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Digitalisierung des Wissens - VolkswagenStiftung

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Im Außenmagazin Carlsmühle<br />

der Bibliothek<br />

lagern von Schmutz und<br />

Ruß weitgehend befreite<br />

Bücher. Hier werden jene<br />

Bestände behandelt, die<br />

beim Brand 2004 mit<br />

lediglich leichter Beschädigung<br />

oder Verschmutzung<br />

davongekommen sind.<br />

Der Brand von 2004 hat die Herzogin Anna Amalia Bibliothek in Weimar<br />

noch ein weiteres Mal ins 21. Jahrhundert katapultiert. Zunächst steht da<br />

ein schmerzhafter Verlust: etwa 50.000 zerstörte Bücher aus dem Bestand<br />

von rund einer Million Bände. Ein Großteil der außerdem vom Feuer beschädigten<br />

62.000 Werke soll jedoch bis zum Jahr 2016 – unter Einsatz neuer<br />

Methoden restauriert – in die Regale zurückfinden. Unvollständige Bücher<br />

könnten dabei über das Internet identifiziert und ergänzt werden. Ein<br />

außergewöhnliches Projekt, bei dem Bibliotheksmitarbeiter eng mit Experten<br />

aus <strong>Wissens</strong>chaft und Praxis zusammenarbeiten.<br />

Wer die graublaue Pappschachtel öffnet, blickt<br />

auf ein altes Buch, eingebunden in derselben<br />

Farbe. Beim Blättern zeigen sich auf den Seiten<br />

bräunlich-schwarze Ränder, die unregelmäßig<br />

in den hellen Hintergrund ragen. Die Übergänge<br />

sind fließend und kaum zu spüren. Die restaurierte<br />

italienische Druckschrift hat den Bibliothekaren<br />

der Herzogin Anna Amalia Bibliothek<br />

viel Kopfzerbrechen bereitet. Denn nach dem<br />

großen Brand vom 2. September 2004 fehlte der<br />

Anfang: Das auf die Zeit um 1600 geschätzte<br />

Werk begann auf Seite 23. Was stand im vorderen<br />

Teil, und wer war der Verfasser?<br />

Das Großfeuer wurde vermutlich durch einen<br />

Kabelbrand in der zweiten Galerie <strong>des</strong> „Grünen<br />

Schlösschens“ ausgelöst; rund 50.000 Bücher der<br />

einst Herzoglichen Sammlung wurden ein Opfer<br />

der Flammen. Von dort breitete sich das Feuer bis<br />

in die erste Galerie und die beiden Dachgeschosse<br />

aus, die ebenso wie die zweite Galerie komplett<br />

verbrannten. Noch Wochen danach zogen die Helfer<br />

Papiernes und anderes mehr aus dem Brand-<br />

schutt. 28.000 sogenannte Aschebücher sollten es<br />

am Ende sein: Buch- und Musikalienfragmente,<br />

deren Seiten die Flammen am Rand oder bis in<br />

den Kern zerstört hatten. Außerdem hatten Hitze<br />

und Löschwasser die Einbände von 34.000<br />

weiteren Werken beschädigt. Betroffen waren<br />

Druckwerke, Handschriften und die wertvolle<br />

Musikaliensammlung von Anna Amalia. Sie alle<br />

wurden nach Leipzig ins Zentrum für Bucherhaltung<br />

gebracht, gefriergetrocknet und grob sortiert.<br />

Es ist nicht das erste Mal, dass ein solch bedeuten<strong>des</strong><br />

kulturelles Erbe in Schutt oder Asche<br />

aufgeht. Weit größere Bibliotheken haben Teile<br />

ihres Bestands verloren als die im 17. Jahrhundert<br />

gegründete Sammlung, die heute zum<br />

UNESCO-Welterbe „Klassisches Weimar“ gehört.<br />

1988 etwa verbrannten in der Nationalbibliothek<br />

in St. Petersburg rund 300.000 Bände der<br />

Sammlung von Zar Peter I. Während <strong>des</strong> Balkankrieges<br />

wurde die Nationalbibliothek in Sarajevo<br />

zerstört. Und im Jahr 2009 stürzte das Kölner<br />

Stadtarchiv ein.<br />

Neu allerdings ist, dass eine Bibliothek nach der<br />

Instandsetzung <strong>des</strong> Gebäu<strong>des</strong> eine so große Menge<br />

beschädigter Werke restauriert – und die dafür<br />

notwendigen Techniken entwickeln muss. Dass der<br />

Brand und die Schäden nach 2004 auf ein großes<br />

öffentliches Interesse stießen, verwundert nicht.<br />

Die vergleichsweise kleine Einrichtung mit einem<br />

Bestand von einer Million Büchern, von rund 3000<br />

Buchhandschriften, Karten und Globen ist ein<br />

Mythos. Ein Fünftel der Bände stammt aus der Zeit<br />

vor 1850. Mit diesen Werken haben bereits Goethe,<br />

Schiller und Herder gearbeitet. Heute versteht sich<br />

die Anna Amalia Bibliothek als Forschungsbibliothek<br />

für Literatur- und Kulturgeschichte mit dem<br />

Schwerpunkt deutsche Klassik.<br />

Drei Regalkilometer Bücher hatte der Brand<br />

beschädigt, darunter Werke mit Einbänden von<br />

ganz unterschiedlicher Materialität: Leder, Gewebe,<br />

Papier oder Pergament. „Wir haben damals<br />

entschieden, wir wollen das nicht liegen lassen“,<br />

erzählt Jürgen Weber, stellvertretender Bibliotheksleiter:<br />

„Uns war aber auch klar, dass wir das<br />

nicht selber schaffen, obwohl wir über eine leistungsfähige<br />

Restaurierungswerkstatt und Buchbinderei<br />

verfügen. Wir wussten nicht, wie das<br />

gehen könnte; niemand hat bisher Brandschäden<br />

in dieser Größenordnung restauriert. Das steht<br />

in keinem Lehrbuch.“ Daher habe, um dieses<br />

Vorhaben bewältigen zu können, von Anfang an<br />

absolute Transparenz geherrscht, sagt Weber, der<br />

zugleich die Bestandserhaltung leitet. „Wir haben<br />

immer alle unsere Probleme und Aufgaben auf<br />

den Tisch gelegt!“<br />

Der Startschuss fällt noch in das Ende <strong>des</strong> Jahres<br />

2004: Bereits kurz nach dem Brand treffen sich<br />

Fachleute unterschiedlicher Expertise zu einem<br />

mehrtägigen Kolloquium, um über den Umgang<br />

mit den Schäden zu diskutieren. Seit 2007 berät<br />

ein international besetzter wissenschaftlicher<br />

Projektbeirat die Bibliothek. Gemeinsam wurde<br />

das Hauptziel entwickelt, die verbrannten Bücher<br />

teilweise durch Ankäufe zu ersetzen und die<br />

beschädigten so weit wie möglich wieder nutzbar<br />

zu machen. Das Original zu erhalten und die<br />

Brandspuren dennoch nicht zu beseitigen, lautet<br />

seitdem die Devise – ein Vorhaben, das die <strong>VolkswagenStiftung</strong><br />

mit knapp einer Million Euro<br />

unterstützt. „Stiftungs-Asche für Bücherasche“,<br />

war denn als Slogan von manch Beteiligtem in<br />

aufrichtiger Freude gleichsam salopp wie treffend<br />

zu hören.<br />

Dem hohen Anspruch <strong>des</strong> Vorhabens sei von<br />

Beginn an durch konsequent interdisziplinär<br />

angelegte Forschung entsprochen worden, sagt<br />

Ulrike Hähner, Professorin an der Hochschule<br />

für Angewandte <strong>Wissens</strong>chaft und Kunst in<br />

Hil<strong>des</strong>heim. Die Restauratorin sitzt im wissenschaftlichen<br />

Beirat und schickt regelmäßig ihre<br />

Studierenden zur Mitarbeit nach Weimar. Die<br />

wüssten das sehr zu schätzen, denn: „Das Restaurierungsprojekt<br />

ist wirklich einzigartig“, sagt sie.<br />

Matthias Hageböck ist einer der Restauratoren, die seit<br />

2008 die angegriffenen Bücher in der hauseigenen Werkstatt<br />

in Carlsmühle reinigen und reparieren.<br />

Die Seiten werden<br />

vorsichtig mit einem<br />

Spatel voneinander<br />

getrennt, dann mit<br />

einem Pinsel gesäubert.<br />

Noch warten<br />

Tausende Bücher auf<br />

ihre Behandlung.<br />

46 Impulse 2013 47

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