Textbuch zur Auslandsakademie Afrique en ... - Cusanuswerk
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Das „Kamerun-Spiel“<br />
uf d<strong>en</strong> deutsch<strong>en</strong> Gab<strong>en</strong>tisch<strong>en</strong> des<br />
Jahres 1885 beispielsweise war insbesondere<br />
Kamerun, das Bismarck<br />
soeb<strong>en</strong> d<strong>en</strong> Engländern in einer Art kolonialem<br />
Wettr<strong>en</strong>n<strong>en</strong> weggeschnappt hatte, in<br />
spielerischem Gewand präs<strong>en</strong>t. Als Weihnachtsgesch<strong>en</strong>k<br />
für die ganze Familie empfahl<br />
sich „Das Kamerun-Spiel oder King<br />
Bell und seine Leute“, ein Produkt des<br />
Leipziger Militaria-Verlags Moritz Ruhl, der<br />
später vor allem durch seine Prachtbände<br />
über Uniform<strong>en</strong> (speziell die der deutsch<strong>en</strong><br />
Schutztrupp<strong>en</strong>) bekannt wurde. Das reich<br />
ausgestattete Kart<strong>en</strong>spiel nahm Bezug auf<br />
die Ereignisse des Jahres 1884, als das deutsche<br />
Kanon<strong>en</strong>boot „Möwe“ in d<strong>en</strong> Kamerunfluß<br />
eingelauf<strong>en</strong> war und w<strong>en</strong>ig später<br />
die Könige Bell und Akwa mit divers<strong>en</strong><br />
Unterhäuptling<strong>en</strong> die Abtretung der<br />
Hoheitsrechte unterzeichnet<strong>en</strong>.<br />
Famili<strong>en</strong>, die das exotische Präs<strong>en</strong>t im<br />
Winter 1885/86 in Gebrauch nahm<strong>en</strong>,<br />
konnt<strong>en</strong> darin als Spielmaterial sechzehn<br />
„fein ausgeführte Neger-Porträts in Farb<strong>en</strong>druck<br />
auf Karton“ und eb<strong>en</strong>so viele<br />
Nam<strong>en</strong>s- und Ereigniskart<strong>en</strong> find<strong>en</strong>. Über<br />
ein<strong>en</strong> relativ einfach<strong>en</strong> Spielaufbau wird am<br />
Ende derj<strong>en</strong>ige „von d<strong>en</strong> Kamerun-Negern“<br />
ermittelt, der „die größte Treue und Ausdauer<br />
in sein<strong>en</strong> friedlich<strong>en</strong> Gesinnung<strong>en</strong><br />
geg<strong>en</strong> die Deutsch<strong>en</strong> bewahrt“. Dess<strong>en</strong><br />
glücklicher „Besitzer“ wird mit dem verblieb<strong>en</strong><strong>en</strong><br />
Kass<strong>en</strong>bestand belohnt.<br />
Das Spiel ist geprägt durch Auszeichnungs-<br />
und Bestrafungsaktion<strong>en</strong>, die sich in<br />
neutralerer Form in viel<strong>en</strong> Gesellschaftsspiel<strong>en</strong><br />
eingebürgert hab<strong>en</strong> und in diesem<br />
„schwarz<strong>en</strong> Monopoly“ quasi eine Grundlegung<br />
erfuhr<strong>en</strong>. Hinrichtung<strong>en</strong>, gnad<strong>en</strong>halber<br />
und geg<strong>en</strong> Zahlung von Spielgeld in<br />
Verbannung umgewandelt, gehör<strong>en</strong> eb<strong>en</strong>so<br />
dazu wie Belohnung<strong>en</strong> für „Gesang in der<br />
Negersprache“, der d<strong>en</strong> Kolonialherr<strong>en</strong><br />
„Ergötz<strong>en</strong>“ bereitet hat.<br />
Die Duala, die Ureinwohner Kameruns,<br />
agier<strong>en</strong> in der Spielhandlung stereotyp <strong>en</strong>tweder<br />
als folgsame Unterstützer deutscher<br />
Interess<strong>en</strong> oder als böswillige Aufrührer<br />
und Diebe. Ihre Kulthandlung<strong>en</strong> werd<strong>en</strong> –<br />
w<strong>en</strong>n sie nicht als Spektakel zum Vergnüg<strong>en</strong><br />
der Weiß<strong>en</strong> einsetzbar sind – als heimtückische<br />
Hexerei verworf<strong>en</strong>.<br />
„Das ‘Kamerun-Spiel’“, schreibt die Kulturwiss<strong>en</strong>schaftlerin<br />
Nana Bad<strong>en</strong>berg, die<br />
diese spezielle Variante kolonialer Mobilmachung<br />
eindrucksvoll dokum<strong>en</strong>tiert hat,<br />
„sollte für deutsche Famili<strong>en</strong> eine Sonntagsverlustierung<br />
sein“; zugleich jedoch sollte<br />
der Kolonialismus spielerisch-alltäglich<br />
„eingeübt“ und die angebliche sittliche<br />
(Fehl-)Disposition bestimmter afrikanischer<br />
Stämme transpar<strong>en</strong>t werd<strong>en</strong>. Ohne je in<br />
direkt<strong>en</strong> Kontakt mit der einheimisch<strong>en</strong><br />
Bevölkerung zu komm<strong>en</strong>, ließ sich – so<br />
Bad<strong>en</strong>berg – „anhand der Vulgärethnographie<br />
des ‘Kamerun-Spiels’ lern<strong>en</strong>“, was man<br />
von ihr zu halt<strong>en</strong> hatte: ein dem Trunk ergeb<strong>en</strong>es<br />
Volk von Händlern, zu Streit, Verrat<br />
und off<strong>en</strong>em Aufruhr neig<strong>en</strong>d, charakterlich<br />
geprägt, wie Hugo Zöller, einer der<br />
kolonial<strong>en</strong> Wortführer geißelte, durch<br />
„Eitelkeit, Faulheit, Habgier“, und deshalb<br />
allein durch ein striktes Regime von Zuckerbrot<br />
und Peitsche unter Kontrolle zu halt<strong>en</strong>.<br />
Quelle<br />
Hans Helmut Hillrichs, Waldaff<strong>en</strong>, „Nickneger“,<br />
schwarze Perl<strong>en</strong> – Und ewig leb<strong>en</strong> die (Zerr-)Bilder,<br />
in: Gisela Graich<strong>en</strong>, Horst Gründer, Deutsche<br />
Koloni<strong>en</strong>. Traum und Trauma, Berlin: Ullstein<br />
2005, 453-461, 455f.