Textbuch zur Auslandsakademie Afrique en ... - Cusanuswerk
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kann. Sie bildet d<strong>en</strong> Schlüssel <strong>zur</strong> Konstruktion<br />
der Realität. Durch ihre bewert<strong>en</strong>de<br />
Eig<strong>en</strong>schaft wird Sprache zu einem System,<br />
auf dem soziale, ökonomische und politische<br />
Diskurse basier<strong>en</strong>.<br />
Sprache ist auch die Macht „etwas b<strong>en</strong><strong>en</strong>n<strong>en</strong><br />
zu könn<strong>en</strong>“. Da die Literatur früherer<br />
imperialer Koloni<strong>en</strong> diese Kontrolle der<br />
Sprach<strong>en</strong> dez<strong>en</strong>tralisierte, dekolonialisierte<br />
sich die Sprache bis zu einem gewiss<strong>en</strong><br />
Grad selber. Die „zweisprachig<strong>en</strong> Intellektuell<strong>en</strong>“<br />
unter d<strong>en</strong> postkolonial<strong>en</strong> Schriftsteller<br />
musst<strong>en</strong> das Kräftespiel der Mächte<br />
bezüglich einiger Spannungsfelder wie z.B.<br />
„Kolonialisierte – Kolonialmacht“ und „Einheimische<br />
– Ausländer“ aushandeln. Die<br />
postkoloniale Literatur selber ist ein<br />
Schlachtfeld, auf dem das aktive Streb<strong>en</strong><br />
nach Dekolonialisierung weiter ausgespielt<br />
wird.<br />
Bewaffnet mit ihr<strong>en</strong> Stift<strong>en</strong> bezieh<strong>en</strong> sich<br />
diese Autor<strong>en</strong> auf „die Dominanz der imperialisitisch<strong>en</strong><br />
Sprache“ in Form des Ausbildungssystems,<br />
der ökonomische Struktur<br />
und der Medi<strong>en</strong>, durch die antiimperialistische<br />
Ide<strong>en</strong> unterdrückt werd<strong>en</strong>.<br />
Die postkoloniale Stimme kann auf zwei<br />
unterschiedliche Art<strong>en</strong> <strong>en</strong>tscheid<strong>en</strong>, sich<br />
der imperialistisch<strong>en</strong> sprachlich<strong>en</strong> Dominierung<br />
zu verwehr<strong>en</strong> – indem sie die Sprache<br />
der Kolonialmacht völlig <strong>zur</strong>ückweist<br />
und in ihrer Muttersprache publiziert oder<br />
das Imperium untergräbt, indem sie ihre<br />
Antwort<strong>en</strong> in einer europäisch<strong>en</strong> Sprache<br />
formuliert.<br />
Ein Autor, der sich für d<strong>en</strong> erst<strong>en</strong> dieser<br />
beid<strong>en</strong> Wege <strong>en</strong>tschied, ist der k<strong>en</strong>ianische<br />
Autor Ngugi Wa Thiong´o. Er wurde 1938<br />
als Sohn eines Bauern in Limuru gebor<strong>en</strong>.<br />
Nach dem Besuch der Missionsschule studierte<br />
er am Makarere University College<br />
und begann dort seine schriftstellerische<br />
Laufbahn. Seit 1978 publiziert er in seiner<br />
eig<strong>en</strong><strong>en</strong> Sprache, dem Kikuyu, einer rein<strong>en</strong><br />
Sprechsprache, für die es bis dahin kaum<br />
Versuche einer Verschriftlichung gab. Der<br />
k<strong>en</strong>ianische Schriftsteller und Kulturwiss<strong>en</strong>schaftler,<br />
der sich als antikolonialer Autor<br />
versteht, gilt heute als einer der bedeut<strong>en</strong>dst<strong>en</strong><br />
Autor<strong>en</strong> Ostafrikas. Populär macht<strong>en</strong><br />
ihn nicht nur die aufklärerisch<strong>en</strong> Them<strong>en</strong>,<br />
sondern sein Widerstand geg<strong>en</strong> die britische<br />
Kolonialpolitik und die spätere postkoloniale<br />
Herrschaft der Moi-Regierung sowie<br />
sein Bezug auf traditionelle afrikanische<br />
Theater- und Erzählkunst.<br />
In d<strong>en</strong> spät<strong>en</strong> 70er Jahr<strong>en</strong> ließ ihn sein<br />
Engagem<strong>en</strong>t in Kunst und Gesellschaft einige<br />
kommunale Theatergrupp<strong>en</strong> in Dörfern<br />
gründ<strong>en</strong>, die einige seiner kritischst<strong>en</strong> Werke<br />
aufführt<strong>en</strong>. Diese Stücke portraitiert<strong>en</strong><br />
die politische Korruption des postkolonial<strong>en</strong><br />
Leb<strong>en</strong>s in K<strong>en</strong>ia, sowie d<strong>en</strong> Kampf der<br />
M<strong>en</strong>sch<strong>en</strong>, ihre Id<strong>en</strong>tität trotz der <strong>zur</strong>ücklieg<strong>en</strong>d<strong>en</strong><br />
Jahre von rau<strong>en</strong> politisch<strong>en</strong> und<br />
sozial<strong>en</strong> Veränderung<strong>en</strong> zu definier<strong>en</strong>. Im<br />
Jahr 1977 wurde Ngugi für sein Engagem<strong>en</strong>t<br />
an d<strong>en</strong> kommunal<strong>en</strong> Theatern verhaftet.<br />
Im Gefängnis wurde ihm die Dringlichkeit<br />
bewusst, die „wahre afrikanische Literatur“<br />
zu begründ<strong>en</strong> – Ngugi schrieb in<br />
seiner Zelle sein Buch „Devil on the Cross“<br />
auf Toilett<strong>en</strong>papier. Nach seiner Entlassung<br />
verlor er seine Anstellung an der Universität<br />
und seine Familie litt unter ständig<strong>en</strong><br />
Morddrohung<strong>en</strong>. 1982 verließ Ngugi K<strong>en</strong>ia<br />
und lebt seitdem im Exil.<br />
Ngugi Wa Thiong´o schlägt in seinem<br />
Buch „Decolonising the Mind“, ein Programm<br />
radikaler Dekolonialisierung vor,<br />
welches deutlich macht, dass die Sprache<br />
der afrikanisch<strong>en</strong> Literatur d<strong>en</strong> Imperialismus<br />
bekundet. Er fordert afrikanische<br />
Schriftsteller auf, in ihr<strong>en</strong> traditionell<strong>en</strong><br />
afrikanisch<strong>en</strong> Sprach<strong>en</strong> zu schreib<strong>en</strong>,<br />
anstatt sich in d<strong>en</strong> europäisch<strong>en</strong> Sprach<strong>en</strong><br />
auszudrück<strong>en</strong>. In der Sprache der Kolonialmacht<br />
zu schreib<strong>en</strong>, behauptet Ngugi,<br />
bedeute, dass sehr viele der eig<strong>en</strong><strong>en</strong> Landsleute<br />
– gemeint sind die M<strong>en</strong>sch<strong>en</strong>, mit<br />
d<strong>en</strong><strong>en</strong> sich ein postkolonialer Autor von<br />
Grund auf id<strong>en</strong>tifiziert – nicht fähig sei<strong>en</strong>,<br />
dass Originalwerk des Autors zu les<strong>en</strong>.<br />
Über afrikanische Literatur, die in europäischer<br />
Sprache geschrieb<strong>en</strong> ist, schreibt<br />
Ngugi, „dass ihre große Schwäche immer<br />
bei der Zielgruppe liegt.“ Die kleinbürgerliche<br />
Leserschaft finde aufgrund der Wahl<br />
der Sprache der Autor<strong>en</strong> automatisch kein<strong>en</strong><br />
Zugang zu seinem Werk.<br />
Geht es nach Ngugi, so könne Literatur,<br />
die in europäischer Sprache geschrieb<strong>en</strong> ist,<br />
nicht als afrikanische Literatur bezeichnet<br />
werd<strong>en</strong>. Er fragt sich, warum ein afrikanischer<br />
Autor oder jede andere Autor davon<br />
überzeugt sein kann, andere Sprach<strong>en</strong> zu<br />
bereichern, indem er seine Muttersprache<br />
vernachlässigt.<br />
Für Ngugi ist es unverständlich, dass sich<br />
afrikanische Schriftsteller nicht die Frage<br />
stell<strong>en</strong>, wie sie ihre eig<strong>en</strong>e Sprache bereichern<br />
könn<strong>en</strong>. Er glaubt daran, dass das<br />
Schreib<strong>en</strong> in seiner Muttersprache Kikuyu –<br />
einer k<strong>en</strong>ianisch<strong>en</strong> Sprache – ein<strong>en</strong> Teil zu<br />
d<strong>en</strong> antiimperialistisch<strong>en</strong> Kämpf<strong>en</strong> der<br />
K<strong>en</strong>ianer und der Afrikaner im Allgemein<strong>en</strong><br />
beitrag<strong>en</strong> könne. Die aktuelle Situation<br />
ist eine andere: In Schul<strong>en</strong> und Universitä-<br />
Der k<strong>en</strong>ianische Autor<br />
Ngugi Wa Thiong´o<br />
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