Digitalisierung des Wissens - VolkswagenStiftung
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analogen Datenträgern fürchten, überlassen uns<br />
ihre Ton- und Bilddokumente zur <strong>Digitalisierung</strong><br />
und Verwahrung“, sagt Sebastian Drude, der seit<br />
Kurzem das Language Archive gemeinsam mit<br />
seinem niederländischen Kollegen Daan Broeder<br />
leitet. So habe etwa der berühmte Verhaltensforscher<br />
Irenäus Eibl-Eibesfeldt seine gesamten<br />
Aufnahmen aus Papua-Neuguinea in Nijmegen<br />
sichern lassen. „Das ist ein solch riesiges Datenvolumen,<br />
dass wir damit Jahre beschäftigt sind“,<br />
freut sich Drude.<br />
Der Linguist wurde selbst mit einem DoBeS-<br />
Projekt gefördert und war zudem einige Jahre<br />
Dilthey-Fellow der Stiftung in der Initiative „Pro<br />
Geisteswissenschaften“. Drude beschäftigt sich<br />
seit Ende der 1990er Jahre mit der Sprache der<br />
Awetí, einer brasilianische Tupí-Sprache, die von<br />
etwa 170 Menschen im Gebiet <strong>des</strong> Xingú-Flusses<br />
im Mato Grosso-Gebiet gesprochen wird. Auch<br />
im Deutschen finden sich Spuren davon: „Maracuja“<br />
etwa oder „Jaguar“ sind Tupí-Wörter. Brasilien<br />
ist Dru<strong>des</strong> große Leidenschaft, seit er dort<br />
Die „DoBeS-Initiative“ – eine Erfolgsgeschichte<br />
Die Initiative „Dokumentation bedrohter<br />
Sprachen“ ist zweifelsohne eine Erfolgsgeschichte:<br />
Als Mitte 2012 die letzten Projekte<br />
von der Stiftung auf den Weg gebracht wurden,<br />
hatte sich die Zahl der Bewilligungen<br />
seit dem Startschuss zur Jahrtausendwende<br />
auf rund 150 summiert. Fast 28 Millionen<br />
Euro standen für diese Vorhaben insgesamt<br />
bereit – darunter nicht nur Sprachdokumentationsprojekte,<br />
sondern auch Veranstaltungen<br />
und Aktivitäten zum Archivaufbau und<br />
zur Toolentwicklung. Zu erwähnen noch: Die<br />
Stiftung hat in der Schlussphase der Förderinitiative<br />
neben Dokumentationsvorhaben<br />
auch Projekte unterstützt, die die in mehr<br />
als einem Jahrzehnt entstandenen Sprachkorpora<br />
vergleichend analysieren.<br />
nach dem Abitur ein Freiwilliges Soziales Jahr<br />
absolvierte. Damals erwachte auch sein Interesse<br />
an den indigenen Sprachen Südamerikas. „Es ist<br />
aber nicht nur die Sprache, es sind die Menschen<br />
selbst mit ihrer Kultur, die mich faszinieren.“<br />
Der 45-Jährige hat gerade erst die Leitung <strong>des</strong><br />
Archivs von Peter Wittenburg übernommen.<br />
Der Ingenieur und Softwareexperte Wittenburg<br />
begann im Jahr 1999, das DoBeS-Archiv – und später<br />
auch das Language Archive – aufzubauen. Zur<br />
Dokumentation und Beschreibung von Sprachen<br />
entwickelte er im Verbund mit seinem internationalen<br />
Team die Software ELAN, die bis heute kontinuierlich<br />
optimiert wird. ELAN ist inzwischen<br />
das für diesen Zweck weltweit wohl am häufigsten<br />
verwendete Tool. Es wurde als sogenannte<br />
Freeware entwickelt und kann von jedem interessierten<br />
Forscher kostenlos zur Nutzung heruntergeladen<br />
werden. Neben der Transkription und der<br />
Übersetzung lassen sich einem Datensatz noch<br />
zahlreiche weitere sogenannte Annotationszeilen<br />
für die spätere Analyse der Audio- und Videoauf-<br />
Das Engagement zur Dokumentation bedrohter<br />
Sprachen kann das Sprachensterben als Folge<br />
der kulturellen Globalisierung nicht aufhalten.<br />
Doch was mit Videokamera, Rekorder, Fotoapparat,<br />
Notizblock und anderen Hilfsmitteln in<br />
den vergangenen Jahren aufgezeichnet wurde,<br />
entreißt die Zeugnisse der vielfach nur mündlich<br />
vermittelten Sprachkulturen dem spurlosen<br />
Verschwinden und bewahrt sie als Teil <strong>des</strong><br />
kulturellen Gedächtnisses unserer Welt. Frei<br />
zugänglich sind die archivierten Sprachdokumentationen<br />
über die Internetseite <strong>des</strong> Max-<br />
Planck-Instituts für Psycholinguistik in Nijmegen<br />
unter www.mpi.nl/DOBES. Dort findet sich<br />
auch eine Weltkarte, die zeigt, welche Sprachen<br />
in der DoBeS-Initiative der Stiftung erforscht<br />
und dokumentiert wurden und werden. cj<br />
nahmen hinzufügen: unter anderem zur Phonetik<br />
und zur Morphosyntax <strong>des</strong> Gesprochenen oder zur<br />
Gestik der Sprechenden.<br />
„Der Weg zu einem Datensatz, mit dem ja später<br />
auch andere Forscher etwas anfangen können<br />
müssen, ist manchmal ziemlich schwierig – vor<br />
allem, wenn für die untersuchte Sprache zu Beginn<br />
noch keine Orthografie existiert“, gibt Drude zu<br />
bedenken. Die schriftliche Darstellung etwa von<br />
Tönen und Klicklauten südafrikanischer Sprachen<br />
sei oft kniffelig: Denn wie stellt man so etwas<br />
orthografisch dar? „Die <strong>Wissens</strong>chaftler müssen<br />
dann manchmal etwas improvisieren und unterschiedliche<br />
Akzente verwenden oder Tonbuchstaben<br />
neben den Laut setzen, um zu kennzeichnen, in<br />
welcher Tonlage er ausgesprochen wird.“<br />
„Wir können noch nicht genau sagen, für wen,<br />
außer uns Linguisten, diese Datenbank später einmal<br />
interessant sein und was damit erforscht werden<br />
wird“, sagt Drude. Aber gerade das macht für<br />
Zur Dokumentation und Beschreibung von Sprachen entwickelte<br />
Peter Wittenburg (links) mit seinem Team eine eigene Software:<br />
ELAN. Es ist inzwischen das für diesen Zweck weltweit wohl am<br />
häufigsten verwendete Tool. Sein Engagement auf diesem Feld<br />
brachte ihm international hohe Anerkennung ein.<br />
ihn die Arbeit am Archiv so spannend. „In jedem<br />
Fall zeichnet sich ab, dass auch für Ethnologen oder<br />
Ethnomusikologen, für Verhaltensforscher, Psychologen<br />
und Neurowissenschaftler das Archiv eine<br />
wertvolle Anlaufstelle ist für Recherchen jeder Art.“<br />
Möchte ein Forscher beispielsweise vergleichen,<br />
welche Begriffe für „Medizin“ oder für „Tod“ die<br />
Menschen im brasilianischen Xingú-Gebiet oder<br />
auf Papua-Neuguinea verwenden, welche Gesten<br />
sie beim Sprechen machen und welche kulturellen<br />
Rückschlüsse man daraus ziehen kann, lässt sich<br />
dies im Language Archive gezielt recherchieren.<br />
Das Archiv umfasst derzeit ein Datenvolumen von<br />
etwa 80 Terabyte. Min<strong>des</strong>tens 150 Sprachen – zwei<br />
Drittel aus dem Kontext der DoBeS-Initiative – sind<br />
direkt in Dateien nachgewiesen, über 200 werden<br />
in den Metadaten erwähnt.<br />
Nijmegen ist ein guter<br />
Platz zum Forschen<br />
– und zum Leben.<br />
Immer mal wieder<br />
verlagern sich die<br />
Gespräche mit Kollegen<br />
auch aus dem<br />
Institut heraus.<br />
32 Impulse 2013 33