong>en</strong> Bevölkerung gilt, sind<br />

national anerkannt. Von d<strong>en</strong> 17 Million<strong>en</strong><br />

Einwohnern Kameruns sind über acht Million<strong>en</strong><br />

Christ<strong>en</strong> und davon etwa fünf Million<strong>en</strong><br />

M<strong>en</strong>sch<strong>en</strong> Katholik<strong>en</strong>, die sich hauptsächlich<br />

in d<strong>en</strong> Provinz<strong>en</strong> Douala, Yaoundé<br />

und Bertoua konz<strong>en</strong>trier<strong>en</strong>. In Kamerun<br />

gibt es 23 Bistümer und über 1000 katholische<br />

Priester. Besonders herausrag<strong>en</strong>d ist<br />

Kardinal Christian Tumi, der politisch sehr<br />

<strong>en</strong>gagiert ist und als führ<strong>en</strong>der Oppositioneller<br />

gilt. Er und der Erzbischof von<br />

Yaoundé nehm<strong>en</strong> öff<strong>en</strong>tlich Stellung geg<strong>en</strong><br />

d<strong>en</strong> Präsid<strong>en</strong>t<strong>en</strong> Paul Biya, der selbst katholisch<br />

ist.<br />

Katholische Kirche<br />

von Bafang<br />

Moschee von Foumban


Der Islam<br />

Die muslimisch<strong>en</strong> Gesellschaft<strong>en</strong> Afrikas<br />

bild<strong>en</strong> weder historisch noch geg<strong>en</strong>wärtig<br />

eine Einheit. Vielmehr zeichn<strong>en</strong> sie sich<br />

durch ihre unterschiedlich<strong>en</strong> historisch<strong>en</strong><br />

Erfahrung<strong>en</strong> und regionalgeographische<br />

Einbettung aus. So ist der Islam südlich der<br />

Sahara deutlich von dem Nordafrikas und<br />

der arabisch<strong>en</strong> Welt zu unterscheid<strong>en</strong>. Dieser<br />

Prozess der Islamisierung in Afrika wie<br />

in ander<strong>en</strong> Teil<strong>en</strong> der islamisch<strong>en</strong> Ökum<strong>en</strong>e<br />

ist geprägt durch die gesellschaftliche<br />

Integration und Etablierung in d<strong>en</strong> verschied<strong>en</strong><strong>en</strong><br />

Region<strong>en</strong>. Ähnlich wie im Christ<strong>en</strong>tum<br />

sind auch im Islam des äquatorial<strong>en</strong><br />

Afrikas Einflüsse der traditionell<strong>en</strong><br />

Glaub<strong>en</strong>svorstellung<strong>en</strong> wirksam. Im Bezug<br />

auf Kamerun sollte insbesondere beim Emirat<br />

von Sokoto begonn<strong>en</strong> werd<strong>en</strong>. Es kam<br />

zum erst<strong>en</strong> Mal in der Geschichte muslimischer<br />

Gesellschaft<strong>en</strong> des subsaharisch<strong>en</strong><br />

Afrikas <strong>zur</strong> Errichtung von eig<strong>en</strong>ständisch<strong>en</strong><br />

Staat<strong>en</strong> durch islamische Gelehrte,<br />

der<strong>en</strong> Wirkung bis heute spürbar ist. Die<br />

Antwort<strong>en</strong> der muslimisch<strong>en</strong> Reformer auf<br />

die Veränderung<strong>en</strong> der letzt<strong>en</strong> Jahrzehnte<br />

zeichn<strong>en</strong> sich dadurch aus, dass sie in ihr<strong>en</strong><br />

Bildungsbemühung<strong>en</strong> groß<strong>en</strong> Wert auf die<br />

Übersetzung der heilig<strong>en</strong> Texte leg<strong>en</strong> und<br />

sich stark im Kampf geg<strong>en</strong> Korruption<br />

<strong>en</strong>gagier<strong>en</strong>. In ländlich<strong>en</strong> Geg<strong>en</strong>d<strong>en</strong> des<br />

islamisch geprägt<strong>en</strong> Nord<strong>en</strong>s sowie in einig<strong>en</strong><br />

Städt<strong>en</strong> des Süd<strong>en</strong>s kommt es heutzutage<br />

zunehm<strong>en</strong>d vor, dass M<strong>en</strong>sch<strong>en</strong> der muslimisch<strong>en</strong><br />

Glaub<strong>en</strong>sgemeinschaft angehör<strong>en</strong><br />

woll<strong>en</strong>, ob aus gesellschaftlich<strong>en</strong> oder<br />

ideologisch<strong>en</strong> Gründ<strong>en</strong>, sei dahingestellt.<br />

Jed<strong>en</strong>falls übt diese Religion vielerorts eine<br />

viel größere Anziehungskraft aus, als das<br />

Christ<strong>en</strong>tum. Im Süd<strong>en</strong> sind die muslimisch<strong>en</strong><br />

Glaub<strong>en</strong>sgemeind<strong>en</strong> jedoch in der<br />

Minderheit.<br />

Allgemein hat die Frau im Islam Schwarzafrikas<br />

mehr Rechte. So sind beispielsweise<br />

die Bekleidungsvorschrift<strong>en</strong> viel lockerer.<br />

Islamische Frau<strong>en</strong> trag<strong>en</strong> zwar ein Kopftuch,<br />

sie verschleiern sich aber nicht gänzlich.<br />

Die muslimisch<strong>en</strong> Männer fall<strong>en</strong> auf<br />

durch ihre weit<strong>en</strong> und lang<strong>en</strong> Gewänder,<br />

die Boubous, und ihre Kopfbedeckung,<br />

eine kleine runde Kappe. Das Alltagsleb<strong>en</strong><br />

präg<strong>en</strong> auch hier religiöse Vorschrift<strong>en</strong>,<br />

Rituale und Feste. Für die muslimische<br />

Bevölkerung von Bedeutung sind das drei<br />

Tage dauernde Festmahl <strong>zur</strong> Feier der<br />

Be<strong>en</strong>digung des Fast<strong>en</strong>monats Ramadan,<br />

das Fest des Lammes, das g<strong>en</strong>au 40 Tage<br />

später im Ged<strong>en</strong>k<strong>en</strong> an Abrahams Bereit-<br />

schaft, sein<strong>en</strong> Sohn zu opfern, stattfindet.<br />

Auch für die Muslime Kameruns gelt<strong>en</strong> die<br />

Säul<strong>en</strong> des Islam, das Glaub<strong>en</strong>sbek<strong>en</strong>ntnis,<br />

die Pilgerreise nach Mekka, das Einhalt<strong>en</strong><br />

des Fast<strong>en</strong>monats Ramadan und die Verpflichtung<br />

zum Almos<strong>en</strong>. In d<strong>en</strong> islamisch<strong>en</strong><br />

Region<strong>en</strong> findet man in jedem Ort<br />

eine oder mehrere Mosche<strong>en</strong>, von d<strong>en</strong><strong>en</strong><br />

der Muezzin fünfmal am Tag zum Gebet<br />

ruft. Nicht ungewöhnlich ist es dort, w<strong>en</strong>n<br />

Buschtaxis halt<strong>en</strong> und die Gläubig<strong>en</strong> ihre<br />

Teppiche am Straß<strong>en</strong>rand ausbreit<strong>en</strong>, um<br />

ihr Gebet zu sprech<strong>en</strong>. Im Ramadan sind<br />

viele Restaurants tagsüber geschloss<strong>en</strong>.<br />

Ab<strong>en</strong>ds jedoch, w<strong>en</strong>n nach Sonn<strong>en</strong>untergang<br />

wieder Ess<strong>en</strong> und Trink<strong>en</strong> erlaubt<br />

sind, füll<strong>en</strong> sich die Straß<strong>en</strong> und Kneip<strong>en</strong>.<br />

Am Ende des Ramadan erlebt man vor<br />

allem im Nord<strong>en</strong> farb<strong>en</strong>prächtige, traditionelle<br />

Reiterspiele, die Fantasias. Und wer es<br />

sich leist<strong>en</strong> kann, unternimmt zumindest<br />

einmal im Leb<strong>en</strong> eine Pilgerfahrt nach Mekka.<br />

Bei dieser Vielzahl von Glaub<strong>en</strong>sauffassung<strong>en</strong><br />

und Ori<strong>en</strong>tierung<strong>en</strong> wird schnell<br />

klar, dass jegliches Zusamm<strong>en</strong>leb<strong>en</strong> in<br />

Kamerun und viel<strong>en</strong> ander<strong>en</strong> Staat<strong>en</strong> Afrikas<br />

immer stark religiös geprägt ist und<br />

auch für die Zukunft eine <strong>en</strong>orme Herausforderung<br />

an alle M<strong>en</strong>sch<strong>en</strong> darstellt. Vielleicht<br />

macht gerade diese Vielfalt, diese oft<br />

unklar<strong>en</strong> Verknüpfung<strong>en</strong>, ein Land wie<br />

Kamerun für uns Europäer so interessant.<br />

Dank<strong>en</strong> möchte ich an dieser Stelle<br />

Herrn Dr. Walter, Honorarkonsul Kameruns,<br />

Herrn Jung, Goethe-Institut Yaoundé,<br />

und Herrn Koss von der Deutsch<strong>en</strong> Botschaft<br />

in Kamerun, für ihre Anregung<strong>en</strong>.<br />

Literatur<br />

· Fuchs R., Michels S.: Reise Know–How Kamerun,<br />

Reise Know-How Verlag, Bielefeld, ISBN<br />

3-8317-1215-8, 2004<br />

· Loimeier R.: Der Islam im subsaharisch<strong>en</strong> Afrika,<br />

Bundesz<strong>en</strong>trale für politische Bildung, Aus<br />

Politik und Zeitgeschichte (B 37/2003)<br />

· Ab<strong>en</strong>aa Web Solutions, Reisebericht Kamerun,<br />

2002<br />

95


96<br />

Sprachlicher Mauerbau<br />

Der Geg<strong>en</strong>satz zwisch<strong>en</strong> d<strong>en</strong> anglophon<strong>en</strong> und frankophon<strong>en</strong> Region<strong>en</strong> Kameruns<br />

von RECHA ALLGAIER<br />

amerun gilt als „Miniaturafrika“, als<br />

ein Land also, in dem die verschied<strong>en</strong>st<strong>en</strong><br />

geographisch<strong>en</strong> Eig<strong>en</strong>schaft<strong>en</strong><br />

des afrikanisch<strong>en</strong> Kontin<strong>en</strong>ts vereinigt sind.<br />

Doch beschränkt sich diese besondere Vielfalt<br />

nicht auf Landschaft<strong>en</strong>, Bevölkerung,<br />

Pflanz<strong>en</strong>- und Tierwelt; auch in sprachlicher<br />

Hinsicht hebt Kamerun sich von ander<strong>en</strong><br />

afrikanisch<strong>en</strong> Ländern ab: Als einziges<br />

der Länder Afrikas bedi<strong>en</strong>t sich Kamerun<br />

zweier Fremdsprach<strong>en</strong> als offizieller Sprach<strong>en</strong><br />

und wiederholt so die – grob vorzunehm<strong>en</strong>de<br />

– Zweiteilung des Kontin<strong>en</strong>ts in<br />

anglophon und frankophon geprägte Nation<strong>en</strong><br />

auf seinem Staatsgebiet. Doch ähnlich<br />

wie in ander<strong>en</strong> mehrsprachig<strong>en</strong> Ländern ist<br />

eine solche Konstellation nicht nur unter<br />

sprachwiss<strong>en</strong>schaftlichem Aspekt interessant,<br />

sondern vor allem auch in sein<strong>en</strong> aktuell<strong>en</strong><br />

sozial<strong>en</strong> und politisch<strong>en</strong> Auswirkung<strong>en</strong>.<br />

Doch bevor die historisch<strong>en</strong> Wurzeln<br />

der sprachlich<strong>en</strong> Teilung und seine heutig<strong>en</strong><br />

Konsequ<strong>en</strong>z<strong>en</strong> in d<strong>en</strong> Blick g<strong>en</strong>omm<strong>en</strong><br />

werd<strong>en</strong> soll<strong>en</strong>, hier zunächst die Fakt<strong>en</strong>: Die<br />

hohe Zahl einheimischer Sprach<strong>en</strong>, von<br />

d<strong>en</strong><strong>en</strong> jedoch keine so verbreitet ist, dass sie<br />

als Landessprache geeignet gewes<strong>en</strong> wäre,<br />

hat dazu geführt, dass in Kamerun bis heute<br />

eine ausgeprägt exoglossische Politik ver-<br />

folgt wird, d.h. nicht lokale Sprach<strong>en</strong>, sondern<br />

solche nicht-afrikanischer Herkunft<br />

di<strong>en</strong><strong>en</strong> als offizielle Sprach<strong>en</strong>. Aufgrund<br />

der kolonial<strong>en</strong> Vergang<strong>en</strong>heit des Landes<br />

wurde so die Bevölkerung im Verhältnis 4:1<br />

in eine frankophone Mehrheit und eine<br />

anglophone Minderheit gespalt<strong>en</strong>; auf die<br />

Fläche des Landes bezog<strong>en</strong>, verfüg<strong>en</strong> die<br />

französischsprachig<strong>en</strong> Kameruner über<br />

ein<strong>en</strong> zehnmal größer<strong>en</strong> Anteil am Staatsgebiet.<br />

Von d<strong>en</strong> zehn kamerunisch<strong>en</strong> Provinz<strong>en</strong><br />

sind acht frankophon, währ<strong>en</strong>d in d<strong>en</strong><br />

beid<strong>en</strong> Provinz<strong>en</strong> Nord-West und Süd-West<br />

Englisch als Amtssprache di<strong>en</strong>t.<br />

Vierzig Jahre Tr<strong>en</strong>nung<br />

Die Ursach<strong>en</strong> hierfür reich<strong>en</strong> bis an die<br />

deutsche Vergang<strong>en</strong>heit des Landes <strong>zur</strong>ück:<br />

Als nach dem Erst<strong>en</strong> Weltkrieg 1919 die<br />

deutsche Kolonialherrschaft über Kamerun<br />

<strong>en</strong>dete, wurde das Gebiet geteilt und vier<br />

Fünftel des Territoriums unter französische<br />

und ein Fünftel unter britische Verwaltung<br />

gestellt. Diese Teilung, die einer Tr<strong>en</strong>nung<br />

in zwei verschied<strong>en</strong>e Staat<strong>en</strong> gleichkam,<br />

dauerte an, bis beide Landesteile Anfang<br />

der 60er Jahre in die Unabhängigkeit <strong>en</strong>tlass<strong>en</strong><br />

und wiedervereinigt wurd<strong>en</strong>. Die unterschiedliche<br />

Politik, die Großbritanni<strong>en</strong> und


Frankreich vier Jahrzehnte lang in ihrem<br />

jeweilig<strong>en</strong> Landesteil verfolgt<strong>en</strong>, begründete<br />

die soziale Auseinander-Entwicklung der<br />

beid<strong>en</strong> Volksgrupp<strong>en</strong>, die Kamerun noch<br />

heute prägt, und trug dazu bei, dass das<br />

Französische heutzutage alle Leb<strong>en</strong>sbereiche<br />

dominiert. Großbritanni<strong>en</strong> und Frankreich<br />

legt<strong>en</strong> ihrer Herrschaft über Kamerun<br />

grundleg<strong>en</strong>d verschied<strong>en</strong>e Konzepte<br />

zugrunde: Währ<strong>en</strong>d die Franzos<strong>en</strong> von<br />

Anfang an die lokal<strong>en</strong> Struktur<strong>en</strong> durch<br />

eine z<strong>en</strong>tralistische Verwaltung nach französischem<br />

Muster zu ersetz<strong>en</strong> versucht<strong>en</strong>,<br />

stützt<strong>en</strong> sich die Brit<strong>en</strong> auf bereits existier<strong>en</strong>de<br />

lokale Autorität<strong>en</strong> und übt<strong>en</strong> ihre<br />

Herrschaft eher indirekt aus. Damit ging<br />

jeweils ein bestimmter sprachpolitischer<br />

Ansatz einher. Währ<strong>en</strong>d die einheimisch<strong>en</strong><br />

Sprach<strong>en</strong> unter <strong>en</strong>glischer Verwaltung weiterhin<br />

in viel<strong>en</strong> Bereich<strong>en</strong> b<strong>en</strong>utzt wurd<strong>en</strong>,<br />

wurd<strong>en</strong> sie im französisch<strong>en</strong> Teil unterdrückt<br />

und rigoros durch das Französische<br />

ersetzt, das so in seinem Landesteil <strong>zur</strong><br />

dominant<strong>en</strong> Sprache wurde und größere<br />

Bedeutung erlangte als die <strong>en</strong>glische Sprache<br />

im britisch<strong>en</strong> Teil Kameruns. Diese<br />

unterschiedliche Behandlung des Kolonialgebiets<br />

ist allerdings nicht so sehr als<br />

Geg<strong>en</strong>satz von britischem Liberalismus und<br />

französischer Unterdrückung zu interpretier<strong>en</strong>;<br />

hinter der britisch<strong>en</strong> Politik stand vielmehr<br />

ein Laissez-faire-D<strong>en</strong>k<strong>en</strong>, das hauptsächlich<br />

von Pragmatismus und nicht<br />

zuletzt Desinteresse an der Entwicklung<br />

Kameruns bestimmt war. Frankreich hingeg<strong>en</strong><br />

verfolgte das Ziel der Assimilation der<br />

kamerunisch<strong>en</strong> Bevölkerung, der auf lange<br />

Sicht auch die Möglichkeit der Integration<br />

in die französische Gesellschaft gegeb<strong>en</strong><br />

werd<strong>en</strong> sollte. Das wirkte sich nicht zuletzt<br />

auf das Schulsystem aus, das sich in beid<strong>en</strong><br />

Gebiet<strong>en</strong> <strong>en</strong>twickelte, d<strong>en</strong>n währ<strong>en</strong>d die<br />

französisch<strong>en</strong> Schul<strong>en</strong> Wert auf eine gute<br />

Ausbildung (u.a. in der französisch<strong>en</strong> Sprache)<br />

legt<strong>en</strong>, blieb das Schulwes<strong>en</strong> im britisch<strong>en</strong><br />

Teil auf einem niedrig<strong>en</strong> Niveau, so<br />

dass dort 1957 – also kurz vor der Wiedervereinigung<br />

– 80 – 90 % der Bevölkerung<br />

Analphabet<strong>en</strong> war<strong>en</strong>. Zudem <strong>en</strong>tsprach das<br />

Englisch, das überwieg<strong>en</strong>d gesproch<strong>en</strong> wurde,<br />

nicht dem Standard<strong>en</strong>glisch<strong>en</strong>, sondern<br />

war eher eine Pidginvariante, wofür neb<strong>en</strong><br />

dem mangelhaft<strong>en</strong> Schulsystem auch die<br />

Isolation von ander<strong>en</strong> <strong>en</strong>glischsprachig<strong>en</strong><br />

Ländern verantwortlich zu mach<strong>en</strong> ist sowie<br />

die Tatsache, dass Pidgin<strong>en</strong>glisch schon vor<br />

1919 in Kamerun verw<strong>en</strong>det wurde und erst<br />

durch das Standard<strong>en</strong>glische hätte ersetzt<br />

werd<strong>en</strong> müss<strong>en</strong>.<br />

Erneuerte Einheit<br />

Bei der Wiedervereinigung 1961 stand<strong>en</strong><br />

sich daher zwei Bevölkerungsgrupp<strong>en</strong><br />

geg<strong>en</strong>über, die sich eb<strong>en</strong> nicht nur darin<br />

unterschied<strong>en</strong>, dass die ein<strong>en</strong> Englisch und<br />

die ander<strong>en</strong> Französisch sprach<strong>en</strong>; viel gravier<strong>en</strong>der<br />

war<strong>en</strong> die damit verknüpft<strong>en</strong><br />

sozial<strong>en</strong> und kulturell<strong>en</strong> Unterschiede, die<br />

sich auf das Verhältnis zueinander auswirkt<strong>en</strong>.<br />

Der anglophone West<strong>en</strong>, der ohnehin<br />

dem französischsprachig<strong>en</strong> Rest des Landes<br />

zahl<strong>en</strong>mäßig unterleg<strong>en</strong> war, fühlte sich im<br />

Laufe des Einigungsprozesses mehrfach<br />

durch d<strong>en</strong> Ost<strong>en</strong> dominiert und gedemütigt;<br />

die Wiedervereinigung wurde von viel<strong>en</strong><br />

als Annexion erlebt, die mit einem vollständig<strong>en</strong><br />

Verlust der politisch<strong>en</strong> Macht einherging:<br />

West-Kamerun wurde zu einer von<br />

sechs Provinz<strong>en</strong> im Rahm<strong>en</strong> der föderal<strong>en</strong><br />

Struktur des Landes, die es anglophon<strong>en</strong><br />

Politikern schwer machte, Schlüsselposition<strong>en</strong><br />

in der Politik einzunehm<strong>en</strong>. Auch wirtschaftlich<br />

war der landwirtschaftlich<br />

geprägte West<strong>en</strong> abhängig vom Ost<strong>en</strong>,<br />

wobei die Ungleichheit durch d<strong>en</strong> politisch<strong>en</strong><br />

und wirtschaftlich<strong>en</strong> Abzug der Brit<strong>en</strong><br />

noch verschärft wurde. Dem Anlieg<strong>en</strong><br />

der anglophon<strong>en</strong> Bevölkerung <strong>en</strong>tsprech<strong>en</strong>d,<br />

unter dies<strong>en</strong> Umständ<strong>en</strong> w<strong>en</strong>igst<strong>en</strong>s<br />

ihre kulturelle Autonomie zu erhalt<strong>en</strong>, wurde<br />

in der Verfassung der gleichberechtigte<br />

Status beider Sprach<strong>en</strong> verankert und ab<br />

1963 eine Politik der Bilingualität verfolgt.<br />

Wie zu erwart<strong>en</strong>, <strong>en</strong>gagiert<strong>en</strong> sich v.a.<br />

anglophone Politiker wie Bernard Fonlon<br />

für d<strong>en</strong> Bilingualismus mit dem Ziel, die<br />

Zweisprachigkeit nicht nur auf sprachlicher,<br />

Gestaltete zweisprachige<br />

Verkehrsschilder<br />

bei Buea<br />

FOTO Stefan Rostock<br />

97


98<br />

sondern auch auf individueller Eb<strong>en</strong>e so zu<br />

verwirklich<strong>en</strong>, dass jeder Kameruner beide<br />

Sprach<strong>en</strong> gleichermaß<strong>en</strong> beherrscht. Zwar<br />

gelang es, dieses Ideal in einzeln<strong>en</strong> Schul<strong>en</strong><br />

exemplarisch zu verwirklich<strong>en</strong>; wirklich<br />

bilinguale Schul<strong>en</strong> blieb<strong>en</strong> aber die Ausnahme,<br />

was u.a. auf d<strong>en</strong> Mangel an qualifiziert<strong>en</strong><br />

<strong>en</strong>glischsprachig<strong>en</strong> Lehrkräft<strong>en</strong> <strong>zur</strong>ückzuführ<strong>en</strong><br />

war. Dem Konzept der landesweit<strong>en</strong><br />

Bilingualität war darum nicht viel Erfolg<br />

beschied<strong>en</strong>; die Universität Yaoundé blieb<br />

z.B. nach wie vor französisch dominiert und<br />

bot so anglophon<strong>en</strong> Stud<strong>en</strong>t<strong>en</strong> nicht die<br />

gleich<strong>en</strong> Chanc<strong>en</strong> wie frankophon<strong>en</strong>. Die<br />

Gründe hierfür sind vielfältig: Einerseits<br />

war die Bilingualität immer eher ein Anlieg<strong>en</strong><br />

der anglophon<strong>en</strong> Bevölkerung, währ<strong>en</strong>d<br />

die französischsprachig<strong>en</strong> Kameruner<br />

schwerer von der Notw<strong>en</strong>digkeit zu überzeug<strong>en</strong><br />

war<strong>en</strong>, die Sprache der Minderheit<br />

zu erlern<strong>en</strong>. Andererseits aber bestand<strong>en</strong><br />

auch Widerstände unter d<strong>en</strong> anglophon<strong>en</strong><br />

Kamerunern, die befürchtet<strong>en</strong>, dass die<br />

Verwirklichung der Bilingualität auf ihrer<br />

Seite letztlich zu einer Anpassung an die<br />

französischsprachige Mehrheit führ<strong>en</strong> würde.<br />

Zweisprachigkeit heute<br />

Dass diese Sorge nicht ganz unbegründet<br />

war, zeigt die Tatsache, dass noch heute<br />

zwar die Verwaltung im anglophon<strong>en</strong> Teil<br />

flüssig Französisch spricht, währ<strong>en</strong>d die<br />

<strong>en</strong>glische Sprache in der frankophon<strong>en</strong> Verwaltung<br />

immer noch eher ungebräuchlich<br />

ist. Noch heute existiert also ein Geg<strong>en</strong>satz<br />

zwisch<strong>en</strong> dem theoretisch<strong>en</strong> Anspruch<br />

einer Bilingualität des Landes und einer<br />

Wirklichkeit, die – in d<strong>en</strong> frankophon<strong>en</strong><br />

Provinz<strong>en</strong> – nach wie vor von französischer<br />

Einsprachigkeit geprägt ist. So sind beispielsweise<br />

trotz Gleichstellung beider Sprach<strong>en</strong><br />

immer noch 90% der schriftlich<strong>en</strong><br />

Medi<strong>en</strong> und 65% des Rundfunks in französischer<br />

Sprache. Signifikant ist außerdem,<br />

dass bei Interpretationskonflikt<strong>en</strong> hinsichtlich<br />

der Verfassung laut Gesetz ihre französische<br />

Version als verbindlich anzuseh<strong>en</strong> ist.<br />

G<strong>en</strong>erell bleibt die Politik französisch dominiert:<br />

Bisher <strong>en</strong>tstammt<strong>en</strong> die Staatsoberhäupter<br />

alle der Frankophonie und verw<strong>en</strong>det<strong>en</strong><br />

bei offiziell<strong>en</strong> Anläss<strong>en</strong> nur selt<strong>en</strong> das<br />

Englische; auch das Parlam<strong>en</strong>t bedi<strong>en</strong>t sich<br />

fast ausschließlich der französisch<strong>en</strong> Sprache.<br />

Ähnliches gilt für d<strong>en</strong> Bereich des Militärs<br />

und d<strong>en</strong> Sport. Besonders folg<strong>en</strong>reich<br />

ist jedoch die erwähnte B<strong>en</strong>achteiligung<br />

anglophoner Stud<strong>en</strong>t<strong>en</strong> an der Universität,<br />

weil sie eine hohe Abbrecherquote nach<br />

sich zieht und so die französische Dominanz<br />

im Land weiter festigt.<br />

Unter dies<strong>en</strong> Voraussetzung<strong>en</strong> ist es<br />

nicht verwunderlich, dass der Lage der<br />

anglophon<strong>en</strong> Minderheit gerade in d<strong>en</strong> beid<strong>en</strong><br />

<strong>en</strong>glischsprachig<strong>en</strong> Provinz<strong>en</strong> besondere<br />

politische Bedeutung zukommt. Vor<br />

allem die größte Oppositionspartei des Landes<br />

SDF (Social Democratic Front/ Front<br />

Social Démocrate) hat das Problem der<br />

Anglophon<strong>en</strong> von ihr<strong>en</strong> Anfäng<strong>en</strong> im Jahr<br />

1989 an zu ihrem Hauptanlieg<strong>en</strong> gemacht,<br />

indem sie schon vor ihrer Gründung 1990<br />

ein Memorandum an die UN verfasst hat,<br />

dass der Marginalisierung der anglophon<strong>en</strong><br />

Minderheit gewidmet war. Im März 2000<br />

veröff<strong>en</strong>tlichte die SDF eine Resolution<br />

zum anglophon<strong>en</strong> Problem, in der sie darauf<br />

hinweist, dass die Einflusslosigkeit der<br />

anglophon<strong>en</strong> Provinz<strong>en</strong> darauf <strong>zur</strong>ückzuführ<strong>en</strong><br />

sei, dass die Regierung die föderale<br />

Struktur des Landes unterdrückt. Um der<br />

anglophon<strong>en</strong> Minderheit die Möglichkeit<br />

<strong>zur</strong> Entwicklung zu geb<strong>en</strong>, sei es daher<br />

nötig, zum Föderalismus <strong>zur</strong>ückkehr<strong>en</strong>, z.B.<br />

indem das Land in vier Bundesstaat<strong>en</strong> und<br />

eine gemeinsame Hauptstadt eingeteilt würde.<br />

Nur so könne das anglophone Problem<br />

gelöst werde und die Einheit der Nation<br />

gewährleistet werd<strong>en</strong>, da die zunehm<strong>en</strong>de<br />

Frustration unter der anglophon<strong>en</strong> Bevölkerung<br />

Sezessionsgedank<strong>en</strong> Vorschub leiste.<br />

Wie aktuell diese Debatte ist, zeigt ein<br />

Zeitungsartikel aus dem März 2005 mit dem<br />

Titel „English speakers dream of ‚Le divorce’“,<br />

in dem es um die Möglichkeit einer<br />

Abspaltung als „Südkamerun“ geht.<br />

Literatur<br />

· Bernd Heine: Sprache, Gesellschaft und Kommunikation<br />

in Afrika. Zum Problem der Verständigung<br />

und sozio-ökonomisch<strong>en</strong> Entwicklung<br />

im sub-saharisch<strong>en</strong> Afrika, Münch<strong>en</strong>, 1979.<br />

· Edmond Biloa: La langue française au Cameroun,<br />

Bern. Berlin u.a., 2003.<br />

· Hans-Georg Wolf: English in Cameroon, Berlin,<br />

New York, 2001.<br />

· http://www.sdfparty.org/<strong>en</strong>glish/resolutions/211.php<br />

· http://www.postnewsline.com/2005/09/delegate_teache.html#more<br />

· http://www.sdfgermany.de/index.php?id=3,22<br />

,0,0,1,0<br />

· http://www.sdfparty.org/<strong>en</strong>glish/people/78.<br />

php<br />

· http://www.ipsterraviva.net/Africa/viewstory.asp?idnews=64


Eine ökonomische Analyse von HIV/AIDS<br />

von THOMAS SCHELKLE<br />

IV/AIDS stellt heute in viel<strong>en</strong> Ländern<br />

Afrikas eine schwerwieg<strong>en</strong>de<br />

Bedrohung für Leb<strong>en</strong> und Gesundheit<br />

der M<strong>en</strong>sch<strong>en</strong> dar. Doch die weite Verbreitung<br />

von HIV/AIDS in manch<strong>en</strong> Ländern<br />

beeinflusst und bedroht inzwisch<strong>en</strong><br />

alle Aspekte sozial<strong>en</strong> und wirtschaftlich<strong>en</strong><br />

Zusamm<strong>en</strong>leb<strong>en</strong>s. Insbesondere die Auswirkung<strong>en</strong><br />

der Epidemie auf die ökonomische<br />

Situation könnt<strong>en</strong> für die betroff<strong>en</strong><strong>en</strong><br />

Gesellschaft<strong>en</strong> zu groß<strong>en</strong> zusätzlich<strong>en</strong> Belastung<strong>en</strong><br />

führ<strong>en</strong> und die g<strong>en</strong>erelle Fähigkeit<br />

zum Kampf geg<strong>en</strong> HIV/AIDS durch Präv<strong>en</strong>tion<br />

und Behandlung untergrab<strong>en</strong>. In<br />

diesem Beitrag soll es deshalb um die möglich<strong>en</strong><br />

Auswirkung<strong>en</strong> von AIDS auf die<br />

Wirtschaft der am meist<strong>en</strong> betroff<strong>en</strong><strong>en</strong> Länder<br />

geh<strong>en</strong>, um die Bedeutung für wirtschaftliche<br />

Entwicklung, Wachstum und<br />

Wohlfahrt. Ökonom<strong>en</strong> sind sich bei dies<strong>en</strong><br />

Them<strong>en</strong> keineswegs einig, weshalb verschied<strong>en</strong>e<br />

Position<strong>en</strong> und ihre Argum<strong>en</strong>tation in<br />

Grundzüg<strong>en</strong> dargestellt werd<strong>en</strong> soll<strong>en</strong>.<br />

Nach Schätzung<strong>en</strong> von UNAIDS (2004),<br />

dem Koordinierungsprogramm der Vereint<strong>en</strong><br />

Nation<strong>en</strong> zum Kampf geg<strong>en</strong><br />

HIV/AIDS, lebt<strong>en</strong> im Jahr 2004 weltweit<br />

39,4 Million<strong>en</strong> M<strong>en</strong>sch<strong>en</strong> mit HIV, davon<br />

25,4 Million<strong>en</strong> M<strong>en</strong>sch<strong>en</strong> in Afrika südlich<br />

der Sahara. Damit leb<strong>en</strong> mehr als 60 % aller<br />

weltweit HIV Infiziert<strong>en</strong> in Sub-Sahara Afrika,<br />

einer Region mit einem Anteil von<br />

etwas mehr als 10 % an der Weltbevölkerung.<br />

Die Präval<strong>en</strong>zrate unter Erwachs<strong>en</strong><strong>en</strong><br />

(15-49 Jahre) in der Region betrug im<br />

Durchschnitt 7,4 %. UNAIDS geht davon<br />

aus, dass im Jahr 2004 in Afrika südlich der<br />

Sahara 2,3 Million<strong>en</strong> Erwachs<strong>en</strong>e und Kinder<br />

an AIDS gestorb<strong>en</strong> sind. In manch<strong>en</strong><br />

Ländern hat die Immunschwächekrankheit<br />

die Leb<strong>en</strong>serwartung um mehr als 10 Jahre<br />

ges<strong>en</strong>kt. Schätzungsweise 12 Million<strong>en</strong> Kinder<br />

in Afrika hab<strong>en</strong> durch AIDS ein<strong>en</strong> oder<br />

beide Elternteile verlor<strong>en</strong>.<br />

Es wäre jedoch verfehlt von AIDS als der<br />

„afrikanisch<strong>en</strong> Epidemie“ zu sprech<strong>en</strong>, da<br />

Ausmaß, Auswirkung<strong>en</strong> und Entwicklung<br />

der HIV Infektion in verschied<strong>en</strong><strong>en</strong> afrikanisch<strong>en</strong><br />

Ländern sehr unterschiedlich sind.<br />

Zum ander<strong>en</strong> befindet sich HIV auch in<br />

ander<strong>en</strong> Weltregion<strong>en</strong> wie zum Beispiel in<br />

Asi<strong>en</strong> auf dem Vormarsch.<br />

Eine ökonomische Untersuchung müsste<br />

eig<strong>en</strong>tlich an d<strong>en</strong> Folg<strong>en</strong> von HIV/AIDS für<br />

die Wohlfahrt eines Landes und d<strong>en</strong><br />

Leb<strong>en</strong>sstandard seiner Bürger ansetz<strong>en</strong>. Es<br />

ist jedoch nicht klar wie „Wohlfahrt“ definiert<br />

werd<strong>en</strong> soll, welche Variabl<strong>en</strong> mit wel-<br />

99


100<br />

cher Gewichtung als Einflussgröß<strong>en</strong> der<br />

Wohlfahrt gewählt werd<strong>en</strong> soll<strong>en</strong>. Aus diesem<br />

Grund beschränk<strong>en</strong> Ökonom<strong>en</strong> ihre<br />

Analyse oftmals auf d<strong>en</strong> Output gemess<strong>en</strong><br />

durch das Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro<br />

Kopf einer Volkswirtschaft, obwohl ihn<strong>en</strong><br />

die begr<strong>en</strong>zte Tauglichkeit des BIP als<br />

Wohlfahrtsmaß durchaus bewusst ist.<br />

Neb<strong>en</strong> dem wirtschaftlich<strong>en</strong> Einkomm<strong>en</strong><br />

werd<strong>en</strong> oftmals Gesundheit, Leb<strong>en</strong>serwartung,<br />

stabile soziale Beziehung<strong>en</strong> und Bildung<br />

als wichtige Einflussgröß<strong>en</strong> der Wohlfahrt<br />

g<strong>en</strong>annt. Es erscheint off<strong>en</strong>sichtlich,<br />

dass HIV/AIDS auf viele dieser Bereiche<br />

ein<strong>en</strong> stark negativ<strong>en</strong> Einfluss hab<strong>en</strong> wird,<br />

also eine imm<strong>en</strong>se Wohlfahrtsbedrohung<br />

darstellt. Die folg<strong>en</strong>de ökonomische Analyse<br />

wird sich jedoch eb<strong>en</strong>falls auf die Auswirkung<strong>en</strong><br />

von HIV/AIDS auf das BIP, Wirtschaftswachstum<br />

und wirtschaftliche Entwicklung<br />

konz<strong>en</strong>trier<strong>en</strong>. Eine<br />

Untersuchung der im <strong>en</strong>ger<strong>en</strong> Sinne ökonomisch<strong>en</strong><br />

Auswirkung<strong>en</strong> von HIV/AIDS ist<br />

insbesondere notw<strong>en</strong>dig, um die pot<strong>en</strong>tiell<strong>en</strong><br />

wirtschaftlich<strong>en</strong> Belastung<strong>en</strong> für die<br />

schwer betroff<strong>en</strong><strong>en</strong> Länder abmildern zu<br />

könn<strong>en</strong>.<br />

Die makroökonomische Diskussion um<br />

die Folg<strong>en</strong> von HIV/AIDS soll anhand von<br />

zwei Studi<strong>en</strong> mit sehr unterschiedlich<strong>en</strong><br />

Aussag<strong>en</strong> dargestellt werd<strong>en</strong>, die gewissermaß<strong>en</strong><br />

als Geg<strong>en</strong>pole in der Diskussion gelt<strong>en</strong><br />

dürf<strong>en</strong>. Beide basier<strong>en</strong> auf abstrakt<strong>en</strong><br />

mathematisch<strong>en</strong> Modell<strong>en</strong>, die versuch<strong>en</strong><br />

ökonomisches Verhalt<strong>en</strong> von Individu<strong>en</strong><br />

abzubild<strong>en</strong>. Clive Bell, Shantayanan Devarajan<br />

und Hans Gersbach (2003) verw<strong>en</strong>d<strong>en</strong><br />

ein Modell, das eine stark negative wirtschaftliche<br />

Entwicklung für die besonders<br />

von HIV/AIDS betroff<strong>en</strong><strong>en</strong> Länder vorhersagt,<br />

w<strong>en</strong>n keine deutlich<strong>en</strong> Schritte geg<strong>en</strong><br />

die Epidemie unternomm<strong>en</strong> werd<strong>en</strong>. Alwyn<br />

Young (2005) sieht dageg<strong>en</strong> für die Überleb<strong>en</strong>d<strong>en</strong><br />

der Epidemie zukünftige größere<br />

Konsummöglichkeit<strong>en</strong> und kein<strong>en</strong> vergleichbar<strong>en</strong><br />

Niedergang des BIP pro Kopf.<br />

Diese unterschiedlich<strong>en</strong> Aussag<strong>en</strong> komm<strong>en</strong><br />

durch die Verw<strong>en</strong>dung sehr unterschiedlicher<br />

Modelle und Annahm<strong>en</strong> <strong>zur</strong> Funktionsweise<br />

der Ökonomie zustande. Die ausführliche<br />

Vorstellung der beid<strong>en</strong> Studi<strong>en</strong><br />

soll vor allem auch ein Bewusstsein für die<br />

Abhängigkeit der Ergebnisse ökonomischer<br />

Studi<strong>en</strong> von d<strong>en</strong> getroff<strong>en</strong><strong>en</strong> Annahm<strong>en</strong><br />

schaff<strong>en</strong> und ein<strong>en</strong> Einblick in die Argum<strong>en</strong>tationsweise<br />

geb<strong>en</strong>.<br />

Das Modell von Clive Bell, Shantayanan<br />

Devarajan und Hans Gersbach (2003) ist<br />

ein <strong>en</strong>dog<strong>en</strong>es Wachstumsmodell, das<br />

heißt, dass die langfristige Wachstumsrate<br />

der Ökonomie innerhalb des Modells<br />

bestimmt wird und damit insbesondere<br />

auch (hier durch AIDS) beeinflusst werd<strong>en</strong><br />

kann. In ihrem Modell <strong>en</strong>tsteht langfristiges<br />

Wachstum des Einkomm<strong>en</strong>s pro Kopf<br />

durch die Akkumulation von Humankapital,<br />

womit der gesamte Bestand an Wiss<strong>en</strong><br />

und Fähigkeit<strong>en</strong> in der Bevölkerung<br />

gemeint ist. Der Bestand an Humankapital<br />

und damit auch die Ökonomie insgesamt<br />

wachs<strong>en</strong> im Modell durch die Weitergabe<br />

von Humankapital von der älter<strong>en</strong> an die<br />

jüngere G<strong>en</strong>eration und durch Investition<strong>en</strong><br />

in die formale Ausbildung der Kinder.<br />

Die Autor<strong>en</strong> argum<strong>en</strong>tier<strong>en</strong>, dass<br />

HIV/AIDS in mehrfacher Weise die Humankapitalbildung<br />

und die Anreize zu derselb<strong>en</strong><br />

beeinträchtigt und somit ökonomisches<br />

Wachstum geschwächt oder sogar verhindert<br />

wird. Dies ist von der z<strong>en</strong>tral<strong>en</strong> Beobachtung<br />

inspiriert, dass vor allem junge<br />

Erwachs<strong>en</strong>e in ihr<strong>en</strong> produktivst<strong>en</strong> Jahr<strong>en</strong><br />

von AIDS betroff<strong>en</strong> sind. In der Folge steigt<br />

bei einer weit<strong>en</strong> Verbreitung von HIV in<br />

der Bevölkerung die Wahrscheinlichkeit<br />

schon als junger Erwachs<strong>en</strong>er zu sterb<strong>en</strong><br />

signifikant an. Durch d<strong>en</strong> Tod des produktivst<strong>en</strong><br />

Teils der Bevölkerung wird erst<strong>en</strong>s<br />

direkt das Humankapital der jung<strong>en</strong><br />

Erwachs<strong>en</strong><strong>en</strong> zerstört, das sie währ<strong>en</strong>d der<br />

Kindheit, Schulzeit und währ<strong>en</strong>d der erst<strong>en</strong><br />

Arbeitsjahre erworb<strong>en</strong> hab<strong>en</strong>.<br />

Zweit<strong>en</strong>s zerstört AIDS d<strong>en</strong> Mechanismus<br />

der Humankapitalbildung. W<strong>en</strong>n ein<br />

oder beide Elternteile sterb<strong>en</strong>, verlier<strong>en</strong> die<br />

Kinder die Liebe, das Wiss<strong>en</strong> und die Fürsorge<br />

ihrer Eltern. Dies schwächt die Übergabe<br />

von Wiss<strong>en</strong> und Fähigkeit<strong>en</strong> von<br />

G<strong>en</strong>eration zu G<strong>en</strong>eration. Außerdem sinkt<br />

durch Krankheit, medizinische Ausgab<strong>en</strong><br />

und d<strong>en</strong> früh<strong>en</strong> Tod der Erwachs<strong>en</strong><strong>en</strong> das<br />

verfügbare Leb<strong>en</strong>seinkomm<strong>en</strong> des Haushalts,<br />

was dazu führ<strong>en</strong> kann, dass die Kinder<br />

w<strong>en</strong>iger Zeit in der Schule verbring<strong>en</strong><br />

und arbeit<strong>en</strong> müss<strong>en</strong>, um die Familie zu<br />

ernähr<strong>en</strong>. Die Chance, dass sich die Kinder<br />

selbst mit HIV infizier<strong>en</strong>, kann zusätzlich<br />

die Investition in die Ausbildung der Kinder<br />

für ein<strong>en</strong> Haushalt w<strong>en</strong>iger attraktiv<br />

erschein<strong>en</strong> lass<strong>en</strong>.<br />

Dritt<strong>en</strong>s werd<strong>en</strong> Kinder von AIDS<br />

Opfern, die nur eine begr<strong>en</strong>zte M<strong>en</strong>ge an<br />

Bildung, Wiss<strong>en</strong> und Fähigkeit<strong>en</strong> von ihr<strong>en</strong><br />

Eltern erhalt<strong>en</strong> hab<strong>en</strong>, selbst nur eingeschränkt<br />

fähig sein, Humankapital an ihre<br />

Kinder weiterzugeb<strong>en</strong> und für der<strong>en</strong> Ausbildung<br />

zu sorg<strong>en</strong>. Daraus kann ein Teufelskreis<br />

<strong>en</strong>tsteh<strong>en</strong>, der die Ökonomie


abbremst oder sogar in eine Armutsfalle<br />

führ<strong>en</strong> kann, in der das Humankapital der<br />

Ökonomie konstant auf einem minimal<strong>en</strong><br />

Niveau bleibt.<br />

Dies ist die Ess<strong>en</strong>z des Argum<strong>en</strong>ts von<br />

Bell, Devarajan und Gersbach. Das Modell<br />

impliziert, dass die ökonomisch<strong>en</strong> Folg<strong>en</strong><br />

von AIDS in voller Stärke erst in großem<br />

zeitlich<strong>en</strong> Abstand zum Ausbruch der Epidemie<br />

auftret<strong>en</strong> könn<strong>en</strong>. Das g<strong>en</strong>aue Verhalt<strong>en</strong><br />

des Modells hängt von verschied<strong>en</strong><strong>en</strong><br />

Parametern und insbesondere dem<br />

Ausmaß der AIDS Epidemie im jeweilig<strong>en</strong><br />

Land ab, so dass eine Simulation des<br />

Modells je nach Land zu verschied<strong>en</strong><strong>en</strong><br />

Ergebniss<strong>en</strong> komm<strong>en</strong> kann. Die Autor<strong>en</strong><br />

führ<strong>en</strong> selbst eine solche Studie für Südafrika<br />

durch, die ohne politische Interv<strong>en</strong>tion<strong>en</strong><br />

das Erreich<strong>en</strong> einer Armutsfalle vorhersagt.<br />

Natürlich ist dies nur ein theoretisches<br />

Modell, dess<strong>en</strong> Begr<strong>en</strong>ztheit man sich<br />

bewusst sein muss. Trotzdem sollte man die<br />

qualitativ<strong>en</strong> Aussag<strong>en</strong> des Modells nicht<br />

leichtfertig beiseite schieb<strong>en</strong>, sondern sorgfältig<br />

bed<strong>en</strong>k<strong>en</strong>.<br />

Diese Analyse lässt politische Interv<strong>en</strong>tion<strong>en</strong><br />

nicht nur im Gesundheitssektor notw<strong>en</strong>dig<br />

erschein<strong>en</strong>, sondern auch <strong>zur</strong> Milderung<br />

der ökonomisch<strong>en</strong> Kost<strong>en</strong> von<br />

AIDS und der Verhinderung einer Armutsfalle.<br />

Mögliche Maßnahm<strong>en</strong> der Regierung<br />

werd<strong>en</strong> dabei zusätzlich erschwert, durch<br />

die Zerstörung der Steuerbasis durch AIDS<br />

und d<strong>en</strong> damit verbund<strong>en</strong><strong>en</strong> Einnahm<strong>en</strong>rückgang.<br />

Zur Milderung der ökonomisch<strong>en</strong><br />

Folg<strong>en</strong> von AIDS schlag<strong>en</strong> die Auto-<br />

r<strong>en</strong> eine Subv<strong>en</strong>tion für AIDS Wais<strong>en</strong> vor,<br />

die <strong>zur</strong> Bedingung hat, dass diese die Schule<br />

besuch<strong>en</strong>. Dies könnte bewirk<strong>en</strong>, dass die<br />

Humankapitalakkumulation in einem weitaus<br />

geringer<strong>en</strong> Maße gestört wird oder die<br />

negativ<strong>en</strong> ökonomisch<strong>en</strong> Auswirkung<strong>en</strong><br />

von AIDS sogar überwund<strong>en</strong> werd<strong>en</strong> könn<strong>en</strong>.<br />

Das Politikproblem der Regierung, die<br />

Aufteilung ihrer Einnahm<strong>en</strong> auf Präv<strong>en</strong>tion,<br />

Behandlung Infizierter und Bildungssubv<strong>en</strong>tion<strong>en</strong><br />

ist jedoch hoch komplex. Die<br />

Wirksamkeit politischer Maßnahm<strong>en</strong> und<br />

die Möglichkeit eine Armutsfalle zu vermeid<strong>en</strong><br />

hängt neb<strong>en</strong> dem Ausmaß der AIDS<br />

Epidemie in dem Land auch von der Reaktionszeit<br />

der Regierung und dem anfänglich<strong>en</strong><br />

Bestand an Humankapital in dem<br />

Land ab. Die Autor<strong>en</strong> beton<strong>en</strong> besonders,<br />

dass auch aus einer ökonomisch<strong>en</strong> Perspektive<br />

im Kampf geg<strong>en</strong> HIV/AIDS keine Zeit<br />

mehr zu verlier<strong>en</strong> ist.<br />

Alwyn Young (2005) verw<strong>en</strong>det dageg<strong>en</strong><br />

ein neoklassisches Wachstumsmodell<br />

(Solow-Modell) für die Ökonomie. Dieses<br />

Modell hat die Eig<strong>en</strong>schaft, dass langfristig<br />

die Wachstumsrate des gesamtwirtschaftlich<strong>en</strong><br />

BIP gleich der Rate des Bevölkerungswachstums<br />

ist (in Abwes<strong>en</strong>heit technisch<strong>en</strong><br />

Fortschritts). Die Höhe des BIP pro Kopf<br />

hängt jedoch negativ von der Wachstumsrate<br />

der Bevölkerung ab. Dies bedeutet, dass<br />

bei niedrigerem Bevölkerungswachstum<br />

Einkomm<strong>en</strong> und Konsummöglichkeit<strong>en</strong> für<br />

d<strong>en</strong> Einzeln<strong>en</strong> größer sind, als bei hohem<br />

Bevölkerungswachstum. Die absolute Größe<br />

der Bevölkerung hat dageg<strong>en</strong> in einem<br />

HIV-Präval<strong>en</strong>zrat<strong>en</strong><br />

unter Erwachs<strong>en</strong><strong>en</strong><br />

(15-49 Jahre), Ende<br />

2003; Quelle:<br />

http://www.unaids.org<br />

101


102<br />

Solow-Modell kein<strong>en</strong> Einfluss auf das BIP<br />

pro Kopf, sondern nur auf die absolute<br />

Höhe des BIP. Klassischerweise wird das<br />

Solow-Modell als exog<strong>en</strong>es Wachstumsmodell<br />

präs<strong>en</strong>tiert, bei dem die Bevölkerungswachstumsrate<br />

und damit die langfristige<br />

Wachstumsrate des BIP außerhalb des<br />

Modells bestimmt wird. Young <strong>en</strong>dog<strong>en</strong>isiert<br />

in seinem Modell jedoch das Bevölkerungswachstum<br />

durch eine explizite Modellierung<br />

der Fertilitäts<strong>en</strong>tscheidung der<br />

Haushalte. Damit kann in einem solch<strong>en</strong><br />

Modell HIV/AIDS über eine Beeinflussung<br />

der Fertilität ein<strong>en</strong> Einfluss auf das BIP pro<br />

Kopf und damit die individuell<strong>en</strong> Konsummöglichkeit<strong>en</strong><br />

hab<strong>en</strong>. Das individuelle Einkomm<strong>en</strong><br />

hängt in diesem Modell zwar auch<br />

von dem persönlich<strong>en</strong> Bestand an Humankapital<br />

ab. Die Akkumulation von Humankapital<br />

ist hier jedoch keine Quelle langfristig<strong>en</strong><br />

Wachstums wie im vorher besproch<strong>en</strong><strong>en</strong><br />

Modell von Bell, Devarajan und<br />

Gersbach (2003).<br />

Im Wes<strong>en</strong>tlich<strong>en</strong> betrachtet Young dann<br />

zwei geg<strong>en</strong>läufige Effekte von AIDS. Einerseits<br />

hat die Epidemie ein<strong>en</strong> negativ<strong>en</strong> Einfluss<br />

auf die Humankapitalakkumulation<br />

von AIDS Wais<strong>en</strong>. Zum ander<strong>en</strong> reduziert<br />

die Verbreitung von HIV die Fertilität der<br />

Bevölkerung direkt durch eine Verminderung<br />

von ungeschütztem Sex und indirekt<br />

durch höhere Löhne aufgrund eines knapper<strong>en</strong><br />

Arbeitsangebots, was die Opportunitätskost<strong>en</strong><br />

von Kindern für Frau<strong>en</strong> (das <strong>en</strong>tgang<strong>en</strong>e<br />

Lohneinkomm<strong>en</strong>) erhöht.<br />

Young schätzt für Südafrika die empirisch<strong>en</strong><br />

Zusamm<strong>en</strong>hänge zwisch<strong>en</strong><br />

HIV/AIDS, Löhn<strong>en</strong>, Arbeitsangebot, Bildung<br />

der Kinder und Fertilität aus Dat<strong>en</strong><br />

der Vergang<strong>en</strong>heit. Mit dies<strong>en</strong> Schätzung<strong>en</strong><br />

ermittelt er, dass der zweite Effekt von<br />

HIV/AIDS einer reduziert<strong>en</strong> Fertilität überwiegt<br />

und somit das BIP pro Kopf der<br />

Überleb<strong>en</strong>d<strong>en</strong> der Epidemie steigt. Die daraus<br />

resultier<strong>en</strong>d<strong>en</strong> größer<strong>en</strong> Konsummöglichkeit<strong>en</strong><br />

des Einzeln<strong>en</strong> würd<strong>en</strong> nach sein<strong>en</strong><br />

Abschätzung<strong>en</strong> sogar die notw<strong>en</strong>dig<strong>en</strong><br />

Ausgab<strong>en</strong> <strong>zur</strong> Behandlung der HIV Infiziert<strong>en</strong><br />

deck<strong>en</strong>. Entsprech<strong>en</strong>d kommt der<br />

Regierung all<strong>en</strong>falls eine Rolle bei der<br />

Lösung des Gesundheitsproblems zu und<br />

nicht bei der Milderung ökonomischer Folg<strong>en</strong>.<br />

Young zieht daraus insgesamt d<strong>en</strong><br />

Schluss, dass HIV/AIDS zwar eine humanitäre<br />

Katastrophe darstellt, jedoch keine<br />

ökonomische.<br />

Die möglich<strong>en</strong> ökonomisch<strong>en</strong> Auswirkung<strong>en</strong><br />

von HIV/AIDS sind natürlich noch<br />

vielfältiger, als sie hier dargestellt wurd<strong>en</strong>.<br />

Es wurde nicht auf die Folg<strong>en</strong> der Epidemie<br />

für Unternehm<strong>en</strong> durch d<strong>en</strong> Verlust eingearbeiteter<br />

Arbeitskräfte, auf mögliche negative<br />

Folg<strong>en</strong> für Investition<strong>en</strong>, Kapitalbildung<br />

und Kreditmärkte und auch nicht auf<br />

die Bedeutung der Epidemie für Armut<br />

und Ungleichheit eingegang<strong>en</strong>. Weitere viel<br />

diskutierte Them<strong>en</strong> sind Pat<strong>en</strong>trechte im<br />

Pharmabereich und G<strong>en</strong>erika, sowie medizinische<br />

Forschung und westliche Hilfe für<br />

Entwicklungsländer im Kampf geg<strong>en</strong><br />

HIV/AIDS. Doch auch diese Frag<strong>en</strong> sind<br />

komplex und verlang<strong>en</strong> nach einer detailliert<strong>en</strong><br />

ökonomisch<strong>en</strong> Analyse anstatt vorschnell<strong>en</strong><br />

Schlüss<strong>en</strong>.<br />

In diesem Beitrag wurde ein Ausschnitt<br />

der Diskussion über die makroökonomisch<strong>en</strong><br />

Auswirkung<strong>en</strong> der HIV/AIDS Epidemie<br />

dargestellt. Insbesondere wurde betont,<br />

dass es nicht „eine“ ökonomische Analyse<br />

gibt, sondern verschied<strong>en</strong>e Sichtweis<strong>en</strong><br />

besteh<strong>en</strong>. Die ökonomische Analyse der Folg<strong>en</strong><br />

von HIV/AIDS ist aber insbesondere<br />

nicht dazu gedacht, zu Verzweiflung, Verzag<strong>en</strong><br />

oder untätigem Abwart<strong>en</strong> zu führ<strong>en</strong>.<br />

Ganz im Geg<strong>en</strong>teil geht es darum der Realität<br />

ins Auge zu schau<strong>en</strong> und dann die notw<strong>en</strong>dig<strong>en</strong><br />

Maßnahm<strong>en</strong> im Kampf geg<strong>en</strong><br />

HIV/AIDS und seine Folg<strong>en</strong> für alle<br />

Leb<strong>en</strong>sbereiche zu ergreif<strong>en</strong>. Ein Zögern<br />

könn<strong>en</strong> sich weder die direkt betroff<strong>en</strong><strong>en</strong><br />

M<strong>en</strong>sch<strong>en</strong> und Länder, noch die scheinbar<br />

am Rande Steh<strong>en</strong>d<strong>en</strong> leist<strong>en</strong>!<br />

Quell<strong>en</strong><br />

· Bell, Clive, Shantayanan Devarajan und Hans<br />

Gersbach (2003): „The Long-Run Economic<br />

Costs of AIDS: Theory and Application to<br />

South Africa“. Policy Research Working Paper<br />

No. 3152, The World Bank, Washington<br />

D.C.Bell, Clive, Shantayanan Devarajan und<br />

Hans Gersbach (2003): „The Long-Run Economic<br />

Costs of AIDS: Theory and Application to<br />

South Africa“. Policy Research Working Paper<br />

No. 3152, The World Bank, Washington D.C.<br />

· Haacker, Markus (Hrsg.) (2004): „The Macroeconomics<br />

of HIV/AIDS“. International Monetary<br />

Fund, Washington D.C.<br />

· UNAIDS (2004): „AIDS Epidemic Update:<br />

2004“, G<strong>en</strong>f. Verfügbar über das Internet:<br />

http://www.unaids.org/.<br />

· Young, Alwyn (2005): „The Gift of the Dying:<br />

The Tragedy of AIDS and the Welfare of Future<br />

African G<strong>en</strong>erations“. Quarterly Journal of<br />

Economics 120(2): 423-466.


Schlechte Luft in Afrika?<br />

Betrachtung<strong>en</strong> über eine der häufigst<strong>en</strong> Infektionskrankheit<strong>en</strong> der Welt: Malaria<br />

von KRISTINA GARTZEN<br />

amadou ist krank. Gestern spielte er<br />

noch wie immer mit sein<strong>en</strong> Geschwistern<br />

im Hof des Lehmhauses, heute<br />

will der Vierjährige nichts ess<strong>en</strong>, schläft viel,<br />

hat Durchfall und fühlt sich sehr warm an.<br />

Anta Cisse, Mamadous Mutter, ahnt was mit<br />

ihrem Sohn los ist. Erst vor w<strong>en</strong>ig<strong>en</strong> Monat<strong>en</strong><br />

hatte seine Schwester Kumba die gleich<strong>en</strong> Symptome,<br />

und vor etwa einem Jahr ist Fatoumata,<br />

die Tochter eines Nachbarn an dieser Krankheit<br />

gestorb<strong>en</strong>: Malaria.<br />

Jedes Jahr erkrank<strong>en</strong> weltweit etwa 400<br />

Million<strong>en</strong> M<strong>en</strong>sch<strong>en</strong> an Malaria. 90% von<br />

ihn<strong>en</strong> leb<strong>en</strong> in Afrika. Allein in Kamerun<br />

trat<strong>en</strong> im Jahr 1998 bei einer Bevölkerung<br />

von 14.200.000 M<strong>en</strong>sch<strong>en</strong> 664.413 Malariaerkrankung<strong>en</strong><br />

auf, es erkrankte also etwa<br />

jeder zwanzigste Bürger des Landes. Für<br />

etwa 2 Million<strong>en</strong> M<strong>en</strong>sch<strong>en</strong> pro Jahr weltweit,<br />

hauptsächlich Kinder, verläuft die<br />

Erkrankung tödlich. Damit ist Malaria die<br />

Haupttodesursache von Kindern unter 5<br />

Jahr<strong>en</strong> in Afrika.<br />

Was ist Malaria?<br />

Währ<strong>en</strong>d Mme Cisse mit Mamadou in dem<br />

klein<strong>en</strong> Gesundheitsz<strong>en</strong>trum von Konna auf<br />

Dr. Traore wartet, fällt ihr plötzlich ihr letzter<br />

Ausflug nach Mopti, der Kreisstadt, ein. Ein<br />

Händler hatte Ihr dort auf dem Markt Stoff<br />

verkauf<strong>en</strong> woll<strong>en</strong>, der über das Bett gehängt,<br />

Mück<strong>en</strong> abhalt<strong>en</strong> soll. Und das sollte dann<br />

gleichzeitig auch vor Malaria schütz<strong>en</strong>! Sie hatte<br />

das damals für Scharlatanerei gehalt<strong>en</strong>, aber<br />

vielleicht war ja doch was dran?<br />

Erreger der Malaria sind die zu d<strong>en</strong> Einzellern<br />

(Protozo<strong>en</strong>) zähl<strong>en</strong>d<strong>en</strong> Plasmodi<strong>en</strong>.<br />

Es gibt insgesamt 4 verschied<strong>en</strong>e Art<strong>en</strong> von<br />

Plasmodi<strong>en</strong>, die die drei verschied<strong>en</strong><strong>en</strong> Form<strong>en</strong><br />

von Malaria auslös<strong>en</strong>: Malaria tertiana<br />

mit Fieberanstieg<strong>en</strong> an jedem zweit<strong>en</strong> Tag,<br />

Malaria quartana mit Fieberanstieg<strong>en</strong> jed<strong>en</strong><br />

dritt<strong>en</strong> Tag und Malaria tropica mit unregelmäßig<strong>en</strong><br />

Fieberschwankung<strong>en</strong>.<br />

In d<strong>en</strong> m<strong>en</strong>schlich<strong>en</strong> Körper gelang<strong>en</strong><br />

die Plasmodi<strong>en</strong> meist durch d<strong>en</strong> Stich der<br />

weiblich<strong>en</strong> Anophelesmücke, aber auch<br />

Übertragung<strong>en</strong> durch Blutkonserv<strong>en</strong> oder<br />

gemeinsames B<strong>en</strong>utz<strong>en</strong> von Spritz<strong>en</strong>bestekk<strong>en</strong><br />

bei Drog<strong>en</strong>süchtig<strong>en</strong> sind möglich.<br />

Zunächst gelang<strong>en</strong> die Einzeller in die<br />

Leber, dann dring<strong>en</strong> sie in die rot<strong>en</strong> Blutkörperch<strong>en</strong><br />

ein. Dort vermehr<strong>en</strong> sie sich so<br />

lange, bis die Blutkörperch<strong>en</strong> platz<strong>en</strong>, die<br />

Erreger freigesetzt werd<strong>en</strong> und neue rote<br />

Blutkörperch<strong>en</strong> befall<strong>en</strong>. Bei Malaria tertiana<br />

und quartana synchronisiert sich nach<br />

einiger Zeit dieser Vorgang, so dass nun die<br />

rot<strong>en</strong> Blutkörperch<strong>en</strong> stets gleichzeitig platz<strong>en</strong>,<br />

was der Pati<strong>en</strong>t als d<strong>en</strong> typisch<strong>en</strong> Fieberschub<br />

bemerkt.<br />

Im Laufe der Erkrankung bild<strong>en</strong> sich<br />

103


104<br />

schließlich die Geschlechtsform<strong>en</strong> der Erreger.<br />

Verbleib<strong>en</strong> sie im m<strong>en</strong>schlich<strong>en</strong> Körper,<br />

sind sie ohne Bedeutung. Werd<strong>en</strong> sie<br />

jedoch durch ein<strong>en</strong> erneut<strong>en</strong> Stich in d<strong>en</strong><br />

Mag<strong>en</strong> der Anophelesmücke aufg<strong>en</strong>omm<strong>en</strong>,<br />

vermehr<strong>en</strong> sie sich dort und gelang<strong>en</strong><br />

in die Speicheldrüse der Mücke. Dabei bild<strong>en</strong><br />

sie sich in die für M<strong>en</strong>sch<strong>en</strong> krankheitsauslös<strong>en</strong>de<br />

Form um und könn<strong>en</strong> beim<br />

nächst<strong>en</strong> Stich wieder auf d<strong>en</strong> M<strong>en</strong>sch<strong>en</strong><br />

übertrag<strong>en</strong> werd<strong>en</strong>.<br />

Symptome<br />

Dr. Traore fällt es nicht schwer, Mamadous<br />

Symptome tatsächlich als Malaria zu deut<strong>en</strong>.<br />

Der Junge hat hohes Fieber, ist blass, kaum<br />

ansprechbar und hat sich im Wartezimmer<br />

übergeb<strong>en</strong> müss<strong>en</strong>. Auch w<strong>en</strong>n diese Symptome<br />

eb<strong>en</strong>falls bei ander<strong>en</strong> Krankheit<strong>en</strong> auftret<strong>en</strong>, ist<br />

er sich seiner Sache ziemlich sicher. Schließlich<br />

such<strong>en</strong> ihn fast die Hälfte der Pati<strong>en</strong>t<strong>en</strong> weg<strong>en</strong><br />

Malaria auf!<br />

Malaria äußert sich oft wie viele andere<br />

Infektionskrankheit<strong>en</strong> auch mit Kopf- und<br />

Gliederschmerz<strong>en</strong>, Übelkeit, Erbrech<strong>en</strong><br />

und Durchfäll<strong>en</strong>. Das eig<strong>en</strong>tlich charakteristische<br />

Fieber ist vor allem bei Malaria tropica<br />

nicht immer wegweis<strong>en</strong>d: es gibt<br />

durchaus Krankheitsverläufe mit nur gering<br />

erhöhter Temperatur.<br />

Die einzige tödlich verlauf<strong>en</strong>de Form der<br />

Malaria ist Malaria tropica. Im Unterschied<br />

zu d<strong>en</strong> ander<strong>en</strong> Malariaform<strong>en</strong> <strong>en</strong>twickeln<br />

die befall<strong>en</strong><strong>en</strong> rot<strong>en</strong> Blutkörperch<strong>en</strong> bei<br />

dieser Erkrankung kleine, elektron<strong>en</strong>mikroskopisch<br />

sichtbare „knobs“, mit d<strong>en</strong><strong>en</strong> sie<br />

an d<strong>en</strong> Gefäßwänd<strong>en</strong> häng<strong>en</strong> bleib<strong>en</strong>. Die<br />

Gefäße verstopf<strong>en</strong>, wodurch die leb<strong>en</strong>swichtig<strong>en</strong><br />

Organe, vor allem Gehirn, Herz und<br />

Nier<strong>en</strong>, nicht mehr g<strong>en</strong>üg<strong>en</strong>d mit Blut versorgt<br />

werd<strong>en</strong>. Nun kommt es zu d<strong>en</strong> unterschiedlichst<strong>en</strong><br />

Symptom<strong>en</strong>, die gerade mit<br />

Malaria nicht vertraut<strong>en</strong> Ärzt<strong>en</strong> die Diagnose<br />

noch weiter erschwer<strong>en</strong>.<br />

Diagnose und Behandlung<br />

Dr. Traore stellt Mamadou ein Rezept aus:<br />

Chloroquin geg<strong>en</strong> die Malaria, Paracetamol,<br />

um das Fieber zu s<strong>en</strong>k<strong>en</strong>, und ein Antibiotikum<br />

für d<strong>en</strong> Fall, dass Mamadou doch an<br />

einer ander<strong>en</strong> Erkrankung leidet. Falls das<br />

alles nichts bringt, was mittlerweile leider häufiger<br />

der Fall ist, bleibt ihm immer noch die<br />

Möglichkeit, mit dem schlechter verträglich<strong>en</strong><br />

Chinin zu behandeln.<br />

Durch ein<strong>en</strong> sehr einfach<strong>en</strong> Test, d<strong>en</strong><br />

sog<strong>en</strong>annt<strong>en</strong> „dick<strong>en</strong> Tropf<strong>en</strong>“, kann Malaria<br />

schnell und einfach diagnostiziert werd<strong>en</strong>.<br />

Dazu wird ein Blutstropf<strong>en</strong> unter dem<br />

Mikroskop auf die charakteristisch<strong>en</strong>, siegelringartig<strong>en</strong><br />

Plasmodi<strong>en</strong> untersucht. Da<br />

in groß<strong>en</strong> Geg<strong>en</strong>d<strong>en</strong> Afrikas aber fast jeder<br />

Pati<strong>en</strong>t mit d<strong>en</strong> <strong>en</strong>tsprech<strong>en</strong>d<strong>en</strong> Symptom<strong>en</strong><br />

an Malaria erkrankt ist, wird dieser<br />

Test oft nicht durchgeführt, sondern direkt<br />

mit der Therapie begonn<strong>en</strong>. Durch dies<strong>en</strong><br />

unkontrolliert<strong>en</strong> und mass<strong>en</strong>haft<strong>en</strong> Einsatz<br />

von Antimalariamitteln hab<strong>en</strong> in d<strong>en</strong> letzt<strong>en</strong><br />

Jahrzehnt<strong>en</strong> mehr und mehr Malariastämme<br />

durch zufällige Mutation<strong>en</strong> Möglichkeit<strong>en</strong><br />

gefund<strong>en</strong>, der Wirkung dieser<br />

Medikam<strong>en</strong>te zu <strong>en</strong>tgeh<strong>en</strong>: sie sind resist<strong>en</strong>t<br />

geword<strong>en</strong>. Beispielsweise ist geg<strong>en</strong><br />

Chloroquin, das langjährige Standardmittel,<br />

in Afrika bereits jedes dritte Plasmodium<br />

resist<strong>en</strong>t, trotzdem wird dieses Medikam<strong>en</strong>t<br />

noch fast überall eingesetzt, da es sehr billig<br />

und neb<strong>en</strong>wirkungsarm ist. Eig<strong>en</strong>tlich <strong>en</strong>tspricht<br />

Choroquin nur in sog<strong>en</strong>annt<strong>en</strong><br />

Zone A Ländern, in d<strong>en</strong><strong>en</strong> <strong>en</strong>tweder keine<br />

resist<strong>en</strong>t<strong>en</strong> Stämme vorkomm<strong>en</strong> oder nur<br />

Malaria tertiana und quartana vorherrsch<strong>en</strong>,<br />

d<strong>en</strong> WHO Empfehlung<strong>en</strong>. In Afrika<br />

gehör<strong>en</strong> fast alle Länder <strong>zur</strong> Zone C mit<br />

hochgradiger Chloroquinresist<strong>en</strong>z. Hier<br />

sollte die Erkrankung mit Mefloquin (Lariam)<br />

oder einer Kombination aus Atovaquon<br />

und Proguanil (Malarone) behandelt<br />

werd<strong>en</strong>. Versagt diese Therapie, kann auf<br />

Chinin, das älteste Antimalariamittel aus<br />

der Rinde des Cinchonabaums, <strong>zur</strong>ückgegriff<strong>en</strong><br />

werd<strong>en</strong>.<br />

Geschichtliches<br />

Malaria (wörtlich: schlechte Luft), Sumpfluft<br />

oder Sumpfmiasma, n<strong>en</strong>nt man ursprünglich<br />

in Itali<strong>en</strong> die manch<strong>en</strong> sumpfig<strong>en</strong> Geg<strong>en</strong>d<strong>en</strong><br />

eig<strong>en</strong>e, besonders fiebererzeug<strong>en</strong>de Einwirkung<br />

auf leb<strong>en</strong>de Organism<strong>en</strong>. Derj<strong>en</strong>ige, welcher<br />

sich in solch<strong>en</strong> Geg<strong>en</strong>d<strong>en</strong>, besonders nach Sonn<strong>en</strong>untergang,<br />

der frei<strong>en</strong> Luft aussetzt, wird<br />

sehr oft von Fieber befall<strong>en</strong> (…). Es ist wahrscheinlich,<br />

daß die von d<strong>en</strong> steh<strong>en</strong>d<strong>en</strong> Wassern<br />

oder feucht<strong>en</strong> Erdbod<strong>en</strong> <strong>en</strong>twickelt<strong>en</strong> , durch<br />

faulige Zersetzung pflanzlicher und tierischer<br />

Körper, welche in solch<strong>en</strong> Wassern leb<strong>en</strong>, <strong>en</strong>tsteh<strong>en</strong>d<strong>en</strong><br />

schädlich<strong>en</strong> Luftart<strong>en</strong> die Ursache j<strong>en</strong>er<br />

Erkrankung sind. (…) Alle Urwälderbod<strong>en</strong> <strong>en</strong>twickeln,<br />

nachdem sie urbar gemacht word<strong>en</strong>, in<br />

d<strong>en</strong> erst<strong>en</strong> Jahr<strong>en</strong> ein fiebererzeug<strong>en</strong>des Prinzip,<br />

das d<strong>en</strong> erst<strong>en</strong> Ansiedlern oft sehr verderblich<br />

wird. (…) Aus dem Brockhaus Conversations-Lexikon<br />

von 1885<br />

Fossile Funde von Mück<strong>en</strong> hab<strong>en</strong> gezeigt,<br />

dass Plasmodi<strong>en</strong> bereits vor 30 Mio. Jahr<strong>en</strong><br />

existiert<strong>en</strong>. Wirklich zum Problem wurd<strong>en</strong><br />

sie vor etwa 12.000 Jahr<strong>en</strong>, als der M<strong>en</strong>sch<br />

sesshaft wurde und sich dauerhaft in der


Nähe der Brutgebiete der Mück<strong>en</strong> aufhielt.<br />

Erstmals schriftlich erwähnt wurde die<br />

Erkrankung etwa 2700 vor Christus im chinesisch<strong>en</strong><br />

Medizinbuch Nei Ching. Hippokrates<br />

beschrieb die Symptome und brachte<br />

sie in Zusamm<strong>en</strong>hang mit steh<strong>en</strong>d<strong>en</strong><br />

Gewässern (dem Brutort der Mück<strong>en</strong>), die<br />

daraufhin im römisch<strong>en</strong> Reich mit dem Bau<br />

von Abwasserkanäl<strong>en</strong> bekämpft wurd<strong>en</strong>.<br />

Um 1600 lernt<strong>en</strong> europäische Einwanderer<br />

von peruanisch<strong>en</strong> Indianerstämm<strong>en</strong>, dass<br />

die Rinde des Cinchonabaums das Sumpffieber<br />

heilt. Ab 1649 war dieses Mittel unter<br />

dem Nam<strong>en</strong> „Jesuit<strong>en</strong>pulver“ in England<br />

erhältlich. Heute ist es als Chinin bekannt<br />

und immer noch eines der effektivst<strong>en</strong><br />

Antimalariamittel.<br />

1889 <strong>en</strong>tdeckte der Franzose C.L.A.<br />

Laveran kleine Parasit<strong>en</strong>, die später unter<br />

dem Nam<strong>en</strong> Plasmodi<strong>en</strong> bekannt wurd<strong>en</strong>,<br />

im Blut von an Malaria erkrankt<strong>en</strong> Pati<strong>en</strong>t<strong>en</strong>,<br />

eine Entdeckung, für die er im Jahr<br />

1907 mit dem Nobelpreis geehrt wurde.<br />

Nur w<strong>en</strong>ige Jahre später, im Jahr 1897, wies<br />

der Engländer R. Ross auf eine mögliche<br />

Übertragung der Plasmodi<strong>en</strong> durch Mükk<strong>en</strong><br />

hin, wofür er 1902 d<strong>en</strong> Nobelpreis<br />

bekam. Eine <strong>en</strong>tscheid<strong>en</strong>de W<strong>en</strong>dung<br />

nahm die Geschichte der Malaria durch d<strong>en</strong><br />

Schweizer P. Müller, der als dritter Malariaforscher<br />

1948 d<strong>en</strong> Nobelpreis verlieh<strong>en</strong><br />

bekam. Er wies nach, dass der bereits 1874<br />

von dem deutsch<strong>en</strong> Chemiestud<strong>en</strong>t<strong>en</strong> O.<br />

Zeidler <strong>en</strong>tdeckte Stoff DDT wirksam Mükk<strong>en</strong><br />

und mit ihn<strong>en</strong> auch Plasmodi<strong>en</strong> abtötet.<br />

Die <strong>en</strong>dgültige Ausrottung erschi<strong>en</strong><br />

plötzlich in greifbarer Nähe. Tatsächlich<br />

verschwand die Erkrankung im folg<strong>en</strong>d<strong>en</strong><br />

Jahrzehnt auch in Europa und d<strong>en</strong> USA, in<br />

d<strong>en</strong> meist<strong>en</strong> afrikanisch<strong>en</strong> und asiatisch<strong>en</strong><br />

Ländern scheiterte die Bekämpfung jedoch<br />

an Krieg<strong>en</strong>, Finanzierungsschwierigkeit<strong>en</strong><br />

und Resist<strong>en</strong>z<strong>en</strong>twicklung<strong>en</strong>. DDT ist heute<br />

in Deutschland weg<strong>en</strong> seiner Toxizität verbot<strong>en</strong>.<br />

Macht Malaria arm?<br />

Geg<strong>en</strong> Ab<strong>en</strong>d sitzt die gesamte Familie Cisse,<br />

also M. und Mme Cisse, seine Eltern und ihre<br />

6 Kinder, im Hof ihres Hauses und isst zu<br />

Ab<strong>en</strong>d. Heute gibt es nur Hirse, d<strong>en</strong>n Mme<br />

Cisse konnte durch die Erkrankung ihres Sohnes<br />

heute nicht wie üblich vor der Moschee<br />

selbstgebrat<strong>en</strong>e Banan<strong>en</strong> verkauf<strong>en</strong> und dann<br />

auf dem Markt Zutat<strong>en</strong> für das Ab<strong>en</strong>dess<strong>en</strong><br />

kauf<strong>en</strong>.<br />

Ein von Malaria betroff<strong>en</strong>es Land ist ein<br />

armes Land.<br />

Erscheint dieser Satz auch auf d<strong>en</strong> erst<strong>en</strong><br />

Blick viel zu einfach, ist er doch wahr:<br />

Erschreck<strong>en</strong>d g<strong>en</strong>au deckt sich die Weltkarte,<br />

auf der Länder mit hoh<strong>en</strong> Malariarat<strong>en</strong><br />

verzeichnet sind, mit der Weltkarte der<br />

Armut. Statistisch geseh<strong>en</strong> erwirtschaft<strong>en</strong><br />

von Malaria betroff<strong>en</strong>e Länder nur 2/3 des<br />

Bruttosozialproduktes anderer Länder. Pro<br />

Jahr liegt das durchschnittliche Wirtschaftswachstum<br />

1.3 % unter dem von nicht<br />

betroff<strong>en</strong><strong>en</strong> Ländern.<br />

Ein Zufall? Oder ist Malaria Ursache für<br />

Armut? Oder Folge von Armut?<br />

Die Antwort ist wahrscheinlich sowohl als<br />

auch. Natürlich gibt es viele andere Faktor<strong>en</strong>,<br />

die <strong>zur</strong> Armut dieser Länder beitrag<strong>en</strong>.<br />

In d<strong>en</strong> letzt<strong>en</strong> Jahrzehnt<strong>en</strong> zeichnet sich<br />

jedoch der Zusamm<strong>en</strong>hang zwisch<strong>en</strong><br />

Armut und Malaria immer mehr ab. Die<br />

Gründe sind vielfältig:<br />

· Armut macht eine gezielte Bekämpfung<br />

von Malaria schwer. Auf der ein<strong>en</strong> Seite<br />

fehl<strong>en</strong> die finanziell<strong>en</strong> Mittel, auf der<br />

ander<strong>en</strong> fehlt die Infrastruktur in dies<strong>en</strong><br />

Ländern, ohne die nationale Kampagn<strong>en</strong><br />

nicht durchführbar sind.<br />

· Für die betroff<strong>en</strong>e Familie <strong>en</strong>tsteh<strong>en</strong><br />

hohe Kost<strong>en</strong>: Geld für Medikam<strong>en</strong>te,<br />

Behandlung und d<strong>en</strong> Transport zum<br />

Arzt muss aufgebracht werd<strong>en</strong>.<br />

· Auf staatlicher Eb<strong>en</strong>e müss<strong>en</strong> öff<strong>en</strong>tliche<br />

Gesundheitseinrichtung<strong>en</strong> und nach<br />

Möglichkeit Präv<strong>en</strong>tions- und Forschungsprojekte<br />

eingerichtet werd<strong>en</strong>. So<br />

beträgt der Anteil des für Malariabekämpfung<br />

ausgegeb<strong>en</strong><strong>en</strong> Geldes an d<strong>en</strong><br />

Gesamtkost<strong>en</strong> im Gesundheitssystem in<br />

d<strong>en</strong> betroff<strong>en</strong><strong>en</strong> Ländern etwa 40 %.<br />

· Indirekte Kost<strong>en</strong> <strong>en</strong>tsteh<strong>en</strong> durch krankheitsbedingte<br />

Arbeitsausfälle und frühzeitige<br />

Todesfälle von Arbeitern.<br />

· Erkrankte Kinder verpass<strong>en</strong> d<strong>en</strong> Schulunterricht<br />

oder trag<strong>en</strong> Spätfolg<strong>en</strong> davon,<br />

die die dring<strong>en</strong>d b<strong>en</strong>ötigte gute Ausbildung<br />

unmöglich werd<strong>en</strong> lass<strong>en</strong>.<br />

· Tourist<strong>en</strong> und ausländische Investor<strong>en</strong><br />

werd<strong>en</strong> von der Erkrankung abgeschreckt.<br />

Prophylaxe nur für Weiße?<br />

Mamadous Großvater Amadou Cisse verwaltet<br />

als Hausmeister das kleine Gästehaus von Konna.<br />

Dort wohn<strong>en</strong> im Aug<strong>en</strong>blick drei Weiße:<br />

drei junge Stud<strong>en</strong>t<strong>en</strong> aus Deutschland. Als sie<br />

von Mamadous Erkrankung hör<strong>en</strong>, komm<strong>en</strong><br />

sie vorbei, um d<strong>en</strong> klein<strong>en</strong>, sonst so fröhlich<strong>en</strong><br />

Jung<strong>en</strong> zu besuch<strong>en</strong>. Eine Stud<strong>en</strong>tin erzählt,<br />

dass sie jed<strong>en</strong> Tag eine Tablette nehm<strong>en</strong> müsste,<br />

um nicht an Malaria zu erkrank<strong>en</strong>.<br />

W<strong>en</strong>n ein Fremder aus einem malaria-<br />

105


106<br />

frei<strong>en</strong> Land in ein Malariagebiet fährt ohne<br />

prophylaktische Medikam<strong>en</strong>te einzunehm<strong>en</strong>,<br />

erkrankt er in der Regel ziemlich bald<br />

und ziemlich schwer an Malaria. Afrikaner<br />

leb<strong>en</strong> jedoch jahrzehntelang ohne Prophylaxe<br />

in der gleich<strong>en</strong> Geg<strong>en</strong>d ohne zu erkrank<strong>en</strong>.<br />

Über zwei verschied<strong>en</strong>e Mechanism<strong>en</strong><br />

g<strong>en</strong>ieß<strong>en</strong> M<strong>en</strong>sch<strong>en</strong> in Endemiegebiet<strong>en</strong><br />

ein<strong>en</strong> gewiss<strong>en</strong> Schutz vor Malaria. Zum<br />

ein<strong>en</strong> hab<strong>en</strong> sie die Erkrankung in der<br />

Regel als Kleinkind durchlitt<strong>en</strong>. Das hinterlässt<br />

zwar kein<strong>en</strong> völlige Immunität wie beispielsweise<br />

bei Windpock<strong>en</strong>, aber doch eine<br />

Teilimmunität, so dass die Erkrankung<br />

wes<strong>en</strong>tlich harmloser, wie eine Erkältungskrankheit,<br />

verläuft. Zum ander<strong>en</strong> gibt es<br />

unter Afrikanern viele M<strong>en</strong>sch<strong>en</strong> mit g<strong>en</strong>etisch<strong>en</strong><br />

Erkrankung<strong>en</strong> der rot<strong>en</strong> Blutkörperch<strong>en</strong>,<br />

z. B. Sichelzellanämie, Favismus<br />

oder Thalassämie. Homozygote und damit<br />

erkrankte M<strong>en</strong>sch<strong>en</strong> hab<strong>en</strong> unter bestimmt<strong>en</strong><br />

Bedingung<strong>en</strong> verformte oder zu w<strong>en</strong>ige<br />

rote Blutkörperch<strong>en</strong> und sterb<strong>en</strong> früh an<br />

d<strong>en</strong> Folg<strong>en</strong> der Erkrankung. Heterozygote<br />

M<strong>en</strong>sch<strong>en</strong>, die nicht erkrankt sind, aber die<br />

Krankheit an ihre Nachkomm<strong>en</strong> weitergeb<strong>en</strong><br />

könn<strong>en</strong>, hab<strong>en</strong> durch diese Funktionsstörung<br />

ein<strong>en</strong> relativ<strong>en</strong> Schutz vor Malaria.<br />

Entsprech<strong>en</strong>d komm<strong>en</strong> diese Krankheit<strong>en</strong><br />

fast nur in Malariagebiet<strong>en</strong> vor.<br />

Weiß<strong>en</strong> fehl<strong>en</strong> diese Schutzmechanism<strong>en</strong>.<br />

Entsprech<strong>en</strong>d müss<strong>en</strong> sie währ<strong>en</strong>d<br />

ihres Auf<strong>en</strong>thaltes in Malariagebiet<strong>en</strong> prophylaktische<br />

Medikam<strong>en</strong>te einnehm<strong>en</strong>. Für<br />

Fahrt<strong>en</strong> nach Afrika gibt es drei Alternativ<strong>en</strong>:<br />

Mefloquin (Lariam) muss nur wöch<strong>en</strong>tlich<br />

eing<strong>en</strong>omm<strong>en</strong> werd<strong>en</strong>, ist relativ billig<br />

und gut erprobt. Allerdings führt es bei<br />

etwa 10% der M<strong>en</strong>sch<strong>en</strong> zu psychisch<strong>en</strong><br />

Neb<strong>en</strong>wirkung<strong>en</strong> wie Schlafstörung<strong>en</strong>,<br />

Depression<strong>en</strong> oder Halluzination<strong>en</strong>.<br />

Atovaquon + Proguanil (Malarone) ist<br />

noch relativ neu, <strong>en</strong>tsprech<strong>en</strong>d teuer und<br />

muss täglich eing<strong>en</strong>omm<strong>en</strong> werd<strong>en</strong>. Dafür<br />

ist es wes<strong>en</strong>tlich besser verträglich als Lariam,<br />

als Neb<strong>en</strong>wirkung<strong>en</strong> tret<strong>en</strong> nur selt<strong>en</strong><br />

Mag<strong>en</strong>-Darm Beschwerd<strong>en</strong> auf.<br />

Doxycyclin ist eig<strong>en</strong>tlich in Deutschland<br />

nicht <strong>zur</strong> Malariaprophylaxe zugelass<strong>en</strong>, ist<br />

das billigste der drei Medikam<strong>en</strong>te und<br />

muss täglich eing<strong>en</strong>omm<strong>en</strong> werd<strong>en</strong>. Als<br />

Neb<strong>en</strong>wirkung führt es leider zu einer Photos<strong>en</strong>sibilisierung<br />

der Haut, so dass das<br />

Risiko für schwere Sonn<strong>en</strong>brände erhöht<br />

ist.<br />

Alle diese prophylaktisch<strong>en</strong> Medikam<strong>en</strong>te<br />

biet<strong>en</strong> kein<strong>en</strong> vollständig<strong>en</strong> Schutz vor<br />

Malaria. Entsprech<strong>en</strong>d ist es sehr wichtig,<br />

sich durch helle, lange Kleidung, Moskitonetze<br />

und insekt<strong>en</strong>abweis<strong>en</strong>de Repell<strong>en</strong>ts<br />

(Autan) vor Mück<strong>en</strong>stich<strong>en</strong> zu schütz<strong>en</strong>.<br />

Sorgfältiger Mück<strong>en</strong>schutz s<strong>en</strong>kt das Infektionsrisiko<br />

um d<strong>en</strong> Faktor 10!<br />

Roll back Malaria<br />

Am nächst<strong>en</strong> Tag kommt Kumba, Mamadous<br />

Schwester, ganz aufgeregt aus der Schule. Ein<br />

Mann wäre zu Besuch gewes<strong>en</strong>. Der habe<br />

erzählt, dass er für eine große Hilfsorganisation<br />

arbeite, die es sich zum Ziel gemacht habe,<br />

Malaria zu bekämpf<strong>en</strong>!<br />

Unter der Schirmherrschaft der WHO,<br />

UNDP, UNICEF und der World Bank gründet<strong>en</strong><br />

die afrikanisch<strong>en</strong> Länder 1998 die<br />

Initiative „Roll back Malaria“. Bei einer<br />

richtungsweis<strong>en</strong>d<strong>en</strong> Konfer<strong>en</strong>z im Jahr<br />

2000 in Abuja /Nigeria machte sich diese<br />

zum Ziel, bis 2010 die Anzahl der Malariaerkrankung<strong>en</strong><br />

zu halbier<strong>en</strong>. Um dies zu erreich<strong>en</strong><br />

soll<strong>en</strong> ärztliche Behandlung und Medikam<strong>en</strong>te<br />

besser verfügbar gemacht werd<strong>en</strong>,<br />

die Bevölkerung besser über Präv<strong>en</strong>tionsmaßnahm<strong>en</strong><br />

informiert werd<strong>en</strong> und Steuern<br />

auf Moskitonetze verringert werd<strong>en</strong>.<br />

Mamadou hat Glück gehabt: Off<strong>en</strong>bar hab<strong>en</strong><br />

die Medikam<strong>en</strong>te gewirkt! Schon nach einer<br />

Woche ist er wieder gesund und weckt morg<strong>en</strong>s<br />

um 6 Uhr wie gewöhnlich mit einem freundlich<strong>en</strong><br />

„Tubab“ (peulh für „Weisser“) die Stud<strong>en</strong>t<strong>en</strong><br />

im Gästehaus.<br />

Literatur<br />

· Melhorn et al.: Diagnostik und Therapie der<br />

Parasitos<strong>en</strong> des M<strong>en</strong>sch<strong>en</strong>“ 2. Auflage 1995,<br />

Gustav Fischer Verlag Stuttgart<br />

· Herold et al.: „Innere Medizin“ Gerd Herold,<br />

Köln<br />

· Porter: „Die Kunst des Heil<strong>en</strong>s. Eine medizinische<br />

Geschichte der M<strong>en</strong>schheit von der Antike<br />

bis heute“ 2. deutsche Auflage 2003, Spektrum,<br />

Akademischer Verlag, Heidelberg<br />

· Brockhaus „Conversationslexikon“ 1885<br />

· Gallup et al.: „The economic burd<strong>en</strong> of malaria“<br />

Am. J. Trop. Med. Hyg. 2001, Nr. 64, S.85-<br />

96<br />

· Leitlini<strong>en</strong> Trop<strong>en</strong>medizin der Universität Düsseldorf:<br />

www.uni-duesseldorf.de/awmf/ll/042-<br />

001p.htm<br />

· Malaria and the fall of rome:<br />

www.bbc.co.uk/history/anci<strong>en</strong>t/romans/malaria_print.html<br />

· C<strong>en</strong>ter for disease control and prev<strong>en</strong>tion, US:<br />

www.cdc.gov/malaria<br />

· WHO homepage mit dem Roll back malaria<br />

Programm: www.rbm.who.int


Good Governance<br />

Kehrseite eines M<strong>en</strong>sch<strong>en</strong>rechts auf Entwicklung oder Einschränkung staatlicher<br />

Souveränität ?<br />

von CHRISTOPH ALLMENDINGER<br />

er Begriff „Good Governance“ ist<br />

ein in letzter Zeit häufig gebrauchtes<br />

Schlagwort, das seit ca. zwei Jahrzehnt<strong>en</strong><br />

durch Politik und Presse schwirrt.<br />

Die WTO 1 proklamiert, Good Governance<br />

– gute Regierungsführung – sei die Voraussetzung<br />

für ein<strong>en</strong> höher<strong>en</strong> Leb<strong>en</strong>sstandart<br />

und nicht etwa umgekehrt sei Wohlstand<br />

die notw<strong>en</strong>dige Vorraussetzung für gutes<br />

Regier<strong>en</strong>. „Gute Regierungsführung“ – wie<br />

soll man d<strong>en</strong> Begriff fass<strong>en</strong>, wie mess<strong>en</strong>,<br />

welche Struktur<strong>en</strong> soll<strong>en</strong> ein gutes Regierungssystem<br />

ausmach<strong>en</strong>?<br />

Eine umfass<strong>en</strong>de Definition <strong>en</strong>thält Art.9<br />

Abs.3 des Cotonou-Abkomm<strong>en</strong> 2 zwisch<strong>en</strong><br />

der EG und d<strong>en</strong> sog. AKP Staat<strong>en</strong>: „In<br />

einem politisch<strong>en</strong> und institutionell<strong>en</strong><br />

Umfeld, in dem die M<strong>en</strong>sch<strong>en</strong>rechte, die<br />

demokratisch<strong>en</strong> Grundsätze und das Rechtstaatsprinzip<br />

geachtet werd<strong>en</strong>, ist verantwortungsvolle<br />

Staatsführung [Good Governance]<br />

die transpar<strong>en</strong>te und verantwortungsbewusste<br />

Verwaltung der<br />

„Good Governance is perhaps the single most<br />

important factor in eradicating poverty and<br />

promoting developm<strong>en</strong>t“<br />

Kofi Annan (UN-G<strong>en</strong>reralsektretär)<br />

m<strong>en</strong>schlich<strong>en</strong>, natürlich<strong>en</strong>, wirtschaftlich<strong>en</strong><br />

und finanziell<strong>en</strong> Ressourc<strong>en</strong> und ihr Einsatz<br />

für die ausgewog<strong>en</strong>e und nachhaltige<br />

Entwicklung. Sie beinhaltet klare Beschlussfassungsverfahr<strong>en</strong><br />

für Behörd<strong>en</strong>, transpar<strong>en</strong>te<br />

und verantwortungsvolle Institution<strong>en</strong>,<br />

d<strong>en</strong> Vorrang des Gesetzes bei der Verwaltung<br />

und Verteilung der Ressourc<strong>en</strong><br />

und Qualifizierung <strong>zur</strong> Ausarbeitung und<br />

Durchführung von Maßnahm<strong>en</strong> insbesondere<br />

<strong>zur</strong> Verhinderung und Bekämpfung<br />

der Korruption.“<br />

Good Governance ist demnach jedes<br />

staatliches Handeln, das praktisch und konkret<br />

d<strong>en</strong> nachhaltig<strong>en</strong>, wirtschaftlich<strong>en</strong> und<br />

sozial<strong>en</strong> Fortschritt eines Landes fördert<br />

und daher all<strong>en</strong> Schicht<strong>en</strong> des Volkes in<br />

angemess<strong>en</strong>er Weise zugute kommt. 3<br />

Doch darf nicht unberücksichtigt bleib<strong>en</strong>,<br />

dass keineswegs nur die staatlich<strong>en</strong><br />

Gewalt<strong>en</strong> Entscheidungsträger sind. Vielmehr<br />

ist die Regierung nur ein Akteur<br />

unter viel<strong>en</strong>. 4 Religiöse Führungsperson<strong>en</strong>,<br />

107


108<br />

Unternehm<strong>en</strong>, Partei<strong>en</strong>, das Militär, Großgrundbesitzer,<br />

Medi<strong>en</strong>, Lobbyist<strong>en</strong>, Internationale<br />

Geldgeber, um nur einige zu n<strong>en</strong>n<strong>en</strong>,<br />

sind eb<strong>en</strong>so wichtige Entscheidungsträger.<br />

Schließlich darf die Rolle der<br />

organisiert<strong>en</strong> Kriminalität nicht unterschätzt<br />

werd<strong>en</strong>.<br />

Nach der Definition im Cotonou-Abkomm<strong>en</strong>,<br />

aber auch nach vielfach<strong>en</strong> Verlautbarung<strong>en</strong><br />

etwa von d<strong>en</strong> Vereint<strong>en</strong> Nation<strong>en</strong><br />

oder der deutsch<strong>en</strong> GTZ, lässt sich gutes<br />

Regier<strong>en</strong> anhand von acht Parametern mess<strong>en</strong>.<br />

Dies sind (1) die Achtung, der Schutz<br />

und die Gewährleistung von M<strong>en</strong>sch<strong>en</strong>recht<strong>en</strong>,<br />

(2) die politische Teilhabe der Zivilgesellschaft,<br />

(3) Kons<strong>en</strong>sori<strong>en</strong>tierung im Rahm<strong>en</strong><br />

von demokratisch<strong>en</strong> Verfahr<strong>en</strong>, (4)<br />

Transpar<strong>en</strong>z und (5) Verlässlichkeit im Rahm<strong>en</strong><br />

staatlicher Entscheidung<strong>en</strong>, (6) Rechtsstaatlichkeit,<br />

(7) Effizi<strong>en</strong>z und Effektivität<br />

der öff<strong>en</strong>tlich<strong>en</strong> Verwaltung, (8) Gemeinwohlori<strong>en</strong>tierung<br />

staatlich<strong>en</strong> Handelns.<br />

Schon allein diese Aufzählung macht<br />

deutlich, dass Good Governance von einer<br />

Vielzahl der betroff<strong>en</strong><strong>en</strong> Staat<strong>en</strong> auch mittelfristig<br />

kaum erreichbar ist. Es erscheint<br />

schon fraglich, ob die sog. <strong>en</strong>twickelt<strong>en</strong><br />

Länder selbst diese Maßstäbe des gut<strong>en</strong><br />

Regier<strong>en</strong>s verwirklich<strong>en</strong>. Schließlich muss<br />

bei Betrachtung dieser Ziele darauf aufmerksam<br />

gemacht werd<strong>en</strong>, dass dies<strong>en</strong> Ziel<strong>en</strong><br />

das Verständnis eines europäisch<strong>en</strong><br />

Nationalstaates mitsamt einem westlich<strong>en</strong><br />

Verwaltungs- und Demokratieverständnis<br />

innewohnt. Ob aber das gute Regier<strong>en</strong> in<br />

einer modern<strong>en</strong> Industriegesellschaft an<br />

d<strong>en</strong> gleich<strong>en</strong> Parametern zu mess<strong>en</strong> ist, wie<br />

eine gute Regierung etwa in Kamerun kann<br />

aber durchaus kontrovers betrachtet werd<strong>en</strong>.<br />

Good Governance muss daher zunehm<strong>en</strong>d<br />

nicht als Forderung, sondern als Dialog<br />

der Industrieländer mit d<strong>en</strong> Entwicklungsländern<br />

verstand<strong>en</strong> werd<strong>en</strong>. Good<br />

Governance ist demnach kein Konzept und<br />

kein Rezept. Ein gutes Beispiel dafür bietet<br />

meiner Ansicht nach die Initiative von<br />

NEPAD. Zwisch<strong>en</strong> zahlreich<strong>en</strong> Staat<strong>en</strong> in<br />

Afrika wurde eine sog<strong>en</strong>anntes „peer<br />

review“ System 5 eingeführt, durch das sich<br />

die Staat<strong>en</strong> geg<strong>en</strong>seitig im Hinblick auf<br />

bestimmte Governance Kriteri<strong>en</strong> überprüf<strong>en</strong>.<br />

Die Überzeugung, dass die Maßstäbe der<br />

Good Governance bei der Verteilung von<br />

Entwicklungshilfe und Hilfsmaßnahm<strong>en</strong><br />

eine Rolle spiel<strong>en</strong> muss, hat seit d<strong>en</strong> 80er<br />

Jahr<strong>en</strong> mehr und mehr Eingang in die Leitlini<strong>en</strong><br />

fast aller supranationaler Entscheidungsträger<br />

auf dem Gebiet der Entwick-<br />

lungshilfe gefund<strong>en</strong>. So sieht beispielsweise<br />

der IWF Good Governance als eine der<br />

maßgeb<strong>en</strong>d<strong>en</strong> Elem<strong>en</strong>te von Rahm<strong>en</strong>bedingung<strong>en</strong><br />

an, in der Wirtschaft und Wohlstand<br />

wachs<strong>en</strong> könn<strong>en</strong>. Dabei wird freilich<br />

Wert darauf gelegt, dass nur solche Parameter<br />

von Good Governance Beachtung find<strong>en</strong>,<br />

die direkt mit ökonomisch<strong>en</strong> Aspekt<strong>en</strong><br />

zusamm<strong>en</strong>häng<strong>en</strong>. Diese Beschränkung ist<br />

notw<strong>en</strong>dig, da es nach der Satzung des IWF,<br />

nicht dess<strong>en</strong> Aufgabe ist, in die inner<strong>en</strong><br />

politisch<strong>en</strong> Angeleg<strong>en</strong>heit<strong>en</strong> eines Empfängerlandes<br />

einzugreif<strong>en</strong>. 6 Doch sind in d<strong>en</strong><br />

Leitlini<strong>en</strong> immerhin so z<strong>en</strong>trale Punkte, wie<br />

Rechtsstaatlichkeit, Effektivität und Verlässlichkeit<br />

der öff<strong>en</strong>tlich<strong>en</strong> Verwaltung oder<br />

auch g<strong>en</strong>erell der Kampf geg<strong>en</strong> Korruption<br />

zu find<strong>en</strong>. Dabei versteht sich der IWF<br />

einerseits als Di<strong>en</strong>stleister, der Good Governance<br />

beispielsweise durch administrative<br />

Unterstützung fördert. 7 Gleichzeitig fordert<br />

der IWF, dass bei Vergabe von Finanzhilfe<br />

der jeweilige Staat über seine Regierungsarbeit<br />

Rech<strong>en</strong>schaft ablegt.<br />

Warum Good Governance ?<br />

Es ist nicht weiter verwunderlich, dass ausgerechnet<br />

in international<strong>en</strong> Finanz- und<br />

Entwicklungshilfeorganisation<strong>en</strong> die Good<br />

Governance Prinzipi<strong>en</strong> besonder<strong>en</strong><br />

Anklang gefund<strong>en</strong> hab<strong>en</strong>. Schließlich war<strong>en</strong><br />

es Organisation<strong>en</strong> wie die Weltbank, der<br />

IWF oder die OECD die Mitte der 80er Jahre<br />

erkannt<strong>en</strong>, dass finanzielle Hilf<strong>en</strong> dann<br />

kein<strong>en</strong> Effekt auf eine positive Entwicklung<br />

der besonders arm<strong>en</strong> Staat<strong>en</strong> hatt<strong>en</strong>, w<strong>en</strong>n<br />

sie nicht auf stabile staatliche Rahm<strong>en</strong>bedingung<br />

traf<strong>en</strong>. So hätte sich in d<strong>en</strong> Ländern,<br />

die besonders viel finanzielle Mittel<br />

erhielt<strong>en</strong> weder schneller noch besser ein<br />

höheres Niveau an Leb<strong>en</strong>squalität eingestellt.<br />

8 Die Fehler der Entwicklungspolitik<br />

in der Vergang<strong>en</strong>heit sei<strong>en</strong> eb<strong>en</strong> gerade<br />

darin zu such<strong>en</strong>, dass man nur ökonomische<br />

nicht aber politische sprich „governance“<br />

– Aspekte beachtet hat. Entwicklungshilfe<br />

würde erst dann wirksam und effektiv,<br />

w<strong>en</strong>n sie sich nicht nur auf finanzielle und<br />

materielle Zuw<strong>en</strong>dung<strong>en</strong> beschränkt, sondern<br />

die Gewährung von finanzieller Unterstützung<br />

von der Reformpolitik des Empfängerlandes<br />

abhängig macht. Von Seit<strong>en</strong><br />

der UN Economic Commission for Africa<br />

wird verlautbart, dass Entwicklung ohne<br />

echte Demokratie, Friede, Achtung der<br />

M<strong>en</strong>sch<strong>en</strong>rechte sowie Good Governance<br />

unmöglich ist. 9<br />

Schließlich lässt sich Good Governance<br />

von einem weiter<strong>en</strong> Ansatz begründ<strong>en</strong>. Vie-


le Entwicklungsländer fordern schon seit<br />

der Dekolonialisierung ein Recht auf Entwicklungshilfe<br />

10 . Dieses „unveräußerliche<br />

M<strong>en</strong>sch<strong>en</strong>recht“ wurde seit Mitte der<br />

70erJahre in zahlreiche Resolution<strong>en</strong> und<br />

völkerrechtliche Verträge aufg<strong>en</strong>omm<strong>en</strong>. 11<br />

Auch in der Mill<strong>en</strong>nium Declaration der<br />

UN wird von einem Recht auf Entwicklung<br />

als integraler Bestandteil der fundam<strong>en</strong>tal<strong>en</strong><br />

M<strong>en</strong>sch<strong>en</strong>rechte gesproch<strong>en</strong>. Lediglich<br />

vor diesem Hintergrund lass<strong>en</strong> sich die zum<br />

Teil stark<strong>en</strong> Eingriffe in die staatliche Souveränität<br />

durch das Good Governance Prinzip<br />

rechtfertig<strong>en</strong>. 12 Good Governance kann<br />

insofern als die Kehrseite des Rechts auf<br />

Entwicklung bezeichnet werd<strong>en</strong>.<br />

Bedeutung von Good Governance und<br />

Kritik<br />

Mit der Aufnahme von Good Governance<br />

als eines der Mill<strong>en</strong>nium Developm<strong>en</strong>t<br />

Goals der Vereint<strong>en</strong> Nation<strong>en</strong>, wird die<br />

Bedeutung des Konzepts und die Diskussion<br />

darüber wohl noch zunehm<strong>en</strong>. Dabei<br />

hat die Völkergemeinschaft der Good<br />

Governance in zweierlei Hinsicht Bedeutung<br />

zugesproch<strong>en</strong>. Einerseits ist Good<br />

Governance ein Ziel an sich, andererseits<br />

eine wichtige Voraussetzung für m<strong>en</strong>schliche<br />

Entwicklung und d<strong>en</strong> Erfolg von<br />

Armutsbekämpfung und Fried<strong>en</strong>ssicherung.<br />

Zunehm<strong>en</strong>d wird aber auch Kritik an<br />

Good Governance laut. Kritisch wird vor<br />

allem geseh<strong>en</strong>, dass durch Good Governance<br />

massiv in die staatliche Souveränität der<br />

Staat<strong>en</strong> eingegriff<strong>en</strong> wird. Es kann zumindest<br />

bezweifelt werd<strong>en</strong>, dass von auß<strong>en</strong> aufgedrängte<br />

Reform<strong>en</strong> langfristig zu politischer<br />

Stabilität, Demokratie und Wohlstand<br />

führ<strong>en</strong>.<br />

Stieglitz kritisiert, Good Governance sei<br />

kein ideologiefreies Konzept. 13 Der Staat<br />

würde dabei nicht gestärkt, sondern durch<br />

eine Ökonomisierung geschwächt. Wie bei<br />

Stieglitz geht die Kritik an Good Governance<br />

vielfach auch mit einer g<strong>en</strong>erell<strong>en</strong> Kritik<br />

an d<strong>en</strong> Effekt<strong>en</strong> der Globalisierung einher.<br />

Schließlich wird dem Good Governance<br />

Konzept vorgeworf<strong>en</strong> es handle sich um ein<br />

Konzept des „neokolonialistischem Imperialismus“.<br />

Meiner Meinung nach sollte man mit solch<strong>en</strong><br />

Schlagwörtern vorsichtig sein, zumal<br />

sie meist nicht die Probleme b<strong>en</strong><strong>en</strong>n<strong>en</strong>.<br />

Andererseits preis<strong>en</strong> viele Aussag<strong>en</strong> von<br />

Entwicklungspolitikern oder auch die obige<br />

von Kofi Annan Good Governance als Allheilmittel<br />

und als neue Hoffnung Afrikas.<br />

Doch sollte man bei der Anw<strong>en</strong>dung des<br />

Good Governance Begriffs bed<strong>en</strong>k<strong>en</strong>, dass<br />

die Grundrechte, wie sie etwa die UN<br />

anw<strong>en</strong>det, vielfach von europäisch<strong>en</strong> und<br />

westlich<strong>en</strong> Wertvorstellung<strong>en</strong> geprägt sind<br />

und insofern nicht kulturell neutral sind.<br />

Man sollte deshalb bei Reform-Forderung<strong>en</strong><br />

die kulturell<strong>en</strong> Struktur<strong>en</strong> berücksichtig<strong>en</strong>.<br />

Schließlich ist es wichtig festzuhalt<strong>en</strong>,<br />

dass es keine Blaupause für Good Governance<br />

gibt. 14 Ein richtiges Verständnis von<br />

Good Governance ist damit wohl j<strong>en</strong>es, das<br />

d<strong>en</strong> Dialog über die richtige Regierung in<br />

d<strong>en</strong> Fordergrund stellt. Die vergang<strong>en</strong><strong>en</strong><br />

Jahrzehnte Entwicklungspolitik sollt<strong>en</strong> uns<br />

gelehrt hab<strong>en</strong>, vorsichtiger mit derartig<strong>en</strong><br />

Konzept<strong>en</strong> umzugeh<strong>en</strong>. Es kann somit nur<br />

hilfreich sein, w<strong>en</strong>n Good Governance ein<br />

streitbarer Begriff bleibt.<br />

1 Handelsblatt vom 10.05.2005 Seite 8 im Bezug auf<br />

ein<strong>en</strong> von der WTO veröff<strong>en</strong>tlicht<strong>en</strong> Bericht.<br />

2 Abkomm<strong>en</strong> von Cotonou, ABl. 2000, Nr. L 317<br />

S.3.<br />

3 Ähnlich Rudolf Dolzer in: Völkerrecht, Hrsg. V.<br />

Vitzthum, 3.Auflage.<br />

4 http://www.unescap.org – United Nations Economic<br />

and Social Commission for Asia and Pacific<br />

5 African Peer Review Mechanism vom 8.7.2002 in<br />

Durban – www.au2002.gov.za/docs/summit_council/aprm.htm<br />

6 Art. 1 [iii] des „Agreem<strong>en</strong>t of the International<br />

Monetary Fund“ vom 22.07.1944 in Bretton<br />

Woods,USA.; Dolzer in: Völkerrecht, Hrsg. v. W.<br />

Vitzthum, 3.Auflage.<br />

7 http://www.imf.org/external/np/exr/facts/gov.<br />

htm<br />

8 hierzu ww.economicsuisse.ch Referant von Dr.<br />

Rudolf Walser; mit verweis auf Weder, Beatrice,<br />

Foreign Aid Institutions and Developm<strong>en</strong>t: What<br />

are the Lessons from fourt decades of international<br />

coopartion ? Basel 2000.<br />

9 http://www.uneca.org/agr/agr<strong>en</strong>.pdf<br />

10 Christian Tomuschat, Human Rights- Betwe<strong>en</strong><br />

Idealism and Realism, Oxford 2003, S.48; R. Dolzer<br />

S. 476f. in Vitzthum-Völkerrecht, 3.Auflage.<br />

11 siehe nur: GA Res. 41/128 v. 4.12.1986 „ Declaration<br />

on the Right to Developm<strong>en</strong>t“<br />

(www.un.org/docum<strong>en</strong>ts/ga/res/41/a41r128.htm<br />

) oder auch Wi<strong>en</strong>er M<strong>en</strong>sch<strong>en</strong>rechtserklärung v.<br />

25.6.1993<br />

(www.unhchr.ch/huridocda/huridoca.nsf/(Symbol)/A.CONF.157.23.En?Op<strong>en</strong>Docum<strong>en</strong>t).<br />

12 Dolzer S.483 in Vitzthum – Völkerrecht 3.Auflage.<br />

13 Joseph Stieglitz -Die Schatt<strong>en</strong> der Globalisierung ,<br />

2002, S.33.<br />

14 dies eingesteh<strong>en</strong>d-im folg<strong>en</strong>d<strong>en</strong> aber durchaus<br />

widersprüchlich Lugera Klemp, Roman Poeschke<br />

„ Good Governance geg<strong>en</strong> Armut und Staatsversag<strong>en</strong>“<br />

www.bpb.de/publikation<strong>en</strong>/KKJQB.html;<br />

APuZ 28-29, 2005.<br />

109


110<br />

NePAD – Afrika hilft sich selbst<br />

von MARKUS BECKMANN<br />

ürgerkrieg, Dürr<strong>en</strong>, AIDS-Wais<strong>en</strong> und<br />

wirtschaftlicher Misere. Afrika<br />

kämpft mit massiv<strong>en</strong> Problem<strong>en</strong>. Der<br />

Anteil am Welthandel ist von 7,4% 1948 auf<br />

unter 2% gefall<strong>en</strong>, das Bruttosozialprodukt<br />

pro Kopf sinkt in viel<strong>en</strong> Ländern, und die<br />

Leb<strong>en</strong>serwartung ist aufgrund der AIDS-<br />

Pandemie z. T. drastisch gesunk<strong>en</strong>. Diese<br />

dräng<strong>en</strong>d<strong>en</strong> Probleme Afrikas nehm<strong>en</strong><br />

auch die reich<strong>en</strong> Industri<strong>en</strong>ation<strong>en</strong> mit in<br />

Verantwortung. Gleichzeitig zeichn<strong>en</strong> sie<br />

nur ein einseitiges Bild vom Schwarz<strong>en</strong><br />

Kontin<strong>en</strong>t. D<strong>en</strong>n in Afrika gibt es nicht nur<br />

Probleme. Es gibt auch Hoffnung. Dabei ist<br />

vor allem ermutig<strong>en</strong>d, dass besonders viel<br />

versprech<strong>en</strong>de Ansätze für Afrika in Afrika<br />

selbst <strong>en</strong>tsteh<strong>en</strong>. NePAD, die „Neue Partnerschaft<br />

für die Entwicklung Afrikas“, ist<br />

ein Beispiel dafür, wie Afrika aus der eig<strong>en</strong><strong>en</strong><br />

Situation heraus selbständig neue<br />

Lösungsansätze <strong>en</strong>twickelt.<br />

A New Partnership for Africa’s Developm<strong>en</strong>t<br />

In d<strong>en</strong> vergang<strong>en</strong><strong>en</strong> Jahr<strong>en</strong> gelangte man<br />

im weltweit<strong>en</strong> Kampf geg<strong>en</strong> Armut zu der<br />

Erk<strong>en</strong>ntnis, dass ein wes<strong>en</strong>tlicher Schwerpunkt<br />

der Entwicklungszusamm<strong>en</strong>arbeit<br />

auf die institutionell<strong>en</strong> Rahm<strong>en</strong>bedingun-<br />

g<strong>en</strong> gelegt werd<strong>en</strong> müsste. Demokratie ist<br />

in diesem Sinne kein Luxus, sondern eine<br />

Voraussetzung für ein institutionelles<br />

Umfeld, das eine langfristig stabile wirtschaftliche<br />

Modernisierung einleitet und<br />

überdies zu einer intern<strong>en</strong> wie extern<strong>en</strong><br />

Befriedung besteh<strong>en</strong>der Konflikte beiträgt.<br />

Vor diesem Hintergrund präs<strong>en</strong>tiert sich<br />

NePAD als eine Initiative, die von Afrikanern<br />

als Antwort auf die spezifisch<strong>en</strong> Probleme<br />

Afrikas zugeschnitt<strong>en</strong> wurde.<br />

Im September 2000 verständigt<strong>en</strong> sich<br />

die Mitgliedsstaat<strong>en</strong> der Vereint<strong>en</strong> Nation<strong>en</strong><br />

in d<strong>en</strong> Mill<strong>en</strong>nium Developm<strong>en</strong>t Goals<br />

auf das Ziel, die extreme Armut und d<strong>en</strong><br />

Hunger weltweit – gemess<strong>en</strong> an d<strong>en</strong> Zahl<strong>en</strong><br />

von 1990 – bis zum Jahr 2015 zu halbier<strong>en</strong>.<br />

Ein Jahr später wurde auf dem Gipfel der<br />

Organisation für Afrikanische Einheit (heute<br />

die Afrikanische Union) die „New Partnership<br />

for Africa’s Developm<strong>en</strong>t“ (NePAD)<br />

initiiert. Vorgänger der NePAD Initiative<br />

war<strong>en</strong> der „Mill<strong>en</strong>nium Africa Plan“ des<br />

südafrikanisch<strong>en</strong> Präsid<strong>en</strong>t<strong>en</strong> Thabo Mbeki<br />

sowie der OMEGA Plan des s<strong>en</strong>egalesisch<strong>en</strong><br />

Präsid<strong>en</strong>t<strong>en</strong> Abdoulaye Wade. Aufbau<strong>en</strong>d<br />

auf dies<strong>en</strong> beid<strong>en</strong> Plän<strong>en</strong> initiiert<strong>en</strong><br />

Südafrika und S<strong>en</strong>egal gemeinsam mit d<strong>en</strong><br />

Präsid<strong>en</strong>t<strong>en</strong> Algeri<strong>en</strong>s, Nigerias und Ägyp-


t<strong>en</strong>s d<strong>en</strong> gemeinsam<strong>en</strong> Plan einer „New<br />

Partnership for Africa’s Developm<strong>en</strong>t“. Dies<strong>en</strong><br />

ursprünglich<strong>en</strong> fünf Gründungsstaat<strong>en</strong><br />

hat sich seitdem die große Mehrzahl der<br />

afrikanisch<strong>en</strong> Staat<strong>en</strong> angeschloss<strong>en</strong>. Auch<br />

Kamerun ist NePAD eb<strong>en</strong>falls beigetret<strong>en</strong>.<br />

Die NePAD Initiative greift die Ziele der<br />

Mill<strong>en</strong>nium Developm<strong>en</strong>t Goals der Vereint<strong>en</strong><br />

Nation<strong>en</strong> auf, formuliert aber weiter<br />

geh<strong>en</strong>de Entwicklungsvision<strong>en</strong> und bietet<br />

darüber hinaus d<strong>en</strong> Industriestaat<strong>en</strong> ein<strong>en</strong><br />

konkret<strong>en</strong> Entwicklungspakt an. Die Gründer<br />

der NePAD verort<strong>en</strong> die Ursach<strong>en</strong> der<br />

Probleme Afrikas im Erbe des Kalt<strong>en</strong><br />

Kriegs und der Kolonialzeit, in der fehl<strong>en</strong>d<strong>en</strong><br />

Integration Afrikas in die Globalisierung<br />

sowie im Missmanagem<strong>en</strong>t und der<br />

Korruption vieler Regierung<strong>en</strong><br />

vor Ort. Das Anlieg<strong>en</strong> NePADs<br />

liegt vor diesem Hintergrund<br />

darin, die Beziehung Afrikas zu<br />

d<strong>en</strong> Industriestaat<strong>en</strong> des Nord<strong>en</strong>s<br />

grundleg<strong>en</strong>d zu transformier<strong>en</strong><br />

und zu einer Partnerschaft<br />

unter Gleich<strong>en</strong> weiterzu<strong>en</strong>twickeln.<br />

Grundlage dieser<br />

Partnerschaft ist ein gemeinsames<br />

Ziel: Die nachhaltige Entwicklung<br />

Afrikas nicht als ein<br />

wohltätiger Akt der Barmherzigkeit,<br />

sondern als wechselseitige<br />

Besserstellung und Beitrag zu<br />

globaler Sicherheit und Prosperität.<br />

Bereits die Pläne Mbekis und<br />

Wades hatt<strong>en</strong> für eine „Afrikanische<br />

Strategie für die Globalisierung“<br />

geworb<strong>en</strong>, bei der die Hauptverantwortung<br />

für Afrikas Zukunft in erster Linie von d<strong>en</strong><br />

Afrikanern übernomm<strong>en</strong> wird. Analog<br />

erk<strong>en</strong>nt NePAD explizit an, dass es zunächst<br />

einmal Aufgabe der afrikanisch<strong>en</strong> Staat<strong>en</strong><br />

selbst – und nicht der international<strong>en</strong> Politik<br />

– sei, sich d<strong>en</strong> gemeinsam<strong>en</strong> Herausforderung<strong>en</strong><br />

zu stell<strong>en</strong>. In diesem Sinne fokussiert<br />

NePAD auf eine Reihe von Prinzipi<strong>en</strong>,<br />

der<strong>en</strong> wichtigste gute Regierungsführung<br />

(good governance), afrikanische „ownership“,<br />

Partizipation der Bevölkerung sowie<br />

regionale und kontin<strong>en</strong>tale Integration<br />

umfass<strong>en</strong> und die durch ein<strong>en</strong> differ<strong>en</strong>ziert<strong>en</strong><br />

Entwicklungsplan erreicht werd<strong>en</strong> soll<strong>en</strong>.<br />

Maßnahm<strong>en</strong> und Entwicklungsplan<br />

NePADs Entwicklungsplan sieht zahlreiche<br />

mittel- und langfristige Maßnahm<strong>en</strong> im<br />

politisch<strong>en</strong> und wirtschaftspolitisch<strong>en</strong><br />

Bereich vor, um Demokratie und wirtschaft-<br />

Die nachhaltige Entwicklung<br />

Afrikas ist<br />

kein wohltätiger Akt<br />

der Barmherzigkeit,<br />

sondern eine wechselseitige<br />

Besserstellung<br />

und Beitrag zu globaler<br />

Sicherheit und Prosperität.<br />

liche Entwicklung in Afrika voranzubring<strong>en</strong>.<br />

Im Fokus liegt eine Verbesserung der<br />

wirtschaftspolitisch<strong>en</strong> Rahm<strong>en</strong>bedingung<strong>en</strong>.<br />

Um die afrikanisch<strong>en</strong> Länder für nationale<br />

und insbesondere für internationale<br />

Investor<strong>en</strong> attraktiver zu gestalt<strong>en</strong>, bemüht<br />

man sich um eine Sicherung makro-ökonomischer<br />

Stabilität, die Schaffung eines effizi<strong>en</strong>t<strong>en</strong><br />

und transpar<strong>en</strong>t<strong>en</strong> Kapitalmarktes<br />

sowie um die Gewährung von Rechtssicherheit.<br />

Im politisch<strong>en</strong> Bereich werd<strong>en</strong> Reform<strong>en</strong><br />

angestrebt, um auf regionaler und kontin<strong>en</strong>taler<br />

Eb<strong>en</strong>e Konfliktpräv<strong>en</strong>tionsmechanism<strong>en</strong><br />

zu etablier<strong>en</strong> und demokratische<br />

Grundordnung<strong>en</strong> zu fördern. Im Sinne von<br />

good governance gilt es zudem, nationale<br />

und lokale staatliche Institution<strong>en</strong><br />

zu stärk<strong>en</strong> und die Einbindung<br />

der Zivilgesellschaft sinnvoll<br />

zu <strong>en</strong>twickeln.<br />

Eine besondere Neuerung<br />

stellt ein innovatives Informations-<br />

und Kontroll-Instrum<strong>en</strong>t<br />

dar. Der so g<strong>en</strong>annte „African<br />

Peer Review Mechanism“<br />

(APRM) zielt auf die Etablierung<br />

eines Systems wechselseitiger<br />

Kontrolle: Um nach inn<strong>en</strong><br />

wie auß<strong>en</strong> ihrem Engagem<strong>en</strong>t<br />

für Rechtsstaatlichkeit und<br />

Demokratie eine größere Glaubwürdigkeit<br />

zu verleih<strong>en</strong>, hab<strong>en</strong><br />

die Staats- und Regierungschefs<br />

der beteiligt<strong>en</strong> Länder verabredet,<br />

sich anhand von Bericht<strong>en</strong><br />

ausgewählter Expert<strong>en</strong> gemeinschaftlich im<br />

Hinblick auf die Einhaltung der selbst auferlegt<strong>en</strong><br />

Grundsätze wechselseitig zu überwach<strong>en</strong>.<br />

NePAD in d<strong>en</strong> Aug<strong>en</strong> der Kritiker<br />

Die an NePAD beteiligt<strong>en</strong> Länder hab<strong>en</strong><br />

sich im gemeinsam<strong>en</strong> Entwicklungsplan<br />

ehrgeizige Ziele gesetzt. Um diese d<strong>en</strong> Mill<strong>en</strong>nium<br />

Developm<strong>en</strong>t Goals <strong>en</strong>tlehnt<strong>en</strong> Ziele<br />

zu erreich<strong>en</strong>, b<strong>en</strong>ötig<strong>en</strong> die NePAD-Staat<strong>en</strong><br />

ein jährliches Wirtschaftswachstum von<br />

sieb<strong>en</strong> Proz<strong>en</strong>t. Die Reaktion der Weltöff<strong>en</strong>tlichkeit<br />

auf diese Pläne fiel sehr unterschiedlich<br />

aus. Europäische Union und die<br />

G8-Staat<strong>en</strong> begrüßt<strong>en</strong> NePAD mit der Hoffnung<br />

auf mehr Demokratie und Entwicklung<br />

in Afrika. Kritiker seh<strong>en</strong> in diesem<br />

Vorhab<strong>en</strong> jedoch nicht viel mehr als ein<strong>en</strong><br />

neuerlich<strong>en</strong> Versuch, höhere Entwicklungsgelder<br />

zu bezieh<strong>en</strong>. Angesichts der <strong>zur</strong>ückhalt<strong>en</strong>d<strong>en</strong><br />

Position der NePAD geg<strong>en</strong>über<br />

dem schwel<strong>en</strong>d<strong>en</strong> Konflikt in Simbabwe<br />

111


112<br />

stell<strong>en</strong> andere Kritiker wiederum die Glaubwürdigkeit<br />

des Programms grundleg<strong>en</strong>d in<br />

Frage.<br />

Eine weitere Stoßrichtung der Kritik<br />

bemängelt eine vermeintlich einseitige<br />

Schwerpunktsetzung von NePAD. Dieser<br />

Meinung zufolgt ist NePAD zu einseitig auf<br />

die Verbesserung der wirtschaftspolitisch<strong>en</strong><br />

Rahm<strong>en</strong>bedingung<strong>en</strong> für afrikanische Länder<br />

ausgerichtet. In d<strong>en</strong> Aug<strong>en</strong> dieser Kritiker<br />

stellt NePAD ein neo-liberales, wirtschaftlich<br />

dominiertes Manifest dar, das die<br />

Bevölkerung Afrikas nur un<strong>zur</strong>eich<strong>en</strong>d einbeziehe<br />

und die demokratische Vision auf<br />

eine Schaffung funktionier<strong>en</strong>der Märkte<br />

reduziere.<br />

Die Schwierigkeit demokratischer Transformationsprozesse<br />

Eine Beurteilung der NePAD Initiative ist<br />

nicht ohne eine Berücksichtigung der spezifisch<strong>en</strong><br />

Problemlage in Afrika möglich. In<br />

viel<strong>en</strong> afrikanisch<strong>en</strong> Ländern ist die politische<br />

Macht nicht demokratisch verteilt, sondern<br />

liegt in d<strong>en</strong> Händ<strong>en</strong> einer Minderheit.<br />

Clans, Sipp<strong>en</strong> oder Partei<strong>en</strong> bestimm<strong>en</strong> die<br />

Geschicke des Staates und sichern sich – oft<br />

zum Nachteil der Bevölkerungsmehrheit –<br />

das größte Stück des zu verteil<strong>en</strong>d<strong>en</strong><br />

Kuch<strong>en</strong>s. So wünsch<strong>en</strong>swert demokratische<br />

Reform<strong>en</strong> aus Gerechtigkeitsgründ<strong>en</strong> hier<br />

erschein<strong>en</strong>, so schwierig erweis<strong>en</strong> sie sich<br />

jedoch. Eine einseitige Besserstellung der<br />

B<strong>en</strong>achteiligt<strong>en</strong> würde zwangsläufig Verlierer<br />

auf Seit<strong>en</strong> der Herrsch<strong>en</strong>d<strong>en</strong> produzier<strong>en</strong>.<br />

Diese sind oftmals unter Einsatz von<br />

Waff<strong>en</strong>gewalt bereit, ihre Besitzstände zu<br />

verteidig<strong>en</strong>. Tatsächlich zeig<strong>en</strong> empirische<br />

Studi<strong>en</strong>, dass autokratische Länder, in<br />

d<strong>en</strong><strong>en</strong> einzelne demokratische Elem<strong>en</strong>t eingeführt<br />

werd<strong>en</strong>, mit einer überdurchschnittlich<strong>en</strong><br />

Wahrscheinlichkeit in Bürgerkriege<br />

abdrift<strong>en</strong>. Das Ausüb<strong>en</strong> äußer<strong>en</strong><br />

Drucks, um demokratische Reform<strong>en</strong> zu<br />

erzwing<strong>en</strong>, führt hier im schlimmst<strong>en</strong> Fall<br />

zu politischer Gewalt. Die herrsch<strong>en</strong>de Elite<br />

wird alles tun, um ihr Stück des zu verteil<strong>en</strong>d<strong>en</strong><br />

Kuch<strong>en</strong>s zu sichern.<br />

Paradoxerweise ist das Problem autokratischer<br />

Regime ein Problem sowohl der<br />

Beherrscht<strong>en</strong> als auch der Herrsch<strong>en</strong>d<strong>en</strong>.<br />

D<strong>en</strong>n durch die Ausbeutung großer Teile<br />

der Bevölkerung bleibt der gemeinsam zu<br />

verteil<strong>en</strong>de Kuch<strong>en</strong> schlichtweg klein: Da<br />

die Beherrscht<strong>en</strong> fürcht<strong>en</strong> müss<strong>en</strong>, durch<br />

Ausbeutung um die Erträge ihrer Arbeit<br />

gebracht zu werd<strong>en</strong>, werd<strong>en</strong> Eig<strong>en</strong>initiative,<br />

Erfindergeist und Investition<strong>en</strong> an d<strong>en</strong><br />

Rand gedrängt. Zwar erhalt<strong>en</strong> die Herrsch<strong>en</strong>d<strong>en</strong><br />

das größte Stück des (klein<strong>en</strong>!)<br />

Kuch<strong>en</strong>s. Allerdings wäre in einer demokratisch<strong>en</strong><br />

Gesellschaft, in der alle gleiche<br />

Rechte g<strong>en</strong>ieß<strong>en</strong> und ein<strong>en</strong> Anreiz hab<strong>en</strong>,<br />

sich mit ihr<strong>en</strong> Fähigkeit<strong>en</strong> voll einzubring<strong>en</strong>,<br />

der zu verteil<strong>en</strong>de Kuch<strong>en</strong> ungleich<br />

größer: Selbst ein kleinerer Anteil dieses<br />

groß<strong>en</strong> Kuch<strong>en</strong>s könnte für die Herrsch<strong>en</strong>d<strong>en</strong><br />

eine (zustimmungsfähige!) Verbesserung<br />

darstell<strong>en</strong>.<br />

Für d<strong>en</strong> herrsch<strong>en</strong>d<strong>en</strong> Clan wäre es vorteilhaft,<br />

ein kleineres Stück des volkswirtschaftlich<strong>en</strong><br />

Kuch<strong>en</strong>s zu bekomm<strong>en</strong>, w<strong>en</strong>n<br />

dadurch der Kuch<strong>en</strong> überdurchschnittlich<br />

größer wird. Die bloße Ankündigung, sich<br />

mit einem kleiner<strong>en</strong> Anteil zu begnüg<strong>en</strong>,<br />

reicht jedoch nicht aus. D<strong>en</strong>n wächst der zu<br />

verteil<strong>en</strong>d<strong>en</strong> Kuch<strong>en</strong> tatsächlich, hätte der<br />

Clan ein großes Interesse, das eig<strong>en</strong>e Versprech<strong>en</strong><br />

im Nachhinein zu brech<strong>en</strong> und<br />

sich ankündigungswidrig d<strong>en</strong> größtmöglich<strong>en</strong><br />

Teil des Kuch<strong>en</strong>s anzueign<strong>en</strong>. Die Folge<br />

ist, dass diese Ausbeutungsgefahr antizipiert<br />

wird, so dass es erst gar nicht zu Investition<strong>en</strong>,<br />

Eig<strong>en</strong>initiative und Erfindergeist<br />

kommt, die für alle Beteiligt<strong>en</strong> vorteilhaft<br />

wär<strong>en</strong>.<br />

Aufgrund der Fehlanreize, das eig<strong>en</strong>e<br />

Versprech<strong>en</strong> zu brech<strong>en</strong>, <strong>en</strong>tsteht in Autokrati<strong>en</strong><br />

eine kollektive Selbstschädigung, so<br />

dass die Gesellschaft insgesamt unter ihr<strong>en</strong><br />

Möglichkeit<strong>en</strong> bleibt. Um diese soziale Falle,<br />

in der viele autokratische Regime gefang<strong>en</strong><br />

sind, in eine kollektive Besserstellung<br />

münd<strong>en</strong> zu lass<strong>en</strong>, muss die Ankündigung


der politisch Herrsch<strong>en</strong>d<strong>en</strong> glaubwürdig<br />

(gemacht) werd<strong>en</strong>. Hierfür werd<strong>en</strong> sanktionsbewehrte<br />

Bindungsmechanism<strong>en</strong> wichtig.<br />

Nur dann, w<strong>en</strong>n es für die herrsch<strong>en</strong>de<br />

Elite hinreich<strong>en</strong>d teuer wäre, ihr Versprech<strong>en</strong><br />

zu brech<strong>en</strong>, kann die Bevölkerung darauf<br />

vertrau<strong>en</strong>, auch tatsächlich in d<strong>en</strong><br />

G<strong>en</strong>uss der Früchte ihrer Arbeit zu komm<strong>en</strong>.<br />

Nur in der Erwartung, selbst ernt<strong>en</strong><br />

zu könn<strong>en</strong>, wird überhaupt gesät werd<strong>en</strong>.<br />

Ein Beispiel für die erfolgreiche Wirkung<br />

solcher Bindungsmechanism<strong>en</strong> ist die Entwicklung<br />

der Türkei. Durch die Aussicht<br />

auf eine EU-Mitgliedschaft wurd<strong>en</strong> demokratische<br />

Reform<strong>en</strong> nach inn<strong>en</strong> glaubwürdig<br />

und stärkt<strong>en</strong> Rechtssicherheit und Vertrau<strong>en</strong><br />

in die staatlich<strong>en</strong> Institution<strong>en</strong>. Als<br />

Folge zeichnet sich bereits jetzt ein dynamisches<br />

Wirtschaftswachstum ab, von dem<br />

auch j<strong>en</strong>e Grupp<strong>en</strong> profitier<strong>en</strong>, die in d<strong>en</strong><br />

vergang<strong>en</strong><strong>en</strong> Jahr<strong>en</strong> Privilegi<strong>en</strong> aufgegeb<strong>en</strong><br />

hab<strong>en</strong>.<br />

NePAD als Hilfe <strong>zur</strong> Selbsthilfe auf dem<br />

Weg zu Demokratie<br />

Demokratisierung und wirtschaftliche Entwicklung<br />

könn<strong>en</strong> nicht getr<strong>en</strong>nt betrachtet<br />

werd<strong>en</strong>. Einerseits hängt es von der Politik<br />

ab, wie gut sich die Wirtschaft <strong>en</strong>twickelt,<br />

d<strong>en</strong>n hier werd<strong>en</strong> die Anreize gesetzt, ob<br />

Ressourc<strong>en</strong> produktiv verw<strong>en</strong>det werd<strong>en</strong><br />

oder nicht. Andererseits kommt es auf die<br />

Wirtschaft an, ob ein politisches Regime<br />

tragfähig ist. Von der Wirtschaft hängt<br />

eb<strong>en</strong>falls ab, ob der Übergang vom autokratisch<strong>en</strong><br />

zum demokratisch<strong>en</strong> Regime möglich<br />

ist. Vor diesem Hintergrund hat<br />

NePAD das Pot<strong>en</strong>tial, Demokratie und wirtschaftliche<br />

Entwicklung gleichermaß<strong>en</strong> zu<br />

befördern.<br />

Demokratische Reform<strong>en</strong> erfordern politische<br />

Glaubwürdigkeit. Hier ist der „African<br />

Peer Review Mechanism“ (APRM) als<br />

innovatives Elem<strong>en</strong>t politischer Selbstbindung<br />

zu begrüß<strong>en</strong>. Dieses Monitoring-<br />

System lässt sich als Versuch interpretier<strong>en</strong>,<br />

Glaubwürdigkeit gleichsam von auß<strong>en</strong> zu<br />

importier<strong>en</strong>: Währ<strong>en</strong>d eine bloße Ankündigung<br />

bestimmter Maßnahm<strong>en</strong> aufgrund<br />

zahlreicher <strong>en</strong>ttäusch<strong>en</strong>der Erfahrung<strong>en</strong> in<br />

der Vergang<strong>en</strong>heit Gefahr liefe, inn<strong>en</strong>politisch<br />

folg<strong>en</strong>los zu bleib<strong>en</strong>, sorgt dieses kollektive<br />

Arrangem<strong>en</strong>t für eine größere<br />

Transpar<strong>en</strong>z und Verlässlichkeit der angekündigt<strong>en</strong><br />

Selbstbindung<strong>en</strong>. Gleichzeitig<br />

trägt die wirtschaftspolitische Ausrichtung<br />

von NePAD der Einsicht Rechnung, dass<br />

politische Reform<strong>en</strong> nicht im luftleer<strong>en</strong><br />

Raum greif<strong>en</strong> könn<strong>en</strong>. Vielmehr wird Wirt-<br />

schaftswachstum nötig, um die politische<br />

Transformation <strong>zur</strong> Demokratie zu stabilisier<strong>en</strong>.<br />

Fazit<br />

Hinsichtlich der ehrgeizig<strong>en</strong> Ziele unterscheidet<br />

sich NePAD nicht von zahlreich<strong>en</strong><br />

ander<strong>en</strong>, seit 1960 immer wieder gescheitert<strong>en</strong>,<br />

Entwicklungsstrategi<strong>en</strong> für Afrika. Was<br />

NePAD dageg<strong>en</strong> auszeichnet, sind folg<strong>en</strong>de<br />

Punkte:<br />

· Im Rahm<strong>en</strong> von NePAD sucht Afrika<br />

nach Problemursach<strong>en</strong> bei sich selbst –<br />

und fokussiert damit folgerichtig auf<br />

Lösung<strong>en</strong> im eig<strong>en</strong><strong>en</strong> Einflussbereich,<br />

die auch unabhängig von fremder Hilfe<br />

nachhaltige Erfolge bewirk<strong>en</strong> (könn<strong>en</strong>).<br />

· NePAD zielt auf eine echte Partnerschaft<br />

auf Aug<strong>en</strong>höhe mit d<strong>en</strong> Industrieländern.<br />

Damit leg<strong>en</strong> die NePAD-Länder die<br />

ihn<strong>en</strong> zugeschrieb<strong>en</strong>e Opferrolle ab und<br />

verdeutlich<strong>en</strong>, dass gerade auch Afrika in<br />

einer Partnerschaft eig<strong>en</strong>e Beiträge leist<strong>en</strong><br />

kann.<br />

· Mit NePAD werd<strong>en</strong> Demokratisierung<br />

und wirtschaftliche Entwicklung nicht<br />

länger als ausschließlich nationale Angeleg<strong>en</strong>heit<br />

der einzeln<strong>en</strong> afrikanisch<strong>en</strong><br />

Staat<strong>en</strong> aufgefasst. Vielmehr drückt<br />

NePAD aus, dass es ein gemeinsames<br />

Interesse afrikanischer Staat<strong>en</strong> gibt, die<br />

Entwicklung des Kontin<strong>en</strong>ts gemeinsam<br />

in die Hand zu nehm<strong>en</strong> und sich hierbei<br />

wechselseitig zu unterstütz<strong>en</strong>.<br />

· Dabei nimmt NePAD die Strukturschwäche<br />

einiger Mitgliedsstaat<strong>en</strong> ernst und<br />

<strong>en</strong>twickelt im African Peer Review<br />

Mechanism ein Instrum<strong>en</strong>t, um inn<strong>en</strong>politische<br />

Reform<strong>en</strong> auf dem Weg zu good<br />

governance auch von auß<strong>en</strong> zu unterstütz<strong>en</strong>.<br />

Damit könnte NePAD helf<strong>en</strong>, Afrika aus<br />

eig<strong>en</strong>er Kraft d<strong>en</strong> selbst gesetzt<strong>en</strong> Entwicklungsziel<strong>en</strong><br />

näher zu bring<strong>en</strong>. Die Betonung<br />

der Eig<strong>en</strong>verantwortung Afrikas für seine<br />

Entwicklung heißt jedoch nicht, dass Afrika<br />

nicht der Hilfe der restlich<strong>en</strong> Welt bedarf.<br />

Angesichts dramatischer Probleme wie der<br />

Ausbreitung von Krankheit<strong>en</strong>, Umweltzerstörung<br />

oder Terrorismus – die allesamt<br />

globale Bedrohung<strong>en</strong> darstell<strong>en</strong> – ist Entwicklungszusamm<strong>en</strong>arbeit<br />

wichtiger d<strong>en</strong>n<br />

je. Die Lösung dieser gemeinsam<strong>en</strong> Probleme<br />

und die Entwicklung von Demokratie<br />

und Wohlstand werd<strong>en</strong> jedoch nur geling<strong>en</strong>,<br />

w<strong>en</strong>n der West<strong>en</strong> Afrika nicht als<br />

unmündig<strong>en</strong> Bittsteller, sondern als gleichberechtigt<strong>en</strong><br />

Partner anerk<strong>en</strong>nt. NePAD<br />

kann hierzu ein<strong>en</strong> wichtig<strong>en</strong> Beitrag leist<strong>en</strong>.<br />

113


114<br />

Zwisch<strong>en</strong> Kral und Kabinett<br />

G<strong>en</strong>der Profile in Kamerun<br />

von MELITTA NAUMANN-GODÓ<br />

amerun ist eine multikulturelle<br />

Gesellschaft mit einem Mosaik an ethnisch<strong>en</strong><br />

Grupp<strong>en</strong>, die von Region zu<br />

Region sehr stark variier<strong>en</strong>. Im Hinblick auf<br />

diese Hunderte von Ethni<strong>en</strong> mit ihr<strong>en</strong> eig<strong>en</strong><strong>en</strong><br />

Sprach<strong>en</strong>, die zudem christlich<strong>en</strong>, muslimisch<strong>en</strong><br />

und d<strong>en</strong> traditionell<strong>en</strong> afrikanisch<strong>en</strong><br />

Glaub<strong>en</strong>srichtung<strong>en</strong> angehör<strong>en</strong>, ist<br />

es schwierig, „das kamerunische“ G<strong>en</strong>der-<br />

Profil ausfindig zu mach<strong>en</strong>. Trotz der Vielzahl<br />

an Kultur<strong>en</strong> ist ein Aspekt in ganz<br />

Kamerun weit verbreitet, nämlich die<br />

Bedeutung, die man lokal<strong>en</strong> Tradition<strong>en</strong><br />

beimisst. Das wiederum beeinflusst die Stellung<br />

der kamerunisch<strong>en</strong> Frau, da Tradition<strong>en</strong><br />

niemals so viel Schutz gewähr<strong>en</strong> wie<br />

moderne Gleichstellungsgesetze.<br />

Trotz verfassungsmäßiger Bestimmung<strong>en</strong>,<br />

die die Rechte der Frau<strong>en</strong> anerk<strong>en</strong>n<strong>en</strong>,<br />

g<strong>en</strong>ieß<strong>en</strong> Frau<strong>en</strong> de facto nicht die gleich<strong>en</strong><br />

Rechte und Privilegi<strong>en</strong> wie Männer. Zwar<br />

hab<strong>en</strong> nach bürgerlichem Recht Männer<br />

und Frau<strong>en</strong> theoretisch geseh<strong>en</strong> die gleich<strong>en</strong><br />

Rechte und Pflicht<strong>en</strong>, doch der<br />

Begriff Diskriminierung selbst ist nicht einmal<br />

rechtlich definiert und gewisse Teile<br />

des Zivilrechts sind Frau<strong>en</strong> geg<strong>en</strong>über voreing<strong>en</strong>omm<strong>en</strong>.<br />

D<strong>en</strong>noch gewährt es d<strong>en</strong><br />

Frau<strong>en</strong> mehr Gleichstellung als das<br />

Gewohnheitsrecht, das wes<strong>en</strong>tlich diskriminier<strong>en</strong>der<br />

ist, da in viel<strong>en</strong> Region<strong>en</strong> Frau<strong>en</strong><br />

gewohnheitsmäßig als das Eig<strong>en</strong>tum der<br />

Ehemänner betrachtet werd<strong>en</strong>. Da Bräuche<br />

und Tradition<strong>en</strong> vielerorts unantastbar<br />

sind, werd<strong>en</strong> Gesetze, die die Rechte von<br />

Frau<strong>en</strong> schütz<strong>en</strong>, schlichtweg ignoriert. In<br />

praxi hat dies dann <strong>zur</strong> Folge, dass die Frau<strong>en</strong><br />

d<strong>en</strong> Männern geg<strong>en</strong>über erheblich<br />

b<strong>en</strong>achteiligt sind, sowohl was die elem<strong>en</strong>tar<strong>en</strong><br />

Bedürfnisse bezüglich Gesundheit,<br />

Ernährung und Bildung betrifft, als auch<br />

insbesondere d<strong>en</strong> Zugang zu <strong>en</strong>tscheidungstrag<strong>en</strong>d<strong>en</strong><br />

Position<strong>en</strong> in der Arbeitswelt<br />

und Politik.<br />

Familie und Tradition<br />

Polygynie ist per Gesetz und Tradition<br />

erlaubt, Polyandrie hingeg<strong>en</strong> ausdrücklich<br />

nicht. Im Jahre 1991 lebt<strong>en</strong> 39% der kamerunisch<strong>en</strong><br />

Frau<strong>en</strong> in polygam<strong>en</strong> Eh<strong>en</strong>. Zwar<br />

beträgt das Mindestalter für eine Heirat 15<br />

Jahre bei Mädch<strong>en</strong> und 18 bei Männern,<br />

doch wird das in viel<strong>en</strong> ländlich<strong>en</strong> Gebiet<strong>en</strong><br />

missachtet. Sowohl verfrühte als auch<br />

Zwangseh<strong>en</strong> sind in abgeleg<strong>en</strong><strong>en</strong> Gebiet<strong>en</strong><br />

öfter die Regel als die Ausnahme: Die Mädch<strong>en</strong><br />

könn<strong>en</strong> und werd<strong>en</strong> häufig schon mit<br />

12 Jahr<strong>en</strong> geg<strong>en</strong> ihr<strong>en</strong> Will<strong>en</strong> verheiratet.


Der zukünftige Gatte ist typischerweise ein<br />

<strong>en</strong>tfernter Verwandter oder ein Bekannter<br />

des Vaters – oft auch doppelt bis drei mal<br />

so alt wie das Mädch<strong>en</strong> selbst – und zahlt<br />

ein<strong>en</strong> „Brautpreis“. Aufgrund des bezahlt<strong>en</strong><br />

Preises wird das Mädch<strong>en</strong> als Eig<strong>en</strong>tum<br />

ihres Ehemannes betrachtet. Stirbt ein verheirateter<br />

Mann, so kann die Witwe das<br />

Erbe gar nicht antret<strong>en</strong>, da sie selbst als Teil<br />

seines Nachlasses betrachtet wird und in<br />

der Regel g<strong>en</strong>ötigt wird, ihr<strong>en</strong> Schwager zu<br />

heirat<strong>en</strong>. Eine Verweigerung ist kaum möglich,<br />

da sie sonst d<strong>en</strong> Brautpreis in voller<br />

Höhe <strong>zur</strong>ückzahl<strong>en</strong> und das Anwes<strong>en</strong> der<br />

Familie verlass<strong>en</strong> müsste obwohl sie besitzlos<br />

ist. In d<strong>en</strong> nördlich<strong>en</strong> Provinz<strong>en</strong> gibt es<br />

Berichte, wonach einige Lamibe (traditionelle<br />

Herrscher) ihr<strong>en</strong> Frau<strong>en</strong> und Konkubin<strong>en</strong><br />

sogar das Verlass<strong>en</strong> des Hauses untersag<strong>en</strong>.<br />

Das Gewohnheitsrecht einiger ethnisch<strong>en</strong><br />

Grupp<strong>en</strong> erlaubt d<strong>en</strong> Männern nicht<br />

nur die uneingeschränkte Verfügung über<br />

d<strong>en</strong> Famili<strong>en</strong>besitz, sondern auch die Scheidung<br />

vor einem traditionell<strong>en</strong> Gericht, das<br />

weder nach überprüfbar<strong>en</strong> Rechtfertigung<strong>en</strong><br />

fragt noch Unterhaltszahlung<strong>en</strong> verhängt.<br />

Selbst im Falle einer Scheidung vor<br />

Zivilgericht bestimmt allein der Wunsch des<br />

Mannes über das Sorgerecht für die<br />

gemeinsam<strong>en</strong> Kinder über sechs Jahr<strong>en</strong>.<br />

Außerdem kann ein Mann nur dann weg<strong>en</strong><br />

Ehebruch verklagt werd<strong>en</strong>, w<strong>en</strong>n der sexuelle<br />

Akt nachweislich im Famili<strong>en</strong>heim stattgefund<strong>en</strong><br />

hat, wohingeg<strong>en</strong> der Ort der ehelich<strong>en</strong><br />

Untreue und die Beweislast bei Ehe-<br />

bruch der Frau unerheblich sind. Insgesamt<br />

ist der Mangel an einer einheitlich<strong>en</strong> national<strong>en</strong><br />

Rechtgebung für d<strong>en</strong> Famili<strong>en</strong>bereich<br />

die Wurzel der Missstände, die Frau<strong>en</strong><br />

schutzlos d<strong>en</strong> männlich ori<strong>en</strong>tiert<strong>en</strong> Tradition<strong>en</strong><br />

ausliefern.<br />

Gesundheit<br />

So ist häusliche Gewalt ein weit verbreitetes<br />

Phänom<strong>en</strong>, nicht nur in Kamerun. Und<br />

nicht zuletzt weil die gelt<strong>en</strong>d<strong>en</strong> Gesetze keine<br />

effektiv<strong>en</strong> Straf<strong>en</strong> für prügelnde Ehemänner<br />

vorseh<strong>en</strong>. Es gibt keine geschlechterspezifische<br />

Gesetze geg<strong>en</strong> Körperverletzung<br />

und tätliche Übergriffe obwohl<br />

Frau<strong>en</strong> überwieg<strong>en</strong>d die Opfer häuslicher<br />

Gewalt sind. Misshandlung des Ehegatt<strong>en</strong><br />

wird rechtlich geseh<strong>en</strong> nicht als Scheidungsgrund<br />

akzeptiert. In Fäll<strong>en</strong> von sexueller<br />

Gewalt außerhalb der Ehe ist es üblich, dass<br />

die Familie des Opfers oder die Dorfgemeinschaft<br />

außerrechtliche Maßnahm<strong>en</strong><br />

<strong>zur</strong> Bestrafung des Täters anw<strong>en</strong>det in<br />

Form von Eig<strong>en</strong>tumszerstörung oder einer<br />

Tracht Prügel.<br />

Ein weiteres ernsthaftes Problem ist die<br />

weibliche G<strong>en</strong>italverstümmelung, die zwar<br />

nicht weit verbreitet ist, aber dafür im<br />

äußerst<strong>en</strong> Nord<strong>en</strong>, d<strong>en</strong> südwestlich<strong>en</strong> und<br />

nordöstlich<strong>en</strong> Provinz<strong>en</strong> des Landes immer<br />

noch auf traditionelle Weise praktiziert<br />

wird. Es umfasst die radikalste Form der<br />

Verstümmelung – Infibulation – und wird<br />

üblicherweise an vorpubertier<strong>en</strong>d<strong>en</strong> Mädch<strong>en</strong><br />

ohne Betäubung vorg<strong>en</strong>omm<strong>en</strong>. Ihre<br />

Umzug zum Weltfrau<strong>en</strong>tag<br />

am 8. März<br />

2004<br />

FOTO Stefan Rostock<br />

115


Verbreitung wird auf 20% geschätzt. Grundsätzlich<br />

wird die weibliche G<strong>en</strong>italverstümmelung<br />

von Ärzt<strong>en</strong> und Gesundheitsexpert<strong>en</strong><br />

weltweit geächtet, da sie irreparable<br />

physische und psychische Schäd<strong>en</strong> hinterlässt,<br />

und daher als schwere Form der sexuell<strong>en</strong><br />

Misshandlung gilt. D<strong>en</strong>noch existier<strong>en</strong><br />

keine Gesetze, die diese Praktik<strong>en</strong> verbiet<strong>en</strong>.<br />

Hinzu kommt, das sie oft zu Komplikation<strong>en</strong><br />

bei der Geburt führ<strong>en</strong>. Statistisch geseh<strong>en</strong><br />

bringt jede Frau in Kamerun 4,9 Kinder<br />

<strong>zur</strong> Welt. Da nur 15% der Bevölkerung<br />

Zugang zu medizinisch<strong>en</strong> Einrichtung<strong>en</strong><br />

hab<strong>en</strong>, kann das schwere gesundheitliche<br />

Schäd<strong>en</strong> bei Mutter und Kind nach sich zieh<strong>en</strong>,<br />

bis hin zum Tod. Die Müttersterblichkeitsrate<br />

ist mit 555/100.000 recht hoch,<br />

was auch auf die verfrühte Heiratspraxis<br />

<strong>zur</strong>ückzuführ<strong>en</strong> ist. D<strong>en</strong>n die verfrühte Ehe<br />

ist verbund<strong>en</strong> mit verfrüht<strong>en</strong>, wiederholt<strong>en</strong><br />

und ungeplant<strong>en</strong> Schwangerschaft<strong>en</strong>, die<br />

für noch mitt<strong>en</strong> in der Pubertät befindliche<br />

Mädch<strong>en</strong> erhebliche Gesundheitsrisik<strong>en</strong><br />

mit sich berg<strong>en</strong>.<br />

Die AIDS-Epidemie – afrikaweit ein gravier<strong>en</strong>des<br />

Problem – wird auch dafür verantwortlich<br />

gemacht, dass sich bis heute die<br />

verfrühte Heiratspraxis erhalt<strong>en</strong> hat. D<strong>en</strong>n<br />

aus Angst vor Ansteckung mit HIV woll<strong>en</strong><br />

viele Männer, insbesondere im Hinblick auf<br />

ihre bereits existier<strong>en</strong>de große polygame<br />

Familie – nur sehr junge Mädch<strong>en</strong> heirat<strong>en</strong>,<br />

bei d<strong>en</strong><strong>en</strong> die Wahrscheinlichkeit, dass sie<br />

bereits HIV-positiv sind, am geringst<strong>en</strong> ist.<br />

Parallel dazu wird weiterhin die „Witw<strong>en</strong>erbschaft“<br />

praktiziert, bei der die Witwe<br />

d<strong>en</strong> Bruder ihres verstorb<strong>en</strong><strong>en</strong> Mannes heiratet<br />

– oft auch dann, w<strong>en</strong>n dieser an AIDS<br />

gestorb<strong>en</strong> ist. Dass sie d<strong>en</strong> Virus mit großer<br />

Wahrscheinlichkeit an die ganze Familie<br />

ihres Schwagers weitergibt wird scheinbar<br />

in Kauf g<strong>en</strong>omm<strong>en</strong> damit die Tradition<br />

gewahrt bleibt. So stellt für viele verheirate<br />

Frau<strong>en</strong> die Ehe selbst ein großes Risikofaktor<br />

dar, da sie fast keine Kontrolle über die<br />

eig<strong>en</strong>e Sexualität hab<strong>en</strong>. Dadurch, dass der<br />

Mann Aussteuer für seine Frau bezahlt hat,<br />

betrachtet er sie als Besitz, und Vergewaltigung<br />

in der Ehe ist daher kein Problem,<br />

sondern Männerrecht, d<strong>en</strong>n er hat ein<br />

Anrecht auf Geschlechtsverkehr nach Lust<br />

und Laune. Selbst w<strong>en</strong>n er bekanntermaß<strong>en</strong><br />

HIV-positiv ist, kann er auf kondomfrei<strong>en</strong><br />

Sex mit seiner Frau besteh<strong>en</strong>. Studi<strong>en</strong><br />

zufolge hab<strong>en</strong> sich die Hälfte der HIV-positiv<strong>en</strong><br />

Frau<strong>en</strong> bei ihr<strong>en</strong> Ehemännern angesteckt.<br />

116<br />

Werbung für ein<br />

Anti-AIDS-Komitee<br />

FOTO Stefan Rostock<br />

Bildung, Berufstätigkeit und Arbeitsmarkt<br />

Seit d<strong>en</strong> 70er Jahr<strong>en</strong> wurde in Kamerun ein<br />

beeindruck<strong>en</strong>der Anstieg des Bildungsniveaus<br />

beobachtet. So sank das Analphabet<strong>en</strong>tum<br />

bei 11jährig<strong>en</strong> Kindern von 53% auf<br />

41%, was vermutlich mit der Erhöhung der<br />

Einschulungsquote von 67% auf 73% korreliert<br />

ist. Der vermehrte Schulbesuch führte<br />

auch zu einer Verringerung der Unterschiede<br />

sowohl zwisch<strong>en</strong> Mädch<strong>en</strong> und Jung<strong>en</strong>,<br />

als auch zwisch<strong>en</strong> ländlich<strong>en</strong> Geg<strong>en</strong>d<strong>en</strong> und<br />

Städt<strong>en</strong>. D<strong>en</strong>noch bleib<strong>en</strong> gravier<strong>en</strong>de<br />

Unterschiede besteh<strong>en</strong>, nicht zuletzt weil<br />

die Tradition<strong>en</strong> die Bildung der Jung<strong>en</strong><br />

wes<strong>en</strong>tlich stärker befürwort<strong>en</strong> als die der<br />

Mädch<strong>en</strong>, die ja „naturgemäß <strong>zur</strong> Heirat<br />

bestimmt“ sind. Da die Eltern für die Schulbücher<br />

und –uniform selber aufkomm<strong>en</strong><br />

müss<strong>en</strong>, und weiterführ<strong>en</strong>de Schul<strong>en</strong><br />

zudem Schulgeld verlang<strong>en</strong>, bleibt die Einschulung<br />

der Kinder trotz Grundschulpflicht<br />

Ermess<strong>en</strong>ssache der Eltern, wobei<br />

häufig die Töchter auf der Strecke bleib<strong>en</strong>.<br />

Eine Reihe von sozial<strong>en</strong> und kulturell<strong>en</strong><br />

Hinderniss<strong>en</strong> bewirk<strong>en</strong>, dass insbesondere<br />

die höhere Schulbildung über die Grundschule<br />

hinaus für viele Mädch<strong>en</strong> unzugänglich<br />

bleibt: Die Armut und die eingeschränkt<strong>en</strong><br />

Leb<strong>en</strong>sbedingung<strong>en</strong> auf dem<br />

Land hab<strong>en</strong> <strong>zur</strong> Folge, dass viele Famili<strong>en</strong><br />

auf die Arbeitskraft ihrer Töchter im Haus<br />

und auf dem Feld nicht verzicht<strong>en</strong> könn<strong>en</strong>.<br />

Insbesondere ist das Wassertrag<strong>en</strong> vom mit-


unter 10 km <strong>en</strong>tfernt<strong>en</strong> Brunn<strong>en</strong> ausschließlich<br />

Frau<strong>en</strong>arbeit. Andere Faktor<strong>en</strong><br />

sind das niedrige Heiratsalter, das bei Mädch<strong>en</strong><br />

im Durchschnitt bei 14 Jahr<strong>en</strong> liegt<br />

und damit verbund<strong>en</strong> die hohe Schwangerschaftsrate,<br />

die bei 16jährig<strong>en</strong> Mädch<strong>en</strong> ca.<br />

50% beträgt.<br />

Trotz des niedrig<strong>en</strong> Bildungsgrades sind<br />

48% der Frau<strong>en</strong> berufstätig, im landwirtschaftlich<strong>en</strong><br />

Sektor stell<strong>en</strong> sie sogar 80%<br />

der Arbeitskräfte. Das Arbeitsrecht garantiert<br />

gleiche Einstellungsmöglichkeit<strong>en</strong>,<br />

freie Berufswahl und gleich<strong>en</strong> Lohn für<br />

Männer und Frau<strong>en</strong>. Frau<strong>en</strong> hab<strong>en</strong> darüber<br />

hinaus Anrecht auf bezahlt<strong>en</strong> Mutterschaftsurlaub.<br />

Doch in Wirklichkeit ist die<br />

Diskriminierung vorherrsch<strong>en</strong>d, da das<br />

Gesetz selbst es d<strong>en</strong> Ehemännern erlaubt,<br />

ihr<strong>en</strong> Frau<strong>en</strong> die Erwerbstätigkeit außer<br />

Haus zu verbiet<strong>en</strong>, sofern sie die Interess<strong>en</strong><br />

der Familie und des Haushalts gefährdet<br />

seh<strong>en</strong>. Das Gesetz leistet sich die Schizophr<strong>en</strong>ie,<br />

einerseits d<strong>en</strong> Frau<strong>en</strong> die Freiheit<br />

zu garantier<strong>en</strong>, ihre Berufe auszuüb<strong>en</strong> und<br />

ihr<strong>en</strong> eig<strong>en</strong><strong>en</strong> Geschäft<strong>en</strong> nachzugeh<strong>en</strong>,<br />

und gleichzeitig d<strong>en</strong> Männern die Mittel in<br />

die Hand zu geb<strong>en</strong>, die Erwerbstätigkeit<br />

ihrer Frau<strong>en</strong> zu be<strong>en</strong>d<strong>en</strong>, indem sie vor<br />

dem Arbeitsgericht familiäre Interess<strong>en</strong> gelt<strong>en</strong>d<br />

mach<strong>en</strong>. Aus diesem Grund fordern<br />

viele Arbeitgeber die Erlaubnis des Ehegatt<strong>en</strong>,<br />

bevor sie eine Frau einstell<strong>en</strong>.<br />

Politik<br />

Das Ministerium für d<strong>en</strong> Zustand der Frau<strong>en</strong><br />

(Ministère de la condition féminine)<br />

wurde 1998 durch ein Dekret des Präsid<strong>en</strong>t<strong>en</strong><br />

geschaff<strong>en</strong>. Es hat zwei wichtige Aufgab<strong>en</strong>:<br />

Erst<strong>en</strong>s, Probleme und Nöte zu id<strong>en</strong>tifizier<strong>en</strong>,<br />

und Priorität<strong>en</strong> zu setzt<strong>en</strong> bezüglich<br />

der Ziele und Strategi<strong>en</strong>. Zweit<strong>en</strong>s,<br />

Programme <strong>zur</strong> Beseitigung von Ungleichheit<strong>en</strong><br />

um zu setz<strong>en</strong> und zu evaluier<strong>en</strong>. Seit<br />

d<strong>en</strong> 80er Jahr<strong>en</strong> existier<strong>en</strong> zwar viele solcher<br />

Programme, doch wurd<strong>en</strong> weg<strong>en</strong> mangelnd<strong>en</strong><br />

institutionell<strong>en</strong> und technisch<strong>en</strong><br />

Möglichkeit<strong>en</strong> viele von ihn<strong>en</strong> nicht durchgeführt.<br />

Heute ist der Proz<strong>en</strong>tsatz an weiblich<strong>en</strong><br />

Abgeordnet<strong>en</strong> im Parlam<strong>en</strong>t 6%, und somit<br />

deutlich geringer als vor Beginn des wirtschaftlich<strong>en</strong><br />

Abstieg des Landes vor ca. 15<br />

Jahr<strong>en</strong> (1995 betrug er noch 12% und 1987<br />

sogar 14%). Dies verdeutlicht wieder einmal<br />

das Erstark<strong>en</strong> reaktionärer Kräfte in Zeit<strong>en</strong><br />

wirtschaftlicher Probleme und die fragile<br />

Abhängigkeit sozialer Verbesserung<strong>en</strong> von<br />

der wirtschaftlich<strong>en</strong> Gesamtlage.<br />

1994 ratifizierte Kamerun die „Konv<strong>en</strong>ti-<br />

on der Vereinigt<strong>en</strong> Nation<strong>en</strong> <strong>zur</strong> Eliminierung<br />

aller Form<strong>en</strong> der Diskriminierung von<br />

Frau<strong>en</strong>“. Allerdings hat die Regierung dem<br />

UN-Sekretariat bislang kein<strong>en</strong> Plan vorgestellt,<br />

wie die darin gefordert<strong>en</strong> Ziele tatsächlich<br />

erreicht werd<strong>en</strong> könn<strong>en</strong>.<br />

Dabei ist es imm<strong>en</strong>s wichtig, geg<strong>en</strong> jede<br />

Art von Diskriminierung vorzugeh<strong>en</strong>, d<strong>en</strong>n<br />

sie verstoß<strong>en</strong> geg<strong>en</strong> die universell<strong>en</strong> M<strong>en</strong>sch<strong>en</strong>rechte.<br />

Und diese sind schließlich<br />

unteilbar; sie gelt<strong>en</strong> für alle M<strong>en</strong>sch<strong>en</strong>,<br />

unabhängig von Hautfarbe, Religion und<br />

Geschlecht. Wir Europäer dürf<strong>en</strong> nicht<br />

dem Irrtum verfall<strong>en</strong>, zu d<strong>en</strong>k<strong>en</strong>, die<br />

Ungleichbehandlung von Frau<strong>en</strong> und Männern<br />

läge in der Kultur des Landes begründet<br />

– und unter dem Vorwand des<br />

„Respekts vor ander<strong>en</strong> Kultur<strong>en</strong>“ müsse<br />

man eb<strong>en</strong> auch die Unterdrückung der<br />

Frau respektier<strong>en</strong> und akzeptier<strong>en</strong>. Andererseits<br />

ist es unsere Pflicht, Länder, die<br />

unser<strong>en</strong> hoh<strong>en</strong> Standards nicht immer<br />

g<strong>en</strong>üg<strong>en</strong>, nicht pauschal zu verdamm<strong>en</strong>,<br />

sondern vielmehr die – in Kamerun ja<br />

durchaus sichtbar<strong>en</strong> – vorhand<strong>en</strong><strong>en</strong><br />

Reformbestrebung<strong>en</strong> zu unterstütz<strong>en</strong>, und<br />

zwar sowohl materiell als auch ideell. M<strong>en</strong>sch<strong>en</strong>-<br />

und insbesondere auch Frau<strong>en</strong>rechte<br />

sind kein Luxusgut, sondern ein Grundbedürfnis,<br />

und verdi<strong>en</strong><strong>en</strong> daher gleiche Unterstützung<br />

wie der Kampf geg<strong>en</strong> Hunger und<br />

Armut!<br />

Literaturverzeichnis<br />

· Country Reports on Human Rights Practices<br />

2001. Released by the Bureau of Democracy,<br />

Human Rights, and Labor, March 4, 2002<br />

· INC – G<strong>en</strong>der profile: Cameroon (March<br />

2002), Canadian International Developm<strong>en</strong>t<br />

Ag<strong>en</strong>cy (last updated 2003-12-02)<br />

· Les femmes, l’agriculture et le développem<strong>en</strong>t<br />

rural, Départem<strong>en</strong>t du développem<strong>en</strong>t durable<br />

(SD) de l’Organisation des Nations Unies pour<br />

l’alim<strong>en</strong>tation et l’agriculture (FAO)<br />

117


118<br />

Und Bono singt…<br />

von NANNETTE LINDENBERG<br />

n d<strong>en</strong> letzt<strong>en</strong> Monat<strong>en</strong> und Jahr<strong>en</strong> wurd<strong>en</strong><br />

bei vielerlei Geleg<strong>en</strong>heit<strong>en</strong> immer<br />

wieder Variation<strong>en</strong> eines Themas auf<br />

d<strong>en</strong> Tisch gebracht und um Aufmerksamkeit<br />

geworb<strong>en</strong>: die wirtschaftliche Situation<br />

Afrikas: Die aktuelle Liberalisierungsrunde<br />

der WTO 1 wird als Entwicklungsrunde<br />

bezeichnet, die Vereint<strong>en</strong> Nation<strong>en</strong> <strong>en</strong>twikkeln<br />

ein Mill<strong>en</strong>niumsprogramm, um die<br />

Armut zu bekämpf<strong>en</strong>, unser Bundespräsid<strong>en</strong>t<br />

ruft eine „Partnerschaft mit Afrika“<br />

ins Leb<strong>en</strong>, auf dem G8-Gipfel letzt<strong>en</strong> Sommer<br />

in Gl<strong>en</strong>eagles wurde über Schuld<strong>en</strong>erlass<br />

verhandelt und Bono von U2 organisierte<br />

ein weltumspann<strong>en</strong>des Rockkonzert<br />

unter dem Motto „Make Poverty History“.<br />

Aber wofür sang Bono d<strong>en</strong>n eig<strong>en</strong>tlich?<br />

Warum taucht immer und immer wieder<br />

die Forderung nach Schuld<strong>en</strong>erlass für die<br />

ärmst<strong>en</strong> Entwicklungsländer auf? Wie kam<br />

es d<strong>en</strong>n g<strong>en</strong>au zu dieser Überschuldung,<br />

und wieso ist die Verschuldung der Entwicklungsländer<br />

so viel dramatischer als<br />

unsere Eig<strong>en</strong>e?<br />

Kamerun, l’<strong>Afrique</strong> <strong>en</strong> miniature, unterscheidet<br />

sich auch in diesem Aspekt nicht<br />

sehr von sein<strong>en</strong> afrikanisch<strong>en</strong> Nachbarn<br />

und vieles was man über die Schuld<strong>en</strong>situation<br />

des Landes sag<strong>en</strong> kann, lässt sich fast<br />

wortwörtlich auf viele andere Staat<strong>en</strong> des<br />

Kontin<strong>en</strong>ts übertrag<strong>en</strong>.<br />

Externe Gründe für die Entstehung der<br />

Schuld<strong>en</strong>krise<br />

Um eine Erklärung für die heutige Überschuldung<br />

vieler Entwicklungsländer zu find<strong>en</strong>,<br />

müss<strong>en</strong> wir gar nicht so weit <strong>zur</strong>ückgeh<strong>en</strong><br />

– nur ungefähr bis <strong>zur</strong> Geburt eines<br />

durchschnittlich<strong>en</strong> Akademieteilnehmers,<br />

oder vielleicht ein/zwei Jahre davor: Ende<br />

der 70er Jahre wurd<strong>en</strong> durch die steig<strong>en</strong>d<strong>en</strong><br />

Ölpreise so viele Überschüsse im<br />

Ölhandel g<strong>en</strong>eriert, dass die Ölexportier<strong>en</strong>d<strong>en</strong><br />

Länder (v.a. die OPEC) diese gar nicht<br />

so schnell investier<strong>en</strong> konnt<strong>en</strong>, wie das Geld<br />

nachkam. Infolgedess<strong>en</strong> <strong>en</strong>tstand auf d<strong>en</strong><br />

international<strong>en</strong> Finanzmärkt<strong>en</strong> eine Überliquidität<br />

der Bank<strong>en</strong> und diese war<strong>en</strong> nur<br />

allzu bereit, d<strong>en</strong> Entwicklungsländern großzügige<br />

Kredite zu gewähr<strong>en</strong>, d<strong>en</strong><strong>en</strong> oftmals<br />

keine allzu g<strong>en</strong>aue Projekt- und Risikoanalyse<br />

voranging. Mit dieser Situation war nach<br />

damaligem Kons<strong>en</strong>s all<strong>en</strong> geholf<strong>en</strong>: man<br />

glaubte, dass ein Staat nicht insolv<strong>en</strong>t werd<strong>en</strong><br />

könne, und hatte somit eine gute und<br />

sichere Anlage der Überschüsse für die<br />

kommerziell<strong>en</strong> Bank<strong>en</strong> gefund<strong>en</strong>, und d<strong>en</strong><br />

Entwicklungsländern wurde das nötige


Kapital für ihre Entwicklung und Industrialisierung<br />

<strong>zur</strong> Verfügung gestellt.<br />

Kamerun war zu diesem Zeitpunkt noch<br />

ein wahres afrikanisches Vorzeigeland, man<br />

sprach sogar vom „miracle camerounais“ 2 ,<br />

d<strong>en</strong>n das Land g<strong>en</strong>erierte sehr hohe<br />

Exporterlöse für Rohstoffe: schon seit<br />

Anfang der 70er Jahre war<strong>en</strong> die Rohstoffpreise<br />

kontinuierlich angestieg<strong>en</strong>. Dies veranlasste<br />

d<strong>en</strong> Club of Rome 3 eine zunächst<br />

noch umstritt<strong>en</strong>e These über die Knappheit<br />

der Rohstoffe zu publizier<strong>en</strong>. Im Laufe der<br />

Jahre wurd<strong>en</strong> dann nach und nach auch die<br />

letzt<strong>en</strong> Skeptiker überzeugt, dass die Ressourc<strong>en</strong><br />

der Erde begr<strong>en</strong>zt sei<strong>en</strong>. Dies führte<br />

Anfang der 80er Jahre zu folg<strong>en</strong>d<strong>en</strong> Entwicklung<strong>en</strong>:<br />

in d<strong>en</strong> Industri<strong>en</strong>ation<strong>en</strong><br />

begann die Sternstunde der Umweltbewegung<br />

mit all d<strong>en</strong> Konzept<strong>en</strong> des Energiespar<strong>en</strong>s<br />

und Recycelns, mit d<strong>en</strong><strong>en</strong> wir groß<br />

geword<strong>en</strong> sind, und in d<strong>en</strong> Entwicklungsländern<br />

kehrte man nach Jahr<strong>en</strong>, in d<strong>en</strong><strong>en</strong><br />

man die Rohstoffabhängigkeit verteufelt<br />

hatte, wieder zu ressourc<strong>en</strong>int<strong>en</strong>siv<strong>en</strong> Entwicklungsstrategi<strong>en</strong><br />

<strong>zur</strong>ück. Angespornt<br />

von ihrem „Wirtschaftswunder“, nahm die<br />

Regierung Kameruns hohe Kredite auf, um<br />

d<strong>en</strong> Abbau von Rohstoff<strong>en</strong> int<strong>en</strong>siver zu<br />

fördern und dadurch die Wirtschaft weiter<br />

anzukurbeln.<br />

Die Weltmarktpreise für Rohstoffe, die<br />

dieses Wunder heraufbeschwor<strong>en</strong> hab<strong>en</strong>,<br />

wurd<strong>en</strong> Kamerun, dess<strong>en</strong> Wirtschaft von<br />

d<strong>en</strong> diktiert<strong>en</strong> Preis<strong>en</strong> abhängig ist, aber<br />

schon bald zum Verhängnis: Mitte der 80er<br />

Jahre brach<strong>en</strong> die Rohstoffmärkte wieder<br />

ein. Zum ein<strong>en</strong> hatt<strong>en</strong> die Industrieländer<br />

sehr erfolgreich Substitutionsprozesse für<br />

Rohstoffe eingeleitet (man d<strong>en</strong>ke nur an<br />

Recycling oder die neue Materialwirtschaft)<br />

und zum ander<strong>en</strong> ging die Nachfrage<br />

nach Rohstoff<strong>en</strong> aufgrund des allgemein<strong>en</strong><br />

Strukturwandels hin zu Di<strong>en</strong>stleistungsgesellschaft<strong>en</strong><br />

<strong>zur</strong>ück. Die Knappheitsthese,<br />

die noch vor einig<strong>en</strong> Jahr<strong>en</strong> für neuaufblüh<strong>en</strong>de<br />

Hoffnung in d<strong>en</strong> ressourc<strong>en</strong>reich<strong>en</strong><br />

Entwicklungsländern gesorgt hatte, bewahrheitete<br />

sich also nicht. 4<br />

Zudem führt<strong>en</strong> die monetaristische Wirtschaftspolitik<br />

der USA und der Anstieg des<br />

Dollar-Kurses Anfang der 80er Jahre zu<br />

einer stark<strong>en</strong> Verteuerung der in US Dollar<br />

gewährt<strong>en</strong> Auslandskredite durch steig<strong>en</strong>de<br />

Zinssätze. Um die von durchschnittlich 7%<br />

auf 20% gestieg<strong>en</strong>e Zinssätze zahl<strong>en</strong> zu könn<strong>en</strong>,<br />

wurd<strong>en</strong> neue Kredite aufg<strong>en</strong>omm<strong>en</strong>,<br />

wodurch in Kamerun der Teufelskreis der<br />

Verschuldung begann.<br />

Interne Gründe für die Entstehung der<br />

Schuld<strong>en</strong>krise<br />

Neb<strong>en</strong> dies<strong>en</strong> global<strong>en</strong> Gründ<strong>en</strong> für d<strong>en</strong><br />

Beginn der Schuld<strong>en</strong>krise in d<strong>en</strong> Entwicklungsländern<br />

kam noch hinzu, dass die<br />

gelieh<strong>en</strong><strong>en</strong> Mittel in Kamerun oft äußerst<br />

unr<strong>en</strong>table verw<strong>en</strong>det wurd<strong>en</strong>: zum Beispiel<br />

wurde die von Anfang an nicht profitable<br />

Zellstofffabrik CELLUCAM erbaut, die heute<br />

schon längst wieder geschloss<strong>en</strong> ist, für<br />

die aber nach wie vor der Kredit <strong>zur</strong>ückgezahlt<br />

werd<strong>en</strong> muss. Ein weiteres Beispiel für<br />

solche Prestige-Investion<strong>en</strong> ist der internationale<br />

Flughaf<strong>en</strong> in Yaoundé, bei dem es<br />

schon vor dem Bau aussichtslos war, dass er<br />

jemals ein<strong>en</strong> r<strong>en</strong>tabl<strong>en</strong> Flugbetrieb ermöglich<strong>en</strong><br />

würde, da es bereits zwei internationale<br />

Flughäf<strong>en</strong> gab.<br />

Die aktuelle Situation<br />

Die Auslandsverschuldung Kameruns hat in<br />

d<strong>en</strong> letzt<strong>en</strong> Jahr<strong>en</strong> stark zug<strong>en</strong>omm<strong>en</strong>.<br />

Nach Angab<strong>en</strong> der Weltbank stieg sie von<br />

0,14 Milliard<strong>en</strong> US Dollar im Jahr 1970 auf<br />

8,33 Milliard<strong>en</strong> US Dollar im Jahr 2003. Vor<br />

allem in der zweit<strong>en</strong> Hälfte der 80er Jahre<br />

war der Schuld<strong>en</strong>anstieg so hoch, dass sich<br />

der Schuld<strong>en</strong>stand innerhalb von acht Jahr<strong>en</strong><br />

verdoppelte. Von dies<strong>en</strong> Schuld<strong>en</strong> sind<br />

mehr als 70% sog<strong>en</strong>annte bilaterale Schuld<strong>en</strong><br />

und nur 20% multilaterale Schuld<strong>en</strong>5 .<br />

Bei d<strong>en</strong> bilateral<strong>en</strong> Schuld<strong>en</strong> ist Frankreich<br />

Gläubiger Nummer eins (45%) und<br />

Deutschland folgt mit 17% an Position zwei.<br />

Ungefähr Ende der 80er Jahre konnte<br />

Entwicklung der Auslandsverschuldung<br />

(in<br />

Mrd. US-$)<br />

119


Kamerun das erste Mal sein<strong>en</strong> Auslandverpflichtung<strong>en</strong><br />

nicht mehr nachkomm<strong>en</strong> und<br />

baute in der Folge immer höhere Zahlungsrückstände<br />

auf. Diese Tatsache und der Wille,<br />

die Schuld<strong>en</strong> und Zins<strong>en</strong> d<strong>en</strong>noch zu<br />

begleich<strong>en</strong>, führt<strong>en</strong> zu einig<strong>en</strong> wirtschaftlich<strong>en</strong>,<br />

politisch<strong>en</strong> und vor allem auch sozial<strong>en</strong><br />

Umstrukturierung<strong>en</strong>. Was dies für gravier<strong>en</strong>de<br />

Folg<strong>en</strong> für ein sowieso schon sehr<br />

armes Land hat, liegt auf der Hand: steig<strong>en</strong>de<br />

Arbeitslosigkeit, Rückgang der Kaufkraft<br />

und allgemeine Zunahme der Verarmung.<br />

Am weitreich<strong>en</strong>dst<strong>en</strong> sind aber sicherlich<br />

die stark<strong>en</strong> Kürzung<strong>en</strong> im Bildungssystem<br />

und an der Gesundheitsvorsorge – zwei der<br />

wichtigst<strong>en</strong> Faktor<strong>en</strong> für Armutsbekämpfung<br />

und nachhaltige Entwicklung. Hier<br />

liegt auch die Ursache begrab<strong>en</strong>, weshalb<br />

die Auslandsverschuldung der Entwicklungsländer<br />

so viel besorgniserreg<strong>en</strong>der ist<br />

als unsere Eig<strong>en</strong>e 6 : auch w<strong>en</strong>n in Deutschland<br />

mittlerweile <strong>en</strong>orme Kürzung<strong>en</strong> im<br />

Bildungs- und Gesundheitssektor vorg<strong>en</strong>omm<strong>en</strong><br />

werd<strong>en</strong>, so befind<strong>en</strong> wir uns doch<br />

immer noch auf einem sehr hoh<strong>en</strong> Niveau.<br />

Kurzum, unsere Wirtschaft kann die Schuld<strong>en</strong><br />

einfach viel besser trag<strong>en</strong>.<br />

Aber warum fällt es Kamerun so schwer,<br />

zumindest seine Schuld<strong>en</strong> so weit zu bedi<strong>en</strong><strong>en</strong>,<br />

dass die Situation nicht immer aussichtsloser<br />

und verheer<strong>en</strong>der wird? Die Antwort<br />

darauf gibt das komplexe Zusamm<strong>en</strong>spiel<br />

von vielfältig<strong>en</strong> Faktor<strong>en</strong>, aber<br />

insbesondere die Import-Export-Problematik,<br />

die hauptsächlich durch folg<strong>en</strong>de drei<br />

Ursach<strong>en</strong> <strong>en</strong>tstand, spielt dabei eine große<br />

120<br />

Rolle:<br />

Zum ein<strong>en</strong> ist dies die für ein Entwicklungsland<br />

sehr typische Auß<strong>en</strong>handelsstruktur:<br />

Kamerun importiert vor allem Industrieprodukte<br />

zu konstant hoh<strong>en</strong> oder sogar<br />

kontinuierlich steig<strong>en</strong>d<strong>en</strong> Preis<strong>en</strong> und<br />

exportiert unverarbeitete Rohstoffe und<br />

Agrargüter, der<strong>en</strong> Preise auf dem Weltmarkt<br />

sehr stark variier<strong>en</strong>. Zudem lässt sich<br />

für diese Güter kaum eine Absatzsteigerung<br />

erreich<strong>en</strong>, da sich für sie keine neu<strong>en</strong> Märkte<br />

schaff<strong>en</strong> lass<strong>en</strong>. Insofern geht die T<strong>en</strong>d<strong>en</strong>z<br />

dahin, dass Kamerun immer mehr<br />

exportier<strong>en</strong> muss, um die gleiche M<strong>en</strong>ge an<br />

Produkt<strong>en</strong> importier<strong>en</strong> zu könn<strong>en</strong>, und es<br />

wird immer schwieriger, g<strong>en</strong>üg<strong>en</strong>d Devis<strong>en</strong><br />

zu erwirtschaft<strong>en</strong>, um die Auslandsschuld<strong>en</strong><br />

<strong>zur</strong>ückzahl<strong>en</strong> zu könn<strong>en</strong>.<br />

Der zweite Grund für die Schwierigkeit<strong>en</strong><br />

Kameruns eine zumindest ausgeglich<strong>en</strong>e<br />

Auß<strong>en</strong>handelsstruktur zu erhalt<strong>en</strong>, liegt<br />

bei der Währung, dem CFA-Franc 7 , der<br />

ein<strong>en</strong> fest<strong>en</strong> Wechselkurs zum Französisch<strong>en</strong><br />

Franc hatte und heute zum Euro hat.<br />

Durch diese Rigidität war der CFA-Franc<br />

geg<strong>en</strong>über d<strong>en</strong> bedeut<strong>en</strong>d<strong>en</strong> Währung<strong>en</strong><br />

überbewertet, was die Exporte Kameruns<br />

verteuerte und somit die Wettbewerbsfähigkeit<br />

seiner Produkte auf dem Weltmarkt<br />

verringerte. Dies bedeutet, dass Kamerun<br />

durch d<strong>en</strong> fest<strong>en</strong> Wechselkurs ein wichtiges<br />

Instrum<strong>en</strong>t <strong>zur</strong> Unterstützung von exportori<strong>en</strong>tiert<strong>en</strong><br />

Entwicklungsstrategi<strong>en</strong> fehlt. 8<br />

Schließlich gibt es noch ein<strong>en</strong> dritt<strong>en</strong><br />

Grund in dieser Import-Export-Problematik,<br />

die es Kamerun, wie auch all<strong>en</strong> ander<strong>en</strong>


Entwicklungsländern erschwert, die nötig<strong>en</strong><br />

Devis<strong>en</strong> zu erwirtschaft<strong>en</strong>: Durch die Agrarsubv<strong>en</strong>tion<strong>en</strong><br />

in d<strong>en</strong> Industrieländern (und<br />

wir Europäer all<strong>en</strong> vorweg), werd<strong>en</strong> Agrarprodukte<br />

zu Dumpingpreis<strong>en</strong> in die Dritte<br />

Welt exportiert, wodurch d<strong>en</strong> Entwicklungsländern<br />

ein <strong>en</strong>ormer Schad<strong>en</strong> <strong>en</strong>tsteht. 9<br />

Nicht nur werd<strong>en</strong> sie so ihrer Wettbewerbsfähigkeit<br />

beraubt und könn<strong>en</strong> folglich ihre<br />

eig<strong>en</strong><strong>en</strong> Produkte nicht mehr exportier<strong>en</strong>,<br />

sondern oftmals importier<strong>en</strong> sie die europäisch<strong>en</strong><br />

und amerikanisch<strong>en</strong> Agrarprodukte<br />

auch noch, so dass für die heimisch<strong>en</strong><br />

Produz<strong>en</strong>t<strong>en</strong> die Binn<strong>en</strong>nachfrage<br />

<strong>zur</strong>ückgeht.<br />

Ansätze <strong>zur</strong> Schuld<strong>en</strong>bekämpfung<br />

Schon recht früh bemerkte die internationale<br />

Gemeinschaft, dass die Entwicklungsländer<br />

in ein<strong>en</strong> wahr<strong>en</strong> Teufelskreis hineingerat<strong>en</strong><br />

war<strong>en</strong>, und bemüht<strong>en</strong> sich um<br />

Lösung<strong>en</strong>. Ab 1986 wurd<strong>en</strong> viel<strong>en</strong> Entwicklungsländern<br />

nur dann noch weitere Kredite<br />

gewährt, w<strong>en</strong>n sie sog<strong>en</strong>annte Strukturanpassungsprogramme<br />

durchführt<strong>en</strong>, die<br />

ihn<strong>en</strong> der Internationale Währungsfond<br />

(IWF) auferlegte. Kamerun durchlief drei<br />

solcher Programme10 , die durch S<strong>en</strong>kung<br />

der Staatsausgab<strong>en</strong>, die wirtschaftliche und<br />

finanzielle Situation verbessern sollt<strong>en</strong>.<br />

Drei Programme, die allesamt nur ein<strong>en</strong><br />

sehr mäßig<strong>en</strong> Erfolg zeigt<strong>en</strong>, da sie d<strong>en</strong><br />

Staatshaushalt kaum saniert<strong>en</strong>, aber vor<br />

allem zu einer Vergrößerung der Armut<br />

führt<strong>en</strong>.<br />

Neb<strong>en</strong> dem IWF gibt es noch zwei weiter<br />

Akteure, die in d<strong>en</strong> 80er und 90er Jahr<strong>en</strong><br />

versucht<strong>en</strong>, die Schuld<strong>en</strong>krise zu überwind<strong>en</strong>:<br />

der Londoner und der Pariser Club.<br />

Ersterer ist ein Zusamm<strong>en</strong>schluss von Gläubigerbank<strong>en</strong><br />

und letzterer eine informelle<br />

Vereinigung von Gläubigerstaat<strong>en</strong>. Im<br />

Zusamm<strong>en</strong>spiel dieser drei Akteure wurd<strong>en</strong><br />

Kameruns Auslandsschuld<strong>en</strong> zwisch<strong>en</strong> 1989<br />

und 1995 fünfmal umstrukturiert. Diese<br />

Umschuldungsprogramme umfasst<strong>en</strong> drei<br />

wes<strong>en</strong>tliche Aspekte: durch Strukturanpassungsmaßnahm<strong>en</strong><br />

sollt<strong>en</strong> die Importe<br />

ges<strong>en</strong>kt und die Exporte gesteigert werd<strong>en</strong>,<br />

um mehr Devis<strong>en</strong> zu erwirtschaft<strong>en</strong>, mit<br />

d<strong>en</strong><strong>en</strong> die Schuld<strong>en</strong> getilgt werd<strong>en</strong> könn<strong>en</strong>.<br />

Gleichzeitig wurde Kamerun ein Überbrükkungskredit<br />

des IWFs gewährt, um die fällig<strong>en</strong><br />

Rückzahlungsrat<strong>en</strong> und Zins<strong>en</strong> begleich<strong>en</strong><br />

zu könn<strong>en</strong>, sowie um das Wirtschaftswachstum<br />

anzukurbeln. Schließlich<br />

beinhaltete solch ein Programm oftmals<br />

ein<strong>en</strong> Aufschub oder ein Aussetz<strong>en</strong> der<br />

Schuld<strong>en</strong>di<strong>en</strong>ste.<br />

Leider war<strong>en</strong> all diese Umschuldungsmaßnahm<strong>en</strong><br />

nicht erfolgreich: sie führt<strong>en</strong><br />

lediglich zu einem noch stärker<strong>en</strong> Anstieg<br />

der Verschuldung. Auch die Strukturprogramme<br />

reüssiert<strong>en</strong> nicht: es war nicht<br />

möglich Kameruns Exporterlöse dauerhaft<br />

zu steigern.<br />

Ein recht neuer, deutscher, Ansatz <strong>zur</strong><br />

Bekämpfung der Schuld<strong>en</strong> der Entwicklungsländer<br />

ist die sog<strong>en</strong>annte Umwandlungsfazilität,<br />

eine Art der Schuld<strong>en</strong>umwandlung.<br />

Unter bestimmt<strong>en</strong> Bedingung<strong>en</strong><br />

bietet die Bundesregierung an, auf bis zu<br />

90% ihrer Entwicklungshilferückforderung<strong>en</strong><br />

zu verzicht<strong>en</strong>, w<strong>en</strong>n Kamerun dafür im<br />

Austausch 30-50% der Summe in eig<strong>en</strong>er<br />

Währung in ein<strong>en</strong> Geg<strong>en</strong>wertfonds einzahlt,<br />

der für soziale oder dem Umweltschutz<br />

di<strong>en</strong><strong>en</strong>d<strong>en</strong> Projekte eingesetzt wird.<br />

Aber aus vielfältig<strong>en</strong> Gründ<strong>en</strong> ist diese<br />

Initiative eb<strong>en</strong>falls nicht wirklich erfolgreich:<br />

zum Beispiel hat Kamerun sehr große<br />

Probleme der knapp<strong>en</strong> Zahlungsfrist<br />

gerecht zu werd<strong>en</strong>, die Handelsforderung<strong>en</strong><br />

sind von der Umschuldung ausgeschloss<strong>en</strong><br />

und es könn<strong>en</strong> nur sehr beschränkt Projekte<br />

gefördert werd<strong>en</strong>.<br />

Aufgrund der gering<strong>en</strong> Erfolgsquote all<br />

dieser Versuche, die Entwicklungsländer<br />

aus ihrer Schuld<strong>en</strong>falle zu befrei<strong>en</strong>, initiiert<strong>en</strong><br />

der Internationale Währungsfond und<br />

die Weltbank 1996 die sog<strong>en</strong>annte HIPC-<br />

Initiative (heavily indebted poor countries).<br />

Arme und hochverschuldete Länder soll<strong>en</strong><br />

von einem Teil ihrer Auslandsschuld<strong>en</strong> <strong>en</strong>tlastet<br />

werd<strong>en</strong> und die so freiwerd<strong>en</strong>d<strong>en</strong> Mittel<br />

der Armutsbekämpfung <strong>zur</strong> Verfügung<br />

gestellt werd<strong>en</strong>. Zu diesem Zeitpunkt wurde<br />

Kamerun noch nicht als hochverschuldet<br />

eingestuft. Dies geschah erst durch die<br />

Erweiterung der Aufnahmekriteri<strong>en</strong> 11 beim<br />

121


122<br />

Weltwirtschaftsgipfel 1999 in Köln: Kamerun<br />

werd<strong>en</strong> nun etwa Schuld<strong>en</strong> in Höhe<br />

von 1,7 Milliard<strong>en</strong> US-Dollar erlass<strong>en</strong>. An<br />

dies<strong>en</strong> partiell<strong>en</strong> Schuld<strong>en</strong>erlass, der das<br />

Ziel hat, die Schuld<strong>en</strong>last auf ein tragfähiges<br />

Niveau zu reduzier<strong>en</strong>, ist die Erstellung<br />

eines PRSPs (Poverty Reduction Strategy<br />

Papers) geknüpft: ein umfass<strong>en</strong>des Konzept<br />

<strong>zur</strong> Armutsbekämpfung, das von der Regierung<br />

in Zusamm<strong>en</strong>arbeit mit der Zivilgesellschaft<br />

erstellt wird, damit die Entschuldung<br />

auch wirklich d<strong>en</strong> M<strong>en</strong>sch<strong>en</strong> zugute kommt.<br />

Gute Regierungsführung, Transpar<strong>en</strong>z des<br />

Regierungshandelns und die Beteiligung<br />

der Bevölkerung an politisch<strong>en</strong> Entscheidung<strong>en</strong><br />

sind Rahm<strong>en</strong>bedingung<strong>en</strong> der<br />

Initiative.<br />

Zuknftsträume?<br />

Dank der aufkeim<strong>en</strong>d<strong>en</strong> Hoffnung auf<br />

ein<strong>en</strong> erfolgreich<strong>en</strong> Entschuldungsprozess<br />

durch die HIPC-Initiative, die bisher sehr<br />

vielversprech<strong>en</strong>d verlief, und dank der<br />

mom<strong>en</strong>tan für Kamerun sehr günstig<strong>en</strong><br />

Erdölpreise12 , die dem Land in d<strong>en</strong> komm<strong>en</strong>d<strong>en</strong><br />

Monat<strong>en</strong> wohl recht hohe Exporterlöse<br />

ermöglich<strong>en</strong> werd<strong>en</strong>, kann man<br />

durchaus etwas positiver in die Zukunft<br />

schau<strong>en</strong>. Auch w<strong>en</strong>n es sehr viel und zum<br />

Teil sicherlich auch berechtigte Kritik an<br />

der Schuld<strong>en</strong>erlassinitiative gibt13 , besteht<br />

für Kamerun gewiss die Chance, sich aus<br />

dem Teufelskreis der Verschuldung zu<br />

befrei<strong>en</strong>: Voraussetzung dafür ist, dass die<br />

Regierung die Exportüberschüsse effektiv<br />

nutzt, nötige Reform<strong>en</strong> finanziert und eine<br />

nachhaltige Entwicklungsstrategie beschreitet.<br />

Dass Kamerun sein<strong>en</strong> Spitz<strong>en</strong>platz der<br />

korruptest<strong>en</strong> Staat<strong>en</strong> der Welt (noch 1999)<br />

hinter sich gelass<strong>en</strong> hat, und 2004 schon<br />

„nur“ noch auf Platz 6 lag14 , gibt eb<strong>en</strong>falls<br />

Anlass <strong>zur</strong> Hoffnung. Eine Chance hat<br />

Kamerun sicherlich – und wer weiß, vielleicht<br />

muss Bono bei seinem nächst<strong>en</strong><br />

Groß-Ev<strong>en</strong>t ja schon nicht mehr für Kamerun<br />

sing<strong>en</strong>…<br />

1 Doha-Runde seit 2001<br />

2 auf dt. etwa das kameruner Wirtschaftswunder<br />

3 Eine nichtkommerzielle Organisation, die ein<strong>en</strong><br />

global<strong>en</strong> Gedank<strong>en</strong>austausch zu verschied<strong>en</strong><strong>en</strong><br />

international<strong>en</strong> politisch<strong>en</strong> Frag<strong>en</strong> betreibt. 1968<br />

gegründet.<br />

4 Die Ökonom<strong>en</strong> geh<strong>en</strong> heute davon aus, dass Rohstoffe<br />

zwar ökonomisch knapp sein könn<strong>en</strong>, aber<br />

i.d.R. nicht physisch.<br />

5 Z.B. Kredite des IWF.<br />

6 Unsere Inlandsverschuldung war bereits 1987 fast<br />

doppelt so hoch wie die gesamt<strong>en</strong> Auß<strong>en</strong>schuld<strong>en</strong><br />

aller Entwicklungs- und Schwell<strong>en</strong>länder; in d<strong>en</strong><br />

USA sogar rund achtmal so hoch.<br />

7 CFA Franc = Franc de la Coopération Financière<br />

<strong>en</strong> <strong>Afrique</strong> C<strong>en</strong>trale. Währung der Z<strong>en</strong>tralafrikanische<br />

Wirtschafts- und Währungsunion<br />

(CEMAC), der Äquatorialguinea, Gabun, Kamerun,<br />

die Republik Kongo, Tschad und die Z<strong>en</strong>tralafrikanische<br />

Republik angehör<strong>en</strong>.<br />

8 Durch Abwertung der Währung kann man die<br />

Exporte auf dem Weltmarkt „subv<strong>en</strong>tionier<strong>en</strong>“,<br />

ein Instrum<strong>en</strong>t, das z.B. viele der Südostasiatisch<strong>en</strong><br />

Tigerstaat<strong>en</strong> bei ihrer Industrialisierung<br />

eingesetzt hab<strong>en</strong>.<br />

9 Jährlich<strong>en</strong> Einkomm<strong>en</strong>seinbuß<strong>en</strong> (im Handel) der<br />

Entwicklungsländer aufgrund von Agrarprotektionismus<br />

und –subv<strong>en</strong>tion<strong>en</strong>: etwa 24 Milliard<strong>en</strong><br />

US-Dollar; durch d<strong>en</strong> Multiplikatoreffekt weitere<br />

Einbuß<strong>en</strong> durch verminderte Investition<strong>en</strong> und<br />

verlor<strong>en</strong>e Arbeitsplätze; Gesamteinbuß<strong>en</strong>: 72 Milliard<strong>en</strong><br />

US-Dollar pro Jahr. Dies <strong>en</strong>tspricht der<br />

gesamt<strong>en</strong> öff<strong>en</strong>tlich<strong>en</strong> Entwicklungshilfe des Jahres<br />

2003!<br />

Aus: „Bericht über die m<strong>en</strong>schliche Entwicklung<br />

2005“ der UNDP (United Nations Developm<strong>en</strong>t<br />

Programme)<br />

10 Strukturanpassungsprogramme in Kamerun:<br />

1988-90, 1991-92, 1995-96<br />

11 Teilnahmebedingung<strong>en</strong> der HIPC-Initiative sind<br />

nun eine erfolgreiche Zusamm<strong>en</strong>arbeit mit der<br />

Weltbank und dem IWF, sowie die Einstufung des<br />

Landes als hochverschuldet (= Schuld<strong>en</strong> mach<strong>en</strong><br />

mehr 150% der Exporte oder mehr als 250% der<br />

Staatseinnahm<strong>en</strong> aus).<br />

12 Erdöl ist Hauptexportgut (etwa 32%), gefolgt von<br />

Kakao, Holzprodukt<strong>en</strong> und Kaffee.<br />

13 Es ist fraglich, ob der Schuld<strong>en</strong>erlass wirklich der<br />

Bevölkerung zugute kommt. Außerdem kann<br />

Schuld<strong>en</strong>erlass leicht eine neue Abhängigkeit<br />

erzeug<strong>en</strong>, da die betroff<strong>en</strong><strong>en</strong> Länder sich in der<br />

Erwartung, die Schuld<strong>en</strong> in Zukunft wieder erlass<strong>en</strong><br />

zu bekomm<strong>en</strong>, nicht ernsthaft um Tilgung<br />

bemüh<strong>en</strong>. Statt die Schuld<strong>en</strong> zu erlass<strong>en</strong>, sollt<strong>en</strong><br />

die Ursach<strong>en</strong> neuer Verschuldung bekämpft werd<strong>en</strong>,<br />

z.B. durch Elimination des Agrarprotektionismus,<br />

um d<strong>en</strong> Entwicklungsländern die Chance<br />

zu geb<strong>en</strong>, ihre komparativ<strong>en</strong> Vorteile in der international<strong>en</strong><br />

Arbeitsteilung auszunutz<strong>en</strong>.<br />

14 Aus: Corruption Perceptions Index (CPI)<br />

Literatur<br />

· FAMBON, Samuel, Endettem<strong>en</strong>t du Cameroun.<br />

Problèmes et Solutions, United Nations<br />

University Discussion Paper No. 2002/49<br />

· SÜDWIND (Hg.), Das Problem der Auslandsverschuldung<br />

Kameruns, Siegburg 2001


Chute d'Ekom bei<br />

Nkongsamba<br />

FOTO Stefan Rostock


124<br />

„Von der Hand in d<strong>en</strong> Mund“<br />

Warum der Reg<strong>en</strong>wald <strong>zur</strong> Wüste wird.<br />

von LARA THERESA WEBER<br />

ie Reg<strong>en</strong>wälder berg<strong>en</strong> die größte<br />

Art<strong>en</strong>vielfalt unserer Erde: Nach<br />

Schätzung<strong>en</strong> von Wiss<strong>en</strong>schaftlern<br />

könnt<strong>en</strong> bis zu 90 Proz<strong>en</strong>t aller auf der Erde<br />

leb<strong>en</strong>d<strong>en</strong> Art<strong>en</strong> nur im Reg<strong>en</strong>wald zu find<strong>en</strong><br />

sein. So wurd<strong>en</strong> an einem einzeln<strong>en</strong><br />

Waldries<strong>en</strong> etwa 1000 Käferart<strong>en</strong> gefund<strong>en</strong>;<br />

100 bis 300 verschied<strong>en</strong>e Baumart<strong>en</strong> versammeln<br />

sich auf einem einzig<strong>en</strong> Hektar<br />

Reg<strong>en</strong>wald, währ<strong>en</strong>d in Mitteleuropa w<strong>en</strong>iger<br />

als 17 Baumart<strong>en</strong> auf der gleich<strong>en</strong> Fläche<br />

vereint sind. Und doch ist diese überreiche<br />

Region gleichzeitig eine der ökologisch<br />

ärmst<strong>en</strong> der Erde.<br />

Alles wird sofort recycelt<br />

Was im erst<strong>en</strong> Mom<strong>en</strong>t paradox klingt,<br />

erweist sich bei näherer Betrachtung als die<br />

Grundvoraussetzung eines überaus effizi<strong>en</strong>t<br />

arbeit<strong>en</strong>d<strong>en</strong> Ökosystems: Von d<strong>en</strong> bis zu<br />

800 Tonn<strong>en</strong> Biomasse, die sich auf jedem<br />

Hektar Reg<strong>en</strong>wald find<strong>en</strong> lass<strong>en</strong>, sind 90<br />

Proz<strong>en</strong>t in d<strong>en</strong> Tier<strong>en</strong> und Pflanz<strong>en</strong> gespeichert.<br />

W<strong>en</strong>n Blätter von d<strong>en</strong> Äst<strong>en</strong> fall<strong>en</strong><br />

oder Tiere sterb<strong>en</strong>, wird der<strong>en</strong> Biomasse<br />

und damit der<strong>en</strong> Nährstoffgehalt weg<strong>en</strong> der<br />

hoh<strong>en</strong> Temperatur und Feuchtigkeit sofort<br />

von Pilz<strong>en</strong>, Bakteri<strong>en</strong> und ander<strong>en</strong> Kleinstlebewes<strong>en</strong><br />

zersetzt. Zwei- bis dreimal schnel-<br />

ler als in d<strong>en</strong> gemäßigt<strong>en</strong> Breit<strong>en</strong> läuft dieser<br />

Prozeß hier hab. Das System lebt gewissermaß<strong>en</strong><br />

‚von der Hand in d<strong>en</strong> Mund’. Für<br />

d<strong>en</strong> Bod<strong>en</strong> bleib<strong>en</strong> nur w<strong>en</strong>ige Nährstoffe<br />

übrig, da diese in d<strong>en</strong> Lebewes<strong>en</strong> gespeichert<br />

werd<strong>en</strong>. Überdies gibt es aufgrund<br />

der Äquatorlage in d<strong>en</strong> Reg<strong>en</strong>waldregion<strong>en</strong><br />

keine wechselnd<strong>en</strong> Jahreszeit<strong>en</strong> und somit<br />

auch kein<strong>en</strong> herbstlich<strong>en</strong> Laubfall. Die<br />

Humusschicht ist daher mit durchschnittlich<br />

50 Z<strong>en</strong>timetern Tiefe extrem dünn. Der<br />

Bod<strong>en</strong> tropischer Gebiete ist damit so<br />

unfruchtbar wie kaum ein anderer auf der<br />

Erde: Reg<strong>en</strong>wälder sind waldbedeckte<br />

Wüst<strong>en</strong>.<br />

Zweckgemeinschaft<strong>en</strong><br />

Um unter dies<strong>en</strong> schwierig<strong>en</strong> Bedingung<strong>en</strong><br />

überleb<strong>en</strong> zu könn<strong>en</strong>, hab<strong>en</strong> sich einige<br />

Lebewes<strong>en</strong> zu Zweckgemeinschaft<strong>en</strong> zusamm<strong>en</strong>gefund<strong>en</strong>:<br />

So könn<strong>en</strong> die Bäume im<br />

Reg<strong>en</strong>wald trotz der Kargheit des Bod<strong>en</strong>s<br />

eine Höhe von 60 bis 80 Metern erreich<strong>en</strong>,<br />

weil sie eine Symbiose mit unterschiedlichst<strong>en</strong><br />

Pilzart<strong>en</strong> eingeh<strong>en</strong>. In dies<strong>en</strong> als<br />

Mykorrhizae bezeichnet<strong>en</strong> Symbios<strong>en</strong> wird<br />

das System feinverästelter Baumwurzeln mit<br />

einem noch feiner<strong>en</strong> Pilzgeflecht überzog<strong>en</strong>,<br />

das mineralische Nährstoffe schnell


aufnimmt und sie an die Wurzeln der Bäume<br />

weitergibt. Im Austausch geg<strong>en</strong> Zucker<br />

und Aminosäur<strong>en</strong> versorgt der Pilz d<strong>en</strong><br />

Baum also mit Mineralsalz<strong>en</strong> und Wasser.<br />

Aber auch oberirdisch hab<strong>en</strong> sich <strong>en</strong>ge<br />

Abhängigkeitsverhältnisse <strong>en</strong>twickelt: Oftmals<br />

wird eine Baumart von einer einzig<strong>en</strong><br />

Insekt<strong>en</strong>art bestäubt. Verschwind<strong>en</strong> diese<br />

Tiere, ist auch das Schicksal der Baumart<br />

besiegelt – und mit ihm häufig dasj<strong>en</strong>ige<br />

zahlreicher Aufsitzerpflanz<strong>en</strong>, Moose,<br />

Insekt<strong>en</strong>, Vögel oder Pilze, für die diese<br />

Baumart der alleinige Leb<strong>en</strong>sgarant ist.<br />

Unfruchtbare Böd<strong>en</strong><br />

Der Versuch, die Böd<strong>en</strong> tropischer Reg<strong>en</strong>wälder<br />

agrarisch nutzbar zu mach<strong>en</strong>, interferiert<br />

daher mit einem Ökosystem, dess<strong>en</strong><br />

üppiges Wachstum auf einem in Jahrmillion<strong>en</strong><br />

gewachs<strong>en</strong><strong>en</strong> Geflecht von Abhängigkeit<strong>en</strong><br />

beruht. Hinzu kommt, daß man<br />

schon w<strong>en</strong>ige Z<strong>en</strong>timeter unter der fruchtbar<strong>en</strong><br />

Humusschicht nur auf Sand- und<br />

Lehmschicht<strong>en</strong> stößt. Der<strong>en</strong> mineralische<br />

Beschaff<strong>en</strong>heit macht die Anreicherung<br />

von Nährstoff<strong>en</strong> praktisch unmöglich. Der<br />

typische rot-braune Waldbod<strong>en</strong> der feucht<strong>en</strong><br />

Trop<strong>en</strong> ist die Ferralsole, die sich in<br />

einem Zeitraum von Jahrmillion<strong>en</strong> herausgebildet<br />

hat. 20 bis 30 Meter in die Tiefe reich<strong>en</strong>d,<br />

sind in diesem tonhaltig<strong>en</strong> Bod<strong>en</strong><br />

nur noch Spur<strong>en</strong> von verwitterbar<strong>en</strong> Silikat<strong>en</strong><br />

vorhand<strong>en</strong>. Solange die Blätterdecke<br />

der Pflanz<strong>en</strong> über dem Reg<strong>en</strong>waldbod<strong>en</strong><br />

intakt ist, wird der Reg<strong>en</strong> davon abgehalt<strong>en</strong>,<br />

die Humusschicht und die w<strong>en</strong>ig<strong>en</strong> Nährstoffe<br />

aus der Ferralsole fortzuschwemm<strong>en</strong>.<br />

Wird dieser Schutz durch Brandrodung<br />

oder Abholzung geschwächt, sorg<strong>en</strong> das<br />

feuchtheiße Klima und eine stark saure<br />

Bod<strong>en</strong>reaktion dafür, daß der Humus<br />

schwindet und die Nährstoffe der Sole ausgewasch<strong>en</strong><br />

werd<strong>en</strong>. Aus diesem Grund sind<br />

80 Proz<strong>en</strong>t der Reg<strong>en</strong>waldfläch<strong>en</strong> in Lateinamerika<br />

und 56 Proz<strong>en</strong>t in Afrika eig<strong>en</strong>tlich<br />

für d<strong>en</strong> Ackerbau ungeeignet.<br />

Armut und Profitgier<br />

Nicht nur das Ökosystem Reg<strong>en</strong>wald lebt<br />

von der Hand in d<strong>en</strong> Mund: Da der Großteil<br />

der Reg<strong>en</strong>wälder in wirtschaftlich<br />

schwach <strong>en</strong>twickelt<strong>en</strong> Ländern wächst, ist es<br />

oftmals Armut, die M<strong>en</strong>sch<strong>en</strong> dazu veranlaßt,<br />

d<strong>en</strong>noch größere Fläch<strong>en</strong> durch<br />

Rostock<br />

Brandrodung landwirtschaftlich nutzbar zu<br />

mach<strong>en</strong>. Starkes Bevölkerungswachstum<br />

und die ungleiche Landverteilung bring<strong>en</strong><br />

Stefan<br />

die Einwohner erst dazu, ihr Überleb<strong>en</strong><br />

durch (häufig illegal<strong>en</strong>) Brandrodungsfeld- FOTO<br />

125


126<br />

bau zu sichern. Mindest<strong>en</strong>s eb<strong>en</strong>so zerstörerisch<br />

ist die agrarwirtschaftliche Nutzung<br />

im Rahm<strong>en</strong> international<strong>en</strong> Handels: 60 bis<br />

70 Proz<strong>en</strong>t der Zerstörung des Reg<strong>en</strong>waldes<br />

geh<strong>en</strong> nach Schätzung<strong>en</strong> von Umwelt-Organisation<strong>en</strong><br />

auf das Konto der Agro-Industrie.<br />

Auf d<strong>en</strong> großflächig gerodet<strong>en</strong> Areal<strong>en</strong><br />

werd<strong>en</strong> vor allem Soja, Ölpalm<strong>en</strong>,<br />

Kakao oder Kaffe angebaut oder Vieh<br />

geweidet. Ein<strong>en</strong> erheblich<strong>en</strong> Anteil an der<br />

Zerstörung der Reg<strong>en</strong>wälder hat auch die<br />

Holzindustrie: Zwar hat sie es auf bestimmte<br />

Baumart<strong>en</strong> abgeseh<strong>en</strong>, die gezielt gefällt<br />

werd<strong>en</strong>. Dabei werd<strong>en</strong> jedoch die Pflanz<strong>en</strong><br />

in einem groß<strong>en</strong> Radius rundherum zerstört<br />

oder erheblich geschädigt. Außerdem<br />

schlag<strong>en</strong> die Straß<strong>en</strong>, die für d<strong>en</strong> Abtransport<br />

der Edelhölzer b<strong>en</strong>ötigt werd<strong>en</strong>, große<br />

Schneis<strong>en</strong> in die Wälder. Damit werd<strong>en</strong><br />

auch erst die Wege geschaff<strong>en</strong>, auf d<strong>en</strong><strong>en</strong><br />

wiederum Siedler, Bauern und Wilderer in<br />

die Wälder gelang<strong>en</strong> könn<strong>en</strong>.<br />

Verlust der Nährstoffe<br />

Die ökologisch<strong>en</strong> Folg<strong>en</strong> der Rodung<strong>en</strong><br />

sind verheer<strong>en</strong>d und vor allem irreparabel.<br />

Im ursprünglich<strong>en</strong> Zustand wird der<br />

Humus vom Wald geschützt; doch die Brände<br />

zerstör<strong>en</strong> ihn zum Teil direkt, und der<br />

Reg<strong>en</strong> wäscht das, was von ihm übrig geblieb<strong>en</strong><br />

ist, rasch weg. Damit verschwind<strong>en</strong><br />

aber auch die Pilzgeflechte und mit ihn<strong>en</strong><br />

eine wes<strong>en</strong>tliche Voraussetzung für die Entstehung<br />

von Wachstum auf der Ferralsole:<br />

Die Pilze wandeln nämlich zum ein<strong>en</strong> Mineralverbindung<strong>en</strong>,<br />

die d<strong>en</strong> Pflanz<strong>en</strong> sonst<br />

unzugänglich geblieb<strong>en</strong> wär<strong>en</strong>, in solche<br />

um, die auch von d<strong>en</strong> Wurzeln aufg<strong>en</strong>omm<strong>en</strong><br />

werd<strong>en</strong> könn<strong>en</strong>. In erster Linie aber<br />

wirk<strong>en</strong> sie als Nährstoffall<strong>en</strong>. Da dem<br />

Bod<strong>en</strong> nun diese Nährstoffall<strong>en</strong> fehl<strong>en</strong>,<br />

könn<strong>en</strong> angebaute Pflanz<strong>en</strong> nur auf die<br />

spärlich vorhand<strong>en</strong><strong>en</strong> Minerale der Ferralsole<br />

<strong>zur</strong>ückgreif<strong>en</strong>. Diese sind jedoch<br />

schnell verbraucht und werd<strong>en</strong> zudem vom<br />

Reg<strong>en</strong> weggeschwemmt. Auch int<strong>en</strong>sive<br />

Düngung hilft hier w<strong>en</strong>ig. Vor allem der<br />

Viehwirtschaft sind damit <strong>en</strong>ge Gr<strong>en</strong>z<strong>en</strong><br />

gezog<strong>en</strong>: Pro Hektar Weidefläche kann nur<br />

ein Rind gehalt<strong>en</strong> werd<strong>en</strong>, so daß pro Jahr<br />

und Hektar nur etwa 40 Kilogramm Fleisch<br />

produziert werd<strong>en</strong> könn<strong>en</strong>. In Deutschland<br />

sind es dageg<strong>en</strong> bis zu 2.500 Kilogramm.<br />

Was vom Pflanz<strong>en</strong>- und Tierreichtum übrig<br />

bleibt, ist ein trock<strong>en</strong>er Wüst<strong>en</strong>sand, der<br />

nur kärgliche Ernt<strong>en</strong> ermöglicht. Sonne,<br />

Wind und Reg<strong>en</strong> sorg<strong>en</strong> innerhalb w<strong>en</strong>iger<br />

Jahre für Erosion<strong>en</strong>, die zu einer derart drastisch<strong>en</strong><br />

Verringerung der Ernt<strong>en</strong> führ<strong>en</strong>,<br />

daß die Bauern wieder neue Gebiete abrod<strong>en</strong><br />

müss<strong>en</strong>, um ihr Überleb<strong>en</strong> zu sichern.<br />

Es gibt kein Zurück<br />

Wo der Reg<strong>en</strong>wald einmal zerstört word<strong>en</strong><br />

ist, da wird es höchstwahrscheinlich nie wieder<br />

ein<strong>en</strong> geb<strong>en</strong>. Etwa 20 Proz<strong>en</strong>t der<br />

fest<strong>en</strong> Landmasse war<strong>en</strong> ursprünglich von<br />

Reg<strong>en</strong>wald bedeckt – heute sind es noch<br />

sieb<strong>en</strong> Proz<strong>en</strong>t. Ein Fläche halb so groß wie<br />

Deutschland geht jedes Jahr verlor<strong>en</strong>. Das<br />

Verschwind<strong>en</strong> der ‚grün<strong>en</strong> Lunge’ unserer<br />

Erde hat weitreich<strong>en</strong>de Konsequ<strong>en</strong>z<strong>en</strong>:<br />

Unzählige Tier- und Pflanz<strong>en</strong>art<strong>en</strong> sterb<strong>en</strong><br />

aus, ohne daß der M<strong>en</strong>sch jemals von ihn<strong>en</strong><br />

erfahr<strong>en</strong> hab<strong>en</strong> wird. Auch medizinisches<br />

Pot<strong>en</strong>tial bleibt dadurch ung<strong>en</strong>utzt. Die Zerstörung<br />

des Reg<strong>en</strong>waldes bedroht aber<br />

auch uralte Kultur<strong>en</strong>: Waldbewohnern wie<br />

einig<strong>en</strong> Indianerstämm<strong>en</strong> in Südamerika<br />

oder d<strong>en</strong> Pygmä<strong>en</strong> in Afrika wird die Exist<strong>en</strong>zgrundlage<br />

<strong>en</strong>tzog<strong>en</strong>. Die Folg<strong>en</strong> der<br />

Abrodung<strong>en</strong> für das Weltklima sind noch<br />

unabsehbar: Als riesige Kohl<strong>en</strong>dioxidspeicher<br />

wirk<strong>en</strong> die Reg<strong>en</strong>wälder ausgleich<strong>en</strong>d<br />

auf das Klima, sie erhöh<strong>en</strong> die Luftfeuchtigkeit,<br />

brems<strong>en</strong> d<strong>en</strong> Wind und produzier<strong>en</strong><br />

Sauerstoff. Wiss<strong>en</strong>schaftler vermut<strong>en</strong>, daß<br />

die weitgeh<strong>en</strong>de Vernichtung des Reg<strong>en</strong>waldes<br />

das Klima weiter polarisier<strong>en</strong> könnte: In<br />

kälter<strong>en</strong> Region<strong>en</strong> würde es dann noch kälter,<br />

in wärmer<strong>en</strong> noch wärmer werd<strong>en</strong>.<br />

Ungeklärt ist noch, ab wann die Wälder<br />

eine kritische Größe unterschritt<strong>en</strong> hab<strong>en</strong><br />

werd<strong>en</strong>, die für das Funktionier<strong>en</strong> des<br />

Systems notw<strong>en</strong>dig ist: Der Reg<strong>en</strong>wald produziert<br />

75 Proz<strong>en</strong>t seiner Niederschläge selber.<br />

Bereits heute hat die Dezimierung der<br />

Fläch<strong>en</strong> in viel<strong>en</strong> Reg<strong>en</strong>waldgebiet<strong>en</strong> zu<br />

einer Austrocknung geführt, in der<strong>en</strong> Folge<br />

es zu riesig<strong>en</strong> Waldbränd<strong>en</strong> kommt – mit<br />

unausweichlich<strong>en</strong> Folg<strong>en</strong> für das Weltklima.<br />

Ökologisch verträgliche Landwirtschaft<br />

Es ist jedoch möglich, d<strong>en</strong> Reg<strong>en</strong>wald landwirtschaftlich<br />

zu nutz<strong>en</strong>, ohne ihn vollständig<br />

zu zerstör<strong>en</strong>. Dazu müss<strong>en</strong> die ökologisch<strong>en</strong><br />

Gegeb<strong>en</strong>heit<strong>en</strong> beachtet werd<strong>en</strong>. Der<br />

ökologisch angepaßte Anbau ori<strong>en</strong>tiert sich<br />

an d<strong>en</strong> jahrtaus<strong>en</strong>dealt<strong>en</strong> Erfahrung<strong>en</strong> des<br />

Wanderfeldsystems: Statt große Fläch<strong>en</strong> zu<br />

rod<strong>en</strong> und zu bewirtschaft<strong>en</strong>, werd<strong>en</strong> kleinparzellige<br />

Mischkultur<strong>en</strong> angelegt; das Blätterdach<br />

wird so dicht belass<strong>en</strong>, daß sich<br />

Sonne und Reg<strong>en</strong> nicht nachteilig auf Pflanz<strong>en</strong><br />

und Bod<strong>en</strong> auswirk<strong>en</strong> könn<strong>en</strong>. Angebaut<br />

werd<strong>en</strong> heimische Dauerkultur<strong>en</strong> –<br />

wie etwa Maniok, Bergreis oder Süßkartoffeln<br />

– weil sie an die Bod<strong>en</strong>bedingung<strong>en</strong>


gut angepaßt sind und d<strong>en</strong> Humus schon<strong>en</strong>.<br />

Gepflanzt wird zu Beginn der Reg<strong>en</strong>zeit;<br />

Werkzeuge sind Hacke und Pflanz<strong>en</strong>stock.<br />

Die Felder werd<strong>en</strong> meist nur zwei Jahre<br />

lang g<strong>en</strong>utzt und nicht gedüngt. Es folgt<br />

eine zehn- bis fünfzehnjährige Brachezeit,<br />

währ<strong>en</strong>d derer sich die organisch<strong>en</strong> Stoffe<br />

in der Biomasse langsam wieder aufbau<strong>en</strong>.<br />

Dabei <strong>en</strong>tsteht ein Sekundärwald, dess<strong>en</strong><br />

Art<strong>en</strong>vielfalt allerdings geringer ist als diej<strong>en</strong>ige<br />

des ursprünglich<strong>en</strong> Reg<strong>en</strong>waldes.<br />

Kameruns Reg<strong>en</strong>wälder<br />

Im Süd<strong>en</strong> Kameruns sind etwa 17 Million<strong>en</strong><br />

Hektar Land von Reg<strong>en</strong>wald bedeckt. Diese<br />

Wälder sind die Heimat von Baka-Pygmä<strong>en</strong><br />

und Bantu-Farmern. Die Reg<strong>en</strong>wälder<br />

Kameruns gehör<strong>en</strong> zum Kongo-Beck<strong>en</strong> und<br />

sind damit Teil des weltweit größt<strong>en</strong> zusamm<strong>en</strong>häng<strong>en</strong>d<strong>en</strong><br />

Reg<strong>en</strong>waldgebietes nach<br />

Amazoni<strong>en</strong>. Über 400 Säugetierart<strong>en</strong>, mehr<br />

als 1000 Vogelspezies und an die 10.000<br />

Pflanz<strong>en</strong>art<strong>en</strong> sind hier zu find<strong>en</strong>. Schimpans<strong>en</strong>,<br />

Gorillas, Bonobos und der selt<strong>en</strong>e<br />

Waldelefant gehör<strong>en</strong> zu d<strong>en</strong> Bewohnern<br />

des Gebietes. Doch auch in Kamerun ist<br />

dieser Reichtum in Gefahr: Einem Bericht<br />

von Gre<strong>en</strong>peace aus dem Jahr 2004 zufolge<br />

füg<strong>en</strong> europäische Holzfirm<strong>en</strong> d<strong>en</strong> Wäldern<br />

gewaltige Schäd<strong>en</strong> zu. Auch außerhalb<br />

der zugestand<strong>en</strong><strong>en</strong> Konzession<strong>en</strong> schlag<strong>en</strong><br />

sie illegalerweise Holz und raub<strong>en</strong> damit<br />

d<strong>en</strong> M<strong>en</strong>sch<strong>en</strong> und Tier<strong>en</strong> die Leb<strong>en</strong>sgrundlage.<br />

Der Einfluß der französisch<strong>en</strong><br />

Holzindustrie wurde 1994 deutlich, als die<br />

Regierung Kameruns ein Exportverbot für<br />

Trop<strong>en</strong>hölzer erlass<strong>en</strong> wollte. Daraufhin<br />

erwirkte die französische Regierung Ausnahmeregelung<strong>en</strong><br />

für zahlreiche Holzart<strong>en</strong>.<br />

1999 hat sich Kamerun als eines von sechs<br />

z<strong>en</strong>tralafrikanisch<strong>en</strong> Ländern in der<br />

„Yaoundé-Erklärung“ zum Schutz und <strong>zur</strong><br />

nachhaltig<strong>en</strong> Nutzung der Reg<strong>en</strong>wälder verpflichtet.<br />

Zusamm<strong>en</strong> mit Gabun und Kongo<br />

unterzeichnete Kamerun im Februar 2005<br />

eine trilaterale Vereinbarung, die 14,6 Million<strong>en</strong><br />

Hektar Reg<strong>en</strong>wald schützt. Für<br />

Kameruns eig<strong>en</strong><strong>en</strong> Nationalpark Lobeke<br />

hat das Bundesministerium für wirtschaftliche<br />

Zusamm<strong>en</strong>arbeit 5 Million<strong>en</strong> Euro für<br />

ein<strong>en</strong> Umweltfonds zugesagt. Leider werd<strong>en</strong><br />

auch Entwicklungshilfegelder nicht<br />

immer ökologisch sinnvoll eingesetzt: Ohne<br />

eine einzige Umweltstudie in Auftrag gegeb<strong>en</strong><br />

zu hab<strong>en</strong>, finanzierte die Europäische<br />

Union 1996 d<strong>en</strong> Ausbau einer 52 Kilometer<br />

lang<strong>en</strong> Straße von Abong Mbang nach<br />

Lomie. Diese Straße führt dicht an einem<br />

Reg<strong>en</strong>waldschutzgebiet vorbei, weshalb<br />

sowohl die Weltbank als auch die Afrikanische<br />

Entwicklungsbank es abgelehnt hatt<strong>en</strong>,<br />

d<strong>en</strong> Bau zu unterstütz<strong>en</strong>. Heute di<strong>en</strong>t diese<br />

mit europäischem Geld gebaute Straße vor<br />

allem Holzfällern und Wilderern <strong>zur</strong> Ausübung<br />

ihrer umweltzerstör<strong>en</strong>d<strong>en</strong> Geschäfte.<br />

Quell<strong>en</strong><br />

Erosion<br />

FOTO Stefan Rostock<br />

· Weischet, Wolfgang: Die ökologische B<strong>en</strong>achteiligung<br />

der Trop<strong>en</strong>. Stuttgart 1977.<br />

· www.amazonas.de<br />

· www.reg<strong>en</strong>wald.org<br />

· www.wwf.de<br />

· www.tu-berlin.de/~kehl/project/lv-twk/22trop-wet4-twk.htm<br />

· www.faszination-reg<strong>en</strong>wald.de<br />

127


Masque d'un hippopotame,<br />

Cameroun 1990<br />

128<br />

Un hippopotame <strong>en</strong> couronne de lézard<br />

L’art des masques dans la religion traditionnelle au Cameroun<br />

par BIRGIT GÜDE<br />

piritualité et religion ont toujours suscité<br />

une grande richesse d’expression<br />

artistique. Cela se manifeste dans les<br />

grandes religions du monde, à travers leurs<br />

maisons de prière, les objets de culte, les<br />

bijoux des jours de fête célébrés au sein<br />

communauté spirituelle.<br />

Au Cameroun, l’art et l’artisanat sont<br />

étroitem<strong>en</strong>t liés à l’<strong>en</strong>vironnem<strong>en</strong>t naturel,<br />

aux facteurs sociaux, historiques et économiques,<br />

mais surtout aux croyances propres<br />

à la communauté dans laquelle ils ont pris<br />

naissance. La plupart du temps, les objets<br />

d’art et d’artisanat dont nous parlerons par<br />

la suite sont liés aux pratiques spirituelles.<br />

Ils ne sont pas seulem<strong>en</strong>t fabriqués grâce à<br />

l’inspiration de la religion, mais achevés<br />

p<strong>en</strong>dant des cérémonies traditionnelles religieuses.<br />

Les rituels, les prières et les sacrifices<br />

sont indisp<strong>en</strong>sables pour la fabrication<br />

et la mise <strong>en</strong> service des objets. C’est qu’à<br />

travers ces cérémonies que les objets peu-


v<strong>en</strong>t recevoir la force surnaturelle ou un<br />

caractère sacré – qu’ils « pr<strong>en</strong>n<strong>en</strong>t vie ».<br />

L’exemple du masque, son rôle ainsi que<br />

les rites et les cérémonies dont il fait partie,<br />

peut révéler le li<strong>en</strong> <strong>en</strong>tre vie spirituelle et<br />

création artistique. Le contexte de l’<strong>en</strong>vironnem<strong>en</strong>t<br />

social et culturel des communautés<br />

camerounaises sera esquissé dans le<br />

cadre disponible.<br />

L’animiste et les ancêtres<br />

Les membres des communautés camerounaises<br />

n’apparti<strong>en</strong>n<strong>en</strong>t pas exclusivem<strong>en</strong>t<br />

aux religions africaines traditionnelles.<br />

Parmi eux se trouv<strong>en</strong>t des musulmans et<br />

des chréti<strong>en</strong>s. Cep<strong>en</strong>dant, il ne s’agit pas de<br />

syncrétisme, mais plutôt d’une double pratique<br />

religieuse. Pourtant, la spiritualité animiste<br />

joue toujours un rôle très important<br />

dans la vie quotidi<strong>en</strong>ne et il est indisp<strong>en</strong>sable<br />

d’<strong>en</strong> t<strong>en</strong>ir compte pour toute étude de<br />

l’art camerounais.<br />

La notion animiste (du latin anima –<br />

âme) inclut l’idée que chaque objet a une<br />

âme : „tis ding i de get power for inside“ 1 .<br />

Il s’agit d’ un monde qui est créé par l’être<br />

suprême et omniprés<strong>en</strong>t appelé Si, qui<br />

dépasse tout et se retrouve <strong>en</strong> tout. Si est<br />

considéré comme bon et juste, mais sa description<br />

reste vague. On l’attribue à une<br />

force surnaturelle qui influ<strong>en</strong>ce tous les<br />

mom<strong>en</strong>ts de vie individuelle et collective.<br />

Mais le monde métaphysique apparaît aussi<br />

sous une autre forme qui a un côté plus<br />

effrayant:<br />

Les religions camerounaises, dont on<br />

trouve pratiquem<strong>en</strong>t autant de variations<br />

que de communautés, inclu<strong>en</strong>t la mort dans<br />

la vie: les ancêtres de la communauté sont<br />

toujours prés<strong>en</strong>ts dans la vie quotidi<strong>en</strong>ne.<br />

On honore ces morts, car on estime qu’ils<br />

ont beaucoup de pouvoir et qu’ils peuv<strong>en</strong>t<br />

directem<strong>en</strong>t influ<strong>en</strong>cer la vie de chacun.<br />

Dans cette mesure, il est intéressant que «<br />

tous les rites qui constitu<strong>en</strong>t le culte des<br />

ancêtres soi<strong>en</strong>t imprégnés d’une crainte<br />

mystérieuse qu’apporte avec elle la mort et<br />

semble être inspirée par la peur et le souci,<br />

non pas de secourir, mais de désarmer la<br />

v<strong>en</strong>geance des défunts; on doit leur offrir<br />

des sacrifices <strong>en</strong> cas de maladies ou d’insuccès.<br />

La crainte des sévices que peuv<strong>en</strong>t exercer<br />

les morts est si sérieuse que la pire v<strong>en</strong>geance<br />

contre un <strong>en</strong>nemi personnel, est de<br />

se donner la mort, et surtout de se p<strong>en</strong>dre<br />

devant la case de son <strong>en</strong>nemi: c’est alors le<br />

comm<strong>en</strong>cem<strong>en</strong>t de l’implacable v<strong>en</strong>geance<br />

que le défunt assouvira grâce à la puissance<br />

des esprits. » 2<br />

Les ancêtres apparaiss<strong>en</strong>t sous forme<br />

d’animaux sauvages ou incorporés dans les<br />

masques et les statues <strong>en</strong> bois. On peut<br />

communiquer avec eux à travers la tête de<br />

la communauté, le fo et par l’intermédiaire<br />

des ancêtres, l’homme peut s’adresser à<br />

l’être suprême à l’aide de prières et de sacrifices.<br />

La religion animiste est une importante<br />

source d’inspiration pour les artistes-artisans.<br />

Ainsi, le culte des ancêtres, la révolte<br />

contre la mort, le besoin de protection et de<br />

puissance, le mystère de la fécondité, les<br />

alliances avec les animaux et les forces de la<br />

nature sont des thèmes liés à des conceptions<br />

magico-religieuses et abondamm<strong>en</strong>t<br />

interprétées dans de nombreuses oeuvres<br />

d’art.<br />

Le quotidi<strong>en</strong> au gung – une vie <strong>en</strong> communauté<br />

hiérarchisée<br />

Dans le Grassland, le gung est une unité<br />

religieuse, politique et sociale, une sorte de<br />

petit « Etat – nation » 3 . Il est dirigé par le<br />

fo (roi, chef) qui est considéré comme<br />

sacré et qui pr<strong>en</strong>d ses décisions avec l’aide<br />

et <strong>en</strong> accord avec Si et les ancêtres. La<br />

reconnaissance d’un fo réunit des g<strong>en</strong>s de<br />

différ<strong>en</strong>ts horizons qui se regroup<strong>en</strong>t dans<br />

un « big big fambili » 4 . Chaque individu est<br />

à une place précise et doit obéir à une discipline<br />

rigoureuse. Le fo est la clef de tous<br />

les équilibres du groupe dans la mesure où<br />

il est gérant des positions de chacun et des<br />

règles du jeu social. Il est sout<strong>en</strong>u par le<br />

conseil des sept notables mkamsombue,<br />

une sorte de cour suprême dont la fonction<br />

est de veiller au respect des institutions et<br />

des coutumes. Les sept s’occup<strong>en</strong>t des lois<br />

et de l’intronisation du nouveau fo. Ils protèg<strong>en</strong>t<br />

le royaume, car ils sont <strong>en</strong> contact<br />

avec le monde invisible et celui des esprits.<br />

Le monde des morts et de ceux qui ne<br />

sont pas <strong>en</strong>core nés est considéré comme<br />

aussi réel et prés<strong>en</strong>t que la communauté des<br />

vivants. Les membres de la communauté<br />

sont partagés émotionnellem<strong>en</strong>t: d’une<br />

part, ils craign<strong>en</strong>t la rage des ancêtres, de<br />

l’autre ils demand<strong>en</strong>t leur aide. On leur<br />

attribue la responsabilité pour le bon et<br />

pour le mauvais qui se prés<strong>en</strong>t<strong>en</strong>t dans la<br />

vie individuelle et collective.<br />

Pour ne pas être touché par la rage des<br />

morts, chaque membre de la communauté<br />

t<strong>en</strong>te de vivre et d’agir selon les lois et les<br />

règles que la force surnaturelle et les ancêtres<br />

demand<strong>en</strong>t traditionnellem<strong>en</strong>t. En cas<br />

d’omission, on s’expose à des malheurs qui<br />

ne peuv<strong>en</strong>t être empêchés que par des sacri-<br />

129


Masque d'un ancêtre,<br />

Cameroun 1978<br />

130<br />

fices. Les actes de sacrifice se déroul<strong>en</strong>t la<br />

plupart du temps <strong>en</strong> communauté avec les<br />

autres. tre <strong>en</strong>semble,boire, manger, puis<br />

danser <strong>en</strong> grande famille fait évidem<strong>en</strong>t<br />

partie de la cérémonie.<br />

Art vivant – la danse des masques<br />

Dans son livre „Living in Style“ dans lequel<br />

Hans Knöpfli note soigneusem<strong>en</strong>t ses<br />

observations et ses expéri<strong>en</strong>ces p<strong>en</strong>dant des<br />

déc<strong>en</strong>nies passées au Grassland du Cameroun,<br />

apparaît l’expression de « l’art qui<br />

protège la vie » 5 . Ce statut inhabituel de<br />

l’art s’explique par la peur des hommes<br />

que le monde des morts et des ancêtres<br />

puissants puisse agir dans leur vie.<br />

Les t<strong>en</strong>tatives de donner un visage<br />

à cette angoisse se manifest<strong>en</strong>t dans<br />

l’action artistique. En passant à l’acte<br />

et <strong>en</strong> sculptant leurs idées sur bois,<br />

ils t<strong>en</strong>t<strong>en</strong>t d’apprivoiser les ancêtres.<br />

En même temps, on y trouve l’int<strong>en</strong>tion<br />

d’attraper et de garder l’énergie surnaturelle<br />

et métaphysique.<br />

Les artistes cré<strong>en</strong>t des formes impressionnantes,<br />

pleines de fantaisie: que ce<br />

soi<strong>en</strong>t des éléphants, des léopards, des hippopotames<br />

ou bi<strong>en</strong> des êtres humains.<br />

Parmi les figurines, les statues et les masques<br />

sculptées sur bois, peintes ou ciselées,<br />

se trouv<strong>en</strong>t des traits d’abstraction, de réalisme<br />

ainsi que des formes géométriques.<br />

Souv<strong>en</strong>t, les masques représ<strong>en</strong>t<strong>en</strong>t<br />

des têtes d’animaux sauvages pour<br />

désigner les ancêtres. Ce fait s’explique<br />

par le point de vue d’un peuple de<br />

chasseurs: on croit qu’un homme<br />

peut incorporer les qualités d’un<br />

animal. Par conséqu<strong>en</strong>t les caractéristiques<br />

du buffle, de l’éléphant<br />

ou de l’antilope devrai<strong>en</strong>t se traduire<br />

dans le corps du porteur<br />

du masque. Il devi<strong>en</strong>t fort<br />

comme un buffle ou<br />

rapide comme une antilope.<br />

Les masques à<br />

têtes d’animaux<br />

symbolis<strong>en</strong>t alors les<br />

puissances métaphysiques<br />

au lieu de<br />

véritables animaux.<br />

La création d’un<br />

nouveau masque est<br />

toujours à un<br />

mom<strong>en</strong>t du rituel<br />

mis <strong>en</strong> contact avec<br />

une araignée qui est<br />

considérée comme<br />

connaîssant les secrets des ancêtres. A travers<br />

un tel acte, les objets d’art devi<strong>en</strong>n<strong>en</strong>t<br />

des supports ou des réceptacles de la force<br />

surnaturelle et des concepts religieux.<br />

Cep<strong>en</strong>dant, la « sortie » des masques<br />

permet de percevoir <strong>en</strong>core une qualité<br />

bi<strong>en</strong> vivace.<br />

Cérémonie: fête, rite, rituel<br />

Il faut se r<strong>en</strong>dre compte que la signification<br />

du masque ne consiste pas seulem<strong>en</strong>t dans<br />

le masque <strong>en</strong> bois qui est placé sur la tête,<br />

le siège de la sagesse de l’homme, mais<br />

concerne tout l’<strong>en</strong>semble du costume du<br />

danseur. Lorsqu’un danseur « devi<strong>en</strong>t » un<br />

masque, il incarne l’esprit de l’ancêtre fondateur<br />

de la société. Ses pouvoirs sont r<strong>en</strong>forcés<br />

par la personnalité du porteur et la<br />

qualité de sa famille, même si, <strong>en</strong> principe,<br />

les spectateurs ne connaiss<strong>en</strong>t pas l’id<strong>en</strong>tité<br />

de l’homme sous le masque. 6 (Pour cette<br />

raison, le veille d’une manifestation publique,<br />

offrandes et sacrifices d’animaux sont<br />

dédié aux divinités tutélaires des masques.)<br />

Chaque masque fait partie d’une société<br />

de masques qui conti<strong>en</strong>t <strong>en</strong>tre sept et vingtcinq<br />

hommes-danseurs (pas de femmes!).<br />

Seulem<strong>en</strong>t un nombre limité a le droit de<br />

porter un masque p<strong>en</strong>dant des cérémonies<br />

occasionnelles.<br />

Les « sorties » des masques peuv<strong>en</strong>t être<br />

sollicitées pour résoudre des problèmes<br />

individuels ou familiaux: stérilité, maladie,<br />

décès, malédiction, ainsi que des’événem<strong>en</strong>ts<br />

importants comme un mariage ou<br />

une intronisation ou collectifs: épidémies,<br />

calamités naturelles.<br />

Comme les masques sont liés à des difficultés<br />

locales à résoudre, ils prés<strong>en</strong>t<strong>en</strong>t des<br />

caractéristiques propres à leur société, des<br />

critères esthétiques que la tradition transmet<br />

de génération <strong>en</strong> génération.<br />

« Le masque a pour rôle de maint<strong>en</strong>ir la<br />

cohésion sociale, l’harmonie et l’<strong>en</strong>t<strong>en</strong>te<br />

<strong>en</strong>tre les différ<strong>en</strong>tes couches de la population.<br />

Les hommes plac<strong>en</strong>t <strong>en</strong> lui leur<br />

confiance, leurs aspirations et leurs espoirs.<br />

Il retrace leur histoire, perpétue leurs<br />

rituels. Il est le li<strong>en</strong> <strong>en</strong>tre les vivants et les<br />

ancêtres qui ont fondé le groupe et continu<strong>en</strong>t<br />

de veiller sur lui. Il incarne aussi<br />

leurs craintes et les maux les plus graves<br />

(maladie, stérilité, famine) et rappelle aux<br />

hommes les règles sociales qui permett<strong>en</strong>t<br />

d’y échapper. » 7<br />

Au cours des cérémonies rigoureusem<strong>en</strong>t<br />

organisées, chaque danseur incarne la<br />

divinité ou le personnage désigné par le<br />

masque qu’il porte. Cette « appropriation »


n’est pas sans danger, aussi des prières sontelles<br />

prononcées et des médicam<strong>en</strong>ts sont<br />

préparés à l’int<strong>en</strong>tion des danseurs masqués.<br />

Si la puissance des masques est considérée<br />

comme trop dangereuse, il est interdit<br />

aux non-initiés d’assister à la représ<strong>en</strong>tation.<br />

On suppose que le masque peut<br />

révéler la mort et les maladies.<br />

D’autres rituels complexes s’exprim<strong>en</strong>t pleinem<strong>en</strong>t<br />

<strong>en</strong> dehors des « sorties » des masques.<br />

A côté de ces masques qui apparaiss<strong>en</strong>t<br />

toujours à plusieurs et au long des<br />

jours de fêtes, il <strong>en</strong> existe aussi d’autres<br />

qui ont des fonctions de régulation dans la<br />

communauté. Ils apparaissant quand on <strong>en</strong><br />

a besoin – pour rappeler les droits et les<br />

influ<strong>en</strong>ces des ancêtres. Parmi ceux-ci, on<br />

peut trouver des figures de policier ainsi<br />

que de juge: Ce dernier apparaît notamm<strong>en</strong>t<br />

dans les cas les plus sérieux. C’est par<br />

ce moy<strong>en</strong> seulem<strong>en</strong>t que le fo peut être critiqué.<br />

8<br />

D’autres masques sont fait pour le divertissem<strong>en</strong>t.<br />

Le masque de caméléon par<br />

exemple vi<strong>en</strong>t pour annoncer le changem<strong>en</strong>t<br />

des saisons.<br />

Depuis des générations jusqu’à nos jours,<br />

le caractère secret des cérémonies importantes<br />

est soigneusem<strong>en</strong>t gardé sous peine<br />

de sanctions très graves pouvant aller<br />

jusqu’à la mort des traîtres ou des imprud<strong>en</strong>ts.<br />

Aujourd’hui, alors que les fêtes<br />

rituelles et funéraires accept<strong>en</strong>t la prés<strong>en</strong>ce<br />

du public, le masque reste toujours un mystère<br />

– les forces surnaturelles ne peuv<strong>en</strong>t<br />

pas être expliquées <strong>en</strong> termes sci<strong>en</strong>tifiques.<br />

Après avoir accepté qu’on ne puisse<br />

jamais pénétrer <strong>en</strong>tièrem<strong>en</strong>t dans les<br />

croyances et le savoir, ce qui reste à faire,<br />

d’après Hans Knöpfli, c’est de se mettre<br />

sil<strong>en</strong>cieusem<strong>en</strong>t dans un coin pour bi<strong>en</strong><br />

Masques, ô, les masques,<br />

Des masques noirs, des masques rouges, vous, les masques noirs et blancs,<br />

Les masques des quatre coins du compas,<br />

D’où l’esprit souffle-t-il<br />

Je vous salue sil<strong>en</strong>cieusem<strong>en</strong>t!<br />

Pas seulem<strong>en</strong>t toi, mon ancêtre à tête de lion,<br />

Toi qui garde cette place fermée<br />

A chaque rire de femme et chaque sourire qui passe.<br />

De toi vi<strong>en</strong>t l’air de l’éternité<br />

Dans lequel je respire l’air de mes pères.<br />

(Leopod Sédar S<strong>en</strong>ghor 10 )<br />

voir ce qui se passe - « et d’<strong>en</strong>lever nos<br />

chaussures, car nous touchons une terre<br />

sacrée » 9 .<br />

1 Voir Hans Knöpfli, p.196. Pidgin English: The trade<br />

language in West Africa especially South<br />

Eastern Nigeria and West Cameroon. It is a<br />

language of limited vocabulary and structure,<br />

drawing its vocabulary almost exclusively from the<br />

English language. It developed into a lingua<br />

franca to facilitate communication among people<br />

of the differ<strong>en</strong>t tongues in Cameroon.<br />

2 Musée d’Arts Africains, Océani<strong>en</strong>s, Amérindi<strong>en</strong>s,<br />

1994, p. 42.<br />

3 Ibid., p. 18.<br />

4 Voir Hans Knöpfli, p. 196. Pidgin English.<br />

5 Ibid., p.84.<br />

6 Voir Josette Rivallain et Félix A. Iroko, p.40.<br />

7 Ibid., p. 45.<br />

8 Voir Hans Knöpfli, p. 122/123.<br />

9 Ibid., p. 124.<br />

10 Voir Hans Knöpfli, p.124. Leopod Sédar S<strong>en</strong>ghor<br />

est l’anci<strong>en</strong> Présid<strong>en</strong>t de la République du Sénégal.<br />

référ<strong>en</strong>ces<br />

· Hans Knöpfli, Living in Style, In: Crafts and<br />

Technologies: Some Traditional Craftsm<strong>en</strong> and<br />

– wom<strong>en</strong> of the Western Grassland of Cameroon.<br />

Part 4: Handicrafts, Music and the Fabric<br />

of Social Life. Basel, 2001.<br />

· Musée d’Arts Africains, Océani<strong>en</strong>s, Amérindi<strong>en</strong>s<br />

– C<strong>en</strong>tre de la Vieille Charité (Hrsg.),<br />

Batcham, Sculptures du Cameroun. Marseille,<br />

1994.<br />

· Josette Rivallain et Félix A. Iroko, Yoruba, Masques<br />

et rituels africains. Paris, 2000.<br />

· Photos: Hans Knöpfli dans le 4ième tome de<br />

sa série Crafts and Technologies: Some Traditional<br />

Craftsm<strong>en</strong> and – wom<strong>en</strong> of the Western<br />

Grassland of Cameroon<br />

131


FOTO Stefan Rostock<br />

132<br />

Tradition und Entwicklung in Afrika<br />

von CORDULA HAGEMANN<br />

it der Unabhängigkeit der afrikanisch<strong>en</strong><br />

Staat<strong>en</strong> in der Mitte des letzt<strong>en</strong><br />

Jahrhunderts verband<strong>en</strong> sich<br />

große Hoffnung<strong>en</strong>: nach d<strong>en</strong> Jahr<strong>en</strong> der<br />

Ausbeutung durft<strong>en</strong> nun <strong>en</strong>dlich auch die<br />

afrikanisch<strong>en</strong> Länder Industrialisierung<br />

und wirtschaftliches Wachstum erwart<strong>en</strong>.<br />

Man glaubte, innerhalb einiger Jahre d<strong>en</strong><br />

Entwicklungstand und d<strong>en</strong> Wohlstand der<br />

westlich<strong>en</strong> Länder erreich<strong>en</strong> zu könn<strong>en</strong>.<br />

Doch der erhoffte wirtschaftliche Aufschwung<br />

und mit ihm eine Verbesserung


der Leb<strong>en</strong>sbedingung<strong>en</strong> blieb<strong>en</strong> bis heute<br />

aus. Fast alle afrikanisch<strong>en</strong> Staat<strong>en</strong> leid<strong>en</strong><br />

unter massiv<strong>en</strong> wirtschaftlich<strong>en</strong> und sozial<strong>en</strong><br />

Problem<strong>en</strong>. Die Gründe dafür sind vielfältig.<br />

Als ein Grund wurde im Rahm<strong>en</strong> der<br />

Modernisierungstheorie immer wieder die<br />

Tradition g<strong>en</strong>annt. Die Entwicklungsländer<br />

sind deshalb unter<strong>en</strong>twickelt, weil sie sich<br />

nicht aus d<strong>en</strong> „Fesseln der Tradition“<br />

befrei<strong>en</strong> könn<strong>en</strong>, so lautet die modernisierungstheoretische<br />

Kernaussage (Nuscheler<br />

2004, S. 208). Ob Tradition<strong>en</strong> tatsächlich<br />

als Erklärungsgrund für die ausbleib<strong>en</strong>de<br />

Entwicklung herangezog<strong>en</strong> werd<strong>en</strong> könn<strong>en</strong>,<br />

damit möchte sich dieser Beitrag kritisch<br />

auseinandersetz<strong>en</strong>.<br />

Die Modernisierungstheorie, die ihr<strong>en</strong><br />

Ursprung in d<strong>en</strong> 50er Jahr<strong>en</strong> des letzt<strong>en</strong><br />

Jahrhunderts hatte, sieht die Ursache für<br />

Unter<strong>en</strong>twicklung in der fehl<strong>en</strong>d<strong>en</strong> Modernisierung<br />

der Entwicklungsländer. Eine<br />

gesellschaftliche Modernisierung wird als<br />

Voraussetzung für jegliche wirtschaftliche<br />

Entwicklung geseh<strong>en</strong>. Unter Modernisierung<br />

wird dabei der Prozess der Transformation<br />

von traditional<strong>en</strong> gesellschaftlich<strong>en</strong><br />

Institution<strong>en</strong> zu d<strong>en</strong>j<strong>en</strong>ig<strong>en</strong> einer modern<strong>en</strong><br />

Gesellschaft verstand<strong>en</strong>, wie sie in d<strong>en</strong><br />

westlich <strong>en</strong>twickelt<strong>en</strong> Ländern zu find<strong>en</strong><br />

sind. Ausgeh<strong>en</strong>d von einer Analyse der<br />

westlich<strong>en</strong> Industrieländer zeig<strong>en</strong> Modernisierungstheoretiker<br />

die Strukturmerkmale<br />

einer modern<strong>en</strong> Gesellschaft auf und weis<strong>en</strong><br />

auf die Rückständigkeit der Entwicklungsländer<br />

in Bezug auf diese Merkmale<br />

hin. Dahinter steckt die Annahme, es gäbe<br />

eine lineare Entwicklungslinie von der traditional<strong>en</strong><br />

Gesellschaft hin <strong>zur</strong> modern<strong>en</strong>.<br />

Entwicklungsländer befind<strong>en</strong> sich demnach<br />

auf demselb<strong>en</strong> Entwicklungspfad wie die<br />

Industriestaat<strong>en</strong>, sie sind eb<strong>en</strong> einfach noch<br />

nicht soweit fortgeschritt<strong>en</strong> (Hein 1998, S.<br />

214). So zeigt, wie Karl Marx in der Einleitung<br />

zum „Kapital“ schreibt „das industriell<br />

<strong>en</strong>twickeltere Land…dem minder <strong>en</strong>twickelt<strong>en</strong><br />

nur das Bild der eig<strong>en</strong><strong>en</strong> Zukunft“ (zit.<br />

in Hein 1998, S. 198). Währ<strong>en</strong>d Marx vor<br />

allem an Produktionstechnik<strong>en</strong> d<strong>en</strong>kt, weist<br />

Max Weber („Die protestantische Ethik und<br />

der Geist des Kapitalismus“) auf die Rolle<br />

der Kultur hin. Eine <strong>en</strong>tscheid<strong>en</strong>de Bedeutung<br />

für die Entwicklung Europas, dem<br />

„okzid<strong>en</strong>tal<strong>en</strong> Rationalisierungsprozess“<br />

kommt aus seiner Sicht d<strong>en</strong> Wert<strong>en</strong> und<br />

Verhalt<strong>en</strong>smodell<strong>en</strong> der Gesellschaft zu (zit.<br />

in Braun & Rösler 1992, S. 252).<br />

Dabei war es sicher nicht Webers Anlieg<strong>en</strong>,<br />

die Unter<strong>en</strong>twicklung in d<strong>en</strong> Entwicklungsländern,<br />

die sich zu seiner Zeit größ-<br />

t<strong>en</strong>teils noch in kolonialer Abhängigkeit<br />

befand<strong>en</strong>, zu erklär<strong>en</strong>. Vielmehr wollte er<br />

die Bedeutung der Kultur für die Entwicklung<br />

der europäisch<strong>en</strong> Länder aufzeig<strong>en</strong>.<br />

Erst als die nach der Unabhängigkeit der<br />

afrikanisch<strong>en</strong> Länder erwartete wirtschaftliche<br />

Entwicklung ausblieb und die vorhand<strong>en</strong><strong>en</strong><br />

theoretisch<strong>en</strong> Konzepte dafür nur<br />

un<strong>zur</strong>eich<strong>en</strong>de Erklärung<strong>en</strong> liefern konnt<strong>en</strong>,<br />

griff man Weber wieder auf und<br />

begann zu diskutier<strong>en</strong>, ob es die traditionale<br />

Kultur sei, die ein<strong>en</strong> rasch<strong>en</strong> Entwicklungsprozess<br />

behindere. Modernisierungstheoretiker<br />

war<strong>en</strong> von der <strong>en</strong>twicklungshemm<strong>en</strong>de<br />

Wirkung der Tradition<br />

überzeugt und folglich galt<strong>en</strong> kulturell<br />

geprägte Werte, Verhalt<strong>en</strong>weis<strong>en</strong>, Arbeitsform<strong>en</strong><br />

und Technik<strong>en</strong> als Bremssteine<br />

einer nachhol<strong>en</strong>d<strong>en</strong> ökonomisch<strong>en</strong> Entwicklung<br />

(Braun & Rösler 1992, S. 252f).<br />

In diesem Sinne mag auch die in viel<strong>en</strong><br />

Ethni<strong>en</strong> Afrikas verbreitete „target economy“<br />

(Bliss 2001, S. 78) als <strong>en</strong>twicklungshemm<strong>en</strong>d<br />

gelt<strong>en</strong>. Darunter versteht man, dass<br />

Arbeit einzig und allein der Bedürfnisbefriedigung<br />

di<strong>en</strong>t. Man arbeitet, um sich und<br />

seine Familie zu ernähr<strong>en</strong> und sich<br />

bestimmte Luxusgüter leist<strong>en</strong> zu könn<strong>en</strong>.<br />

Das schließt nicht aus, ein Minimum an Bargeld<br />

zu erwirtschaft<strong>en</strong>, was aber zweckgebund<strong>en</strong>,<br />

wie z.B. für d<strong>en</strong> Schulbesuch der<br />

Kinder, eingesetzt wird. Arbeit an sich<br />

erfährt jedoch keine Wertschätzung und<br />

das Maß der Arbeit ist dem<strong>en</strong>tsprech<strong>en</strong>d<br />

dosiert und zielori<strong>en</strong>tiert. Der „target worker“<br />

arbeitet nicht, um Geld für zukünftige<br />

Investition<strong>en</strong> <strong>zur</strong> Seite zu leg<strong>en</strong> oder zu spar<strong>en</strong>.<br />

Wer das d<strong>en</strong>noch tut, muss sogar mit<br />

Sanktion<strong>en</strong> rechn<strong>en</strong>. Das kann sogar so<br />

weit geh<strong>en</strong>, dass alles, was nach Meinung<br />

der Mehrheit der Gesellschaft das übliche<br />

Maß des Erwerbs überschreitet, zerstört<br />

wird. W<strong>en</strong>n man bed<strong>en</strong>kt, dass Investition<strong>en</strong><br />

als Grundstein einer wirtschaftlich<strong>en</strong><br />

Entwicklung gelt<strong>en</strong>, mag auf diese Weise<br />

Entwicklung bewusst verhindert werd<strong>en</strong>.<br />

Bliss (2001, S. 78) weist allerdings daraufhin,<br />

dass ein solches Verhalt<strong>en</strong> in manch<strong>en</strong><br />

Situation<strong>en</strong> sehr wohl angepasst sein kann,<br />

z.B. w<strong>en</strong>n auf diese Weise die Übernutzung<br />

von Ressourc<strong>en</strong> verhindert wird. Er kritisiert,<br />

dass die Modernisierungstheorie Kultur<br />

pauschal als <strong>en</strong>twicklungshemm<strong>en</strong>d<br />

betrachtet, ohne diese jedoch g<strong>en</strong>auer zu<br />

analysier<strong>en</strong> und ohne zu beschreib<strong>en</strong>, wie<br />

und wodurch kulturelle Faktor<strong>en</strong> Entwicklung<br />

hemm<strong>en</strong>.<br />

Dass traditionale Kultur nicht nur Entwicklungsbarriere<br />

sondern im Geg<strong>en</strong>teil<br />

133


134<br />

auch Entwicklungsressource sein kann,<br />

zeigt das Beispiel Ostasi<strong>en</strong>s. Als Erklärungsgrundlage<br />

für das japanische Wirtschaftswunder<br />

und die rasante Entwicklung Chinas<br />

wird inzwisch<strong>en</strong> von viel<strong>en</strong> Wiss<strong>en</strong>schaftlern<br />

auch das konfuzianische Werteund<br />

Norm<strong>en</strong>system (z.B. Grupp<strong>en</strong>konformismus,<br />

hohe Lerndisziplin, Hierarchisierung<br />

aller Leb<strong>en</strong>sbereiche) herangezog<strong>en</strong>,<br />

welches bis in die 50er Jahre noch als Entwicklungsbarriere<br />

galt (Braun & Rösler<br />

1992, S. 259). Der Aufstieg Japans vom Entwicklungsland<br />

<strong>zur</strong> wirtschaftlich<strong>en</strong> Großmacht<br />

macht deutlich, dass eine traditionale<br />

Kultur nicht per se die Entwicklung eines<br />

Landes hemmt und differ<strong>en</strong>zierte Erklärungsansätze<br />

notw<strong>en</strong>dig sind, um die ausbleib<strong>en</strong>de<br />

wirtschaftliche Entwicklung eines<br />

Landes zu erklär<strong>en</strong>.<br />

Braun & Rösler (1992, S. 253f) argum<strong>en</strong>tier<strong>en</strong>,<br />

dass M<strong>en</strong>sch<strong>en</strong> in Entwicklungsländern<br />

in ihrem kulturell<strong>en</strong> Kontext sehr<br />

wohl ökonomisch rational handeln würd<strong>en</strong>.<br />

Sie verweis<strong>en</strong> auf die „homo oeconomicus“-<br />

These, nach der ökonomische Rationalität<br />

bedeutet, bei gegeb<strong>en</strong><strong>en</strong> Wiss<strong>en</strong> und d<strong>en</strong><br />

verfügbar<strong>en</strong> Produktionsmitteln die off<strong>en</strong><br />

steh<strong>en</strong>d<strong>en</strong> Möglichkeit<strong>en</strong> effizi<strong>en</strong>t zu nutz<strong>en</strong>.<br />

In arm<strong>en</strong> Gesellschaft<strong>en</strong> wäre alles<br />

Handeln auf das Überleb<strong>en</strong> ausgerichtet<br />

und das Leb<strong>en</strong> von einem hoh<strong>en</strong> Unsicherheitsfaktor<br />

geprägt. So ginge es vor allem<br />

darum, vorhand<strong>en</strong>e Produktionserträge zu<br />

stabilisier<strong>en</strong> und Risik<strong>en</strong>, die das Überleb<strong>en</strong><br />

gefährd<strong>en</strong> könnt<strong>en</strong>, zu minimier<strong>en</strong>. Modernisierung<strong>en</strong><br />

erhöh<strong>en</strong> jedoch oft zumindest<br />

währ<strong>en</strong>d der Einführungsphase die Ertragsunsicherheit.<br />

Auf diesem Hintergrund<br />

scheint es rational zu sein, Modernisierung<strong>en</strong>,<br />

die zunächst einmal ein erhöhtes Risiko<br />

bedeut<strong>en</strong> und damit das Überleb<strong>en</strong><br />

gefährd<strong>en</strong>, abzulehn<strong>en</strong>: „Die Einführung<br />

gesellschaftlicher Neuerung<strong>en</strong> scheitert<br />

nicht am „traditional<strong>en</strong>“ Verhalt<strong>en</strong>, sondern<br />

gerade, weil neue Handlungsalternativ<strong>en</strong>,<br />

Produkte und Verfahr<strong>en</strong> rational<br />

bewertet – und abgelehnt werd<strong>en</strong> (Braun &<br />

Rösler 1992, S. 254).“ So mög<strong>en</strong> beispielsweise<br />

kulturelle Norm<strong>en</strong> die Einführung<br />

von Neuerung<strong>en</strong> erschwer<strong>en</strong>, aber nur<br />

dann, w<strong>en</strong>n diese die tradiert<strong>en</strong>, überleb<strong>en</strong>sichernd<strong>en</strong><br />

Interaktionsmuster (z.B.<br />

soziale Reziprozität) zu zerstör<strong>en</strong> droh<strong>en</strong>.<br />

Traditionale kulturelle Wert- und Norm<strong>en</strong>systeme<br />

sind also nicht g<strong>en</strong>erell als<br />

Innovationsbremse zu versteh<strong>en</strong>. Im Geg<strong>en</strong>teil,<br />

sie könn<strong>en</strong> durchaus <strong>en</strong>twicklungsori<strong>en</strong>tiert<br />

sein, vielleicht nicht immer im Sinne<br />

eines westlich<strong>en</strong> Verständnisses von Ent-<br />

wicklung, aber innerhalb der Kriteri<strong>en</strong> von<br />

betroff<strong>en</strong><strong>en</strong> Grupp<strong>en</strong>. Es stellt sich die Frage,<br />

inwieweit sich die modernisierungstheoretische<br />

Annahme, dass Entwicklung nur in<br />

eine Richtung, nämlich in die der westlich<strong>en</strong><br />

Industrieländer, verlauf<strong>en</strong> kann, überhaupt<br />

aufrechterhalt<strong>en</strong> werd<strong>en</strong> kann. Lässt<br />

sich das westliche Entwicklungsmodell auf<br />

die Entwicklungsländer übertrag<strong>en</strong>? Müss<strong>en</strong><br />

die Entwicklungsländer zwangsläufig so<br />

d<strong>en</strong>k<strong>en</strong> und handeln lern<strong>en</strong> wie die westliche<br />

Welt, damit wirtschaftlicher Aufschwung<br />

stattfind<strong>en</strong> kann? Bliss (2001, S.<br />

77) bezweifelt das und plädiert deshalb für<br />

eine kulturell relativ neutrale Formulierung<br />

des Entwicklungsbegriff: „Entwicklung ist<br />

das, was aus Sicht der jeweils Beteiligt<strong>en</strong><br />

sein soll. Das, was sein soll, ist von Kultur zu<br />

Kultur (…) verschied<strong>en</strong> (Bliss 2001).“ Eine<br />

Verbesserung der Situation betroff<strong>en</strong>er<br />

Grupp<strong>en</strong> und Gesellschaft<strong>en</strong> steht ohne<br />

Zweifel im Z<strong>en</strong>trum eines jed<strong>en</strong> Entwicklungsbegriffs,<br />

allerdings könn<strong>en</strong> die<br />

zugrunde gelegt<strong>en</strong> Kriteri<strong>en</strong> andere sein.<br />

Der West<strong>en</strong> ist sicher nicht der Himmel auf<br />

Erd<strong>en</strong>.<br />

Die Kamerunerin Axelle Kabou (1993)<br />

stellt in ihrer umstritt<strong>en</strong><strong>en</strong> „Streitschrift<br />

geg<strong>en</strong> schwarze Elit<strong>en</strong> und weiße Helfer“<br />

die provokante These auf, dass Afrika sich<br />

nicht <strong>en</strong>twickeln will. Der Entwicklungswille<br />

Afrikas sei ein „Mythos“. Auch sie argum<strong>en</strong>tiert<br />

zuweil<strong>en</strong> im Sinne der Modernisierungstheoretiker:<br />

„Es besteht gar kein Zweifel,<br />

dass die Auffassung von Kultur und Tradition,<br />

die sich in Afrika nach Erlangung<br />

der Unabhängigkeit durchgesetzt hat, ein<br />

Bremsklotz für die Entwicklung ist. (Kabou<br />

1993, S. 180).“ Und doch sieht sie die Ursache<br />

für Unter<strong>en</strong>twicklung nicht in der Tradition<br />

an sich, sondern in einer Haltung,<br />

die Entwicklung verweigert und sich dabei<br />

auf traditionelle Werte beruft. So schreibt<br />

sie an anderer Stelle: „Die Ehre verlangt,<br />

die gefährdete afrikanische Tradition mit<br />

dem Wurfspiess in der Hand zu verteidig<strong>en</strong>,<br />

und die grösste Mutprobe besteht darin,<br />

sich selbst aufzugeb<strong>en</strong>, indem man dem<br />

westlich<strong>en</strong> Feind recht gibt (Kabou 1993, S.<br />

68).“ Aufhol<strong>en</strong>de Entwicklung im Sinne der<br />

westlich<strong>en</strong> Welt werde als Eingeständnis der<br />

eig<strong>en</strong><strong>en</strong> kulturell<strong>en</strong> Unterleg<strong>en</strong>heit empfund<strong>en</strong>,<br />

es bestehe die Angst, dass Afrika an<br />

kultureller Id<strong>en</strong>tität, dass „Afrika an<br />

m<strong>en</strong>schlicher Wärme verlier<strong>en</strong> würde,<br />

w<strong>en</strong>n es sich für ein str<strong>en</strong>ges und leistungsfähigeres<br />

Verwaltungssystem <strong>en</strong>tschlösse<br />

(Kabou 1993, S. 152).“ Begründet sieht sie<br />

diese Haltung damit, dass „…die Dominanz


der Europäer währ<strong>en</strong>d der Kolonialzeit bei<br />

d<strong>en</strong> Afrikanern zu einem schwer<strong>en</strong> Komplex<br />

geführt hat, zu Zweifeln am eig<strong>en</strong><strong>en</strong><br />

Selbstwert und <strong>zur</strong> Überzeugung schließlich,<br />

dass ihre Kultur zu der des West<strong>en</strong>s<br />

grundsätzlich minderwertig ist (Kabou<br />

1993, S. 158).“ Eine ähnliche These vertret<strong>en</strong><br />

Braun & Rösler (1992). Sie glaub<strong>en</strong>,<br />

dass nicht die traditionale Kultur, sondern<br />

ihre Instrum<strong>en</strong>talisierung zum Entwicklungshemmnis<br />

werd<strong>en</strong> kann. Wie Kabou<br />

geh<strong>en</strong> sie davon aus, dass in d<strong>en</strong> Entwicklungsländern<br />

die „Macht der Kolonialherr<strong>en</strong><br />

auch als Macht einer überleg<strong>en</strong><strong>en</strong> Kultur“<br />

(Braun & Rösler 1992, S. 260) erfahr<strong>en</strong><br />

und gedeutet wurde. Mit Beginn der Unabhängigkeitsbestrebung<strong>en</strong><br />

<strong>en</strong>twickelte sich in<br />

d<strong>en</strong> Entwicklungsländern ein neues Selbstbewusstsein,<br />

welches auf vorkoloniale Tradition<strong>en</strong><br />

<strong>zur</strong>ückgriff. Intellektuelle und Reformer<br />

bemüht<strong>en</strong> sich, traditionale Werte und<br />

Religion<strong>en</strong> neu zu beleb<strong>en</strong> und somit eine<br />

neue nationale Kultur zu schaff<strong>en</strong>, die sich<br />

von der Kultur der Kolonialherr<strong>en</strong> abgr<strong>en</strong>zte.<br />

Diese nach und nach geschaff<strong>en</strong>e nationale<br />

Kultur sah sich bewusst im Geg<strong>en</strong>satz<br />

<strong>zur</strong> kolonial<strong>en</strong> Kultur und berief sich auf<br />

die ureig<strong>en</strong>e afrikanische Kultur, auf das<br />

„gold<strong>en</strong><strong>en</strong> Zeitalter“ der vorkolonial<strong>en</strong> Zeit.<br />

Vor der Kolonialisierung war Afrika allerdings<br />

geprägt von einer Vielzahl von Kultur<strong>en</strong>,<br />

die völlig unterschiedlich <strong>en</strong>twickelt<br />

war<strong>en</strong>. Eine nationale, einheitliche Kultur<br />

hatte es nie gegeb<strong>en</strong>, nach der Unabhängigkeit<br />

aber wurde sie von d<strong>en</strong> Mächtig<strong>en</strong> konstruiert,<br />

auch um eig<strong>en</strong>e Macht- und Wirtschaftsinteress<strong>en</strong><br />

zu rechtfertig<strong>en</strong> (Braun &<br />

Rösler 1992, S. 260ff). Mit dem Verweis auf<br />

eine nationale Kultur konnt<strong>en</strong> „demokratische<br />

Herrschaftsform<strong>en</strong> und M<strong>en</strong>sch<strong>en</strong>rechte<br />

susp<strong>en</strong>diert, soziale und ethnische<br />

Minderheit<strong>en</strong> aus dem Entwicklungsprozeß<br />

ausgegr<strong>en</strong>zt und überlieferte Glaub<strong>en</strong>ssysteme<br />

<strong>zur</strong> Staatsreligion aufgewertet, radikalisiert<br />

und <strong>zur</strong> Abwehr der Moderne eingesetzt<br />

werd<strong>en</strong> (Braun & Rösler 1992, S.<br />

262).“<br />

Entwicklung und die damit verbund<strong>en</strong>e<br />

Verbesserung der Leb<strong>en</strong>sbedingung<strong>en</strong> für<br />

die Bevölkerung darf nicht mit Verweis auf<br />

die traditionale Kultur verhindert werd<strong>en</strong>.<br />

Die afrikanisch<strong>en</strong> Länder müss<strong>en</strong> im<br />

Innern ihrer Gesellschaft<strong>en</strong> die <strong>en</strong>tscheid<strong>en</strong>d<strong>en</strong><br />

Voraussetzung<strong>en</strong> für Entwicklung<br />

schaff<strong>en</strong> und damit auch Modernisierung<br />

ermöglich<strong>en</strong>. Es ist jedoch un<strong>zur</strong>eich<strong>en</strong>d,<br />

traditionale Kultur<strong>en</strong> pauschal als <strong>en</strong>twicklungshemm<strong>en</strong>d<br />

zu bezeichn<strong>en</strong> und die Entwicklungsländer<br />

aufzufordern, traditionale<br />

Überzeugung<strong>en</strong> aufzugeb<strong>en</strong>. Traditional<strong>en</strong><br />

Norm<strong>en</strong>, Werte und Verhalt<strong>en</strong>sweis<strong>en</strong>,<br />

sowie ihre Funktion müss<strong>en</strong> in ihrem jeweilig<strong>en</strong><br />

Kontext analysiert werd<strong>en</strong>. Dabei gilt<br />

es aber, nicht nur die <strong>en</strong>twicklungshemm<strong>en</strong>d<strong>en</strong><br />

Elem<strong>en</strong>te einer Kultur zu spezifizier<strong>en</strong>,<br />

sondern eb<strong>en</strong>so diej<strong>en</strong>ig<strong>en</strong> Elem<strong>en</strong>te,<br />

die Entwicklung unterstütz<strong>en</strong> könn<strong>en</strong>.<br />

Nur dann gelingt es, Tradition<strong>en</strong> auch als<br />

Entwicklungsressource zu nutz<strong>en</strong> und diese<br />

bei der Implem<strong>en</strong>tierung von Entwicklungsstrategi<strong>en</strong><br />

zu berücksichtig<strong>en</strong>. Mit ander<strong>en</strong><br />

Wort<strong>en</strong>: „Die Tradition hat ihr<strong>en</strong> Platz<br />

nicht im Museum, ihre historische Aufgabe<br />

ist vielmehr, treff<strong>en</strong>de Antwort<strong>en</strong> auf die<br />

Herausforderung<strong>en</strong> zu geb<strong>en</strong>, d<strong>en</strong><strong>en</strong> sich<br />

jede leb<strong>en</strong>dige Kultur stell<strong>en</strong> muss. Afrika<br />

ist voller zivilisatorischer Werte, die dem<br />

Kontin<strong>en</strong>t helf<strong>en</strong> könn<strong>en</strong>, j<strong>en</strong>e Aufgab<strong>en</strong> zu<br />

lös<strong>en</strong>, die sich einer Gesellschaft auf dem<br />

Weg <strong>zur</strong> industriell<strong>en</strong> Entwicklung stell<strong>en</strong><br />

(Kabou 1993, S. 192).“<br />

Die in diesem Artikel angesproch<strong>en</strong>e kulturelle<br />

Dim<strong>en</strong>sion ist sicherlich nur ein<br />

Aspekt in der Entwicklungsdebatte. Andere<br />

Probleme, wie beispielsweise der riesige<br />

Schuld<strong>en</strong>berg und politische Instabilität,<br />

steh<strong>en</strong> einer Verbesserung der Leb<strong>en</strong>sbedingung<strong>en</strong><br />

und wirtschaftlichem Aufschwung<br />

in d<strong>en</strong> afrikanisch<strong>en</strong> Ländern im<br />

Wege. Unter<strong>en</strong>twicklung ist ein vielschichtiger<br />

Zustand und Prozess, der durch das<br />

Zusamm<strong>en</strong>spiel vieler Faktor<strong>en</strong> verursacht<br />

wird und nicht mit monokausal<strong>en</strong> Erklärung<strong>en</strong><br />

beschrieb<strong>en</strong> werd<strong>en</strong> kann.<br />

Literatur<br />

· Bliss, Frank (2001): Kultur und Entwicklung.<br />

Ein zu w<strong>en</strong>ig beachteter Aspekt in Entwicklungstheorie<br />

und –praxis, in: Thiel, Reinhold E.<br />

(2001): Neue Ansätze <strong>zur</strong> Entwicklungstheorie,<br />

2. Auflage, Bonn: DSE/IZEP, S. 70 – 81.<br />

· Braun, Gerald & Rösel, Jakob (1992): Kultur<br />

und Entwicklung, in: Handbuch der Dritt<strong>en</strong><br />

Welt, Bd. 1, Bonn, S.250-268.<br />

· Hein, Wolfgang (1998): Unter<strong>en</strong>twicklung –<br />

Krise der Peripherie. Oplad<strong>en</strong>.<br />

· Kabou, Axelle (1993): Weder arm noch ohnmächtig,<br />

Basel.<br />

· Nuscheler, Franz (2004): Entwicklungspolitik.<br />

Lern- und Arbeitsbuch, Bonn.<br />

135


136<br />

Tayou, Pascale Marthine:<br />

L’ Epouvantail,<br />

1995, diverse Materiali<strong>en</strong>,<br />

113 x 61 cm, aus:<br />

Africa Screams. Das<br />

Böse in Kino, Kunst<br />

und Kult, hrsg. von<br />

Tobias W<strong>en</strong>dl, Ausstellungskatalog<br />

Iwalewa-<br />

Haus/Kunsthalle<br />

Wi<strong>en</strong>/ Museum der<br />

Weltkultur<strong>en</strong>, Wuppertal<br />

2004, S. 79


Récupération und Id<strong>en</strong>titätsfindung<br />

Zeitg<strong>en</strong>össische Kunst und Literatur in und aus Kamerun<br />

von FRANZISKA NEFF<br />

iteratur und Kunst nach unserem westlich<strong>en</strong><br />

Verständnis als schriftliche<br />

Literatur und Kunst, die sich vom<br />

Handwerk abhebt, kam<strong>en</strong> mit der Kolonisation<br />

nach Kamerun und werd<strong>en</strong> jetzt dazu<br />

eingesetzt, die Auswirkung<strong>en</strong> eb<strong>en</strong> dieser<br />

Kolonisation zu thematisier<strong>en</strong>. So schuf<br />

Jean Baptiste Ngnetchopa 1977 aus Holz<br />

türgroße, afrikanische Banknot<strong>en</strong>, als<br />

monum<strong>en</strong>tale Götz<strong>en</strong>bilder des Mammon,<br />

immer in Konkurr<strong>en</strong>z zum übermächtig<strong>en</strong><br />

US-Dollar und Französisch<strong>en</strong> Franc. 1 Nachdem<br />

in der Literatur in d<strong>en</strong> 1920ern schon<br />

Erzählung<strong>en</strong> auf Französisch <strong>en</strong>tstand<strong>en</strong><br />

war<strong>en</strong>, fand in d<strong>en</strong> 50ern die kritische Analyse<br />

der Kolonisation Eingang in d<strong>en</strong><br />

Roman. Mongo Beti (alias Eza Boto), R<strong>en</strong>é<br />

Philombe und Francis Bebey, alle drei 2001<br />

verstob<strong>en</strong>, gehör<strong>en</strong> zu d<strong>en</strong> bekanntest<strong>en</strong><br />

Vertretern dieser Schriftstellerg<strong>en</strong>eration. 2<br />

In Mongo Betis Roman<strong>en</strong> wirkte die Adolesz<strong>en</strong>z-<br />

Thematik zukunftsweis<strong>en</strong>d für die<br />

neoafrikanische Literatur: der jug<strong>en</strong>dliche<br />

Protagonist gelangt aus einem Zustand der<br />

Abhängigkeit, hervorgeruf<strong>en</strong> durch d<strong>en</strong><br />

kolonial<strong>en</strong> oder neokolonial<strong>en</strong> Kontext<br />

(Eltern, Dorf, Mission, Schule) über eine<br />

Kris<strong>en</strong>erfahrung (erlitt<strong>en</strong>es Unrecht, sexuelle<br />

Initiation, Entdeckung eines neu<strong>en</strong><br />

gesellschaftlich<strong>en</strong> Umfeldes) zu persönlicher<br />

Reife und <strong>en</strong>twickelt sich weiter, indem<br />

er sich auflehnt (geg<strong>en</strong> die Familie, Autorität<strong>en</strong>,<br />

d<strong>en</strong> christlich<strong>en</strong> Glaub<strong>en</strong>) und somit<br />

ein<strong>en</strong> neu<strong>en</strong> Platz in der Gesellschaft findet.<br />

3 In „Le pauvre christ de Bomba“,<br />

erschi<strong>en</strong><strong>en</strong> 1956, zeigt Beti voller Ironie<br />

und Humor, dass auch eine Missionierung<br />

in bester Absicht nicht geling<strong>en</strong> kann, w<strong>en</strong>n<br />

die Wertvorstellung<strong>en</strong> und sozial<strong>en</strong> Eig<strong>en</strong>heit<strong>en</strong><br />

des Landes nicht verstand<strong>en</strong> werd<strong>en</strong>.<br />

Als sich der Priester wundert, dass die M<strong>en</strong>sch<strong>en</strong><br />

sich von der Religion abw<strong>en</strong>d<strong>en</strong>,<br />

erklärt sein Koch: „Die erst<strong>en</strong> von uns, die<br />

<strong>zur</strong> Religion übergelauf<strong>en</strong> sind, zu deiner<br />

Religion, kam<strong>en</strong> wie zu einer … Off<strong>en</strong>barung,<br />

ja, zu einer Off<strong>en</strong>barung, wie in eine<br />

Schule, wo sie euer Geheimnis off<strong>en</strong>bart<br />

bekäm<strong>en</strong>, das Geheimnis eurer Macht, die<br />

Macht eurer Flugzeuge, eurer Eis<strong>en</strong>bahn<strong>en</strong>,<br />

was weiß ich … so was wie eure verborg<strong>en</strong>dst<strong>en</strong><br />

Geheimnisse! Statt dess<strong>en</strong> habt ihr<br />

angefang<strong>en</strong>, von Gott zu sprech<strong>en</strong>, von der<br />

Seele, vom ewig<strong>en</strong> Leb<strong>en</strong> und so fort. Hattet<br />

ihr tatsächlich die Vorstellung, daß sie<br />

das nicht schon alles seit langem wußt<strong>en</strong>,<br />

lange vor eurer Ankunft?“ 4<br />

In der folg<strong>en</strong>d<strong>en</strong> Schriftstellerg<strong>en</strong>eration<br />

sind die <strong>en</strong>ttäuscht<strong>en</strong> Hoffnung<strong>en</strong> nach der<br />

137


Ngnetchopa, Jean Baptiste:<br />

Banknote, 1977,<br />

Holz, 118 x 55 x 6 cm,<br />

aus: Neue Kunst aus<br />

Afrika, hrsg. vom Haus<br />

der Kultur<strong>en</strong> der Welt,<br />

Ausstellungskatalog,<br />

Berlin 1996, S.155<br />

138<br />

Unabhängigkeit das Thema und der<br />

Wunsch, das Land möge aus seinem sozioökonomisch<strong>en</strong><br />

Stillstand herausfind<strong>en</strong>. Seit<br />

der Unabhängigkeit schreib<strong>en</strong> auch immer<br />

mehr Frau<strong>en</strong>, von d<strong>en</strong><strong>en</strong> vor allem Calixthe<br />

Beyala international bekannt ist. 5 Die Figur<br />

der Calixthe Beyala wird sehr kontrovers<br />

diskutiert, sie ist eine der erfolgreichst<strong>en</strong><br />

frankophon<strong>en</strong> Schriftstellerinn<strong>en</strong> afrikanischer<br />

Herkunft, publiziert sehr viel und hat<br />

auch schon zahlreiche Preise gewonn<strong>en</strong>.<br />

Besonders von männlich<strong>en</strong> afrikanisch<strong>en</strong><br />

Kritikern werd<strong>en</strong> ihr Plagiat, Pornographie,<br />

Männerhass und Entfremdung von ihr<strong>en</strong><br />

afrikanisch<strong>en</strong> Wurzeln vorgeworf<strong>en</strong>. In ihre<br />

leb<strong>en</strong>dig<strong>en</strong>, in lockerem Schreibstil verfasste<br />

Romane, die voller Detailbeschreibung<strong>en</strong><br />

und ironischer Anmerkung<strong>en</strong> sind, bringt<br />

Beyala viele Tabuthem<strong>en</strong> ein: Bezüglich<br />

Afrika beschreibt sie die tägliche Gewalt<br />

der Männer geg<strong>en</strong>über Frau<strong>en</strong>, die Ausbeutung<br />

von Frau<strong>en</strong> und Kindern mittels Prostitution,<br />

Frau<strong>en</strong>beschneidung und die<br />

soziale Verpflichtung Kinder <strong>zur</strong> Welt zu<br />

bring<strong>en</strong>. Sie hinterfragt die Mutterschaft,<br />

das Verhältnis ihrer weiblich<strong>en</strong> Protagonist<strong>en</strong><br />

zu der<strong>en</strong> Eltern, als auch d<strong>en</strong> Wert, der<br />

traditionell der Familie zugemess<strong>en</strong> wird.<br />

Sexuelle Erfüllung und Wünsche schildert<br />

sie aus weiblicher Sicht und legt Wert auf<br />

eine interkulturelle Gemeinschaft der Frau<strong>en</strong>.<br />

Einige ihrer Bücher spiel<strong>en</strong> im Pariser<br />

Einwandererviertel Belleville oder beschreib<strong>en</strong><br />

die Migration von Afrika nach Europa,<br />

ander<strong>en</strong> hab<strong>en</strong> ihr<strong>en</strong> Schauplatz in Afrika.<br />

Immer jedoch ist das Leid<strong>en</strong> der Frau<strong>en</strong><br />

und ihre Emanzipation in einer patriarchalisch<strong>en</strong><br />

Gesellschaft ein wichtiges Thema. 6<br />

Beyala, die mit 17 Jahr<strong>en</strong> nach Frankreich<br />

auswanderte, ist eine provokative<br />

Schriftstellerin, die weiß, was der Leserschaft<br />

gefällt. Hier ein Ausschnitt aus „Les<br />

honneurs perdus“ (deutsch: J<strong>en</strong>seits von<br />

Duala), wofür sie 1997 d<strong>en</strong> Preis der Acadé-<br />

mie Française bekam: „Um es gleich vorweg<br />

zu nehm<strong>en</strong>: Ja, ich heiße Saida Bénérafa.<br />

Bis ich vierzig und etwas darüber war, hatte<br />

ich New-Bell, Duala Nr. 5 nie verlass<strong>en</strong>. Ich<br />

war noch nicht das fünfzigjährige, jungfräuliche<br />

alte Mädch<strong>en</strong>, das in Belleville für<br />

öff<strong>en</strong>tliche Aufregung sorgte – obwohl ich<br />

sogar schon bei meiner Geburt das Tagesgespräch<br />

des Buschtelefons war. […] Plötzlich<br />

stieg von einer Veranda mitt<strong>en</strong> in New-<br />

Bell ein Schrei auf, durchdring<strong>en</strong>d wie ein<br />

berst<strong>en</strong>des Herz: «Allah! Ich habe ein<strong>en</strong><br />

Sohn! Allmächtiger Gott, ich habe ein<strong>en</strong><br />

Sohn!» Es war mein Papa, über dess<strong>en</strong><br />

soziales Anseh<strong>en</strong> ich von meiner Mama nie<br />

etwas erfahr<strong>en</strong> sollte. […] Papa war ein weißer<br />

Kuskusser-Muslim (für uns ist alles weiß,<br />

was wir nicht für echt schwarz halt<strong>en</strong>) und<br />

von Beruf Facharbeiter für Sägemehlsackschlepp<strong>en</strong><br />

in der staatlich<strong>en</strong> Holzverarbeitungsfabrik<br />

Kameruns. […] Ich war noch<br />

nicht gebor<strong>en</strong>. Mein Kopf war irg<strong>en</strong>dwo<br />

zwisch<strong>en</strong> dem mütterlich<strong>en</strong> Uterus und der<br />

Vagina steck<strong>en</strong>geblieb<strong>en</strong>, d<strong>en</strong>n die Geburt<br />

ist ein schlimmer Mom<strong>en</strong>t, d<strong>en</strong> es zu übersteh<strong>en</strong><br />

gilt. […] [die Hebamme] beugte sich<br />

<strong>en</strong>tschloss<strong>en</strong> vor und klatschte auf Mamas<br />

Sch<strong>en</strong>kel: «Press<strong>en</strong>!» Auf der Veranda<br />

schrie Papa ungerührt weiter: «Ich habe<br />

ein<strong>en</strong> Sohn! Allah hat Jerusalem ein<strong>en</strong><br />

Sohn gesch<strong>en</strong>kt!»<br />

[…] Sämtliche Bewohner New-Bells erhob<strong>en</strong><br />

sich wie ein Mann und begab<strong>en</strong> sich in<br />

afrikanischer Ordnung – die Männer vorn,<br />

die Frau<strong>en</strong> hint<strong>en</strong> – zu Papas Lehmhaus.<br />

[…] Papa wurde mit Glückwünsch<strong>en</strong> überschüttet:<br />

«Bravo, gut gemacht, Bruder!»<br />

Man packte sich geg<strong>en</strong>seitig an d<strong>en</strong> Schultern,<br />

ob hochgewachs<strong>en</strong> oder klein. «Bravo,<br />

gut gemacht, Bruder». Zwisch<strong>en</strong>durch hörte<br />

man Schreie, dann die Stimme der voluminös<strong>en</strong><br />

Hebamme: «Press<strong>en</strong>! Press<strong>en</strong>! Du<br />

sollst press<strong>en</strong>, hast du gehört?», währ<strong>en</strong>d<br />

drauß<strong>en</strong> Papa zwisch<strong>en</strong> dem Press<strong>en</strong>-du-


sollst-Press<strong>en</strong> der ein<strong>en</strong> und dem Stöhn<strong>en</strong><br />

der ander<strong>en</strong> unverdross<strong>en</strong> beglückwünscht<br />

wurde.[…] J<strong>en</strong>er Ab<strong>en</strong>d war der Auftakt zu<br />

meiner Berühmtheit. Ich wurde gebor<strong>en</strong>,<br />

wie Myth<strong>en</strong> gebor<strong>en</strong> werd<strong>en</strong>: von lauter<br />

«Es-heißt begleitet». 7<br />

Romane wie dieser werd<strong>en</strong> in Europa<br />

begeistert geles<strong>en</strong>, in Kamerun selbst hat<br />

Literatur jedoch ein<strong>en</strong> schwer<strong>en</strong> Stand.<br />

Mongo Beti, der in Yaoundé die Buchhandlung<br />

„Librairie des Peuples Noirs besaß,<br />

erklärt in folg<strong>en</strong>dem Interview weshalb:<br />

„Literatur und auch die ander<strong>en</strong> europäisch<strong>en</strong><br />

bürgerlich<strong>en</strong> Kunstform<strong>en</strong> wie bild<strong>en</strong>de<br />

Kunst oder klassische Musik spiel<strong>en</strong><br />

in Kamerun nur eine geringe Rolle. Das hat<br />

ganz praktische Gründe: Papier wird in<br />

Kamerun nicht hergestellt. Es muss importiert<br />

werd<strong>en</strong> und ist <strong>en</strong>tsprech<strong>en</strong>d teuer.<br />

Die meist<strong>en</strong> Bücher werd<strong>en</strong> im Ausland<br />

gedruckt, was sie für viele M<strong>en</strong>sch<strong>en</strong> hier<br />

fast unerschwinglich macht. Es gibt allerdings<br />

ein<strong>en</strong> ausgedehnt<strong>en</strong> Gebrauchtbuchhandel<br />

auf d<strong>en</strong> Märkt<strong>en</strong>, der das zum Teil<br />

ausgleicht.[…] Es gibt in Kamerun keine<br />

Tradition des Red<strong>en</strong>s über Literatur, des<br />

Sichverständig<strong>en</strong>s auf der Grundlage literarisch<br />

verarbeiteter Realität. Die Literaturkritik<br />

hat sich im 18. Jahrhundert in Europa<br />

<strong>en</strong>twickelt – und zwar als Ausdrucksmittel<br />

einer speziell<strong>en</strong> Gesellschaftsschicht: des<br />

Bürgertums. Darüber d<strong>en</strong>kt heute in<br />

Europa niemand mehr nach, doch in Afrika<br />

gab es bisher noch keine gesellschaftliche<br />

Gruppe, die sich auf diese Weise über ihre<br />

nationale oder ethnische Zusamm<strong>en</strong>gehörigkeit<br />

verständigt hätte. In Europa erhält<br />

Literatur ihre Bedeutung aus der Wertschätzung<br />

der bürgerlich<strong>en</strong> Öff<strong>en</strong>tlichkeit.<br />

[…] In Kamerun gibt es kein Bürgertum,<br />

das literarische Bildung als Wert ansieht. Es<br />

gibt keine Struktur<strong>en</strong>, die <strong>zur</strong> Entstehung<br />

und Verbreitung von Literatur nötig sind.<br />

[…] Dass es in Kamerun doch einige Autor<strong>en</strong><br />

und Leser gibt, ist eine Folge der Kolonialisierung,<br />

es ist eine importierte Kulturform.<br />

Man weiß, dass Schriftsteller in<br />

Europa wichtige Person<strong>en</strong> sind. Und viele<br />

junge Kameruner woll<strong>en</strong> Schriftsteller werd<strong>en</strong><br />

weg<strong>en</strong> des Prestiges, das mit diesem<br />

Beruf verbund<strong>en</strong> ist. Doch das Prestige ist<br />

eb<strong>en</strong>falls importiert. Um in Kamerun als<br />

Schriftsteller Erfolg zu hab<strong>en</strong>, muss man in<br />

Frankreich erfolgreich sein, wie die Autorin<br />

Calixthe Beyala. Erst nachdem ihre Bücher<br />

in Frankreich verlegt und rez<strong>en</strong>siert word<strong>en</strong><br />

war<strong>en</strong>, berichtet<strong>en</strong> die Zeitung<strong>en</strong> in Kamerun<br />

darüber, und erst jetzt werd<strong>en</strong> sie hier<br />

geles<strong>en</strong>.“<br />

Um Literatur bekannter zu mach<strong>en</strong>,<br />

schlägt Mongo Beti deshalb vor, private<br />

Radios<strong>en</strong>der <strong>zur</strong> Hilfe zu nehm<strong>en</strong>, im<br />

Radio Neuerscheinung<strong>en</strong> zu besprech<strong>en</strong><br />

und Bücher vorzules<strong>en</strong>. 8<br />

Zeitg<strong>en</strong>össische Kunst hat ein<strong>en</strong> ähnlich<br />

schwierig<strong>en</strong> Stand wie Literatur, da auch<br />

hier die <strong>en</strong>tsprech<strong>en</strong>de Infrastruktur fehlt.<br />

Die w<strong>en</strong>ig<strong>en</strong> Muse<strong>en</strong> sind Völkerkundemuse<strong>en</strong>,<br />

erst seit 1993 wird an der Universität<br />

von Yaoundé I Kunst und Kunstgeschichte<br />

unterrichtet, Revu<strong>en</strong>oire, die wichtigste<br />

Zeitschrift für zeitg<strong>en</strong>össische afrikanische<br />

Kunst wird in Paris herausgegeb<strong>en</strong> und die<br />

Kunstschule itali<strong>en</strong>ischer Gründung auf der<br />

Missionsstation von Mbalmayo gibt es erst<br />

seit 1992. 9 Als Barthélémy Toguo1989<br />

beschloss, im Ausland Kunst zu studier<strong>en</strong>,<br />

wurde er von sein<strong>en</strong> Eltern für undankbar<br />

gehalt<strong>en</strong>, da sie ihn auf eine westliche Schule<br />

geschickt hatt<strong>en</strong>, damit er Funktionär<br />

würde. Der Künstler, der in Holzskulptur<strong>en</strong><br />

Them<strong>en</strong> wie Demütigung<strong>en</strong> beim Gr<strong>en</strong>zübergang,<br />

ökonomische Ausbeutung, Suche<br />

nach Visa <strong>zur</strong> Sprache bringt, äußert über<br />

seine Kunst: „Ich versuche wirklich, meine<br />

eig<strong>en</strong>e Person zu analysier<strong>en</strong> und zu versteh<strong>en</strong>.<br />

Seit meiner Abreise aus Afrika nach<br />

Europa stelle ich mir die Frage zu wiss<strong>en</strong>,<br />

woher ich komme und wohin ich gehe. Ich<br />

habe mit meinem Körper und Baumstämm<strong>en</strong><br />

gearbeitet. Ich habe mir die Frage<br />

gestellt, welch<strong>en</strong> Platz der Künstler in der<br />

modern<strong>en</strong> Gesellschaft in Afrika hat. Mein<br />

Vater glaubte, daß es für mich gar kein<strong>en</strong><br />

Platz in meinem Heimatland gibt. […]<br />

Solange es in Kamerun keine künstlerische<br />

Ausbildung gibt, wird es niemals eine<br />

Zukunft für die Kunst in diesem Land<br />

geb<strong>en</strong>. Die Schüler hab<strong>en</strong> keine Ahnung<br />

von Kunst, sie k<strong>en</strong>n<strong>en</strong> nichts; sie könn<strong>en</strong><br />

kein Museum besuch<strong>en</strong>: es gibt keines in<br />

Kamerun. Für die Jung<strong>en</strong> ist es sehr schwer,<br />

mit ihr<strong>en</strong> Wurzeln in Kontakt zu komm<strong>en</strong>.<br />

[…] In Gr<strong>en</strong>oble ging ich jed<strong>en</strong> Morg<strong>en</strong> in<br />

die Bibliothek, um alles zu les<strong>en</strong>, was mit<br />

der Geschichte meines Volkes der Bamileke<br />

zu tun hat, wie einer, der eine fremde Sprache<br />

lernt. Ich habe dort begonn<strong>en</strong>, Afrika<br />

zu <strong>en</strong>tdeck<strong>en</strong>.“ 10<br />

Da keine Rezeptionsgewohnheit<strong>en</strong> besteh<strong>en</strong>,<br />

stoß<strong>en</strong> Kunstwerke oft auf Unverständnis.<br />

Als die Skulptur „La Nouvelle Liberté“<br />

von Joseph-Francis Soumégné in Douala<br />

aufgestellt wurde, sagt<strong>en</strong> die Leute die sei<br />

von dem Verrückt<strong>en</strong> aus Déido. Inzwisch<strong>en</strong><br />

aber hat man sich an die Skulptur gewöhnt<br />

und sie ist sogar zum Postkart<strong>en</strong>motiv<br />

geword<strong>en</strong>. 11 La Nouvelle Liberté ist in der<br />

139


140<br />

Technik der récupération hergestellt, die<br />

viel<strong>en</strong> jung<strong>en</strong> Künstlern gemeinsam ist.<br />

Man verw<strong>en</strong>det Gebrauchsgeg<strong>en</strong>stände wieder<br />

und weiter, so dass auch die Spur<strong>en</strong><br />

ihrer B<strong>en</strong>utzung Eingang in das Werk find<strong>en</strong>.<br />

Der deutsche Künstler Christian<br />

Hanussek, der in Yaoundé mit kamerunisch<strong>en</strong><br />

Künstlern ein<strong>en</strong> Workshop abhielt,<br />

äußert sich dazu wie folgt: „La récupération<br />

wurde für mich zum Schlüsselbegriff für die<br />

jüngere kamerunische Kunst. Dieser<br />

Begriff, der von d<strong>en</strong> Künstlern oft verw<strong>en</strong>det<br />

wurde, bezeichnet zum ein<strong>en</strong> die Arbeit<br />

mit Assemblag<strong>en</strong> aus Objets trouvés, lässt<br />

sich aber auch verw<strong>en</strong>d<strong>en</strong> für d<strong>en</strong> Umgang<br />

mit Bildern, Bildtradition<strong>en</strong>, Symbol<strong>en</strong> und<br />

der Arbeit der Künstler an der<strong>en</strong> Neubestimmung<strong>en</strong>.<br />

Das Recycling oder la Récupération<br />

ist eine z<strong>en</strong>trale afrikanische Kulturarbeit;<br />

dieser Verdauungsprozess von fremd<strong>en</strong><br />

Abfäll<strong>en</strong> muß als id<strong>en</strong>titätspräg<strong>en</strong>d<br />

angeseh<strong>en</strong> werd<strong>en</strong>. Das Aufgreif<strong>en</strong> dieses<br />

Themas durch die jüngere Künstlerg<strong>en</strong>eration<br />

führt jed<strong>en</strong>falls in viel pragmatischere<br />

kulturelle Selbstbestimmung<strong>en</strong> als das ältere,<br />

noch aus dem Geist der „Négritude“<br />

stamm<strong>en</strong>de, eher idealistische Konzept<br />

einer R<strong>en</strong>aissance alt-afrikanischer Tradition<strong>en</strong>.“<br />

12<br />

Einer der bekanntest<strong>en</strong> kamerunisch<strong>en</strong><br />

Künstler, der allerdings in Belgi<strong>en</strong> lebt und<br />

auch mit dem Prinzip der récupération<br />

arbeitet, ist der 1967 gebor<strong>en</strong>e Pascale<br />

Marthine Tayou. Er nimmt eine Art Mittlerrolle<br />

ein, da er auch Kontakt <strong>zur</strong> Kunstsz<strong>en</strong>e<br />

Kameruns besitzt. Anlässlich der Bi<strong>en</strong>nale<br />

in Lyon im Jahr 2000 schickte er ein Auto<br />

<strong>zur</strong>ück nach Europa, als Geg<strong>en</strong>bewegung<br />

zum Strom der Gebrauchtwag<strong>en</strong>, die nach<br />

Kamerun gelang<strong>en</strong>. Dieses, nach europäischem<br />

Standard, hoffnungslos kaputte Auto<br />

zeugte von seiner Inbesitznahme durch<br />

Afrika, wo es selbstverständlich im Straß<strong>en</strong>verkehr<br />

eingesetzt wurde und diese Aneignung<br />

auch Spur<strong>en</strong> hinterließ. Die überrasch<strong>en</strong>d<strong>en</strong><br />

Pot<strong>en</strong>tiale afrikanischer récupération<br />

werd<strong>en</strong> an diesem Beispiel deutlich,<br />

wobei das Projekt Konzeptcharakter besitzt,<br />

wie er in der aktuell<strong>en</strong> Sz<strong>en</strong>e verlangt wird,<br />

ihm jedoch eine expressive Qualität auch<br />

nicht abzusprech<strong>en</strong> ist. 13<br />

In einer Installation auf der in Deutschland<br />

gezeigt<strong>en</strong> Ausstellung „Africa Screams“<br />

nimmt Tayou das Großstadtleb<strong>en</strong> zum<br />

Thema. „L’epouvantail“ – die Vogelscheuche,<br />

ein aus verschied<strong>en</strong><strong>en</strong> Materiali<strong>en</strong><br />

zusamm<strong>en</strong>gesetztes Objekt, hängt als Wächterfigur<br />

neb<strong>en</strong> einer Fünfergruppe ähnlicher<br />

Gestalt<strong>en</strong>, besteh<strong>en</strong>d aus Holzstück<strong>en</strong><br />

Teil<strong>en</strong> einer Plastikpuppe, einer Zahnbürste,<br />

Dos<strong>en</strong>deckel, Stroh und schwarzer Farbe.<br />

Diese Objekte, „la merde“ (die Scheiße)<br />

betitelt, steh<strong>en</strong> für ein Leb<strong>en</strong> auf der Strasse,<br />

in d<strong>en</strong> Abfäll<strong>en</strong> der Stadt. Vervollständigt<br />

wird die Installation durch ein<strong>en</strong> Sack<br />

voll Erde, der unter d<strong>en</strong> häng<strong>en</strong>d<strong>en</strong> Figur<strong>en</strong><br />

liegt. Die Erde stammt aus dem Heimatdorf<br />

Tayous und versinnbildlicht die <strong>en</strong>twurzelte<br />

Heimat. 14 Auch auf der Dokum<strong>en</strong>ta<br />

11 war Tayou vertret<strong>en</strong> und zeigte eine<br />

Installation mit neu<strong>en</strong> Technologi<strong>en</strong>: Als<br />

Forum für weltweit<strong>en</strong> Austausch und Dialog,<br />

sowie für Übersetzung und Unübersetzbarkeit<br />

hatte der Künstler in einem Raum<br />

Monitore und Kopfhörer verteilt. Auf d<strong>en</strong><br />

Bildschirm<strong>en</strong> war<strong>en</strong> Bilder aus Yaoundé zu<br />

seh<strong>en</strong>, währ<strong>en</strong>d aus d<strong>en</strong> Kopfhörern Geräusche<br />

aus Radios<strong>en</strong>dern aus aller Welt drang<strong>en</strong>.<br />

15 Neb<strong>en</strong> Tayou gibt es auch noch zahlreiche<br />

w<strong>en</strong>ig bekannte Künstler. Ihn<strong>en</strong><br />

di<strong>en</strong>t als Forum die Dak’art, die seit 1992<br />

existier<strong>en</strong>de Bi<strong>en</strong>nale für zeitg<strong>en</strong>össische<br />

afrikanische Kunst in S<strong>en</strong>egals Hauptstadt<br />

Dakar. Allerdings besteht das Publikum dieser<br />

Bi<strong>en</strong>nale zum größt<strong>en</strong> Teil aus Nicht-<br />

Afrikanern und die Kunstwerke komm<strong>en</strong><br />

dann in europäisch<strong>en</strong> oder amerikanisch<strong>en</strong><br />

Sammlung<strong>en</strong> und Muse<strong>en</strong>. 16 In Kamerun<br />

selbst sind in d<strong>en</strong> 90ern zwei Künstlerz<strong>en</strong>tr<strong>en</strong><br />

<strong>en</strong>tstand<strong>en</strong>, neb<strong>en</strong> d<strong>en</strong> existier<strong>en</strong>d<strong>en</strong><br />

Ausstellungsmöglichkeit<strong>en</strong> im Goethe-Institut<br />

und im C<strong>en</strong>tre Culturel Français. Zum<br />

ein<strong>en</strong> bildet das riesige Atelier Pascal K<strong>en</strong>facks<br />

am Rande von Yaoundé ein<strong>en</strong> Treffpunkt<br />

junger Künstler und Kunstinteressierter.<br />

Er hofft, dass aus seiner musée-école<br />

mit der Zeit eine ganze Kunststadt<br />

<strong>en</strong>tsteht. Zum ander<strong>en</strong> wurde in Douala<br />

eine Art Kunstverein gegründet, Doual’art,<br />

zu dem eine Ausstellungshalle gehört, die<br />

als Diskussionsforum fungier<strong>en</strong> kann. Doual’art<br />

organisiert auch Kunstaktion<strong>en</strong> im<br />

öff<strong>en</strong>tlich<strong>en</strong> Raum. Die jung<strong>en</strong> Künstler,<br />

die sich in dies<strong>en</strong> beid<strong>en</strong> Städt<strong>en</strong> treff<strong>en</strong>,<br />

sind zumeist Autodidakt<strong>en</strong> oder war<strong>en</strong> in<br />

der Kunstschule von Mbalmayo. 17 Einige<br />

der Them<strong>en</strong>, die sie interessier<strong>en</strong>, sind die<br />

eig<strong>en</strong>e Id<strong>en</strong>tität, der Künstler als Magier,<br />

Re-konstruktion, afrikanische Symbolik, Klischees<br />

afrikanischer und europäischer<br />

Kunst, Welche Gr<strong>en</strong>z<strong>en</strong> kann man oder<br />

muß man überschreit<strong>en</strong>, um in d<strong>en</strong> Bereich<br />

der Kunst zu komm<strong>en</strong>? Alkoholismus, Prostitution,<br />

Aids. 18 Nicht nur afrikanische<br />

Tradition und Realität find<strong>en</strong> Eingang in<br />

ihr Werk, auch internationale Kunst wird<br />

rezipiert, allerdings vor allem die klassische<br />

Moderne, da es über die Kunstströmung<strong>en</strong>


Soumégné, Joseph-Francis:<br />

La Nouvelle Liberté,<br />

diverse Materiali<strong>en</strong>, Höhe: 12m, aus:<br />

www.bpb.de/popup/popup_bild.html?guid=KF2VSR<br />

Tayou, Pascale Marthine:<br />

Game station, 2002, Installation, aus:<br />

www.imagesitaly.it/LARTE/<br />

LE%20GAILLARD/LEGAILLARDTAYOU.html<br />

141


142<br />

der zweit<strong>en</strong> Hälfte des 20. Jahrhunderts<br />

w<strong>en</strong>ig Information gibt. In d<strong>en</strong> malerisch<strong>en</strong><br />

Konzept<strong>en</strong> wird ein direkter Ausdruck<br />

gesucht, sie di<strong>en</strong><strong>en</strong> nicht als reines Bildmaterial<br />

und in der Auseinandersetzung mit<br />

ihn<strong>en</strong> <strong>en</strong>tsteht eine spezielle lokale Symbolik,<br />

die auf die Reste traditioneller Fetische<br />

aus dem 19. Jahrhundert <strong>zur</strong>ückweist.<br />

Nägel, Seil, Erde (als Materie) und Farbe als<br />

allgemeines afrikanisches Symbol werd<strong>en</strong><br />

eingebracht, Öffnung<strong>en</strong> oder Raster als<br />

abstrakte Symbole, Fußabdrücke oder Schuhe<br />

als konkrete Symbole für d<strong>en</strong> M<strong>en</strong>sch<strong>en</strong>,<br />

aber auch Zahl<strong>en</strong> und Wörter, die für<br />

Codes steh<strong>en</strong>. 19 Währ<strong>en</strong>d die internationale<br />

Sz<strong>en</strong>e vor allem in konzeptionell<strong>en</strong><br />

Modell<strong>en</strong> arbeitet, mit Metaeb<strong>en</strong><strong>en</strong> von<br />

Bedeutung<strong>en</strong> und Selbstrefer<strong>en</strong>tialität, so<br />

leg<strong>en</strong> kamerunische Künstler Wert auf<br />

Expression als Ausdruck einer inner<strong>en</strong><br />

Befindlichkeit. Die Kunst ist damit beschäftigt,<br />

aus d<strong>en</strong> Fragm<strong>en</strong>t<strong>en</strong> der Traumata von<br />

Sklaverei und Kolonisation eine Id<strong>en</strong>tität<br />

zusamm<strong>en</strong>zusetz<strong>en</strong>. „Der im West<strong>en</strong> verworf<strong>en</strong>e<br />

Mythos der Klassisch<strong>en</strong> Avantgarde,<br />

des schöpferisch<strong>en</strong> Künstlertums, bietet<br />

für Afrika die Möglichkeit einer Aneignung,<br />

die zum Teil auch als Wiederaneignung<br />

geseh<strong>en</strong> werd<strong>en</strong> kann: Ein Glaub<strong>en</strong><br />

und ein Vertrau<strong>en</strong> in die eig<strong>en</strong>e schöpferische<br />

Kraft.“ 20 Wird afrikanische Kunst von<br />

auß<strong>en</strong> betrachtet, so wird ihr oft die Erwartung<br />

<strong>en</strong>tgeg<strong>en</strong> gebracht, sie müsse Afrikanität<br />

besitz<strong>en</strong>, g<strong>en</strong>au so häufig wird sie in die<br />

Ethno- oder „Art Brut“- Ecke verbannt. 21<br />

Für Jean-Hubert Martin lautet die Hauptfrage<br />

deshalb: „Wie kann man eine Kunst<br />

schaff<strong>en</strong>, die Geschichte und D<strong>en</strong>ksysteme<br />

respektiert, die Zeugnis ablegt von d<strong>en</strong><br />

Erschütterung<strong>en</strong> des Kolonialismus und<br />

doch andernorts verstand<strong>en</strong> wird, ohne<br />

dabei einer westlich<strong>en</strong> Kunstrichtung zu folg<strong>en</strong>?“<br />

22<br />

1 Hug, Alfons: Neue Kunst aus Afrika, S. 17<br />

2 La Littérature camerounaise <strong>en</strong> un clin d’œil<br />

3 Prof. Dr. János Riesz über Mongo Beti, in: Kindlers<br />

neues Literaturlexikon © CD-ROM 2000 Net<br />

World Vision GmbH<br />

4 Beti, Mongo: Der arme Christ von Bomba, Volk<br />

und Welt: Berlin 1988, S.47<br />

5 La Littérature camerounaise <strong>en</strong> un clin d’œil<br />

6 Martinek, Claudia: Beyala, Calixthe<br />

7 Beyala, Calixthe: J<strong>en</strong>seits von Duala, Scherz:<br />

Bern/Münch<strong>en</strong>/Wi<strong>en</strong> 1998, S.9-25<br />

8 Interview gehalt<strong>en</strong> von Sabine Vogel am 13.2.2001<br />

für das taz Magazin<br />

9 www.revu<strong>en</strong>oire.com/francais/S13-2.html<br />

10 www.passe-partout.de/docs_de/farttogued.htm<br />

11 www.afrik.com/article7284.html<br />

12 Hanussek, Christian: Zeitg<strong>en</strong>össische afrikanische<br />

Kunst. Eine Perspektive<br />

13 Hanussek, Christian: Zeitg<strong>en</strong>össische afrikanische<br />

Kunst. Eine Perspektive<br />

14 W<strong>en</strong>dl, Tobias: Africa Screams. Spur<strong>en</strong>suche für<br />

eine Archäologie des Bös<strong>en</strong> und des Schreck<strong>en</strong>s,<br />

in: Das Böse in Kino, Kunst und Kult, S.26<br />

15 Docum<strong>en</strong>ta11_Platform5: Ausstellung/Exhibition.<br />

Kurzführer/Short Guide, S.220<br />

16 www.afrik.com/article7274.html<br />

17 www.revu<strong>en</strong>oire.com/francais/S13-2.html<br />

18 www.revu<strong>en</strong>oire.com/francais/S13-2.html<br />

19 Hanussek, Christian: Zeitg<strong>en</strong>össische afrikanische<br />

Kunst. Eine Perspektive<br />

20 Hanussek, Christian: Zeitg<strong>en</strong>össische afrikanische<br />

Kunst. Eine Perspektive<br />

21 Hug, Alfons: Neue Kunst aus Afrika, S.11<br />

22 Jean-Hubert Martin, Kunstzeitung Nr°47, Juli<br />

2000, S. 14, in: www.passepartout.de/docs_de/farttogued.htm<br />

Quell<strong>en</strong><br />

· Africa Screams. Das Böse in Kino, Kunst und<br />

Kult, hrsg. von Tobias W<strong>en</strong>dl, Ausstellungskatalog<br />

Iwalewa-Haus/Kunsthalle Wi<strong>en</strong>/ Museum<br />

der Weltkultur<strong>en</strong>, Wuppertal 2004.<br />

· Beti, Mongo: Der arme Christ von Bomba,<br />

Volk und Welt: Berlin 1988.<br />

· Beyala Calixthe: J<strong>en</strong>seits von Duala, Scherz:<br />

Bern/Münch<strong>en</strong>/Wi<strong>en</strong> 1998.<br />

· Docum<strong>en</strong>ta11_Platform5: Ausstellung/Exhibition.<br />

Kurzführer/Short Guide, Ostfildern-Rui<br />

2002.<br />

· Neue Kunst aus Afrika, hrsg. vom Haus der<br />

Kultur<strong>en</strong> der Welt, Ausstellungskatalog, Berlin<br />

1996.<br />

· www.afrik.com/article7274.html; 3.11.2005.<br />

· www.afrik.com/article7284.html; 3.11.2005.<br />

· www.cameroun-plus.com; 6.11.2005.<br />

· Hanussek, Christian: Zeitg<strong>en</strong>össische afrikanische<br />

Kunst. Eine Perspektive, in: Magazin für<br />

Theologie und Ästhetik 08,<br />

www.theomag.de/08/ch1.htm; 6.11.2005<br />

· Kindlers neues Literaturlexikon © CD-ROM<br />

2000 Net World Vision GmbH<br />

· La Littérature camerounaise <strong>en</strong> un clin d’œil:<br />

www.arts.uwa.edu.au/AFLIT/CountryCameroonFR.html<br />

· Martinek, Claudia: Beyala, Calixthe, in: The<br />

Literary Encyclopedia [online database];<br />

www.lit<strong>en</strong>cyc.com/php/speople.php?rec=true<br />

&UID=5874; 28.10.2005<br />

· www.passepartout.de/docs_de/farttogued.htm;<br />

23.10.05<br />

· www.revu<strong>en</strong>oire.com/francais/S13-2.html;<br />

6.11.2005<br />

· www.taz.de/pt/2001/11/03/a0243.nf/text.n<br />

ame,askbD8zGf.n,0; 6.11.2005


Die Küche Kameruns: „Nyaam-ugo“ (ess<strong>en</strong>)<br />

von JANINE OSTHOFF<br />

ameruns Landwirtschaft nimmt d<strong>en</strong><br />

erst<strong>en</strong> Platz in der kamerunsch<strong>en</strong><br />

Wirtschaft ein. Die Vielfalt der<br />

natürlich<strong>en</strong> Bod<strong>en</strong>- und Klimaverhältnisse<br />

erlaubt eine breit gefächerte landwirtschaftliche<br />

Produktion: Viehzucht, Landwirtschaft<br />

und Fischfang am äußerst fischreich<strong>en</strong><br />

Tschadsee bestimm<strong>en</strong> die Landwirtschaft<br />

im nördlich<strong>en</strong> Tiefland und in der<br />

z<strong>en</strong>tral<strong>en</strong> Adamaua-Hocheb<strong>en</strong>e. In d<strong>en</strong><br />

Waldregion<strong>en</strong> des Süd<strong>en</strong>s werd<strong>en</strong> insbeson-<br />

dere Maniok, Mais, Erdnüsse, Kochbanan<strong>en</strong>,<br />

Mehlbanan<strong>en</strong>, Zuckerrohr, Sorghum<br />

(Risp<strong>en</strong>hirse), Hirse, Kartoffeln, Süßkartoffeln,<br />

sowie zahlreiche Gemüse angebaut.<br />

Ananas, Mangos, Papayas, Melon<strong>en</strong>, Guav<strong>en</strong>,<br />

Zitrusfrüchte stell<strong>en</strong> ein<strong>en</strong> Großteil des<br />

Früchteanbaus dar und wachs<strong>en</strong> in Kamerun<br />

zum Teil sogar ganzjährig. Ferner wird<br />

die Landwirtschaft stark durch d<strong>en</strong> Anbau<br />

von Kakao und Kaffee geprägt. Der Nahrungsmittelanbau<br />

di<strong>en</strong>t fast ausschließlich<br />

Koki mit Baton de<br />

Maniok<br />

FOTO Stefan Rostock<br />

143


der Selbstversorgung. Kaum 15 % werd<strong>en</strong><br />

auf dem Endverbrauchermarkt angebot<strong>en</strong>.<br />

Produkte wie Weiz<strong>en</strong> und Milch werd<strong>en</strong><br />

zum Grossteil aus dem Ausland bezog<strong>en</strong>.<br />

Diese Grundnahrungsmittelproduktion<br />

und der Reichtum des Landes an Obst und<br />

Gemüse präg<strong>en</strong> die kamerunsche Küche.<br />

Wie in d<strong>en</strong> meist<strong>en</strong> afrikanisch<strong>en</strong> Ländern<br />

umfasst der Speiseplan vor allem Gemüse-,<br />

Bohn<strong>en</strong>- und Lins<strong>en</strong>gerichte. Fleisch und<br />

Fisch werd<strong>en</strong> zumeist nur als Geschmacksanreicherung<br />

und würz<strong>en</strong>de Beigabe zu<br />

Sauc<strong>en</strong> oder Ragouts verw<strong>en</strong>det. Soß<strong>en</strong><br />

und Ragouts werd<strong>en</strong> ihrerseits mit Reis,<br />

Couscous oder Foufou serviert. Jamswurzel,<br />

Maniok und Banan<strong>en</strong> sind ferner sehr<br />

beliebt. Als Nachspeise di<strong>en</strong><strong>en</strong> tropische<br />

Früchte wie Mangos und Papayas.<br />

Zum Erlebnis einer Kamerun-Reise<br />

gehört es, sich mit der einheimisch<strong>en</strong><br />

Küche vertraut zu mach<strong>en</strong>. Unter Gourmets<br />

ist Kamerun bekannt für Pili-Pili, Plantains,<br />

Yams, Ndolé, Beignets, Foufou, Bongo<br />

Chopi, Poisson braisée und Le Miondo.<br />

Regionale Spezialität<strong>en</strong><br />

Im Nord<strong>en</strong> kann man Antilope sowie Hirsegerichte<br />

in großer Vielfalt probier<strong>en</strong>. Aus<br />

Hirse wird in diesem Landesteil sogar Bier<br />

gebraut und Wein gemacht.<br />

Zu d<strong>en</strong> Spezialität<strong>en</strong> des Süd<strong>en</strong>s gehör<strong>en</strong><br />

Garnel<strong>en</strong> (besonders in Kribri und Douala)<br />

sowie Fischgerichte in zahlreich<strong>en</strong> Variation<strong>en</strong>.<br />

In Douala serviert man mit Vorliebe<br />

„Ndolè“, ein Gemüse, das an Spinat erinnert<br />

und zusamm<strong>en</strong> mit Erdnüss<strong>en</strong>, Öl und<br />

Kräutern angemacht wird und zu Fleisch<br />

oder Fisch (insbesondere zu Garnel<strong>en</strong> oder<br />

Schellfisch) gereicht wird.<br />

„Le n’domba“ ist die Spezialität Yaoundés.<br />

Le n’domba ist ein Schmorgericht mit<br />

Fleisch bzw. Fisch und Kräutern, das in<br />

Banan<strong>en</strong>blättern serviert wird. Ferner<br />

beliebt ist „Le bobolo“, ein Gelee aus gegärtem<br />

Maniok, das mit Blättern der Banan<strong>en</strong>staude<br />

umhüllt wird.<br />

An der Küste isst man mit Vorliebe<br />

geschmort<strong>en</strong> Fisch (Steinbutt, Scholle)<br />

sowie gegrillte Garnel<strong>en</strong>spieße.<br />

Im Ost<strong>en</strong> sind vor allem Couscous, Mais<br />

und Hühnch<strong>en</strong> auf dem Speiseplan präs<strong>en</strong>t.<br />

Ess<strong>en</strong> in der Familie<br />

Gäste zu bewirt<strong>en</strong> ist in Afrika Teil des<br />

gesellschaftlich<strong>en</strong> Leb<strong>en</strong>s. Ess<strong>en</strong> ist dabei<br />

mehr als nur Nahrungsaufnahme. Mahlzeit<strong>en</strong><br />

sind Gemeinschaftshandlung<strong>en</strong>. Mit der<br />

144<br />

kamerunsch<strong>en</strong> Küche wird man daher am<br />

ehest<strong>en</strong> vertraut, w<strong>en</strong>n man als Gast zum<br />

Ess<strong>en</strong> bei einer Familie eingelad<strong>en</strong> ist. Dies<br />

ist ein besonderes Zeich<strong>en</strong> der Gastfreundschaft.<br />

In dörflich<strong>en</strong> Region<strong>en</strong> sitzt man im<br />

Kreis und isst mit der Hand aus einer<br />

gemeinsam<strong>en</strong> Schüssel, wobei der Gast die<br />

best<strong>en</strong> Stücke erhält. Zunächst werd<strong>en</strong> die<br />

Gerichte im Nam<strong>en</strong> Gottes oder der Vorfahr<strong>en</strong><br />

gesegnet. Die Ältest<strong>en</strong> und sodann<br />

die Männer werd<strong>en</strong> als erste bedi<strong>en</strong>t. Erst<br />

danach ess<strong>en</strong> die Frau<strong>en</strong> mit d<strong>en</strong> Kindern.<br />

Ist man als Gast eingelad<strong>en</strong>, sollte man höflich<br />

das Ess<strong>en</strong> selbst dann annehm<strong>en</strong> und<br />

verzehr<strong>en</strong>, w<strong>en</strong>n man nicht hungrig ist. Fehl<strong>en</strong>der<br />

Hunger wird als ein Zeich<strong>en</strong> von<br />

Krankheit gewertet.<br />

Befindet man sich in dörflich<strong>en</strong> Region<strong>en</strong><br />

im Landesinnern, komm<strong>en</strong> Fleisch und<br />

Fisch nur selt<strong>en</strong> auf d<strong>en</strong> Tisch. Fleisch und<br />

Fisch sind rar und werd<strong>en</strong> nur bei besonder<strong>en</strong><br />

Anläss<strong>en</strong> zubereitet.<br />

Frau<strong>en</strong> übernehm<strong>en</strong> oftmals in Kamerun,<br />

wie in d<strong>en</strong> meist<strong>en</strong> Subsahara-Staat<strong>en</strong>,<br />

die Verantwortung für die Ernährung der<br />

Familie. Das beinhaltet sowohl d<strong>en</strong> Anbau<br />

von Obst und Gemüse als auch die Zubereitung<br />

des Ess<strong>en</strong>s. Rezepte werd<strong>en</strong> dabei<br />

mündlich von G<strong>en</strong>eration zu G<strong>en</strong>eration<br />

weitergegeb<strong>en</strong> und sind variabel. G<strong>en</strong>aue<br />

M<strong>en</strong>g<strong>en</strong>angab<strong>en</strong> werd<strong>en</strong> nicht befolgt.<br />

Die Küche befindet sich zumeist außerhalb<br />

des Hauses, getr<strong>en</strong>nt von d<strong>en</strong> Schlafund<br />

Wohnplätz<strong>en</strong>, in einem gesondert<strong>en</strong><br />

Gebäude. Dabei wird traditionellerweise in<br />

einem groß<strong>en</strong> Kochtopf über off<strong>en</strong>em Feuer<br />

gekocht.<br />

Ess<strong>en</strong> außer Haus<br />

Im Land verstreut findet man kleine<br />

Restaurants, sog<strong>en</strong>annte Circuits bzw.<br />

Chantiers. Sie biet<strong>en</strong> auf der Speisekarte<br />

an, was die Region und der jahreszeitlich<br />

bedingte Markt aufweis<strong>en</strong>. Dies ist zumeist<br />

eine Auswahl von zwei bis drei Speis<strong>en</strong>. Die<br />

Ausstattung in d<strong>en</strong> Lokal<strong>en</strong> ist in der Regel<br />

sehr einfach, manchmal sitzt man im Frei<strong>en</strong><br />

in klein<strong>en</strong> Hinterhöf<strong>en</strong> oder unter strohgedeckt<strong>en</strong><br />

Boukarous. Die Ess<strong>en</strong>szeit<strong>en</strong> lieg<strong>en</strong><br />

mittags zwisch<strong>en</strong> 12 und 15h, ab<strong>en</strong>ds ab<br />

19:30h. Nur selt<strong>en</strong> wird bis in die späte<br />

Nacht hinein gegess<strong>en</strong>.<br />

In d<strong>en</strong> einfacher<strong>en</strong> Lokal<strong>en</strong> isst man in<br />

Kamerun z. T. auch mit d<strong>en</strong> Händ<strong>en</strong>. Dabei<br />

Rostock<br />

ist es üblich nur die rechte Hand zu b<strong>en</strong>utz<strong>en</strong>,<br />

da die linke als unrein gilt.<br />

G<strong>en</strong>erell wird in Kamerun viel gegrillt, Stefan<br />

meist auf der Straße und bis spät in die<br />

Nacht. Das Grillgut besteht aus Hühnch<strong>en</strong> FOTO


und Rind. Eine leckere Spezialität sind insbesondere<br />

Brochettes – köstliche Fleischspieße,<br />

die an jeder Straß<strong>en</strong>ecke zu find<strong>en</strong><br />

sind.<br />

Religiöse Ess<strong>en</strong>sbeschränkung<strong>en</strong><br />

In d<strong>en</strong> vorwieg<strong>en</strong>d islamisch<strong>en</strong> Region<strong>en</strong><br />

gilt ein Tabu für Schweinefleisch und Alkohol.<br />

Währ<strong>en</strong>d des Ramadan sind die einheimisch<strong>en</strong><br />

Lokale tagsüber zumeist geschloss<strong>en</strong>.<br />

In diesem Landesteil wird dem Gast vor<br />

und nach dem Ess<strong>en</strong> eine Schüssel mit Wasser<br />

und Seife zum Händewasch<strong>en</strong> sowie ein<br />

Handtuch gereicht. Ist man zu Besuch in<br />

einer islamisch<strong>en</strong> Familie, werd<strong>en</strong> Männer,<br />

Frau<strong>en</strong> und Kinder getr<strong>en</strong>nt voneinander<br />

jeweils aus einer ander<strong>en</strong> Schüssel ess<strong>en</strong>.<br />

Zutat<strong>en</strong> und Gewürze<br />

Die kamerunsche Küche k<strong>en</strong>nt viele Zutat<strong>en</strong>,<br />

die uns unbekannt sind.<br />

Dazu gehört zunächst das Palmöl. Es<br />

unterscheidet sich durch sein<strong>en</strong> kräftig<strong>en</strong><br />

Geschmack sehr von ander<strong>en</strong> Öl<strong>en</strong> und<br />

sollte nur sparsam verw<strong>en</strong>det werd<strong>en</strong>.<br />

Palmwein ist vergleichbar mit Federweiser.<br />

Gewonn<strong>en</strong> wird der Palmwein aus der<br />

Ölpalme. Dazu wird die Palme gefällt. Nach<br />

dem Fäll<strong>en</strong> legt man d<strong>en</strong> unter<strong>en</strong> Teil der<br />

Palme etwas tiefer, so dass aus der Palme<br />

eine milchige Flüssigkeit fließ<strong>en</strong> kann, die<br />

ohne weitere Verarbeitungsschritte als<br />

Palmwein angebot<strong>en</strong> wird. Pro Tag fließ<strong>en</strong><br />

ca. 5-10 Liter aus einem Stamm. Dabei muss<br />

man jed<strong>en</strong> Tag von neuem ein w<strong>en</strong>ig der<br />

abgetrocknet<strong>en</strong> Schnittfläche abschab<strong>en</strong>.<br />

Eine große Palme gibt etwa 30 Tage Palmwein<br />

her.<br />

Hauptzutat vieler Gerichte sind Jamswurzelknoll<strong>en</strong><br />

und Süßkartoffeln. Süßkartoffeln<br />

unterscheid<strong>en</strong> sich oftmals farblich und<br />

werd<strong>en</strong> in all<strong>en</strong> Art<strong>en</strong> von süß<strong>en</strong> und herzhaft<strong>en</strong><br />

Gericht<strong>en</strong> verw<strong>en</strong>det. Süßkartoffeln<br />

hab<strong>en</strong> ein<strong>en</strong> hoh<strong>en</strong> Faserstoffgehalt und<br />

soll<strong>en</strong> die Verdauung fördern. Die Qualität<strong>en</strong><br />

der Yams-Pflanze werd<strong>en</strong> in zahlreich<strong>en</strong><br />

afrikanisch<strong>en</strong> Liedern und Gedicht<strong>en</strong><br />

gepries<strong>en</strong>. Bei fast all<strong>en</strong> westafrikanisch<strong>en</strong><br />

Völkern hab<strong>en</strong> Yams eine mythische oder<br />

rituelle Bedeutung und werd<strong>en</strong> für wichtige<br />

Feste zubereitet. Bestimmte Sort<strong>en</strong> dürf<strong>en</strong><br />

nur von Männern angebaut werd<strong>en</strong>, andere<br />

sind ausschließlich Frau<strong>en</strong> vorbehalt<strong>en</strong>.<br />

Foufou lautet die Bezeichnung für ein<strong>en</strong><br />

Brei aus gestampft<strong>en</strong> Knoll<strong>en</strong>frücht<strong>en</strong>. Foufou<br />

ist ein Grundnahrungsmittel. Was allerdings<br />

hineingehört, ist umstritt<strong>en</strong>: Reismehl,<br />

Maniokbrei, eine Mischung aus Koch-<br />

banan<strong>en</strong> und Maniok, Hirse, Yams-Brei etc.<br />

In Afrika werd<strong>en</strong> Kochbanan<strong>en</strong>, Maniok,<br />

Yams oder Cocoyams zunächst weich<br />

gekocht und dann in einem Mörser<br />

gestampft, bis eine feine, breiartige Masse<br />

<strong>en</strong>tsteht.<br />

Bei d<strong>en</strong> Banan<strong>en</strong> kann man 3 Sort<strong>en</strong><br />

unterscheid<strong>en</strong>: zum ein<strong>en</strong> die „normal<strong>en</strong>“<br />

Banan<strong>en</strong>, die Plantains und die Kochbanan<strong>en</strong>.<br />

Die Plantains werd<strong>en</strong> häufig als Sättigungsbeilage<br />

gegess<strong>en</strong>, wie bei uns die Kartoffel.<br />

Dabei werd<strong>en</strong> sie <strong>en</strong>tweder gekocht<br />

oder frittiert. Kochbanan<strong>en</strong> sind mit Obstbanan<strong>en</strong><br />

vergleichbar. Sie werd<strong>en</strong> unreif<br />

geerntet und nicht roh verzehrt, da sie bitter<br />

und ung<strong>en</strong>ießbar sind. Die 30 bis 40 cm<br />

lang<strong>en</strong> roh<strong>en</strong> Früchte könn<strong>en</strong> auf vielerlei<br />

Weise zubereitet werd<strong>en</strong>: gekocht, geröstet,<br />

geback<strong>en</strong>, als Brei oder in Scheib<strong>en</strong><br />

geschnitt<strong>en</strong>, pikant angerichtet oder als<br />

Süßspeise. Sie sind reich an Kohlehydrat<strong>en</strong><br />

und <strong>en</strong>thalt<strong>en</strong> im unreif<strong>en</strong> Zustand hauptsächlich<br />

Stärke, die sich währ<strong>en</strong>d der Reifung<br />

in Zucker umwandelt. Die Blätter di<strong>en</strong><strong>en</strong><br />

zum Einwickeln von Zutat<strong>en</strong> vor dem<br />

Koch<strong>en</strong>.<br />

Die Kochbanane spielt in der afrikanisch<strong>en</strong><br />

Küche eine bedeut<strong>en</strong>de Rolle und<br />

findet in einig<strong>en</strong> magisch<strong>en</strong> Ritual<strong>en</strong> Verw<strong>en</strong>dung.<br />

Sie sind eine Grundzutat bei der<br />

Bierherstellung, die in Hochzeitsritual<strong>en</strong><br />

eine z<strong>en</strong>trale Rolle spielt. Für d<strong>en</strong> Hochzeitstag<br />

braut die Braut im Haus ihrer<br />

Eltern Bier, das der Zukünftige erwerb<strong>en</strong><br />

muss. W<strong>en</strong>n der Auserwählte das Bier<br />

erfolgreich erworb<strong>en</strong> hat, verbringt er Bier<br />

trink<strong>en</strong>d d<strong>en</strong> Tag im Hof seiner zukünftig<strong>en</strong><br />

Gattin. Am Ab<strong>en</strong>d tritt sie in seiner<br />

Begleitung und der ihrer Schwerstern und<br />

Freundinn<strong>en</strong> mit einem vorher beiseite<br />

gestellt<strong>en</strong> Bierrest d<strong>en</strong> Weg zu seinem Haus<br />

an. Dort führ<strong>en</strong> sich alle das Restbier zu<br />

und schließlich verbringt das Paar die Nacht<br />

gemeinsam. Damit gilt die Hochzeit als<br />

geschloss<strong>en</strong>.<br />

Die Maniokwurzel (Kassave) ist braun<br />

mit festem, stärkehaltigem weiß<strong>en</strong> Fleisch.<br />

Getrocknet und gemahl<strong>en</strong> wird sie zu<br />

Maniokmehl oder Gari, einem Mehl, das in<br />

viel<strong>en</strong> Rezept<strong>en</strong> Verw<strong>en</strong>dung findet.<br />

145


Rezepte<br />

146<br />

Cocoyams-Banan<strong>en</strong>-Brei<br />

2 kg Cocoyams, 4-6 grüne Banan<strong>en</strong><br />

Die Yams gründlich wasch<strong>en</strong> und fast weich koch<strong>en</strong>. Die eb<strong>en</strong>falls<br />

gründlich gewasch<strong>en</strong><strong>en</strong> Banan<strong>en</strong> zugeb<strong>en</strong> und beides etwa anderthalb<br />

Stund<strong>en</strong> weich koch<strong>en</strong>. Die Banan<strong>en</strong> schäl<strong>en</strong> und im Mörser<br />

zerstampf<strong>en</strong>. Die Cocoyams schäl<strong>en</strong>, in klein<strong>en</strong> Portion<strong>en</strong> in d<strong>en</strong><br />

Mörser geb<strong>en</strong> und im Banan<strong>en</strong>püree zerstoß<strong>en</strong> bis eine glatte,<br />

sämige Paste <strong>en</strong>tsteht. In einer Schale anricht<strong>en</strong>.<br />

Ndolé à la viande<br />

1,6 kg Rindfleisch, 2 dl Öl, 150 gr. Zwiebeln, 300gr Erdnussnusspaste,<br />

2 kg Ndolé (Blätter), 150 gr. getrocknete Garnel<strong>en</strong>, 2 Knoblauchzeh<strong>en</strong>,<br />

Pim<strong>en</strong>t, 20 gr. Steinsalz, Salz, Pfeffer, 2 l Wasser<br />

Das Wasser mit dem Steinsalz zum Koch<strong>en</strong> bring<strong>en</strong>. Derweil die<br />

Ndolé-Blätter wasch<strong>en</strong>. Diese dann für fünf Minut<strong>en</strong> ins koch<strong>en</strong>de<br />

Wasser geb<strong>en</strong> und danach schnell unter kaltem Wasser abschrekk<strong>en</strong>,<br />

damit sie nicht gelb werd<strong>en</strong>. Die Blätter in kleine Kugeln press<strong>en</strong>,<br />

damit das ganze Wasser herauskommt, und sie trockn<strong>en</strong>. In<br />

einer Schmorpfanne das Öl erhitz<strong>en</strong> und die Fleischstücke hinein<br />

geb<strong>en</strong>. Diese nur leicht anbrat<strong>en</strong>. Daraufhin das übrige Öl abgieß<strong>en</strong><br />

und das Fleisch im geschloss<strong>en</strong><strong>en</strong> Topf warm halt<strong>en</strong>. Die klein<br />

geschnitt<strong>en</strong><strong>en</strong> Zwiebeln hinzugeb<strong>en</strong> und das Gemisch einige Minut<strong>en</strong><br />

unter Wärmezufuhr weiter brat<strong>en</strong>. 2 dl Wasser hinzufüg<strong>en</strong> und<br />

das Fleisch etwa 90 Minut<strong>en</strong> lang koch<strong>en</strong>. Knoblauch, Erdnusspaste,<br />

Pim<strong>en</strong>t und die getrocknet<strong>en</strong> Garnel<strong>en</strong> hinzu gegeb<strong>en</strong> und<br />

zusamm<strong>en</strong> mit dem Fleisch nochmals 15 Minut<strong>en</strong> bei geringer<br />

Wärmezufuhr aufkoch<strong>en</strong>. Zuletzt die Ndolé-Blätter unterrühr<strong>en</strong><br />

und das Gericht mit Salz und Pfeffer abschmeck<strong>en</strong>.<br />

Foufou<br />

1,6 kg Maniokmehl, 2 l Wasser<br />

In einem Topf das Wasser zum Koch<strong>en</strong> bring<strong>en</strong>. Das Mehl sieb<strong>en</strong>.<br />

Die Hälfte des Wassers abschöpf<strong>en</strong> und <strong>zur</strong> Seite stell<strong>en</strong>. Mit einem<br />

Schwung das durchsiebte Mehl zum Wasser hinzufüg<strong>en</strong> und das<br />

Ganze bei geringer Wärmezufuhr mit einem Holzspachtel 10 Minut<strong>en</strong><br />

lang durchmisch<strong>en</strong> bis es ein<strong>en</strong> glatt<strong>en</strong>, sämig<strong>en</strong> Brei ergibt.<br />

Sollte der Brei zu fest sein, aufs Neue ein w<strong>en</strong>ig des heiß<strong>en</strong>, <strong>zur</strong> Seite<br />

gestellt<strong>en</strong> Wassers, hinzufüg<strong>en</strong>. D<strong>en</strong> Brei in Kugeln form<strong>en</strong> und<br />

heiß servier<strong>en</strong> – nach Belieb<strong>en</strong> mit Pistazi<strong>en</strong>- oder Erdnusssauce.


Kamerun und der Fußball<br />

von JULIA STÄRK<br />

ußball kam im 19. Jahrhundert über<br />

die Kolonialmächte, vor allem durch<br />

britische Soldat<strong>en</strong> und Seeleute, auf<br />

d<strong>en</strong> afrikanisch<strong>en</strong> Kontin<strong>en</strong>t. Verbreitet<br />

wurde dieser Sport hauptsächlich durch<br />

Kaufleute, Beamte und Ing<strong>en</strong>ieure. Da die<br />

lokal<strong>en</strong> Politiker britischer Abstammung<br />

sich jedoch in der Regel mehr für Rugby<br />

und Kricket interessiert<strong>en</strong>, wurde Fußball<br />

in Ländern mit großer britischer Präs<strong>en</strong>z<br />

(wie Uganda, K<strong>en</strong>ia und Südafrika) w<strong>en</strong>iger<br />

etabliert als zum Beispiel in Westafrika, wo<br />

er rasch von der einheimisch<strong>en</strong> Bevölkerung<br />

aufgegriff<strong>en</strong> und zum eig<strong>en</strong><strong>en</strong> Spiel<br />

umfunktioniert wurde.<br />

Fußball hatte in Afrika von Beginn an<br />

eine politische Funktion. Einmischung<strong>en</strong><br />

von Seit<strong>en</strong> der Politiker bei wichtig<strong>en</strong> Entscheidung<strong>en</strong><br />

im Verein sind alltäglich, d<strong>en</strong>n<br />

Fußball wird von d<strong>en</strong> afrikanisch<strong>en</strong> Staatsmännern<br />

als Chefsache betrachtet. Zu Zeit<strong>en</strong>,<br />

in d<strong>en</strong><strong>en</strong> noch die Kolonialherr<strong>en</strong> über<br />

Land und Leute bestimmt<strong>en</strong>, sollt<strong>en</strong> die<br />

von d<strong>en</strong> Einheimisch<strong>en</strong> gegründet<strong>en</strong> Vereine<br />

für die schwarze Bevölkerung politische<br />

Id<strong>en</strong>tifikationsmom<strong>en</strong>te biet<strong>en</strong>. Man wollte<br />

die von d<strong>en</strong> weiß<strong>en</strong> Kolonialherr<strong>en</strong> gesponsert<strong>en</strong><br />

Vereine im Spiel schlag<strong>en</strong> und d<strong>en</strong><br />

arrogant<strong>en</strong> Kolonialherr<strong>en</strong> auf diese Weise<br />

„Fußball, das ist der Sport, der das Land<br />

beherrscht. Ja, es ist mehr als nur ein Sport. In<br />

Kamerun, in ganz Afrika, ist Fußball fast eine<br />

Religion“<br />

(Roger Milla, GEO Nr. 2 / 1991, S. 60)<br />

demonstrier<strong>en</strong>, wer der Stärkere ist. Die<br />

Fußballclubs di<strong>en</strong>t<strong>en</strong> auch als Propagandamittel.<br />

In d<strong>en</strong> Stadi<strong>en</strong> konnt<strong>en</strong> große Grupp<strong>en</strong><br />

von Schwarz<strong>en</strong> zusamm<strong>en</strong>find<strong>en</strong>, ohne<br />

die Aufmerksamkeit der kolonial<strong>en</strong> Obermacht<br />

auf sich zu zieh<strong>en</strong>. Nach erlangter<br />

Unabhängigkeit sollt<strong>en</strong> die Nationalteams<br />

der jeweilig<strong>en</strong> jung<strong>en</strong> Staat<strong>en</strong> dann dabei<br />

helf<strong>en</strong>, Patriotismus zu weck<strong>en</strong>. Fußball war<br />

und wird von jeher als Mittel angeseh<strong>en</strong>,<br />

um sich in der Welt Anseh<strong>en</strong> und Akzeptanz<br />

zu verschaff<strong>en</strong>.<br />

Für mich war es sehr überrasch<strong>en</strong>d zu<br />

erfahr<strong>en</strong>, dass es ein<strong>en</strong> „Fußball- Entwicklungsdi<strong>en</strong>st“,<br />

eine Sportförderung für afrikanische<br />

Länder gibt. Deutschland lag mit<br />

seiner finanziell<strong>en</strong> Hilfeleistung lange Jahre<br />

weltweit an der Spitze der Sportförderung.<br />

Neb<strong>en</strong> der finanziell<strong>en</strong> Unterstützung werd<strong>en</strong><br />

Trainer in die jeweilig<strong>en</strong> afrikanisch<strong>en</strong><br />

Länder geschickt, die strukturier<strong>en</strong>de Aufgab<strong>en</strong><br />

in d<strong>en</strong> Verein<strong>en</strong> übernehm<strong>en</strong> soll<strong>en</strong>.<br />

Diese Arbeit an der Basis ist <strong>en</strong>tscheid<strong>en</strong>d<br />

für eine langfristige und qualitative Verbesserung<br />

des Sportangebotes. Die Sportförderung<br />

wird von d<strong>en</strong> jeweilig<strong>en</strong> afrikanisch<strong>en</strong><br />

Ländern beantragt. Staat<strong>en</strong>, die sich im<br />

Prozess der Demokratisierung befind<strong>en</strong>,<br />

hab<strong>en</strong> die größt<strong>en</strong> Chanc<strong>en</strong> auf Förderung.<br />

147


148<br />

Mittlerweile gibt es viele Deutsche, die in<br />

Afrika als Nationaltrainer arbeit<strong>en</strong>. Oft sind<br />

diese Trainer in Deutschland nicht besonders<br />

erfolgreich gewes<strong>en</strong> und versprech<strong>en</strong><br />

sich als Trainer einer afrikanisch<strong>en</strong> Nationalmannschaft<br />

die langersehnte Aufstiegsmöglichkeit<br />

in der Fußballwelt. Meist g<strong>en</strong>ieß<strong>en</strong><br />

sie in einem afrikanisch<strong>en</strong> Land große<br />

Anerk<strong>en</strong>nung – deutsche Trainer sind in<br />

Afrika sehr gefragt – und verdi<strong>en</strong><strong>en</strong> sehr<br />

gut, sind dafür aber mit schlechter Organisation,<br />

Aberglaub<strong>en</strong> und Korruption konfrontiert.<br />

Eine große Herausforderung für<br />

die deutsch<strong>en</strong> Trainer ist es, aus einer<br />

Gruppe von fußballtechnisch<strong>en</strong> Individualist<strong>en</strong><br />

ein Mannschaftskollektiv zu form<strong>en</strong>.<br />

Afrikaner erlern<strong>en</strong> das Fußballspiel<strong>en</strong> meist<br />

auf der Straße nach eig<strong>en</strong><strong>en</strong> Gesetz<strong>en</strong>, oft<br />

sogar mit zusamm<strong>en</strong>geknotet<strong>en</strong> Lapp<strong>en</strong><br />

anstelle eines Balls. Torhüter oder Verteidiger<br />

woll<strong>en</strong> dort die w<strong>en</strong>igst<strong>en</strong> sein, interessanter<br />

ist es, nach vorne zu stürm<strong>en</strong> und so<br />

viele Tore wie möglich zu erziel<strong>en</strong>. Für<br />

ein<strong>en</strong> deutscher Trainer, der von d<strong>en</strong> Verein<strong>en</strong><br />

in der Heimat in der Regel mehr das<br />

def<strong>en</strong>sive Spiel gewohnt ist, bedeutet der<br />

afrikanische „Angriffsfußball“ eine große<br />

Umstellung und Herausforderung.<br />

Fußball – Kameruns Nationalsport<br />

Fußball ist die beliebteste Sportart in Kamerun.<br />

Die Fußballbegeisterung der Kameruner<br />

hat eine lange Tradition. D<strong>en</strong> erst<strong>en</strong><br />

Ball aus Kautschuk brachte 1922 ein Wanderarbeiter<br />

aus Sierra Leone nach Douala.<br />

Sein Name war „George Goethe“. Sein<br />

Vater war ein gebildeter Mann und las am<br />

Tag seiner Geburt ein Gedicht von Goethe.<br />

So kam George Goethe zu seinem Nam<strong>en</strong>.<br />

Er brachte also ein<strong>en</strong> Ball aus Kautschuk<br />

mit, der mit dem Mund aufgeblas<strong>en</strong> werd<strong>en</strong><br />

musste, um in der Freizeit mit seinem Cousin<br />

ein w<strong>en</strong>ig zu kick<strong>en</strong>. Die Nachbarskinder<br />

fand<strong>en</strong> Gefall<strong>en</strong> an diesem Spiel, und<br />

nach zwei Jahr<strong>en</strong> gab es schon die erste<br />

Mannschaft: d<strong>en</strong> „CAC“ (Club Athlétique<br />

du Cameroun). Kameruns Fußballverband<br />

„Fédération Camerounaise de Football“<br />

wurde 1962 gegründet und im selb<strong>en</strong> Jahr<br />

in die FIFA aufg<strong>en</strong>omm<strong>en</strong>.<br />

Kamerun ist – wie so viele afrikanische<br />

Länder – geprägt von Korruption, Arbeitslosigkeit,<br />

Armut, Gewalt, Aids, El<strong>en</strong>d. Und<br />

gerade aus diesem Grund spielt Fußball<br />

eine so große Rolle in diesem Land. Fußball<br />

ist das Leb<strong>en</strong>. Die M<strong>en</strong>sch<strong>en</strong> id<strong>en</strong>tifizier<strong>en</strong><br />

sich mit ihr<strong>en</strong> Clubs. Man interessiert sich<br />

sogar für Spiele aus Frankreich, England<br />

oder der deutsch<strong>en</strong> Bundesliga, die es mit<br />

reichlicher Verspätung auch im Fernseh<strong>en</strong><br />

zu seh<strong>en</strong> gibt. Fußball eint die M<strong>en</strong>sch<strong>en</strong> in<br />

Kamerun und stiftet ein nationales Zusamm<strong>en</strong>gehörigkeitsgefühl.<br />

Und dies<strong>en</strong> Wort<strong>en</strong><br />

ist mehr Bedeutung zuzumess<strong>en</strong>, als es im<br />

erst<strong>en</strong> Aug<strong>en</strong>blick erschein<strong>en</strong> mag. D<strong>en</strong>n in<br />

Kamerun leb<strong>en</strong> zahlreiche Stämme, die in<br />

früher<strong>en</strong> Zeit<strong>en</strong> verfeindet war<strong>en</strong>, es werd<strong>en</strong><br />

mehr als 200 verschied<strong>en</strong>e Sprach<strong>en</strong><br />

und es gibt die unterschiedlichst<strong>en</strong> Glaub<strong>en</strong>srichtung<strong>en</strong>.<br />

Unterschwellig werd<strong>en</strong> die<br />

Machtkämpfe von früher jedoch – zumindest<br />

in der national<strong>en</strong> Fußballliga – weiter<br />

ausgetrag<strong>en</strong>. So sind manche Kameruner<br />

der Meinung, der Fußball habe die im Verlauf<br />

der Kolonisation nur mit Mühe gebändigt<strong>en</strong><br />

Stammeskämpfe einfach ersetzt. Die<br />

in der 2. Liga stattfind<strong>en</strong>d<strong>en</strong> Spiele, Dorf<br />

geg<strong>en</strong> Dorf, erinnern selbst Einheimische<br />

an ein Zusamm<strong>en</strong>treff<strong>en</strong> zweier verfeindeter<br />

Clans kurz vor Kriegsausbruch. Auch<br />

fühl<strong>en</strong> sich die anglophon<strong>en</strong> Clubs geg<strong>en</strong>über<br />

der französisch<strong>en</strong> Übermacht im Land<br />

b<strong>en</strong>achteiligt. Fast alle sind inzwisch<strong>en</strong> aus<br />

der 1. Liga ausgeschied<strong>en</strong>, und dass nicht<br />

ganz ohne Intrig<strong>en</strong> aus d<strong>en</strong> französischsprachig<strong>en</strong><br />

Reih<strong>en</strong>, wie man sagt.<br />

Am meist<strong>en</strong> scheint Fußball in Kamerun<br />

d<strong>en</strong> Frau<strong>en</strong> Spaß zu mach<strong>en</strong>, was erstaunlich<br />

in einem Land ist, in dem Frau<strong>en</strong> in der<br />

Regel noch ein<strong>en</strong> untergeordnet<strong>en</strong> Status<br />

hab<strong>en</strong>. Seit 1990 gibt es sogar eine nationale<br />

Frau<strong>en</strong>liga – <strong>zur</strong> Belustigung der Männer<br />

und <strong>zur</strong> Begeisterung der Frau<strong>en</strong>.<br />

In viel<strong>en</strong> Ländern Afrikas helf<strong>en</strong> Zauberer<br />

dem Fußballglück nach, und auch in<br />

Kamerun ist das nicht anders. Aufgabe des<br />

Magiers, der in Kamerun „Guérisseur“<br />

heißt, ist es vor allem, die Mannschaft vor<br />

Hexerei<strong>en</strong> der Geg<strong>en</strong>mannschaft zu schütz<strong>en</strong>.<br />

Die „Guérisseure“ arbeit<strong>en</strong> mit d<strong>en</strong><br />

unterschiedlichst<strong>en</strong> Method<strong>en</strong>. Sie befrag<strong>en</strong><br />

Spiegel, mit Muscheln gefüllte Hoerner<br />

oder träum<strong>en</strong> d<strong>en</strong> Spielablauf. Die Spieler<br />

müss<strong>en</strong> Amulette berühr<strong>en</strong>, Puder und Öle<br />

auftrag<strong>en</strong>, das Stadion rückwärts betret<strong>en</strong><br />

oder am Vorab<strong>en</strong>d des Spiels nächtliche<br />

Zeremoni<strong>en</strong> feiern, was oft dazu führt, dass<br />

die Mannschaft total übermüdet auf dem<br />

Spielfeld erscheint. Manchmal werd<strong>en</strong> d<strong>en</strong><br />

Spielern gar nächtliche Auf<strong>en</strong>thalte auf<br />

dem Friedhof verordnet. So weiß in Kamerun<br />

auch jedes Kind, warum Kamerun bei<br />

der WM 1990 im Viertelfinale geg<strong>en</strong> England<br />

verlor<strong>en</strong> hat. Als ein Ball ins Publikum<br />

flog und scheinbar nicht <strong>zur</strong>ückkam, wurde<br />

mit einem ander<strong>en</strong> Ball gespielt – so war<br />

alle Magie dahin. Was d<strong>en</strong> meist<strong>en</strong> jedoch<br />

verborg<strong>en</strong> blieb, ist die Tatsache, dass der


verlor<strong>en</strong> geglaubte Ball <strong>zur</strong>ückgetauscht<br />

wurde und nur für kurze Zeit mit einem<br />

Ersatzball gespielt wurde. Aber ein Zauberer<br />

findet immer ein<strong>en</strong> Schuldig<strong>en</strong>…<br />

Einer der größt<strong>en</strong> Fußballheld<strong>en</strong> Kameruns<br />

ist Roger Milla. Er lernte das Kick<strong>en</strong><br />

wie so viele Afrikaner mit zusamm<strong>en</strong>geknotet<strong>en</strong><br />

auf der Strasse. Seine Karriere<br />

begann 1965 bei „Eclair“ in Douala. Er<br />

spielte anschließ<strong>en</strong>d bei „Tonnere“ in<br />

Yaoundé, in der Nationalmannschaft und<br />

als Profi in divers<strong>en</strong> französisch<strong>en</strong> Clubs.<br />

Dort blieb er jedoch trotz seiner Erfolge<br />

lange Zeit der „Import aus der dritt<strong>en</strong><br />

Welt“: unterschätzt und unterbezahlt. 1988<br />

be<strong>en</strong>dete er seine Laufbahn, doch w<strong>en</strong>ig<br />

später wurde er von Kameruns Staatspräsid<strong>en</strong>t<br />

Paul Biya in die Nationalmannschaft<br />

<strong>zur</strong>ückgeruf<strong>en</strong>. Mit sein<strong>en</strong> 38 Jahr<strong>en</strong> war er<br />

damit der Veteran der Mannschaft und wurde<br />

von Trainern, Journalist<strong>en</strong> und Politikern<br />

verspottet. Bis die WM 1990 kam.<br />

D<strong>en</strong>n da überraschte er mit spektakulär<strong>en</strong><br />

Tor<strong>en</strong> und sein<strong>en</strong> Sambatänz<strong>en</strong> an der Eckfahne<br />

die ganze Fußballwelt. Zusamm<strong>en</strong> mit<br />

d<strong>en</strong> „Lions indomptables“, d<strong>en</strong> „Unbezähmbar<strong>en</strong><br />

Löw<strong>en</strong>“ (Kameruns Nationalmannschaft)<br />

besiegte er in der Vorrunde<br />

d<strong>en</strong> Favorit<strong>en</strong> Arg<strong>en</strong>tini<strong>en</strong> und brachte<br />

Kamerun bis ins Viertelfinale. Trotz der<br />

Niederlage geg<strong>en</strong> England im Viertelfinale<br />

befand sich Kamerun tagelang wie in Trance,<br />

es wurde Tag und Nacht gefeiert, und<br />

Roger Milla wurde zum Nationalheld<strong>en</strong><br />

sowie zu Afrikas Fußballer des Jahres. Es<br />

war die bisher beste Leistung einer afrikanisch<strong>en</strong><br />

Nationalmannschaft. Bei d<strong>en</strong> folg<strong>en</strong>d<strong>en</strong><br />

Weltmeisterschaft<strong>en</strong> schaffte Kamerun<br />

es jedoch bis heute leider nicht mehr über<br />

die Vorrunde hinaus, obwohl Kamerun<br />

neb<strong>en</strong> Nigeria nach wie vor zu d<strong>en</strong> stärkst<strong>en</strong><br />

Fußballnation<strong>en</strong> Afrikas zählt.<br />

Deutschland und Kamerun traf<strong>en</strong> erstmalig<br />

in der WM 2002 in der Vorrunde aufeinander,<br />

ihr erinnert euch sicherlich noch lebhaft<br />

an dieses nerv<strong>en</strong>zerrütt<strong>en</strong>de Spiel, in<br />

dem Deutschland 2:0 als Sieger hervorging.<br />

Größere Erfolge verbuchte Kamerun 1984,<br />

1988, 2000 und 2002, als das Nationalteam<br />

d<strong>en</strong> „African National Cup“ (Afrikameisterschaft<strong>en</strong>)<br />

gewann. Darüber hinaus gewann<br />

das Nationalteam die Goldmedaille bei d<strong>en</strong><br />

olympisch<strong>en</strong> Spiel<strong>en</strong> im Jahr 2000. Warum<br />

d<strong>en</strong> „Unbezähmbar<strong>en</strong> Löw<strong>en</strong>“ d<strong>en</strong>noch<br />

kein konstanter Aufstieg beschert wird, hat<br />

dieselb<strong>en</strong> Ursach<strong>en</strong>, die d<strong>en</strong> meist<strong>en</strong> ander<strong>en</strong><br />

afrikanisch<strong>en</strong> Nationalmannschaft<strong>en</strong><br />

d<strong>en</strong> Erfolg verwehr<strong>en</strong>: Geldunterschlagung<br />

(die Spieler erhalt<strong>en</strong> oft monatelang kein<strong>en</strong><br />

Lohn), Kompet<strong>en</strong>zgerangel im Führungsteam,<br />

Einmischung inkompet<strong>en</strong>ter Politiker,<br />

schlechte Organisation, Korruption. Doch<br />

das ändert nichts an der Fußballbegeisterung<br />

im Land. W<strong>en</strong>n die „Unbezähmbar<strong>en</strong><br />

Löw<strong>en</strong>“ ihre Trikots in d<strong>en</strong> grün-rot-gelb<strong>en</strong><br />

Landesfarb<strong>en</strong> oder ihre – in der WM verbot<strong>en</strong><strong>en</strong><br />

– ärmellos<strong>en</strong> Hemd<strong>en</strong> trag<strong>en</strong>, dann<br />

interessiert kein<strong>en</strong> mehr das Chaos, das die<br />

Mannschaft umgibt. Dann zähl<strong>en</strong> nur noch<br />

die Löw<strong>en</strong>.<br />

Furore um die Spielkleidung der Kameruner<br />

Nationalelf gab es bei der Afrikameisterschaft<br />

2004, als die Fußballprofis mit<br />

einem von der Sportartikelfabrik Puma <strong>en</strong>tworf<strong>en</strong><strong>en</strong><br />

<strong>en</strong>ganlieg<strong>en</strong>d<strong>en</strong> Einteiler erschi<strong>en</strong><strong>en</strong>.<br />

Dieses Outfit, das d<strong>en</strong> Trikottausch<br />

nach dem Spiel eb<strong>en</strong>so unmöglich macht<br />

wie das verlotterte Heraushäng<strong>en</strong> des Trikots<br />

aus der Hose oder das leidige Zerr<strong>en</strong><br />

der Gegner an der Kleidung, gefiel d<strong>en</strong><br />

Herr<strong>en</strong> der Fifa ganz und gar nicht. Laut<br />

einer festgesetzt<strong>en</strong> Regel sei ein Spiel nur<br />

dann gültig, w<strong>en</strong>n die Mannschaft<strong>en</strong> mit<br />

Trikot, Hose und Strümpf<strong>en</strong>, also in drei<br />

Teil<strong>en</strong> bekleidet sind. Um ein Haar hätte<br />

das Auftaktspiel der Löw<strong>en</strong> nicht stattgefund<strong>en</strong>,<br />

da der Schiedsrichter das Outfit<br />

nicht akzeptierte und keine ander<strong>en</strong> Trikots<br />

mitgebracht word<strong>en</strong> war<strong>en</strong>. Kurz vor dem<br />

geplant<strong>en</strong> Spielbeginn musst<strong>en</strong> sich die<br />

Spieler per Fax eine Erlaubnis vom Verbandschef<br />

einhol<strong>en</strong>, damit das Spiel überhaupt<br />

angepfiff<strong>en</strong> werd<strong>en</strong> konnte.<br />

Kameruns beste Spieler kick<strong>en</strong> zum<br />

größt<strong>en</strong> Teil in Europa. Doch das stört<br />

eig<strong>en</strong>tlich niemand<strong>en</strong>. D<strong>en</strong>n erst<strong>en</strong>s bringt<br />

das Land Jahr für Jahr so viele Tal<strong>en</strong>te hervor,<br />

dass man sich um Zukunft oder Geg<strong>en</strong>wart<br />

des Nationalteams nicht sorg<strong>en</strong> muss.<br />

Zweit<strong>en</strong>s könn<strong>en</strong> die Kameruner Spieler<br />

nur im Ausland richtig Karriere mach<strong>en</strong><br />

und d<strong>en</strong> sozial<strong>en</strong> Aufstieg schaff<strong>en</strong>. Und<br />

Dritt<strong>en</strong>s find<strong>en</strong> zum Spiel der Nationalmannschaft<br />

ja alle Starkicker Kameruns<br />

wieder zusamm<strong>en</strong>. Volk wie Politiker knüpf<strong>en</strong><br />

große Erwartung<strong>en</strong> und Hoffnung<strong>en</strong> an<br />

die Leistung<strong>en</strong> ihrer „Unbezähmbar<strong>en</strong><br />

Löw<strong>en</strong>“. Kameruns Staatspräsid<strong>en</strong>t Paul<br />

Biya sagte einmal: „Fußball löst die Probleme<br />

in unserem Land“. Fußball ist eine<br />

Staatsangeleg<strong>en</strong>heit. Vor wichtig<strong>en</strong> Turnier<strong>en</strong><br />

lässt Biya die Mannschaft aus ganz<br />

Europa nach Yaoundé einflieg<strong>en</strong>, um sie<br />

mit pathetisch<strong>en</strong> Wort<strong>en</strong> auf das bevorsteh<strong>en</strong>de<br />

Spiel einzustimm<strong>en</strong>. Nach dem Präsid<strong>en</strong>t<strong>en</strong><br />

komm<strong>en</strong> die Minister an die Reihe,<br />

jeder spricht mit Pathos und Patriotismus<br />

von der glorreich<strong>en</strong> sportlich<strong>en</strong> Zukunft<br />

149


150<br />

ihres Landes. Fußball stiftet nicht nur ein<br />

nationales Zusamm<strong>en</strong>gehörigkeitsgefühl, er<br />

bietet darüber hinaus die Möglichkeit, in<br />

der ganz<strong>en</strong> Welt großes Anseh<strong>en</strong> zu erlang<strong>en</strong>,<br />

was für ein sog<strong>en</strong>anntes „Entwicklungsland“<br />

natürlich eine sehr begehr<strong>en</strong>swerte<br />

Option ist.<br />

Ins Interesse der Deutsch<strong>en</strong> rückte<br />

Kameruns Fußballsz<strong>en</strong>e in d<strong>en</strong> letzt<strong>en</strong> Jahr<strong>en</strong><br />

besonders, als mit Winfried Schaefer im<br />

September 2001 ein Deutscher zum Nationaltrainer<br />

Kameruns wurde. Kamerun wollte<br />

unbedingt ein<strong>en</strong> deutsch<strong>en</strong> Trainer, welcher<br />

der Mannschaft Disziplin und Ordnung<br />

vermittelt. Für Schaefer bedeutete die<br />

Anfrage aus Kamerun noch einmal eine<br />

große Chance, sich in der ganz<strong>en</strong> Welt<br />

ein<strong>en</strong> Nam<strong>en</strong> zu mach<strong>en</strong>, nachdem er in<br />

Deutschland einige bittere Niederlag<strong>en</strong> einsteck<strong>en</strong><br />

musste, so wie die Entlassung beim<br />

VfB Stuttgart und dann sogar beim Zweitligist<strong>en</strong><br />

T<strong>en</strong>nis Borussia Berlin. Die Arbeit<br />

mit Kameruns Nationalmannschaft hat ihm<br />

d<strong>en</strong> Spaß an seinem Job wieder gegeb<strong>en</strong>,<br />

wie er selbst sagt. Schaefer schaffte es, seine<br />

individuell durchweg stark<strong>en</strong> Spieler in ein<br />

taktisch stabiles System zu füg<strong>en</strong>. Der Sieg<br />

bei der Afrikameisterschaft in Mali im Jahr<br />

2002 brachte Schaefer viel Lob und Anerk<strong>en</strong>nung<br />

ein. In der Presse schwärmte er<br />

von der Leichtigkeit und Geschmeidigkeit<br />

seiner Spieler, die vor dem Spiel in der<br />

Kabine bet<strong>en</strong> und sich durch gemeinsames<br />

sing<strong>en</strong> und tanz<strong>en</strong> im Bus auf der Fahrt ins<br />

Stadion emotional auf das Spiel einstimm<strong>en</strong>.<br />

Er pflegte ein<strong>en</strong> <strong>en</strong>g<strong>en</strong> Kontakt zu sein<strong>en</strong><br />

Spielern und besuchte seine Schützlinge<br />

sogar in ihr<strong>en</strong> europäisch<strong>en</strong> Verein<strong>en</strong>.<br />

Doch er tat sich schwer mit der mangelnd<strong>en</strong><br />

Organisation, d<strong>en</strong> finanziell<strong>en</strong> Nöt<strong>en</strong><br />

des Verbandes und der Einmischung von<br />

staatlicher Seite. Oft wartete er monatelang<br />

auf sein<strong>en</strong> Gehalt. Bei der WM 2002<br />

schließlich stand er unter <strong>en</strong>orm<strong>en</strong> Druck,<br />

da die gesamte Fußballwelt mit großer Aufmerksamkeit<br />

das Agier<strong>en</strong> seiner Mannschaft<br />

verfolgte und Schaefer nur zum Held<strong>en</strong><br />

oder zum Versager werd<strong>en</strong> konnte.<br />

Doch er erfüllte die groß<strong>en</strong> Erwartung<strong>en</strong><br />

nicht und flog mit seiner Mannschaft<br />

bereits in der Vorrunde hinaus. Als auch<br />

beim Afrika-Cup 2004 kein Titel gewonn<strong>en</strong><br />

wurde, fiel er <strong>en</strong>tgültig in Ungnade bei<br />

Kameruns Staatsmännern. Sein Vertrag<br />

wurde gekündigt, eine Tatsache, die für<br />

Schaefer sehr bitter war, der mit sein<strong>en</strong><br />

„unbezähmbar<strong>en</strong> Löw<strong>en</strong>“ große Pläne hatte:<br />

2006 wollte er mit der Mannschaft <strong>zur</strong><br />

WM nach Deutschland komm<strong>en</strong>.<br />

Doch diese reist nun leider gar nicht <strong>zur</strong><br />

WM an. Dabei lag<strong>en</strong> die unbezähmbar<strong>en</strong><br />

Löw<strong>en</strong> beim <strong>en</strong>tscheid<strong>en</strong>d<strong>en</strong> Qualifikationsspiel<br />

geg<strong>en</strong> Ägypt<strong>en</strong> bis <strong>zur</strong> 80. Minute<br />

in Führung und hatt<strong>en</strong> das WM-Ticket<br />

somit schon so gut wie in der Tasche. Doch<br />

dann fiel überrasch<strong>en</strong>d der Ausgleich, der<br />

das gesamte Stadion in Yaoundé in ein<strong>en</strong><br />

Schockzustand versetzte. In der Nachspielzeit<br />

– fünf Minut<strong>en</strong> als Zugabe – setzte<br />

Kamerun nun alles daran, das <strong>en</strong>tscheid<strong>en</strong>de<br />

Tor zu schieß<strong>en</strong>, was in der 94. Minute<br />

so gut wie geschafft schi<strong>en</strong>: der Schiedsrichter<br />

gab Elfmeter für Kamerun. Pierre<br />

Wome, Abwehrspieler bei Inter Mailand,<br />

übernahm diese große Verantwortung –<br />

und schoss vorbei. Damit war Kamerun<br />

raus, und ein ganzes Land verfiel in tiefe<br />

Depression, was sich bei einig<strong>en</strong> erbittert<strong>en</strong><br />

Fans schnell in Wut und Hass verwandelt<br />

hat. Pierre Wome muss nun um sein Leb<strong>en</strong><br />

fürcht<strong>en</strong>. Die <strong>en</strong>ttäuscht<strong>en</strong> Fans macht<strong>en</strong><br />

sich auf die Suche nach ihm, zündet<strong>en</strong> sein<br />

Auto an und verwüstet<strong>en</strong> sein Haus. Ein<br />

normales Leb<strong>en</strong> in seiner Heimat zu führ<strong>en</strong>,<br />

ist mom<strong>en</strong>tan für ihn nicht mehr möglich.<br />

Quell<strong>en</strong><br />

· Eva Apraku, Markus Hesselmann: Schwarze<br />

Sterne und Pharaon<strong>en</strong>. Der Aufstieg des afrikanisch<strong>en</strong><br />

Fussballs. Goetting<strong>en</strong>: Verl. Die Werkstatt,<br />

1998.<br />

· Tom Schimmeck: Ein Volk spielt geg<strong>en</strong> d<strong>en</strong><br />

Abstieg. In: GEO, Nr.2. Hamburg, 1991.<br />

· Joerg Hunke, Jan-Christian Mueller: „Ich bin<br />

doch kein Missionar“. Interview mit Winfried<br />

Schäfer. Frankfurter Rundschau, 25.05.2002.<br />

· Christoph Biermann: Winni im Wunderland.<br />

In: Sueddeutsche Zeitung, 30.11.2001.<br />

· Christian Oeynhaus<strong>en</strong>: Ab<strong>en</strong>teurer am Rande<br />

der Unertraeglichkeit. In: Koelner Stadt-Anzeiger,<br />

17.11.2004.<br />

· Hardy Hasselbruch: Aus dem Staub der Strass<strong>en</strong><br />

in die große weite Welt – und ins Chaos.<br />

In: Frankfurter Allgemeine Zeitung,<br />

25.05.2002.<br />

· Daniel Theweleit:: Trikottausch ausgeschloss<strong>en</strong>.<br />

Berliner Zeitung, 27.01.2004.<br />

· http://www.stern.de/sport-motor/fussball/


Die Macht der Hex<strong>en</strong><br />

Beim Mill<strong>en</strong>niumstreff<strong>en</strong> der Vereint<strong>en</strong> Nation<strong>en</strong> wird wieder einmal über die Rettung Afrikas<br />

diskutiert. Trotz 1000 Milliard<strong>en</strong> Dollar Entwicklungshilfe wächst die Armut weiter. Zu d<strong>en</strong><br />

schlimmst<strong>en</strong> Entwicklungsblockad<strong>en</strong> zähl<strong>en</strong> Aberglaube und Angst<br />

von BARTHOLOMÄUS GRILL<br />

ie Armut halbier<strong>en</strong>. Die Kindersterblichkeit<br />

s<strong>en</strong>k<strong>en</strong>. D<strong>en</strong> Hunger<br />

besieg<strong>en</strong>. Die Aids-Pandemie stopp<strong>en</strong>.<br />

Es sind wieder einmal noble Ziele, die<br />

sich die Vereint<strong>en</strong> Nation<strong>en</strong> im Rahm<strong>en</strong><br />

ihres Mill<strong>en</strong>niumsprogramms bis zum Jahre<br />

2015 gesteckt hab<strong>en</strong>. Diese Woche zieh<strong>en</strong><br />

sie in New York Zwisch<strong>en</strong>bilanz. Man ist<br />

weit hinter dem Plansoll. Man muss mehr<br />

tun, viel mehr, ganz besonders in Afrika.<br />

Mehr Schul<strong>en</strong>. Mehr Brunn<strong>en</strong>. Mehr Projekte.<br />

Mehr Geld. Da bleibt keine Zeit für<br />

Zweifel oder defätistische Frag<strong>en</strong> wie: Was<br />

hab<strong>en</strong> eig<strong>en</strong>tlich die rund eintaus<strong>en</strong>d Milliard<strong>en</strong><br />

Dollar Entwicklungshilfe bewirkt, die<br />

seit dem Ende der Kolonialzeit nach Afrika<br />

gefloss<strong>en</strong> sind? Warum ist die Armut trotzdem<br />

gewachs<strong>en</strong>? Woran ist die Modernisierung<br />

gescheitert?<br />

Weil sich ihr die rückständig<strong>en</strong>, mediokr<strong>en</strong>,<br />

abergläubisch<strong>en</strong> Afrikaner systematisch<br />

verweigern, behaupt<strong>en</strong> afrikanische<br />

Intellektuelle. Der Philosoph Val<strong>en</strong>tin Yves<br />

Mudimbe zählt d<strong>en</strong> esprit sorcier, d<strong>en</strong><br />

Hex<strong>en</strong>glaub<strong>en</strong>, zu d<strong>en</strong> größt<strong>en</strong> Entwicklungsblockad<strong>en</strong><br />

Afrikas. Wäre der Mann<br />

nicht Kongolese, er geriete unter Rassismusverdacht.<br />

D<strong>en</strong>n dass die Misere zwisch<strong>en</strong><br />

Dakar und Daressalam auch etwas<br />

mit d<strong>en</strong> Afrikanern selbst zu tun hab<strong>en</strong><br />

könnte, mit ihrer Kultur, ihr<strong>en</strong> Tradition<strong>en</strong>,<br />

ihrem Glaub<strong>en</strong>, ihrer M<strong>en</strong>talität, ist in der<br />

westlich<strong>en</strong> Dritte-Welt-Gemeinde ein geradezu<br />

unanständiger Gedanke.<br />

Die Afrikaner hab<strong>en</strong> Opfer zu sein. Mit<br />

Ausnahme von ein paar Despot<strong>en</strong> und<br />

Kleptokrat<strong>en</strong> sind ausschließlich sinistere<br />

Auß<strong>en</strong>mächte – die Weltbank, die globale<br />

Handelsunordnung, der Neokolonialismus<br />

– verantwortlich für sämtliche Fehl<strong>en</strong>twicklung<strong>en</strong>.<br />

Unbrauchbar wird diese Schuldformel<br />

allerdings, w<strong>en</strong>n sogar die vermeintlich<strong>en</strong><br />

Retter als Täter wahrg<strong>en</strong>omm<strong>en</strong> werd<strong>en</strong>.<br />

W<strong>en</strong>n zum Beispiel schwarze Mütter<br />

vor weiß<strong>en</strong> Entwicklungshelfern warn<strong>en</strong>,<br />

die nachts in Geländewag<strong>en</strong> durch die<br />

Slums kurvt<strong>en</strong>, um Kinder zu raub<strong>en</strong> und<br />

der<strong>en</strong> Organe an kranke Reiche zu verkauf<strong>en</strong>.<br />

Dann ahn<strong>en</strong> selbst die Helfer ein<strong>en</strong><br />

Grund für die Vergeblichkeit ihrer Arbeit,<br />

d<strong>en</strong> zu d<strong>en</strong>k<strong>en</strong> sie sich freilich verbiet<strong>en</strong>:<br />

die Macht des Okkultismus.<br />

Selbst Staatspräsid<strong>en</strong>t<strong>en</strong> befrag<strong>en</strong> Orakel<br />

und glaub<strong>en</strong> an dunkle Mächte<br />

Accra, Ghana. Unser Taxi fährt am Markt<br />

von Makola vorbei, als fünf junge Kerle<br />

ein<strong>en</strong> Mann blutig prügeln. Ein Mundräuber?<br />

Ein Tasch<strong>en</strong>dieb? Die Marktfrau, bei<br />

der ich mich vorsichtig erkundige, reagiert<br />

so abweis<strong>en</strong>d, als stehe der Leibhaftige vor<br />

ihr. Wer fragt, macht sich verdächtig. Hier,<br />

irg<strong>en</strong>dwo zwisch<strong>en</strong> d<strong>en</strong> Holzbud<strong>en</strong>, <strong>en</strong>tstand<br />

das Gerücht. Es fraß sich die Westküste<br />

Ghanas <strong>en</strong>tlang, schnell und gierig wie<br />

ein Buschfeuer, es begegnete mir wieder in<br />

Togo, in B<strong>en</strong>in, an der Elf<strong>en</strong>beinküste:<br />

Heimtückische Hexer sind unter uns! Sie<br />

lass<strong>en</strong> P<strong>en</strong>isse schrumpf<strong>en</strong> und Brüste, sie<br />

stehl<strong>en</strong> die Zeugungskraft, und nicht ein-<br />

151


152<br />

mal die Fruchtbarkeitspüppch<strong>en</strong> könn<strong>en</strong><br />

ihr<strong>en</strong> Fluch abwehr<strong>en</strong>.<br />

Die Angst, sagt der nigerianische Literat<br />

Chinua Achebe, sei das große Problem seines<br />

Erdteils. Krieg, Gewalt und El<strong>en</strong>d vergäll<strong>en</strong><br />

das Leb<strong>en</strong> zahlloser Afrikaner, Million<strong>en</strong><br />

hungern, Million<strong>en</strong> sind auf der Flucht,<br />

Million<strong>en</strong> sterb<strong>en</strong> an Aids oder Malaria.<br />

Staatsattrapp<strong>en</strong> wie der Kongo, Somalia<br />

oder Liberia zerfall<strong>en</strong>, vielerorts herrsch<strong>en</strong><br />

Chaosmächte und das darwinistische Recht<br />

des Stärker<strong>en</strong>. Es kommt d<strong>en</strong> Afrikanern<br />

manchmal vor, als hätt<strong>en</strong> sich alle Teufel<br />

geg<strong>en</strong> sie verschwor<strong>en</strong>. Sie müss<strong>en</strong> um ihr<br />

Leb<strong>en</strong> fürcht<strong>en</strong>, w<strong>en</strong>n sie ein<strong>en</strong> schrottreif<strong>en</strong><br />

Kleinbus besteig<strong>en</strong>, sich ein unbekanntes<br />

Virus einfang<strong>en</strong> oder d<strong>en</strong> Weg<br />

eines mit Drog<strong>en</strong> voll gepumpt<strong>en</strong> Kindersoldat<strong>en</strong><br />

kreuz<strong>en</strong>. Der Alltag des Schrekk<strong>en</strong>s<br />

nährt ihre Hoffnungslosigkeit, viele<br />

fall<strong>en</strong> in Agonie, verzweifeln, werd<strong>en</strong> anfällig<br />

für spirituelle Heilsversprech<strong>en</strong>. Gleichzeitig<br />

seh<strong>en</strong> sie das Luxusleb<strong>en</strong> und die<br />

Prahlsucht der korrupt<strong>en</strong> Elit<strong>en</strong>, und auch<br />

der sag<strong>en</strong>hafte Wohlstand des Nord<strong>en</strong>s<br />

bleibt dem hinterst<strong>en</strong> Urwalddorf nicht<br />

mehr verborg<strong>en</strong> – auch dort flimmert ein<br />

Fernsehkast<strong>en</strong>.<br />

Jed<strong>en</strong> Tag frag<strong>en</strong> sich Million<strong>en</strong> von Afrikanern:<br />

Wie könn<strong>en</strong> die Weiß<strong>en</strong> Raket<strong>en</strong><br />

ins All schieß<strong>en</strong> und Computer bau<strong>en</strong>? Warum<br />

sind sie so reich und wir so arm? Und<br />

jed<strong>en</strong> Tag antwort<strong>en</strong> sich Million<strong>en</strong>: weil sie<br />

mit übernatürlich<strong>en</strong> Mächt<strong>en</strong> im Bunde<br />

sind und die besser<strong>en</strong> Hex<strong>en</strong> hab<strong>en</strong>. Die<br />

m<strong>en</strong>tale Triebkraft der Modernisierung,<br />

die protestantische Ethik, also j<strong>en</strong>es fromme<br />

Schaff<strong>en</strong> und Raff<strong>en</strong>, das laut Max<br />

Weber d<strong>en</strong> Kapitalismus in Europa befeuerte,<br />

hat sich in Afrika noch nicht <strong>en</strong>tfaltet.<br />

Das pauperisierte Volk glaubt, dass sich der<br />

Wohlstand irg<strong>en</strong>dwie herbeizaubern lasse –<br />

und handelt danach. Die Anthropolog<strong>en</strong><br />

Jean und John Comaroff hab<strong>en</strong> dafür d<strong>en</strong><br />

Begriff »okkulte Ökonomie« geprägt: Er<br />

umschreibt die Anw<strong>en</strong>dung magischer Mittel<br />

<strong>zur</strong> Erzeugung materieller Reichtümer,<br />

Mittel, die rational nicht erklärbar sind und<br />

oft auf der Vernichtung anderer M<strong>en</strong>sch<strong>en</strong><br />

beruh<strong>en</strong>.<br />

Die Zahl der mutmaßlich<strong>en</strong> p<strong>en</strong>is shrinkers,<br />

die der Mob in Ghana totgeschlag<strong>en</strong><br />

hat, ist unbekannt. Man weiß auch nicht,<br />

wie viele Frau<strong>en</strong>, die in Südafrika als witches<br />

verfolgt wurd<strong>en</strong>, in so g<strong>en</strong>annte<br />

Schutzdörfer gefloh<strong>en</strong> sind. Das kontin<strong>en</strong>tale<br />

Ausmaß lässt sich nur ahn<strong>en</strong>, w<strong>en</strong>n<br />

man sich eine Statistik aus Tansania vor<br />

Aug<strong>en</strong> hält. Dort sind nach Schätzung<strong>en</strong><br />

des Famili<strong>en</strong>ministeriums allein zwisch<strong>en</strong><br />

1994 und 1998 über 5000 »Hex<strong>en</strong>« umgebracht<br />

word<strong>en</strong>.<br />

Der Hex<strong>en</strong>glaube ist in all<strong>en</strong> afrikanisch<strong>en</strong><br />

Völkern, Kultur<strong>en</strong>, Schicht<strong>en</strong>, Milieus<br />

verbreitet. Er begegnet uns in d<strong>en</strong> Geheimbünd<strong>en</strong><br />

und Mask<strong>en</strong>tänz<strong>en</strong> auf d<strong>en</strong> Dörfern<br />

oder in d<strong>en</strong> Satanskult<strong>en</strong> der Großstädte.<br />

Oder beim Fußball, w<strong>en</strong>n ein Sangoma<br />

das Tor des Gegners verwünscht. Oder<br />

in der hoh<strong>en</strong> Politik bis hinauf zu d<strong>en</strong> Präsid<strong>en</strong>t<strong>en</strong>.<br />

Dodoklounon Tozé, ein féticheur<br />

aus B<strong>en</strong>in, erzählte mir, er werde geleg<strong>en</strong>tlich<br />

vom gabunisch<strong>en</strong> Staatschef Omar<br />

Bongo geruf<strong>en</strong>, um vor einer wichtig<strong>en</strong> Entscheidung<br />

Fâ, das Orakel, zu befrag<strong>en</strong>.<br />

Magische Mächte und Geister, juju, shetani,<br />

tokoloshi, djinnés, treib<strong>en</strong> allerweg<strong>en</strong> ihr<br />

Unwes<strong>en</strong>, Neidpfeile und böse Blicke<br />

schwirr<strong>en</strong> durch d<strong>en</strong> Äther, aus der Erde<br />

steig<strong>en</strong> todbring<strong>en</strong>de Miasm<strong>en</strong>. Hex<strong>en</strong> und<br />

Zauberer l<strong>en</strong>k<strong>en</strong> räch<strong>en</strong>d oder schütz<strong>en</strong>d<br />

das Schicksal der Sterblich<strong>en</strong>. Man fällt bei<br />

einer Prüfung durch. Die fetteste Ziege<br />

stirbt. Die Feldfrüchte verdorr<strong>en</strong>. Aus der<br />

Haut quell<strong>en</strong> Eiterpusteln. Ein Geschäft<br />

läuft schief. Das Auto überschlägt sich. Ein<br />

Kind stirbt. Das Erzböse, Unheilvolle ist allgeg<strong>en</strong>wärtig,<br />

es lässt sich nur bann<strong>en</strong>, w<strong>en</strong>n<br />

man seine Medi<strong>en</strong>, die Hex<strong>en</strong>, ausrottet.<br />

Zuerst werd<strong>en</strong> Auß<strong>en</strong>seiter d<strong>en</strong>unziert,<br />

Käuze und Krüppel, Eig<strong>en</strong>brötler, Einzelgänger.<br />

Oder Fremde, Wanderarbeiter, flieg<strong>en</strong>de<br />

Händler. Es könn<strong>en</strong> auch besonders<br />

hübsche, erfolgreiche, kluge M<strong>en</strong>sch<strong>en</strong><br />

sein, die das Mittelmaß überrag<strong>en</strong>. Oft sind<br />

die Anschuldigung<strong>en</strong> willkürlich, von Neid<br />

und Missgunst getrieb<strong>en</strong> – eine mörderische<br />

Methode, um Konkurr<strong>en</strong>t<strong>en</strong> und<br />

Neb<strong>en</strong>buhler loszuwerd<strong>en</strong>. Auch wer das<br />

Gleichheitsgebot der Armut verletzt, wer<br />

etwas besitzt, ein Auto, Nike-Turnschuhe<br />

oder ein<strong>en</strong> Ghettoblaster, und nicht teilt,<br />

wird verteufelt. Man unterstellt ihm, er<br />

habe die Dinge mit Hilfe diabolischer Mächte<br />

erworb<strong>en</strong>. Niemand käme auf die Idee,<br />

dass sie sich seiner Leistung oder Sparsamkeit<br />

verdank<strong>en</strong> könnt<strong>en</strong>.<br />

So wird der Hex<strong>en</strong>glaube zu einem<br />

Instrum<strong>en</strong>t der sozial<strong>en</strong> Kontrolle, ja, des<br />

Terrors, das die Macht- und Besitzverhältnisse<br />

zem<strong>en</strong>tiert, gesellschaftlich<strong>en</strong> Aufstieg<br />

verhindert, die Tüchtig<strong>en</strong> bestraft, die M<strong>en</strong>sch<strong>en</strong><br />

m<strong>en</strong>tal lähmt, die Entwicklung zum<br />

modern<strong>en</strong> homo oeconomicus blockiert. Er<br />

sei ein fait social total, der sämtliche Sphär<strong>en</strong><br />

der Gesellschaft durchdringe, befindet<br />

der Schweizer Ethnologe und Journalist<br />

David Signer. In seiner faszinier<strong>en</strong>d<strong>en</strong> Feld-


studie Die Ökonomie der Hexerei. Oder<br />

warum es in Afrika keine Wolk<strong>en</strong>kratzer<br />

gibt (Peter Hammer Verlag, Wuppertal)<br />

geht er noch weiter als die Comaroffs, und<br />

am Ende scheint es, als gäbe es nur eine<br />

Erklärung für das Dilemma Afrikas: die<br />

Hexerei. Stell<strong>en</strong>weise klingt das so monokausal<br />

wie j<strong>en</strong>e Verschwörungstheorie, die<br />

alle Schuld finster<strong>en</strong> Auß<strong>en</strong>mächt<strong>en</strong><br />

zuschreibt. D<strong>en</strong>noch: Signers provokante<br />

Thes<strong>en</strong> beleb<strong>en</strong> die Debatte über das zerstörerische<br />

Pot<strong>en</strong>zial des Okkultismus, die<br />

in der postkolonial<strong>en</strong> Solidaritätsära auf<br />

dem Altar der Political Correctness geopfert<br />

wurde.<br />

Das Hex<strong>en</strong>wes<strong>en</strong> ist K<strong>en</strong>nzeich<strong>en</strong> vorwiss<strong>en</strong>schaftlicher<br />

Gesellschaft<strong>en</strong>, ein Refer<strong>en</strong>zsystem,<br />

in dem unerklärliche Phänom<strong>en</strong>e<br />

gedeutet werd<strong>en</strong> könn<strong>en</strong>. Sozialpsycholog<strong>en</strong><br />

red<strong>en</strong> von einem Kris<strong>en</strong>symptom, das<br />

verstärkt in Epoch<strong>en</strong> des Umbruchs auftrete;<br />

das traditionelle Afrika gerate durch die<br />

Folg<strong>en</strong> des Modernisierungsschocks –<br />

Landflucht, Entwurzelung, Exist<strong>en</strong>zangst –<br />

aus all<strong>en</strong> Fug<strong>en</strong>. Wie weiland Europa, als<br />

die Scheiterhauf<strong>en</strong> brannt<strong>en</strong> und das Mittelalter<br />

noch einmal aufloderte, ehe es in<br />

der R<strong>en</strong>aissance überwund<strong>en</strong> wurde. In<br />

Anlehnung an die Dialektik der Aufklärung<br />

ließe sich postulier<strong>en</strong>: Der Okkultismus ist<br />

ein Fluch, der in Afrika die gescheiterte<br />

Moderne überschattet.<br />

Der belgische Kulturforscher Filip de<br />

Boeck hat d<strong>en</strong> Hex<strong>en</strong>diskurs im Kongo<br />

untersucht. Dort grassiert eine krankhafte<br />

Furcht vor hübsch<strong>en</strong> klein<strong>en</strong> Mädch<strong>en</strong>. Sie<br />

werd<strong>en</strong> kamoke sukali g<strong>en</strong>annt, Zuckerpüppch<strong>en</strong>,<br />

und verwandeln sich angeblich<br />

in Femmes fatales, um ihre Väter zu verführ<strong>en</strong><br />

und ihn<strong>en</strong> die Hod<strong>en</strong> ab<strong>zur</strong>eiß<strong>en</strong>. Man<br />

erzählt sich auch, dass verwunsch<strong>en</strong>e Frau<strong>en</strong><br />

kleine Hex<strong>en</strong> in Gestalt von Zitteraal<strong>en</strong><br />

gebär<strong>en</strong> oder dass Monsterföt<strong>en</strong> aus ihrem<br />

Schoß kriech<strong>en</strong>. Häufig werd<strong>en</strong> Aids-Wais<strong>en</strong>,<br />

Streetkids oder Kindersoldat<strong>en</strong> der<br />

Schwarz<strong>en</strong> Magie bezichtigt. In Kinshasa<br />

verfolgt der Mob die »Kinder von Lunda«<br />

als Hex<strong>en</strong>; sie hab<strong>en</strong> es beim Diamant<strong>en</strong>such<strong>en</strong><br />

im Kriegsland Angola zu Geld<br />

gebracht und erweck<strong>en</strong> die Missgunst ihrer<br />

verarmt<strong>en</strong>, arbeitslos<strong>en</strong> Väter. Der Erfolg<br />

der Jung<strong>en</strong> gefährdet die gerontokratische<br />

Ordnung, die Älter<strong>en</strong> seh<strong>en</strong> ihre Autorität<br />

erodier<strong>en</strong>. Deshalb mach<strong>en</strong> sie die Heimkehrer<br />

verantwortlich für Armut, Siechtum<br />

und alles unbegreifliche Unglück. Und<br />

gerade j<strong>en</strong>e Bewegung<strong>en</strong>, die voller Bekehrungswut<br />

geg<strong>en</strong> diese Phänom<strong>en</strong>e ankämpf<strong>en</strong>,<br />

die christlich-fundam<strong>en</strong>talistisch<strong>en</strong><br />

Freikirch<strong>en</strong> und Sekt<strong>en</strong>, verstärk<strong>en</strong> durch<br />

<strong>en</strong>dzeitliches Geschrei die Angst vor Teufeln<br />

und Hex<strong>en</strong>.<br />

Es fehlt an rational<strong>en</strong> Geg<strong>en</strong>kräft<strong>en</strong>, an<br />

Aufklärung, an verlässlicher Information.<br />

Die Zeitung<strong>en</strong> – Million<strong>en</strong> von Analphabet<strong>en</strong><br />

könn<strong>en</strong> sie ohnehin nicht les<strong>en</strong> – <strong>en</strong>thalt<strong>en</strong><br />

zumeist nur Schund und Regierungspropaganda.<br />

Die wichtigste Nachricht<strong>en</strong>quelle<br />

heißt radio trottoir, ein Gemisch aus<br />

Tratsch und Hör<strong>en</strong>sag<strong>en</strong>, Gerücht<strong>en</strong> und<br />

Leg<strong>en</strong>d<strong>en</strong>. Hinzu komm<strong>en</strong> bluttrief<strong>en</strong>de<br />

Comics, Wandbilder, Werbeschilder, Kultsongs,<br />

vor allem aber eine Unzahl von Horrorfilm<strong>en</strong>.<br />

Der mit Abstand größte Produz<strong>en</strong>t<br />

ist Nigeria, dort kann man studier<strong>en</strong>,<br />

wie das Video zum unerschöpflich<strong>en</strong> Nährgrund<br />

einer geradezu pandemisch<strong>en</strong> Furcht<br />

wurde.<br />

»Ich habe alles geseh<strong>en</strong>«, behauptet<br />

Moses, unser Cicerone im Labyrinth von<br />

Lagos. »Obersch<strong>en</strong>kel, Gehirn, Schädel.<br />

Auch d<strong>en</strong> Rost, auf dem er das M<strong>en</strong>sch<strong>en</strong>fleisch<br />

gegrillt hat. Dort unt<strong>en</strong> war’s.« Wir<br />

starr<strong>en</strong> von einer Brücke am Isolo Expressway<br />

auf die Stelle, an der Clifford Orji sein<br />

Unwes<strong>en</strong> trieb, der Mann, der gestand<strong>en</strong><br />

hat, M<strong>en</strong>sch<strong>en</strong> zu fress<strong>en</strong>. »Er war hauptsächlich<br />

an Frau<strong>en</strong> interessiert«, sagt Moses.<br />

Die Festnahme Orjis im Februar 1999 löst<br />

eine Mass<strong>en</strong>hysterie aus. In Lagos kursier<strong>en</strong><br />

Kal<strong>en</strong>derblätter mit dem Titel Human<br />

Suya, M<strong>en</strong>sch<strong>en</strong>fleischspieß, auf d<strong>en</strong><strong>en</strong> die<br />

Gräueltat<strong>en</strong> wie in einer Moritat<strong>en</strong>sammlung<br />

illustriert werd<strong>en</strong>. Das Volk ist überzeugt,<br />

dass die »Bestie« im Auftrag von<br />

Hex<strong>en</strong> geschlachtet hat, die für ihre Rituale<br />

M<strong>en</strong>sch<strong>en</strong>material brauch<strong>en</strong> – das Einverleib<strong>en</strong><br />

von Körperteil<strong>en</strong> gilt als wirksamstes<br />

Mittel.<br />

Clifford Orji war laut Polizeibericht ein<br />

echter Kannibale. Meist<strong>en</strong>s aber handelt es<br />

sich um pure Volksfantasie, w<strong>en</strong>n irg<strong>en</strong>dwo<br />

in Afrika von Anthropophagie geraunt<br />

wird. In all<strong>en</strong> Region<strong>en</strong> des Kontin<strong>en</strong>ts hörte<br />

ich immer wieder von Ritualmord<strong>en</strong>,<br />

vom Handel mit Embryos, von Sklav<strong>en</strong>händlern<br />

und Organräubern, die d<strong>en</strong> Körper<br />

von gesund<strong>en</strong> M<strong>en</strong>sch<strong>en</strong> als Ersatzteillager<br />

ausschlacht<strong>en</strong>. Das könn<strong>en</strong> in der kollektiv<strong>en</strong><br />

Zwangsvorstellung Landsleute sein,<br />

geldgierige Ärzte, die ihre Pati<strong>en</strong>t<strong>en</strong> verstümmeln,<br />

oder sogar skrupellose Mütter,<br />

die ihr<strong>en</strong> Töchtern die Gebärmutter herausreiß<strong>en</strong>.<br />

Es könn<strong>en</strong> aber auch weiße Aids-<br />

Forscher im berüchtigt<strong>en</strong> Mitsubishi Pajero<br />

sein. Oder die nam<strong>en</strong>los<strong>en</strong> Dämon<strong>en</strong> der<br />

Globalisierung, j<strong>en</strong>es Ungeheuers, das aus<br />

der Sicht vieler Afrikaner ihr<strong>en</strong> Kontin<strong>en</strong>t<br />

153


154<br />

verschlingt. Der »neoliberal <strong>en</strong>tfesselte<br />

Kapitalismus« habe in Afrika eine Flut<br />

okkulter Praktik<strong>en</strong> ausgelöst, stellt der Kulturanthropologe<br />

Peter Probst fest. Die<br />

Obsession, der ewige Kolonialist sei auferstand<strong>en</strong>,<br />

um die Schwarz<strong>en</strong> <strong>en</strong>dgültig zu<br />

ruinier<strong>en</strong>, verfestigt ihre Opferm<strong>en</strong>talität.<br />

Das Wapp<strong>en</strong>tier der als kannibalistisch<br />

empfund<strong>en</strong><strong>en</strong> Beziehung zwisch<strong>en</strong> dem<br />

übermächtig<strong>en</strong> Nord<strong>en</strong> und dem schutzlos<strong>en</strong><br />

Süd<strong>en</strong> ist der Geier. Er hockt auf d<strong>en</strong><br />

Hütt<strong>en</strong>dächern und wühlt in d<strong>en</strong> Müllberg<strong>en</strong>,<br />

und nachts kommt er und hackt d<strong>en</strong><br />

M<strong>en</strong>sch<strong>en</strong> die Eingeweide heraus. Es ist<br />

kein Zufall, dass in Port Harcourt ein vulture<br />

man umgeht. Diese vollkomm<strong>en</strong> verwahrloste<br />

Stadt gehört zu d<strong>en</strong> zehn gefährlichst<strong>en</strong><br />

Ort<strong>en</strong> der Welt; sie liegt im Niger-<br />

Delta, wo seit Jahrzehnt<strong>en</strong> die Ölreichtümer<br />

Nigerias ausgebeutet werd<strong>en</strong>, währ<strong>en</strong>d die<br />

Bevölkerung so arm ist wie eh und je. Der<br />

Geiermann – eine Allegorie des neokolonial<strong>en</strong><br />

Raubkapitalismus.<br />

Ein irrationales Paralleluniversum, in<br />

dem es Zombies regnet<br />

Die Dämon<strong>en</strong> und Hex<strong>en</strong> werd<strong>en</strong> nicht<br />

nur als wirkmächtige, sondern als real existier<strong>en</strong>de<br />

Wes<strong>en</strong> wahrg<strong>en</strong>omm<strong>en</strong>. Sie bevölkern<br />

ein<strong>en</strong> Imaginationsraum, d<strong>en</strong> man<br />

sich vorzustell<strong>en</strong> hat wie eine zweite Realität,<br />

in der Fakt<strong>en</strong> und Fiktion<strong>en</strong>, Mythos<br />

und Wahrheit, Sein und Schein verschwimm<strong>en</strong>,<br />

so wie im Ahn<strong>en</strong>glaub<strong>en</strong> der Afrikaner<br />

Leb<strong>en</strong> und Tod ineinander fließ<strong>en</strong>. Diese<br />

»zweite Welt« sei <strong>zur</strong> erst<strong>en</strong> geword<strong>en</strong>,<br />

stellt Filip de Boeck fest. Es ist ein irrationales<br />

Paralleluniversum, in dem Aids von<br />

Hex<strong>en</strong> verbreitet und durch d<strong>en</strong> Verkehr<br />

mit Jungfrau<strong>en</strong> kuriert wird, in dem es<br />

Zombies regnet und die Strichcodes auf<br />

importiert<strong>en</strong> War<strong>en</strong> als Beweis der Weltherrschaft<br />

des West<strong>en</strong>s gedeutet werd<strong>en</strong>.<br />

Bilder wie Mystique Congolaise von Cheri<br />

Cherin spiegeln dieses Panoptikum afrikanischer<br />

Albträume. Es war zu seh<strong>en</strong> in der<br />

Ausstellung Africa Screams, die der Bayreuther<br />

Kulturanthropologe Tobias W<strong>en</strong>dl<br />

koordiniert hat. Der Katalog (eb<strong>en</strong>falls im<br />

Hammer Verlag erschi<strong>en</strong><strong>en</strong>) <strong>en</strong>thält exzell<strong>en</strong>te<br />

ethnologische Studi<strong>en</strong>, die jeder Entwicklungsexperte<br />

les<strong>en</strong> sollte. Vielleicht<br />

wäre das der Auftakt zu einer radikal<strong>en</strong> Diskussion<br />

darüber, warum die gut gemeint<strong>en</strong><br />

Theori<strong>en</strong> und Projekte so oft an der Wirklichkeit<br />

zerschell<strong>en</strong>, an j<strong>en</strong>er »zweit<strong>en</strong><br />

Welt«, die die Helfer nicht wahrnehm<strong>en</strong><br />

woll<strong>en</strong>.<br />

Geleg<strong>en</strong>tlich bin ich an d<strong>en</strong> Rand dieser<br />

Welt gelangt, in Porto Novo, B<strong>en</strong>in, zum<br />

Beispiel, bei einer Initiation von Voodoo-<br />

Priesterinn<strong>en</strong>, die in manischer Trance<br />

Fleischfetz<strong>en</strong> aus d<strong>en</strong> Häls<strong>en</strong> leb<strong>en</strong>der<br />

Opferzieg<strong>en</strong> biss<strong>en</strong>. Oder in Freetown, Sierra<br />

Leone, bei der Begegnung mit archaisch<strong>en</strong><br />

Kamajor-Kriegern, die sich mit heiligem<br />

Wasser bespr<strong>en</strong>keln und glaub<strong>en</strong>, die<br />

Kugeln des Feindes würd<strong>en</strong> wie Reg<strong>en</strong>tropf<strong>en</strong><br />

an ihn<strong>en</strong> abperl<strong>en</strong>. Oder in Bam<strong>en</strong>da,<br />

Kamerun, beim rätselhaft<strong>en</strong> Ritual des<br />

Medizinmannes Bâ Tadoh Fomantum. Auf<br />

dem Lehmplatz vor seiner Hütte saß eine<br />

alte, verwirrte Frau, gefesselt zwisch<strong>en</strong> zwei<br />

Speer<strong>en</strong>, in einem Kreis von Holzscheit<strong>en</strong>.<br />

»Sie wurde verhext«, sagte Fomantum.<br />

Dann murmelte er esoterische Formeln,<br />

goss Spiritus über die Scheite und zündete<br />

sie an. Gelähmt vor Angst, starrte die Frau<br />

in die Lohe, zitterte, stammelte Gebete.<br />

Irg<strong>en</strong>dwann erlosch das Feuer, und die Frau<br />

sah plötzlich <strong>en</strong>tspannt und gleichmütig<br />

aus. »Die Hex<strong>en</strong> sind besiegt, sie ist <strong>zur</strong>ückgekehrt«,<br />

meinte der Wunderheiler.<br />

Als ich auf der Rückfahrt in die Stadt<br />

Bam<strong>en</strong>da die Buschpiste verließ, wirkte die<br />

Straße sonderbar fremd, ein Teerband,<br />

geradlinig, glatt, rational, eine Scheidelinie,<br />

die uns und all unsere schön<strong>en</strong> Modernisierungstheori<strong>en</strong><br />

und Mill<strong>en</strong>niumsvision<strong>en</strong><br />

von der magisch<strong>en</strong> Welt des Bâ Tadoh<br />

Fomantum tr<strong>en</strong>nt.<br />

Bartholomäus Grill lebt in Kapstadt und berichtet<br />

seit über zehn Jahr<strong>en</strong> für das Woch<strong>en</strong>blatt DIE<br />

ZEIT aus verschied<strong>en</strong><strong>en</strong> Staat<strong>en</strong> Afrikas. Nach<br />

Studi<strong>en</strong> der Philosophie, Soziologie und Kunstgeschichte<br />

war Grill zunächst politischer Redakteur,<br />

bevor ihn das „afrikanische Fieber“ erfasste und<br />

er seit 1980 „versucht, dies<strong>en</strong> Kontin<strong>en</strong>t zu versteh<strong>en</strong>“.<br />

Sein außerord<strong>en</strong>tlich les<strong>en</strong>swertes Buch<br />

„Ach, Afrika. Berichte aus dem Inner<strong>en</strong> eines<br />

Kontin<strong>en</strong>ts“ (Siedler, 2003; Paperback: Goldmann,<br />

2005) beschreibt eine zwisch<strong>en</strong> Tradition<br />

und Moderne zerriss<strong>en</strong>e Welt der Widersprüche,<br />

„geprägt durch die reiche Vorstellungswelt seiner<br />

M<strong>en</strong>sch<strong>en</strong>, ihre sozial<strong>en</strong> Regeln und Rituale, ihre<br />

Träume und Tabus, ihre Machtstruktur<strong>en</strong> und<br />

Glaub<strong>en</strong>ssysteme“.<br />

Wir dank<strong>en</strong> dem Autor – Gast der cusanisch<strong>en</strong><br />

Feri<strong>en</strong>akademie „Nkosi Sikelel’i – Afrika. Der vergess<strong>en</strong>e<br />

Kontin<strong>en</strong>t“ im Februar 2005 – für die<br />

freundliche G<strong>en</strong>ehmigung des Abdrucks. Erschi<strong>en</strong><strong>en</strong><br />

ist der Beitrag in: DIE ZEIT Nr. 38 vom 15.<br />

September 2005.


Afrika im <strong>Cusanuswerk</strong><br />

155


156<br />

Solidarität darf nicht an d<strong>en</strong> Gr<strong>en</strong>z<strong>en</strong><br />

Europas aufhör<strong>en</strong><br />

Ein Interview mit Stefan Raueiser (sr) und Thorst<strong>en</strong> Wilhelmy (tw)<br />

von JOSEPHINE LANDERTINGER<br />

Afrika scheint im <strong>Cusanuswerk</strong> eine besondere<br />

Aufmerksamkeit zu g<strong>en</strong>ieß<strong>en</strong>, schließlich wird<br />

ihm die Frühjahrsakademie 2005 und die <strong>Auslandsakademie</strong><br />

2006 gewidmet. Wie kommt es<br />

dazu?<br />

sr: Afrika ist uns wichtig, weil der Kontin<strong>en</strong>t<br />

im Alltag vielfach vergess<strong>en</strong> wird. Er hat keine<br />

große Lobby. Außerdem woll<strong>en</strong> wir die<br />

Cusanerinn<strong>en</strong> und Cusaner ja für die Übernahme<br />

von Weltverantwortung s<strong>en</strong>sibilisier<strong>en</strong>.<br />

Dabei wurde „Afrika“ als Akademiethema<br />

von d<strong>en</strong> Stip<strong>en</strong>diat<strong>en</strong> selbst vorgeschlag<strong>en</strong>.<br />

Die <strong>Auslandsakademie</strong> konnte auf<br />

Grund persönlicher Kontakte in Kamerun<br />

und etwas Glück geplant werd<strong>en</strong>.<br />

tw: Dass sich als <strong>en</strong>twicklungspolitischer<br />

Schwerpunkt Afrika herauskristallisiert hat,<br />

liegt auch im Bemüh<strong>en</strong> um Kontinuität<br />

begründet, d<strong>en</strong>n mit dem Exposure-Projekt<br />

des <strong>Cusanuswerk</strong>s in Uganda 1997 war der<br />

Bezug gegeb<strong>en</strong>. Zum ander<strong>en</strong> ist es so, dass<br />

einige der jetzt im <strong>Cusanuswerk</strong> tätig<strong>en</strong><br />

Refer<strong>en</strong>tInn<strong>en</strong> ihre Erfahrung<strong>en</strong> im<br />

Bereich Entwicklungspolitik in Afrika<br />

gemacht hab<strong>en</strong>. Dadurch <strong>en</strong>twickelte sich<br />

eine persönliche Zugangsweise.<br />

Beschreib<strong>en</strong> Sie in w<strong>en</strong>ig<strong>en</strong> Wort<strong>en</strong> die<br />

mom<strong>en</strong>tane Situation Afrikas aus Ihrer Sicht.<br />

sr: „Afrika gibt es nicht“ schrieb einmal ein<br />

Journalist der Neu<strong>en</strong> Züricher Zeitung.<br />

Mich interessiert daher auch der Blick, d<strong>en</strong><br />

wir auf Afrika hab<strong>en</strong>. In Europa seh<strong>en</strong> wir<br />

die Ks: Kris<strong>en</strong>, Krankheit<strong>en</strong> und Katastroph<strong>en</strong>.<br />

Das ist ein extrem einseitiger Blick,<br />

der ergänzungsbedürftig ist. Aus deutscher<br />

Sicht ist dieser Blick gleichzeitig eine Auseinandersetzung<br />

mit unserer eig<strong>en</strong><strong>en</strong><br />

Geschichte und Id<strong>en</strong>tität – d<strong>en</strong>k<strong>en</strong> Sie nur<br />

an d<strong>en</strong> hundertst<strong>en</strong> Jahrestag des Herero-<br />

Aufstands in „Deutsch-Südwest“ 1 oder die<br />

Berliner Kongo-Konfer<strong>en</strong>z von 1885.<br />

tw: Es ist zunächst wichtig, die Kategorisierung<br />

zu überwind<strong>en</strong>. W<strong>en</strong>n wir über Afrika<br />

red<strong>en</strong>, dann immer in Dim<strong>en</strong>sion<strong>en</strong> des<br />

Kontin<strong>en</strong>ts. Das ist zu grob und zu ung<strong>en</strong>au.<br />

Es ist ganz wichtig, auf d<strong>en</strong> Einzelfall<br />

zu schau<strong>en</strong>. Umgekehrt darf dies nicht dazu<br />

führ<strong>en</strong>, dass wir Einzelfälle zum Maß der<br />

Dinge erheb<strong>en</strong>. Ich kann Erfahrung<strong>en</strong> aus<br />

Uganda nur bedingt verallgemeinern.


Was ist für Sie das geg<strong>en</strong>wärtig gravier<strong>en</strong>dste<br />

Problem, das Afrika als Kontin<strong>en</strong>t betrifft?<br />

tw: HIV/AIDS. Das ist für mich das<br />

mom<strong>en</strong>tan größte Problem. Schwierig finde<br />

ich auch, die Verflechtung von staatlich<strong>en</strong><br />

Struktur<strong>en</strong> mit traditionell<strong>en</strong> Gesellschaftsform<strong>en</strong>.<br />

sr: Die Elit<strong>en</strong>-Frage fällt mir da sofort ein:<br />

korrupte Elit<strong>en</strong>, die egoistisch angelegt sind<br />

und Netzwerke bild<strong>en</strong>, die nicht dem Allgemeinwohl<br />

di<strong>en</strong><strong>en</strong>. Aus cusanischer Sicht –<br />

also aus der Perspektive einer Institution,<br />

die Elit<strong>en</strong> <strong>zur</strong> gesellschaftlich<strong>en</strong> Verantwortungsübernahme<br />

ermutigt – springt die Elit<strong>en</strong>-Problematik<br />

in Afrika sofort ins Auge.<br />

Inwieweit versucht das <strong>Cusanuswerk</strong> direkt<br />

Staatsbürger aus afrikanisch<strong>en</strong> Staat<strong>en</strong>, die in<br />

Deutschland studier<strong>en</strong>, zu fördern?<br />

sr: Rechtlich geseh<strong>en</strong> kann das <strong>Cusanuswerk</strong><br />

in der Grundförderung nur EU-Ausländer<br />

oder Bildungsinländer fördern. In<br />

die Graduiert<strong>en</strong>förderung dürf<strong>en</strong> jedoch<br />

alle aufg<strong>en</strong>omm<strong>en</strong> werd<strong>en</strong>, die an einer<br />

deutsch<strong>en</strong> Hochschule <strong>zur</strong> Promotion zuge-<br />

lass<strong>en</strong> sind. In aller Regel w<strong>en</strong>d<strong>en</strong> sich<br />

Staatsbürger afrikanischer Staat<strong>en</strong> jedoch<br />

an d<strong>en</strong> Katholisch<strong>en</strong> Akademisch<strong>en</strong> Ausländer-Di<strong>en</strong>stes<br />

(KAAD) 2 , der mit Partnerorganisation<strong>en</strong><br />

in d<strong>en</strong> jeweilig<strong>en</strong> Heimatländern<br />

kooperiert.<br />

Welche Eindrücke konnt<strong>en</strong> Sie währ<strong>en</strong>d der<br />

Afrika Akademie in Münster sammeln?<br />

sr: Das kann ich in drei Punkt<strong>en</strong> zusamm<strong>en</strong>fass<strong>en</strong>:<br />

Eine überwältig<strong>en</strong>de Diskussionsbereitschaft<br />

der Teilnehmerinn<strong>en</strong> und Teilnehmer,<br />

spann<strong>en</strong>de Einblicke in die Struktur<strong>en</strong><br />

internationaler Verflechtung<strong>en</strong><br />

afrikanischer Staat<strong>en</strong> in auß<strong>en</strong>- und eb<strong>en</strong><br />

nicht nur <strong>en</strong>twicklungspolitischer Hinsicht<br />

sowie die Begegnung mit absolut <strong>en</strong>gagiert<strong>en</strong><br />

Refer<strong>en</strong>t<strong>en</strong>, Afrika-Realist<strong>en</strong> wie -Optimist<strong>en</strong>.<br />

tw: Was mich positiv stimmt, ist das große<br />

Interesse der Teilnehmer an Afrika. Das<br />

habe ich als sehr lebhaft empfund<strong>en</strong>. Man<br />

sollte aber nicht vergess<strong>en</strong>, dass die unterschiedlich<strong>en</strong><br />

Region<strong>en</strong> des Kontin<strong>en</strong>ts kulturell<br />

wie landschaftlich viel zu biet<strong>en</strong><br />

157


158<br />

hab<strong>en</strong>. Das kann schnell vergess<strong>en</strong> werd<strong>en</strong>,<br />

w<strong>en</strong>n man zwei Woch<strong>en</strong> lang über Probleme<br />

redet.<br />

Welche Erwartung<strong>en</strong> verbind<strong>en</strong> Sie mit der<br />

<strong>Auslandsakademie</strong> in Kamerun 2006?<br />

tw: In Kamerun geht es um Begegnung<strong>en</strong>.<br />

Wir woll<strong>en</strong> d<strong>en</strong> perspektivisch<strong>en</strong> Blick, das<br />

g<strong>en</strong>aue Hinseh<strong>en</strong>, fördern. Es geht auch<br />

darum, die Vorstellung „Afrika“ und „die<br />

Afrikaner“ zu verändern und die Stip<strong>en</strong>diat<strong>en</strong><br />

für die Einzelsituation zu s<strong>en</strong>sibilisier<strong>en</strong>.<br />

sr: Die Idee ist der Dialog vor Ort. Wir woll<strong>en</strong><br />

sowohl mit dortig<strong>en</strong> Stud<strong>en</strong>tInn<strong>en</strong> als<br />

auch mit Vertretern örtlicher Elit<strong>en</strong> und<br />

Kirch<strong>en</strong> sprech<strong>en</strong>, um zumindest eine<br />

Ahnung von der Komplexität der Situation<br />

eines afrikanisch<strong>en</strong> Staates zu bekomm<strong>en</strong>.<br />

Inwieweit hat Deutschland eine Verantwortung<br />

geg<strong>en</strong>über Afrika?<br />

sr: Zunächst einmal gibt es so etwas wie<br />

eine allgemeine Verantwortung geg<strong>en</strong>über<br />

all<strong>en</strong> M<strong>en</strong>sch<strong>en</strong>, d<strong>en</strong><strong>en</strong> wirtschaftliche bzw.<br />

politische Partizipationsrechte g<strong>en</strong>omm<strong>en</strong><br />

sind, auch in Afrika. Solidarität darf nicht<br />

an d<strong>en</strong> Gr<strong>en</strong>z<strong>en</strong> Europas aufhör<strong>en</strong>. Darüber<br />

hinaus hat Deutschland auch eine<br />

historische Verantwortung, die aus der eig<strong>en</strong><strong>en</strong><br />

Kolonialgeschichte herrührt.<br />

tw: Deutschlands Elit<strong>en</strong> sollt<strong>en</strong> die am<br />

w<strong>en</strong>igst<strong>en</strong> Privilegiert<strong>en</strong> im Blick hab<strong>en</strong><br />

und vor allem die Bildungselit<strong>en</strong> in d<strong>en</strong><br />

afrikanisch<strong>en</strong> Ländern stärk<strong>en</strong> und die Bildung<br />

in d<strong>en</strong> Vordergrund stell<strong>en</strong>. Großartig<br />

finde ich, wie der Bundespräsid<strong>en</strong>t es<br />

geschafft hat, in w<strong>en</strong>ig<strong>en</strong> Monat<strong>en</strong> das Thema<br />

Afrika in die Öff<strong>en</strong>tlichkeit zu bring<strong>en</strong>.<br />

Jeffrey Sachs veröff<strong>en</strong>tlichte Ende 2004 eine<br />

Studie, in der er betonte, Deutschland investiere<br />

viel zu w<strong>en</strong>ig in Entwicklungspolitik und sei<br />

zu sehr mit der Inn<strong>en</strong>politik beschäftigt.<br />

Deutschland muss mehr Entwicklungshilfe leist<strong>en</strong><br />

und sich intellektuell stärker <strong>en</strong>gagier<strong>en</strong>,<br />

schrieb Sachs. Wie steh<strong>en</strong> Sie zu dieser Aussage?<br />

tw: Prinzipiell finde ich Sachs Diagnose<br />

richtig, und ich unterstütze seine Forderung,<br />

Deutschland müsse mehr Ressourc<strong>en</strong><br />

<strong>zur</strong> Verfügung stell<strong>en</strong>. Was wir aber brauch<strong>en</strong>,<br />

ist eine Einbettung dieser Forderung<br />

in ein<strong>en</strong> gesellschaftlich<strong>en</strong> Diskurs, der die<br />

Frage behandelt: welche Einbuß<strong>en</strong> sind wir<br />

bereit, zu Gunst<strong>en</strong> anderer hinzunehm<strong>en</strong>?<br />

Einfach nur fordern, kann ich immer. Es ist<br />

aber wichtig zu verdeutlich<strong>en</strong>, dass damit<br />

auch die Bereitschaft einhergeh<strong>en</strong> muss,<br />

Konsequ<strong>en</strong>z<strong>en</strong> zu trag<strong>en</strong>. Sonst bleib<strong>en</strong> solche<br />

Forderung<strong>en</strong> auf der Eb<strong>en</strong>e der Sonntagsrede.<br />

sr: Es ist ein Skandal, dass Deutschland seit<br />

Jahrzehnt<strong>en</strong> das Ziel verfehlt, 0,7% des BSP<br />

in Entwicklungshilfe zu investier<strong>en</strong>. Dies ist<br />

auch als Versag<strong>en</strong> der politisch<strong>en</strong> Elit<strong>en</strong> in<br />

Deutschland zu wert<strong>en</strong>. Unsere Akademie<br />

in Münster hat aber auch gezeigt, dass wir<br />

Afrika viel zu sehr durch die <strong>en</strong>twicklungspolitische<br />

Brille betracht<strong>en</strong>. Wirtschaftliche<br />

und sicherheitspolitische Aspekte, vor allem<br />

aber der auß<strong>en</strong>politische Dialog auf gleicher<br />

Aug<strong>en</strong>höhe sind mindest<strong>en</strong>s eb<strong>en</strong>so<br />

wichtig.<br />

1 Herero-Aufstand, 1904 bis 1907. Die Erhebung<br />

des afrikanisch<strong>en</strong> Bantuvolkes der Herero geg<strong>en</strong><br />

die deutsche Kolonialmacht im heutig<strong>en</strong> Namibia.<br />

Nach einem vorübergeh<strong>en</strong>d<strong>en</strong> Rückzug deutscher<br />

Trupp<strong>en</strong> nutzt<strong>en</strong> die Herero unter ihrem Führer<br />

Samuel Maharero die Chance zu einem Aufstand.<br />

Um d<strong>en</strong> Aufstand zu be<strong>en</strong>d<strong>en</strong>, plädierte der Gouverneur<br />

der deutsch<strong>en</strong> Kolonie, Theodor Leutwein,<br />

für Verhandlung<strong>en</strong> mit d<strong>en</strong> Herero. Doch<br />

der Kommandeur der deutsch<strong>en</strong> Schutztrupp<strong>en</strong>,<br />

Lothar von Trotha, <strong>en</strong>tschied sich für die militärische<br />

Lösung. Dabei kam<strong>en</strong> Taus<strong>en</strong>de Hereros um.<br />

Einige, darunter Maharero, konnt<strong>en</strong> sich in das<br />

heutige Botswana rett<strong>en</strong>.<br />

2 Der KAAD ist das Stip<strong>en</strong>di<strong>en</strong>werk der deutsch<strong>en</strong><br />

katholisch<strong>en</strong> Kirche für Postgraduierte und Wiss<strong>en</strong>schaftler<br />

aus (Entwicklungs-)Ländern Asi<strong>en</strong>s,<br />

Afrikas, Lateinamerikas, des Nah<strong>en</strong> und Mittler<strong>en</strong><br />

Ost<strong>en</strong>s sowie Ost- und Südosteuropas. Von Bewerbern<br />

wird die Bereitschaft erwartet, die erworb<strong>en</strong><strong>en</strong><br />

K<strong>en</strong>ntnisse im Di<strong>en</strong>st der Gesellschaft und<br />

Kirche ihres Heimatlandes einzusetz<strong>en</strong>. In Afrika<br />

kooperiert der KAAD mit vier regional<strong>en</strong> Partnergremi<strong>en</strong><br />

für die Schwerpunktländer Äthiopi<strong>en</strong>,<br />

Ghana, K<strong>en</strong>ia und Simbabwe. Sie sind auch für<br />

die Anrainerstaat<strong>en</strong> dieser Länder am Horn von<br />

Afrika sowie im westlich<strong>en</strong>, östlich<strong>en</strong> und südlich<strong>en</strong><br />

Afrika zuständig. Darüber hinaus gibt es<br />

lokale Partnergremi<strong>en</strong> in Kamerun, Nigeria und<br />

Uganda.<br />

Das Interview zum Stell<strong>en</strong>wert von „Afrika im<br />

<strong>Cusanuswerk</strong>“ führte Josephine Landertinger,<br />

Teilnehmerin der Frühjahrsakademie „Nkosi<br />

Sikelel’i – Afrika. Der vergess<strong>en</strong>e Kontin<strong>en</strong>t“ im<br />

Februar 2005. Es erschi<strong>en</strong> im Stip<strong>en</strong>diat<strong>en</strong>magazin<br />

CusanerCorrespond<strong>en</strong>z 01-05, Seite 20-22.


Ausschreibungstext <strong>zur</strong> <strong>Auslandsakademie</strong><br />

Im Jahr 2006 begeht die Bischöfliche Studi<strong>en</strong>förderung ihr 50jähriges<br />

Besteh<strong>en</strong>. Dies ist Anlass nicht nur <strong>zur</strong> Rückschau auf die<br />

geleistete Förderarbeit, sondern auch Herausforderung <strong>zur</strong> Selbstvergewisserung.<br />

Der Blick auf die Tradition<strong>en</strong> und die Erfahrung<strong>en</strong><br />

aus fünf Jahrzehnt<strong>en</strong> cusanischer Förderarbeit wird mit Perspektiv<strong>en</strong><br />

der Bildungsarbeit der Zukunft verknüpft werd<strong>en</strong>. Zum<br />

Auftakt des Jubiläumsjahres soll daher mit der <strong>Auslandsakademie</strong><br />

ein <strong>en</strong>twicklungspolitisches Thema zum Schwerpunkt gemacht werd<strong>en</strong>.<br />

Dadurch trägt das Programm eine deutliche Signatur, an welcher<br />

das spezifische Anlieg<strong>en</strong> der Förderung des <strong>Cusanuswerk</strong>s ablesbar<br />

wird, begabte Katholikinn<strong>en</strong> und Katholik<strong>en</strong> zu ermutig<strong>en</strong><br />

und zu befähig<strong>en</strong>, Verantwortung in der „Ein<strong>en</strong> Welt“ in solidarischer<br />

Partnerschaft zu übernehm<strong>en</strong>.<br />

Die Hinw<strong>en</strong>dung zum afrikanisch<strong>en</strong> Kontin<strong>en</strong>t ist dabei keineswegs<br />

zufällig. Vielmehr knüpft die Kamerun-Akademie an zwei vorangegang<strong>en</strong>e<br />

Veranstaltung<strong>en</strong> an: Mit dem „Exposure and Dialogue“-<br />

Projekt, das im Jahre 1997 gemeinsam mit der Uganda Kolping<br />

Society in Hoima/Uganda durchgeführt wurde, rückte Afrika als<br />

Partner der Entwicklungszusamm<strong>en</strong>arbeit in d<strong>en</strong> Mittelpunkt cusanischer<br />

Aufmerksamkeit. Im Frühjahr 2005 wurde „der vergess<strong>en</strong>e<br />

Kontin<strong>en</strong>t“ mit einer „<strong>Auslandsakademie</strong> im Inland“ unter dem<br />

Titel „Nkosi Sikelel’i Afrika“ aus der europäisch<strong>en</strong> Perspektive<br />

erschloss<strong>en</strong>. Zwei Jahre nach der konzertiert<strong>en</strong> Aktion „Gemeinsam<br />

für Afrika“, in der erstmals 23 <strong>en</strong>twicklungspolitische und Nothilfe-Organisation<strong>en</strong><br />

unter der Schirmherrschaft des Bundespräsid<strong>en</strong>t<strong>en</strong><br />

zusamm<strong>en</strong>gearbeitet hab<strong>en</strong>, leistet das <strong>Cusanuswerk</strong> mit<br />

der <strong>Auslandsakademie</strong> 2006 ein<strong>en</strong> weiter<strong>en</strong> Beitrag, die zyklische<br />

Wiederkehr der Aufmerksamkeit für und des Vergess<strong>en</strong>s von Afrika<br />

zu durchbrech<strong>en</strong> und eine kontinuierliche Hinw<strong>en</strong>dung zu d<strong>en</strong><br />

dräng<strong>en</strong>d<strong>en</strong> Problem<strong>en</strong> des ganz<strong>en</strong> Kontin<strong>en</strong>ts zu ermöglich<strong>en</strong>.<br />

Thema <strong>Afrique</strong> <strong>en</strong> miniature. Begegnung<strong>en</strong> in Kamerun<br />

Orte Douala – Bafoussam –Yaoundé<br />

Zeit 19. Februar bis 3. März 2006<br />

Geistliche Begleitung Dr. Elisabeth Schieffer<br />

Leitung Dr. Stefan Raueiser und Dr. Thorst<strong>en</strong> Wilhelmy<br />

Für mich <strong>en</strong>tscheidet sich die M<strong>en</strong>schlichkeit unserer Welt am Schicksal<br />

Afrikas. Ist es nicht eine Frage der Selbstachtung Europas, sich mit Blick<br />

auf unsere eig<strong>en</strong><strong>en</strong> Fundam<strong>en</strong>te, unsere Werte und Geschichte in Afrika<br />

ehrlich und großzügig zu <strong>en</strong>gagier<strong>en</strong>?<br />

Horst Koehler, 1. Juli 2004<br />

Mit der Aussage des Bundespräsid<strong>en</strong>t<strong>en</strong> ist ein hoher moralischer<br />

Anspruch verknüpft, der nur dann eingelöst werd<strong>en</strong> kann, w<strong>en</strong>n<br />

die M<strong>en</strong>schlichkeit sich nicht in einer lediglich anonym<strong>en</strong>, womöglich<br />

einseitig finanziell<strong>en</strong> Großzügigkeit erweist. W<strong>en</strong>n Afrika zum<br />

Lackmustest von M<strong>en</strong>schlichkeit überhaupt gemacht werd<strong>en</strong> soll,<br />

so muss das Interesse an d<strong>en</strong> M<strong>en</strong>sch<strong>en</strong> im Vordergrund steh<strong>en</strong>,<br />

d<strong>en</strong><strong>en</strong> zu begegn<strong>en</strong> vorrangiges Ziel der <strong>Auslandsakademie</strong> ist.<br />

159


160<br />

In vielerlei Hinsicht ist Kamerun von j<strong>en</strong><strong>en</strong> Problem<strong>en</strong> und Fragestellung<strong>en</strong><br />

betroff<strong>en</strong>, welche in Afrika insgesamt virul<strong>en</strong>t sind. In<br />

Kamerun leb<strong>en</strong> etwa zweihundert ethnische Grupp<strong>en</strong> mit eig<strong>en</strong><strong>en</strong><br />

Sprach<strong>en</strong>, Tradition<strong>en</strong> und Ritual<strong>en</strong>. Die koloniale Vergang<strong>en</strong>heit,<br />

in der Deutschland, Frankreich und Großbritanni<strong>en</strong> eb<strong>en</strong>so promin<strong>en</strong>te<br />

wie unrühmliche Roll<strong>en</strong> spielt<strong>en</strong>, wirkt bis heute nach, so in<br />

zum Teil divergier<strong>en</strong>d<strong>en</strong> Interess<strong>en</strong> der anglophon<strong>en</strong> und frankophon<strong>en</strong><br />

Landesteile. Nach der schrittweise erlangt<strong>en</strong> Unabhängigkeit<br />

in d<strong>en</strong> 60er Jahr<strong>en</strong> des 20. Jahrhunderts rang die junge Republik<br />

um inn<strong>en</strong>politische Stabilität. Wirtschaftlich aufstreb<strong>en</strong>d auch<br />

durch Entschuldungsmaßnahm<strong>en</strong> und die Wachstumsförderung<br />

durch Weltbank und IWF, ist das Land derzeit mitt<strong>en</strong> in einem<br />

Strukturwandel begriff<strong>en</strong>, in dem insbesondere die Bildungsfrage<br />

ins Z<strong>en</strong>trum rückt. Eine rasant steig<strong>en</strong>de Rate von HIV-Infektion<strong>en</strong><br />

(zwölf Proz<strong>en</strong>t der erwachs<strong>en</strong><strong>en</strong> Bevölkerung) überschattet allerdings<br />

die positiv<strong>en</strong> Tr<strong>en</strong>ds und weist hin auf die Herausforderung<strong>en</strong>,<br />

vor d<strong>en</strong><strong>en</strong> Kamerun eb<strong>en</strong>so wie zahlreiche andere Länder<br />

Afrikas steht.<br />

Der von d<strong>en</strong> kamerunsch<strong>en</strong> Tourismusbehörd<strong>en</strong> erfund<strong>en</strong>e Slogan<br />

„<strong>Afrique</strong> <strong>en</strong> miniature“, welcher sich zunächst auf die landschaftliche<br />

Vielfalt bezieht, kann der Akademie so durchaus als Motto di<strong>en</strong><strong>en</strong>.<br />

Sie verfolgt das Ziel, möglichst viele Aspekte und Problemfelder<br />

der geg<strong>en</strong>wärtig<strong>en</strong> Situation erfahrbar zu mach<strong>en</strong>, nicht mit<br />

dem Bestreb<strong>en</strong>, ein erschöpf<strong>en</strong>des Bild eines als repräs<strong>en</strong>tativ<br />

gedacht<strong>en</strong> afrikanisch<strong>en</strong> Landes zu <strong>en</strong>twerf<strong>en</strong>, sondern um s<strong>en</strong>sibel<br />

zu mach<strong>en</strong> für die Besonderheit<strong>en</strong> der Leb<strong>en</strong>swirklichkeit<strong>en</strong><br />

j<strong>en</strong>er M<strong>en</strong>sch<strong>en</strong>, mit d<strong>en</strong><strong>en</strong> vor Ort Begegnung stattfindet. Nicht<br />

der Ausschnitt soll als Ganzes präs<strong>en</strong>tiert, sondern das Ganze in<br />

Ausschnitt<strong>en</strong> erahnbar werd<strong>en</strong>.<br />

Ein<strong>en</strong> Schwerpunkt wird der Blick auf die Tätigkeit von Organisation<strong>en</strong><br />

der Entwicklungszusamm<strong>en</strong>arbeit bild<strong>en</strong>. Standort der Akademie<br />

ist daher das im West<strong>en</strong> Kameruns geleg<strong>en</strong>e Bamiléké-Land,<br />

wo im „C<strong>en</strong>tre Polyval<strong>en</strong>t de Formation“ von der Église évangelique<br />

de Cameroun eine Fort- und Ausbildungsstätte betrieb<strong>en</strong> wird.<br />

Kürzere Reis<strong>en</strong> zu ander<strong>en</strong> Region<strong>en</strong> soll<strong>en</strong> im Rahm<strong>en</strong> der Akademie<br />

darüber hinaus die Begegnung mit politisch Verantwortlich<strong>en</strong><br />

möglich mach<strong>en</strong> und die Arbeit von Wiss<strong>en</strong>schafts- und Kultureinrichtung<strong>en</strong><br />

vorstell<strong>en</strong>. Zudem wird nach der Rolle der Kirch<strong>en</strong><br />

in einem Land gefragt, dess<strong>en</strong> Bevölkerung zu 25 % aus<br />

Katholik<strong>en</strong>, 25 % Protestant<strong>en</strong>, 20 % Moslems sowie zu fast 30 %<br />

aus Anhängern traditioneller Religion<strong>en</strong> besteht.<br />

Zu dieser vierzehntägig<strong>en</strong> Studi<strong>en</strong>reise eingelad<strong>en</strong> sind vorrangig<br />

diej<strong>en</strong>ig<strong>en</strong> studier<strong>en</strong>d<strong>en</strong> wie promovier<strong>en</strong>d<strong>en</strong> Stip<strong>en</strong>diatinn<strong>en</strong> und<br />

Stip<strong>en</strong>diat<strong>en</strong>, d<strong>en</strong><strong>en</strong> sich mit dieser Akademie voraussichtlich zum<br />

letzt<strong>en</strong> Mal die Geleg<strong>en</strong>heit bietet, an einer Auslandsveranstaltung<br />

des <strong>Cusanuswerk</strong>s teilzunehm<strong>en</strong>. Zur inhaltlich<strong>en</strong> Vorbereitung<br />

wird bei all<strong>en</strong> Teilnehmerinn<strong>en</strong> und Teilnehmern die Bereitschaft<br />

vorausgesetzt, vor Reisebeginn ein<strong>en</strong> auf das Akademieprogramm<br />

abgestimmt<strong>en</strong> Essay für ein gemeinsames <strong>Textbuch</strong> zu verfass<strong>en</strong>.<br />

Die für eine Trop<strong>en</strong>reise notw<strong>en</strong>dig<strong>en</strong> medizinisch<strong>en</strong> Vorkehrung<strong>en</strong><br />

zu treff<strong>en</strong>, liegt selbstverständlich im Interesse und in der Verantwortung<br />

der Teilnehmerinn<strong>en</strong> und Teilnehmer.


PROGRAMM<br />

Vorbereitungswoch<strong>en</strong><strong>en</strong>de<br />

Freitag, 6. Januar 2006<br />

18.30 Uhr Ab<strong>en</strong>dess<strong>en</strong><br />

19.30 Uhr Aktuelle Herausforderung<strong>en</strong> in Kamerun:<br />

politische und strukturelle Perspektiv<strong>en</strong><br />

DIPL. ING. GUDRUN RIEDEL<br />

ehemalige Entwicklungshelferin, Gallmersgart<strong>en</strong><br />

21.15 Uhr Diskussion bei Bier und Wein<br />

Samstag, 7. Januar 2006<br />

08.00 Uhr Frühstücksbuffet<br />

09.00 Uhr Dez<strong>en</strong>tralisierung als Aufgabe der<br />

Entwicklungszusamm<strong>en</strong>arbeit<br />

PD DR. KATJA WERTHMANN<br />

Ethnologin, Universität Mainz<br />

10.30 Uhr Kaffee / Tee<br />

11.00 Uhr Dez<strong>en</strong>tralisierung als Aufgabe der<br />

Entwicklungszusamm<strong>en</strong>arbeit<br />

(Fortsetzung)<br />

12.30 Uhr Mittagess<strong>en</strong><br />

14.00 Uhr Traditionale Gesellschaft<strong>en</strong> und ihr Selbstverständnis –<br />

das Beispiel Kamerun<br />

DR. UTE RÖSCHENTHALER<br />

Ethnologin, Universität Frankfurt<br />

15.30 Uhr Kaffee / Tee / Kuch<strong>en</strong><br />

16.00 Uhr Traditionale Gesellschaft<strong>en</strong> und ihr Selbstverständnis –<br />

das Beispiel Kamerun<br />

(Fortsetzung)<br />

17.30 Uhr Pause<br />

17.45 Uhr Traditionale Gesellschaft<strong>en</strong> und ihr Selbstverständnis –<br />

das Beispiel Kamerun<br />

(Fortsetzung)<br />

18.30 Uhr Ab<strong>en</strong>dess<strong>en</strong><br />

Sonntag, 8. Januar 2006<br />

08.00 Uhr Frühstücksbuffet<br />

09.00 Uhr Bilder im Kopf - Kontext ihrer Entstehung<br />

und Möglichkeit<strong>en</strong> ihrer Überwindung<br />

am Beispiel Kamerun und Deutschland<br />

DR. ALBERT GOUAFFO<br />

Universität des Saarlandes<br />

10.30 Uhr Kaffee / Tee<br />

11.00 Uhr Zusamm<strong>en</strong>fassung und Tagungsreflexion<br />

12.30 Uhr Mittagess<strong>en</strong><br />

13.30 Uhr Ende der Tagung<br />

161


PROGRAMM<br />

Akademie Sonntag, 19. Februar 2006<br />

individuelle Anreise nach Paris/Charles de Gaulle<br />

162<br />

10.30 Uhr mit AF 946 Y nach Douala<br />

17.10 Uhr an Douala<br />

Begrüßung der Gruppe durch Stefan Rostock und Erika Tchachouang<br />

Bustransfer in die Unterkunft<br />

20.00 Uhr Ab<strong>en</strong>dess<strong>en</strong> zum Auftakt<br />

Foyer des Marins (Deutsches Seemannsheim)<br />

Montag, 20. Februar 2006 Kirche und Gesellschaft<br />

09.00 Uhr Le rôle et les responsabilités de l’Eglise<br />

vis-à-vis les problèmes au Sud<br />

R<strong>en</strong>contre avec Son Emin<strong>en</strong>ce, Cardinal Christian Tumi, l`Eveque de Douala<br />

Fahrt nach Bafoussam<br />

Di<strong>en</strong>stag, 21. Februar 2006 Leb<strong>en</strong> in Afrika<br />

08.30 Uhr Mots de bi<strong>en</strong>v<strong>en</strong>ue<br />

Jean Nkom, Direktor des C<strong>en</strong>tre Polyval<strong>en</strong>t de Fomation de Mbouo<br />

Dr. Sylvia M. Schmitt, Kooperationspartnerin<br />

09.00 Uhr Tour de la ville de Bandjoun et de Bafoussam<br />

et visite des marchés avec une liste des courses à faire<br />

14.30 Uhr Vie et société au Cameroun<br />

Dr. Michel Foal<strong>en</strong>g, IPSOM<br />

19.30 Uhr Les instrum<strong>en</strong>ts de musique traditionels et leur histoire<br />

Maître Emmanuel, Instituteur de l’École de Référ<strong>en</strong>ce de Mbouo<br />

Mittwoch, 22. Februar 2006 Begegnung I<br />

09.00 Uhr Travail <strong>en</strong> groupes avec des étudiants Camerounais<br />

Dr. Michel Foal<strong>en</strong>g, IPSOM<br />

19.30 Uhr Les méthodes de s<strong>en</strong>sibilisation contre le VIH-Sida<br />

Discussion-débat avec le responsable du c<strong>en</strong>tre d’écoute Collibri de Bafoussam,<br />

Jean-Jules Kamgué


Donnerstag, 23. Februar 2006 Gesellschaft und Entwicklung<br />

08.30 Uhr Qu’est-ce que veut dire „société“ et „développem<strong>en</strong>t“?<br />

Table ronde avec des représ<strong>en</strong>tants Camerounais<br />

Hon. Dr. Neba Aaron Suh (Member of Parliam<strong>en</strong>t, Mezam Division)<br />

Christine Andela (NGO-représ<strong>en</strong>tante COSADER et FOSCAM)<br />

Prof. Dr. Mokuko (IPSOM)<br />

N.N. (Jug<strong>en</strong>dvertreter)<br />

Moderation: Prof. Dr. David Simo<br />

(Université de Yaoundé I, Faculté des Arts, Lettres et Sci<strong>en</strong>ces Humaines)<br />

15.00 Uhr Bildung und Elite<br />

Discussion-débat avec Prof. Dr. Fabi<strong>en</strong> Eboussi Boulaga,<br />

Université Catholique de Yaoundé<br />

Freitag, 24 Februar 2006 Tradition und Moderne I<br />

09.30 Uhr Récit de l’histoire des Bamoun<br />

Nji F<strong>en</strong>k<strong>en</strong>dap Jonas,<br />

Responsable de la tradition Bamoun à Nkounga-Foumban<br />

13.00 Uhr Palais du Sultan<br />

16.00 Uhr Discussion-débats avec des jeunes Musulmans<br />

Samstag, 25. Februar 2006 Tradition und Moderne II<br />

09.00 Uhr Visite guidée de la Chefferie de Bandjoun<br />

15.00 Uhr Tradition und Moderne - Leb<strong>en</strong> in zwei Welt<strong>en</strong>?<br />

Chief Charles Marfow, Chef de Bella-Fontem<br />

19.30 Uhr Mission et l’histoire des églises au Cameroun<br />

Pasteur Dr. Pascal Fossouo, Institut de Théologie de Ndoungé<br />

Sonntag, 26. Februar 2006<br />

09.00 Uhr Paroisse Christ Roi de Mbouo<br />

Teilnahme am Sonntagsgottesdi<strong>en</strong>st<br />

<strong>zur</strong> frei<strong>en</strong> Verfügung<br />

19:30 Zwisch<strong>en</strong>reflexion<br />

163


164<br />

Montag, 27. Februar 2006 Alltagsbegleitung I<br />

Stage: les participants accompagn<strong>en</strong>t<br />

des g<strong>en</strong>s dans leurs affaires quotidi<strong>en</strong>s<br />

Di<strong>en</strong>stag, 28. Februar 2006: Alltagsbegleitung II<br />

Stage: les participants accompagn<strong>en</strong>t<br />

des g<strong>en</strong>s dans leurs affaires quotidi<strong>en</strong>s<br />

19.30 Uhr Evaluation der Alltagserfahrung<strong>en</strong><br />

Mittwoch, 1. März 2006 Deutschland und Kamerun<br />

08.00 Uhr Abreise nach Yaoundé<br />

15.00 Uhr Wie gelingt Europäisch-Afrikanische Zusamm<strong>en</strong>arbeit?<br />

Volker Seitz, Botschafter der Bundesrepublik Deutschland<br />

19.00 Uhr Empfang in der Resid<strong>en</strong>z des Botschafters<br />

Donnerstag, 2. März 2006 Begegnung II<br />

09.00 Uhr Begegnung mit Studier<strong>en</strong>d<strong>en</strong> der Germanistik auf dem Campus der<br />

Universität Yaoundé I<br />

Organisation: Bert Bugdahl, DAAD-Lektor Yaoundé<br />

14.00 Uhr Abschlussreflexion: <strong>Afrique</strong> <strong>en</strong> miniature. Begegnung<strong>en</strong> in Kamerun<br />

16.00 Uhr Ausklang<br />

Hotel Mont Fébé, Pool<br />

19.00 Uhr Check-in am Flughaf<strong>en</strong> Yaoundé-Nsimal<strong>en</strong><br />

21.25 Uhr Abflug mit AF 941 Y nach Paris<br />

Freitag, 3. März 2006<br />

06.25 Uhr Ankunft in Paris/Charles de Gaulle<br />

anschl. individuelle Heimreise der Teilnehmerinn<strong>en</strong> und Teilnehmer


Alltagsbegleitung<strong>en</strong><br />

Was mit Wem Wo<br />

Bierzwisch<strong>en</strong>händler Chief Charles Dschang<br />

ADEID Stefan Rostock Bafoussam<br />

Industrielle Ingwerproduktion<br />

einer Frau<strong>en</strong>gruppe<br />

(UN finanziertes Pilotprojekt)<br />

Bohn<strong>en</strong>anbau und Verarbeitung, (Produktion<br />

für Bonduelle)<br />

Victorine Biapo Bafoussam<br />

Thomas Nuytt<strong>en</strong>, Agrar Ing. Bandjoun<br />

Aidsberatungsz<strong>en</strong>trum Collibri Jean-Jules Kamgué Bafoussam<br />

Krank<strong>en</strong>hausarbeit eines<br />

Allgemeinarztes,<br />

Sued-Sued-Kooperation<br />

Seelsorge im Krank<strong>en</strong>haus<br />

u.a. Aidskrank<strong>en</strong>betreuung<br />

Schulprojekt Ecole de Référ<strong>en</strong>ce Directeur Talla<br />

et instituteurs<br />

Dr. Josepha Hopital de Mbouo<br />

Pasteur Abestine K<strong>en</strong>mogne Hopital de Mbouo<br />

Mbouo<br />

Lehrerausbildung IPSOM Dr. Foal<strong>en</strong>g Mbouo<br />

Kiosk Mme Brigitte Bafoussam<br />

Französische kath. Mission,<br />

Straß<strong>en</strong>kinderschule<br />

und Krank<strong>en</strong>station<br />

Christine Bafoussam<br />

Straß<strong>en</strong>verkauf Mme Joel Bafoussam<br />

Begleitung einer<br />

Bamiléké-Geschaeftsfrau<br />

Mme Mbo Bafoussam<br />

DED Bam<strong>en</strong>da Büro Bam<strong>en</strong>da Bam<strong>en</strong>da<br />

Werkstatt fuer Baumaterial Dieudonné Tambe Bafoussam<br />

Aug<strong>en</strong>klinik ACHA Dr. Gilles Kagmini Bafoussam<br />

Marktverkauf, Frau<strong>en</strong>kooperativ<strong>en</strong> CFD, Francine Bafoussam<br />

CIPCRE angefragt Bafoussam<br />

Kath. Pfarrei Galim angefragt Galim<br />

RESAFAD - Les Amazones angefragt Dschang<br />

PMUC (frz. Pferdelotto) angefragt Bafoussam<br />

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166<br />

Praktische Hinweise<br />

19. / 20. Februar 2006<br />

Baptist Guesthouse Douala<br />

B.P. 89 Douala /Cameroun<br />

Tel/Fax: 00237/342 75 23<br />

Email: office@ebm-cameroon.org<br />

La Procure Générale<br />

des Missions Catholiques<br />

B.P. 5280 Douala / Cameroun<br />

Tel: 00237/422 797<br />

Fax: 00237/427 337<br />

20. Februar bis 1. März 2006<br />

C<strong>en</strong>tre Polyval<strong>en</strong>t de Formation de Mbouo<br />

B.P. 755 Bafoussam / Cameroun<br />

1. / 2. März 2006<br />

CASBA des Spiritains<br />

B.P. 168 Yaoundé /Cameroun<br />

Tel: 00237/ 221 30 13<br />

00237/ 925 77 16<br />

Reiseorganisation<br />

Kooperationspartner<br />

Dr. Sylvia M. Schmitt und Stefan Rostock<br />

C<strong>en</strong>tre Polyval<strong>en</strong>t de Formation de Mbouo (CPF)<br />

B.P. 755 Bafoussam / Cameroun<br />

Email: stefan_rostock@gmx.net<br />

sylvia_schmitt@gmx.net<br />

Geistliche Begleitung<br />

Dr. Elisabeth Schieffer<br />

elisabeth.schieffer@cusanuswerk.de<br />

Leitung<br />

Dr. Stefan Raueiser<br />

stefan.raueiser@cusanuswerk.de<br />

Dr. Thorst<strong>en</strong> Wilhelmy<br />

thorst<strong>en</strong>.wilhelmy@cusanuswerk.de<br />

Programm<br />

<strong>Cusanuswerk</strong><br />

Bischöfliche Studi<strong>en</strong>förderung e.V.<br />

Baumschulallee 5<br />

D-53115 Bonn<br />

Tel ++49/(0)228/9 83 84-0<br />

Fax++49/(0)228/9 83 84-99<br />

http://www.cusanuswerk.de<br />

Stand: 14. Dezember 2005<br />

Änderung<strong>en</strong> vorbehalt<strong>en</strong>


Quelle: U.S. C<strong>en</strong>tral Intellig<strong>en</strong>ce Ag<strong>en</strong>cy<br />

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