154 verschlingt. Der »neoliberal <strong>en</strong>tfesselte Kapitalismus« habe in Afrika eine Flut okkulter Praktik<strong>en</strong> ausgelöst, stellt der Kulturanthropologe Peter Probst fest. Die Obsession, der ewige Kolonialist sei auferstand<strong>en</strong>, um die Schwarz<strong>en</strong> <strong>en</strong>dgültig zu ruinier<strong>en</strong>, verfestigt ihre Opferm<strong>en</strong>talität. Das Wapp<strong>en</strong>tier der als kannibalistisch empfund<strong>en</strong><strong>en</strong> Beziehung zwisch<strong>en</strong> dem übermächtig<strong>en</strong> Nord<strong>en</strong> und dem schutzlos<strong>en</strong> Süd<strong>en</strong> ist der Geier. Er hockt auf d<strong>en</strong> Hütt<strong>en</strong>dächern und wühlt in d<strong>en</strong> Müllberg<strong>en</strong>, und nachts kommt er und hackt d<strong>en</strong> M<strong>en</strong>sch<strong>en</strong> die Eingeweide heraus. Es ist kein Zufall, dass in Port Harcourt ein vulture man umgeht. Diese vollkomm<strong>en</strong> verwahrloste Stadt gehört zu d<strong>en</strong> zehn gefährlichst<strong>en</strong> Ort<strong>en</strong> der Welt; sie liegt im Niger- Delta, wo seit Jahrzehnt<strong>en</strong> die Ölreichtümer Nigerias ausgebeutet werd<strong>en</strong>, währ<strong>en</strong>d die Bevölkerung so arm ist wie eh und je. Der Geiermann – eine Allegorie des neokolonial<strong>en</strong> Raubkapitalismus. Ein irrationales Paralleluniversum, in dem es Zombies regnet Die Dämon<strong>en</strong> und Hex<strong>en</strong> werd<strong>en</strong> nicht nur als wirkmächtige, sondern als real existier<strong>en</strong>de Wes<strong>en</strong> wahrg<strong>en</strong>omm<strong>en</strong>. Sie bevölkern ein<strong>en</strong> Imaginationsraum, d<strong>en</strong> man sich vorzustell<strong>en</strong> hat wie eine zweite Realität, in der Fakt<strong>en</strong> und Fiktion<strong>en</strong>, Mythos und Wahrheit, Sein und Schein verschwimm<strong>en</strong>, so wie im Ahn<strong>en</strong>glaub<strong>en</strong> der Afrikaner Leb<strong>en</strong> und Tod ineinander fließ<strong>en</strong>. Diese »zweite Welt« sei <strong>zur</strong> erst<strong>en</strong> geword<strong>en</strong>, stellt Filip de Boeck fest. Es ist ein irrationales Paralleluniversum, in dem Aids von Hex<strong>en</strong> verbreitet und durch d<strong>en</strong> Verkehr mit Jungfrau<strong>en</strong> kuriert wird, in dem es Zombies regnet und die Strichcodes auf importiert<strong>en</strong> War<strong>en</strong> als Beweis der Weltherrschaft des West<strong>en</strong>s gedeutet werd<strong>en</strong>. Bilder wie Mystique Congolaise von Cheri Cherin spiegeln dieses Panoptikum afrikanischer Albträume. Es war zu seh<strong>en</strong> in der Ausstellung Africa Screams, die der Bayreuther Kulturanthropologe Tobias W<strong>en</strong>dl koordiniert hat. Der Katalog (eb<strong>en</strong>falls im Hammer Verlag erschi<strong>en</strong><strong>en</strong>) <strong>en</strong>thält exzell<strong>en</strong>te ethnologische Studi<strong>en</strong>, die jeder Entwicklungsexperte les<strong>en</strong> sollte. Vielleicht wäre das der Auftakt zu einer radikal<strong>en</strong> Diskussion darüber, warum die gut gemeint<strong>en</strong> Theori<strong>en</strong> und Projekte so oft an der Wirklichkeit zerschell<strong>en</strong>, an j<strong>en</strong>er »zweit<strong>en</strong> Welt«, die die Helfer nicht wahrnehm<strong>en</strong> woll<strong>en</strong>. Geleg<strong>en</strong>tlich bin ich an d<strong>en</strong> Rand dieser Welt gelangt, in Porto Novo, B<strong>en</strong>in, zum Beispiel, bei einer Initiation von Voodoo- Priesterinn<strong>en</strong>, die in manischer Trance Fleischfetz<strong>en</strong> aus d<strong>en</strong> Häls<strong>en</strong> leb<strong>en</strong>der Opferzieg<strong>en</strong> biss<strong>en</strong>. Oder in Freetown, Sierra Leone, bei der Begegnung mit archaisch<strong>en</strong> Kamajor-Kriegern, die sich mit heiligem Wasser bespr<strong>en</strong>keln und glaub<strong>en</strong>, die Kugeln des Feindes würd<strong>en</strong> wie Reg<strong>en</strong>tropf<strong>en</strong> an ihn<strong>en</strong> abperl<strong>en</strong>. Oder in Bam<strong>en</strong>da, Kamerun, beim rätselhaft<strong>en</strong> Ritual des Medizinmannes Bâ Tadoh Fomantum. Auf dem Lehmplatz vor seiner Hütte saß eine alte, verwirrte Frau, gefesselt zwisch<strong>en</strong> zwei Speer<strong>en</strong>, in einem Kreis von Holzscheit<strong>en</strong>. »Sie wurde verhext«, sagte Fomantum. Dann murmelte er esoterische Formeln, goss Spiritus über die Scheite und zündete sie an. Gelähmt vor Angst, starrte die Frau in die Lohe, zitterte, stammelte Gebete. Irg<strong>en</strong>dwann erlosch das Feuer, und die Frau sah plötzlich <strong>en</strong>tspannt und gleichmütig aus. »Die Hex<strong>en</strong> sind besiegt, sie ist <strong>zur</strong>ückgekehrt«, meinte der Wunderheiler. Als ich auf der Rückfahrt in die Stadt Bam<strong>en</strong>da die Buschpiste verließ, wirkte die Straße sonderbar fremd, ein Teerband, geradlinig, glatt, rational, eine Scheidelinie, die uns und all unsere schön<strong>en</strong> Modernisierungstheori<strong>en</strong> und Mill<strong>en</strong>niumsvision<strong>en</strong> von der magisch<strong>en</strong> Welt des Bâ Tadoh Fomantum tr<strong>en</strong>nt. Bartholomäus Grill lebt in Kapstadt und berichtet seit über zehn Jahr<strong>en</strong> für das Woch<strong>en</strong>blatt DIE ZEIT aus verschied<strong>en</strong><strong>en</strong> Staat<strong>en</strong> Afrikas. Nach Studi<strong>en</strong> der Philosophie, Soziologie und Kunstgeschichte war Grill zunächst politischer Redakteur, bevor ihn das „afrikanische Fieber“ erfasste und er seit 1980 „versucht, dies<strong>en</strong> Kontin<strong>en</strong>t zu versteh<strong>en</strong>“. Sein außerord<strong>en</strong>tlich les<strong>en</strong>swertes Buch „Ach, Afrika. Berichte aus dem Inner<strong>en</strong> eines Kontin<strong>en</strong>ts“ (Siedler, 2003; Paperback: Goldmann, 2005) beschreibt eine zwisch<strong>en</strong> Tradition und Moderne zerriss<strong>en</strong>e Welt der Widersprüche, „geprägt durch die reiche Vorstellungswelt seiner M<strong>en</strong>sch<strong>en</strong>, ihre sozial<strong>en</strong> Regeln und Rituale, ihre Träume und Tabus, ihre Machtstruktur<strong>en</strong> und Glaub<strong>en</strong>ssysteme“. Wir dank<strong>en</strong> dem Autor – Gast der cusanisch<strong>en</strong> Feri<strong>en</strong>akademie „Nkosi Sikelel’i – Afrika. Der vergess<strong>en</strong>e Kontin<strong>en</strong>t“ im Februar 2005 – für die freundliche G<strong>en</strong>ehmigung des Abdrucks. Erschi<strong>en</strong><strong>en</strong> ist der Beitrag in: DIE ZEIT Nr. 38 vom 15. September 2005.
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