15.02.2013 Aufrufe

Digitalisierung des Wissens - VolkswagenStiftung

Digitalisierung des Wissens - VolkswagenStiftung

Digitalisierung des Wissens - VolkswagenStiftung

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Seit 2008 arbeitet die eigens entwickelte Werkstatt<br />

auf Hochtouren. Morgens um 6 Uhr beginnen<br />

die Maschinen zu summen: Die geschädigten<br />

Buchseiten tauchen in Kompressionskassetten<br />

ins Wasserbad, um Schadstoffe und Schmutz<br />

zu lösen. Mithilfe der Anfaserungsanlage lagert<br />

Magdalena Izdebska je nach Bedarf einen weißen,<br />

braunen oder grauen Faserbrei auf den unvollständigen<br />

Seitenrändern ab. Anschließend verleimt<br />

sie die Buchseiten zu deren Stabilisierung mit<br />

durchschimmernd-dünnem Japanpapier. Die einzelnen<br />

Seiten trocknen auf großen Gitterablagen<br />

und werden zwischen weißen Küchenbrettern<br />

gepresst; die patentierte Werkstatt ist so gebaut,<br />

dass sich große Mengen Blätter auf schonende<br />

Weise wieder nutzbar machen lassen.<br />

Stolz zeigt die junge Buchrestauratorin auf einen<br />

Tisch, der die Monatsproduktion von 5000 Blättern,<br />

teils mit Gewichten beschwert, teils zwischen<br />

Schraubklemmen gezwängt, trägt. Mit welchem<br />

Buch sie gerade beschäftigt ist, kann sie gar nicht<br />

sagen. Ulrike Hähner vom wissenschaftlichen Beirat<br />

fordert, die Werkstatt zu erhalten: „Was wir in<br />

Deutschland brauchen, ist, die Methoden, in die viel<br />

Geld und wissenschaftliches Knowhow geflossen<br />

sind, zu erhalten und zu entwickeln.“<br />

Es folgt die Versiegelung der Seiten. Nach dem Trocknen schließlich werden die<br />

Seiten auf einem Leuchttisch gefalzt, geprüft und zur <strong>Digitalisierung</strong> freigegeben.<br />

In ihrem im Erdgeschoss der Herzogin Anna Amalia<br />

Bibliothek gelegenen Büro hält Kirsten Krumeich<br />

die Statistik auf dem neuesten Stand. Denn<br />

noch ist unklar, wie viele der schwer beschädigten<br />

Aschebücher, die im Außenmagazin lagern,<br />

restaurierbar sind. Genauere Zahlen und Pläne<br />

sollen bis zum Jahresende vorliegen. Vorrangig<br />

kümmert sich die wissenschaftliche Mitarbeiterin<br />

aber um die <strong>Digitalisierung</strong> der bereits restaurierten<br />

Aschebücher. Handelt es sich um eine<br />

Handschrift oder einen Druck, der nur einmal in<br />

der Sammlung steht, wird das Werk von einem<br />

beauftragten Fachunternehmen eingescannt.<br />

Seite für Seite ist es im Internet zu betrachten und<br />

steht so der Forschung wieder zur Verfügung. Das<br />

schont zugleich das Original, das nur im Ausnahmefall<br />

im Sonderlesesaal eingesehen werden darf:<br />

„Es geht sowohl darum, wertvolles historisches<br />

Kulturgut zu erhalten, als auch für den Gebrauch<br />

durch ein großes Publikum die technischen Erfordernisse<br />

zu entwickeln und bereitzustellen.“<br />

Und die Weimarer gehen noch einen Schritt weiter.<br />

Mit einem speziellen Programm geben sie einen<br />

Teil der digitalisierten Werke zur interaktiven Nutzung<br />

frei. Unter der Rubrik „unvollständige und<br />

nicht identifizierte Aschebücher“ zeigt die Bibliothek<br />

auf ihrer Internetseite das vorhandene Material<br />

und bittet, die fehlenden Seiten zu ergänzen und<br />

Hinweise über die Herkunft <strong>des</strong> Werkes und seinen<br />

Autor zu liefern – in einem Blog. Jürgen Weber<br />

bezeichnet diese Möglichkeit als „Meilenstein“ in<br />

der <strong>Digitalisierung</strong> fragmentierter Bücher.<br />

Wie Phönix aus der Asche: Der Blick in das Innere <strong>des</strong> Gebäu<strong>des</strong> zeigt die ganze Pracht der wieder hergestellten Bibliothek.<br />

Überall stehen Bücher – auch die Treppenaufgänge sind durchzogen von Regalen. Zu jeder Tages- und Nachtzeit entfaltet<br />

„Anna Amalia“ ihren ganz eigenen Charme. Wer einmal dort war, ist davon gefangen.<br />

Tatsächlich konnte das Rätsel um den Inhalt <strong>des</strong><br />

graublauen Kartons gelöst werden. Bei einer<br />

Testphase <strong>des</strong> interaktiven Portals gab es im<br />

April und Mai ein unerwartet starkes Echo auf<br />

35 unbekannte Titel, erzählt Kirsten Krumeich.<br />

Ein anonymer Hinweis führte die Mitarbeiter<br />

der Bibliothek auf die richtige Spur: Bei dem<br />

Am 7. November 2012 veranstaltete die Herzogin<br />

Anna Amalia Bibliothek mit Unterstützung<br />

der <strong>VolkswagenStiftung</strong> eine Tagung zu<br />

Fragen der digitalen Sicherung und zu neuen<br />

Wegen der Identifizierung und Rekonstruktion<br />

beschädigter Werke. Im Detail diskutierten<br />

die Teilnehmer die besonderen Anforderungen<br />

an die Bestandserhaltung nach Unglücksfällen<br />

und die Möglichkeiten einer digitalen<br />

Präsentation stark geschädigten Schriftguts.<br />

In den beiden Panels „Sicherung“ und „Identifizierung“<br />

erörterten sie entsprechende<br />

Arbeitsabläufe und technische Konzepte.<br />

Spannend wurde es, als es um neue Wege der<br />

virtuellen Rekonstruktion und Rekontextualisierung<br />

ging. Hier trafen die Erfahrungen der<br />

Mitarbeiter der Weimarer Bibliothek auf die<br />

ihrer Kollegen vom Historischen Archiv der<br />

Stadt Köln und von der Projektgruppe „Virtuelle<br />

Rekonstruktion“ beim Bun<strong>des</strong>beauftragten<br />

für die Unterlagen <strong>des</strong> Staatssicherheitsdienstes<br />

in Berlin. Mit ihnen diskutierten<br />

Vertreter weiterer Bibliotheken und Archive.<br />

Buch handelt es sich um einen Fürstenratgeber<br />

von François Perrot aus dem Jahr 1586. Nun sind<br />

zwar beide Teile getrennt voneinander restauriert<br />

und gebunden. Doch digital kann man sie<br />

in Zukunft gemeinsam betrachten.<br />

Isabel Fannrich-Lautenschläger<br />

Kolloquien „Bestandserhaltung digital“ und „Mengenschäden“<br />

Der Umgang mit Mengenschäden war das<br />

zentrale Thema eines Kolloquiums, das am<br />

24. September 2011 ebenfalls in der Herzogin<br />

Anna Amalia Bibliothek stattfand und<br />

an dem über hundert Fachleute aus fünf<br />

Ländern teilnahmen. Bei der Veranstaltung<br />

wurden die Ergebnisse <strong>des</strong> von der Stiftung<br />

geförderten Projekts näher vorgestellt.<br />

Der Fokus lag dabei auf der Entwicklung neuer<br />

Methoden für eine Massenbehandlung beim<br />

Brand geschädigter Ledereinbände; circa 7500<br />

solcher Werke galt es zu restaurieren. Insbesondere<br />

gelang es, Erfahrungen aus der Papierrestaurierung<br />

auf die Ledereinbandrestaurierung<br />

zu übertragen und so ein neues Standardverfahren<br />

zu etablieren. Neben ganz praktischen<br />

Fragen – etwa zur Ästhetik – standen auch<br />

erforderliche interdisziplinäre Herangehensweisen<br />

zur Lösung spezifischer Probleme im<br />

Vordergrund. So wurde intensiv über Schadensbilder<br />

und Restaurierungskonzepte aus<br />

den Bereichen der Lederarchäologie und der<br />

Restaurierung von Ledertapeten diskutiert. cj<br />

50 Impulse 2013 51

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!