Digitalisierung des Wissens - VolkswagenStiftung
Digitalisierung des Wissens - VolkswagenStiftung
Digitalisierung des Wissens - VolkswagenStiftung
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<strong>Wissens</strong>chaftsmagazin der <strong>VolkswagenStiftung</strong><br />
01<br />
13 ImpulseDas<br />
Schwerpunktthema<br />
„<strong>Digitalisierung</strong> <strong>des</strong> <strong>Wissens</strong>“<br />
Auf dem Weg in eine Zukunft mit<br />
mehr Einsicht? In ein neues Zeitalter<br />
der Demokratisierung von <strong>Wissens</strong>chaft,<br />
Kunst und Kultur? Was die<br />
digitale Verfügbarkeit von Informationen<br />
mit sich bringt. Vorhang auf<br />
für eine neue <strong>Wissens</strong>gesellschaft.
Wir stiften Wissen<br />
Klare Struktur, zeitgemäßer Auftritt und vielfältige<br />
Inhalte: Seit November 2012 hat die Volkswagen-<br />
Stiftung eine neue Online-Präsenz. Ein klares und<br />
luftiges Design erleichtert die Orientierung und<br />
schafft Übersichtlichkeit. Großformatige Fotos<br />
bieten neben umfangreichen Inhalten interessan-<br />
te Einblicke in die Arbeit der geförderten Wissen-<br />
schaftlerinnen und <strong>Wissens</strong>chaftler. Um modernen<br />
Nutzergewohnheiten gerecht zu werden, basiert<br />
die neue Website auf dem sogenannten Responsive<br />
Design. So stehen alle Funktionalitäten jetzt auch<br />
für internetfähige Tablets und Smartphones zur<br />
Verfügung. ggg www.volkswagenstiftung.de<br />
Editorial<br />
Digitalisiertes Wissen – die Quelle der Zukunft für<br />
wissenschaftliche Erkenntnis?<br />
Sie interessieren sich für ein Kunstwerk oder ein<br />
volkskundliches Objekt, das unerreichbar im Keller<br />
eines Museums lagert? Sie sind vielleicht Forscher,<br />
und eine Abbildung in einem Buch hilft Ihnen für<br />
die wissenschaftliche Betrachtung allein nicht weiter<br />
– schließlich zeigt sie das Objekt nur zweidimensional?<br />
Nun, das ist zunehmend kein Problem<br />
mehr, seitdem viele Museen, Bibliotheken und<br />
andere Einrichtungen ihre Sammlungen dreidimensional<br />
erfassen und als digitalisierte Exponate<br />
in einem Online-Archiv jedem zugänglich machen.<br />
Ein Mausklick oder auch ein paar – und Sie sehen<br />
das Objekt Ihrer Begierde von allen Seiten, können<br />
es drehen, vielleicht sogar in es hineintreten.<br />
Womöglich sitzen Sie ja auch, spinnen wir den<br />
Gedanken einmal weiter, ausgestattet mit einem<br />
schnellen Internet-Anschluss an einem entlegenen<br />
Ort auf der anderen Seite der Welt. Für<br />
Ihre Forschungsfrage reichen Ihnen die digital<br />
gespeicherten Datensätze, die Sie den online<br />
angelegten Archiven Dritter entnehmen können,<br />
und – inmitten Ihrer virtuellen Forschungsumgebung<br />
starten Sie nun Ihre eigene wissenschaftliche<br />
Arbeit. Dazu fließen von Kollegen aus einem<br />
wieder anderen Teil der Welt vielleicht gerade<br />
aktuelle Aufnahmen von Referenzobjekten ein,<br />
die jene mithilfe mobiler Geräte wie Smartphones<br />
und Minicomputern soeben dort gemacht haben.<br />
Fortlaufend erreichen Ihre virtuelle Forschungsumgebung<br />
etwa Maße der untersuchten Objekte,<br />
andere Parameter oder auch Kommentare. Und<br />
Sie? Sie sitzen auf einem Berg oder am Strand<br />
und produzieren in Ihrem Theoriegebäude neue<br />
wissenschaftliche Erkenntnisse – und vergrößern<br />
damit zugleich den virtuellen Datenkosmos.<br />
Zukunftsmusik? Mitnichten. Aktuell lässt sich<br />
überall und – wenngleich in unterschiedlichem<br />
Ausmaß – in allen Fächerkulturen beobachten,<br />
dass wissenschaftliches Arbeiten in virtuelle<br />
Forschungsumgebungen verlagert wird. Digitalisiertes<br />
Wissen macht’s möglich. Ein paar Zahlen:<br />
90 Prozent <strong>des</strong> derzeit geschätzten Bestands<br />
weltweit digital gespeicherter Daten wurde in<br />
den vergangenen zwei Jahren erzeugt. Und da ist<br />
die <strong>Wissens</strong>chaft gut mit dabei. So liefern allein die<br />
gewaltigen Detektoren <strong>des</strong> Large Hadron Colliders,<br />
<strong>des</strong> großen Teilchenbeschleunigers am Forschungszentrum<br />
CERN, derzeit Tag für Tag durchschnittlich<br />
42 Terabyte an neuen Daten. Noch rasanter der Beitrag<br />
der Lebenswissenschaften mit täglich Tausenden<br />
neu sequenzierter Genome. Zu solcherart generierten<br />
Daten kommen zudem die von Sensoren,<br />
deren Output sich elektronisch aufzeichnen und<br />
digital weiterverbreiten lässt – etwa von Geräten<br />
der medizinischen Diagnostik, von Überwachungskameras,<br />
Wetterstationen oder Mobiltelefonen.<br />
Daten sind allerdings noch keine Informationen<br />
und erst recht kein neues Wissen. Sie müssen<br />
analysiert und interpretiert werden. Die passenden<br />
Geschichten hierzu erzählt unser Magazin<br />
„<strong>Digitalisierung</strong> <strong>des</strong> <strong>Wissens</strong>“ – zugleich in unserer<br />
Reihe „Impulse aus der <strong>Wissens</strong>chaft“ das erste<br />
Heft mit inhaltlicher Schwerpunktsetzung. Mit<br />
zwei solcherart thematisch fokussierten Ausgaben<br />
pro Jahr möchten wir Sie künftig unterhalten.<br />
In diesem Heft können Sie beispielsweise lesen,<br />
inwieweit die <strong>Digitalisierung</strong> vieler vom Aussterben<br />
bedrohter Sprachen gleichsam deren Asyl ist.<br />
Oder Sie erfahren etwas über neue Techniken,<br />
die – wie nach dem Brand in der Herzogin Anna<br />
Amalia Bibliothek – fast verloren geglaubte, kostbare<br />
Dokumente nicht nur retten helfen, sondern<br />
sie ins digitale Zeitalter transferieren mit all den<br />
Möglichkeiten, die sich daraus ergeben.<br />
Womit wir wieder beim Forscher am anderen<br />
Ende der Welt angekommen sind. Den Blick auf<br />
ihn gerichtet, muss bei aller digitalen Euphorie<br />
natürlich gelten, dass im Herzen der digitalen<br />
<strong>Wissens</strong>chaft immer noch das Sinnverstehen, das<br />
kluge Interpretieren seinen Platz behaupten muss<br />
und wird. Gerade dafür stehen die Protagonisten<br />
der vorgestellten Projekte. Ich wünsche Ihnen<br />
eine spannende Lektüre mit realem Genuss!<br />
Wilhelm Krull,<br />
Generalsekretär der<br />
<strong>VolkswagenStiftung</strong><br />
2 Impulse 2013 3
36<br />
Wunderkammern der <strong>Wissens</strong>chaft<br />
Die <strong>Digitalisierung</strong> von Sammlungen,<br />
Museumsbeständen und Archiven gibt<br />
diesen eine globale Sichtbarkeit.<br />
Ein Blick nach Berlin.<br />
24<br />
Ein Archiv für die Sprachen der Welt<br />
Im niederländischen Nijmegen findet Kulturerbe eine digitale<br />
Heimat. Dort schlägt das technische Herz einer weltweiten<br />
Initiative, die die Dokumentation bedrohter Sprachen zum<br />
Ziel hat. Ein Besuch vor Ort.<br />
44<br />
Leben aus der Asche<br />
Wie der interaktive Austausch im Netz hilft, etwas über<br />
die Herkunft brandgeschädigter Bücher zu erfahren. Zu<br />
Gast in der Anna Amalia Bibliothek, acht Jahre nach dem<br />
verheerenden Feuer. Eine Fahrt nach Weimar.<br />
Inhalt<br />
60<br />
Hierarchien schwinden<br />
Wie digitale Medien die Kommunikation<br />
zwischen Forschern verändern – und<br />
dabei auch die sozialen Strukturen <strong>des</strong><br />
<strong>Wissens</strong>chaftsbetriebs.<br />
6<br />
Kunst + <strong>Wissens</strong>chaft<br />
Eine Sprache für den<br />
Tanz: über die Entstehung<br />
von Online-Partituren<br />
und die <strong>Digitalisierung</strong><br />
von Choreografien<br />
– eine Fotoreportage in<br />
mehreren Akten.<br />
14<br />
Portale und Potenziale<br />
Die <strong>Digitalisierung</strong> von<br />
<strong>Wissens</strong>beständen lässt<br />
Informationen umfassend<br />
sichtbar werden.<br />
Das erreicht ein weltweites<br />
Publikum. Eine<br />
Betrachtung von außen.<br />
24<br />
Ein Archiv für die<br />
Sprachen der Welt<br />
Eine digitale Heimat<br />
für die bedrohten Sprachen<br />
dieser Welt. Zu<br />
Besuch im Max-Planck-<br />
Institut für Psycholinguistik<br />
in Nijmegen.<br />
36<br />
Wunderkammern der<br />
<strong>Wissens</strong>chaft<br />
Die Humboldt-Universität<br />
Berlin hat als erste<br />
deutsche Hochschule<br />
ihre Sammlungen erschlossen<br />
und online<br />
öffentlich zugänglich<br />
gemacht: ein Blick in die<br />
„Kabinette <strong>des</strong> <strong>Wissens</strong>“.<br />
44<br />
Leben aus der Asche<br />
Neue Chance für alte<br />
Werke. Oder: Wie aus<br />
einem Verlust auch<br />
Unerwartetes erwächst.<br />
Zu Gast in Weimar bei<br />
„Anna Amalia“.<br />
60<br />
Hierarchien schwinden<br />
Digitale Medien verändern<br />
den <strong>Wissens</strong>chaftsbetrieb.<br />
Am Zentrum<br />
für Medien und<br />
Interaktivität in Gießen<br />
weiß man mehr.<br />
74<br />
Welche Museen will<br />
diese Gesellschaft?<br />
Wie sehen die Sammlungs-<br />
und Ausstellungshäuser<br />
von heute<br />
im Zeitalter der <strong>Digitalisierung</strong><br />
morgen aus?<br />
Welchen Herausforderungen<br />
haben sie sich<br />
zu stellen? Ein „Herrenhäuser<br />
Gespräch“ geht<br />
diesen Fragen nach.<br />
Veranstaltungen<br />
52<br />
„Die neuen Bürger der<br />
Gelehrtenrepublik“<br />
Das Magazingespräch:<br />
der Göttinger Literaturwissenschaftler<br />
Gerhard Lauer zu den<br />
Digital Humanities.<br />
74<br />
Welche Museen will<br />
diese Gesellschaft?<br />
„Vom Musentempel zur<br />
Ereignisagentur: Wohin<br />
treiben die Museen im<br />
digitalen Zeitalter?“ Vier<br />
Experten suchen Antworten<br />
bei einem „Herrenhäuser<br />
Gespräch“.<br />
84<br />
Die Grenzen <strong>des</strong><br />
Wachstums<br />
– 40 Jahre danach.<br />
Rückblick auf ein<br />
Symposium und eine<br />
Winter School.<br />
4 Impulse 2013 5<br />
Rubriken<br />
22<br />
Kompakt<br />
„<strong>Digitalisierung</strong>“ kompakt.<br />
Nachrichten zum<br />
Schwerpunktthema.<br />
68<br />
Spektrum<br />
Nachrichten aus der<br />
<strong>Wissens</strong>chaftsförderung.<br />
80<br />
Forum<br />
Nachrichten aus der<br />
<strong>VolkswagenStiftung</strong>.<br />
89<br />
Die Veranstaltungsformate<br />
der Stiftung<br />
90<br />
Ausblick 2013<br />
Schloss / Neue Initiative<br />
91<br />
Die Stiftung in Kürze /<br />
Impressum
Impuls<br />
Kunst trifft <strong>Wissens</strong>chaft<br />
Das Tanztheaterprojekt „Dance Engaging Science“<br />
Dass der Tanz als ästhetische Ausdrucksform <strong>des</strong><br />
menschlichen Körpers der Physik, der Physiologie,<br />
der Körpermechanik oder der Medizin immer wieder<br />
Aufgaben stellt, ist offensichtlich. Doch <strong>Wissens</strong>chaft,<br />
Technik und Tanz berühren einander auch<br />
sonst. Und helfen sich. Will man beispielsweise über<br />
Choreografien oder die Komposition von Bewegungen<br />
reden, stößt man bislang schnell an Grenzen:<br />
Tanz fehlt Sprache. Ihn nun in einem ihm eigenen,<br />
angemessen komplexen „Vokabular“ zu Wort kommen<br />
zu lassen, dazu kann die <strong>Wissens</strong>chaft, können<br />
moderne Informationstechnologien beitragen.<br />
Seit zwei Jahren wird in dem Projekt „Motion Bank“<br />
die choreografische Praxis einschließlich ihrer<br />
Kreativitätsprozesse erforscht und in „Sprache“ übersetzt<br />
– in breitem Kontext und: angestoßen von der<br />
renommierten „The Forsythe Company“. Dabei arbeiten<br />
Künstler und Medien<strong>des</strong>igner im engen Zusammenspiel<br />
auch an der digitalisierten Darstellung von<br />
Choreografien. Für diese Arbeit haben sich bedeutende<br />
Gastchoreografen und Tänzer gefunden (hier<br />
Aufnahmen aus dem Frankfurt LAB). Die Stiftung<br />
begleitete den Prozess mit der wissenschaftlichen<br />
Workshop-Reihe „Dance Engaging Science“. cj<br />
Filmaufnahmen eines Solotanzes von Ros Warby durch Svenja Kahn und Florian Jenett vom April 2011<br />
Mit einer neuartigen Software werden Tanzszenen aufgezeich-<br />
net, annotiert und archiviert. Möglich ist auch das Einfügen<br />
von Probennotizen; ebenso lässt sich ein Tanzstück fortlaufend<br />
weiter digital montieren, indem Ereignisse wie Tanzszenen<br />
und die Zeichen für den Einsatz von Beleuchtung oder Ton in<br />
einer mehrspurigen Partitur einander zugeordnet werden. Erste Testfilmaufnahmen mit Deborah Hay vom Februar 2011.
8<br />
1<br />
6<br />
3<br />
Der Arbeitsprozess für die Entwicklung einer Online-Partitur beginnt mit einer vorbereitenden Forschungsphase.<br />
Die Beteiligten wählen zumeist ein existieren<strong>des</strong> Stück aus und passen es gegebenenfalls an. Anschließend<br />
erörtern sie das Setting für die Filmaufnahmen. Es folgen Aufführung und Aufzeichnung <strong>des</strong> Tanzstücks.<br />
In der anschließenden Produktionsphase, die auch den kreativen Prozess <strong>des</strong> Entstehens einer Choreografie<br />
deutlich werden lassen soll, wird aus dem Material von Web<strong>des</strong>ignern und Programmierern in enger Zusammenarbeit<br />
mit den Choreografen das Ergebnis einer Online-Partitur realisiert, die im Web veröffentlicht wird.<br />
Begleitet wird diese Projektarbeit von „Motion Bank“ durch die Workshop-Reihe „Dance Engaging Science“.<br />
Um die mit der Entstehung von Online-Partituren verbundenen Prozesse besser zu verstehen, fand sich eine<br />
feste Gruppe von zwanzig Teilnehmern zusammen, darunter Tänzer, Choreografen, Psychologen, Neuro- und<br />
Geisteswissenschaftler. Sie setzten sich mit den komplexen körperlichen und mentalen Prozessen auseinander,<br />
die mit dem Aufführen wie Ansehen von Tanzstücken einhergehen: mit Sinnesempfindungen und anderen<br />
Wahrnehmungen, mit Erkenntnis, Gefühl und Aktion. Auf den nummerierten Bildern dieser Doppelseite<br />
zu sehen sind die Workshopteilnehmer (stets von links nach rechts): (1) Liane Simmel, Anke Euler, Michael<br />
Steinbusch; (2) James Leach, Projektleiter Scott deLahunta; (3) Riley Watts, James Leach; (4) Liane Simmel;<br />
(5) Riley Watts, Sandra Parker; (6) Liz Waterhouse, Bettina Blaesing; (7) David Kirsh; (8) Wolf Singer;<br />
(9) Fabrice Mazliah, Kathryn Enright; (10) Liane Simmel, Guido Orgs; (11) Kathryn Enright; (12) Guido Orgs.<br />
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Die Bilder zeigen Visualisierungen<br />
im Kontext der Entstehung digital<br />
angelegter Partituren: Links oben<br />
eine Momentaufnahme mit skizzierten,<br />
Sekunden zuvor erfolgten<br />
Bewegungen, die in ihrer Zusammensetzung<br />
die Beziehungen der<br />
Tänzer in Raum und Zeit zeigen.<br />
Links unten in einer 3-D-Darstellung<br />
die Flächen im Raum, die<br />
Tänzer während eines kurzen<br />
Bewegungsablaufs einnehmen.<br />
Rechts oben die Aufsicht auf die<br />
Raumbeziehungen der Tänzer<br />
zueinander. Nebenstehend der<br />
Blick von oben auf die Choreografie:<br />
Die entstehenden Muster<br />
und Formen werden durch mitlaufende<br />
Videoaufnahmen illuminiert,<br />
die flüchtige und schnelle<br />
Bewegungen, Bewegungsbrüche,<br />
konzentrierte Aktionen sowie<br />
horizontale und vertikale Bewegungslinien<br />
offenbaren.<br />
Quelle für alle Bilder auf dieser Seite:<br />
Synchronous Objects Project, The Ohio State University and The Forsythe Company<br />
Impulse 2013 11
Eine neue Sprache für den Tanz<br />
Noch frisch sind die Erinnerungen an die Documenta<br />
13, die auch modernen Tanz prominent<br />
in Szene gesetzt sah. Begeistert bejubelt wurden<br />
Tino Sehgals im Dämmerlicht singende Tänzer<br />
in einem Darkroom im Hinterhof eines Kasseler<br />
Hotels, nicht weniger gefeiert William Kentridges<br />
tanzinspirierte Installation. <strong>Wissens</strong>chaftlich<br />
genähert wurde sich dem Kulturgut Tanz bislang<br />
allerdings kaum. Selten fündig wird, wer nach<br />
choreografischen Aufzeichnungen zu einzelnen<br />
Balletten sucht; in den Bibliotheken klaffen –<br />
anders als bei Musikpartituren – in Sachen Tanzgeschichte<br />
große Lücken. Nur sporadisch sind<br />
Ballette vollständig aufgezeichnet, ist eine Partitur<br />
mit Choreografie, Bildern und Beschreibungen<br />
vorhanden. Das überrascht nicht, schließlich<br />
wurden und werden Tänze für eine bestimmte<br />
Aufführung choreografiert und primär nicht,<br />
um sie für die Nachwelt zu erhalten. Zudem gibt<br />
es kaum geeignete Analysemethoden noch ein<br />
Vokabular, mit dem sich Tanz allgemeingültig<br />
beschreiben ließe. In der Literatur, in der Architektur<br />
und auch in der Musik können wir Stilformen<br />
und Details den einzelnen Epochen zuordnen<br />
und genau benennen; bereits in der Schule<br />
lernt man, was ein Sonett ist, ein Roman, eine<br />
Novelle. Hingegen beim Tanz?<br />
Auch Choreografen sind Autoren; sie haben<br />
einen bevorzugten Wortschatz und Satzbau,<br />
pflegen eine bestimmte Kapiteldramaturgie,<br />
den Techniken nicht unähnlich, mit denen ein<br />
Schriftsteller seine Texte baut. Wie aber lassen<br />
sich die Stationen einer Choreografie vom Entstehungsprozess<br />
bis zur Dokumentation analytisch<br />
fassen? Wie erwächst die choreografischen Prozessen<br />
innewohnende Kreativität – und: Wie bildet<br />
sie sich dann im Tanz ab? Was empfindet der<br />
Künstler als ästhetisch, wie spricht sein Publikum<br />
darauf an? Antworten auf solche Fragen sucht<br />
das Tanztheaterprojekt „Dance Engaging Science“,<br />
in dem Kunst und <strong>Wissens</strong>chaft sich begegnen.<br />
In drei Workshops im Mai 2011, Februar und September<br />
2012 tauschten sich Choreografen, Tänzer,<br />
Philosophen, Theater- und Tanzwissenschaftler,<br />
Verhaltensforscher sowie Kognitions- und Neurowissenschaftler<br />
zu den Themen „Choreographic<br />
Organisation”, „Dance Phenomenology“ und<br />
„Choreographic Thinking” aus. Sie diskutierten<br />
über Choreografie, Ausdrucksformen <strong>des</strong> Tanzes,<br />
Ästhetik, Bewegungswahrnehmung und Kreativität<br />
unter künstlerischen und neurowissenschaftlichen<br />
Aspekten. Zugleich ging es immer<br />
wieder auch um die sozialen und kulturellen<br />
Implikationen von Tanz. Impressionen der<br />
Begegnungen zeigen die vorherigen Seiten.<br />
„Dance Engaging Science“ ist Teil <strong>des</strong> auf vier Jahre<br />
(2010-2013) angelegten „Motion Bank“-Projekts <strong>des</strong><br />
zeitgenössischen Tanzensembles „The Forsythe<br />
Company“, in dem die choreografische Praxis in<br />
einem breiten Kontext erforscht wird. Das Interesse<br />
reicht von der Analyse kompositorischer Methoden<br />
und von Bewegungssequenzen über den Umgang<br />
mit Musik bis hin zu Requisiten, Bühnenbildkomponenten,<br />
Beleuchtung und technischen Effekten.<br />
Partner der Forsythe Company für die von der<br />
Stiftung geförderte Workshop-Reihe sind die<br />
Berlin School of Mind and Brain an der Humboldt-<br />
Universität zu Berlin und das Max-Planck-Institut<br />
für Hirnforschung in Frankfurt am Main. Die<br />
<strong>VolkswagenStiftung</strong> unterstützt die Begleitveranstaltungen<br />
in ihrer Initiative „Offen – für Außergewöhnliches“<br />
mit rund 90.000 Euro. Das „Motion<br />
Bank“-Projekt selbst wird gefördert von der Kulturstiftung<br />
<strong>des</strong> Bun<strong>des</strong> und weiteren Partnern.<br />
Auf den Bildern der vorangehenden Seiten sind<br />
die Projektteilnehmer wiederholt zu sehen; zum<br />
festen Stamm der Arbeitsgruppe von „Dance<br />
Engaging Science“ zählen: Bettina Bläsing (Universität<br />
Bielefeld), Maaike Bleeker (Utrecht University),<br />
Dana Caspersen (The Forsythe Company),<br />
Emily Cross (Bangor University Wales), Projektleiter<br />
Scott deLahunta (The Forsythe Company),<br />
Anke Euler (Dramaturgin Tanz, München),<br />
Patrick Haggard (University College London),<br />
David Kirsh (University of California at San Diego),<br />
James Leach (University of Aberdeen), Alva Noë<br />
(University of California Berkeley), Guido Orgs<br />
(Student Tanz und Psychologie, University College<br />
London), Sandra Parker (Choreografin, Melbourne),<br />
Liane Simmel (Institut für TanzMedizin München),<br />
Wolf Singer (Max-Planck-Institut für Hirnforschung<br />
in Frankfurt am Main), Michael Steinbusch<br />
(Technische Universität Dresden), Kate Stevens<br />
(University of West Sydney), Freya Vass-Rhee<br />
(The Forsythe Company), Elizabeth Waterhouse<br />
(The Forsythe Company) und Riley Watts (The<br />
Forsythe Company).<br />
Christian Jung<br />
Die grafische Darstellung auf dieser Seite zeigt Beziehungen<br />
der Tänzerinnen und Tänzer in ihren Bewegungsabfolgen zueinander.<br />
Die Choreografie (One Flat Thing) mit ihren Einsätzen und<br />
Synchronisationsimpulsen (http://synchronousobjects.osu.edu)<br />
lässt sich so in einer anderen Dimensionalität darstellen. Die<br />
Abbildung stammt wie auch die Sequenzen auf den Seiten 10/11<br />
vom Advanced Computing Center for the Arts and Design, Dance<br />
Department, Ohio State University, USA. Diese Einrichtung gilt als<br />
führend in der grafischen Datenverarbeitung und Animation im<br />
Bereich Tanz und Tanzwissenschaft. Die Teilnehmer der Workshops<br />
konnten aus der Fülle <strong>des</strong> dort generierten Materials schöpfen.<br />
Impulse 2013 13
Auch durch diese Kabel fließt permanent digitalisiertes Wissen.<br />
Georg Brünig ist bei der <strong>VolkswagenStiftung</strong> einer der EDV-<br />
Spezialisten, die für reibungslose Datenverarbeitung sorgen –<br />
und damit für den steten Fluss von Informationen.<br />
Portale und<br />
Potenziale<br />
Auf dem Weg in eine Zukunft mit<br />
mehr Einsicht? Die <strong>Digitalisierung</strong><br />
von <strong>Wissens</strong>beständen lässt Informationen<br />
vielfältig verknüpft und<br />
umfassend sichtbar werden. Wissen<br />
digitalisieren für ein interessiertes<br />
Publikum weltweit – ein<br />
Blick von außen von Norbert<br />
Lossau, Direktor der Niedersächsischen<br />
Staats- und Universitätsbibliothek<br />
Göttingen.<br />
Impulse 2013 15
16<br />
Immer mehr kulturelle Objekte wie Bücher, Briefe, Bilder und Musik stehen<br />
in digitaler Form zur Verfügung – über entsprechende Infrastrukturen oft<br />
weltweit. Anders und vereinfacht gesagt: Unsere Gesellschaft wird immer<br />
digitaler. Das fordert auch die <strong>Wissens</strong>chaft heraus, die ihrerseits großen<br />
Bedarf hat an digitalen und retrodigitalisierten Daten. So ermöglichen<br />
global greifbare, gigantische Datenbestände zum einen neue Forschung –<br />
erfordern andererseits aber auch ein Nachdenken über Infrastrukturen, Verfügbarkeit,<br />
Langzeitarchivierung oder Qualitätssicherung digitaler Medien.<br />
Norbert Lossau über die Herausforderungen auf dem Weg in eine digitalisierte<br />
Forschungslandschaft und <strong>Wissens</strong>gesellschaft.<br />
„Wie sieht das Leben auf der Erde aus? Welche<br />
Arten hat es wann und wo gegeben und welche<br />
gibt es noch heute?“ Zunächst scheint es, als wäre<br />
eine umfassende Antwort auf derart raumgreifende<br />
Fragen nicht möglich. Doch die digitale<br />
Erfassung und Aufbereitung von Wissen und<br />
der Zugriff darauf durch viele schaffen die Datengrundlagen,<br />
um sich der Beantwortung solcher<br />
Fragen – in kleinen Schritten – zu nähern und sich<br />
auch den globalen Herausforderungen, die sich<br />
daraus ableiten mögen, stellen zu können. Wie<br />
sonst wollte man beispielsweise eines der acht von<br />
den Vereinten Nationen zu Beginn <strong>des</strong> neuen Jahrtausends<br />
formulierten Millenniumsziele erreichen,<br />
das ganz grundlegend die „Sicherung der ökologi-<br />
schen Nachhaltigkeit“ einfordert und dies nicht<br />
minder grundlegend verknüpft mit der Vorgabe,<br />
den Verlust an biologischer Vielfalt zu reduzieren?<br />
Bereits an diesem Beispiel zeigt sich, dass die digitale<br />
Modernisierung von <strong>Wissens</strong>chaft und Gesellschaft<br />
entsprechender Infrastrukturen bedarf. Eine<br />
solche Informationsinfrastruktur ist die Global<br />
Biodiversity Information Facility (GBIF), weltweit<br />
größtes Portal zum Themenfeld Biodiversität mit<br />
(Stand September 2012) knapp 380 Millionen Einträgen<br />
aus mehr als 10.000 Datenquellen aller<br />
Kontinente (www.gbif.org). <strong>Wissens</strong>chaftler aus<br />
aller Welt stellen ihre Datensätze in das Portal ein<br />
und greifen für ihre Forschung darauf zu. Der Blick<br />
Wo wird Wissen abgelegt,<br />
aufbewahrt, gespeichert? Wo<br />
finden Informationen überall<br />
ihren Platz? Diese Wandinstallation<br />
in der – im Frühjahr<br />
2012 im Weimarer Schiller-<br />
Museum gezeigten – Ausstellung<br />
„Kultur <strong>des</strong> Sinnlichen“<br />
versammelt verschiedene<br />
Behältnisse, Aufbewahrungsorte<br />
von Wissen (Copyright:<br />
Klassik Stiftung Weimar).<br />
Die Universität Göttingen ist vorn mit dabei, geht es um neue Wege bei der <strong>Digitalisierung</strong> von<br />
<strong>Wissens</strong>beständen. So hat ein Forschungsverbund unter Federführung der Staats- und Universitätsbibliothek<br />
den Zuschlag erhalten für ein mit zweieinhalb Millionen Euro gefördertes Projekt zu den<br />
„Digital Humanities“. Hier der Blick in das Innere <strong>des</strong> Bibliotheksgebäu<strong>des</strong> und einen Lesesaal.<br />
in die Historie der Arten unserer Welt wird durch<br />
die Biodiversity Heritage Library (BHL) vertieft.<br />
Fast 107.000 Bände aus naturhistorischen und<br />
botanischen Bibliothekssammlungen sind nach<br />
ihrer <strong>Digitalisierung</strong> nun online zugänglich (www.<br />
biodiversitylibrary.org). Der Nutzen potenziert sich:<br />
So lassen sich beispielsweise aktuelle Beobachtungen<br />
zu Arten und ihrer Verbreitung mit historischen<br />
Daten in einem virtuellen Forschungslabor<br />
zusammenführen und analysieren. Auf diese<br />
Weise leben historische Daten im Zuge ihrer <strong>Digitalisierung</strong><br />
ganz neu auf – und es finden sich im<br />
Abgleich mit der Gegenwart neue Erkenntnisse,<br />
Bestätigungen, Relativierungen, Widersprüche.<br />
Im Prinzip geht es immer darum, Material digital<br />
zu erfassen, zu erschließen und in neuen Kontexten<br />
nutzbar zu machen. Ein zentrales Feld bei<br />
der <strong>Digitalisierung</strong> von <strong>Wissens</strong>beständen ist die<br />
schon skizzierte Aufbereitung von Sammlungen,<br />
die dann um weitere Forschungsdaten, Proben<br />
oder einzelne Objektinformationen angereichert<br />
werden können. Auf diesem Weg erhalten Sammlungen<br />
eine nie da gewesene Sichtbarkeit und<br />
Präsenz – eine Chance etwa auch für die vielen,<br />
oft wenig bekannten Bestände von Hochschulen.<br />
Dieser Prozess er- und umfasst dabei „physische“<br />
Sammlungen von Büchern, Fotografien, Karten,<br />
Sprachaufzeichnungen, Gemälden, Mineralien,<br />
Algen oder Gewebeproben ebenso wie die genuin<br />
digitale Datenerhebung durch Messinstrumente<br />
und -apparaturen, digitale Kameras, Sensoren und<br />
anderes mehr. Einmal in digitaler Form vorhanden,<br />
lassen sich die Grenzen zwischen historischen<br />
Sammlungen und aktuell erhobenen Forschungsdaten<br />
schnell überwinden; die Informationen können<br />
in gemeinsamen Datenrepositorien gehalten<br />
und über Datenbanken erschlossen werden. Über<br />
das Internet zugängliche Computerprogramme<br />
und spezifische Applikationen ermöglichen übergreifende<br />
Suche und Zugriff, Analyse und Vernetzung<br />
– vorausgesetzt natürlich, dass erforderliche<br />
Datenerfassungs- und technische Standards bei<br />
der <strong>Digitalisierung</strong> eingehalten werden.<br />
Aus digitalen Daten puzzeln sich Lebensschicksale –<br />
mit einer Wirkung bislang unbekannter Wucht<br />
Wie wirkungsschwer eine <strong>Digitalisierung</strong> gesammelten<br />
Objekten und Informationen zu weltweiter<br />
Aufmerksamkeit verhelfen kann, schilderte<br />
eindrucksvoll der Direktor <strong>des</strong> Yad Vashem Documentation<br />
Centre in Jerusalem Chaim Gertner<br />
bei seiner Festrede im Juli 2011 in Göttingen zum<br />
Auftakt einer Tagung über Projekte, Initiativen<br />
und Perspektiven der „Digital Humanities“. Hunderttausende<br />
digitalisierte Schriftstücke, Fotografien,<br />
handschriftliche und andere Zeugnisse von<br />
Widerstandskämpfern <strong>des</strong> Warschauer Ghettos<br />
sowie Opfern <strong>des</strong> Holocaust hätten in den ersten<br />
Jahren, nachdem sie online verfügbar waren,<br />
millionenfache Zugriffe erfahren. Deutlich wurde<br />
auch, dass die <strong>Digitalisierung</strong> bestehender<br />
Sammlungen mehr ist als das bloße Einscannen<br />
von Büchern und Objekten. Um beim Beispiel der<br />
Impulse 2013 17
„Holocaust-Materialien“ zu bleiben: Hier werden<br />
Namen über semantische Annotationen mit stan<strong>des</strong>amtlichen<br />
Einträgen abgeglichen, Deportationslisten<br />
mit Nummern der Opfer verknüpft und<br />
Familien, die über große geografische Distanzen<br />
auseinandergerissen wurden, wieder in ihren Verwandtschaftsverhältnissen<br />
aufgezeigt. Erst Vernetzung,<br />
Kontextualisierung und Visualisierung<br />
also bringen digitalisierte Objekte eindrucksvoll<br />
„zum Sprechen“. So entstehen – in diesem Beispiel<br />
– aus einzelnen Objekten von Sammlungen reale<br />
Lebensschicksale mit einer bis dahin nicht da<br />
gewesenen Wirkungsintensität.<br />
Die <strong>Digitalisierung</strong> von Informationen kann<br />
folglich die Grundlage für neue Erkenntnisse<br />
schaffen und darüber hinaus auch die nichtakademische<br />
Öffentlichkeit mobilisieren. So habe<br />
sich nach Aussage Gertners vor allem durch die<br />
<strong>Digitalisierung</strong> und anschließende Bereitstellung<br />
Norbert Lossau<br />
Norbert Lossau, Jahrgang<br />
1962, studierte<br />
Finnisch-ugrische<br />
Philologie und Skandinavistik<br />
an den Universitäten<br />
Bonn und Göttingen;<br />
er wurde 1991<br />
in Göttingen promoviert.<br />
Dem Referendariat <strong>des</strong> wissenschaftlichen<br />
Bibliotheksdienstes folgten ab 1996<br />
Tätigkeiten an der Niedersächsischen Staatsund<br />
Universitätsbibliothek (SUB) Göttingen<br />
als Gründungsleiter <strong>des</strong> dortigen <strong>Digitalisierung</strong>szentrums,<br />
2001 als Gründungsleiter<br />
der Oxford Digital Library an der University<br />
of Oxford, Großbritannien. 2002 wechselte<br />
Norbert Lossau als Leitender Bibliotheksdirektor<br />
an die Universität Bielefeld, 2006<br />
kehrte er an die SUB Göttingen zurück, deren<br />
Direktor er seitdem ist. Im Februar 2011 folgte<br />
von Fotos im Internet in dem Jahrzehnt nach<br />
der Jahrtausendwende die Zahl der identifizierten<br />
Opfer <strong>des</strong> Holocaust von zwei auf fast vier<br />
Millionen nahezu verdoppelt (www.vosizneias.<br />
com/69365/2010/11/22/jerusalem-yad-vashemnearly-two-thirds-of-jewish-holocaust-victims-identified).<br />
Die Einbeziehung interessierter Laien in<br />
die Forschung etwa bei der Datensammlung und<br />
Annotation ist ein Trend, der mit der Entwicklung<br />
für jedermann verfügbarer mobiler Endgeräte und<br />
einfach zu bedienender Applikationen („Apps“)<br />
weiter zunehmen wird.<br />
Informationen werden von überall her eingespeist;<br />
das Ziel – mehr Wissen über das Leben<br />
Ein überzeugen<strong>des</strong> Beispiel hierfür ist die Encyclopedia<br />
of Life, die ebenfalls in globaler Perspektive<br />
das Thema Biodiversität fokussiert. Bereits heute<br />
die Ernennung zum Honorarprofessor an der<br />
Humboldt-Universität Berlin. Seit Anfang 2013<br />
ist er Vizepräsident der Universität Göttingen.<br />
Lossau beschäftigt sich mit neuen Paradigmen<br />
<strong>des</strong> Publizierens und Arbeitens mit digitaler<br />
Information. Sein Interesse gilt dabei insbesondere<br />
Open Access und Digital Humanities/<br />
eResearch sowie dem Aufbau nationaler und<br />
internationaler Forschungs- und Informationsinfrastrukturen.<br />
Professor Dr. Norbert Lossau<br />
ist Mitglied zahlreicher nationaler und internationaler<br />
Gremien, so im Ausschuss für wissenschaftliche<br />
Bibliotheken und Informationsversorgungssysteme<br />
der Deutschen Forschungsgemeinschaft,<br />
im Vorstand der Europäischen<br />
<strong>Wissens</strong>chaftlichen Bibliotheken, in der Arbeitsgruppe<br />
„Digitale Information in Forschung und<br />
Lehre“ der Hochschulrektorenkonferenz und der<br />
„G8 + O5 Working Group on Data“.<br />
wirken mehr als 60.000 Mitglieder daran mit,<br />
diesen Zugang zum Wissen über das Leben auf<br />
der Erde permanent auszubauen. Getragen wird<br />
das Angebot unter anderem von so renommierten<br />
Institutionen wie der Harvard University und den<br />
Smithsonian Institutes der Vereinigten Staaten<br />
von Amerika (http://eol.org). <strong>Wissens</strong>chaft und<br />
Gesellschaft bewegen sich durch die Bildung solch<br />
virtueller Communities stärker aufeinander zu.<br />
Eine neue Öffentlichkeit entsteht, die über aktive<br />
Teilhabe an wissenschaftlichen Aktivitäten das<br />
Bewusstsein für die Herausforderungen unserer<br />
Zeit tiefer in die Gesellschaft hineinträgt.<br />
Dass im Zuge der <strong>Digitalisierung</strong> verteilte <strong>Wissens</strong>bestände<br />
und Datenquellen virtuell zusammenfinden,<br />
fördert zugleich die Bildung überinstitutioneller,<br />
nationaler und internationaler<br />
Forschungsverbünde. Das Aktionsfeld Biodiversität<br />
ist ein Beispiel, Vergleichbares gilt bei der Dokumentation<br />
bedrohter Sprachen, in der Archäologie<br />
oder der Seuchenbekämpfung. Damit wird die<br />
Entwicklung umfassend kooperierender <strong>Wissens</strong>chafts-Communities<br />
weiter vorangetrieben; man<br />
kennt das bereits von der Großgeräte-Forschung<br />
etwa in der Teilchenphysik (CERN und andere wissenschaftliche<br />
Anlagen), in der Astrophysik (Riesenteleskopanlagen<br />
in Chile oder Südafrika) oder<br />
vom Einsatz der deutschen Forschungsschiffe in<br />
der Ozean-, Polar- und Tiefseeforschung.<br />
Mit der <strong>Digitalisierung</strong> <strong>des</strong> <strong>Wissens</strong> über alle<br />
<strong>Wissens</strong>chaftsdisziplinen hinweg entstehen neue<br />
Anforderungen an Forscher, Infrastruktureinrichtungen<br />
und Institutionen. Sie reichen weit<br />
über die Langzeitarchivierung, Datenbeschreibungs-<br />
und informationstechnologische Aspekte<br />
hinaus. <strong>Wissens</strong>chaftler entwickeln neue Formen<br />
<strong>des</strong> Publizierens; sie reichen von digitalen<br />
Editionen in den Geisteswissenschaften bis zur<br />
weitgehend offenen Publikation von Forschungsdaten.<br />
Damit einher gehen neue Zitationsformen,<br />
Verbreitungsprinzipien wie Open Access und die<br />
Weiterentwicklung klassischer Impact-Bewertungen.<br />
Um die teilweise kostenintensiv erstellten<br />
„Digitalisate“ beziehungsweise genuin digitalen<br />
Daten über einzelne Forschungsfragestellungen<br />
hinaus nutzen zu können, müssen Standards<br />
bei der Datenbeschreibung („Metadaten“) und<br />
in der technischen Bereitstellung (zum Beispiel<br />
Zugangsprotokolle) eingehalten werden. Das<br />
heißt alles in allem: Der traditionell geschlossene,<br />
zumeist einzelnen Vorhaben verhaftete Zyklus <strong>des</strong><br />
Forschungsprozesses wird aufgebrochen, der <strong>Wissens</strong>chaftler<br />
selbst wiederum wird zum Anbieter<br />
von <strong>Wissens</strong>ressourcen.<br />
Darüber hinaus darf nicht vergessen werden,<br />
dass im Zuge der <strong>Digitalisierung</strong> von Informationsbeständen<br />
auch Urheberrechts-, Eigentums-,<br />
Datenschutz- und Zugangsrechtefragen sowie<br />
ethische Aspekte zum Tragen kommen. Sie sind<br />
von jedem zu beachten, der Inhalte im Internet<br />
anbietet. Wem beispielsweise „gehören“ die digitalen<br />
Abbildungen von Grabungsfunden, wer hat<br />
das „Recht“, diese im Internet bereitzustellen? Was<br />
ist zu beachten bei der digitalen Bereitstellung<br />
von ethnologischen Sammlungen, wie sie auch an<br />
Universitäten zu finden sind? Wo sind Grenzen zu<br />
ziehen bei der Veröffentlichung von Erhebungen<br />
zu bestimmten Sozialfaktoren, die die Entstehung<br />
gewisser Krankheiten vermeintlich begünstigen?<br />
Wer entscheidet, mit welchen Objekten <strong>des</strong> kulturellen<br />
Erbes die Ethnie eines Mehrvölkerstaats<br />
Im Zuge der <strong>Digitalisierung</strong><br />
finden verteilte<br />
<strong>Wissens</strong>bestände<br />
und Datenquellen<br />
virtuell zusammen.<br />
Dies fördert zugleich<br />
die Bildung überinstitutioneller,<br />
nationaler<br />
und internationaler<br />
Forschungskooperationen.<br />
Die Bemühungen<br />
zur Dokumentation<br />
bedrohter<br />
Sprachen (siehe auch<br />
Beitrag ab Seite 24)<br />
sind eines von vielen<br />
Beispielen dafür.<br />
18 Impulse 2013 19
Speichermedien lösen<br />
einander in immer<br />
kürzeren Zeiträumen<br />
ab – eine Herausforderung<br />
für die dauerhafte<br />
Archivierung<br />
von Informationen.<br />
digital „repräsentiert“ wird – zum Beispiel im<br />
europäischen Kulturerbe-Portal Europeana<br />
(www.europeana.eu/portal) oder in der World<br />
Digital Library (www.wdl.org)?<br />
Neue Allianzen entstehen: von Forschern, Öffentlichkeit,<br />
<strong>Wissens</strong>chaftsförderern – nicht selten global<br />
Organisatorische und finanzielle Fragen erweitern<br />
das breite Spektrum der Anforderungen.<br />
Wie werden Hunderte und Tausende verteilter<br />
Datenquellen in einem gemeinsamen Portal<br />
zusammengefasst, sodass die Interessen der einzelnen<br />
Datenlieferanten ebenso gewahrt bleiben<br />
wie die <strong>des</strong> Gesamtportals? Entspricht das digitale<br />
Angebot einzelner „Lieferanten“ inhaltlichen und<br />
formalen Min<strong>des</strong>tstandards, und: Kann die Dauer-<br />
Digitale Texte, digitale Bibliotheken und neue<br />
Medien gehören heutzutage zu den Forschungsgegenständen<br />
vieler Geistes- und Sozialwissenschaften.<br />
Mit ihnen ändern sich aber nicht nur<br />
die zu untersuchenden Gegenstände, sondern<br />
auch die Fragestellungen der geistes- und sozialwissenschaftlichen<br />
Disziplinen und die Methoden,<br />
mit denen diese Gegenstände untersucht<br />
werden. Doch Geistes- und Sozialwissenschaft-<br />
haftigkeit der Zulieferung garantiert werden? Wer<br />
finanziert ein länderübergreifen<strong>des</strong> Kulturerbe-<br />
Portal wie Europeana, wenn die einzelnen Länder<br />
bereits nationale Portale finanzieren?<br />
Bestimmend für den (wissenschaftlichen) Erfolg<br />
und die Nachhaltigkeit digital verfügbarer und<br />
aufbereiteter <strong>Wissens</strong>bestände wird eine gelungene<br />
Einbettung in professionelle Informationsinfrastrukturen<br />
sein sowie die offene Nutzung<br />
der digitalisierten <strong>Wissens</strong>ressourcen – soweit<br />
rechtliche und ethische Aspekte dem nicht<br />
im Wege stehen (müssen). Nicht ohne Grund<br />
haben die Deutsche Forschungsgemeinschaft,<br />
die Gemeinsame <strong>Wissens</strong>chaftskonferenz von<br />
Bund und Ländern sowie der <strong>Wissens</strong>chaftsrat<br />
in den vergangenen zwei Jahren nationale und<br />
disziplinbezogene Konzepte zur Informations-<br />
Das Göttingen Centre for Digital Humanities (GCDH)<br />
ler sind oft nicht hinreichend mit computerbasierten<br />
Methoden und Verfahren vertraut; digitale<br />
Infrastrukturen vielfach unzureichend auf<br />
die Bedürfnisse der entsprechenden Forschung<br />
ausgerichtet. Auch fehlt meist eine systematische<br />
Integration computerbasierter Methodiken<br />
in die Lehre. Diese Defizite zu beheben, wurde<br />
das Göttingen Centre for Digital Humanities –<br />
kurz GCDH – gegründet.<br />
Am GCDH fließen digitale Forschungsinteressen<br />
zusammen. Sie reichen von der Ägyptologie<br />
bis zur Wirtschaftsinformatik, von der<br />
Musikwissenschaft über das Medienrecht<br />
bis zur Linguistik und Literaturwissenschaft.<br />
Aufgabe <strong>des</strong> Zentrums ist die Initiierung und<br />
Unterstützung von eResearch-Vorhaben in den<br />
Geistes- und Sozialwissenschaften, die Entwicklung<br />
geeigneter Lehre sowie die Umsetzung<br />
in digitale Infrastrukturen. Dies umfasst<br />
hoch spezialisierte Vorhaben wie ein Korpus<br />
<strong>des</strong> Koptischen ebenso wie den Aufbau virtu-<br />
infrastruktur durch Expertenrunden erstellen<br />
lassen und veröffentlicht. Auf europäischer<br />
Ebene arbeitet die Europäische Kommission an<br />
vergleichbaren Plänen für das nächste Förderprogramm<br />
„Horizon 2020“; international bilden sich<br />
– etwa mit der „G8 + O5 Working Group on Data“<br />
– vergleichbare Foren, die erste Überlegungen<br />
zu „Global Research Infrastructures“ formulieren.<br />
Die <strong>Digitalisierung</strong> von Wissen lässt somit neue<br />
Allianzen von Forschern, Infrastruktureinrichtungen<br />
und Gedächtnisinstitutionen, <strong>Wissens</strong>chaftsinstitutionen<br />
und -förderern entstehen,<br />
dabei fast immer länderübergreifend und nicht<br />
selten global. So verbinden sich Tradition und<br />
Innovation auf einzigartige Weise, und es öffnen<br />
sich Potenziale für Forschung und Gesellschaft,<br />
die es wert sind, in den kommenden Jahrzehnten<br />
kreativ genutzt zu werden.<br />
eller Forschungsumgebungen oder die Etablierung<br />
von Grid-Technologien. <strong>Wissens</strong>chaftlerinnen<br />
und <strong>Wissens</strong>chaftler erhalten hier<br />
Antworten auf Fragen zu geeigneten digitalen<br />
Methoden für ihre Vorhaben und damit Unterstützung<br />
für ihre Forschung. Gemeinsam mit<br />
dem Zentrum für Informatik werden, beginnend<br />
bei den Bachelor-Studiengängen, Lehrmodule<br />
und -inhalte entwickelt. Und letztlich<br />
nimmt sich das GCDH der Aufgabe an, digitale<br />
Infrastrukturen von Basisdiensten bis hin zu<br />
speziellen Tools zusammenzuführen.<br />
2012 war ein entscheiden<strong>des</strong> Jahr für das GCDH.<br />
So wurden die Weichen gestellt, um als Partner<br />
im Digital Research Infrastructure in the Arts<br />
and Humanities-Projekt (DARIAH) mitzuwirken<br />
am Aufbau einer erfolgreichen digitalen Forschungslandschaft<br />
in Deutschland und Europa.<br />
DARIAH zielt vor allem ab auf die Etablierung<br />
geeigneter Formen der Zusammenarbeit von<br />
Geisteswissenschaftlern unabhängig vom<br />
Der Beitrag ist eine Fortschreibung <strong>des</strong> Artikels<br />
„Sammlungen eine weltweite Stimme geben –<br />
Wie digitalisierte Archive die Forschung revolutionieren“<br />
von Gerhard Lauer und Norbert Lossau,<br />
in: Georgia Augusta, <strong>Wissens</strong>chaftsmagazin der<br />
Georg-August-Universität Göttingen, Ausgabe 8,<br />
März 2012, S. 98-105.<br />
Ort ihres Wirkens oder auf neu zu gestaltende<br />
Curricula, die Studierende auf die digitale Forschungswelt<br />
<strong>des</strong> 21. Jahrhunderts vorbereiten.<br />
Veranstaltungen runden das Engagement <strong>des</strong><br />
GCDH ab: 2012 etwa eine Summer School, eine<br />
Digital Humanities-Konferenz und eine Ringvorlesung,<br />
alle mit internationaler Beteiligung.<br />
Das von einem sechsköpfigen Vorstand geleitete<br />
GCDH wird institutionell getragen von<br />
der Staats- und Universitätsbibliothek und<br />
fünf Fakultäten der Georg-August-Universität<br />
Göttingen: der Philosophischen (federführend),<br />
Juristischen, Sozialwissenschaftlichen,<br />
Theologischen und Wirtschaftswissenschaftlichen<br />
Fakultät. Beteiligt sind zudem die<br />
Akademie der <strong>Wissens</strong>chaften zu Göttingen,<br />
die Max Planck Gesellschaft samt Max Planck<br />
Digital Library sowie die Herzog August<br />
Bibliothek Wolfenbüttel.<br />
Juan Garcés, Koordinator <strong>des</strong> GDCH<br />
Blick auf die Biodiversitätswand<br />
im<br />
Berliner Museum für<br />
Naturkunde – auch<br />
eine Form zugleich<br />
der Aufbewahrung<br />
und der Präsentation<br />
von „Informationen“.<br />
20 Impulse 2013 21
Animationen zu verschiedenen<br />
Themen<br />
bieten lehrreiche Einführungen<br />
in die Grundprinzipien<br />
der Evolution.<br />
Wasser – ein spannender<br />
Film informiert über den<br />
Ursprung allen Lebens.<br />
Kompakt<br />
Animationen über das Leben<br />
Die Geheimnisse der DNA als Trickfilm-Simulation;<br />
neuer Film zur „Evolution der Milchverträglichkeit“:<br />
Mit elf Produktionen und Lehrmaterialien ist die<br />
Website www.evolution-of-life.com gut gefüllt.<br />
Wie kommt es, dass Milch in einigen Teilen der<br />
Welt gut vertragen wird und als Gesundbrunnen<br />
gilt, anderswo den Menschen jedoch schlecht<br />
davon wird? Hat die Evolution etwas damit zu tun,<br />
ob Milch uns bekommt? <strong>Wissens</strong>chaftler haben<br />
herausgefunden, dass ein bestimmtes Gen – das<br />
Laktase-Gen – die Verträglichkeit bedingt. Erwachsene<br />
mit einer Variante <strong>des</strong> Gens können Milch<br />
verdauen, Erwachsene mit einer anderen hingegen<br />
nicht. Was genau die <strong>Wissens</strong>chaft darüber<br />
weiß, und was wir selbst wissen sollten: Darüber<br />
informiert ein gerade fertiggestellter Film auf der<br />
Website evolution-of-life.com.<br />
Die dreisprachige Website lädt ein zu einer spannenden<br />
wissenschaftlichen Entdeckungsreise<br />
durch die Evolution <strong>des</strong> Lebens. Unter den Rubriken<br />
„beobachten“, „erforschen“ und „unterrichten“<br />
zeigen anschauliche Filme, Animationen<br />
und Simulationen sowie – als wichtiges weiteres<br />
Element – kostenlos herunterladbare Lehrmaterialien,<br />
wie Evolution funktioniert. Lehrer wie<br />
Schüler finden hier neben den Filmen interessante<br />
Lehrmaterialien und Tipps für die Gestaltung<br />
eines modernen Unterrichts.<br />
„<strong>Digitalisierung</strong>“ kompakt –<br />
Nachrichten zum<br />
Schwerpunktthema<br />
So informiert beispielsweise auf evolution-of-life.<br />
com die neueste interaktive Animation „Der Fluss<br />
der genetischen Information“ über die Geheimnisse<br />
rund um die DNA und klärt Fragen wie „Wo<br />
genau im DNA-Molekül befindet sich eigentlich<br />
die genetische Information?“ „Wie wird sie von<br />
der Zelle entschlüsselt?“ Und: „Wie wird die genetische<br />
Information von der Mutterzelle an ihre<br />
Tochterzellen weitergegeben; wie bleibt die Information<br />
über die Zellteilungen hinweg erhalten?“<br />
Wie letztlich kann ein Molekül mit einer auf den<br />
ersten Blick so einfachen Struktur die gesamte<br />
genetische Information enthalten, die die Merkmale<br />
eines Individuums bestimmt? Und und und.<br />
Die Animation lässt Sie in dieses Universum eintauchen;<br />
eine spannende Entdeckungsreise, bei<br />
der so manches Geheimnis gelüftet wird.<br />
Das multimediale, internationale Projekt evolutionof-life.com<br />
von Pleuni Pennings und Yannick Mahé<br />
war einer der zwölf Gewinner <strong>des</strong> Ideenwettbewerbs<br />
„Evolution heute“ der <strong>VolkswagenStiftung</strong> im<br />
Darwinjahr 2009. Inzwischen sind eine Vielzahl von<br />
Animationen und Filmen aus dem Projekt hervorgegangen,<br />
die bei Filmfestivals weltweit mit Preisen<br />
ausgezeichnet wurden. So hat Evolution of life 2010<br />
den renommierten MEDEA Awards gewonnen, ein<br />
Wettbewerb, der herausragende kreative Leistungen<br />
in der Verwendung von Medien im Bildungsbereich<br />
auszeichnet. Alle Dokumente nebst Lehrmaterialien<br />
sind kostenlos und mit einer Lizenz (siehe Nutzungsbedingungen<br />
auf der Website) zu erhalten. Mit den<br />
beiden jetzt eingestellten Produktionen ist das Projekt<br />
abgeschlossen.<br />
Von Natur aus neugierig, begibt sich der junge Charles Darwin auf<br />
Forschungsreise um die ganze Welt. Fünf Jahre lang sammelt er,<br />
beobachtet und notiert, was er auf anderen Kontinenten entdeckt<br />
– im Zeichentrickfilm schafft er das in zehn Minuten.<br />
O-Töne aus der <strong>Wissens</strong>chaft<br />
Vier Videoporträts geben spannende Einblicke in<br />
die Arbeit von <strong>Wissens</strong>chaftlern in Rostock, London,<br />
Cape Coast (Ghana) und St. Petersburg.<br />
Besuch für Guido Dehnhardt, Manos Tsakiris,<br />
Eric Debrah Otchere und Alexander Gavrilov:<br />
Für das Jubiläumsbuch der <strong>VolkswagenStiftung</strong><br />
porträtierten vier junge Fotografen die <strong>Wissens</strong>chaftler<br />
und deren Forschung rund um die<br />
Orientierungskünste von Seehunden, die Selbstwahrnehmung<br />
<strong>des</strong> Menschen, Musikstile in<br />
Westafrika und Altphilologie in Russland.<br />
Seehund Malte und Guido Dehnhardt sind ein eingespieltes<br />
Team. Der Lichtenberg-Professor möchte herausfinden, wie<br />
sich die Tiere orientieren.<br />
Die Fotografen Fabian Fiechter, Michael Heck,<br />
Johannes Kühner und Mario Wezel ergänzten<br />
ihre Bilder vor Ort durch gefilmte Interviews<br />
mit den Forschern. So entstanden neben den<br />
Buchbeiträgen auch kurze Videoporträts, die<br />
auf der Jubiläumswebsite der <strong>VolkswagenStiftung</strong><br />
zu sehen sind (www.volkswagenstiftung-<br />
50-jahre.de). Hier finden sich auch das Jubiläumsbuch<br />
der Stiftung zum Download sowie<br />
weitere Informationen rund um das Jubiläum<br />
„50 Jahre <strong>VolkswagenStiftung</strong>“.<br />
Premiere für „Nano-Kurzfilmer"<br />
<strong>VolkswagenStiftung</strong> fördert das 1. Nano-Kurzfilm-Fes-<br />
tival. Siegerteams im Juli 2012 gekürt in Halle/Saale.<br />
Visualisierungen aus dem Nano-Kosmos – ein Thema,<br />
das längst im <strong>Wissens</strong>chafts- und Forschungsbetrieb<br />
angekommen ist. Rasante Weiterentwick-<br />
lungen elektronenoptischer und nahfeldoptischer<br />
mikroskopischer Verfahren lassen atemberaubende<br />
Bilder entstehen und ermöglichen zugleich künstlerisches<br />
Arbeiten in und mit der Nanowelt. Wie nahe<br />
dabei der Schritt zum bewegten Bild liegt, zeigten<br />
die Wettbewerbsbeiträge <strong>des</strong> 1. Nano-Kurzfilm-Festivals.<br />
Am 5. Juli 2012 wurden in Halle/Saale die drei<br />
besten Produktionen prämiert – ausgewählt vom<br />
anwesenden Publikum.<br />
Die Idee: Warum nicht abstrakte Materie in inspirierende<br />
Filmchen verpacken? Am besten gelang das<br />
dem Team von Ingo Johannsen vom Institut Polymer<br />
Composites & Bold Futures. Es überzeugte das<br />
Publikum mit dem Sciencefiction-Spot „European<br />
Augmentation Agency: Nano-Nose Update 2032“. Die<br />
Belohnung für den 1. Platz im Wettbewerb: 5.000<br />
Euro, gesponsert von Carl Zeiss Microscopy. Platz 2<br />
ging an das Team von Andreas Landefeld von der<br />
Technischen Universität Braunschweig für den Film<br />
„Nanoschmiede der Zukunft“. Der Kinderspot „Vijay<br />
und die Schalter“ vom Team um Stefan Schwarzer<br />
vom Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften<br />
Kiel wurde auf Platz 3 gewählt.<br />
Silber- und Bronzepreisträger belohnte die Bethge-<br />
Stiftung mit 3.000 beziehungsweise 2.000 Euro.<br />
Für alle, die nicht dabei sein konnten: Unter www.<br />
nanospots.de zeigt eine Filmgalerie diese Spots<br />
nebst Preisträgern. Außerdem gibt es eine DVD,<br />
die neben einem Hintergrundinterview mit dem<br />
wissenschaftlichen Koordinator Professor Dr. Ralf<br />
Wehrspohn die besten zehn Spots sowie Impressionen<br />
<strong>des</strong> 1. Nano-Kurzfilm-Festivals präsentiert<br />
– zum Selbstkostenpreis von 5 Euro (inkl. Versand)<br />
zu bestellen unter info@nanospots.de (Betreff:<br />
nanospots – die DVD). Die „Initiative nanospots –<br />
Das Nano-Kurzfilm-Festival“ wird gefördert von der<br />
<strong>VolkswagenStiftung</strong>; weitere Kooperationspartner<br />
sind Spektrum der <strong>Wissens</strong>chaft, vdi nachrichten,<br />
die Bethge-Stiftung, die Hochschule Darmstadt, Carl<br />
Zeiss Microscopy und das Mitteldeutsche Multimediazentrum.<br />
Bis 2014 sind drei Wettbewerbsrunden<br />
mit abschließenden Festivals geplant. An dem<br />
ersten nahmen sechzig Teams teil, bunt zusammengesetzt<br />
aus Forschern und Filmschaffenden.<br />
Sie freuten sich über ein<br />
erfolgreiches Festival<br />
(von links nach rechts):<br />
Dr. Franz Dettenwanger<br />
(<strong>VolkswagenStiftung</strong>),<br />
Markus Wiederspahn<br />
(Carl Zeiss Microscopy),<br />
Ingo Johannsen und<br />
Helge Fischer (beide<br />
TU Hamburg-Harburg),<br />
Professor Dr. Ralf B.<br />
Wehrspohn (Universität<br />
Halle/Saale).<br />
22 Impulse 2013 23
Er dokumentiert die bedrohte Sprache der im brasilianischen<br />
Urwald lebenden Awetí-Indianer: Sebastian Drude am digitalen<br />
Schnittplatz <strong>des</strong> Spracharchivs im Max-Planck-Institut<br />
für Psycholinguistik in Nijmegen, Niederlande. „Ich bin einer<br />
von diesen kauzigen Feldforschern, die mit Aufnahmegerät und<br />
Videokamera menschliche Sprache aufzeichnen“, scherzt er.<br />
Ein Archiv für<br />
die Sprachen<br />
der Welt<br />
Hören können, was bald stirbt:<br />
Im niederländischen Nijmegen<br />
finden bedrohte Sprachen eine<br />
digitale Heimat. Ein Besuch dort,<br />
wo das technische Herz einer<br />
weltweiten Initiative schlägt.<br />
Impulse 2013 25
26<br />
Die Grammatik und das Wör-<br />
terbuch, die Sebastian Drude<br />
erarbeiten will, werden auf<br />
einer umfangreichen Multimedia-Sprachbeschreibung<br />
und<br />
Sprachdokumentation beruhen.<br />
Der 45-jährige Linguist ist einer<br />
von weltweit wenigen in diesem<br />
Forschungsfeld.<br />
Das Awetí ist eine Tupí-Sprache,<br />
die nur noch von 170 Stammesangehörigen<br />
im brasilianischen<br />
Mato Grosso gesprochen wird.<br />
Schon seit dreizehn Jahren<br />
beschäftigt sich Drude intensiv<br />
mit der Sprache. Brasilien ist<br />
seine große Leidenschaft, seit er<br />
dort nach dem Abitur ein Freiwilliges<br />
Soziales Jahr absolvierte.<br />
„Es ist nicht nur die Sprache, es<br />
sind die Menschen selbst mit<br />
ihrer Kultur, die mich faszinieren“,<br />
sagt er.<br />
Der Forscher pendelte bis vor<br />
Kurzem zwischen Deutschland<br />
– zuletzt von der Universität<br />
Frankfurt/Main aus – und Brasilien,<br />
wo er für verschiedene<br />
Projekte als Gastforscher am<br />
Amazonien-Forschungsinstitut<br />
„Museum Goeldi“ im nordbrasilianischen<br />
Belém tätig war. Sein<br />
neuer Lebensmittelpunkt ist nun<br />
das niederländische Nijmegen<br />
und die neu eingerichtete Abteilung<br />
„The Language Archive“ am<br />
dortigen Max-Planck-Institut.
Von außen wirkt es unscheinbar<br />
und zweckmäßig: das<br />
Max-Planck-Institut für Psycholinguistik<br />
in Nijmegen (hier<br />
das Gebäude bei Nacht). Innen<br />
jedoch brodelt eine ganze Welt.<br />
Dort lagert eines der wichtigsten<br />
und spannendsten Kulturgüter<br />
der Menschheit: die Sprache.<br />
Genauer gesagt, lagern hier<br />
archivierte, digitale Daten von<br />
vielen Sprachen dieser Welt; Aufzeichnungen,<br />
die nicht zuletzt<br />
für nachfolgende Forschergenerationen<br />
bewahrt werden.<br />
Sebastian Drude im Gebäude<br />
unterwegs (oben links) und im<br />
Gespräch mit Shakila Shayan<br />
(oben rechts). Links unten:<br />
Arbeitsgruppe um Drude und<br />
Peter Wittenburg (Fünfter von<br />
rechts), der 1999 begann, das<br />
„DoBeS-Archiv“ aufzubauen.<br />
Impulse 2013 29
Sprache ist Kulturerbe. Mit ihr gibt eine Generation Wissen an die nächste<br />
weiter: über Mythen und Bräuche, aber auch über ganz gewöhnliche Alltagsrituale.<br />
Doch gut die Hälfte der weltweit etwa 6500 Sprachen ist vom Aussterben<br />
bedroht – viele werden nur noch von ein paar Dutzend Menschen<br />
gesprochen und nicht mehr von den Eltern an die Kinder weitergegeben.<br />
Im niederländischen Nijmegen haben engagierte <strong>Wissens</strong>chaftler mithilfe<br />
der Förderinitiative „Dokumentation bedrohter Sprachen“ (DoBeS) der <strong>VolkswagenStiftung</strong><br />
ein digitales Archiv für das Kulturgut Sprache aufgebaut.<br />
Kulturerbe versteckt sich manchmal in einem<br />
unscheinbaren Gewand. Das Gebäude <strong>des</strong> Max-<br />
Planck-Instituts (MPI) für Psycholinguistik im<br />
niederländischen Nijmegen hat von außen den<br />
zweckmäßig-langweiligen Charme eines Kreiskrankenhauses<br />
aus den 1980er Jahren. Man würde<br />
nicht vermuten, das es eines der wichtigsten<br />
und spannendsten Kulturgüter der Menschheit<br />
beherbergt: die Sprache. Genauer gesagt, The<br />
Language Archive, eine neue Einrichtung, die es<br />
sich zur Aufgabe gemacht hat, digitale Daten von<br />
den Sprachen dieser Welt zu archivieren und für<br />
nachfolgende Forschergenerationen zu bewahren.<br />
Fünf starke Partner haben diese digitale Arche<br />
Noah im Herbst 2011 an den Start gebracht: das<br />
MPI in Nijmegen, die Max-Planck-Gesellschaft, die<br />
Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissen-<br />
schaften, die Königlich-Niederländische Akademie<br />
der <strong>Wissens</strong>chaften und, als Impulsgeberin, die<br />
<strong>VolkswagenStiftung</strong>.<br />
<strong>Wissens</strong>chaftler schätzen, dass es weltweit rund<br />
6500 Sprachen gibt, von denen über die Hälfte<br />
bis zum Ende dieses Jahrhunderts ausgestorben<br />
oder in ihrer Existenz stark gefährdet sein dürfte.<br />
Manche werden bereits heute nur noch von einer<br />
Handvoll Menschen gesprochen und verstanden.<br />
Rund um den Erdball haben <strong>des</strong>halb in den vergangenen<br />
zwölf Jahren engagierte Forscherteams mit<br />
Unterstützung der <strong>VolkswagenStiftung</strong> daran gearbeitet,<br />
dieses im Verschwinden begriffene Kulturerbe<br />
über die mündliche Überlieferung hinaus greifund<br />
haltbar zu machen. „In jedem einzelnen Fall<br />
ist das eine große Herausforderung, denn für sehr<br />
Seit Mitte der 1970er Jahre<br />
arbeitet der gebürtige Holsteiner<br />
Peter Wittenburg<br />
bereits in Nijmegen. Dem<br />
Ingenieur und Softwareexperten<br />
ist es mit zu verdanken,<br />
dass es weltweit inzwischen<br />
etwa ein Dutzend<br />
Mini-Ableger <strong>des</strong> DoBeS-<br />
Archivs gibt: unter anderen<br />
in Brasilien, Peru, Mexiko,<br />
Australien und Russland.<br />
viele der bedrohten Sprachen existiert weder eine<br />
Orthografie noch eine Grammatik“, sagt Dr. Vera<br />
Szöllösi-Brenig, die als verantwortliche Programm-<br />
Managerin die Initiative von Beginn an gestaltet<br />
hat. Insgesamt hat die Stiftung seit der Jahrtausendwende<br />
in 72 zum Teil mehrphasigen Projekten<br />
die Dokumentation und technische Aufbereitung<br />
von rund hundert Sprachen ermöglicht.<br />
Auf allen Kontinenten waren Forscher unterwegs,<br />
Sprachen zu erfassen und wissenschaftlich aufzubereiten:<br />
beispielsweise in Brasilien bei den Awetí,<br />
den Wichita in Nordamerika, bei den im Kaukasus<br />
beheimateten Uden – oder den !Xõo in Namibia,<br />
um dort die Geheimnisse einer Klicksprache zu<br />
ergründen. Auch Europa ist mit einem in Portugal<br />
angesiedelten Dokumentationsvorhaben vertreten.<br />
Ein geografischer Hotspot ist der australischpazifische<br />
Raum; die fernöstlichen Inselwelten<br />
bis in die Südsee beheimaten eine Fülle unerforschter,<br />
linguistisch sehr interessanter und teils<br />
extrem bedrohter Sprachen. Den <strong>Wissens</strong>chaftlern<br />
standen und stehen dabei vor Ort engagierte<br />
einheimische Mitarbeiter zur Seite, die bei der<br />
Annäherung an die fremden Sprachen wertvolle<br />
Hilfe leisten. Zu Projektbeginn werden zudem alle<br />
beteiligten Forscherinnen und Forscher in intensiven<br />
Trainings auf die technischen wie kulturell<br />
bedingten Herausforderungen einer jeweiligen<br />
Sprachdokumentation vorbereitet.<br />
Mit der Dokumentation einer bedrohten Sprache<br />
ist viel gewonnen, doch das ist nur ein erster<br />
Schritt. Im Anschluss wird diese akribisch mit all<br />
ihren Besonderheiten untersucht. Auf der Grund-<br />
lage ihrer Erkenntnisse entwickeln die Forscher<br />
dann beispielsweise – im Optimalfall wieder<br />
gemeinsam mit Partnern vor Ort – eine Orthografie<br />
und Beschreibung (Grammatik) der Sprache<br />
oder auch Schulbücher, mit denen die Kinder die<br />
Sprache ihrer Eltern und Großeltern nicht nur in<br />
Wort, sondern zugleich in Schrift lernen können.<br />
Vor allem aber: Die <strong>Wissens</strong>chaftler hinterlegen<br />
im DoBeS-Sprachenarchiv Audio- und Videoaufnahmen,<br />
die ein lebendiges Bild der Sprache, <strong>des</strong><br />
Alltagslebens und der Kultur der indigenen Bevölkerung<br />
festhalten. Und die von dieser jederzeit<br />
selbst abgerufen und genutzt werden können.<br />
Das digitale Archiv ist das zentrale Projekt und<br />
das technische Herzstück der DoBeS-Initiative und<br />
wurde von der <strong>VolkswagenStiftung</strong> über die Jahre<br />
mit rund drei Millionen Euro gefördert. In Nijmegen<br />
laufen die Fäden aller Dokumentationsvorhaben<br />
zusammen, deren Erfassung bestimmten<br />
Standards zu genügen hat. Auf diese Weise sind<br />
die Sprachdaten und -beschreibungen – größtenteils<br />
– auch für andere Forscher leicht abruf- und<br />
lesbar. Das DoBeS-Archiv wiederum ist zentraler<br />
Bestandteil <strong>des</strong> unlängst gegründeten Language<br />
Archive, das technisch sozusagen auf dem DoBeS-<br />
Fundament erbaut wurde und von den Erfahrungen,<br />
die damit gemacht wurden, profitiert. Auch<br />
Daten anderer <strong>Wissens</strong>chaftler <strong>des</strong> Max-Planck-<br />
Instituts und weltweit von weiteren Einrichtungen,<br />
die sich mit der Erforschung von Sprache<br />
beschäftigen, können hier gespeichert werden.<br />
„Zunehmend mehr Kollegen, die um den Verlust<br />
ihrer oft schon Jahrzehnte alten Aufnahmen auf<br />
In Peter Wittenburgs<br />
Büro sorgen ein paar<br />
kleine bunte Kult-<br />
Figürchen auf der<br />
Fensterbank für Farbtupfer.<br />
Er hat sie von<br />
seinen Reisen nach<br />
Brasilien, Peru oder<br />
Polen mitgebracht.<br />
Meist jedoch findet<br />
man ihn inmitten<br />
seiner Forscherkollegen<br />
wie hier in der<br />
Instituts-Caféteria.<br />
30 Impulse 2013 31
analogen Datenträgern fürchten, überlassen uns<br />
ihre Ton- und Bilddokumente zur <strong>Digitalisierung</strong><br />
und Verwahrung“, sagt Sebastian Drude, der seit<br />
Kurzem das Language Archive gemeinsam mit<br />
seinem niederländischen Kollegen Daan Broeder<br />
leitet. So habe etwa der berühmte Verhaltensforscher<br />
Irenäus Eibl-Eibesfeldt seine gesamten<br />
Aufnahmen aus Papua-Neuguinea in Nijmegen<br />
sichern lassen. „Das ist ein solch riesiges Datenvolumen,<br />
dass wir damit Jahre beschäftigt sind“,<br />
freut sich Drude.<br />
Der Linguist wurde selbst mit einem DoBeS-<br />
Projekt gefördert und war zudem einige Jahre<br />
Dilthey-Fellow der Stiftung in der Initiative „Pro<br />
Geisteswissenschaften“. Drude beschäftigt sich<br />
seit Ende der 1990er Jahre mit der Sprache der<br />
Awetí, einer brasilianische Tupí-Sprache, die von<br />
etwa 170 Menschen im Gebiet <strong>des</strong> Xingú-Flusses<br />
im Mato Grosso-Gebiet gesprochen wird. Auch<br />
im Deutschen finden sich Spuren davon: „Maracuja“<br />
etwa oder „Jaguar“ sind Tupí-Wörter. Brasilien<br />
ist Dru<strong>des</strong> große Leidenschaft, seit er dort<br />
Die „DoBeS-Initiative“ – eine Erfolgsgeschichte<br />
Die Initiative „Dokumentation bedrohter<br />
Sprachen“ ist zweifelsohne eine Erfolgsgeschichte:<br />
Als Mitte 2012 die letzten Projekte<br />
von der Stiftung auf den Weg gebracht wurden,<br />
hatte sich die Zahl der Bewilligungen<br />
seit dem Startschuss zur Jahrtausendwende<br />
auf rund 150 summiert. Fast 28 Millionen<br />
Euro standen für diese Vorhaben insgesamt<br />
bereit – darunter nicht nur Sprachdokumentationsprojekte,<br />
sondern auch Veranstaltungen<br />
und Aktivitäten zum Archivaufbau und<br />
zur Toolentwicklung. Zu erwähnen noch: Die<br />
Stiftung hat in der Schlussphase der Förderinitiative<br />
neben Dokumentationsvorhaben<br />
auch Projekte unterstützt, die die in mehr<br />
als einem Jahrzehnt entstandenen Sprachkorpora<br />
vergleichend analysieren.<br />
nach dem Abitur ein Freiwilliges Soziales Jahr<br />
absolvierte. Damals erwachte auch sein Interesse<br />
an den indigenen Sprachen Südamerikas. „Es ist<br />
aber nicht nur die Sprache, es sind die Menschen<br />
selbst mit ihrer Kultur, die mich faszinieren.“<br />
Der 45-Jährige hat gerade erst die Leitung <strong>des</strong><br />
Archivs von Peter Wittenburg übernommen.<br />
Der Ingenieur und Softwareexperte Wittenburg<br />
begann im Jahr 1999, das DoBeS-Archiv – und später<br />
auch das Language Archive – aufzubauen. Zur<br />
Dokumentation und Beschreibung von Sprachen<br />
entwickelte er im Verbund mit seinem internationalen<br />
Team die Software ELAN, die bis heute kontinuierlich<br />
optimiert wird. ELAN ist inzwischen<br />
das für diesen Zweck weltweit wohl am häufigsten<br />
verwendete Tool. Es wurde als sogenannte<br />
Freeware entwickelt und kann von jedem interessierten<br />
Forscher kostenlos zur Nutzung heruntergeladen<br />
werden. Neben der Transkription und der<br />
Übersetzung lassen sich einem Datensatz noch<br />
zahlreiche weitere sogenannte Annotationszeilen<br />
für die spätere Analyse der Audio- und Videoauf-<br />
Das Engagement zur Dokumentation bedrohter<br />
Sprachen kann das Sprachensterben als Folge<br />
der kulturellen Globalisierung nicht aufhalten.<br />
Doch was mit Videokamera, Rekorder, Fotoapparat,<br />
Notizblock und anderen Hilfsmitteln in<br />
den vergangenen Jahren aufgezeichnet wurde,<br />
entreißt die Zeugnisse der vielfach nur mündlich<br />
vermittelten Sprachkulturen dem spurlosen<br />
Verschwinden und bewahrt sie als Teil <strong>des</strong><br />
kulturellen Gedächtnisses unserer Welt. Frei<br />
zugänglich sind die archivierten Sprachdokumentationen<br />
über die Internetseite <strong>des</strong> Max-<br />
Planck-Instituts für Psycholinguistik in Nijmegen<br />
unter www.mpi.nl/DOBES. Dort findet sich<br />
auch eine Weltkarte, die zeigt, welche Sprachen<br />
in der DoBeS-Initiative der Stiftung erforscht<br />
und dokumentiert wurden und werden. cj<br />
nahmen hinzufügen: unter anderem zur Phonetik<br />
und zur Morphosyntax <strong>des</strong> Gesprochenen oder zur<br />
Gestik der Sprechenden.<br />
„Der Weg zu einem Datensatz, mit dem ja später<br />
auch andere Forscher etwas anfangen können<br />
müssen, ist manchmal ziemlich schwierig – vor<br />
allem, wenn für die untersuchte Sprache zu Beginn<br />
noch keine Orthografie existiert“, gibt Drude zu<br />
bedenken. Die schriftliche Darstellung etwa von<br />
Tönen und Klicklauten südafrikanischer Sprachen<br />
sei oft kniffelig: Denn wie stellt man so etwas<br />
orthografisch dar? „Die <strong>Wissens</strong>chaftler müssen<br />
dann manchmal etwas improvisieren und unterschiedliche<br />
Akzente verwenden oder Tonbuchstaben<br />
neben den Laut setzen, um zu kennzeichnen, in<br />
welcher Tonlage er ausgesprochen wird.“<br />
„Wir können noch nicht genau sagen, für wen,<br />
außer uns Linguisten, diese Datenbank später einmal<br />
interessant sein und was damit erforscht werden<br />
wird“, sagt Drude. Aber gerade das macht für<br />
Zur Dokumentation und Beschreibung von Sprachen entwickelte<br />
Peter Wittenburg (links) mit seinem Team eine eigene Software:<br />
ELAN. Es ist inzwischen das für diesen Zweck weltweit wohl am<br />
häufigsten verwendete Tool. Sein Engagement auf diesem Feld<br />
brachte ihm international hohe Anerkennung ein.<br />
ihn die Arbeit am Archiv so spannend. „In jedem<br />
Fall zeichnet sich ab, dass auch für Ethnologen oder<br />
Ethnomusikologen, für Verhaltensforscher, Psychologen<br />
und Neurowissenschaftler das Archiv eine<br />
wertvolle Anlaufstelle ist für Recherchen jeder Art.“<br />
Möchte ein Forscher beispielsweise vergleichen,<br />
welche Begriffe für „Medizin“ oder für „Tod“ die<br />
Menschen im brasilianischen Xingú-Gebiet oder<br />
auf Papua-Neuguinea verwenden, welche Gesten<br />
sie beim Sprechen machen und welche kulturellen<br />
Rückschlüsse man daraus ziehen kann, lässt sich<br />
dies im Language Archive gezielt recherchieren.<br />
Das Archiv umfasst derzeit ein Datenvolumen von<br />
etwa 80 Terabyte. Min<strong>des</strong>tens 150 Sprachen – zwei<br />
Drittel aus dem Kontext der DoBeS-Initiative – sind<br />
direkt in Dateien nachgewiesen, über 200 werden<br />
in den Metadaten erwähnt.<br />
Nijmegen ist ein guter<br />
Platz zum Forschen<br />
– und zum Leben.<br />
Immer mal wieder<br />
verlagern sich die<br />
Gespräche mit Kollegen<br />
auch aus dem<br />
Institut heraus.<br />
32 Impulse 2013 33
Der elektronische Puls <strong>des</strong> Archivs schlägt im<br />
Souterrain <strong>des</strong> Max-Planck-Instituts: In einem<br />
Kellerraum steht ein surrender Großrechner. Was<br />
passiert, wenn der mal zusammenbricht? Peter<br />
Wittenburg lächelt: „Ich kann trotzdem ruhig<br />
schlafen. Es existieren insgesamt sechs Kopien <strong>des</strong><br />
Archivs: Zwei hier bei uns, und je weitere zwei werden<br />
vom Rechenzentrum der Max-Planck-Gesellschaft<br />
in Garching und von der Gesellschaft für<br />
wissenschaftliche Datenverarbeitung in Göttingen<br />
erzeugt und gepflegt.“ Kopfzerbrechen hingegen<br />
bereitet ihm und seinen Kollegen die Optimierung<br />
von LAMUS, der Repository-Software <strong>des</strong> Archivs.<br />
Diese soll künftig die gezielte Pflege von Daten<br />
noch besser unterstützen können. Als Repository-<br />
Software bezeichnet man die Speichersoftware, die<br />
dafür sorgen soll, dass alle eingehenden Daten auf<br />
einheitliche Normen hin überprüft und gespeichert<br />
werden, sodass der Zugriff darauf auch in zwanzig,<br />
dreißig und mehr Jahren noch problemlos möglich<br />
ist. Die größte Herausforderung ist der rasante<br />
technische Wandel, der Dateienformate schnell<br />
veralten und somit unlesbar werden lässt. „Wichtig<br />
ist, dass wir eine intelligente Steuerung haben und<br />
alle Daten automatisch – quasi per Knopfdruck – zu<br />
einem bestimmten Zeitpunkt in ein aktuelles Format<br />
konvertieren können“, erläutert Wittenburg.<br />
Diesem Problem müssen sich zum Beispiel auch<br />
<strong>Wissens</strong>chaftler stellen, die mit seismologischen<br />
und vulkanologischen Daten umgehen. Auch solche<br />
Angaben sollen über einen langen Zeitraum<br />
abrufbar bleiben. „Die Kollegen haben großes<br />
Interesse an einer Software, die die Datenpflege<br />
unterstützt, und lassen sie sich gern von uns<br />
erläutern“, berichtet Peter Wittenburg und ist<br />
sichtlich erfreut darüber, dass das Spracharchiv<br />
mit seiner Technik ein Trendsetter in Sachen wissenschaftlicher<br />
Datenarchivierung ist.<br />
Seit Mitte der 1970er Jahre arbeitet der gebürtige<br />
Holsteiner bereits in Nijmegen. In seinem<br />
winzigen, nach sehr viel Arbeit aussehenden<br />
Büro sorgen nur ein paar kleine bunte Kult-<br />
Figürchen auf der Fensterbank für Farbtupfer.<br />
Wittenburg hat sie von seinen Reisen nach<br />
Brasilien, Peru oder Polen mitgebracht. Er selbst<br />
ist zwar nie mit Aufnahmegerät oder Videokamera<br />
ins Amazonasgebiet oder in den Kaukasus<br />
gezogen, war aber trotzdem viel im Ausland<br />
unterwegs. „Es gibt mittlerweile etwa ein Dutzend<br />
Mini-Ableger <strong>des</strong> DoBeS-Archivs: unter<br />
anderen in Brasilien, Peru, Mexiko, Australien<br />
und Russland. Und damit auch dort die Speichersoftware<br />
reibungslos läuft, machen wir<br />
natürlich Schulungen mit den Kollegen“, sagt er<br />
und fügt hinzu: „Das ist eine Möglichkeit, wie<br />
wir den Menschen, die sich für unsere Projekte<br />
zur Verfügung gestellt haben, etwas zurückgeben<br />
können. Indem wir deutlich machen: Das ist<br />
euer Archiv!“<br />
Der respektvolle Umgang mit den Menschen,<br />
deren Sprache die DoBeS-<strong>Wissens</strong>chaftler erforschen,<br />
und die äußerst sensible Handhabung<br />
und Weiterverwendung der Film- und Tondaten<br />
sind ohnehin ein Muss. Grundlegen<strong>des</strong><br />
ist festgehalten in einem „Code of Conduct“,<br />
dem sich alle Forscher und DoBeS-Mitarbeiter<br />
verpflichten. „Vorbildlich finde ich zudem, dass<br />
Teile der Projektfördermittel für eine Unterstützung<br />
der indigenen Bevölkerung verwendet<br />
werden können; zum Beispiel, um ein Schulbuch<br />
zu erstellen“, sagt Sebastian Drude. „Seine“<br />
brasilianischen Awetí sind <strong>des</strong>halb inzwischen<br />
in der Lage, eigenständig weiterzuarbeiten; sie<br />
produzieren beispielsweise mit dem erforderlichen<br />
technischen Equipment Audio- und Videodokumente<br />
und speichern diese auf DVDs.<br />
Regelmäßig werden auch native speakers der<br />
bedrohten Sprachen zum jährlich stattfindenden<br />
DoBeS-Workshop nach Nijmegen eingeladen. „Es<br />
ist wichtig, dass sie erleben, was wir hier machen<br />
und worüber wir diskutieren – und wo und wie<br />
ihre Sprachdaten abgelegt werden“, betont Peter<br />
Wittenburg. Bei dem Treffen im Juli 2012 war zum<br />
Beispiel mit Della Bad Wound eine Vertreterin<br />
Abschlusskonferenz zur „DoBeS-Initiative“<br />
Zum Abschluss der Förderinitiative „Dokumentation<br />
bedrohter Sprachen“ findet vom 4. bis<br />
7. Juni 2013 im künftigen Tagungszentrum<br />
Schloss Herrenhausen in Hannover die Konferenz<br />
„Language Documentation: Past – Present<br />
– Future“ statt. Dort werden sich nicht nur die<br />
<strong>Wissens</strong>chaftlerinnen und <strong>Wissens</strong>chaftler der<br />
geförderten Vorhaben austauschen; die Tagung<br />
hält auch für die Öffentlichkeit Interessantes<br />
bereit. Am Eröffnungsabend, dem 4. Juni 2013,<br />
nehmen Ulrike Mosel und der Australier Nicholas<br />
Evans die Zuhörer mit auf eine fulminante<br />
Reise rund um den Globus zu den bedrohten<br />
Sprachen dieser Welt. Professorin Ulrike Mosel<br />
aus Kiel ist eine der international renommiertesten<br />
Forscherinnen auf dem Gebiet, die<br />
mehrere Sprachdokumentationsprojekte in der<br />
pazifischen Inselwelt leitet und dabei auch junge<br />
<strong>Wissens</strong>chaftler an dieses Feld heranführt.<br />
Wie dokumentiere ich eine Sprache? Wie lege ich die Daten<br />
richtig im Spracharchiv ab? Das lernen junge <strong>Wissens</strong>chaftlerinnen<br />
und <strong>Wissens</strong>chaftler bei Workshops, die regelmäßig<br />
im Max-Planck-Institut in Nijmegen stattfinden.<br />
der US-amerikanischen Lakota zu Gast, die nun<br />
ebenfalls ihre Daten in Nijmegen speichern<br />
wollen. Ohnehin seien die Workshops immer ein<br />
Höhepunkt <strong>des</strong> Jahres, schwärmt Wittenburg. Die<br />
Atmosphäre sei offen und inspirierend. Wie bei<br />
einem Klassentreffen freue man sich, die Kollegen<br />
wiederzusehen, und tausche sich über Projekte<br />
und technische Herausforderungen aus – und<br />
natürlich über die Erlebnisse in allen Winkeln<br />
dieser Welt. Vor allem: Gerade junge Nachwuchswissenschaftlerinnen<br />
und -wissenschaftler meldeten<br />
sich hier ausführlich zu Wort. Das hat auch<br />
Stiftungsmitarbeiterin Vera Szöllösi-Brenig immer<br />
wieder beobachtet: „Die nachhaltigen Standards,<br />
die das DoBeS-Programm geschaffen und gesetzt<br />
hat, gehen auf die nächste und übernächste Forschergeneration<br />
über!“ Und so weiß sie denn<br />
„ihre“ Initiative für die nächsten Jahre auch auf<br />
einem guten Weg.<br />
Mareike Knoke<br />
Nicholas Evans ist einer breiteren Öffentlichkeit<br />
bekannt durch sein Buch „Dying words“, das die<br />
Stiftung zur Tagung ins Deutsche übersetzen<br />
lässt. Evans beschreibt dort so anschaulich wie<br />
lebendig, dass jede Sprache ihre eigene Philosophie<br />
und kulturellen Implikationen besitzt.<br />
Er stellt die Frage nach dem Verlust, der dem<br />
kulturellen Erbe der Menschheit zugefügt wird<br />
beim Sterben jeder einzelnen Sprache. Indem<br />
er einige – letzte – Sprecher extrem bedrohter<br />
Sprachen zu Wort kommen lässt und Anekdoten<br />
über „Sprachforscher im Feld“ und deren<br />
Arbeit erzählt, beginnt eine Welt aufzuscheinen,<br />
die bislang weitgehend im Verborgenen blieb.<br />
„Dying words“ zeigt mit einer Fülle an Beispielen<br />
auch aus Evans' eigener Feldforschung bei den<br />
australischen Aborigines den Reichtum und<br />
die Faszination der kulturellen Vielfalt, die uns<br />
umgibt und die sich in Sprache ausdrückt. cj<br />
34 Impulse 2013 35
Ein eingespieltes Team leitet das Hermann von Helmholtz-Zentrum<br />
für Kulturtechnik an der Humboldt-Universität zu Berlin: die Germanistin<br />
Cornelia Weber und der Mathematiker Jochen Brüning.<br />
Wunderkammern<br />
der<br />
<strong>Wissens</strong>chaft<br />
Die <strong>Digitalisierung</strong> von Sammlungen<br />
und Archiven gibt diesen<br />
eine weltweite Sichtbarkeit.<br />
Das steigert ihre Bedeutung<br />
für Forschung und Gesellschaft<br />
erheblich. Ein Blick nach Berlin.<br />
Impulse 2013 37
Deutsche Hochschulen gelten als chronisch unterfinanziert. Und dennoch<br />
sind sie reich: Denn ihre wissenschaftlichen Sammlungen beherbergen<br />
Objekte, die Forscher über Jahrhunderte zusammengetragen haben und<br />
die auch für heutige <strong>Wissens</strong>chaftlerinnen und <strong>Wissens</strong>chaftler von großem<br />
Wert sind. Die Humboldt-Universität Berlin ist die erste Hochschule,<br />
die ihre Sammlungen umfassend systematisch erschlossen und für die<br />
Öffentlichkeit zugänglich gemacht hat. Starthilfe bekamen ihre „Kabinette<br />
<strong>des</strong> <strong>Wissens</strong>“ von der <strong>VolkswagenStiftung</strong>.<br />
Auch gestandene <strong>Wissens</strong>chaftler haben das<br />
Staunen nicht verlernt. „Meine Kollegen und ich<br />
waren ziemlich aufgeregt, als wir von dem Fund<br />
hörten und ihn dann tatsächlich vor uns gesehen<br />
haben“, erinnert sich Jochen Brüning. Der<br />
Mathematiker ist Professor für Analysis an der<br />
Humboldt-Universität (HU) Berlin und zugleich<br />
Direktor <strong>des</strong> dort beheimateten Hermann von<br />
Helmholtz-Zentrums für Kulturtechnik. „Der<br />
Fund“ war nichts Geringeres als die Totenmaske<br />
Immanuel Kants. Der offenbar einzig erhalten<br />
gebliebene Originalabguss <strong>des</strong> Philosophenantlitzes<br />
fand sich 1999 – rein zufällig – in den<br />
Beständen der Anatomischen Sammlung der<br />
Humboldt-Universität, die heute Teil der Sammlungen<br />
der Berliner Charité sind.<br />
Das Abbild <strong>des</strong> berühmten Gesichts ist inzwischen<br />
für jeden mit ein paar Mausklicks in der<br />
großen Online-Datenbank „Kabinette <strong>des</strong> <strong>Wissens</strong>“<br />
recherchier- und auffindbar. Dahinter steht<br />
ein wegweisen<strong>des</strong> Pilotprojekt der Humboldt-<br />
Universität: Wie die Hochschule ihre Sammlungen<br />
nicht nur für die <strong>Wissens</strong>chaft, sondern auch<br />
für die Öffentlichkeit transparent und verfügbar<br />
macht, hat in Deutschland Modellcharakter. Mittlerweile<br />
sind einige Universitäten dem Beispiel<br />
gefolgt und arbeiten – wie beispielsweise die<br />
Göttinger Alma mater – ebenfalls erfolgreich an<br />
der <strong>Digitalisierung</strong> ihrer Schätze.<br />
Die <strong>VolkswagenStiftung</strong> hat das HU-Projekt ein<br />
Jahrzehnt lang mit 930.000 Euro startfinanziert.<br />
Die mithilfe der Mittel entwickelte Datenbank<br />
enthält Teile der zahlreichen Sammlungen der<br />
Humboldt-Universität: vom Notenblatt bis zum<br />
Insekt, vom Herzmuskel bis zum Ziegenschädel.<br />
Jochen Brüning koordinierte ein interdisziplinäres<br />
Team aus Historikern, Informatikern, Musikethnologen,<br />
Literatur- und Naturwissenschaftlern sowie<br />
Archivaren, das 1998 im Auftrag der früheren<br />
Uni-Präsidentin Marlis Dürkop damit begonnen<br />
Blick in eine Vitrine der Zoologischen<br />
Lehrsammlung der<br />
Humboldt-Universität. Auch<br />
Bestände dieser Sammlung<br />
sind als Datensätze digital<br />
erfasst und nunmehr in den<br />
„Kabinetten <strong>des</strong> <strong>Wissens</strong>“<br />
einem interessierten Publikum<br />
online zugänglich.<br />
Cornelia Weber und Jochen Brüning, hier zu Besuch in der Zoologischen Lehrsammlung, leisteten<br />
und leisten in Berlin erfolgreiche Gründungs- und Pionierarbeit, die inzwischen auch Universitätsmuseen<br />
und -sammlungen weltweit zugutekommt.<br />
hatte, die Sammlungen zu sichten, zu ordnen<br />
und zu digitalisieren. Eigens dafür – sozusagen<br />
als interdisziplinärer Knotenpunkt zwischen den<br />
Fakultäten – wurde das Hermann von Helmholtz-<br />
Zentrum für Kulturtechnik eingerichtet.<br />
Das Zentrum hat seine Aktivitäten seither stetig<br />
ausgeweitet und ist international bestens vernetzt.<br />
Neben dem Gründungsprojekt „Kabinette<br />
<strong>des</strong> <strong>Wissens</strong>“ kamen im Bereich „<strong>Wissens</strong>chaftliche<br />
Sammlungen“ mehrere Datenbankprojekte<br />
hinzu, die sich überregional mit Universitätssammlungen<br />
befassen; zudem sind aus verschiedenen<br />
Fakultäten weitere Bereiche wie „Das<br />
Technische Bild“ und „Theorie und Geschichte<br />
der Kulturtechniken“ mit dem Zentrum verknüpft.<br />
Und das neue Exzellenzcluster „Bild Wissen<br />
Gestaltung“ der frisch gekürten Elite-Universität<br />
wird ebenso am Zentrum beheimatet sein wie<br />
ein Masterstudiengang, der sich noch in der Planungsphase<br />
befindet. Viele der Aktivitäten sind<br />
auf die eine oder andere Weise Folge der Initialzündung,<br />
die seinerzeit von der Stiftung kam.<br />
Drei Räume stehen im Hauptgebäude der HU für<br />
die Verwaltung und Koordinierung der Projekte<br />
zur Verfügung. Eines nutzt Jochen Brüning, der<br />
zwischen seinen Verpflichtungen als Mathematikprofessor<br />
in Berlin-Adlershof und dem<br />
Zentrum pendelt. Im anderen sitzt die Geschäftsführerin<br />
Dr. Cornelia Weber. Im dritten findet das<br />
Sekretariat Platz. Brüning und Weber kannten<br />
und schätzten sich bereits vor ihrer Arbeit am<br />
Zentrum: Sie hatten zuvor erfolgreiche Grün-<br />
dungsarbeit am Institut für Europäische Kulturgeschichte<br />
der Universität Augsburg geleistet.<br />
Die „Kabinette <strong>des</strong> <strong>Wissens</strong>“ öffneten ihre virtuellen<br />
Pforten im Jahr 2007. Rund 15.000 Datensätze<br />
sind derzeit als Fotos, Mikrofotografien,<br />
Scans oder Tondateien gespeichert. Erfasst sind<br />
Teile <strong>des</strong> Medizinhistorischen Museums, die<br />
Porträtsammlung Berliner Hochschullehrer, herausragende<br />
Grafiken der Universitätsbibliothek,<br />
Teile der Zoologischen Lehrsammlung, bedeutende<br />
Grafiken aus dem Museum für Naturkunde,<br />
das komplette „Lautarchiv“ – sowie Exponate der<br />
großen Universitätsausstellung „Theatrum naturae<br />
et artis. Wunderkammern <strong>des</strong> <strong>Wissens</strong>“, die<br />
2000/2001 im Martin-Gropius-Bau zu sehen war.<br />
Allein das Lautarchiv ist eine Wunderkammer:<br />
Tondokumente aus der ersten Hälfte <strong>des</strong> 20.<br />
Jahrhunderts – gesprochene Sprache und Gesang<br />
– sind auf 7500 Schellack-Platten verewigt. Darunter<br />
Originaltöne von Berühmtheiten wie Max<br />
Planck oder Kaiser Wilhelm II. Als Raritäten gelten<br />
Tondokumente in 250 verschiedenen Sprachen<br />
von internierten Soldaten in deutschen Kriegsgefangenenlagern<br />
während <strong>des</strong> Ersten Weltkriegs:<br />
alle ordentlich transkribiert, übersetzt und mit<br />
wissenschaftlichen Zusatzdaten versehen zum<br />
Geschlecht, Alter, sozialen Stand <strong>des</strong> Vortragenden<br />
sowie zu Ort und Zeitpunkt der Aufnahme. Die<br />
Aufzeichnungen ziehen Forscher aus aller Welt an.<br />
„Das British Museum hat Kopien aller englischsprachigen<br />
Tondokumente aus dem Lautarchiv<br />
gekauft“, berichtet Brüning mit sichtlichem Stolz.<br />
Die 1884 angelegte<br />
Zoologische Lehrsammlung<br />
umfasst<br />
aktuell über 30.000<br />
Objekte, darunter<br />
etwa 27.500 mikroskopische<br />
Präparate,<br />
2100 Flüssig- und<br />
Trockenpräparate,<br />
Skelette und Skelettteile;<br />
zudem 56<br />
Wachsmodelle und<br />
weitere aus Pappmaché,<br />
Gips und Plastik.<br />
38 Impulse 2013 39
Die Suche nach einer geeigneten Datenbank-<br />
Software, die nicht zuletzt den Besonderheiten<br />
aller Sammlungen gerecht wird, dauerte seinerzeit.<br />
Heute ist mit „sam@work“, der Weiterentwicklung<br />
einer bereits vorhandenen Hochschulverwaltungs-<br />
Software, ein effektives Tool im Einsatz, mit dem<br />
schnelle Ladevorgänge großer Dateien problemlos<br />
möglich sind. Vergleichsweise hochkomplex war<br />
die parallel laufende Entwicklung eines transdis-<br />
Sechs Millionen Käfer, je vier Millionen Ameisen<br />
und Schmetterlinge, zwei Millionen Fossilien,<br />
265.000 Mineralien und Edelsteine, 2700<br />
Meteoriten, Zeichnungen von Käthe Kollwitz<br />
und Adolf von Menzel – und nicht zu vergessen<br />
der mittels eines Abgusses rekonstruierte<br />
Westgiebel <strong>des</strong> Zeustempels in Olympia: Es<br />
sind unzählige Objekte, die die Humboldt-Universität<br />
Berlin und mit ihr das Museum für<br />
Naturkunde in einer Vielzahl an Sammlungen<br />
ihr Eigen nennt oder zumin<strong>des</strong>t lange Zeit<br />
nannte (ein Teil der Bestände wechselte mit<br />
Gründung der Charité – Universitätsmedizin<br />
Berlin als eigenständiger Einrichtung dorthin).<br />
Wahre Schätze haben sich seit dem Start<br />
der damaligen Berliner Universität im Jahre<br />
1810 angehäuft: Die ältesten Stücke stammen<br />
aus der im 16. Jahrhundert von Kurfürst Joachim<br />
II. gegründeten „Berlin-Brandenburgischen<br />
Kunstkammer“, die jüngsten wohl aus dem<br />
Archiv für Alternativkultur, das seit den<br />
1960er Jahren stetig anwächst.<br />
Schon vor Gründung der Universität befanden<br />
sich seit 1805 Mitbringsel der Amerikareise<br />
Alexander von Humboldts sowie die<br />
Mineraliensammlung der Berliner Bergakademie<br />
und die Giustinianische Gemäl<strong>des</strong>ammlung<br />
im Berliner Prinz-Heinrich-Palais.<br />
Im Zuge dann der Umwidmung zum Universitätsgebäude<br />
zogen mit den anatomischen<br />
ziplinären Thesaurus, der bis heute kontinuierlich<br />
weiterentwickelt wird und derzeit etwa 50.000<br />
Schlagworte enthält. Er ermöglicht sowohl gezieltes<br />
als auch „unscharfes“, assoziatives Suchen.<br />
Das Wegweisende und somit ein Alleinstellungsmerkmal<br />
der Datenbank aber ist: Der Thesaurus<br />
„hört“ auf keine bestimmte wissenschaftliche<br />
Fachsprache, sondern kann von Natur- wie Geistes-<br />
Die Sammlungen der Humboldt-Universität zu Berlin<br />
Präparaten von Johann Gottlieb Walter, der<br />
chirurgischen Instrumentensammlung, dem<br />
„Zoologischen Kabinett“ von Lichtenstein,<br />
dem Chemischen Laboratorium und der<br />
physikalischen Instrumentensammlung<br />
weitere große Bestände ein. Auf diese Weise<br />
legten die wissenschaftlichen Sammlungen<br />
mit ihren zwischenzeitlich insgesamt gut 30<br />
Millionen Objekten das Fundament für Forschung<br />
und Lehre an der Hochschule.<br />
Die Sammlungen sind dementsprechend<br />
von Beginn an eng mit der Geschichte der<br />
Humboldt-Universität verknüpft. „Sie zählen<br />
zu ihrem unverzichtbaren kulturellen Erbe und<br />
spielen eine wichtige Rolle im universitären<br />
Leben; sie sind ein einzigartiger Schatz, den<br />
es zu bewahren, zu pflegen, zu erschließen, zu<br />
erweitern und auszustellen gilt“, schrieb die<br />
Hochschulleitung in einem Memorandum im<br />
Jahr 2010 zum 200. Jubiläum der Universität.<br />
Nicht zuletzt trug die öffentliche Wirkung, die<br />
viele Sammlungen entfalteten, zur Gründung<br />
einiger Berliner Museen bei – darunter das<br />
Museum für Naturkunde, das Pathologische<br />
Museum, das Museum für Meereskunde, das<br />
Archäologische Museum. Hinzu kommen<br />
immer wieder große und kleine Sonderausstellungen<br />
in Museen und in der Hochschule<br />
selbst, die den Reichtum gesammelten <strong>Wissens</strong><br />
eindrucksvoll zeigen. cj<br />
Das Hermann von Helmholtz-Zentrum für Kulturtechnik hat<br />
seinen Platz im Hauptgebäude der Humboldt-Universität zu<br />
Berlin gefunden – mitten im Herzen der Stadt.<br />
wissenschaftlern und wissenschaftlichen Laien<br />
gleichermaßen mit Erfolg genutzt werden. Wer<br />
nach naturwissenschaftlichen oder medizinischen<br />
Objekten sucht, braucht die lateinischen Fachbegriffe<br />
dafür nicht zu kennen. Er kann als Suchbegriff<br />
beispielsweise „Herzmuskel“ eingeben – und<br />
wird dann zu mehreren Exponaten der medizinhistorischen<br />
Sammlung geführt. Über die Grenzen<br />
wissenschaftlicher Disziplinen hinweg werden<br />
zudem Beziehungen der verschiedenen Objekte<br />
untereinander abgebildet. Diese Idee und Umsetzung<br />
eines „fächerübergreifenden Portals für alle“<br />
stellen eine wichtige wissenschaftliche Leistung<br />
<strong>des</strong> Projekts dar. Brüning betont: „Die Universitätssammlungen<br />
gehören zu unserem Welterbe. Wir<br />
sollten <strong>des</strong>halb nicht nur <strong>Wissens</strong>chaftler und Studenten,<br />
sondern die gesamte Öffentlichkeit daran<br />
teilhaben lassen.“<br />
Es erscheint vor diesem Hintergrund unglaublich,<br />
dass Objekte wie Kants Totenmaske in Sammlungen<br />
einfach „untergehen“. Jochen Brüning hebt<br />
die Schultern und lächelt: „Was glauben Sie, wie<br />
viel wertvolles Kulturerbe in den Schränken und<br />
Kammern deutscher Universitäten heute noch<br />
schlummert – nicht erschlossen, geschweige denn<br />
für eine Datenbank digitalisiert?“ Weil Zeit, Geld<br />
und oft auch das Interesse fehlen, alte Schätze der<br />
Hochschulen wieder zum Strahlen zu bringen.<br />
Kaum eine Universität kann oder mag es sich leisten,<br />
geschulte Honorarkräfte über Tausende von<br />
Arbeitsstunden mit der detaillierten Erfassung und<br />
Beschreibung von Sammlungsobjekten zu beschäftigen.<br />
Ohne Drittmittel ist dies nicht möglich.<br />
Es ist aber ohne Zweifel eine Investition, die sich<br />
lohnt. Brüning sagt eindringlich: „Viele Hochschulen<br />
übersehen, dass die Erschließung und<br />
Präsentation ihrer Sammlungen Teil eines klugen<br />
<strong>Wissens</strong>managements und auch der Öffentlichkeitsarbeit<br />
sind, ohne die heute keine moderne<br />
wissenschaftliche Institution mehr auskommt.“<br />
Doch allmählich scheint Bewegung in die Universitäten<br />
zu kommen. „Es gibt den starken<br />
Wunsch, ein stabiles Netzwerk zu gründen und<br />
Grundlagen für gemeinsame Standards für die<br />
Erschließung und Präsentation der Sammlungen<br />
zu schaffen“, sagt Cornelia Weber. Die promovierte<br />
Germanistin leitet unter anderem das Projekt<br />
„Universitätssammlungen in Deutschland: Untersuchungen<br />
zu Bestand und Geschichte“ und hält<br />
Zahlen parat, die belegen, dass es viel zu tun gibt:<br />
Bis Ende 2011 wurden an 86 deutschen Hochschulen<br />
insgesamt 1078 Sammlungen und Museen<br />
erfasst – der weitaus größte Teil davon Sammlungen.<br />
Bei zahlreichen Treffen mit ihren in- wie<br />
ausländischen Kollegen hat Cornelia Weber den<br />
Eindruck gewonnen, „dass die Begeisterung für<br />
das Thema immer größer wird. Denn aus den<br />
Die Sammlung <strong>des</strong> Winckelmann-Instituts für klassische<br />
Archäologie an der HU Berlin wurde 1921 als seinerzeit größte<br />
Sammlung von Gipsabgüssen antiker Plastiken eröffnet; bis<br />
1944 wurden mehr als 3700 Abgüsse gezeigt. Seit dem Jahr<br />
2000 präsentiert sie sich mit einer kleinen Auswahl der alten<br />
Bestände in drei eigens dafür hergerichteten Räumen.<br />
40 Impulse 2013 41
Auch viele Bestände<br />
aus dem Museum<br />
für Naturkunde sind<br />
inzwischen digital<br />
erfasst und mit beglei-<br />
tenden Informationen<br />
online greifbar.<br />
Sammlungen und vor allem durch die interdisziplinäre<br />
Art, sie zu nutzen, ergeben sich interessante<br />
Perspektiven sowohl für die Forschung als auch<br />
für die Lehre.“<br />
Eine Initialzündung für die Universitäten sei im<br />
Februar 2010 das Symposium „Universitätsmuseen<br />
und -sammlungen im Hochschulalltag“ an der<br />
Humboldt-Universität gewesen, fügt Weber hinzu.<br />
Diese Veranstaltung, die alle Teilnehmer in Aufbruchstimmung<br />
versetzt habe, wurde ebenfalls<br />
von der <strong>VolkswagenStiftung</strong> gefördert. Damals<br />
sei der Entschluss gereift, ein Netzwerk zu gründen.<br />
Rückenwind haben die Hochschulen zudem<br />
vom <strong>Wissens</strong>chaftsrat erhalten, der im Januar<br />
2011 anmahnte, die wissenschaftlichen Sammlungen<br />
besser für die Forschung zu nutzen und<br />
systematisch zu erschließen. Die Empfehlung <strong>des</strong><br />
Beratungsgremiums, eine Koordinierungsstelle<br />
für alle Sammlungen einzurichten, wurde bereits<br />
umgesetzt. Diese Stelle ist jetzt am Hermann von<br />
Helmholtz-Zentrum für zunächst zwei Jahre angesiedelt;<br />
sie wird in dieser Erprobungsphase vom<br />
Bun<strong>des</strong>forschungsministerium finanziert.<br />
Wie stehen, vor diesem Hintergrund, die „Kabinette<br />
<strong>des</strong> <strong>Wissens</strong>“ da? Für die Aufgabe, die Datenbank<br />
zu vergrößern und die Suchmaschine zu optimie-<br />
ren, braucht es mehrere, fest im Projekt arbeitende<br />
wissenschaftliche Redakteure. Doch die gibt es<br />
bis heute nicht. Der Datenbestand hat sich <strong>des</strong>halb<br />
seit 2007 kaum vergrößert. Jochen Brüning,<br />
mittlerweile 65, geht spätestens in drei Jahren in<br />
den Ruhestand. Er möchte die Datenbank in guten<br />
Händen wissen. „Die Zusagen <strong>des</strong> Uni-Präsidiums<br />
für min<strong>des</strong>tens eine zusätzliche Mitarbeiterstelle<br />
wurden bislang nicht eingelöst“, bedauert Brüning.<br />
Und das, obwohl die Datenbank eine Erfolgsgeschichte<br />
für die Universität darstellt und obwohl<br />
das Hermann von Helmholtz-Zentrum inzwischen<br />
den Status eines Zentralinstituts mit Promotionsrecht<br />
hat. Hoffnung gibt ihm jedoch der Erfolg der<br />
Humboldt-Universität Berlin bei der Exzellenzinitiative:<br />
Denn die „Kabinette <strong>des</strong> <strong>Wissens</strong>“ haben<br />
viele thematische Berührungspunkte mit dem<br />
Exzellenzcluster „Bild Wissen Gestaltung“.<br />
Mareike Knoke<br />
Links: www.kulturtechnik.hu-berlin.de<br />
(Herrmann von Helmholtz-Zentrum)<br />
www.sammlungen.hu-berlin.de<br />
(Kabinette <strong>des</strong> <strong>Wissens</strong>)<br />
www.wissenschaftliche-sammlungen.de<br />
(Koordinierungsstelle der Universitätssammlungen<br />
in Deutschland)<br />
Schaufenster Biodiversität:<br />
Auch Tiere und Pflanzen werden digital erfasst.<br />
Die „Kabinette <strong>des</strong> <strong>Wissens</strong>“ der Humboldt-<br />
Universität befinden sich in bester Gesellschaft:<br />
Weltweit gibt es ambitionierte <strong>Digitalisierung</strong>s-Projekte,<br />
die es sich zur Aufgabe<br />
gemacht haben, Wissen zu sammeln, Objekte<br />
digital zu erfassen und für die Öffentlichkeit<br />
zugänglich zu machen. Auch der Paläontologe<br />
und Korallenriff-Experte Professor Dr. Wolfgang<br />
Kießling, der 2006 eine Lichtenberg-<br />
Professur der <strong>VolkswagenStiftung</strong> am Berliner<br />
Museum für Naturkunde antrat, ist an einem<br />
solchen Vorhaben beteiligt. Neben Forschung<br />
und Lehrtätigkeit an der Humboldt-Universität<br />
koordiniert er seit 2010 die Erfassung von Fossilien<br />
aus deutschen Sammlungen an Museen<br />
und Universitäten. Diese Daten fließen im Rahmen<br />
eines vom Bun<strong>des</strong>forschungsministerium<br />
(BMBF) finanzierten Verbundprojekts in die<br />
weltweite Datenbank Global Biodiversity Information<br />
Facility (GBIF) ein (www.gbif.de).<br />
Deutschland gehört zu den Gründungsmitgliedern<br />
von GBIF. Die Datenbank trägt seit 2001<br />
mit zahlreichen Partnerländern alles Wissen<br />
über noch existierende als auch bereits ausgestorbene<br />
Lebewesen auf unserem Planeten<br />
zusammen. Experten gehen neuerdings von<br />
etwa neun Millionen bestehender Arten aus.<br />
Von der <strong>Wissens</strong>chaft beschrieben sind nur gut<br />
15 Prozent davon. Doch allein diese 1,2 Millionen<br />
Arten in all ihren Details zu erfassen, sei<br />
„ein gigantisches Unterfangen“, sagt Kießling.<br />
Und ein offiziell wichtiges Anliegen, seit die<br />
UN vor zwei Jahren die „Dekade der Biodiversität“<br />
ausriefen, um die internationale Staatengemeinschaft<br />
zu mehr Engagement für den<br />
Artenschutz zu animieren.<br />
Wolfgang Kießling erforscht die Entwicklung<br />
und Biodiversität von Riffen, die Stabilität<br />
mariner Ökosysteme auf langen Zeitskalen,<br />
das Artensterben und die ökologischen Abhängigkeiten<br />
der Evolutionsdynamik. „Aufgrund<br />
ihrer Artenvielfalt gelten die Korallenriffe<br />
als Wiege der Evolution“, sagt er. An ihnen<br />
ließen sich die Einflüsse <strong>des</strong> Klimawandels<br />
gut untersuchen. Für GBIF Deutschland seien<br />
bereits gut 200.000 digitalisierte paläontologische<br />
Objekte mobilisiert worden, berichtet<br />
Kießling: neben Korallen unter anderem auch<br />
Schnecken, Muscheln und Wirbeltiere. Der<br />
Löwenanteil – 120.000 – stammt aus dem Berliner<br />
Museum für Naturkunde. „Es gibt noch<br />
immer viele Hochschulen, deren Sammlungen<br />
ungeordnet und unbeachtet in irgendwelchen<br />
Depots lagern“, kritisiert er.<br />
Das BMBF fördert nicht nur das Erfassen und<br />
Digitalisieren von Fossiliendaten, sondern<br />
die Zusammenstellung und Mobilisierung<br />
aller bun<strong>des</strong>weit geeigneten Sammlungs-,<br />
Forschungs-, Beleg- und Observationsdaten.<br />
Noch sieben weitere sogenannte Verbundknoten<br />
wurden eingerichtet: für Bakterien und<br />
Archaeen, Pflanzen und Protisten, Pilze und<br />
Flechten, Insekten, Wirbeltiere sowie zwei Verbundknoten<br />
für Wirbellose.<br />
Professor Wolfgang Kießling wechselte zum<br />
Wintersemester 2012/13 an die Universität<br />
Erlangen-Nürnberg; er wird nun von Erlangen<br />
aus die Fossilienerfassung für GBIF Deutschland<br />
koordinieren. Zu tun ist genug!<br />
Mareike Knoke<br />
Wolfgang Kießling –<br />
hier mit Kollegin Uta<br />
Merkel – erforscht<br />
die Entwicklung und<br />
Biodiversität von Riffen;<br />
sein Interesse gilt<br />
insbesondere Korallen<br />
(ganz links: Thecosmilia,<br />
Jurassische Riffkoralle,<br />
gefunden in<br />
Süddeutschland; links:<br />
Platygyra: Hirnkoralle<br />
aus dem Pleistozän,<br />
Fundort: Ägypten).<br />
42 Impulse 2013 43
Am Ende eines langen Weges: Astrid Trümper, wissenschaft-<br />
liche Mitarbeiterin in der Herzogin Anna Amalia Bibliothek,<br />
kümmert sich um die <strong>Digitalisierung</strong> der restaurierten Aschebücher.<br />
Seite für Seite sind die Werke nun auch online zugänglich<br />
und stehen weltweit einer interaktiven Nutzung offen.<br />
Leben aus<br />
der Asche<br />
Neue Chance für alte Werke: Wie<br />
der interaktive Austausch im<br />
Netz hilft, etwas über die Herkunft<br />
brandgeschädigter Bücher<br />
zu erfahren. Ein Besuch bei der<br />
Herzogin Anna Amalia Bibliothek<br />
acht Jahre nach dem Feuer<br />
Impulse 2013 45
Im Außenmagazin Carlsmühle<br />
der Bibliothek<br />
lagern von Schmutz und<br />
Ruß weitgehend befreite<br />
Bücher. Hier werden jene<br />
Bestände behandelt, die<br />
beim Brand 2004 mit<br />
lediglich leichter Beschädigung<br />
oder Verschmutzung<br />
davongekommen sind.<br />
Der Brand von 2004 hat die Herzogin Anna Amalia Bibliothek in Weimar<br />
noch ein weiteres Mal ins 21. Jahrhundert katapultiert. Zunächst steht da<br />
ein schmerzhafter Verlust: etwa 50.000 zerstörte Bücher aus dem Bestand<br />
von rund einer Million Bände. Ein Großteil der außerdem vom Feuer beschädigten<br />
62.000 Werke soll jedoch bis zum Jahr 2016 – unter Einsatz neuer<br />
Methoden restauriert – in die Regale zurückfinden. Unvollständige Bücher<br />
könnten dabei über das Internet identifiziert und ergänzt werden. Ein<br />
außergewöhnliches Projekt, bei dem Bibliotheksmitarbeiter eng mit Experten<br />
aus <strong>Wissens</strong>chaft und Praxis zusammenarbeiten.<br />
Wer die graublaue Pappschachtel öffnet, blickt<br />
auf ein altes Buch, eingebunden in derselben<br />
Farbe. Beim Blättern zeigen sich auf den Seiten<br />
bräunlich-schwarze Ränder, die unregelmäßig<br />
in den hellen Hintergrund ragen. Die Übergänge<br />
sind fließend und kaum zu spüren. Die restaurierte<br />
italienische Druckschrift hat den Bibliothekaren<br />
der Herzogin Anna Amalia Bibliothek<br />
viel Kopfzerbrechen bereitet. Denn nach dem<br />
großen Brand vom 2. September 2004 fehlte der<br />
Anfang: Das auf die Zeit um 1600 geschätzte<br />
Werk begann auf Seite 23. Was stand im vorderen<br />
Teil, und wer war der Verfasser?<br />
Das Großfeuer wurde vermutlich durch einen<br />
Kabelbrand in der zweiten Galerie <strong>des</strong> „Grünen<br />
Schlösschens“ ausgelöst; rund 50.000 Bücher der<br />
einst Herzoglichen Sammlung wurden ein Opfer<br />
der Flammen. Von dort breitete sich das Feuer bis<br />
in die erste Galerie und die beiden Dachgeschosse<br />
aus, die ebenso wie die zweite Galerie komplett<br />
verbrannten. Noch Wochen danach zogen die Helfer<br />
Papiernes und anderes mehr aus dem Brand-<br />
schutt. 28.000 sogenannte Aschebücher sollten es<br />
am Ende sein: Buch- und Musikalienfragmente,<br />
deren Seiten die Flammen am Rand oder bis in<br />
den Kern zerstört hatten. Außerdem hatten Hitze<br />
und Löschwasser die Einbände von 34.000<br />
weiteren Werken beschädigt. Betroffen waren<br />
Druckwerke, Handschriften und die wertvolle<br />
Musikaliensammlung von Anna Amalia. Sie alle<br />
wurden nach Leipzig ins Zentrum für Bucherhaltung<br />
gebracht, gefriergetrocknet und grob sortiert.<br />
Es ist nicht das erste Mal, dass ein solch bedeuten<strong>des</strong><br />
kulturelles Erbe in Schutt oder Asche<br />
aufgeht. Weit größere Bibliotheken haben Teile<br />
ihres Bestands verloren als die im 17. Jahrhundert<br />
gegründete Sammlung, die heute zum<br />
UNESCO-Welterbe „Klassisches Weimar“ gehört.<br />
1988 etwa verbrannten in der Nationalbibliothek<br />
in St. Petersburg rund 300.000 Bände der<br />
Sammlung von Zar Peter I. Während <strong>des</strong> Balkankrieges<br />
wurde die Nationalbibliothek in Sarajevo<br />
zerstört. Und im Jahr 2009 stürzte das Kölner<br />
Stadtarchiv ein.<br />
Neu allerdings ist, dass eine Bibliothek nach der<br />
Instandsetzung <strong>des</strong> Gebäu<strong>des</strong> eine so große Menge<br />
beschädigter Werke restauriert – und die dafür<br />
notwendigen Techniken entwickeln muss. Dass der<br />
Brand und die Schäden nach 2004 auf ein großes<br />
öffentliches Interesse stießen, verwundert nicht.<br />
Die vergleichsweise kleine Einrichtung mit einem<br />
Bestand von einer Million Büchern, von rund 3000<br />
Buchhandschriften, Karten und Globen ist ein<br />
Mythos. Ein Fünftel der Bände stammt aus der Zeit<br />
vor 1850. Mit diesen Werken haben bereits Goethe,<br />
Schiller und Herder gearbeitet. Heute versteht sich<br />
die Anna Amalia Bibliothek als Forschungsbibliothek<br />
für Literatur- und Kulturgeschichte mit dem<br />
Schwerpunkt deutsche Klassik.<br />
Drei Regalkilometer Bücher hatte der Brand<br />
beschädigt, darunter Werke mit Einbänden von<br />
ganz unterschiedlicher Materialität: Leder, Gewebe,<br />
Papier oder Pergament. „Wir haben damals<br />
entschieden, wir wollen das nicht liegen lassen“,<br />
erzählt Jürgen Weber, stellvertretender Bibliotheksleiter:<br />
„Uns war aber auch klar, dass wir das<br />
nicht selber schaffen, obwohl wir über eine leistungsfähige<br />
Restaurierungswerkstatt und Buchbinderei<br />
verfügen. Wir wussten nicht, wie das<br />
gehen könnte; niemand hat bisher Brandschäden<br />
in dieser Größenordnung restauriert. Das steht<br />
in keinem Lehrbuch.“ Daher habe, um dieses<br />
Vorhaben bewältigen zu können, von Anfang an<br />
absolute Transparenz geherrscht, sagt Weber, der<br />
zugleich die Bestandserhaltung leitet. „Wir haben<br />
immer alle unsere Probleme und Aufgaben auf<br />
den Tisch gelegt!“<br />
Der Startschuss fällt noch in das Ende <strong>des</strong> Jahres<br />
2004: Bereits kurz nach dem Brand treffen sich<br />
Fachleute unterschiedlicher Expertise zu einem<br />
mehrtägigen Kolloquium, um über den Umgang<br />
mit den Schäden zu diskutieren. Seit 2007 berät<br />
ein international besetzter wissenschaftlicher<br />
Projektbeirat die Bibliothek. Gemeinsam wurde<br />
das Hauptziel entwickelt, die verbrannten Bücher<br />
teilweise durch Ankäufe zu ersetzen und die<br />
beschädigten so weit wie möglich wieder nutzbar<br />
zu machen. Das Original zu erhalten und die<br />
Brandspuren dennoch nicht zu beseitigen, lautet<br />
seitdem die Devise – ein Vorhaben, das die <strong>VolkswagenStiftung</strong><br />
mit knapp einer Million Euro<br />
unterstützt. „Stiftungs-Asche für Bücherasche“,<br />
war denn als Slogan von manch Beteiligtem in<br />
aufrichtiger Freude gleichsam salopp wie treffend<br />
zu hören.<br />
Dem hohen Anspruch <strong>des</strong> Vorhabens sei von<br />
Beginn an durch konsequent interdisziplinär<br />
angelegte Forschung entsprochen worden, sagt<br />
Ulrike Hähner, Professorin an der Hochschule<br />
für Angewandte <strong>Wissens</strong>chaft und Kunst in<br />
Hil<strong>des</strong>heim. Die Restauratorin sitzt im wissenschaftlichen<br />
Beirat und schickt regelmäßig ihre<br />
Studierenden zur Mitarbeit nach Weimar. Die<br />
wüssten das sehr zu schätzen, denn: „Das Restaurierungsprojekt<br />
ist wirklich einzigartig“, sagt sie.<br />
Matthias Hageböck ist einer der Restauratoren, die seit<br />
2008 die angegriffenen Bücher in der hauseigenen Werkstatt<br />
in Carlsmühle reinigen und reparieren.<br />
Die Seiten werden<br />
vorsichtig mit einem<br />
Spatel voneinander<br />
getrennt, dann mit<br />
einem Pinsel gesäubert.<br />
Noch warten<br />
Tausende Bücher auf<br />
ihre Behandlung.<br />
46 Impulse 2013 47
Nachdem im Außenmagazin Carlsmühle die Bücher<br />
in Schadensklassen eingeteilt wurden, werden die<br />
stärker beschädigten Aschebücher zur weiteren<br />
Behandlung nach Legefeld bei Weimar gebracht.<br />
Die Seiten eines Wer-<br />
kes werden zunächst<br />
mithilfe eines Spa-<br />
tels vorsichtig aufge-<br />
blättert – die eigent-<br />
liche Restaurierung<br />
kann beginnen.<br />
Aus vielen Bereichen trugen Experten Methoden<br />
und Techniken zusammen; wo Wissen fehlte, entstanden<br />
Forschungsprojekte und füllten die Lücken.<br />
Schließlich wurden die neuen Erkenntnisse an<br />
die beauftragten Restauratoren weitergegeben.<br />
Für unverzichtbar hält Jürgen Weber die in Weimar<br />
erprobte Vernetzung: „Wir haben uns immer<br />
wieder bei den Fachleuten vergewissert, dass wir<br />
einen praktikablen Weg gehen.“ Von allen Seiten<br />
ist denn auch zu hören, dass man viel gelernt und<br />
viel gewonnen habe.<br />
Das Außenmagazin Carlsmühle liegt zehn Gehminuten<br />
von der Anna Amalia Bibliothek entfernt.<br />
Hier lagern die aus Leipzig zurückgebrachten,<br />
Anna Amalia 2.0<br />
Die Bilder auf den Seiten 48 bis 50 zeigen einzelne Schritte <strong>des</strong> Restaurierungsvorgangs in Legefeld –<br />
hier (Bild oben) gleich mehrere Arbeitsgänge <strong>des</strong> gesamten Prozesses auf einen Blick.<br />
Seit dem Unglück vom September 2004 unternimmt<br />
die Herzogin Anna Amalia Bibliothek<br />
systematisch den Versuch, die historischen<br />
Buchbestände durch Wiederbeschaffung ehemals<br />
vorhandener Ausgaben und durch die<br />
Aufnahme wertvoller Privatsammlungen zu<br />
bereichern. Bisher wurden nahezu 33.000 alte<br />
Bücher auf diese Weise neu in den Bestand<br />
der Weimarer Bibliothek integriert. Das übersteigt<br />
sogar die Menge antiquarischer Erwerbungen<br />
pro Jahr der sechs großen Bibliotheken<br />
der „Arbeitsgemeinschaft Sammlung<br />
deutscher Drucke“: der Bayerischen Staatsbi-<br />
von Ruß und Schmutz befreiten Bücher. Seit 2008<br />
wird restauriert, doch immer noch stapeln sich<br />
Tausende Schachteln auf Paletten; im dritten<br />
Stock finden sich die Bände mit den beschädigten<br />
Einbänden, im vierten die Aschebücher. „Der<br />
Brandgeruch liegt noch in der Luft“, stellt Ivonne<br />
Rohmann fest, die die Restaurierung der Ledereinbände<br />
organisiert.<br />
Die meisten Einbände sind repariert. In den Regalen<br />
<strong>des</strong> prächtigen Rokoko-Saals fallen hier und da<br />
blaugraue Schutzkartons ins Auge. Sie enthalten<br />
jene Bücher, die damals „nur“ mit leichter Beschädigung<br />
oder Verschmutzung davongekommen sind.<br />
Diese konnten die Restauratoren in der hauseige-<br />
bliothek München, der Herzog August Bibliothek<br />
Wolfenbüttel, der Niedersächsischen<br />
Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen,<br />
der Universitätsbibliothek Johann Christian<br />
Senckenberg Frankfurt am Main, der Staatsbibliothek<br />
zu Berlin und der Deutschen<br />
Nationalbibliothek in Leipzig.<br />
Von den neu in den Bestand überführten<br />
Büchern wurden 19.500 gekauft, 13.500 kamen<br />
als Geschenk hinzu. Dabei konnten nach Aussage<br />
der Bibliothek bis 2012 auch 9000 Brandverluste<br />
im engeren Sinne ersetzt werden. cj<br />
nen Werkstatt reinigen und reparieren – auch daran<br />
beteiligten sich Studierende, unter anderem von<br />
den Fachhochschulen Köln und Hil<strong>des</strong>heim. „Für<br />
sie ist es sehr gut, dass sie ganz praktisch an den<br />
beschädigten Büchern arbeiten können. Normalerweise<br />
kommen sie an solche Bestände nicht heran“,<br />
erzählt Ivonne Rohmann. So fand im September<br />
2011 im Sondermagazin Carlsmühle für acht Studierende<br />
aus Hil<strong>des</strong>heim eine Projektwoche statt. Die<br />
Teilnehmer <strong>des</strong> Studienganges Konservierung und<br />
Restaurierung sahen zunächst nach vorgegebenen<br />
Kriterien den etwa 2200 Bände umfassenden<br />
Bestand an wasser- und hitzegeschädigten Gewebeeinbänden<br />
durch und teilten die Bücher dann in<br />
Schadensgruppen ein.<br />
Die Bibliothek ihrerseits profitiert vom Kontakt mit<br />
den Restauratoren. So untersuchte ein Student aus<br />
Hil<strong>des</strong>heim einen Teil der kostbaren alten Ledereinbände<br />
und fand heraus, dass diese seinerzeit durch<br />
einen eiweißhaltigen Überzug geschützt wurden.<br />
Anderen Fragen gehen die Restauratoren und<br />
Lederarchäologen, die Experten und Nachwuchswissenschaftler<br />
interdisziplinär bei verschiedenen<br />
Workshops nach: Wie etwa lässt sich ein brandgeschädigter<br />
verhärteter Lederrücken schonend vom<br />
Buch entfernen? Oder welche Leder eignen sich,<br />
um schadhaftes Material zu ergänzen? Die Resultate<br />
nutzen all die Werkstätten, die derzeit in und<br />
außerhalb von Deutschland immerhin noch über<br />
12.000 Einbände bearbeiten.<br />
Dagegen gibt es bei den 28.000 Aschebüchern<br />
noch viel zu tun. 8000 von ihnen, legte die Bibliothek<br />
fest, haben bei der Restaurierung oberste<br />
Priorität. Es handelt sich um die vom Feuer nur<br />
leicht beschädigten Drucke und Handschriften<br />
aus der Zeit bis 1850. Aufgrund ihrer guten Papierqualität<br />
sind sie leichter wieder instand zu setzen.<br />
Doch auch diese Aufgabe wird noch einige Jahre<br />
in Anspruch nehmen. Immerhin: Rund 1800 Bände<br />
konnten bislang schon fertiggestellt werden.<br />
In Legefeld, zehn Kilometer außerhalb von Weimar,<br />
liegt im ersten Stock einer Gewerbehalle die<br />
„Restaurierungswerkstatt für brandgeschädigtes<br />
Schriftgut“. Magdalena Izdebska öffnet einen<br />
grauen Karton. Das dicke lateinische „Compendium“<br />
verbreitet Aschegeruch; es zeigt sich am<br />
Rücken und rundum verkohlt. Nur unten ist der<br />
Goldschnitt noch sichtbar. Mit einem Spatel blättert<br />
die Restauratorin vorsichtig eine Seite um,<br />
auf der sich schmutzige Wasserränder zeigen –<br />
die Spuren <strong>des</strong> Löschwassers. Daneben stapeln<br />
sich weitere Schachteln. Sie beinhalten Noten-<br />
Handschriften, deren Seiten in Teile zerfallen sind.<br />
Um diese Preziosen kümmert sich der Leiter der<br />
Restaurierungswerkstatt Günter Müller persönlich.<br />
Die geschädigten Buchseiten<br />
werden – meist über<br />
Nacht – in sogenannten<br />
Kompressionskassetten ins<br />
Wasserbad getaucht, um<br />
Schadstoffe und Schmutz<br />
zu lösen. Anschließend<br />
werden die einzelnen<br />
Seiten mit einem Faserbrei<br />
behandelt.<br />
Ist die Anfaserung an den<br />
unvollständigen Seitenrändern<br />
erfolgt, werden<br />
die Buchseiten zu ihrer<br />
Stabilisierung auf durchschimmernd-dünnem<br />
Japanpapier geleimt. Die<br />
einzelnen Seiten trocknen<br />
auf großen Gitterablagen.<br />
Anschließend werden die<br />
geleimten Seiten gepresst,<br />
sie trocknen dann über<br />
Nacht im Stapel. Die<br />
patentierte Werkstatt ist<br />
so gebaut, dass sich große<br />
Mengen der Blätter auf<br />
schonende Weise wieder<br />
nutzbar machen lassen.<br />
48 Impulse 2013 49
Seit 2008 arbeitet die eigens entwickelte Werkstatt<br />
auf Hochtouren. Morgens um 6 Uhr beginnen<br />
die Maschinen zu summen: Die geschädigten<br />
Buchseiten tauchen in Kompressionskassetten<br />
ins Wasserbad, um Schadstoffe und Schmutz<br />
zu lösen. Mithilfe der Anfaserungsanlage lagert<br />
Magdalena Izdebska je nach Bedarf einen weißen,<br />
braunen oder grauen Faserbrei auf den unvollständigen<br />
Seitenrändern ab. Anschließend verleimt<br />
sie die Buchseiten zu deren Stabilisierung mit<br />
durchschimmernd-dünnem Japanpapier. Die einzelnen<br />
Seiten trocknen auf großen Gitterablagen<br />
und werden zwischen weißen Küchenbrettern<br />
gepresst; die patentierte Werkstatt ist so gebaut,<br />
dass sich große Mengen Blätter auf schonende<br />
Weise wieder nutzbar machen lassen.<br />
Stolz zeigt die junge Buchrestauratorin auf einen<br />
Tisch, der die Monatsproduktion von 5000 Blättern,<br />
teils mit Gewichten beschwert, teils zwischen<br />
Schraubklemmen gezwängt, trägt. Mit welchem<br />
Buch sie gerade beschäftigt ist, kann sie gar nicht<br />
sagen. Ulrike Hähner vom wissenschaftlichen Beirat<br />
fordert, die Werkstatt zu erhalten: „Was wir in<br />
Deutschland brauchen, ist, die Methoden, in die viel<br />
Geld und wissenschaftliches Knowhow geflossen<br />
sind, zu erhalten und zu entwickeln.“<br />
Es folgt die Versiegelung der Seiten. Nach dem Trocknen schließlich werden die<br />
Seiten auf einem Leuchttisch gefalzt, geprüft und zur <strong>Digitalisierung</strong> freigegeben.<br />
In ihrem im Erdgeschoss der Herzogin Anna Amalia<br />
Bibliothek gelegenen Büro hält Kirsten Krumeich<br />
die Statistik auf dem neuesten Stand. Denn<br />
noch ist unklar, wie viele der schwer beschädigten<br />
Aschebücher, die im Außenmagazin lagern,<br />
restaurierbar sind. Genauere Zahlen und Pläne<br />
sollen bis zum Jahresende vorliegen. Vorrangig<br />
kümmert sich die wissenschaftliche Mitarbeiterin<br />
aber um die <strong>Digitalisierung</strong> der bereits restaurierten<br />
Aschebücher. Handelt es sich um eine<br />
Handschrift oder einen Druck, der nur einmal in<br />
der Sammlung steht, wird das Werk von einem<br />
beauftragten Fachunternehmen eingescannt.<br />
Seite für Seite ist es im Internet zu betrachten und<br />
steht so der Forschung wieder zur Verfügung. Das<br />
schont zugleich das Original, das nur im Ausnahmefall<br />
im Sonderlesesaal eingesehen werden darf:<br />
„Es geht sowohl darum, wertvolles historisches<br />
Kulturgut zu erhalten, als auch für den Gebrauch<br />
durch ein großes Publikum die technischen Erfordernisse<br />
zu entwickeln und bereitzustellen.“<br />
Und die Weimarer gehen noch einen Schritt weiter.<br />
Mit einem speziellen Programm geben sie einen<br />
Teil der digitalisierten Werke zur interaktiven Nutzung<br />
frei. Unter der Rubrik „unvollständige und<br />
nicht identifizierte Aschebücher“ zeigt die Bibliothek<br />
auf ihrer Internetseite das vorhandene Material<br />
und bittet, die fehlenden Seiten zu ergänzen und<br />
Hinweise über die Herkunft <strong>des</strong> Werkes und seinen<br />
Autor zu liefern – in einem Blog. Jürgen Weber<br />
bezeichnet diese Möglichkeit als „Meilenstein“ in<br />
der <strong>Digitalisierung</strong> fragmentierter Bücher.<br />
Wie Phönix aus der Asche: Der Blick in das Innere <strong>des</strong> Gebäu<strong>des</strong> zeigt die ganze Pracht der wieder hergestellten Bibliothek.<br />
Überall stehen Bücher – auch die Treppenaufgänge sind durchzogen von Regalen. Zu jeder Tages- und Nachtzeit entfaltet<br />
„Anna Amalia“ ihren ganz eigenen Charme. Wer einmal dort war, ist davon gefangen.<br />
Tatsächlich konnte das Rätsel um den Inhalt <strong>des</strong><br />
graublauen Kartons gelöst werden. Bei einer<br />
Testphase <strong>des</strong> interaktiven Portals gab es im<br />
April und Mai ein unerwartet starkes Echo auf<br />
35 unbekannte Titel, erzählt Kirsten Krumeich.<br />
Ein anonymer Hinweis führte die Mitarbeiter<br />
der Bibliothek auf die richtige Spur: Bei dem<br />
Am 7. November 2012 veranstaltete die Herzogin<br />
Anna Amalia Bibliothek mit Unterstützung<br />
der <strong>VolkswagenStiftung</strong> eine Tagung zu<br />
Fragen der digitalen Sicherung und zu neuen<br />
Wegen der Identifizierung und Rekonstruktion<br />
beschädigter Werke. Im Detail diskutierten<br />
die Teilnehmer die besonderen Anforderungen<br />
an die Bestandserhaltung nach Unglücksfällen<br />
und die Möglichkeiten einer digitalen<br />
Präsentation stark geschädigten Schriftguts.<br />
In den beiden Panels „Sicherung“ und „Identifizierung“<br />
erörterten sie entsprechende<br />
Arbeitsabläufe und technische Konzepte.<br />
Spannend wurde es, als es um neue Wege der<br />
virtuellen Rekonstruktion und Rekontextualisierung<br />
ging. Hier trafen die Erfahrungen der<br />
Mitarbeiter der Weimarer Bibliothek auf die<br />
ihrer Kollegen vom Historischen Archiv der<br />
Stadt Köln und von der Projektgruppe „Virtuelle<br />
Rekonstruktion“ beim Bun<strong>des</strong>beauftragten<br />
für die Unterlagen <strong>des</strong> Staatssicherheitsdienstes<br />
in Berlin. Mit ihnen diskutierten<br />
Vertreter weiterer Bibliotheken und Archive.<br />
Buch handelt es sich um einen Fürstenratgeber<br />
von François Perrot aus dem Jahr 1586. Nun sind<br />
zwar beide Teile getrennt voneinander restauriert<br />
und gebunden. Doch digital kann man sie<br />
in Zukunft gemeinsam betrachten.<br />
Isabel Fannrich-Lautenschläger<br />
Kolloquien „Bestandserhaltung digital“ und „Mengenschäden“<br />
Der Umgang mit Mengenschäden war das<br />
zentrale Thema eines Kolloquiums, das am<br />
24. September 2011 ebenfalls in der Herzogin<br />
Anna Amalia Bibliothek stattfand und<br />
an dem über hundert Fachleute aus fünf<br />
Ländern teilnahmen. Bei der Veranstaltung<br />
wurden die Ergebnisse <strong>des</strong> von der Stiftung<br />
geförderten Projekts näher vorgestellt.<br />
Der Fokus lag dabei auf der Entwicklung neuer<br />
Methoden für eine Massenbehandlung beim<br />
Brand geschädigter Ledereinbände; circa 7500<br />
solcher Werke galt es zu restaurieren. Insbesondere<br />
gelang es, Erfahrungen aus der Papierrestaurierung<br />
auf die Ledereinbandrestaurierung<br />
zu übertragen und so ein neues Standardverfahren<br />
zu etablieren. Neben ganz praktischen<br />
Fragen – etwa zur Ästhetik – standen auch<br />
erforderliche interdisziplinäre Herangehensweisen<br />
zur Lösung spezifischer Probleme im<br />
Vordergrund. So wurde intensiv über Schadensbilder<br />
und Restaurierungskonzepte aus<br />
den Bereichen der Lederarchäologie und der<br />
Restaurierung von Ledertapeten diskutiert. cj<br />
50 Impulse 2013 51
„Die digitale Welt adressiert nicht mehr die Wenigen, wir<br />
reden hier über potenziell mehr als zwei Milliarden Leser! Sie<br />
sind die Herausforderung, der auch wir uns stellen müssen“,<br />
setzt Gerhard Lauer ein Ausrufezeichen.<br />
„Die neuen<br />
Bürger der<br />
Gelehrtenrepublik“<br />
Die <strong>Digitalisierung</strong> bringt wissenschaftliche<br />
Inhalte auf vielfältige,<br />
auch neue Weise zum Sprechen.<br />
Informationen werden schlagartig<br />
einer globalen Öffentlichkeit<br />
zugänglich. Ein Gespräch mit<br />
dem Göttinger Literaturwissenschaftler<br />
Professor Gerhard Lauer<br />
zu den Digital Humanities.<br />
Impulse 2013 53
Geisteswissenschaftliches Arbeiten ändert sich rapide. Dank Internet hat<br />
der Forscher Zugang zu unzähligen digitalisierten Büchern und Archivalien<br />
in Bibliotheken, Museen und Archiven – von den riesigen und ständig<br />
wachsenden Datenbanken der Alltagskultur etwa auf Facebook ganz zu<br />
schweigen. Doch die Entwicklung geht noch weiter. In den „Digital Humanities“<br />
werden verstärkt Computerprogramme zur Analyse geisteswissenschaftlicher<br />
Forschungsobjekte eingesetzt. Seit Juli 2011 wird an der<br />
Universität Göttingen mit Mitteln aus dem Niedersächsischen Vorab der<br />
<strong>VolkswagenStiftung</strong> das „Göttingen Center for Digital Humanities (GCDH)“<br />
aufgebaut. Professor Dr. Gerhard Lauer ist der geschäftsführende Direktor.<br />
Mit ihm sprach Vera Szöllösi-Brenig.<br />
Herr Lauer, Sie sind Literaturwissenschaftler heute.<br />
Welche Fragen wird sich der Literaturwissenschaftler<br />
der Zukunft stellen, was wird er anders machen<br />
als bislang?<br />
Noch vor wenigen Jahrzehnten war es aufregend,<br />
eine Bibliografie mit einem Telefonkoppler automatisiert<br />
durchsuchen zu können. Heute ist es<br />
Alltag, Bibliothekskataloge überall auf der Welt<br />
mittels Computer zu durchleuchten. Und auf digitale<br />
Editionen wird wie selbstverständlich zurückgegriffen,<br />
als hätte es diese immer schon gegeben.<br />
In den nächsten Jahren wird das alles nicht nur<br />
für Texte möglich sein, sondern auch für Bilder,<br />
Filme und Objekte – beispielsweise wird gerade<br />
eine Technologie erprobt, wie sich Informationen<br />
aus Fernsehsendungen, die in den Archiven der<br />
Sender lagern, für an bestimmten Inhalten interessierte<br />
Nutzer via Internet bereitstellen lassen. In<br />
Metakatalogen wie der Europeana werden heute<br />
schon – ein anderes Beispiel – unterschiedliche<br />
Sammlungen zusammengeführt und Bilder und<br />
Texte miteinander verknüpft.<br />
Das alles ändert die Relationen, in denen wir kulturelle<br />
Hervorbringungen wahrnehmen und wissenschaftlich<br />
bearbeiten. Wenig beachtete Werke,<br />
Spezialsammlungen oder Verbindungen zwischen<br />
Kunst-, Musik- und Literaturgeschichte treten<br />
plötzlich hervor. Das verschiebt die vertrauten<br />
kulturellen Hierarchien und Kanones. Schließlich<br />
kommen neue Methoden hinzu, die bislang nicht<br />
zum Inventar <strong>des</strong> Faches zählen – etwa Statistik<br />
oder Stylometrie. Sie erlauben Untersuchungen,<br />
die noch vor Kurzem als unmöglich gelten mussten.<br />
Weil immer mehr Literaturwissenschaftler<br />
und -wissenschaftlerinnen solche Methoden und<br />
Ansätze verwenden, gehe ich davon aus, dass die<br />
<strong>Digitalisierung</strong> das Gegenstandsfeld nicht nur in<br />
den Literaturwissenschaften nachhaltiger verändern<br />
wird, als dies gegenwärtig vielen von uns<br />
bewusst ist.<br />
Spötter behaupten, dass die Literaturwissenschaftler<br />
in Zeiten der „Digital Humanities“ zum Wörterzählen<br />
verkommen ...<br />
Zum einen sind die Digital Humanities aus der<br />
ganz klassischen Auseinandersetzung mit einzelnen,<br />
zumeist hochkanonischen Werken hervorgegangen.<br />
Die Edition der Parzival- oder Faust-Handschriften<br />
sind dafür Beispiele, in der Musik die<br />
digitale Mozart-Ausgabe, in der Kunstgeschichte<br />
die Leonardo da Vinci-Edition, in der <strong>Wissens</strong>chaftsgeschichte<br />
Darwin online, in der Theologie<br />
die Thomas-Ausgabe. Zum anderen aber urteilen<br />
solche Spötter nicht nur in Unkenntnis der jahrzehntelangen<br />
Auseinandersetzung mit Werken,<br />
sondern ebenso in Unkenntnis, was Datenmodellierung,<br />
formale Modelle und Statistik zu leisten<br />
vermögen – eine typische Überheblichkeit mancher<br />
Geisteswissenschaftler gegenüber den in<br />
den Naturwissenschaften gängigen Methoden.<br />
Niemand nehme schließlich an, hält Lauer kritischen Geisteswissenschaftlern entgegen, dass<br />
etwa ein Astrophysiker sich nicht mehr unmittelbar für Sterne und Weltall interessiere, nur weil<br />
digital gestützte Methoden zentraler Teil seines wissenschaftlichen Arbeitens geworden sind.<br />
Wörterzählen gehört zu den sinnvollen Methoden<br />
der Textwissenschaften. Man kann mit intelligent<br />
konzipierten Wortfrequenzlisten die stilistische<br />
Besonderheit eines Heinrich von Kleist ermitteln<br />
oder die Unterschiedlichkeit von weiblichen und<br />
männlichen Autoren zu einer historischen Zeit<br />
bestimmen. Diese nicht-hermeneutischen Methoden<br />
sind in der Linguistik akzeptierte Verfahren,<br />
in der Literaturwissenschaft werden sie es in den<br />
nächsten Jahren werden.<br />
Wenn ich Sie recht verstehe, dann wird künftig das<br />
einzelne Buch eines großen Autors wie Goethe oder<br />
Schiller für den Literaturwissenschaftler zunehmend<br />
an Bedeutung verlieren. Was bedeutet das für das<br />
Fach? Tragen Sie dadurch nicht zum Verlust <strong>des</strong><br />
Kanons bei?<br />
Der Kanon – darunter verstehen wir ja zusammengefasst<br />
jene Werke der Literatur, die herausgehobenen<br />
Wert haben sollen – wird sich<br />
ändern, wie er sich schon immer geändert hat.<br />
Es wird weiterhin die Ausgaben der großen<br />
Werke geben, aber dazu kommt das, was man<br />
mit dem Klassischen Philologen Gregory Crane<br />
die „million books situation“ nennen kann.<br />
Wir können erstmals in der Fachgeschichte der<br />
„Trotz aller digitalen Möglichkeiten:<br />
Nur wer viel liest, hat ein<br />
Wissen über Texte; nur wer viele<br />
Bücher studiert hat, wird eine<br />
präzise Textanalyse erarbeiten<br />
können“, sagt Gerhard Lauer.<br />
Literaturwissenschaften nicht nur eine überschaubare<br />
Zahl von ein paar hundert Büchern<br />
wissenschaftlich bearbeiten, sondern Millionen<br />
Bücher, wie sie in den Korpora etwa von Google<br />
Books, vor allem aber in den digitalisierten<br />
Buch- und Drucksammlungen der Bibliotheken<br />
bereitliegen.<br />
Jetzt sehen wir zum Beispiel, dass im Jahr 1809<br />
nicht nur Goethes „Wahlverwandtschaften“<br />
erschienen sind, sondern rund hundert weitere<br />
deutsche Romane. Wir können das mit den<br />
Korpora der anderen europäischen Literaturen<br />
vergleichen und besser ermitteln, welches die<br />
Besonderheiten etwa der deutschen im Unterschied<br />
zur französischen, italienischen oder englischen<br />
Literaturgeschichte sind. Das ändert die<br />
Gewichte uns vertrauter Werke und verschiebt<br />
den Kanon. Aber das Ergebnis wird nicht sein,<br />
dass alle Werke gleich grau sind. Im Gegenteil:<br />
Wir werden vielfach erst dann genauer verstehen,<br />
was die Einzigartigkeit etwa der „Wahlverwandtschaften“<br />
ausmacht. Nur Laien glauben,<br />
dass Statistik alles nivelliert. Das Gegenteil ist<br />
richtig: Es kommt auf die Unterschiede an, also<br />
auf Eigenheiten von Texten, die letztlich die<br />
ihrer Autoren und Leser sind.<br />
54 Impulse 2013 55
Der Generalsekretär<br />
der Volkswagen-<br />
Stiftung Dr. Wilhelm<br />
Krull moderierte die<br />
Diskussion bei dem<br />
bislang größten internationalenFachkongress<br />
zum Thema.<br />
Unterstützt von der <strong>VolkswagenStiftung</strong>, wurde im Juni 2012 in Hamburg ein „Regionalverband Digital Humanities Deutschland<br />
(DHD)“ unter dem Dach der Association for Literary and Linguistic Computing gegründet. Die Teilnehmer der Veranstaltung diskutierten<br />
die vielfältigen Auswirkungen computergestützter Verfahren speziell auf geisteswissenschaftliches Arbeiten.<br />
Bleiben wir bei der möglichen Verlustseite durch die<br />
Digital Humanities. Teilen Sie die Befürchtung, dass<br />
der Literaturwissenschaftler der Zukunft nicht mehr<br />
„lesen“, also verstehen, interpretieren kann? Oder ist<br />
das zu kulturpessimistisch?<br />
Über die digitale Welt kann man nicht reden,<br />
ohne dass die kulturphilosophischen Gemeinplätze<br />
einrasten. Nur wer viel liest, hat ein Wissen<br />
über Texte; nur wer viele Bücher studiert hat,<br />
wird eine präzise Textanalyse erarbeiten können:<br />
ob mit oder ohne Statistik. Das gilt weiterhin.<br />
Niemand nimmt ja an, dass Astrophysiker sich<br />
nicht mehr für Sterne und das Weltall interessieren,<br />
nur weil dort digital gestützte Methoden<br />
untrennbarer Bestandteil wissenschaftlichen<br />
Arbeitens sind. So wie dort genaue Beobachtung<br />
und Kenntnisse zählen, so ist das auch in einer<br />
geisteswissenschaftlichen Disziplin wie der Literaturwissenschaft<br />
der Fall. In einem historisch<br />
derart (selbst-)bewussten Fach wie der Klassischen<br />
Philologie arbeitet heute fast jeder mit den<br />
digitalen Ausgaben, Wörterbüchern und Übersetzungen<br />
der „Perseus Digital Library“. Und das<br />
Ergebnis ist, dass mehr klassische Texte gelesen<br />
werden – und zwar schon von den Studierenden<br />
in den ersten Semestern.<br />
Die Nachfrage etwa nach der digitalen Mozart-<br />
Ausgabe (http://dme.mozarteum.at/DME/main/<br />
index.php?l=) ist weltweit so groß, dass der Server<br />
die Hundertausenden von Anfragen oft nicht<br />
abarbeiten kann. Akademie-Vorhaben zu historischen<br />
Inschriften haben – kaum dass sie im Netz<br />
zugänglich sind – Tausende von Abfragen. Vorher<br />
lagen die Nachfragen gerade einmal im zweistelligen<br />
Bereich. Die digitale Welt adressiert nicht<br />
mehr die Wenigen, wir reden hier über potenziell<br />
mehr als zwei Milliarden Leser. Sie sind die Herausforderung,<br />
der wir uns stellen müssen, nicht<br />
die Wiederholung der Urteilsroutinen aus der<br />
Tradition der deutschen Kulturphilosophie.<br />
Werden sich auch Ihre Tätigkeit und Ihr Selbstverständnis<br />
als Literaturwissenschaftler ändern?<br />
Ja, wenn auch nur langsam. An der Art und Weise,<br />
wie sich die Sprachwissenschaft zur modernen<br />
Linguistik wandelt, kann mein Fach, die Literaturwissenschaft,<br />
ganz gut studieren, wie sich<br />
dieser Wandel vollziehen dürfte. Dabei ist allerdings<br />
zu bedenken, dass der disziplinäre Umbau<br />
nur zu einem Teil von der digitalen Modernisierung<br />
angetrieben wird. Min<strong>des</strong>tens ebenso wird<br />
er von den veränderten Bildungsvorstellungen<br />
in unserer Gesellschaft forciert, den anderen<br />
Medien, dem demografischen Wandel oder auch<br />
der Internationalisierung unserer Studenten, die<br />
in den nächsten Jahren spürbar die Geisteswissenschaften<br />
erreichen wird. Wir können nicht<br />
mehr als die Hüter <strong>des</strong> kulturellen Erbes auftreten,<br />
wie es noch eine Fachtradition tun konnte,<br />
die selbstverständlich davon ausging, dass ohne<br />
Reflexion auf das Mittelalter oder auf Goethe die<br />
deutsche Nation nicht weiß, wer sie ist. Wir sind<br />
auch nicht die Pfleger <strong>des</strong> „seltenen Sinns für die<br />
Wenigen“ – in Anlehnung an Stendhals berühmte<br />
Widmung „to the happy few“, wie es immer<br />
noch im Fach kultiviert wird. Aber noch dominiert<br />
dieses Selbstverständnis.<br />
Wenn Bücher, Bilder, Filme und Töne in Zukunft „nur<br />
noch“ Daten sind – gibt es ein Szenario für interdisziplinäres<br />
Arbeiten?<br />
Daten sind ja nicht Informationen und als pure<br />
Daten auch noch nicht etwas Verstandenes. Aber<br />
als digitale Daten können sie auf einer noch vor<br />
Kurzem kaum vorstellbaren Weise miteinander<br />
verknüpft werden – und das in einem Maßstab,<br />
den wir uns ebenfalls kaum vorstellen können.<br />
Das verändert das Verhältnis der Fächer wie<br />
ihrer Objekte zueinander. Passagen aus der<br />
Musik lassen sich mit Passagen aus der Literatur<br />
vergleichen, um etwa einen bestimmten romantischen<br />
Duktus zu identifizieren; zu Beginn <strong>des</strong><br />
19. Jahrhunderts vom Protodarwinisten Johann<br />
Friedrich Blumenbach niedergeschriebene Beobachtungen<br />
zum Verhalten von Primaten können<br />
mit zeitgenössischen anderen Naturbeschreibungen<br />
verlinkt und auch mit heutigen Betrachtungen<br />
verknüpft werden. Um die Namen der<br />
Mit den vielfältigen Auswirkungen computergestützter<br />
Verfahren speziell auf die Geisteswissenschaften<br />
befasste sich im Juni 2012 in<br />
Hamburg der bislang größte internationale<br />
Fachkongress zu den „Digital Humanities“.<br />
Grundlegen<strong>des</strong> Ziel sei es, die wissenschaftliche<br />
Community der digitalen Geisteswissenschaften<br />
in Deutschland international<br />
sichtbar zu machen, sagte der Organisator <strong>des</strong><br />
Kongresses Professor Dr. Jan Christoph Meister<br />
von der Universität Hamburg.<br />
Als eines der zentralen Themen wurde erörtert,<br />
wie sich die digitalen Medien für die Aufzeichnung<br />
und statistische Auswertung von<br />
Gesprächen, Texten und Filmen einsetzen lassen.<br />
Auch diskutierten die gut 500 Teilnehmer<br />
über unmittelbare Effekte der <strong>Digitalisierung</strong><br />
von Daten: etwa die im Vergleich zu analogen<br />
sechs Millionen ermordeten Juden zu ermitteln,<br />
werden heute schon Steuerlisten und KZ-Listen,<br />
Bilddatenbanken und Tagebücher, Verzeichnisse<br />
von Gedenkstätten und Aufzeichnungen von<br />
Überlebenden miteinander verknüpft. Und damit<br />
ist nur ein kleiner Ausschnitt einer neuen disziplinären<br />
Struktur umrissen, die natürlich auch<br />
die Grenze zu Fächern wie der Bioinformatik<br />
umgreift. Ein neues Szenario ist im Entstehen<br />
begriffen; es liegt an uns, es zu gestalten.<br />
Bücher waren in der Vergangenheit mehr als Buchdeckel,<br />
zwischen denen Geschichten schlummern – in<br />
Büchern hat die Menschheit ihr Wissen gespeichert<br />
und vor allem geordnet. Wie wird das in Zukunft<br />
sein, wenn unser Wissen in Datenbanken ruht?<br />
Es gibt Bücher, und es gibt Datenbanken. Wie<br />
so oft bei neuen Medien treten diese neben<br />
die alten. Daher ändert sich auch die Zahl der<br />
intensiven Leser seit Jahrzehnten nur unwe-<br />
Digitale Geisteswissenschaften in Deutschland etabliert<br />
Verfahren enorm gestiegene Speicherkapazität.<br />
Entsprechend waren digitale Archive und<br />
der Umgang mit ihnen ein wichtiges Thema<br />
– und nicht zuletzt gerade daraus abgeleitet,<br />
dass sich nach Meinung aller im Zuge der<br />
<strong>Digitalisierung</strong> neue geisteswissenschaftliche<br />
Forschungsfelder auftun würden.<br />
Unterstützt von der <strong>VolkswagenStiftung</strong>, wurde<br />
im Vorfeld der Veranstaltung ein „Regionalverband<br />
Digital Humanities Deutschland<br />
(DHD)“ unter dem Dach der Association for<br />
Literary and Linguistic Computing gegründet.<br />
Der DHD wird als regionale Organisation<br />
sowohl Forum als auch formelle Interessenvertretung<br />
sein für Forscherinnen und Forscher,<br />
die sich im deutschsprachigen Raum in<br />
Forschung und Lehre im Arbeitsfeld der Digital<br />
Humanities engagieren. cj<br />
56 Impulse 2013 57
sentlich. Daraus entstehen nicht nur neue<br />
Strukturen, in denen Wissen prozessiert. Vielmehr<br />
werden Bücher nur ein Speicherformat<br />
neben derzeit bereits vielen anderen, nicht nur<br />
digitalen Speicherformaten sein. Krankenakten<br />
sind schon lange eine wichtige Datenquelle<br />
und doch kein Buch. Die Schwierigkeit besteht<br />
heute eher darin, dass die digitale Modernisierung<br />
in vielen Feldern wie insbesondere<br />
im Recht dringend Anpassungen verlangt,<br />
mit denen wir kaum nachkommen. In Datenbanken<br />
abgelegtes Wissen über Krankheiten<br />
ist ein Beispiel dafür. Wer darf unter welchen<br />
Regeln über wen aus solchen Datenbanken<br />
Informationen gewinnen? Hier brauchen wir<br />
Regularien, und die können nicht einfach die<br />
Fortschreibung bekannter sein.<br />
Der amerikanische Vordenker Kevin Guthrie von der<br />
Zeitschriftenplattform ITHAKA sieht das „Ende <strong>des</strong><br />
akademischen Ökosystems“ voraus. Geisteswissenschaftler<br />
müssten künftig mit dem interessierten<br />
Laien kommunizieren. Wie sehen Sie das?<br />
Ich hoffe, er hat recht. Dass sich die kalifornischen<br />
Universitäten gegen die strangulierende Preispolitik<br />
<strong>des</strong> Oligopols der <strong>Wissens</strong>chaftsverlage<br />
wehren oder jüngst gerade erst die Mathemati-<br />
Vom 21.-23. November 2013 veranstaltet die<br />
<strong>VolkswagenStiftung</strong> im wiedererrichteten<br />
Schloss Herrenhausen eine Herrenhäuser<br />
Konferenz zum Thema „Digital Humanities“.<br />
Ziel der Veranstaltung ist ein interdisziplinärer<br />
Dialog zwischen ausgewiesenen<br />
Protagonisten auf diesem Gebiet und eher<br />
„klassisch“ verorteten Geisteswissenschaftlern.<br />
Es soll zum einen erörtert werden, wie<br />
eine gleichermaßen digitale und klassische<br />
Methoden integrierende Geisteswissenschaft<br />
künftig aussehen könnte. Des Wei-<br />
sche Fakultät der TU München die Abonnements<br />
der unzumutbar verteuerten Zeitschriften <strong>des</strong><br />
Elsevier-Verlags gekündigt hat, zeigt ebenso wie<br />
das Aufkommen von <strong>Wissens</strong>chaftsblogs und<br />
anderen Formaten, dass hier ein neues Selbstbewusstsein<br />
der <strong>Wissens</strong>chaften – genauer: ihrer<br />
Akteure – entsteht. Das hat zum Teil mit der digitalen<br />
Revolution zu tun, aber min<strong>des</strong>tens ebenso<br />
mit dem rasanten Anstieg der <strong>Wissens</strong>chaften<br />
zu einer immer schneller wachsenden Instanz,<br />
die immer weitere Lebensbereiche durchdringt.<br />
Das akademische Ökosystem ähnelt aber noch<br />
sehr dem aus der Mitte <strong>des</strong> 19. Jahrhunderts, als<br />
sich die modernen Naturwissenschaften von den<br />
Geisteswissenschaften zu lösen begannen. Wir<br />
müssen anfangen, die interessierten Laien und<br />
vor allem unsere Studenten nicht als die Abhängigen<br />
in der Gelehrtenrepublik zu behandeln,<br />
sondern als deren Bürger. Das hat viel mit den<br />
digitalen Möglichkeiten zu tun, die uns Chancen<br />
eröffnen, Konzepte dafür zu entwickeln, wie wir<br />
sie als Bürger ernst nehmen können. Es ist dieser<br />
Wandel der Akteure, den wir in Schulen und Universitäten,<br />
Fakultäten und Fächern erst noch zu<br />
erbringen haben, und die Aufgabe, an der uns die<br />
Gesellschaft messen wird.<br />
Herr Lauer, herzlichen Dank.<br />
Herrenhäuser Konferenz zum Thema „Digital Humanities“<br />
teren geht es um die Frage, welche Auswirkungen<br />
der Medienwandel auf die Arbeit<br />
und das Selbstverständnis der Geisteswissenschaften<br />
der Zukunft hat – der Aspekt<br />
von <strong>Wissens</strong>gewinn und <strong>Wissens</strong>verlust<br />
schwingt hier als ein Gedanke mit. Ganz<br />
konkret dient die Konferenz aber auch der<br />
Netzwerkbildung und dem <strong>Wissens</strong>transfer<br />
zwischen den Disziplinen mit Blick auf<br />
entwickelte, gut funktionierende und schon<br />
etablierte Ansätze, Methoden und Tools im<br />
Bereich der Digital Humanities. cj<br />
Stiftungsmitarbeiterin Dr. Vera Szöllösi-Brenig und Gerhard Lauer freuen sich auf die Konferenz<br />
zu den „Digital Humanities“ Ende 2013 im wieder aufgebauten Schloss Herrenhausen in Hannover.<br />
Beide sind vor allem gespannt darauf, wie sich der Dialog gestalten wird zwischen ausgewiesenen<br />
Protagonisten der „Digital Humanities“ und eher „klassisch“ verorteten Geisteswissenschaftlern.<br />
Professor Gerhard Lauer lehrt seit 2002 Deutsche<br />
Philologie an der Universität Göttingen. Schwerpunkte<br />
seiner Forschung sind die Literaturgeschichte,<br />
die kognitiven Voraussetzungen der Literatur, die<br />
experimentelle Leseforschung und die Anwendung<br />
computergestützter Methoden in den Geisteswissenschaften<br />
– also die „Digital Humanities“. Insbesondere<br />
treibt ihn das Thema Literatur und Literaturvermittlung<br />
im Zeitalter der <strong>Digitalisierung</strong> um.<br />
Hat Deutsch als <strong>Wissens</strong>chaftssprache eine Zukunft?<br />
Welche Konsequenzen hat die Rolle <strong>des</strong> Englischen<br />
als einer Lingua franca? In welcher<br />
Sprache wird in den verschiedenen <strong>Wissens</strong>chaften<br />
kommuniziert, und welches Interesse<br />
hat die Gesellschaft an der Sprachwahl? Gibt<br />
es dabei eine individuelle Verantwortung und<br />
Entscheidungsmöglichkeit? – Im Rahmen ihres<br />
Programms „Deutsch plus – <strong>Wissens</strong>chaft<br />
ist mehrsprachig“ förderte die Stiftung eine<br />
Tagung zu „Deutsch in der <strong>Wissens</strong>chaft“. In<br />
der Akademie für Politische Bildung in Tutzing<br />
debattierten dazu namhafte Persönlichkeiten:<br />
Welche Fragen wird sich der<br />
Literaturwissenschaftler der<br />
Zukunft stellen? – Eines der zentralen<br />
Themen der Diskutanten.<br />
Dr. Vera Szöllösi-Brenig ist als Förderreferentin bei<br />
der <strong>VolkswagenStiftung</strong> zuständig für die Sprachwissenschaften,<br />
Kommunikations- und Medienwissenschaften<br />
sowie für Kunst-, Musik- und Theaterwissenschaft.<br />
Im Förderteam „Herausforderungen<br />
– für <strong>Wissens</strong>chaft und Gesellschaft“ beobachtet<br />
sie unter anderem die Entwicklung in den „Digital<br />
Humanities“; auch betreut sie die Initiative „Schlüsselthemen<br />
für <strong>Wissens</strong>chaft und Gesellschaft“.<br />
etwa Jürgen Trabant, Peter Strohschneider und<br />
Horst Bredekamp aus der Sicht der <strong>Wissens</strong>chaft<br />
sowie vonseiten der Politik unter anderem<br />
Bun<strong>des</strong>tagspräsident Norbert Lammert,<br />
Bun<strong>des</strong>tagsvizepräsident Wolfgang Thierse<br />
und Justizministerin Sabine Leutheusser-<br />
Schnarrenberger. Die vorgetragenen Analysen,<br />
Positionen, Argumente und Erfahrungen sind<br />
jetzt in einem Sammelband erschienen. Das<br />
Buch „Deutsch in der <strong>Wissens</strong>chaft“ von H.<br />
Oberreuter, W. Krull, H. J. Meyer, K. Ehlich (Hrsg.)<br />
ist erschienen im Olzog Verlag München, 2012.<br />
58 Impulse 2013 59
Wie muss Forschung präsentiert werden, damit sie in der<br />
schnell getakteten Internetwelt wahrgenommen wird?<br />
Welchen Einfluss haben moderne digitale Hilfsmittel auf die<br />
Qualität der Präsentationen? Daran forscht Professor Henning<br />
Lobin – und darüber diskutiert er mit seinen Studierenden.<br />
Hierarchien<br />
schwinden<br />
Digitale Medien verändern<br />
die Kommunikation auch in<br />
der <strong>Wissens</strong>chaft. Mehr noch:<br />
Durch den direkten Dialog über<br />
Blogs, Mailinglisten oder Twitter<br />
durchbrechen junge Forscher<br />
die starren sozialen Strukturen<br />
<strong>des</strong> <strong>Wissens</strong>chaftsbetriebs.<br />
Impulse 2013 61
Unsere Welt wird komplexer, digitaler, vernetzter. Web 2.0 beeinflusst den<br />
Alltag vieler Menschen, die Aktienmärkte – und die <strong>Wissens</strong>chaft. Wie sich<br />
Forschung und digitale Welt durchdringen, welche Auswirkungen die neuen<br />
digitalen Medien auch auf die innerwissenschaftliche Kommunikation<br />
haben: Damit setzte sich ein Forschernetzwerk an sechs Hochschulstandorten<br />
auseinander. In einem sich wechselseitig beeinflussenden Prozess<br />
erwachsen daraus wiederum neue Ansätze für Forschung – sofern Forscher<br />
lernen, ihr Wissen in das digitale Netz einzuspinnen.<br />
Henning Lobin steht vor einer grünen Leinwand<br />
und wirkt – bei aller Souveränität – ein klein<br />
wenig irritiert. In der Hand einen Notizzettel,<br />
vermittelt der Professor für Angewandte Sprachwissenschaft<br />
und Computerlinguistik an der Universität<br />
Gießen seine Eindrücke zu den Vorträgen,<br />
die er über den Tag verteilt gehört hat. Mal geht<br />
er einen Schritt nach rechts, mal nach links und<br />
schnell wieder zurück. Hoch konzentriert und für<br />
einen eigentlich alltäglichen Kommentar unter<br />
Kollegen erstaunlich angespannt. Der Grund: Der<br />
Leiter <strong>des</strong> Forschungsverbunds „Interactive Science<br />
– interne <strong>Wissens</strong>chaftskommunikation über<br />
digitale Medien“ ist gerade in diesem Moment Teil<br />
eines Experiments, das eigentlich jedoch eine wissenschaftliche<br />
Tagung ist …<br />
Das klingt etwas verwirrend? Nun, für eine<br />
erste, schnelle Aufklärung sorgt bereits der<br />
Tagungstitel: „Die Performance der Lecture<br />
im Netz“. Ziel der Veranstalter ist es zu untersuchen,<br />
wie sich die Kommunikation in der<br />
<strong>Wissens</strong>chaft in Zeiten von Internetportalen,<br />
Journalen für Open Peer Review, Blogs, Sozialen<br />
Netzwerken und Twitterfeeds wandelt. Und<br />
sie interessiert, wie die <strong>Wissens</strong>chaft diesen<br />
Wandel nutzen kann. Wie beispielsweise muss<br />
Forschung präsentiert werden, damit sie in der<br />
schnell getakteten Internetwelt wahrgenommen<br />
wird? Welchen Einfluss haben moderne<br />
digitale Hilfsmittel auf die Qualität der Präsentationen<br />
– ist etwa PowerPoint Fluch oder<br />
Segen für die wissenschaftliche Präsentationskultur?<br />
Wie wandelt sich die <strong>Wissens</strong>chaft<br />
durch den Mediengebrauch und das Kommunikationsverhalten<br />
jener – vor allem jüngerer –<br />
Menschen, für die Twittern so selbstverständlich<br />
ist wie Telefonieren? Im Rahmen eines<br />
2012 beendeten Vorhabens in der Initiative<br />
„Schlüsselthemen für <strong>Wissens</strong>chaft und Gesellschaft“<br />
haben Forscher aus Gießen, Trier, Essen,<br />
Hamburg und Wien in den vergangenen vier<br />
Jahren als Netzwerk ein Netzwerk erforscht<br />
– von der <strong>VolkswagenStiftung</strong> gefördert mit<br />
rund einer Million Euro.<br />
Unterschiedliche Generationen im <strong>Wissens</strong>chaftsbetrieb: Wie<br />
wandelt sich die <strong>Wissens</strong>chaft durch den Mediengebrauch und<br />
das Kommunikationsverhalten jener – vor allem jüngerer – Forscherinnen<br />
und Forscher, für die Twittern so selbstverständlich ist<br />
wie Telefonieren? Das interessiert Sabine Heymann, Geschäftsführerin<br />
<strong>des</strong> ZMI Gießen, und Kollegin Vera Ermakova (rechts).<br />
Vortragsformate für das Internet müssen sich stark ändern, wol-<br />
len sie erfolgreich sein. Es stellt sich die Frage: Was bleibt letztlich<br />
von einem Vortragsszenario übrig, bei dem man einfach nur eine<br />
Kamera mitlaufen lässt und den Mitschnitt ins Internet stellt? Die<br />
Antwort ist ernüchternd: Vieles entgeht der Aufmerksamkeit.<br />
Einen kleinen Einblick, wie sich dieses Konsortium<br />
aus Medien-, Kultur-, Politik-, Sprach- und<br />
Theaterwissenschaftlern dem komplexen<br />
Zusammenspiel aus digitaler Welt und <strong>Wissens</strong>chaft<br />
genähert hat, gewährt die Szene mit<br />
Henning Lobin an der grünen Leinwand: Vor ihm<br />
sitzen die Veranstaltungsteilnehmer an Tischen,<br />
und auf der gegenüberliegenden Seite <strong>des</strong> Saales<br />
sieht er sich selbst auf einem Monitor agieren –<br />
projiziert in den aufgezeichneten Vortrag einer<br />
Referentin der Tagung. Auf diesen Vortrag, in<br />
dem er sich sozusagen bewegt, beziehen sich seine<br />
Kommentare. Und auch die Sprecherin stand<br />
vor wenigen Stunden vor derselben grünen<br />
Leinwand und sah sich selbst auf der anderen<br />
Seite <strong>des</strong> Saales in den Präsentationsinhalten<br />
ihres Vortrages stehen. „Hintergrund dieser Versuchsanordnung<br />
ist die Erkenntnis, dass sich<br />
Vortragsformate für das Internet stark ändern<br />
müssen, wenn sie erfolgreich sein sollen“, sagt<br />
die in das Schlüsselthemenprojekt eingebundene<br />
<strong>Wissens</strong>chaftlerin Dr. Sibylle Peters, Leiterin <strong>des</strong><br />
Forschungstheaters Fundus Theater in Hamburg.<br />
„Und es stellt sich die Frage: Was bleibt letztlich<br />
von einem Vortragsszenario übrig, wenn man<br />
einfach nur eine Kamera mitlaufen lässt und den<br />
Mitschnitt ins Internet stellt?“<br />
Produktionen fürs Netz:<br />
oft nicht vom Nutzer her gedacht<br />
Die bis vor wenigen Jahren geradezu explodierenden<br />
Video-Archive von wissenschaftlichen<br />
Online-Lectures schrumpfen derzeit und verändern<br />
sich. Anfänglicher Begeisterung folgte<br />
Ernüchterung, denn es zeigte sich, dass die<br />
Produktionen nicht vom Nutzer her gedacht<br />
waren. So verliert sich der Fokus auf ein Thema<br />
im aufgezeichneten Vortrag, die Umgebung am<br />
heimischen Rechner lenkt ab, wissenschaftliche<br />
Online-Vorträge werden fast nie von Anfang bis<br />
Ende konsumiert. Bei der Präsentation der Präsentation<br />
– denn nichts anderes ist ein Videomitschnitt<br />
– gehen viele Aspekte eines Vortrags verloren.<br />
Doch es gibt erfolgreiche Internet-Formate,<br />
wie beispielsweise das Vortragsportal TED Ideas<br />
worth spreading zeigt. Diese unterscheiden sich<br />
grundlegend von der klassischen wissenschaftlichen<br />
Präsentation, sind unterhaltsam, stark auf<br />
die Person <strong>des</strong> Redners fokussiert, sehr kurz und<br />
kommen als spannen<strong>des</strong> Live-Szenario daher.<br />
Also hat Sibylle Peters gemeinsam mit Künstlerinnen<br />
und Künstlern experimentelle, neue<br />
62 Impulse 2013 63
Vortragsformate entwickelt – etwa das digitale<br />
Vortragslabor, in dem der Forschungsverbund<br />
getagt und die Teilnehmer vor neue Herausforderungen<br />
gestellt hat.<br />
<strong>Wissens</strong>chaftler sind in ihrem Alltag nicht so<br />
offenkundig experimentierfreudig wie Sibylle<br />
Peters: Die Interaktionen, die durch die <strong>Digitalisierung</strong><br />
der <strong>Wissens</strong>chaft entstehen, schleichen<br />
sich eher leise in ihren Arbeitsalltag. Selbstverständlich<br />
tragen sie ihre Forschung heute nicht<br />
mehr mit Tafelbildern oder Overhead-Projektoren<br />
vor. PowerPoint und vergleichbare Programme<br />
sind Standardwerkzeuge für Präsentationen,<br />
und ebenso sind dies digitale Medien. In Mailinglisten,<br />
Internetforen und Online-Begutachtungsprozessen<br />
für Open Peer Reviews diskutieren<br />
<strong>Wissens</strong>chaftlerinnen und <strong>Wissens</strong>chaftler<br />
digital. Sie überlassen sich dabei unwissentlich<br />
einer Diskursdynamik, die zu Entscheidungen<br />
bei Begutachtungen führt oder zumin<strong>des</strong>t die<br />
Richtung der Forschung beeinflusst. „<strong>Wissens</strong>chaftler<br />
gehen meist davon aus, dass sie ausschließlich<br />
nach wissenschaftlichen Kriterien<br />
Die Stiftung förderte das Projekt „Interactive<br />
Science“ in der Initiative „Schlüsselthemen der<br />
Geisteswissenschaften“, die 2011 nach zwölf<br />
Jahren beendet wurde. Sie wurde weiterentwickelt<br />
zum Angebot „Schlüsselthemen für<br />
<strong>Wissens</strong>chaft und Gesellschaft“, das Kultur-,<br />
Geistes- und Gesellschaftswissenschaften<br />
gleichberechtigt in den Fokus nimmt. Der<br />
neue Name ist Programm: <strong>Wissens</strong>chaftlerinnen<br />
und <strong>Wissens</strong>chaftler sind aufgerufen,<br />
eine komplexe Fragestellung zu identifizieren,<br />
die die Relevanz eines „Schlüsselthemas“ für<br />
<strong>Wissens</strong>chaft und Gesellschaft besitzt. Dabei<br />
ist es Kernaufgabe einer Forschergruppe, deutlich<br />
zu machen, inwieweit das von ihr gewählte<br />
Thema dieser Anforderung entspricht.<br />
beurteilt werden“, sagt Henning Lobin. „Aber<br />
das stimmt definitiv nicht. <strong>Wissens</strong>chaft basiert<br />
nicht allein auf Fakten, sondern auf persönlicher<br />
Wirkung, Rhetorik und Darstellung.“ Das<br />
gilt auch für schriftliche Online-Diskurse. Die<br />
Prozesse, die bei solchen digitalen Interaktionen<br />
ablaufen, gehorchen klaren Mustern – und die<br />
hängen längst nicht nur von der Qualität der<br />
Argumente ab.<br />
Initiative „Schlüsselthemen für <strong>Wissens</strong>chaft und Gesellschaft“<br />
Um solche Themen sinnvoll bearbeiten zu<br />
können, bedarf es in den Kultur- und Gesellschaftswissenschaften<br />
häufig der Zusammenarbeit<br />
mehrerer Forscherinnen und Forscher<br />
unterschiedlicher Expertise; darüber hinaus<br />
können Projektpartner aus den Lebens-,<br />
Natur- und Technikwissenschaften eingebunden<br />
werden, sofern es das Thema erfordert.<br />
Da die <strong>Wissens</strong>chaftler gemeinsam eine übergreifende<br />
Fragestellung beantworten sollen, ist<br />
zwingend die Entwicklung eines integrativen,<br />
nicht lediglich additiven Projekt<strong>des</strong>igns gefordert.<br />
Die Unterstützung solch „mittelgroßer“<br />
Vorhaben – zwei bis maximal fünf Antragsteller<br />
– ist ein Alleinstellungsmerkmal der<br />
Stiftung in diesem Feld. cj<br />
Am Zentrum für Medien und Interaktivität (ZMI)<br />
der Universität Gießen, dem Mittelpunkt <strong>des</strong><br />
Forschungsverbunds, standen diese Wechselwirkungen<br />
zwischen digitalen Werkzeugen und<br />
dem Menschen dahinter im Fokus. Das Ergebnis:<br />
Erfolg und Misserfolg in Online-Diskussionen<br />
lassen sich auf spezifische, dem Medium angepasste<br />
– oder ihm eben nicht entsprechende<br />
– Verhaltens- und Argumentationsmuster<br />
zurückführen. Besonders deutlich wird das in<br />
der wissenschaftlichen Blog-Kultur: Wer entsprechend<br />
geeignet schreiben und argumentieren<br />
kann, hat Erfolg im Netz. Und diese Entwicklung<br />
wiederum bringt noch etwas anderes mit<br />
sich; ein Effekt, den die digitale Vernetzung auf<br />
die <strong>Wissens</strong>chaft als Organisationskultur hat –<br />
Hierarchien bröckeln! Denn durch den direkten<br />
Dialog über Blogs, Mailinglisten oder Twitter<br />
umgehen junge <strong>Wissens</strong>chaftler die starren sozialen<br />
Strukturen ihres Berufsumfel<strong>des</strong>. „In einem<br />
Institut hat ein wissenschaftlicher Mitarbeiter<br />
auf der dritten Hierarchieebene kaum eine Stimme“,<br />
sagt Henning Lobin. „Wenn dieser wissenschaftliche<br />
Mitarbeiter jedoch einen guten Blog<br />
schreibt, kann er genauso aufhorchen lassen wie<br />
sein Institutsleiter.“<br />
Zudem wirkt die direkte digitale Vernetzung<br />
massiv als Beschleuniger: Bestand der wissenschaftliche<br />
Diskurs bis vor einigen Jahren noch<br />
überwiegend aus abgelesenen Vorträgen und<br />
„<strong>Wissens</strong>chaft basiert nicht allein auf Fakten,<br />
sondern auf persönlicher Wirkung, Rhetorik<br />
und Darstellung“, sagt Henning Lobin. Das<br />
gelte auch für Online-Diskurse. Er beobachtet,<br />
dass junge Forscherinnen und Forscher mit<br />
einer neuen Dialogkultur aufwüchsen, die<br />
sich beinahe täglich weiterentwickle.<br />
gedruckten Fachzeitschriften, in denen nur nach<br />
großem zeitlichen Vorlauf veröffentlicht wurde,<br />
werden diese Räume nun gefüllt durch modern<br />
gehaltene Präsentationen, Blogs oder Tweeds.<br />
<strong>Wissens</strong>chaftler tauschen Argumente aus, aber<br />
auch Neuigkeiten: eine neue Publikation, einen<br />
spannenden Vortrag und und und. „Die digitalen<br />
Medien füllen eine Leerstelle“, ist Henning<br />
Lobin überzeugt. Und: Hier zeigen sich die ersten<br />
Schritte eines ganz un-digitalen Evolutionsprozesses.<br />
Junge Forscher, die mit dieser Dialogkultur<br />
aufwachsen, entwickeln sie täglich weiter<br />
– diejenigen, die sich nicht (mehr) darauf einlassen,<br />
gehen über kurz oder lang in den Ruhestand.<br />
Multimodales Präsentieren: die nächste Herausforderung<br />
für den wissenschaftlichen Vortrag?<br />
Doch nicht nur die Netzreife wissenschaftlicher<br />
Präsentationen oder generell innovative Formate,<br />
auch der ganz alltägliche wissenschaftliche Vortrag<br />
mit seinen digitalen Elementen war zentraler<br />
Forschungsgegenstand <strong>des</strong> Verbundvorhabens.<br />
Offenbar trafen die Projektpartner dabei den Kern<br />
einer gesellschaftlichen Debatte. So entspannen<br />
sich in den Jahren 2009 und 2010 in der Frankfurter<br />
Allgemeinen Zeitung, der Süddeutschen<br />
Zeitung und unterschiedlichen Programmschienen<br />
<strong>des</strong> Deutschlandfunks Diskussionen über<br />
Sinn und Unsinn von PowerPoint in der Wissen-<br />
64 Impulse 2013 65
schaft. Aber was ist eigentlich das Neue an dieser<br />
inzwischen so selbstverständlichen Vortragsart?<br />
Projektpartner Hans-Jürgen Bucher, Professor im<br />
Fachbereich Medienwissenschaft der Universität<br />
Trier, erklärt: „Neu ist, dass wir mit digitalen<br />
Mitteln visuelle Elemente in einen wissenschaftlichen<br />
Vortrag einbauen können und der Vortragende<br />
über verschiedene Kanäle kommuniziert<br />
– wir nennen das multimodal.“ Natürlich gab es<br />
auch im Overhead-Folien-Zeitalter schon Bilder<br />
in Vorträgen, aber der teilweise virtuose Umgang<br />
mit Grafiken und Bewegtbild-Animationen wurde<br />
erst durch die <strong>Digitalisierung</strong> der Vortragstechnik<br />
möglich.<br />
Damit ist die Multimodalitätsforschung ein junger<br />
Forschungszweig, und die wissenschaftliche<br />
Frage dahinter lautet: Wie bringen Vortragende<br />
diese verschiedenen Kanäle zusammen, und:<br />
Ist das eigentlich ein Fortschritt für die <strong>Wissens</strong>chaftskommunikation?<br />
Und wann ist der<br />
Zuhörer überfordert? Was Multimodalität für die<br />
Auf dem Weg zu „Science 2.0“?! Gesucht sind Formate, die<br />
den Nutzer auch überraschen. Für entsprechend pfiffige Ideen<br />
gibt es künftig den „Gießener Preis für wissenschaftliche<br />
Präsentation & Lecture Performance“.<br />
Qualität der Kommunikation bedeutet, wie sich<br />
das wissenschaftliche Vortragswesen verändert<br />
hat: Das legen erst aufwändige Studien frei. Während<br />
achtzig teils sehr unterschiedlicher Vorträge<br />
bei einer wissenschaftlichen Tagung ließen die<br />
Forscher jeweils einen Teilnehmer eine Helmkamera<br />
mit Blickaufzeichnungstechnologie tragen<br />
– für die Expertensicht. Hans-Jürgen Bucher hat<br />
die Vorträge zudem gefilmt. Die so gesammelten<br />
24 Stunden Material bildeten wiederum die Basis<br />
für drei Szenarien im heimischen Trierer Blickaufzeichnungslabor.<br />
Probanden vom Fach und Laien<br />
bekamen einmal die Folien mit Ton und einmal<br />
nur die Folien zum Durchklicken präsentiert. Als<br />
drittes Szenario entwickelte Hans-Jürgen Bucher<br />
die lebensgroße Visualisierung eines medienwissenschaftlichen<br />
Mastervortrags, in den er all seine<br />
Erkenntnisse und Hypothesen über Folientypen,<br />
Handlungen <strong>des</strong> Vortragenden, den Einsatz von<br />
Laserpointern, Stimme und Gesten einbaute. Das<br />
Ergebnis: Auch im wissenschaftlichen Vortrag<br />
müssen <strong>Wissens</strong>chaftler erst lernen, mit digitalen,<br />
multimodalen Werkzeugen umzugehen, um aus<br />
dem verpönten Folienfilm und dem gesprochenen<br />
Wort als Ganzes einen guten Vortrag zu gestalten.<br />
Für die nahe Zukunft gesucht: digitale Formate an<br />
der Schnittstelle von Kunst und <strong>Wissens</strong>chaft<br />
„Die Präsentation von <strong>Wissens</strong>chaft hat sich in<br />
kurzer Zeit ganz grundlegend geändert. Es ändert<br />
sich aber nicht nur die Live-Situation, auch werden<br />
die dort genutzten Materialien für die Lehre<br />
zunehmend archiviert und zur Nachbereitung von<br />
Vorlesungen mit Videomitschnitten im Netz zur<br />
Verfügung gestellt.“ Damit schließt sich einer der<br />
vielen Kreise in der komplexen digitalen Welt, und<br />
wir kehren zurück zu Henning Lobin, der gemeinsam<br />
mit Theater-, Kultur- und Sprachwissenschaftlern<br />
den „Gießener Preis für wissenschaftliche<br />
Präsentation & Lecture Performance“ ausgelobt hat.<br />
Gesucht: junge Formate zwischen Kunst und <strong>Wissens</strong>chaft<br />
– auf dem Weg zu „Science 2.0“.<br />
Jo Schilling<br />
Schlüsselthema „Interactive Science“<br />
Das 2012 beendete Vorhaben „Interactive<br />
Science“ integrierte linguistische, medien-,<br />
informations- und sozialwissenschaftliche,<br />
wissenschaftshistorische und theaterwissenschaftliche<br />
Expertise. Acht weitere Teams<br />
bildeten neben der Arbeitsgruppe um den<br />
Projektleiter und -koordinator Professor<br />
Henning Lobin von der Universität Gießen<br />
den Forschungsverbund.<br />
Beteiligt an dem Kooperationsvorhaben waren<br />
noch das Kulturwissenschaftliche Institut<br />
Essen (Professor Claus Leggewie), die Universitäten<br />
Duisburg-Essen (Professor Christoph<br />
Bieber), Konstanz (Professor Rainer Kuhlen),<br />
Trier (Professor Hans-Jürgen Bucher), Gießen<br />
(Professor Gerd Fritz sowie Professor Thomas<br />
Gloning) – und die Österreichische Akademie<br />
der <strong>Wissens</strong>chaften in Wien (Dr. Michael Nentwich)<br />
sowie aus Hamburg die Theaterwissenschaftlerin<br />
Dr. Sibylle Peters.<br />
Ihr gemeinsames Fazit: Digitale Medien berühren<br />
den Kern wissenschaftlicher Kommunikation<br />
und bewirken zweierlei. Zum einen wird<br />
mittelbar der Prozesscharakter <strong>des</strong> Forschens<br />
gestärkt, zum anderen eine Enthierarchisierung<br />
<strong>des</strong> Forschungsprozesses begünstigt.<br />
So könnten – beispielsweise durch Feedbackschleifen<br />
und eine teilweise Anonymisierung<br />
Gruppenfoto <strong>des</strong> Schlüsselthemen-Forschungsverbunds<br />
„Interactive Science“. Neun Forscherteams an sieben Hochschulstandorten<br />
schlossen sich für das Projekt zusammen.<br />
– hierarchisch strukturierte Forschungsinstitutionen<br />
an Durchlässigkeit gewinnen.<br />
In vier standortübergreifenden Teilprojekten hat<br />
das Forscherteam gearbeitet. Ziel <strong>des</strong> ersten war<br />
es, einen Überblick zu geben über die laufenden<br />
Tendenzen im Bereich Interactive Science – und<br />
zwar auf Basis von Dokumentenanalysen, Experteninterviews<br />
und von Delphi-Runden, einer<br />
besonderen Technik der Expertenbefragung.<br />
In Teilprojekt zwei untersuchten die Forscher<br />
mit textlinguistischen und medienwissenschaftlichen<br />
Methoden die wissenschaftliche<br />
Argumentation in ihren rhetorischen, ästhetischen<br />
und performativen Dimensionen.<br />
Teilprojekt drei fokussierte – mit Ansätzen aus<br />
den Theaterwissenschaften – auf jene Veränderungen,<br />
die sich im Wissen digitaler Nutzung<br />
bei wissenschaftlichen Vorträgen feststellen<br />
lassen hinsichtlich der Effekte ihrer Aufzeichnung,<br />
Reproduktion und Verteilung.<br />
Das vierte Teilprojekt war ein sprachwissenschaftliches:<br />
Analysiert wurde das Potenzial<br />
digitaler Medien, den Austausch wissenschaftlicher<br />
Information und die Austragung wissenschaftlicher<br />
Kontroversen zu fördern sowie die<br />
Transparenz kritischer Selbstevaluation von<br />
<strong>Wissens</strong>chaft zu verbessern. cj<br />
Probandin mit Helmkamera im Trierer Blickaufzeichnungslabor.<br />
Wie reagiert sie auf verschiedene Präsentationen – und vor<br />
allem: worauf mehr, und was entgeht ihrer Aufmerksamkeit?<br />
66 Impulse 2013 67
Spektrum<br />
Karriere voraus!<br />
<strong>VolkswagenStiftung</strong> bewilligte 2012 insgesamt<br />
8,5 Millionen Euro für sieben neue Lichtenberg-<br />
Professuren an deutschen Universitäten.<br />
Einer von denen, die sich im harten Wettbewerb<br />
um eine solche Professur durchgesetzt haben, ist<br />
Dr. Matthias Schott. Der Teilchenphysiker gehörte<br />
am europäischen Kernforschungszentrum<br />
CERN zu jener Forschergruppe, die im Juli 2012<br />
ein neues Elementarteilchen entdeckte – vermutlich<br />
das lange gesuchte Higgs-Boson. Weltweit<br />
versuchen Teilchenphysiker seit Jahrzehnten<br />
zu erklären, wie die Bausteine <strong>des</strong> Universums<br />
ihre Masse erhalten und welche Rolle das Higgs-<br />
Boson dabei spielt. Matthias Schott will nun<br />
explizit die Masse <strong>des</strong> sogenannten W-Bosons<br />
so genau wie möglich bestimmen, da sich über<br />
dieses Elementarteilchen womöglich indirekt<br />
Rückschlüsse auf die Eigenschaften <strong>des</strong> Higgs-<br />
Boson ziehen lassen. Seine Forschung soll helfen<br />
zu verstehen, ob das Higgs-Teilchen tatsächlich<br />
nachgewiesen wurde, oder – was noch spektakulärer<br />
wäre – „ob wir etwas Neues entdeckt haben<br />
und sich dadurch eine Tür zu einer neuen Physik<br />
öffnet“, erläutert Schott. Seine Forschungen wird<br />
er künftig als Lichtenberg-Professor an der Universität<br />
Mainz fortführen.<br />
Von der Teilchenphysik bis zur Slawistik: Die 2012 gekürten Lichtenberg-Professoren<br />
und eine Professorin decken ein weites Feld<br />
an Forschungsthemen ab. Im harten Wettbewerb um eine solche<br />
Förderung der Stiftung setzten sich durch (von oben nach unten):<br />
Matthias Schott, Hansjörg Schwertz und Stephan Gekle …<br />
Nachrichten aus der<br />
<strong>Wissens</strong>chaftsförderung<br />
der <strong>VolkswagenStiftung</strong><br />
Welche Rolle Blutplättchen – auch Thrombozyten<br />
genannt – bei Immunantworten unseres<br />
Körpers spielen, interessiert Dr. Hansjörg<br />
Schwertz. Erste wissenschaftliche Untersuchungen<br />
ergaben, dass Thrombozyten besondere<br />
Enzyme besitzen, mit deren Hilfe sie das<br />
Immunsystem verändern. Inwieweit diese von<br />
Bedeutung sind für die körpereigene Abwehr<br />
bakterieller und viraler Infektionen, hofft<br />
Schwertz künftig an der Universität Greifswald<br />
ein Stück weit klären zu können. Thematisch gar<br />
nicht weit entfernt beschäftigt sich Dr. Stephan<br />
Gekle an der Universität Bayreuth mit Wirkstoffen,<br />
deren Transport über die menschliche<br />
Blutbahn erfolgt. Sein Ziel ist es, die physikalischen<br />
Wechselwirkungen zu verstehen, die<br />
zwischen Wirkstofftransporteuren und roten<br />
Blutzellen bestehen. Denn bei ihrem Weg durch<br />
die Blutbahn können die in den Körper eingebrachten<br />
Minitransportmittel verklumpen –<br />
mit ernsten Folgen für den Patienten.<br />
Zwei <strong>Wissens</strong>chaftler interessieren sich für<br />
Funktionsweisen unseres Gehirns. Forschungsgegenstand<br />
von Dr. Dr. Florian Mormann an<br />
der Bonner Universitätsklinik für Epileptologie<br />
ist der Schläfenlappen, der beim Menschen<br />
von Bedeutung ist für Wahrnehmungs- und<br />
Gedächtnisprozesse. Doch auch epileptische<br />
Anfälle nehmen dort häufig ihren Anfang. Mithilfe<br />
von Messungen lokaler Feldpotenziale und<br />
<strong>des</strong> Entladungsverhaltens einzelner Nervenzellen<br />
im Gehirn von Epilepsiepatienten möchte<br />
der Lichtenberg-Professor zum besseren Verständnis<br />
von Fehlfunktionen dieser Hirnregion<br />
beitragen. Dr. Martin Greschner wird künftig<br />
an der Universität Oldenburg untersuchen, wie<br />
visuelle Signale von der Netzhaut über den Seh-<br />
nerv an das Gehirn übermittelt werden. Man<br />
weiß zwar, dass rund zwanzig verschiedene<br />
Typen sogenannter Ganglienzellen diesen Prozess<br />
steuern. Wie die visuellen Informationen<br />
allerdings genau kodiert sind und in der Netzhaut<br />
durch Interneurone verarbeitet werden, ist<br />
weitgehend unklar. Die Beantwortung dieser<br />
Fragen könnte dazu beitragen, Netzhautprothesen<br />
und künstliche Sehsysteme zu entwickeln.<br />
Dr. Moritz Renner wird sich im Rahmen seiner<br />
Lichtenberg-Professur an der Universität Bremen<br />
mit der Frage beschäftigen, welche Veränderungen<br />
das Recht durch die Globalisierung<br />
der Wirtschaft erfährt. Dies soll am Beispiel <strong>des</strong><br />
transnationalen Konzernrechts und <strong>des</strong> Rechts<br />
grenzüberschreitender Kreditverträge untersucht<br />
werden. Und die Slawistin Dr. Sabine<br />
Koller erforscht an der Universität Greifswald<br />
die ostjüdische Kulturrenaissance im 19. und 20.<br />
Jahrhundert. Ziel ihres an der Schnittstelle von<br />
slawischer Philosophie, Judaistik und Kunstgeschichte<br />
angesiedelten Vorhabens ist es, mehr<br />
Wissen zusammenzutragen über die kulturelle<br />
Blüte <strong>des</strong> Ostjudentums insbesondere mit Blick<br />
auf Literatur und Malerei.<br />
Forschungsstarker Norden<br />
Startschuss für die neu eingerichteten „Forschungs-<br />
professuren an Fachhochschulen" in Niedersachsen.<br />
Gut zwei Millionen Euro in Runde eins bewilligt.<br />
Sieben forschungsstarke Professorinnen und<br />
Professoren an Fachhochschulen in Niedersachsen<br />
können sich freuen: Sie profitieren als erste<br />
von dem neuen Angebot, das das Land Niedersachsen<br />
und die <strong>VolkswagenStiftung</strong> im Herbst<br />
2012 auf den Weg gebracht haben. Gefördert<br />
werden dabei entweder mehr Forschungszeit<br />
– die erforderliche Reduzierung der jeweiligen<br />
Lehrverpflichtung wird über die Mittel <strong>des</strong> Programms<br />
kompensiert – oder die Neuberufung<br />
von Professoren zum Aufbau eines neuen<br />
Forschungsschwerpunkts an einer Hochschule.<br />
Eine wichtige Stärkung für Niedersachsen,<br />
geben doch gerade Fachhochschulen über die<br />
dort verankerte anwendungsorientierte Forschung<br />
wichtige Impulse für Innovationen in<br />
die Wirtschaft. Und das wiederum stützt nicht<br />
zuletzt die Wettbewerbsfähigkeit kleiner und<br />
mittelgroßer Unternehmen. 2,1 Millionen Euro<br />
wurden in einer ersten Ausschreibungsrunde<br />
für die Professuren insgesamt bewilligt.<br />
35 Bewerbungen lagen in kurzer Zeit vor; sechs<br />
<strong>Wissens</strong>chaftlerinnen und <strong>Wissens</strong>chaftler können<br />
sich nun auf mehr Forschungszeit freuen.<br />
Des Weiteren erhält die Hochschule für angewandte<br />
<strong>Wissens</strong>chaft und Kunst Hil<strong>des</strong>heim-<br />
Holzminden-Göttingen als einzige Unterstützung<br />
für eine Neuberufung. Mehr Zeit für ihre<br />
Forschung erhalten nun für die nächsten drei<br />
Jahre Professor Dr.-Ing. Xiaobo Liu-Henke (Ostfalia<br />
Hochschule für angewandte <strong>Wissens</strong>chaft<br />
Braunschweig-Wolfenbüttel), Professorin Dr.<br />
Friederike zu Sayn-Wittgenstein, Professorin Dr.<br />
Ursula Hübner und Professor Dr.-Ing. Ulrich Krupp<br />
(alle drei Hochschule Osnabrück), Professor Dr.-<br />
Ing. Hans-Josef Endres (Hochschule Hannover)<br />
und Professor Dr.-Ing. Thomas Luhmann (Jade<br />
Hochschule Wilhelmshaven-Oldenburg-Elsfleth).<br />
… sowie (von<br />
links nach rechts)<br />
Florian Mormann,<br />
Moritz Renner,<br />
Martin Greschner<br />
und Sabine Koller.<br />
68 Impulse 2013 69
Spektrum<br />
Kurzschluss im Gehirn<br />
Forscherteam um Lichtenberg-Professorin Marlene<br />
Bartos zeigt, dass Ruhepausen im Gehirn auch durch<br />
eine Art Kurzschluss ausgelöst werden können.<br />
Das Gehirn leistet täglich Enormes – etwa wenn<br />
detaillierte Erinnerungen an Vergangenes abgerufen<br />
oder auf Basis von Wissen und Erfahrungen<br />
wichtige Entscheidungen getroffen werden. Um<br />
solche Aufgaben zu meistern, müssen Nervenzellen<br />
im Gehirn eine ausgewogene und zeitlich<br />
präzise Balance zwischen Aktivitäts- und Ruhephasen<br />
einhalten. Ist diese Balance gestört, kann<br />
es zu neurologischen Erkrankungen wie Epilepsie<br />
oder Schizophrenie kommen.<br />
Für Aktivität sorgen erregende Nervenzellen. Sie<br />
senden Signale aus, die das elektrische Potenzial<br />
der Empfängerzellen in eine positive Richtung<br />
verschieben. Demgegenüber garantieren sogenannte<br />
hemmende Interneurone Ruhepausen<br />
im Gehirn. Bislang nahmen <strong>Wissens</strong>chaftler an,<br />
dass jene eine Blockierung verursachen, indem sie<br />
die Spannung der Zielzelle in negativer Richtung<br />
verändern. Nun jedoch hat ein Forscherteam der<br />
Universität Freiburg um Lichtenberg-Professorin<br />
Marlene Bartos und die beiden Molekularmediziner<br />
Jonas-Frederic Sauer und Michael Strüber<br />
herausgefunden, dass Interneurone ihre Zielzellen<br />
auf eine zweite Art hemmen können: Sie können<br />
auch einen elektrischen Kurzschluss verursachen,<br />
sodass die Zielzellen für kurze Zeit nicht für erregende<br />
Signale empfänglich sind. Die Ergebnisse<br />
ihrer Arbeit veröffentlichten die Forscher im „The<br />
Journal of Neuroscience“.<br />
Welcher der beiden Wirkungsmechanismen der<br />
Interneurone zum Einsatz kommt, hängt vom<br />
jeweiligen Hirnareal ab, das der Untersuchung<br />
zugrunde gelegt wird. Während die Interneurone<br />
beispielsweise im Hippocampus das elektrische<br />
Kurzschluss im Gehirn: Eine Nervenzelle ist blockiert und<br />
kurze Zeit nicht für sie erregende Signale empfänglich.<br />
Potenzial ihrer Zielzellen ins Negative verschieben,<br />
benutzen die Interneurone <strong>des</strong> benachbarten Gyrus<br />
Dentatus den elektrischen Kurzschluss zur Hemmung.<br />
Diese Gehirnregion ist dafür bekannt, dass<br />
Änderungen in der Balance zwischen Anregung<br />
und Hemmung zu Epilepsie führen können. Die<br />
Arbeit <strong>des</strong> Freiburger Forscherteams hilft somit<br />
dabei, klinische Störungen dieser Balance besser zu<br />
verstehen, und kann in Zukunft möglicherweise als<br />
Grundstein für bessere Therapien dienen.<br />
Wenn die Nase leuchtet<br />
<strong>Wissens</strong>chaftler um Lichtenberg-Professor Marc<br />
Spehr haben herausgefunden, wie wir unterschiedlich<br />
starke Gerüche wahrnehmen.<br />
Mitochondrien, auch „Kraftwerke der Körperzellen“<br />
genannt, haben die Hauptaufgabe, Energie zu<br />
erzeugen. Seit Kurzem weiß man, dass diese Organellen<br />
außerdem den Kalziumspiegel in Zellen<br />
regulieren. In der Riechforschung wurden zwar<br />
viele Prozesse der Kalziumregulation in Riechnervenzellen<br />
untersucht, die Rolle von Mitochondrien<br />
allerdings blieb bislang unerforscht. Hier setzten<br />
in einem von der Stiftung geförderten Projekt<br />
<strong>Wissens</strong>chaftler der RWTH Aachen, vom NeuroScience<br />
Research Center der Berliner Charité<br />
und vom italienischen Forschungsunternehmen<br />
Axxam SpA an. Ihnen ist es gelungen, den Prozess<br />
der Geruchswahrnehmung mithilfe einer neuartigen<br />
Messmethode sichtbar zu machen.<br />
Bisher war bekannt, dass sich der Kalziumspiegel<br />
unmittelbar erhöht, wenn Riechnervenzellen<br />
in unserer Nase in Kontakt mit eingeatmeten<br />
Duftstoffen kommen. Dies führt zu einem<br />
elektrischen Impuls, der über Nervenfortsätze<br />
an das Gehirn weitergeleitet wird. Ob auch<br />
Mitochondrien dieses Duftsignal beeinflussen,<br />
war unklar. Jetzt gelang es, den Anstieg <strong>des</strong><br />
Kalziumspiegels im Inneren der Mitochondrien<br />
unter dem Mikroskop zu erkennen. Dabei spielt<br />
ein Prozess, Biolumineszenz genannt, eine entscheidende<br />
Rolle. Durch die Technik löst das in<br />
die Mitochondrien einfließende Kalzium eine<br />
chemische Reaktion aus, bei der Licht entsteht.<br />
Die Experimente der Duftforscher finden in<br />
völliger Dunkelheit statt, und nur wenn der<br />
Kalziumspiegel im Inneren der Mitochondrien<br />
steigt, wird Licht gebildet. Dieses Licht können<br />
die <strong>Wissens</strong>chaftler mikroskopisch „einfangen“<br />
– beim Riechen beginnt also die Nase quasi zu<br />
leuchten. Ihre Ergebnisse veröffentlicht das<br />
Forscherteam im renommierten Fachmagazin<br />
„Nature Neuroscience“.<br />
Das Leuchten beweist, dass Mitochondrien in den<br />
Riechnervenzellen an der Regulation <strong>des</strong> Kalziumspiegels<br />
beteiligt sind. Und nicht nur das: Die <strong>Wissens</strong>chaftler<br />
konnten beobachten, dass Mitochondrien<br />
im Inneren der Zellen „wandern“. Sobald ein<br />
Duft die Riechnervenzellen dauerhaft stimuliert,<br />
werden Mitochondrien in diejenigen Areale der<br />
Zellen transportiert, in denen der Kontakt mit<br />
Duftstoffen stattfindet. Ausgehend von den neuen<br />
Erkenntnissen sind die <strong>Wissens</strong>chaftler der Frage<br />
nachgegangen, welche Folgen ein Verlust der<br />
Kalziumspeicherfunktion von Mitochondrien für<br />
das Riechvermögen hat. Die Antwort: Bei einem<br />
Funktionsausfall werden Gerüche zwar weiterhin<br />
wahrgenommen, die Nase ist jedoch nicht mehr<br />
in der Lage zu „messen“, ob eine Substanz stark<br />
oder schwach riecht.<br />
Die neue Messmethode könne – spezifiziert und<br />
weiter verfeinert – mittelfristig womöglich in der<br />
Diagnostik bestimmter Krankheiten zum Einsatz<br />
kommen, erklärt Lichtenberg-Professor Marc<br />
Spehr, der das Aachener Forscherteam leitet und<br />
von der <strong>VolkswagenStiftung</strong> mit 1,4 Millionen<br />
Euro gefördert wird. Denn: „Bei einigen neurodegenerativen<br />
Erkrankungen wie Parkinson und<br />
Alzheimer scheinen auch defekte Mitochondrienfunktionen<br />
eine Rolle zu spielen.“<br />
Die Abbildung zeigt fluoreszenzmarkierte Riechnervenzellen<br />
(grün) aus der Nasenschleimhaut der Maus. Die Fortsätze der<br />
Riechnervenzellen enden am Übergang zur Nasenhöhle (schwarz)<br />
mit fadenförmigen Ausläufern (sog. Zilien), die die Riechschleimhaut<br />
bedecken. Rot angefärbt sind durch Antikörper markierte<br />
Mitochondrien, die in allen Zellen der Nasenschleimhaut vorkommen.<br />
Das Schema oben zeigt die elektrischen Entladungen einer<br />
Riechnervenzelle bei der Duftwahrnehmung. Nur wenn die Aufnahme<br />
von Kalzium in die Mitochondrien durch den mCU-Kanal<br />
möglich ist, reagiert die Riechnervenzelle auf den Duft.<br />
Virusabwehr neu verstanden<br />
Forschergruppe um Lichtenberg-Professor Max Löh-<br />
ning entdeckt Mechanismus, wie Virusinfektionen<br />
unsere Körperabwehr zu Höchstleistungen anregen.<br />
„Killer T-Zellen“ (CD8 T Zellen) sind ein wichtiger<br />
Bestandteil unserer Körperabwehr. Sie erkennen<br />
und töten solche Zellen, die Viren vermehren oder<br />
die zu Krebs entartet sind. Killer T-Zellen wären<br />
somit ein wichtiger Wirkmechanismus für Impfungen<br />
gegen HIV/AIDS, Hepatitis C und Malaria<br />
sowie für bestimmte Krebstherapien. Bekannt<br />
ist, dass Virusinfektionen die Killer-T-Zell-Abwehr<br />
extrem anheizen – bislang ist jedoch nur zum Teil<br />
verstanden, welche Prozesse dabei genau ablaufen.<br />
Forscher der Universität Genf und vom Team<br />
um Lichtenberg-Professor Max Löhning von der<br />
Charité – Universitätsmedizin Berlin fanden nun<br />
einen weiteren grundlegenden Mechanismus, wie<br />
bei Virusinfektionen Killer T-Zellen zur Hochform<br />
auflaufen. Dabei ist von Bedeutung, dass Viren die<br />
von ihnen infizierten Zellen zerstören – es kommt<br />
zur Freisetzung von Zellbestandteilen. Solche Zellbestandteile<br />
werden als „Zerstörungs-assoziierte<br />
Molekulare Muster“ (DAMPs) oder Alarmine<br />
bezeichnet. Die <strong>Wissens</strong>chaftler haben nun herausgefunden,<br />
dass Killer T-Zellen das Alarmin<br />
Interleukin 33 (IL-33) erkennen können. Es wird<br />
von Zellen freigesetzt, die das Gerüst von Milz und<br />
Lymphknoten bilden und damit die Killer T-Zellen<br />
direkt umgeben.<br />
„Diese Erkenntnisse könnten ein neuer Ansatz<br />
sein für mögliche Impfungen gegen Infektionskrankheiten<br />
oder sogar Krebs“, sagt Max Löhning,<br />
der seit 2007 als Lichtenberg-Professor für<br />
Experimentelle Immunologie an der Charité das<br />
Gedächtnis unseres Immunsystems erforscht.<br />
Lichtenberg-Professor<br />
Max Löhning erforscht<br />
das Gedächtnis unseres<br />
Immunsystems.<br />
70 Impulse 2013 71
Der renommierte<br />
Sprachenforscher<br />
Nicholas Evans dokumentierte<br />
die Aborigines-Sprache<br />
Iwaidja,<br />
die im Norden Australiens<br />
gesprochen<br />
wird, und die beiden<br />
Papua-Sprachen<br />
Nen und Tonda.<br />
Spektrum<br />
Ehre für Nicholas Evans<br />
Der in der Initiative „Dokumentation bedrohter<br />
Sprachen“ mehrfach geförderte Linguist erhält<br />
renommierte Auszeichnung der Alexander von<br />
Humboldt-Stiftung.<br />
Der australisch-amerikanische <strong>Wissens</strong>chaftler<br />
Professor Dr. Nicholas Evans erhielt im September<br />
2012 den Anneliese-Maier-Forschungspreis. Ausgezeichnet<br />
wurden seine umfangreichen Arbeiten<br />
zur Dokumentation bedrohter Sprachen und sein<br />
– nicht nur wissenschaftliches – Engagement auf<br />
diesem Feld. Evans forscht und lehrt derzeit an der<br />
Australian National University in Canberra und ist<br />
einer der weltweit führenden Experten auf dem<br />
Gebiet unerforschter und bedrohter Sprachen<br />
Australiens und Papuas. Im Rahmen der Stiftungsinitiative<br />
zu den bedrohten Sprachen dokumentierte<br />
er multimedial die Aborigines-Sprache Iwaidja,<br />
die im Norden Australiens gesprochen wird, sowie<br />
die beiden Papua-Sprachen Nen und Tonda.<br />
Evans untersucht die Vielfalt menschlicher Sprache<br />
im Hinblick auf Aussagen über deren Natur,<br />
Kultur und Geschichte und beschäftigt sich in diesem<br />
Kontext auch mit dem Denkvermögen. Seine<br />
Forschungsergebnisse veröffentlichte er unter<br />
anderem in seinem Werk „Dying Words: Endangered<br />
Languages and What They Have to Tell Us“, das<br />
die <strong>VolkswagenStiftung</strong> derzeit ins Deutsche übersetzen<br />
lässt. Das Buch soll zur Abschlusskonferenz<br />
„Language Documentation: Past – Present – Future“<br />
der Förderinitiative vorliegen, die vom 4. bis 7. Juni<br />
2013 in Hannover stattfinden wird.<br />
Für den mit 250.000 Euro dotierten, nach der Philosophin<br />
und <strong>Wissens</strong>chaftshistorikerin Anneliese<br />
Maier benannten Forschungspreis können Geistesund<br />
Sozialwissenschaftler aus dem Ausland vorgeschlagen<br />
werden, deren bisherige wissenschaftliche<br />
Leistungen in ihrem Fachgebiet international<br />
als herausragend anerkannt sind.<br />
Urs Nater ausgezeichnet<br />
Lichtenberg-Professor von der Universität Marburg<br />
erhält Charlotte- und Karl-Bühler-Preis 2012 der<br />
Deutschen Gesellschaft für Psychologie.<br />
Stress ist eines der meist gebrauchten Worte unserer<br />
Zeit. Im positiven Sinne kann Stress eine Herausforderung<br />
sein und Höchstleistungen mit sich bringen,<br />
im negativen kann er krank machen. Warum Stress<br />
manchmal krank macht und wann er zu Höchstleistungen<br />
führt, untersucht Professor Dr. Urs Nater<br />
anhand experimenteller Methoden. Als einer der<br />
international führenden Forscher zum Thema akuter<br />
und chronischer Stress kombiniert er psychologische,<br />
neurobiologische und molekularbiologische<br />
Ansätze. So gelingt es ihm, Ursache und Wirkung<br />
präziser wiederzugeben als bislang möglich.<br />
Für seine wissenschaftliche Arbeit erhielt Urs<br />
Nater im September 2012 in Bielefeld den Charlotte-<br />
und Karl-Bühler-Preis der Deutschen Gesellschaft<br />
für Psychologie. Die Auszeichnung geht an<br />
jüngere <strong>Wissens</strong>chaftlerinnen und <strong>Wissens</strong>chaftler,<br />
deren Forschung ein Arbeitsfeld der Psychologie<br />
bereits substanziell beeinflusst hat und auch<br />
Der Stress hat ihm eine Auszeichnung<br />
eingebracht: Lichtenberg-Professor<br />
Urs Nater.<br />
auf Nachbargebiete ausstrahlt. Der Preis wird alle<br />
zwei Jahre verliehen. Urs Nater hat seit dem Jahr<br />
2010 an der Philipps-Universität Marburg eine von<br />
der <strong>VolkswagenStiftung</strong> mit knapp 1,4 Millionen<br />
Euro ausgestattete Lichtenberg-Professur für Klinische<br />
Biopsychologie inne.<br />
Ästhetikpreis verliehen<br />
Winfried Menninghaus erhält den „Premio Interna-<br />
zionale di Estetica“. Die Stiftung unterstützt seine<br />
Forschung mit einer „Opus magnum“-Förderung.<br />
Der Literaturwissenschaftler Professor Dr. Winfried<br />
Menninghaus wurde am 27. April 2012 im<br />
italienischen Pistoia für seine herausragende Forschung<br />
im Bereich der Ästhetik ausgezeichnet. Er<br />
erhielt den „Premio Internazionale di Estetica“ aus<br />
den Händen von Luigi Russo, dem Vorsitzenden<br />
der Italienischen Gesellschaft für Ästhetik. Mit der<br />
Auszeichnung einher geht die Übersetzung eines<br />
Werkes <strong>des</strong> Preisträgers. Menninghaus, der am<br />
Peter-Szondi-Institut für Allgemeine und Vergleichende<br />
Literaturwissenschaft der Freien Universität<br />
Berlin lehrt und forscht, ist nach José Jiménez<br />
(Spanien), Stephen Halliwell (England) und Jerrold<br />
Levinson (USA) erst der vierte Preisträger.<br />
Besonders beeindruckt zeigte sich die Jury von der<br />
Originalität und Fülle an Forschungsergebnissen,<br />
aus denen Menninghaus ein von Darwin ausgehen<strong>des</strong><br />
evolutionäres Modell ästhetischer Darstellung<br />
und Rezeption entwickelt habe. In seinen<br />
Studien gelinge es dem <strong>Wissens</strong>chaftler, historisch<br />
und hermeneutisch fundiert sowohl die Wurzeln<br />
der evolutionären Ästhetik als auch das ästhetische<br />
Wissen der Moderne anschaulich zu verknüpfen<br />
und zu vermitteln. Von der <strong>VolkswagenStiftung</strong><br />
wurde der Germanist 2007/08 mit einer „Opus<br />
Opus Primum verliehen<br />
Am 20. November 2012 hat die Stiftung den<br />
Preis für die beste Nachwuchspublikation <strong>des</strong><br />
Jahres verliehen: „Opus Primum“. Der Hamburger<br />
Dirk Laabs erhielt die renommierte<br />
Auszeichnung. Lesen Sie mehr dazu in unse-<br />
Der Literaturwissenschaftler Winfried Menninghaus<br />
wurde für seine herausragende Forschung zur Ästhetik<br />
geehrt mit dem „Premio Internazionale di Estetica“.<br />
magnum“-Förderung unterstützt. Dadurch erhielt<br />
er die nötigen Freiräume, sein Werk „Wozu Kunst?<br />
Ästhetik nach Darwin“ zu verfassen, das im Jahr<br />
2011 im Suhrkamp Verlag erschienen ist.<br />
Umweltfragen neu betrachtet<br />
Das Buch „Am Ende der Gewissheiten. Die ökologi-<br />
sche Frage im 21. Jahrhundert“ <strong>des</strong> Historikers Frank<br />
Uekötter ist eines der Umweltbücher <strong>des</strong> Jahres 2012.<br />
„Nach mehreren Jahrzehnten lastet auf den<br />
Umweltdebatten in Deutschland ein Stapel von<br />
Gewissheiten, mit denen man je<strong>des</strong> Ereignis<br />
zuverlässig abarbeiten kann“, sagt Frank Uekötter.<br />
Unorthodoxe Ideen hätten es folglich schwer, da es<br />
keinen zwingenden Grund für ein neues Denken<br />
zu geben scheine. So schwelt unter der Oberfläche<br />
der rhetorischen Gewissheiten eine unbeantwortete<br />
Frage: Passen unsere Denkschablonen eigentlich<br />
noch zu den Problemen <strong>des</strong> 21. Jahrhunderts?<br />
In seinem neuesten Buch „Am Ende der Gewissheiten.<br />
Die ökologische Frage im 21. Jahrhundert“<br />
geht Uekötter der Geschichte der Umweltdebatte in<br />
Deutschland nach. Der Autor zeigt dabei, dass die<br />
aktuellen Umweltdiskurse an Traditionen anknüpfen,<br />
die einst ganz anderen Zusammenhängen entsprangen<br />
und heute zweifelhaft geworden sind. So<br />
dächten wir in einer globalisierten Welt immer noch<br />
in den Klischees der alten Bun<strong>des</strong>republik – vom<br />
Atomprotest, der meist an der Lan<strong>des</strong>grenze endet,<br />
bis zur „Hochrisikotechnologie“ Gentechnik. Frank<br />
Uekötter plädiert in seinem Buch dafür, Umwelt neu<br />
zu denken: globaler, vernetzter, differenzierter und<br />
weniger dogmatisch.<br />
Die Deutsche Umweltstiftung zeichnete die im<br />
Campus Verlag erschienene Veröffentlichung im<br />
Jahr 2012 als eines der zwölf „Umweltbücher <strong>des</strong><br />
Monats“ aus. Frank Uekötter, Dr. phil. habil., ist<br />
Privatdozent für die Geschichte <strong>des</strong> 19. und 20.<br />
Jahrhunderts und Dilthey-Fellow der Volkswagen-<br />
Stiftung am Forschungsinstitut <strong>des</strong> Deutschen<br />
Museums sowie LMU-Fellow am Rachel Carson<br />
Center für Umwelt und Gesellschaft in München.<br />
Neues zur ökologischen<br />
Frage – ein<br />
weiteres Buch von<br />
Dilthey-Fellow Frank<br />
Uekötter, das für Aufmerksamkeit<br />
sorgt.<br />
rer News-Rubrik „Forum“ auf der Seite 82.<br />
72 Impulse 2013 73
Die Stimmung schwankte zwischen Euphorie und Untergangsszenarien:<br />
Moderator Stephan Lohr von NDR Kultur (links) und<br />
der Bildhauer und Totalkünstler Timm Ulrichs diskutierten in<br />
der Reihe „Herrenhäuser Gespräche“ mit drei weiteren Experten<br />
über das Museum der Zukunft und die Zukunft der Museen.<br />
Welche Museen<br />
will diese<br />
Gesellschaft?<br />
Museen im Zeitalter einer sich<br />
überschlagenden Eventkultur,<br />
von Publikumsbespaßung und<br />
von Sponsoren mit Geltungsanspruch.<br />
Museen im Zeitalter der<br />
<strong>Digitalisierung</strong>. Wie werden die<br />
Sammlungshäuser von morgen<br />
aussehen? Ein Gesprächsquartett<br />
stellt sich der Frage.<br />
Impulse 2013 75
76<br />
Noch erscheinen Museen als Gegenwelt der digitalen Ära. Doch die neuen<br />
Medien, die um sich greifende Eventkultur, potente Privatsammler und<br />
knappe öffentliche Mittel verändern Ausstellungen und Bedeutung der<br />
Museen. Das verdeutlichte eine Diskussion im Juli 2012 in Hannover zum<br />
Thema „Vom Musentempel zur Ereignisagentur: Wohin treiben die Museen?“.<br />
Das Forum wurde von NDR Kultur und <strong>VolkswagenStiftung</strong> im Rahmen<br />
ihrer gemeinsamen Reihe „Herrenhäuser Gespräche“ veranstaltet.<br />
Aufruhr im renommierten Museum of Contemporary<br />
Art (Moca) in Los Angeles: Drei Mitglieder<br />
<strong>des</strong> Aufsichtsrats treten zurück mit der Begründung,<br />
Museumsdirektor Jeffrey Deitch treibe mit<br />
der Ausstellung zur Disco-Ära den Populismus<br />
auf die Spitze. In Deitch fand der Mäzen Eli Broad,<br />
der das Moca vor der Pleite rettete und ihm mehr<br />
„Eventkultur“ verordnete, einen ideenreichen Vollstrecker<br />
mit gutem Draht zur spendablen Autound<br />
Motorradindustrie. „Das ist die Richtung, in<br />
die Museen steuern“, urteilt der Hamburger Jurist,<br />
Unternehmer und Kunstsammler Harald Falckenberg<br />
in Hannover und prophezeit: „Auch diese<br />
Blase wird platzen!“<br />
Die Moca-Geschichte jedenfalls enthält alles, was<br />
die Szene umtreibt: Geldmangel und die Folgen<br />
daraus, museale Publikumsbespaßung, Sponsoren<br />
mit Entscheidungsanspruch und schließlich<br />
Künstler, die dem Zeitgeist angeblich die „Reinheit<br />
künstlerischer Intention“ opfern. „Ich habe<br />
noch Arbeiten gemacht, die ich unter dem Arm<br />
herumtragen konnte“, erzählt Timm Ulrichs,<br />
Für Brigitte Franzen, Direk-<br />
torin <strong>des</strong> Ludwig Forums<br />
für Internationale Kunst in<br />
Aachen, ist wichtig, dass<br />
sich trotz aller Sponsoren<br />
und sonstiger Geldgeber die<br />
öffentliche Hand weiterhin<br />
in der Pflicht sieht.<br />
Bildhauer, Totalkünstler und Kunstprofessor.<br />
„Heute produzieren Künstler gezielt Großformatiges<br />
für große Museumswände.“ Und Museen<br />
sammelten, was eigens für sie hergestellt worden<br />
sei, ergänzt Walter Grasskamp, Professor für<br />
Kunstgeschichte an der Akademie der Bildenden<br />
Künste München. Er sieht Museen zunehmend<br />
in eine „Dynamik <strong>des</strong> Verbergens“ verfallen.<br />
„Sie häufen mehr Objekte an, als sie ausstellen<br />
können.“ Statt drei weitere Polcke-Zeichnungen<br />
zu kaufen, sollten sie Nachwuchsleute einstellen.<br />
Denn von ihren Kernaufgaben – Sammeln,<br />
Erhalten, Erforschen, Ausstellen, Vermitteln –<br />
könnten sie das weniger glamouröse Forschen<br />
und Restaurieren nur noch dann bezahlen, wenn<br />
Dritte sich gezielt engagierten. So wie die <strong>VolkswagenStiftung</strong><br />
mit ihrer Initiative „Forschung<br />
in Museen“, die vor allem kleinere und mittlere<br />
Häuser stärkt.<br />
Ignorante Sammler, kulturelle Untiefen:<br />
Erleidet manch ein Museum bald Schiffbruch?<br />
„Wenn man es von allen Sponsorengeldern entkleidet,<br />
ist das Museum heute pleite“, behauptet<br />
Grasskamp. Und damit allemal abhängig von<br />
Sammlern, die nur nach Blue-Chip-Investitionen<br />
gierten. Illustrierend kolportiert Grasskamp die<br />
Geschichte jenes New Yorker Galeristen, der<br />
potenzielle Käufer abschreckt, sobald er den<br />
kunsthistorischen Hintergrund eines Werks<br />
erklärt. „Viele Sammler sind nicht nur ignorant,<br />
sondern auch arrogant“, ereifert sich Ulrichs.<br />
„So, wie das Berliner Ehepaar Pietzsch, das der<br />
Stiftung Preußischer Kulturbesitz die obszöne<br />
Schenkungsbedingung stellt, seine Sammlung<br />
dauerhaft zu zeigen!“<br />
Politiker ließen überall avantgardistische Museumsbauten hinsetzen, ohne an die Folgekosten zu denken, zürnt der Unternehmer und<br />
Kunstsammler Harald Falckenberg (rechts) – und blickt auf Deutschland mit seinen inzwischen über 6700 Museen. Zu viele? Auch der<br />
Kunsthistoriker Walter Grasskamp (links) von der Akademie der Bildenden Künste München sieht immer mehr Ausstellungsspektakel<br />
und spricht von einer „falsch verstandenen Demokratisierung“, einem Gegenwartsrausch, der sich als Publikumsnähe tarne.<br />
Sterben Mäzene wie Falckenberg tatsächlich aus?<br />
Solche Sammler aus Leidenschaft, die den Dialog<br />
mit Künstlern und Museen pflegen? Auch wenn<br />
Falckenberg die Berliner Vorgänge inakzeptabel<br />
findet, „das Teufelsbild <strong>des</strong> Sammlers“ langweilt<br />
ihn zutiefst. „Ich kann zwar die Brotaufgaben der<br />
Museen nicht übernehmen, unterstützen aber<br />
kann ich sie schon.“ Ärgerlich findet er vielmehr<br />
die kulturellen Untiefen, durch die Museen zunehmend<br />
zu schippern hätten – etwa, dass nur noch<br />
jeder siebte Besucher der Hamburger Kunsthalle<br />
sich die hauseigenen Sammlungen anschaut,<br />
die übergroße Mehrheit hingegen wegen der<br />
Wechselausstellungen kommt. Auch in Spitzenhäusern<br />
wie der Londoner Tate Modern sind<br />
traditionelle Sammlungen zur Stapelware degradiert,<br />
während wechselnde Attraktionen wie das<br />
15-Wochen-Spektakel „Art in Action“ das internationale<br />
Renommee mehren und Besucherrekorde<br />
versprechen. Denn der schillernde Name großer<br />
Häuser wirft einen Schimmer seines Glanzes auf<br />
die Betrachter und beschert den Städten einen<br />
Zustrom an Gästen. „Also lassen Politiker überall<br />
avantgardistische Museumsbauten hinsetzen,<br />
ohne an die Folgekosten zu denken“, zürnt Harald<br />
Falckenberg. Inzwischen gebe es in Deutschland<br />
über 6700 Museen, ergänzt Stephan Lohr, Gesprächsmoderator<br />
von NDR Kultur. Zu viele? Die<br />
Frage erstirbt in der Aufregung um getunte Besucherzahlen<br />
und die neue Kommerzialisierung.<br />
Versetzen Zahlenmythos und Ereigniswettlauf die<br />
Museen in einen Gegenwartsrausch, der sich als<br />
Publikumsnähe tarnt, aber, so Grasskamp, einer<br />
„falsch verstandenen Demokratisierung“ frönt?<br />
Diesen Untergangsszenarien widersetzt sich Brigitte<br />
Franzen, Direktorin <strong>des</strong> Ludwig Forums für<br />
Internationale Kunst in Aachen und einzige Museumsmacherin<br />
in der hannoverschen Runde. Auch<br />
sie leugnet die wachsenden Probleme nicht. So<br />
ist ihr Etat heute nicht höher, als er in den 1970er<br />
Jahren war. „Aber es gibt sehr viele Förderer alter<br />
Schule, die ohne Bedingungen geben.“ Die Klimaanlage<br />
<strong>des</strong> Ludwig Forums beispielsweise – kein<br />
Werk mit Prestigewert – wurde von einem Unternehmen<br />
gestiftet. „Wichtig aber bleibt, dass sich<br />
die öffentliche Hand weiterhin in der Pflicht fühlt,<br />
Kulturpolitik in den Kommunen als Leistungs-<br />
Impulse 2013 77
soll zu verstehen und nicht bloß als freiwillige<br />
Leistung.“ Was Franzen ebenso umtreibt, ist die<br />
selektive mediale Aufmerksamkeit. „Berichtet<br />
wird über die großen Museen und jene mit den<br />
augenfälligsten Attraktionen.“ Und für Ausstellungen<br />
mit populären Gegenwartskünstlern wie<br />
Gerhard Richter gebe es allemal Geld.<br />
Museen und Sammlungen rücken zusammen –<br />
die <strong>Digitalisierung</strong> der Bestände macht's möglich<br />
Verliert im Sog der Modetrends die museale<br />
Zukunft ihre Perspektive? Kann der Mensch auch<br />
künftig im Museum noch der eigenen Historie,<br />
einem kollektiven Gedächtnis und damit seiner<br />
Gattung und sich selbst begegnen? Kann er<br />
zumin<strong>des</strong>t im Museum noch „begreifen, dass er<br />
eine Geschichte hat“? Oder kann er bestenfalls<br />
eine Offenbarung im Sinne von Walter Benjamin<br />
Initiative „Forschung in Museen“<br />
Im Jahr 2008 hat die <strong>VolkswagenStiftung</strong> ein<br />
Förderangebot initiiert, das Museen als Forschungseinrichtungen<br />
in den Blick nimmt.<br />
Übergreifende Ziele der Initiative „Forschung in<br />
Museen“ sind dabei die Stärkung der Museen<br />
als Forschungseinrichtungen und die Förderung<br />
<strong>des</strong> wissenschaftlichen Nachwuchses im<br />
Bereich der sammlungsbezogenen Forschung.<br />
Nach mehreren erfolgreichen Ausschreibungsrunden<br />
wurden bis Ende 2012 siebzig<br />
Bewilligungen über gut elf Millionen Euro ausgesprochen.<br />
Im Kern zielt das Förderangebot<br />
auf mittlere und kleinere Museen hierzulande.<br />
Gerade diesen Einrichtungen stehen oftmals<br />
nur unzureichend Mittel und Kapazitäten für<br />
Forschung an den Sammlungen zur Verfügung.<br />
Das ist fatal, kann doch eine nachhaltige<br />
Museumsarbeit nur auf dem Wissen über<br />
die vorhandenen Sammlungen aufbauen.<br />
erleben, für den die Beziehung zur Vergangenheit<br />
nicht zeitlich, sondern bildlicher Natur war; eine<br />
Vergangenheit, die sich in einem Bild „blitzhaft“<br />
mit dem Jetzt zu einer Konstellation verbindet<br />
und eine „profane Erleuchtung“ bewirkt? Einen<br />
starken Part als kollektives Gedächtnis spielen<br />
die vielen regional verankerten Häuser, betont<br />
Franzen: „Sie sind bildend, sogar stilbildend, wie<br />
Kassel, Münster oder Darmstadt beweisen, und<br />
sie schaffen Identität.“<br />
Rettet also die Provinz die museale Zukunft?<br />
„Angesichts der <strong>Digitalisierung</strong> ist die Unterscheidung<br />
zwischen Zentrum und Peripherie<br />
obsolet geworden“, schickt Franzen hinterher.<br />
Was zähle, sind Museumsdirektoren, die abseits<br />
<strong>des</strong> beschleunigten Pulsschlags einer sich<br />
überschlagenden Eventkultur als „urteilende<br />
Sammler“ überdauernde Werke identifizierten:<br />
„Kunstobjekte mit Mehrwert“. Dabei gilt es,<br />
Daher bietet die Stiftung gerade kleineren<br />
und mittelgroßen Häusern die Möglichkeit,<br />
Forschungsvorhaben zu beantragen. Ein solches<br />
Projekt soll auf der Kooperation zwischen<br />
einem Museum und einer universitären oder<br />
außeruniversitären Forschungseinrichtung<br />
beruhen und maßgeblich vom wissenschaftlichen<br />
Nachwuchs getragen sein. Explizit fördert<br />
die Stiftung hier zum einen im Rahmen kooperativer<br />
Projekte Doktorarbeiten zu sammlungsbezogenen<br />
Themen. Zum anderen erhalten<br />
promovierte junge <strong>Wissens</strong>chaftlerinnen und<br />
<strong>Wissens</strong>chaftler die Chance, selbst Projekte<br />
mit Sammlungsbezug zu beantragen. Alle<br />
Fördermodule stießen von Beginn an auf großes<br />
Interesse, und vor allem jenes, das Museumsmitarbeitern<br />
eine Freistellung zugunsten<br />
ihrer Forschungsarbeit ermöglicht, zeigte sich<br />
unmittelbar als besonders wirksam. cj<br />
Großes Nachdenken bei dem Quintett:<br />
Welche Museen will eigentlich diese Gesellschaft?<br />
erinnert Franzen, neben dem kunst- auch den<br />
kulturhistorischen Wert einer Arbeit zu erkennen.<br />
Etwa bei sowjetrussischen Werken, die auf<br />
die Zeit <strong>des</strong> einst real existierenden Sozialismus<br />
verweisen. Ein Balanceakt auf dem schmalen<br />
Grat zwischen Erkennen von Relevanz und definitorischer<br />
Anmaßung, zwischen dem Publikumsrecht<br />
auf Amusement und „Bildung“.<br />
Mit der <strong>Digitalisierung</strong> wächst die Komplexität dieser<br />
Aufgabe. Bereits die Anfänge <strong>des</strong> Films lösten<br />
die „Potenzierung einer Bildersucht“ aus, die den<br />
Museen den Bilder-Rang ablief, wie Grasskamp<br />
analysiert. „Kann heute ein Museum der neuen<br />
Medien Herr werden, von denen es doch deklassiert<br />
worden ist?“ Tatsächlich ist das kulturelle Erbe<br />
jederzeit und überall abrufbar; es kann mit eigenen<br />
Daten angereichert und neu gestaltet, durch<br />
interaktive Angebote – Stichwort „Augmented<br />
Reality“ – die reale räumliche Erfahrung mit dem<br />
virtuellen Museum verbunden werden. Doch das<br />
Thema <strong>Digitalisierung</strong> mit allen rechtlichen Konsequenzen<br />
wird von der hannoverschen Gesprächsrunde<br />
weit umschifft. Nur Franzen weist auf den<br />
steigenden finanziellen Bedarf durch die museale<br />
<strong>Digitalisierung</strong> hin. Die technische Entwicklung<br />
aber könne weder die Quellenkonservierung noch<br />
die physische Auseinandersetzung mit realen<br />
Exponaten je ersetzen. „Letztlich ist es die Aura <strong>des</strong><br />
Museums, die dem virtuellen Zeitgeist standhält.“<br />
Oder die Möglichkeit einer „profanen Erleuchtung“<br />
angesichts <strong>des</strong> Originals – auch wenn diese weder<br />
das „wahre“ Wesen der Dinge öffnet, noch die Welt<br />
an sich. Schließlich hat sich die Postmoderne selbst<br />
von der Vorstellung der einen und einzigen Wahrheit<br />
getrennt.<br />
Bleibt die Frage, ob das reale Museum auch in<br />
Zukunft ein Ort sein wird, an dem der Betrachter<br />
eine historisch verwurzelte „Erfahrungswirklichkeit“<br />
konstruieren kann. „Das ist eine gesamtgesellschaftliche<br />
Frage“, resümiert Franzen. „Die<br />
Frage, welche Gesellschaft wollen wir, und welche<br />
Museen will diese Gesellschaft?“<br />
Ruth Kuntz-Brunner<br />
Sie bescherten dem Publikum im Kleinen Sen<strong>des</strong>aal <strong>des</strong><br />
NDR Funkhauses Hannover einen unterhaltsamen Abend<br />
(oben, von links nach rechts): NDR-Moderator Stephan Lohr,<br />
der Künstler Professor Timm Ulrichs, Museumsdirektorin<br />
Dr. Brigitte Franzen, der <strong>Wissens</strong>chaftler Professor Dr. Walter<br />
Grasskamp und der Hamburger Jurist, Unternehmer und<br />
Kunstsammler Dr. Harald Falckenberg. Welches Bild zeichnen<br />
sie nun für das Museum der Zukunft? Hat es überhaupt eine<br />
Zukunft? „Letztlich ist es die Aura <strong>des</strong> Museums, die dem<br />
virtuellen Zeitgeist standhält“, meint Brigitte Franzen. Oder<br />
die Möglichkeit einer „profanen Erleuchtung“ <strong>des</strong> Besuchers,<br />
der Besucherin angesichts <strong>des</strong> Anblicks <strong>des</strong> Originals. Darauf<br />
konnten sich alle Podiumsteilnehmer verständigen.<br />
78 Impulse 2013 79
Forum<br />
Die Stiftung ist nun 50<br />
Am 15. und 16. März 2012 feierte die Volkswagen-<br />
Stiftung in Berlin ihr 50. Jubiläum – mit Festakt<br />
und Symposium. Dokumentation erschienen.<br />
Zu Beginn gab’s für die Besucher was auf die<br />
Ohren: Mit afrikanisch anmutenden Klängen<br />
eröffnete der aus Namibia stammende Sänger<br />
Elemotho samt Band am 15. März 2012 in Berlin die<br />
Feierlichkeiten zum Stiftungsjubiläum. Rund 450<br />
Gäste lauschten im Schlüterhof <strong>des</strong> Deutschen<br />
Historischen Museums zunächst der Festansprache<br />
von Bun<strong>des</strong>forschungsministerin und Kuratoriumsmitglied<br />
Professorin Dr. Annette Schavan<br />
sowie einer Diskussionsrunde mit Persönlichkeiten<br />
aus <strong>Wissens</strong>chaft, Politik und Stiftungswesen.<br />
Weniger wissenschaftspolitisch, dafür deutlich<br />
forschungsorientierter ging es im zweiten Teil der<br />
Veranstaltung zu. Hier informierten vier von der<br />
Der Blick nach innen:<br />
Nachrichten aus<br />
der <strong>VolkswagenStiftung</strong><br />
Stiftung geförderte <strong>Wissens</strong>chaftlerinnen und<br />
<strong>Wissens</strong>chaftler über ihre Arbeit. Musikalische<br />
Akzente setzte neben Elemotho die aus Armenien<br />
stammende Sängerin Narine Yeghiyan.<br />
Die Jubiläumsfeierlichkeiten wurden am Tag<br />
darauf im Schloss Bellevue mit dem Symposium<br />
„Wissen stiften für das 21. Jahrhundert“ fortgesetzt.<br />
Hier stellten sich die rund zweihundert<br />
Vortragenden und Teilnehmer aus aller Welt<br />
unter anderem die Frage, welchen Problemen<br />
und Chancen <strong>Wissens</strong>chaft und Zivilgesellschaft<br />
zu Beginn <strong>des</strong> 21. Jahrhunderts gegenüberstehen.<br />
Sie sprachen über die Forschung von morgen und<br />
über zukunftsweisende Konzepte staatlicher wie<br />
privater <strong>Wissens</strong>chaftsförderung. Impressionen<br />
zu Festakt und Symposium in Wort, Bild und Ton<br />
bietet die Jubiläumswebsite der Stiftung unter<br />
www.volkswagenstiftung-50-jahre.de.<br />
Am 15. und 16. März 2012<br />
feierte die <strong>VolkswagenStiftung</strong><br />
ihr 50. Arbeitsjubiläum.<br />
Einblicke in fünf Jahrzehnte<br />
<strong>Wissens</strong>chaftsförderung<br />
gab es während <strong>des</strong> Festakts<br />
im Deutschen Historischen<br />
Museum und – wie hier zu<br />
sehen – beim anschließenden<br />
wissenschaftlichen Symposium<br />
im Schloss Bellevue.<br />
Den Festakt im Deutschen Historischen Museum eröffnete<br />
Kuratoriumsmitglied und Bun<strong>des</strong>forschungsministerin Annette<br />
Schavan. Viele Persönlichkeiten aus <strong>Wissens</strong>chaft, Wirtschaft,<br />
Politik und Stiftungswesen waren der Einladung gefolgt.<br />
Der zwischenzeitlich erschienene Dokumentationsband<br />
zu beiden Festtagen versammelt <strong>Wissens</strong>chaftlerporträts,<br />
Diskussionsrunden, Fotostrecken<br />
und ausgewählte Vorträge. Mit dieser Publikation<br />
soll Bilanz gezogen und zugleich ein Ausblick<br />
gewagt werden. Während ihr erster Teil darstellt,<br />
wie die Stiftung als Impulsgeberin bis heute für<br />
den <strong>Wissens</strong>chaftsstandort Deutschland gewirkt<br />
hat, richtet der zweite Teil den Blick auf das Übermorgen:<br />
Welches werden die Herausforderungen<br />
<strong>des</strong> 21. Jahrhunderts sein – und wie muss <strong>Wissens</strong>chaft<br />
gefördert werden, damit die Menschheit auf<br />
diese Fragen auch in den kommenden fünfzig Jahren<br />
noch Antworten zu finden vermag?<br />
Sie zog das Publikum bei den Jubiläumsfeierlichkeiten gleich<br />
mehrfach in ihren Bann – Sängerin Narine Yeghiyan aus Armenien.<br />
Zum 50. Geburtstag<br />
Nachwuchsfotografen der Hochschule Hannover<br />
porträtieren die Arbeit der <strong>VolkswagenStiftung</strong>.<br />
Sie waren an 37 Orten in aller Welt, sind über<br />
90.000 Kilometer gereist, um von der Stiftung<br />
geförderte Forscherinnen und Forscher bei ihrer<br />
Arbeit zu begleiten. Und sie warfen einen Blick<br />
in das Innenleben der Stiftung in Hannover-<br />
Döhren: Was zwanzig Fotografie-Studierende<br />
der Hochschule Hannover an visuellen Eindrücken<br />
festgehalten haben, versammelt ein<br />
ungewöhnliches Fotobuch, das im 50. Jubiläumsjahr<br />
der <strong>VolkswagenStiftung</strong> erschienen ist.<br />
Auf der Jubiläumsseite www.volkswagenstiftung-<br />
50-jahre.de können Sie online im Bildband<br />
blättern: www.volkswagenstiftung-50-jahre.de/<br />
media/jubilaeumsband.<br />
80 Impulse 2013 81
Forum<br />
Opus Primum 2012 verliehen<br />
Das Ende der DDR im Fokus: Dirk Laabs gewinnt<br />
Nachwuchspreis für sein Buch über die Treuhand.<br />
Dirk Laabs ist der zweite Preisträger von Opus<br />
Primum. Der Absolvent der Henri-Nannen-Schule<br />
erhält den mit 10.000 Euro dotierten Förderpreis<br />
der <strong>VolkswagenStiftung</strong> für seine Darstellung der<br />
Geschichte der „Treuhand“. Die Treuhandanstalt<br />
hatte in der Spätphase der DDR die Aufgabe, die<br />
Volkseigenen Betriebe der DDR nach den Grundsätzen<br />
der Marktwirtschaft zu privatisieren oder<br />
aber stillzulegen, wenn sie nicht wettbewerbsfähig<br />
schienen. War die Arbeit der Treuhand entscheidend<br />
für die wirtschaftliche Vereinigung der<br />
beiden deutschen Staaten? Und: War sie eigentlich<br />
erfolgreich – trotz der Skandale um Fördermittelmissbrauch<br />
und Wirtschaftskriminalität? Mit<br />
diesen und weiteren Fragen beschäftigt sich Dirk<br />
Laabs in seinem Buch „Der deutsche Goldrausch:<br />
Die wahre Geschichte der Treuhand“ (Pantheon<br />
Verlag, München 2012, 384 Seiten. Euro 16,99).<br />
Der Autor beleuchtet eines der spannendsten,<br />
aber wenig beachteten Kapitel der deutschen<br />
Wiedervereinigung. „Dirk Laabs hat eine grundlegende<br />
Arbeit vorgelegt, in der er die gesellschaftspolitische<br />
Geschichte eines unerwarteten<br />
Opus-Primum-Preisträger Dirk Laabs (links) erhält die<br />
Auszeichnung aus den Händen <strong>des</strong> Generalsekretärs<br />
der <strong>VolkswagenStiftung</strong> Dr. Wilhelm Krull.<br />
Umbruchs aufblättert. Sein Werk verbindet akribische<br />
journalistische Recherche mit einem wohltuend<br />
nüchternen Stil. Der Autor stellt die Leistungskraft<br />
der Chronologie überzeugend unter<br />
Beweis und zeigt durch die fesselnde Darstellung<br />
der Ereignisse sehr wirkungsmächtig, wie tief die<br />
Kluft zwischen Ost- und Westdeutschland noch<br />
ist“, heißt es in der Begründung der Jury. Sie musste<br />
sich aus einer Shortlist von zehn hervorragenden<br />
Titeln für die beste wissenschaftliche Nachwuchspublikation<br />
entscheiden. Insgesamt gingen<br />
fast achtzig Vorschläge für den Wettbewerb ein.<br />
Mit ihrem Förderpreis möchte die Stiftung den<br />
wissenschaftlichen Nachwuchs stärken und vor<br />
allem unterstreichen, dass <strong>Wissens</strong>chaftsvermittlung<br />
für die deutsche Forschung eine zentrale Aufgabe<br />
ist. Die Auszeichnung wurde gemeinsam mit<br />
dem NDR Kultur Sachbuchpreis am 20. November<br />
2012 im Alten Rathaus in Hannover verliehen.<br />
Dirk Laabs, geboren 1973 in Hamburg, ist Autor<br />
und Filmemacher. 2005 erschien von ihm<br />
„Tödliche Fehler – Das Versagen von Politik und<br />
Geheimdiensten im Umfeld <strong>des</strong> 11. September<br />
2001“. Sein Film „Die Fremden im Paradies –<br />
Warum Gotteskrieger töten“ erhielt 2004 den<br />
Dokumentarfilmpreis <strong>des</strong> Bayerischen Rundfunks.<br />
Der gleichzeitig verliehene NDR Kultur Sachbuchpreis<br />
ging übrigens an David Van Reybrouck; die<br />
Jury wählte sein Werk „Kongo. Eine Geschichte“<br />
als bestes deutsches Sachbuch 2012 aus. „Dieser<br />
Siegertitel ist der seltene Fall eines historischen<br />
Buchs, das lebendig erzählte Geschichten mit der<br />
Analyse von Geschichte zu einer modernen, zeitgemäßen<br />
'oral history' verbindet. Es ist eine exemplarische<br />
Tiefenbohrung in die Geschichte eines<br />
afrikanischen Lan<strong>des</strong> – und wird dabei zu einem<br />
Blick in die Menschengeschichte schlechthin“,<br />
heißt es in der Stellungnahme der Jury.<br />
Ökoprofit Hannover 2012<br />
Zur Optimierung <strong>des</strong> betrieblichen Umweltschutzes:<br />
Die <strong>VolkswagenStiftung</strong> nimmt seit April 2012 am<br />
Ökoprofit-Programm teil.<br />
Vor zwanzig Jahren wurde in Graz das Programm<br />
„Ökoprofit“ für den betrieblichen Umweltschutz<br />
entwickelt. Viele Städte und Regionen weltweit<br />
haben es inzwischen umgesetzt. Die Ziele: Emissionen<br />
zu reduzieren, natürliche Ressourcen zu<br />
schonen und gleichzeitig die betrieblichen Kosten<br />
zu senken.<br />
Als erste Stadt im Norden Deutschlands übernahm<br />
im Jahr 1999 Hannover das Programm als Kooperationsprojekt<br />
von Kommunen, Lan<strong>des</strong>hauptstadt<br />
und Region Hannover sowie den dort ansässigen<br />
Unternehmen und Institutionen. Rund 140 Betriebe<br />
beteiligen sich seitdem daran. In diesem Jahr<br />
gehört auch die <strong>VolkswagenStiftung</strong> zur Einsteigergruppe<br />
bei Ökoprofit und verfolgt so das Bestreben,<br />
den betrieblichen Umweltschutz nachhaltig zu<br />
verbessern.<br />
Pfeiler dieses Ökologischen Projekts für integrierte<br />
Umwelttechnik sind die Kooperation zwischen<br />
Kommune und Wirtschaft sowie der Aufbau<br />
eines lokalen Netzwerkes nebst Erfahrungsaustausch.<br />
Die Teilnehmer erarbeiten gemeinsam mit<br />
externen und kommunalen Experten praktische<br />
Konzepte zur Einsparung von Energie, Wasser<br />
und Abfall. Weitere Informationen sind zu finden<br />
unter www.oekoprofit-hannover.de.<br />
Doppelte Ehrung für Krull<br />
Die Washington University in St. Louis, USA,<br />
verlieh dem Generalsekretär der Volkswagen-<br />
Stiftung Dr. Wilhelm Krull im Juli 2012 eine<br />
Honorarprofessur für Geistes- und Gesellschaftswissenschaften.<br />
Krull wird dort ab 2013 Vorträge<br />
und Lehrveranstaltungen etwa zur Literatur-<br />
und Kulturgeschichte Deutschlands im 20.<br />
Jahrhundert oder über wissenschaftspolitische<br />
Themen halten. Im September wurde ihm noch<br />
eine zweite Würdigung zuteil: Die Academia<br />
Stiftungskuratorium neu besetzt<br />
2012 nahmen sieben neue Kuratorinnen und<br />
Kuratoren im insgesamt 14-köpfigen Vorstand<br />
der Stiftung ihre Arbeit auf.<br />
Im Rahmen <strong>des</strong> turnusgemäßen Wechsels schieden<br />
Ende Februar 2012 sieben Mitglieder <strong>des</strong> Kuratoriums<br />
der Stiftung aus ihrem Amt aus. Von der<br />
Niedersächsischen Lan<strong>des</strong>regierung neu berufen<br />
wurden Professor Dr.-Ing. Heinz Jörg Fuhrmann,<br />
Vorstandsvorsitzender der Salzgitter AG, Professor<br />
Dr. Stefan Treue, Direktor <strong>des</strong> Deutschen Primatenzentrums<br />
in Göttingen, und Professorin Dr.<br />
Johanna Wanka, Niedersächsische Ministerin für<br />
<strong>Wissens</strong>chaft und Kultur.<br />
Die Bun<strong>des</strong>regierung benannte erstmals Professor<br />
Dr. Thomas Carell, Lehrstuhl für Organische Chemie<br />
an der Fakultät für Chemie und Pharmazie<br />
der Ludwig-Maximilians-Universität München,<br />
Professor Dietmar Harhoff, Ph.D., Vorstand <strong>des</strong><br />
Instituts für Innovationsforschung, Technologiemanagement<br />
und Entrepreneurship und<br />
Professor an der Fakultät für Betriebswirtschaft<br />
der Ludwig-Maximilians-Universität München,<br />
Professor Dr. Jürgen Osterhammel, Neuere und<br />
Neueste Geschichte an der Universität Konstanz,<br />
sowie Professorin Dr. Beate Söntgen vom Institut<br />
für Philosophie und Kunstwissenschaft, Lehrstuhl<br />
für Kunstgeschichte der Leuphana Universität<br />
Lüneburg, zugleich Vizepräsidentin Forschung<br />
und Humanities der Hochschule.<br />
Bun<strong>des</strong>regierung und Niedersächsische Lan<strong>des</strong>regierung<br />
berufen insgesamt je sieben Kuratoriumsmitglieder<br />
für eine Amtszeit von bis zu zwei Mal<br />
fünf Jahren.<br />
Sie sind neu im Kuratorium der Stiftung (von oben nach unten):<br />
Dr.-Ing. Heinz Jörg Fuhrmann, Professor Stefan Treue,<br />
Professorin Johanna Wanka, Professor Thomas Carell,<br />
Professor Dietmar Harhoff, Professor Jürgen Osterhammel,<br />
Professorin Beate Söntgen.<br />
Europaea ernannte ihn zum Ehrenmitglied.<br />
82 Impulse 2013 83
Sechzig junge <strong>Wissens</strong>chaftlerinnen und <strong>Wissens</strong>chaftler aus<br />
aller Welt – unter ihnen Bernd Hezel und Romina Drees – trafen<br />
sich Ende November 2012 zehn Tage lang in der Abgeschiedenheit<br />
der Lüneburger Heide in dem kleinen niedersächsischen Ort<br />
Visselhövede, um die großen globalen Themen und Herausforderungen<br />
zu durchdenken – so wie hier beim Change dialogue.<br />
Ist die Welt<br />
gewappnet?<br />
40 Jahre nach dem Bericht<br />
„Die Grenzen <strong>des</strong> Wachstums“ –<br />
was haben wir für den Umgang<br />
mit Prognosen gelernt?<br />
Ein neues Zukunftsszenario.<br />
84 Impulse 2013 85
Rund 160 Experten aus aller Welt versammelten sich Ende November 2012<br />
auf Einladung der <strong>VolkswagenStiftung</strong> für zwei Tage in Hannover zum<br />
Herrenhäuser Symposium „Already Beyond? 40 Years Limits of Growth“.<br />
Der Stargast unter vielen prominenten Referenten und Diskutanten war<br />
Dennis Meadows, Mitautor der Studie „Grenzen <strong>des</strong> Wachstums“, die vor<br />
vier Jahrzehnten von der Stiftung mit einer Million Mark finanziert worden<br />
war und die seinerzeit hohe Wellen geschlagen hatte. Ein paar Tage zuvor<br />
war in dem kleinen niedersächsischen Ort Visselhövede bereits eine weitere,<br />
eher experimentell angelegte Veranstaltung gestartet: die Winter School<br />
„Limits to Growth Revisited“. In der Abgeschiedenheit der Lüneburger Heide<br />
fanden sechzig Studierende und Doktoranden von überall her ausgiebig<br />
Zeit, intensiv über globale Herausforderungen zu diskutieren.<br />
Längst sind die „Grenzen <strong>des</strong> Wachstums“ zu<br />
einem modernen Mythos geworden: eine Pionierstudie<br />
der systemdynamischen Modellierung,<br />
ein Weltbestseller und Chiffre einer Zeitenwende.<br />
Die Probleme, die Dennis Meadows und seine<br />
Mitstreiter Anfang der 1970er Jahre analysierten,<br />
sind weiterhin ungelöst, aber zugleich hat sich<br />
das Koordinatensystem verschoben, das den<br />
Rahmen der weltumspannenden Debatte liefert.<br />
Das macht eine Jubiläumsveranstaltung zu einer<br />
durchaus delikaten Angelegenheit: Die „Grenzen<br />
<strong>des</strong> Wachstums“ sind schließlich keiner jener<br />
Meilensteine der Forschung, die sich nach ein paar<br />
Jahrzehnten mit einer gewissen Gelassenheit<br />
bilanzieren lassen.<br />
Rege diskutiert wurde auch<br />
in den Pausen. Die Teilnehmer<br />
der Winter School fanden<br />
sich in immer wieder neuen<br />
Gruppen zusammen.<br />
Die <strong>VolkswagenStiftung</strong> hatte sich <strong>des</strong>halb für<br />
eine spannungsreiche Verbindung von zwei<br />
unterschiedlichen Veranstaltungsformaten entschieden.<br />
Bei dem hochkarätig besetzten Symposium<br />
in Hannover diskutierten Experten über die<br />
bekannten globalen Herausforderungen – unter<br />
den Zuhörern dabei jene sechzig Nachwuchswissenschaftler,<br />
die sich in den Tagen zuvor in Visselhövede<br />
zu der Winter School versammelt hatten.<br />
Im Unterschied zum Symposium war bei der<br />
Winter School auf eine vorab festgelegte Struktur<br />
verzichtet worden. So hatten die Teilnehmerinnen<br />
und Teilnehmer die Gelegenheit für ungewöhnlich<br />
freimütige Debatten, befeuert von der<br />
enormen Vielfalt der vertretenen Disziplinen und<br />
Weltregionen. Entsprechend engagiert suchten sie<br />
nach möglichen Wegen in unsicheren Zeiten und<br />
zugleich nach Worten, um den laufenden Wandel<br />
<strong>des</strong> ökologischen Diskurses zu umreißen.<br />
Der begeisternde Fatalist – Dennis Meadows zeigt<br />
die großen Linien auf<br />
Konnten die „Grenzen <strong>des</strong> Wachstums“ 1972 noch<br />
von einer gewissen Sicherheit über den Entwicklungspfad<br />
westlicher Wohlstandsgesellschaften<br />
ausgehen und die Frage nach den Konsequenzen<br />
in den Mittelpunkt stellen, sahen sich die Nachwuchsforscher<br />
mit dem umgekehrten Dilemma<br />
Dennis Meadows (unten) eröffnete das zweitägige Symposium „Already beyond? 40 Years Limits<br />
of Growth“, das am 28. und 29. November 2012 in Hannover stattfand. Vier Jahrzehnte nach der<br />
Studie zu den „Grenzen <strong>des</strong> Wachstums“, deren Mitautor er war, wurde ihm immer wieder auch<br />
die Frage gestellt: Was hat die seinerzeit weltumspannend geführte Debatte eigentlich bewirkt?<br />
konfrontiert: Die Folgen unserer Wirtschafts- und<br />
Lebensweisen kennen wir nur zu gut – aber nach<br />
den Umbrüchen und Krisen der vergangenen<br />
Jahrzehnte fehlt das Vertrauen in langfristig prognostizierbare<br />
Entwicklungstrends.<br />
Dennis Meadows erwies sich für das Unterfangen,<br />
Unsicherheiten zu greifen und zu bündeln, als ideale<br />
Besetzung. Mit viel Charme und ohne Starallüren<br />
gewann er bei seinem Auftritt in Visselhövede<br />
die Sympathien <strong>des</strong> Publikums. Dabei verzichtete<br />
er nicht auf pointierte Thesen. Mit Leidenschaft<br />
demontierte er die Illusion der „nachhaltigen Entwicklung“<br />
und forderte zugleich neue Formen der<br />
Vermittlung: Der Ansatz der „Grenzen <strong>des</strong> Wachstums“,<br />
eine wissenschaftliche Studie quasi auf<br />
die Türschwelle einer Weltöffentlichkeit zu legen,<br />
die dann schon die richtigen Schlüsse ziehen und<br />
Bei der Winter School traf eine Vielfalt an<br />
Charakteren, kulturellen Hintergründen,<br />
wissenschaftlichen Disziplinen und Weltreligionen<br />
aufeinander.<br />
Entscheidungen treffen würde, erschien Meadows<br />
im Rückblick arg naiv. Im Übrigen verweigerte<br />
er sich der Rolle <strong>des</strong> Auguren: „Die Tatsache, dass<br />
mein Name vor vierzig Jahren auf dem Cover eines<br />
berühmten Buches stand, bedeutet nicht, dass ich<br />
alle Antworten habe.“<br />
Die „Grenzen <strong>des</strong> Wachstums“ machten auch<br />
<strong>des</strong>halb Furore, weil sie in eine Zeit <strong>des</strong> Umbruchs<br />
fielen: Nach zwei Jahrzehnten <strong>des</strong> Booms<br />
rutschten die westlichen Wohlstandsgesellschaften<br />
gleich in mehrfacher Beziehung in<br />
die Krise. Vierzig Jahre später nun mehren sich<br />
die Zeichen, dass wir erneut in einer Zeit <strong>des</strong><br />
beschleunigten Wandels leben: stagnierende Sorge<br />
um das Bevölkerungswachstum, gepaart mit<br />
wachsender Anspannung angesichts der Frage<br />
nach ausreichender Ernährung der Weltbevölke-<br />
86 Impulse 2013 87
Der Glaube an eine<br />
gute Zukunft für die<br />
Menschheit ist vorhanden:<br />
Abschlussbild der<br />
Teilnehmer der Winter<br />
School, die viele Bilder<br />
in ihrem Innern mit<br />
nach Hause genommen<br />
haben dürften.<br />
rung; erstarktes Selbstbewusstsein <strong>des</strong> Globalen<br />
Südens, aber zugleich Bewahrung <strong>des</strong> westlichen<br />
Wohlstandsmodells; Bewusstsein für ökologische<br />
Grenzen und zugleich für die enorme Innovationskraft<br />
moderner Gesellschaften. Einstige<br />
Horrorszenarien und die Vorstellung, dass langfristiges<br />
Planen möglich sei, haben viel von ihrer<br />
Wirkungsmacht eingebüßt. Jedoch: Der Glaube an<br />
die Gestaltbarkeit von Zukunft lebt weiter, jedenfalls<br />
unter den Teilnehmern der Winter School.<br />
Die Zeichen stehen auf Unsicherheit und Krise –<br />
damals wie heute<br />
Seinerzeit wurde der Forschungsantrag, der zu<br />
den „Grenzen <strong>des</strong> Wachstums“ führte, eher trotz<br />
als wegen <strong>des</strong> Votums der Gutachter angenom-<br />
Dennis Meadows inspirierte<br />
die Teilnehmerinnen und Teilnehmer<br />
der Winter School: Er<br />
zeigte die großen Herausforderungen<br />
auf – in gewohnt<br />
unkapriziöser Attitüde. Der<br />
Altmeister beeindruckte.<br />
men. Die Winter School erwies sich insofern als<br />
würdige Nachfolgerin: Hier lockte nicht der gesicherte<br />
Erfolg <strong>des</strong> Projekts, sondern eher das Gefühl,<br />
dass Fragen und Denkmuster gerade in solchen<br />
Zeiten der Krise einer neuerlichen Reflexion bedürfen.<br />
Dass man jedenfalls aus der Klemme, in der die<br />
Menschheit längst steckt, mit den eingeschliffenen<br />
Formeln kaum herausfinden wird, betonte nicht<br />
zuletzt Meadows immer wieder mit Nachdruck.<br />
So war es schließlich ein Ausweis <strong>des</strong> Erfolgs, dass<br />
Symposium und Winter School gleichermaßen ein<br />
in jeder Hinsicht grenzüberschreiten<strong>des</strong> Gespräch<br />
ermöglicht und zugleich die Notwendigkeit einer<br />
Fortsetzung aufgezeigt haben.<br />
Der Autor dieses Textes, Privatdozent Dr. Frank<br />
Uekötter, ist Dilthey-Fellow der <strong>VolkswagenStiftung</strong>;<br />
er hat die Winter School mit vorbereitet und geleitet.<br />
Die Veranstaltungsformate der Stiftung<br />
Mit Beginn <strong>des</strong> Jahres 2013 präsentiert sich die<br />
Stiftung im internationalen Tagungszentrum<br />
Schloss Herrenhausen in Hannover mit einer<br />
Reihe von bereits in den vergangenen drei<br />
Jahren etablierten Veranstaltungsformaten.<br />
Ziel ist es, gleichermaßen die <strong>Wissens</strong>chaft und<br />
deren Erkenntnisse stärker in die Gesellschaft<br />
hineinzutragen wie den innerwissenschaftlichen<br />
Diskurs zu aktuellen Forschungsfragen<br />
voranzutreiben. Die einzelnen Angebote richten<br />
sich beispielsweise an <strong>Wissens</strong>chaftlerinnen<br />
und <strong>Wissens</strong>chaftler, an Forschungs- und<br />
Hochschulpolitiker, Führungskräfte aus Wirtschaft<br />
und Gesellschaft oder auch Bürgerinnen<br />
und Bürger, die an aktuellen Forschungsfragen<br />
interessiert sind. Zu diesen Angeboten zählen –<br />
neben der seit Jahrzehnten etablierten Initiative<br />
„Symposien und Sommerschulen“ – die Herrenhäuser<br />
Gespräche, die Reihe Herrenhäuser<br />
Forum sowie die Herrenhäuser Konferenzen,<br />
die explizit <strong>Wissens</strong>chaftler adressieren.<br />
Eine Marke wird etabliert:<br />
die Herrenhäuser Gespräche.<br />
Mit den Herrenhäuser Gesprächen präsentieren<br />
die <strong>VolkswagenStiftung</strong> und NDR Kultur<br />
aktuelle Themen aus <strong>Wissens</strong>chaft und Kultur,<br />
die unsere Gesellschaft bewegen. Ganz im Sinne<br />
von Gottfried Wilhelm Leibniz positioniert sich<br />
Herrenhausen damit als ein Ort <strong>des</strong> intellektuellen<br />
Diskurses, der weit über die Grenzen der<br />
Stadt Hannover hinaus eine breite Öffentlichkeit<br />
zum Mit- und Nachdenken anregt.<br />
Mit drei verschiedenen Schwerpunkten sollen<br />
die Herrenhäuser Foren – sozusagen als Dachmarke<br />
für unterschiedliche Zielrichtungen – ein<br />
breites Publikum für wissenschaftliche Fragen<br />
interessieren. Das Forum für Zeitgeschehen<br />
greift jeweils aus aktuellem Anlass historische<br />
Ereignisse auf und diskutiert deren Bedeutung<br />
für Gegenwart und Zukunft. Ausgehend vom<br />
aktuellen Stand der Forschung erörtern <strong>Wissens</strong>chaftler<br />
und <strong>Wissens</strong>chaftlerinnen im<br />
Forum Mensch – Natur – Technik das komplexe<br />
Zusammenspiel von natürlichen Gegebenheiten<br />
und technologischen Interventionen sowie<br />
deren Aus- und Wechselwirkungen auf uns und<br />
unsere Lebenswelten. Zentrale ökonomische<br />
und politische Herausforderungen sowie Fragen<br />
unseres gemeinschaftlichen Zusammenlebens<br />
stehen im Mittelpunkt der Diskussionen im<br />
Forum Politik – Wirtschaft – Gesellschaft.<br />
Ende 2012 fand die erste Herrenhäuser Konferenz<br />
statt. Vom 12. bis 14. Dezember ging es<br />
zum Thema „Downscaling Science“ einerseits<br />
um die Frage, welche Lösungsstrategien die<br />
„Nanowissenschaften“ zur Bewältigung globaler<br />
Herausforderungen bieten, wo sie derzeit an<br />
ihre Grenzen stoßen und welches momentan<br />
die wichtigsten und schwierigsten Hürden sind,<br />
die es zur signifikanten Weiterentwicklung <strong>des</strong><br />
Gebietes zu überwinden gilt. Andererseits richtete<br />
sich das Interesse der Teilnehmer darauf,<br />
ob nicht neue Wege in der <strong>Wissens</strong>chaft und<br />
<strong>Wissens</strong>chaftspolitik im Sinne eines „Downscaling<br />
Science“ gefunden und beschritten werden<br />
können – insbesondere angesichts sich stetig verteuernder<br />
Forschung und Lehre bei gleichzeitig<br />
knapper werdenden Mitteln. Jährlich drei bis fünf<br />
solcher Veranstaltungen soll es künftig geben. Sie<br />
richten sich an hochkarätige Teilnehmer aus der<br />
<strong>Wissens</strong>chaft und fokussieren mit besonderem<br />
Aktualitäts- und Zukunftsbezug wissenschaftliche<br />
Themen von – zumin<strong>des</strong>t perspektivisch –<br />
hoher gesellschaftlicher Relevanz. cj<br />
88 Impulse 2013 89
Das neue alte<br />
Schloss Herrenhausen<br />
kurz vor seiner<br />
Fertigstellung im<br />
November 2012<br />
Ausblick 2013<br />
Schloss Herrenhausen eröffnet<br />
Am 18. Januar 2013 – mit Erscheinen dieser<br />
Impulse-Ausgabe – wurde das auf Betreiben der<br />
<strong>VolkswagenStiftung</strong> wieder aufgebaute Schloss<br />
Herrenhausen in Hannover feierlich eröffnet. Seitdem<br />
die Stiftung im November 2007 die Absicht<br />
geäußert hatte, den Bau im Rahmen ihrer Vermögensanlage<br />
zu realisieren, war das Projekt von der<br />
Stadtöffentlichkeit mit großem Interesse und viel<br />
Zustimmung begleitet worden. Und so entstand<br />
– ohne Verzögerungen im Zeitplan – die ehemalige<br />
Sommerresidenz der Welfen anhand rekonstruierter<br />
Pläne im historischen Gewand der von<br />
Hofbaumeister Laves vor fast genau zweihundert<br />
Jahren gestalteten klassizistischen Fassade.<br />
Innen jedoch würde Laves „sein“ Schloss nicht<br />
wiedererkennen. Hier wartet ein mit modernster<br />
Technik ausgestattetes Veranstaltungszentrum;<br />
in den Seitenflügeln finden Ausstellungen ein<br />
Zuhause. Ab sofort wird sich an diesem Ort wissenschaftliche<br />
Exzellenz zu einer Vielzahl an<br />
Themen austauschen: 272 Besucher finden in dem<br />
unterirdischen Hörsaal Platz, daneben gibt es weitere<br />
Räume unterschiedlicher Größe. Zu buchen<br />
sind die Kapazitäten – sowohl komplett als auch<br />
einzelne der Räumlichkeiten – über den Betreiber<br />
Hochtief Solutions, der das Tagungszentrum interessierten<br />
Nutzern zur Verfügung stellt. Für 2013 ist<br />
das Schloss schon gut belegt, und auch für die Zeit<br />
danach liegen bereits zahlreiche Anfragen vor. Die<br />
Bürgerinnen und Bürger der Stadt Hannover dürfen<br />
zweifelsohne gespannt sein auf „ihr“ Schloss.<br />
„Experiment!“<br />
Die <strong>VolkswagenStiftung</strong> hat Anfang 2013 die neue<br />
Förderinitiative „Experiment! – Auf der Suche nach<br />
gewagten Forschungsideen“ gestartet. Gefragt<br />
sind kühne Forschungsprojekte, die in Anbetracht<br />
ihres frühen Stadiums oder einer unorthodoxen<br />
Herangehensweise aus dem üblichen Förderrahmen<br />
herausfallen. Sie erhalten mit diesem Angebot<br />
eine einzigartige Chance. Im Fokus stehen Ideen<br />
aus den Natur-, Ingenieur-, Verhaltens- und Lebenswissenschaften<br />
in Experiment und Theorie.<br />
Vorrangig unterstützt die Stiftung solche Ideen,<br />
die radikal neu sind und die akzeptiertes Fachwissen<br />
grundlegend herausfordern. Gedacht ist an<br />
unkonventionelle Hypothesen oder die Etablierung<br />
von Methoden oder Technologien, die neue<br />
Forschungsrichtungen stimulieren. Es zählt allein<br />
die gewagte Idee!<br />
Übergreifen<strong>des</strong> Ziel ist es, grundlegend neue Forschungsthemen<br />
zu bearbeiten, nicht zuletzt wegen<br />
<strong>des</strong> Wagnisses unklarer Erfolgsaussichten. Dabei<br />
muss sich in einer Projektphase von anderthalb<br />
Jahren die Tragfähigkeit <strong>des</strong> erprobten Konzepts<br />
beweisen: Erste Ergebnisse sollen nach einem Jahr<br />
vorliegen, die letzten sechs Monate dienen dem<br />
Abschluss <strong>des</strong> Vorhabens. Ein Jahr nach Beginn<br />
der Förderung wird eine Zwischenbilanz gezogen<br />
bei einem von der Stiftung veranstalteten „Forum<br />
Experiment!“. Ist das Projekt erfolgreich, kann<br />
gegebenenfalls mehr daraus erwachsen.<br />
Jährlich sollen zehn bis 15 solcher „Experimente“<br />
starten können. Die Antragssumme ist auf 100.000<br />
Euro begrenzt. Die Mittel können flexibel eingesetzt<br />
werden – ob für die Einbindung von Kooperationspartnern<br />
im In- und Ausland, für Forschungsaufenthalte<br />
an anderen Einrichtungen, Workshops<br />
oder Arbeitstreffen sowie eine Vertretung für ein<br />
Freisemester oder zur Freistellung von klinischen<br />
Aufgaben. Alle weiteren Informationen sind zu finden<br />
unter www.volkswagenstiftung.de/experiment.<br />
Der erste Bewerbungsstichtag ist der 5. März 2013.<br />
Die Stiftung in Kürze<br />
Die <strong>VolkswagenStiftung</strong> fördert <strong>Wissens</strong>chaft<br />
und Technik in Forschung und Lehre. Sie ermöglicht<br />
Forschungsvorhaben in zukunftsträchtigen<br />
Gebieten und hilft wissenschaftlichen Institutionen<br />
bei der Verbesserung der strukturellen<br />
Voraussetzungen für ihre Arbeit. Besondere<br />
Aufmerksamkeit widmet sie dem wissenschaftlichen<br />
Nachwuchs sowie der Zusammenarbeit von<br />
Forscherinnen und Forschern über disziplinäre<br />
und staatliche Grenzen hinweg.<br />
Die Stiftung verfügt heute über ein Kapital von<br />
rund 2,3 Milliarden Euro, das sie so ertragreich<br />
und nachhaltig wie möglich anlegt. Sie ist wirtschaftlich<br />
autark und in ihren Entscheidungen<br />
autonom, kann Mittel vergeben für alle wissenschaftlichen<br />
Bereiche und fördert die Geistesund<br />
Gesellschaftswissenschaften ebenso wie die<br />
Natur- und Ingenieurwissenschaften und die<br />
Medizin. In den fünfzig Jahren ihres Bestehens<br />
hat sie inzwischen rund vier Milliarden Euro für<br />
über 30.000 Projekte zur Verfügung gestellt.<br />
Die <strong>VolkswagenStiftung</strong> gibt der <strong>Wissens</strong>chaft<br />
Impulse, indem sie immer wieder neue Förderinitiativen<br />
entwickelt, mit denen sie einerseits<br />
auf neue Forschungsgebiete, -inhalte und<br />
-methoden aufmerksam macht und andererseits<br />
Anstöße gibt zur Verbesserung der strukturellen<br />
Voraussetzungen für Forschung und Lehre sowie<br />
der internationalen Zusammenarbeit.<br />
Anträge werden in der Regel nur im Rahmen<br />
der Förderinitiativen entgegengenommen. Die<br />
Stiftung ist aber zugleich offen für Außergewöhnliches<br />
und unterstützt daher auch Einzelvorhaben<br />
außerhalb ihrer definierten Initiativen.<br />
Anträge ausländischer wissenschaftlicher<br />
Einrichtungen müssen sich ebenfalls auf eine<br />
spezifische Förderinitiative beziehen. Dabei sind<br />
konkrete Angaben über eine vorher vereinbarte<br />
Kooperation mit <strong>Wissens</strong>chaftlern in Deutschland<br />
erforderlich.<br />
Impressum<br />
Herausgeber<br />
© <strong>VolkswagenStiftung</strong>, Hannover, Januar 2013<br />
Redaktion (Verantwortlich)<br />
Dr. Christian Jung (cj)<br />
Kommunikation <strong>VolkswagenStiftung</strong><br />
Jens Rehländer (Leitung)<br />
Gestaltung<br />
DesignCentrale, Hannover<br />
Korrektorat<br />
Cornelia Groterjahn, Hannover<br />
Druck<br />
Gutenberg Beuys, Hannover<br />
Bildnachweis<br />
Die Fotos und Abbildungen wurden – soweit unten nicht anders<br />
angegeben – dankenswerterweise von den jeweiligen Instituten<br />
bzw. Hochschul-Pressestellen zur Verfügung gestellt.<br />
Titelblatt: www.thinkstockphotos.de<br />
Seite 3: Frank Nürnberger, Berlin<br />
Seiten 6-9: Jessica Schäfer, Frankfurt/Main<br />
Seiten 10-12: The Ohio State University, USA<br />
Seite 14: Florian Müller, Hannover<br />
Seite 16: Caren-Maria Jörß (© Klassik Stiftung Weimar)<br />
Seiten 18, 23 (rechts), 67-71 (links), 72, 73, 82, 83: privat<br />
Seiten 19, 20, 23 (links), 24-35: Fabian Fiechter, Basel<br />
Seiten 21, 42/43: Wolfgang Kießling, Berlin<br />
Seite 22: Pleuni Pennings/Yannick Mahé<br />
Seiten 36-41, 44-51: Thomas Victor, Hannover<br />
Seiten 52-59: Christoph Edelhoff, Kiel<br />
Seiten 60-66: Jens Steingässer, Darmstadt<br />
Seite 71 (rechts): Jacqueline Hirscher, DRFZ, Berlin<br />
Seiten 74-79, 86: Marcus Reichmann, Hannover<br />
Seiten 80/81: David Außerhofer, Berlin<br />
Seite 82: Mathias Todtenhaupt, Hannover; © NDR Kultur<br />
Seiten 84-88: Jelka Kollatsch<br />
Seite 87: Fabian Fiechter<br />
Seite 90: Nico Herzog, Hannover<br />
90 Impulse 2013 91
Wir stiften Wissen<br />
<strong>VolkswagenStiftung</strong><br />
Kastanienallee 35<br />
30519 Hannover<br />
Telefon 05 11/83 81-0<br />
Telefax 05 11/83 81-344<br />
mail@volkswagenstiftung.de<br />
www.volkswagenstiftung.de