Textbuch zur Auslandsakademie Afrique en ... - Cusanuswerk
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beteiligt<strong>en</strong> sich auch nach 1918 an der<br />
Erschließung Afrikas, und eines der<br />
bekanntest<strong>en</strong> technisch<strong>en</strong> Großprojekte<br />
stammte von dem Münchner Architekt<strong>en</strong><br />
Hermann Sörgel. Dieser schlug angesichts<br />
der Konkurr<strong>en</strong>z der weltwirtschaftlich<strong>en</strong><br />
Großräume Asi<strong>en</strong> und Amerika vor, Afrika<br />
und Europa durch ein<strong>en</strong> Staudamm an der<br />
Straße von Gibraltar zu verbind<strong>en</strong> und<br />
durch teilweise Trock<strong>en</strong>legung des Mittelmeers<br />
und Bewässerung der Sahara zu<br />
einem Kontin<strong>en</strong>t nam<strong>en</strong>s „Atlantropa“<br />
zusamm<strong>en</strong>zufüg<strong>en</strong>. Über zwanzig Jahre<br />
lang wurde sein Vorschlag immer wieder<br />
ernsthaft diskutiert und erst nach Sörgels<br />
Tod 1952 zu d<strong>en</strong> Akt<strong>en</strong> gelegt. Diese technokratisch<strong>en</strong><br />
Erschließungs- und Entwicklungsideologi<strong>en</strong><br />
wie auch die Überzeugung<br />
von Afrika als gemeinsamer europäischer<br />
Aufgabe prägt<strong>en</strong> noch die Anfänge der offiziell<strong>en</strong><br />
Entwicklungshilfe nach dem Zweit<strong>en</strong><br />
Weltkrieg.<br />
Afrika als Ursprung und Vergang<strong>en</strong>heit<br />
Die meist<strong>en</strong> der eb<strong>en</strong> geschildert<strong>en</strong> Hoffnung<strong>en</strong><br />
und Wünsche war<strong>en</strong> Verheißung<strong>en</strong><br />
für die Zukunft und Projektion<strong>en</strong> einer<br />
nachhol<strong>en</strong>d<strong>en</strong> Entwicklung Afrikas. Gleichzeitig<br />
verlegt<strong>en</strong> europäische Beobachter<br />
d<strong>en</strong> Kontin<strong>en</strong>t in die Vergang<strong>en</strong>heit. Die<br />
Reise nach Afrika geriet <strong>zur</strong> real<strong>en</strong> oder<br />
imaginär<strong>en</strong> Zeitreise, ob auf dem Schiff<br />
oder in Völkerschau oder Völkerkundemuseum.<br />
Räumliche Distanz wurde in zeitliche<br />
Distanz übersetzt. Halbnackte „Kinder der<br />
Natur“ und eine aus der „Tertiärzeit“ übrig<br />
geblieb<strong>en</strong>e Tierwelt erweckt<strong>en</strong> bei europäisch<strong>en</strong><br />
Afrikareis<strong>en</strong>d<strong>en</strong> d<strong>en</strong> Eindruck, in ein<br />
geschichtslos-vorzivilisatorisches Stadium<br />
m<strong>en</strong>schlicher und tierischer Evolution versetzt<br />
word<strong>en</strong> zu sein. Bereits um 1900 war<br />
in Ostafrika der Blick in diese Vergang<strong>en</strong>heit<br />
bequem vom Zugf<strong>en</strong>ster aus möglich,<br />
und die Fahrt mit der Ugandabahn von<br />
Mombasa bis Nairobi im heutig<strong>en</strong> K<strong>en</strong>ia<br />
präs<strong>en</strong>tierte Afrika d<strong>en</strong> europäisch<strong>en</strong> Reis<strong>en</strong>d<strong>en</strong><br />
als d<strong>en</strong> größt<strong>en</strong> natürlich<strong>en</strong> Zoo der<br />
Welt: „Nowhere else in the world was it possible<br />
to look out upon such vast masses of<br />
wild beasts of infinite variety, as if travelling<br />
through a colossal Noah’s Ark. It was truly<br />
named ‘Nature’s Zoo’”, schrieb beispielsweise<br />
der amerikanische Journalist W. Robert<br />
Foran, der 1909 d<strong>en</strong> ehemalig<strong>en</strong> US-Präsid<strong>en</strong>t<strong>en</strong><br />
Roosevelt auf einer Jagdreise durch<br />
Britisch-Ostafrika begleitete. Der deutsche<br />
Jagd- und Forschungsreis<strong>en</strong>de Carl Georg<br />
Schillings glaubte sich in d<strong>en</strong> Wildstepp<strong>en</strong><br />
Ostafrikas mit einem vorweltlich<strong>en</strong> Tierpa-<br />
radies konfrontiert, das in dieser Form vor<br />
Jahrhundert<strong>en</strong> auch in Europa geherrscht<br />
habe, bevor es der Zivilisation habe weich<strong>en</strong><br />
müss<strong>en</strong>. Ähnliche Töne find<strong>en</strong> sich fünfzig<br />
Jahre später bei Bernhard Grzimek. Bei<br />
Schillings wie Grzimek nahm die Zeitreise<br />
nach Afrika durchaus auch selbst- und zivilisationskritische<br />
Züge an. Die europäische<br />
Begeisterung für die paradiesische Tierwelt<br />
des Kontin<strong>en</strong>ts und die Sorge um ihre<br />
Erhaltung hieß seit d<strong>en</strong> 1920er Jahr<strong>en</strong> allerdings<br />
in erster Linie, M<strong>en</strong>sch und Tier zu<br />
tr<strong>en</strong>n<strong>en</strong> und ganze Dörfer zugunst<strong>en</strong> der<br />
organisiert<strong>en</strong> Wildnis in Nationalparks<br />
umzusiedeln. Bis heute perpetuier<strong>en</strong> Dokum<strong>en</strong>tarfilme,<br />
aber auch die Tourismusindustrie<br />
d<strong>en</strong> Mythos von Afrika als wildem<br />
Kontin<strong>en</strong>t der Tiere, in dem M<strong>en</strong>sch<strong>en</strong><br />
schwarzer Hautfarbe als Bedrohung, M<strong>en</strong>sch<strong>en</strong><br />
weißer Hautfarbe hingeg<strong>en</strong> als Expert<strong>en</strong><br />
und Beschützer der paradiesisch<strong>en</strong><br />
Wildnis auftret<strong>en</strong>.<br />
Der Sichtweise Afrikas als Ursprung und<br />
Vergang<strong>en</strong>heit Europas lag die Annahme<br />
zugrunde, daß sich Wildnis in Afrika nur<br />
deshalb habe erhalt<strong>en</strong> könn<strong>en</strong>, weil die dortige<br />
Bevölkerung sich nicht wie der weiße<br />
M<strong>en</strong>sch aus der Knechtschaft der Natur<br />
befreit und „zivilisiert“ habe, sondern in<br />
ihrer Abhängigkeit verblieb<strong>en</strong> sei. Wildnis<br />
<strong>en</strong>tsprach daher dem „Naturvolk“, währ<strong>en</strong>d<br />
„Kulturvölker“ ihre Umwelt beherrscht<strong>en</strong><br />
und ihr<strong>en</strong> Bedürfniss<strong>en</strong> gemäß form<strong>en</strong> und<br />
gestalt<strong>en</strong> würd<strong>en</strong>. Die Auffassung von<br />
„Naturvölkern“ stand ganz in der Hegelsch<strong>en</strong><br />
Tradition des noch völlig „im natürlich<strong>en</strong><br />
Geiste befang<strong>en</strong><strong>en</strong>“ geschichtslos<strong>en</strong><br />
Kontin<strong>en</strong>ts, die jegliche Veränderung und<br />
„Entwicklung“ Anstöss<strong>en</strong> und Einflüss<strong>en</strong><br />
von auß<strong>en</strong> zuschrieb. Die Dichotomie in<br />
Natur- und Kulturvölker, Stämme und<br />
Gesellschaft<strong>en</strong> schrieb sich tief in europäische<br />
Wiss<strong>en</strong>sordnung<strong>en</strong> ein. Als sich geg<strong>en</strong><br />
Ende des 19. Jahrhunderts die Wiss<strong>en</strong>schaftslandschaft<br />
ausdiffer<strong>en</strong>zierte, übernahm<br />
die Soziologie die Erforschung <strong>en</strong>twickelter<br />
Gesellschaft<strong>en</strong>. Für geschichtslose,<br />
in der Natur und vor der (westlich<strong>en</strong>) Kultur<strong>en</strong>twicklung<br />
angesiedelte Völker hingeg<strong>en</strong><br />
war die Ethnologie zuständig. Sie <strong>en</strong>twickelte<br />
eine fast zwanghafte T<strong>en</strong>d<strong>en</strong>z <strong>zur</strong><br />
Sammlung und Musealisierung von Objekt<strong>en</strong><br />
traditioneller „Stämme“, bevor der<strong>en</strong><br />
vermeintliche Auth<strong>en</strong>tizität durch d<strong>en</strong> kolonial<strong>en</strong><br />
Einbruch der Geschichte verdorb<strong>en</strong><br />
würde. Konkurr<strong>en</strong>z im Interesse für die<br />
„Naturvölker“ erhielt die Ethnologie dabei<br />
interessanterweise von der früh<strong>en</strong> international<strong>en</strong><br />
Naturschutzbewegung, die Anfang