13.02.2013 Aufrufe

Textbuch zur Auslandsakademie Afrique en ... - Cusanuswerk

Textbuch zur Auslandsakademie Afrique en ... - Cusanuswerk

Textbuch zur Auslandsakademie Afrique en ... - Cusanuswerk

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

66<br />

Das „Kamerun-Spiel“<br />

uf d<strong>en</strong> deutsch<strong>en</strong> Gab<strong>en</strong>tisch<strong>en</strong> des<br />

Jahres 1885 beispielsweise war insbesondere<br />

Kamerun, das Bismarck<br />

soeb<strong>en</strong> d<strong>en</strong> Engländern in einer Art kolonialem<br />

Wettr<strong>en</strong>n<strong>en</strong> weggeschnappt hatte, in<br />

spielerischem Gewand präs<strong>en</strong>t. Als Weihnachtsgesch<strong>en</strong>k<br />

für die ganze Familie empfahl<br />

sich „Das Kamerun-Spiel oder King<br />

Bell und seine Leute“, ein Produkt des<br />

Leipziger Militaria-Verlags Moritz Ruhl, der<br />

später vor allem durch seine Prachtbände<br />

über Uniform<strong>en</strong> (speziell die der deutsch<strong>en</strong><br />

Schutztrupp<strong>en</strong>) bekannt wurde. Das reich<br />

ausgestattete Kart<strong>en</strong>spiel nahm Bezug auf<br />

die Ereignisse des Jahres 1884, als das deutsche<br />

Kanon<strong>en</strong>boot „Möwe“ in d<strong>en</strong> Kamerunfluß<br />

eingelauf<strong>en</strong> war und w<strong>en</strong>ig später<br />

die Könige Bell und Akwa mit divers<strong>en</strong><br />

Unterhäuptling<strong>en</strong> die Abtretung der<br />

Hoheitsrechte unterzeichnet<strong>en</strong>.<br />

Famili<strong>en</strong>, die das exotische Präs<strong>en</strong>t im<br />

Winter 1885/86 in Gebrauch nahm<strong>en</strong>,<br />

konnt<strong>en</strong> darin als Spielmaterial sechzehn<br />

„fein ausgeführte Neger-Porträts in Farb<strong>en</strong>druck<br />

auf Karton“ und eb<strong>en</strong>so viele<br />

Nam<strong>en</strong>s- und Ereigniskart<strong>en</strong> find<strong>en</strong>. Über<br />

ein<strong>en</strong> relativ einfach<strong>en</strong> Spielaufbau wird am<br />

Ende derj<strong>en</strong>ige „von d<strong>en</strong> Kamerun-Negern“<br />

ermittelt, der „die größte Treue und Ausdauer<br />

in sein<strong>en</strong> friedlich<strong>en</strong> Gesinnung<strong>en</strong><br />

geg<strong>en</strong> die Deutsch<strong>en</strong> bewahrt“. Dess<strong>en</strong><br />

glücklicher „Besitzer“ wird mit dem verblieb<strong>en</strong><strong>en</strong><br />

Kass<strong>en</strong>bestand belohnt.<br />

Das Spiel ist geprägt durch Auszeichnungs-<br />

und Bestrafungsaktion<strong>en</strong>, die sich in<br />

neutralerer Form in viel<strong>en</strong> Gesellschaftsspiel<strong>en</strong><br />

eingebürgert hab<strong>en</strong> und in diesem<br />

„schwarz<strong>en</strong> Monopoly“ quasi eine Grundlegung<br />

erfuhr<strong>en</strong>. Hinrichtung<strong>en</strong>, gnad<strong>en</strong>halber<br />

und geg<strong>en</strong> Zahlung von Spielgeld in<br />

Verbannung umgewandelt, gehör<strong>en</strong> eb<strong>en</strong>so<br />

dazu wie Belohnung<strong>en</strong> für „Gesang in der<br />

Negersprache“, der d<strong>en</strong> Kolonialherr<strong>en</strong><br />

„Ergötz<strong>en</strong>“ bereitet hat.<br />

Die Duala, die Ureinwohner Kameruns,<br />

agier<strong>en</strong> in der Spielhandlung stereotyp <strong>en</strong>tweder<br />

als folgsame Unterstützer deutscher<br />

Interess<strong>en</strong> oder als böswillige Aufrührer<br />

und Diebe. Ihre Kulthandlung<strong>en</strong> werd<strong>en</strong> –<br />

w<strong>en</strong>n sie nicht als Spektakel zum Vergnüg<strong>en</strong><br />

der Weiß<strong>en</strong> einsetzbar sind – als heimtückische<br />

Hexerei verworf<strong>en</strong>.<br />

„Das ‘Kamerun-Spiel’“, schreibt die Kulturwiss<strong>en</strong>schaftlerin<br />

Nana Bad<strong>en</strong>berg, die<br />

diese spezielle Variante kolonialer Mobilmachung<br />

eindrucksvoll dokum<strong>en</strong>tiert hat,<br />

„sollte für deutsche Famili<strong>en</strong> eine Sonntagsverlustierung<br />

sein“; zugleich jedoch sollte<br />

der Kolonialismus spielerisch-alltäglich<br />

„eingeübt“ und die angebliche sittliche<br />

(Fehl-)Disposition bestimmter afrikanischer<br />

Stämme transpar<strong>en</strong>t werd<strong>en</strong>. Ohne je in<br />

direkt<strong>en</strong> Kontakt mit der einheimisch<strong>en</strong><br />

Bevölkerung zu komm<strong>en</strong>, ließ sich – so<br />

Bad<strong>en</strong>berg – „anhand der Vulgärethnographie<br />

des ‘Kamerun-Spiels’ lern<strong>en</strong>“, was man<br />

von ihr zu halt<strong>en</strong> hatte: ein dem Trunk ergeb<strong>en</strong>es<br />

Volk von Händlern, zu Streit, Verrat<br />

und off<strong>en</strong>em Aufruhr neig<strong>en</strong>d, charakterlich<br />

geprägt, wie Hugo Zöller, einer der<br />

kolonial<strong>en</strong> Wortführer geißelte, durch<br />

„Eitelkeit, Faulheit, Habgier“, und deshalb<br />

allein durch ein striktes Regime von Zuckerbrot<br />

und Peitsche unter Kontrolle zu halt<strong>en</strong>.<br />

Quelle<br />

Hans Helmut Hillrichs, Waldaff<strong>en</strong>, „Nickneger“,<br />

schwarze Perl<strong>en</strong> – Und ewig leb<strong>en</strong> die (Zerr-)Bilder,<br />

in: Gisela Graich<strong>en</strong>, Horst Gründer, Deutsche<br />

Koloni<strong>en</strong>. Traum und Trauma, Berlin: Ullstein<br />

2005, 453-461, 455f.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!