FOTO Stefan Rostock 132 Tradition und Entwicklung in Afrika von CORDULA HAGEMANN it der Unabhängigkeit der afrikanisch<strong>en</strong> Staat<strong>en</strong> in der Mitte des letzt<strong>en</strong> Jahrhunderts verband<strong>en</strong> sich große Hoffnung<strong>en</strong>: nach d<strong>en</strong> Jahr<strong>en</strong> der Ausbeutung durft<strong>en</strong> nun <strong>en</strong>dlich auch die afrikanisch<strong>en</strong> Länder Industrialisierung und wirtschaftliches Wachstum erwart<strong>en</strong>. Man glaubte, innerhalb einiger Jahre d<strong>en</strong> Entwicklungstand und d<strong>en</strong> Wohlstand der westlich<strong>en</strong> Länder erreich<strong>en</strong> zu könn<strong>en</strong>. Doch der erhoffte wirtschaftliche Aufschwung und mit ihm eine Verbesserung
der Leb<strong>en</strong>sbedingung<strong>en</strong> blieb<strong>en</strong> bis heute aus. Fast alle afrikanisch<strong>en</strong> Staat<strong>en</strong> leid<strong>en</strong> unter massiv<strong>en</strong> wirtschaftlich<strong>en</strong> und sozial<strong>en</strong> Problem<strong>en</strong>. Die Gründe dafür sind vielfältig. Als ein Grund wurde im Rahm<strong>en</strong> der Modernisierungstheorie immer wieder die Tradition g<strong>en</strong>annt. Die Entwicklungsländer sind deshalb unter<strong>en</strong>twickelt, weil sie sich nicht aus d<strong>en</strong> „Fesseln der Tradition“ befrei<strong>en</strong> könn<strong>en</strong>, so lautet die modernisierungstheoretische Kernaussage (Nuscheler 2004, S. 208). Ob Tradition<strong>en</strong> tatsächlich als Erklärungsgrund für die ausbleib<strong>en</strong>de Entwicklung herangezog<strong>en</strong> werd<strong>en</strong> könn<strong>en</strong>, damit möchte sich dieser Beitrag kritisch auseinandersetz<strong>en</strong>. Die Modernisierungstheorie, die ihr<strong>en</strong> Ursprung in d<strong>en</strong> 50er Jahr<strong>en</strong> des letzt<strong>en</strong> Jahrhunderts hatte, sieht die Ursache für Unter<strong>en</strong>twicklung in der fehl<strong>en</strong>d<strong>en</strong> Modernisierung der Entwicklungsländer. Eine gesellschaftliche Modernisierung wird als Voraussetzung für jegliche wirtschaftliche Entwicklung geseh<strong>en</strong>. Unter Modernisierung wird dabei der Prozess der Transformation von traditional<strong>en</strong> gesellschaftlich<strong>en</strong> Institution<strong>en</strong> zu d<strong>en</strong>j<strong>en</strong>ig<strong>en</strong> einer modern<strong>en</strong> Gesellschaft verstand<strong>en</strong>, wie sie in d<strong>en</strong> westlich <strong>en</strong>twickelt<strong>en</strong> Ländern zu find<strong>en</strong> sind. Ausgeh<strong>en</strong>d von einer Analyse der westlich<strong>en</strong> Industrieländer zeig<strong>en</strong> Modernisierungstheoretiker die Strukturmerkmale einer modern<strong>en</strong> Gesellschaft auf und weis<strong>en</strong> auf die Rückständigkeit der Entwicklungsländer in Bezug auf diese Merkmale hin. Dahinter steckt die Annahme, es gäbe eine lineare Entwicklungslinie von der traditional<strong>en</strong> Gesellschaft hin <strong>zur</strong> modern<strong>en</strong>. Entwicklungsländer befind<strong>en</strong> sich demnach auf demselb<strong>en</strong> Entwicklungspfad wie die Industriestaat<strong>en</strong>, sie sind eb<strong>en</strong> einfach noch nicht soweit fortgeschritt<strong>en</strong> (Hein 1998, S. 214). So zeigt, wie Karl Marx in der Einleitung zum „Kapital“ schreibt „das industriell <strong>en</strong>twickeltere Land…dem minder <strong>en</strong>twickelt<strong>en</strong> nur das Bild der eig<strong>en</strong><strong>en</strong> Zukunft“ (zit. in Hein 1998, S. 198). Währ<strong>en</strong>d Marx vor allem an Produktionstechnik<strong>en</strong> d<strong>en</strong>kt, weist Max Weber („Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus“) auf die Rolle der Kultur hin. Eine <strong>en</strong>tscheid<strong>en</strong>de Bedeutung für die Entwicklung Europas, dem „okzid<strong>en</strong>tal<strong>en</strong> Rationalisierungsprozess“ kommt aus seiner Sicht d<strong>en</strong> Wert<strong>en</strong> und Verhalt<strong>en</strong>smodell<strong>en</strong> der Gesellschaft zu (zit. in Braun & Rösler 1992, S. 252). Dabei war es sicher nicht Webers Anlieg<strong>en</strong>, die Unter<strong>en</strong>twicklung in d<strong>en</strong> Entwicklungsländern, die sich zu seiner Zeit größ- t<strong>en</strong>teils noch in kolonialer Abhängigkeit befand<strong>en</strong>, zu erklär<strong>en</strong>. Vielmehr wollte er die Bedeutung der Kultur für die Entwicklung der europäisch<strong>en</strong> Länder aufzeig<strong>en</strong>. Erst als die nach der Unabhängigkeit der afrikanisch<strong>en</strong> Länder erwartete wirtschaftliche Entwicklung ausblieb und die vorhand<strong>en</strong><strong>en</strong> theoretisch<strong>en</strong> Konzepte dafür nur un<strong>zur</strong>eich<strong>en</strong>de Erklärung<strong>en</strong> liefern konnt<strong>en</strong>, griff man Weber wieder auf und begann zu diskutier<strong>en</strong>, ob es die traditionale Kultur sei, die ein<strong>en</strong> rasch<strong>en</strong> Entwicklungsprozess behindere. Modernisierungstheoretiker war<strong>en</strong> von der <strong>en</strong>twicklungshemm<strong>en</strong>de Wirkung der Tradition überzeugt und folglich galt<strong>en</strong> kulturell geprägte Werte, Verhalt<strong>en</strong>weis<strong>en</strong>, Arbeitsform<strong>en</strong> und Technik<strong>en</strong> als Bremssteine einer nachhol<strong>en</strong>d<strong>en</strong> ökonomisch<strong>en</strong> Entwicklung (Braun & Rösler 1992, S. 252f). In diesem Sinne mag auch die in viel<strong>en</strong> Ethni<strong>en</strong> Afrikas verbreitete „target economy“ (Bliss 2001, S. 78) als <strong>en</strong>twicklungshemm<strong>en</strong>d gelt<strong>en</strong>. Darunter versteht man, dass Arbeit einzig und allein der Bedürfnisbefriedigung di<strong>en</strong>t. Man arbeitet, um sich und seine Familie zu ernähr<strong>en</strong> und sich bestimmte Luxusgüter leist<strong>en</strong> zu könn<strong>en</strong>. Das schließt nicht aus, ein Minimum an Bargeld zu erwirtschaft<strong>en</strong>, was aber zweckgebund<strong>en</strong>, wie z.B. für d<strong>en</strong> Schulbesuch der Kinder, eingesetzt wird. Arbeit an sich erfährt jedoch keine Wertschätzung und das Maß der Arbeit ist dem<strong>en</strong>tsprech<strong>en</strong>d dosiert und zielori<strong>en</strong>tiert. Der „target worker“ arbeitet nicht, um Geld für zukünftige Investition<strong>en</strong> <strong>zur</strong> Seite zu leg<strong>en</strong> oder zu spar<strong>en</strong>. Wer das d<strong>en</strong>noch tut, muss sogar mit Sanktion<strong>en</strong> rechn<strong>en</strong>. Das kann sogar so weit geh<strong>en</strong>, dass alles, was nach Meinung der Mehrheit der Gesellschaft das übliche Maß des Erwerbs überschreitet, zerstört wird. W<strong>en</strong>n man bed<strong>en</strong>kt, dass Investition<strong>en</strong> als Grundstein einer wirtschaftlich<strong>en</strong> Entwicklung gelt<strong>en</strong>, mag auf diese Weise Entwicklung bewusst verhindert werd<strong>en</strong>. Bliss (2001, S. 78) weist allerdings daraufhin, dass ein solches Verhalt<strong>en</strong> in manch<strong>en</strong> Situation<strong>en</strong> sehr wohl angepasst sein kann, z.B. w<strong>en</strong>n auf diese Weise die Übernutzung von Ressourc<strong>en</strong> verhindert wird. Er kritisiert, dass die Modernisierungstheorie Kultur pauschal als <strong>en</strong>twicklungshemm<strong>en</strong>d betrachtet, ohne diese jedoch g<strong>en</strong>auer zu analysier<strong>en</strong> und ohne zu beschreib<strong>en</strong>, wie und wodurch kulturelle Faktor<strong>en</strong> Entwicklung hemm<strong>en</strong>. Dass traditionale Kultur nicht nur Entwicklungsbarriere sondern im Geg<strong>en</strong>teil 133
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