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Digitalisierung des Wissens - VolkswagenStiftung

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Sprache ist Kulturerbe. Mit ihr gibt eine Generation Wissen an die nächste<br />

weiter: über Mythen und Bräuche, aber auch über ganz gewöhnliche Alltagsrituale.<br />

Doch gut die Hälfte der weltweit etwa 6500 Sprachen ist vom Aussterben<br />

bedroht – viele werden nur noch von ein paar Dutzend Menschen<br />

gesprochen und nicht mehr von den Eltern an die Kinder weitergegeben.<br />

Im niederländischen Nijmegen haben engagierte <strong>Wissens</strong>chaftler mithilfe<br />

der Förderinitiative „Dokumentation bedrohter Sprachen“ (DoBeS) der <strong>VolkswagenStiftung</strong><br />

ein digitales Archiv für das Kulturgut Sprache aufgebaut.<br />

Kulturerbe versteckt sich manchmal in einem<br />

unscheinbaren Gewand. Das Gebäude <strong>des</strong> Max-<br />

Planck-Instituts (MPI) für Psycholinguistik im<br />

niederländischen Nijmegen hat von außen den<br />

zweckmäßig-langweiligen Charme eines Kreiskrankenhauses<br />

aus den 1980er Jahren. Man würde<br />

nicht vermuten, das es eines der wichtigsten<br />

und spannendsten Kulturgüter der Menschheit<br />

beherbergt: die Sprache. Genauer gesagt, The<br />

Language Archive, eine neue Einrichtung, die es<br />

sich zur Aufgabe gemacht hat, digitale Daten von<br />

den Sprachen dieser Welt zu archivieren und für<br />

nachfolgende Forschergenerationen zu bewahren.<br />

Fünf starke Partner haben diese digitale Arche<br />

Noah im Herbst 2011 an den Start gebracht: das<br />

MPI in Nijmegen, die Max-Planck-Gesellschaft, die<br />

Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissen-<br />

schaften, die Königlich-Niederländische Akademie<br />

der <strong>Wissens</strong>chaften und, als Impulsgeberin, die<br />

<strong>VolkswagenStiftung</strong>.<br />

<strong>Wissens</strong>chaftler schätzen, dass es weltweit rund<br />

6500 Sprachen gibt, von denen über die Hälfte<br />

bis zum Ende dieses Jahrhunderts ausgestorben<br />

oder in ihrer Existenz stark gefährdet sein dürfte.<br />

Manche werden bereits heute nur noch von einer<br />

Handvoll Menschen gesprochen und verstanden.<br />

Rund um den Erdball haben <strong>des</strong>halb in den vergangenen<br />

zwölf Jahren engagierte Forscherteams mit<br />

Unterstützung der <strong>VolkswagenStiftung</strong> daran gearbeitet,<br />

dieses im Verschwinden begriffene Kulturerbe<br />

über die mündliche Überlieferung hinaus greifund<br />

haltbar zu machen. „In jedem einzelnen Fall<br />

ist das eine große Herausforderung, denn für sehr<br />

Seit Mitte der 1970er Jahre<br />

arbeitet der gebürtige Holsteiner<br />

Peter Wittenburg<br />

bereits in Nijmegen. Dem<br />

Ingenieur und Softwareexperten<br />

ist es mit zu verdanken,<br />

dass es weltweit inzwischen<br />

etwa ein Dutzend<br />

Mini-Ableger <strong>des</strong> DoBeS-<br />

Archivs gibt: unter anderen<br />

in Brasilien, Peru, Mexiko,<br />

Australien und Russland.<br />

viele der bedrohten Sprachen existiert weder eine<br />

Orthografie noch eine Grammatik“, sagt Dr. Vera<br />

Szöllösi-Brenig, die als verantwortliche Programm-<br />

Managerin die Initiative von Beginn an gestaltet<br />

hat. Insgesamt hat die Stiftung seit der Jahrtausendwende<br />

in 72 zum Teil mehrphasigen Projekten<br />

die Dokumentation und technische Aufbereitung<br />

von rund hundert Sprachen ermöglicht.<br />

Auf allen Kontinenten waren Forscher unterwegs,<br />

Sprachen zu erfassen und wissenschaftlich aufzubereiten:<br />

beispielsweise in Brasilien bei den Awetí,<br />

den Wichita in Nordamerika, bei den im Kaukasus<br />

beheimateten Uden – oder den !Xõo in Namibia,<br />

um dort die Geheimnisse einer Klicksprache zu<br />

ergründen. Auch Europa ist mit einem in Portugal<br />

angesiedelten Dokumentationsvorhaben vertreten.<br />

Ein geografischer Hotspot ist der australischpazifische<br />

Raum; die fernöstlichen Inselwelten<br />

bis in die Südsee beheimaten eine Fülle unerforschter,<br />

linguistisch sehr interessanter und teils<br />

extrem bedrohter Sprachen. Den <strong>Wissens</strong>chaftlern<br />

standen und stehen dabei vor Ort engagierte<br />

einheimische Mitarbeiter zur Seite, die bei der<br />

Annäherung an die fremden Sprachen wertvolle<br />

Hilfe leisten. Zu Projektbeginn werden zudem alle<br />

beteiligten Forscherinnen und Forscher in intensiven<br />

Trainings auf die technischen wie kulturell<br />

bedingten Herausforderungen einer jeweiligen<br />

Sprachdokumentation vorbereitet.<br />

Mit der Dokumentation einer bedrohten Sprache<br />

ist viel gewonnen, doch das ist nur ein erster<br />

Schritt. Im Anschluss wird diese akribisch mit all<br />

ihren Besonderheiten untersucht. Auf der Grund-<br />

lage ihrer Erkenntnisse entwickeln die Forscher<br />

dann beispielsweise – im Optimalfall wieder<br />

gemeinsam mit Partnern vor Ort – eine Orthografie<br />

und Beschreibung (Grammatik) der Sprache<br />

oder auch Schulbücher, mit denen die Kinder die<br />

Sprache ihrer Eltern und Großeltern nicht nur in<br />

Wort, sondern zugleich in Schrift lernen können.<br />

Vor allem aber: Die <strong>Wissens</strong>chaftler hinterlegen<br />

im DoBeS-Sprachenarchiv Audio- und Videoaufnahmen,<br />

die ein lebendiges Bild der Sprache, <strong>des</strong><br />

Alltagslebens und der Kultur der indigenen Bevölkerung<br />

festhalten. Und die von dieser jederzeit<br />

selbst abgerufen und genutzt werden können.<br />

Das digitale Archiv ist das zentrale Projekt und<br />

das technische Herzstück der DoBeS-Initiative und<br />

wurde von der <strong>VolkswagenStiftung</strong> über die Jahre<br />

mit rund drei Millionen Euro gefördert. In Nijmegen<br />

laufen die Fäden aller Dokumentationsvorhaben<br />

zusammen, deren Erfassung bestimmten<br />

Standards zu genügen hat. Auf diese Weise sind<br />

die Sprachdaten und -beschreibungen – größtenteils<br />

– auch für andere Forscher leicht abruf- und<br />

lesbar. Das DoBeS-Archiv wiederum ist zentraler<br />

Bestandteil <strong>des</strong> unlängst gegründeten Language<br />

Archive, das technisch sozusagen auf dem DoBeS-<br />

Fundament erbaut wurde und von den Erfahrungen,<br />

die damit gemacht wurden, profitiert. Auch<br />

Daten anderer <strong>Wissens</strong>chaftler <strong>des</strong> Max-Planck-<br />

Instituts und weltweit von weiteren Einrichtungen,<br />

die sich mit der Erforschung von Sprache<br />

beschäftigen, können hier gespeichert werden.<br />

„Zunehmend mehr Kollegen, die um den Verlust<br />

ihrer oft schon Jahrzehnte alten Aufnahmen auf<br />

In Peter Wittenburgs<br />

Büro sorgen ein paar<br />

kleine bunte Kult-<br />

Figürchen auf der<br />

Fensterbank für Farbtupfer.<br />

Er hat sie von<br />

seinen Reisen nach<br />

Brasilien, Peru oder<br />

Polen mitgebracht.<br />

Meist jedoch findet<br />

man ihn inmitten<br />

seiner Forscherkollegen<br />

wie hier in der<br />

Instituts-Caféteria.<br />

30 Impulse 2013 31

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