Digitalisierung des Wissens - VolkswagenStiftung
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Spektrum<br />
Kurzschluss im Gehirn<br />
Forscherteam um Lichtenberg-Professorin Marlene<br />
Bartos zeigt, dass Ruhepausen im Gehirn auch durch<br />
eine Art Kurzschluss ausgelöst werden können.<br />
Das Gehirn leistet täglich Enormes – etwa wenn<br />
detaillierte Erinnerungen an Vergangenes abgerufen<br />
oder auf Basis von Wissen und Erfahrungen<br />
wichtige Entscheidungen getroffen werden. Um<br />
solche Aufgaben zu meistern, müssen Nervenzellen<br />
im Gehirn eine ausgewogene und zeitlich<br />
präzise Balance zwischen Aktivitäts- und Ruhephasen<br />
einhalten. Ist diese Balance gestört, kann<br />
es zu neurologischen Erkrankungen wie Epilepsie<br />
oder Schizophrenie kommen.<br />
Für Aktivität sorgen erregende Nervenzellen. Sie<br />
senden Signale aus, die das elektrische Potenzial<br />
der Empfängerzellen in eine positive Richtung<br />
verschieben. Demgegenüber garantieren sogenannte<br />
hemmende Interneurone Ruhepausen<br />
im Gehirn. Bislang nahmen <strong>Wissens</strong>chaftler an,<br />
dass jene eine Blockierung verursachen, indem sie<br />
die Spannung der Zielzelle in negativer Richtung<br />
verändern. Nun jedoch hat ein Forscherteam der<br />
Universität Freiburg um Lichtenberg-Professorin<br />
Marlene Bartos und die beiden Molekularmediziner<br />
Jonas-Frederic Sauer und Michael Strüber<br />
herausgefunden, dass Interneurone ihre Zielzellen<br />
auf eine zweite Art hemmen können: Sie können<br />
auch einen elektrischen Kurzschluss verursachen,<br />
sodass die Zielzellen für kurze Zeit nicht für erregende<br />
Signale empfänglich sind. Die Ergebnisse<br />
ihrer Arbeit veröffentlichten die Forscher im „The<br />
Journal of Neuroscience“.<br />
Welcher der beiden Wirkungsmechanismen der<br />
Interneurone zum Einsatz kommt, hängt vom<br />
jeweiligen Hirnareal ab, das der Untersuchung<br />
zugrunde gelegt wird. Während die Interneurone<br />
beispielsweise im Hippocampus das elektrische<br />
Kurzschluss im Gehirn: Eine Nervenzelle ist blockiert und<br />
kurze Zeit nicht für sie erregende Signale empfänglich.<br />
Potenzial ihrer Zielzellen ins Negative verschieben,<br />
benutzen die Interneurone <strong>des</strong> benachbarten Gyrus<br />
Dentatus den elektrischen Kurzschluss zur Hemmung.<br />
Diese Gehirnregion ist dafür bekannt, dass<br />
Änderungen in der Balance zwischen Anregung<br />
und Hemmung zu Epilepsie führen können. Die<br />
Arbeit <strong>des</strong> Freiburger Forscherteams hilft somit<br />
dabei, klinische Störungen dieser Balance besser zu<br />
verstehen, und kann in Zukunft möglicherweise als<br />
Grundstein für bessere Therapien dienen.<br />
Wenn die Nase leuchtet<br />
<strong>Wissens</strong>chaftler um Lichtenberg-Professor Marc<br />
Spehr haben herausgefunden, wie wir unterschiedlich<br />
starke Gerüche wahrnehmen.<br />
Mitochondrien, auch „Kraftwerke der Körperzellen“<br />
genannt, haben die Hauptaufgabe, Energie zu<br />
erzeugen. Seit Kurzem weiß man, dass diese Organellen<br />
außerdem den Kalziumspiegel in Zellen<br />
regulieren. In der Riechforschung wurden zwar<br />
viele Prozesse der Kalziumregulation in Riechnervenzellen<br />
untersucht, die Rolle von Mitochondrien<br />
allerdings blieb bislang unerforscht. Hier setzten<br />
in einem von der Stiftung geförderten Projekt<br />
<strong>Wissens</strong>chaftler der RWTH Aachen, vom NeuroScience<br />
Research Center der Berliner Charité<br />
und vom italienischen Forschungsunternehmen<br />
Axxam SpA an. Ihnen ist es gelungen, den Prozess<br />
der Geruchswahrnehmung mithilfe einer neuartigen<br />
Messmethode sichtbar zu machen.<br />
Bisher war bekannt, dass sich der Kalziumspiegel<br />
unmittelbar erhöht, wenn Riechnervenzellen<br />
in unserer Nase in Kontakt mit eingeatmeten<br />
Duftstoffen kommen. Dies führt zu einem<br />
elektrischen Impuls, der über Nervenfortsätze<br />
an das Gehirn weitergeleitet wird. Ob auch<br />
Mitochondrien dieses Duftsignal beeinflussen,<br />
war unklar. Jetzt gelang es, den Anstieg <strong>des</strong><br />
Kalziumspiegels im Inneren der Mitochondrien<br />
unter dem Mikroskop zu erkennen. Dabei spielt<br />
ein Prozess, Biolumineszenz genannt, eine entscheidende<br />
Rolle. Durch die Technik löst das in<br />
die Mitochondrien einfließende Kalzium eine<br />
chemische Reaktion aus, bei der Licht entsteht.<br />
Die Experimente der Duftforscher finden in<br />
völliger Dunkelheit statt, und nur wenn der<br />
Kalziumspiegel im Inneren der Mitochondrien<br />
steigt, wird Licht gebildet. Dieses Licht können<br />
die <strong>Wissens</strong>chaftler mikroskopisch „einfangen“<br />
– beim Riechen beginnt also die Nase quasi zu<br />
leuchten. Ihre Ergebnisse veröffentlicht das<br />
Forscherteam im renommierten Fachmagazin<br />
„Nature Neuroscience“.<br />
Das Leuchten beweist, dass Mitochondrien in den<br />
Riechnervenzellen an der Regulation <strong>des</strong> Kalziumspiegels<br />
beteiligt sind. Und nicht nur das: Die <strong>Wissens</strong>chaftler<br />
konnten beobachten, dass Mitochondrien<br />
im Inneren der Zellen „wandern“. Sobald ein<br />
Duft die Riechnervenzellen dauerhaft stimuliert,<br />
werden Mitochondrien in diejenigen Areale der<br />
Zellen transportiert, in denen der Kontakt mit<br />
Duftstoffen stattfindet. Ausgehend von den neuen<br />
Erkenntnissen sind die <strong>Wissens</strong>chaftler der Frage<br />
nachgegangen, welche Folgen ein Verlust der<br />
Kalziumspeicherfunktion von Mitochondrien für<br />
das Riechvermögen hat. Die Antwort: Bei einem<br />
Funktionsausfall werden Gerüche zwar weiterhin<br />
wahrgenommen, die Nase ist jedoch nicht mehr<br />
in der Lage zu „messen“, ob eine Substanz stark<br />
oder schwach riecht.<br />
Die neue Messmethode könne – spezifiziert und<br />
weiter verfeinert – mittelfristig womöglich in der<br />
Diagnostik bestimmter Krankheiten zum Einsatz<br />
kommen, erklärt Lichtenberg-Professor Marc<br />
Spehr, der das Aachener Forscherteam leitet und<br />
von der <strong>VolkswagenStiftung</strong> mit 1,4 Millionen<br />
Euro gefördert wird. Denn: „Bei einigen neurodegenerativen<br />
Erkrankungen wie Parkinson und<br />
Alzheimer scheinen auch defekte Mitochondrienfunktionen<br />
eine Rolle zu spielen.“<br />
Die Abbildung zeigt fluoreszenzmarkierte Riechnervenzellen<br />
(grün) aus der Nasenschleimhaut der Maus. Die Fortsätze der<br />
Riechnervenzellen enden am Übergang zur Nasenhöhle (schwarz)<br />
mit fadenförmigen Ausläufern (sog. Zilien), die die Riechschleimhaut<br />
bedecken. Rot angefärbt sind durch Antikörper markierte<br />
Mitochondrien, die in allen Zellen der Nasenschleimhaut vorkommen.<br />
Das Schema oben zeigt die elektrischen Entladungen einer<br />
Riechnervenzelle bei der Duftwahrnehmung. Nur wenn die Aufnahme<br />
von Kalzium in die Mitochondrien durch den mCU-Kanal<br />
möglich ist, reagiert die Riechnervenzelle auf den Duft.<br />
Virusabwehr neu verstanden<br />
Forschergruppe um Lichtenberg-Professor Max Löh-<br />
ning entdeckt Mechanismus, wie Virusinfektionen<br />
unsere Körperabwehr zu Höchstleistungen anregen.<br />
„Killer T-Zellen“ (CD8 T Zellen) sind ein wichtiger<br />
Bestandteil unserer Körperabwehr. Sie erkennen<br />
und töten solche Zellen, die Viren vermehren oder<br />
die zu Krebs entartet sind. Killer T-Zellen wären<br />
somit ein wichtiger Wirkmechanismus für Impfungen<br />
gegen HIV/AIDS, Hepatitis C und Malaria<br />
sowie für bestimmte Krebstherapien. Bekannt<br />
ist, dass Virusinfektionen die Killer-T-Zell-Abwehr<br />
extrem anheizen – bislang ist jedoch nur zum Teil<br />
verstanden, welche Prozesse dabei genau ablaufen.<br />
Forscher der Universität Genf und vom Team<br />
um Lichtenberg-Professor Max Löhning von der<br />
Charité – Universitätsmedizin Berlin fanden nun<br />
einen weiteren grundlegenden Mechanismus, wie<br />
bei Virusinfektionen Killer T-Zellen zur Hochform<br />
auflaufen. Dabei ist von Bedeutung, dass Viren die<br />
von ihnen infizierten Zellen zerstören – es kommt<br />
zur Freisetzung von Zellbestandteilen. Solche Zellbestandteile<br />
werden als „Zerstörungs-assoziierte<br />
Molekulare Muster“ (DAMPs) oder Alarmine<br />
bezeichnet. Die <strong>Wissens</strong>chaftler haben nun herausgefunden,<br />
dass Killer T-Zellen das Alarmin<br />
Interleukin 33 (IL-33) erkennen können. Es wird<br />
von Zellen freigesetzt, die das Gerüst von Milz und<br />
Lymphknoten bilden und damit die Killer T-Zellen<br />
direkt umgeben.<br />
„Diese Erkenntnisse könnten ein neuer Ansatz<br />
sein für mögliche Impfungen gegen Infektionskrankheiten<br />
oder sogar Krebs“, sagt Max Löhning,<br />
der seit 2007 als Lichtenberg-Professor für<br />
Experimentelle Immunologie an der Charité das<br />
Gedächtnis unseres Immunsystems erforscht.<br />
Lichtenberg-Professor<br />
Max Löhning erforscht<br />
das Gedächtnis unseres<br />
Immunsystems.<br />
70 Impulse 2013 71