Digitalisierung des Wissens - VolkswagenStiftung
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Der elektronische Puls <strong>des</strong> Archivs schlägt im<br />
Souterrain <strong>des</strong> Max-Planck-Instituts: In einem<br />
Kellerraum steht ein surrender Großrechner. Was<br />
passiert, wenn der mal zusammenbricht? Peter<br />
Wittenburg lächelt: „Ich kann trotzdem ruhig<br />
schlafen. Es existieren insgesamt sechs Kopien <strong>des</strong><br />
Archivs: Zwei hier bei uns, und je weitere zwei werden<br />
vom Rechenzentrum der Max-Planck-Gesellschaft<br />
in Garching und von der Gesellschaft für<br />
wissenschaftliche Datenverarbeitung in Göttingen<br />
erzeugt und gepflegt.“ Kopfzerbrechen hingegen<br />
bereitet ihm und seinen Kollegen die Optimierung<br />
von LAMUS, der Repository-Software <strong>des</strong> Archivs.<br />
Diese soll künftig die gezielte Pflege von Daten<br />
noch besser unterstützen können. Als Repository-<br />
Software bezeichnet man die Speichersoftware, die<br />
dafür sorgen soll, dass alle eingehenden Daten auf<br />
einheitliche Normen hin überprüft und gespeichert<br />
werden, sodass der Zugriff darauf auch in zwanzig,<br />
dreißig und mehr Jahren noch problemlos möglich<br />
ist. Die größte Herausforderung ist der rasante<br />
technische Wandel, der Dateienformate schnell<br />
veralten und somit unlesbar werden lässt. „Wichtig<br />
ist, dass wir eine intelligente Steuerung haben und<br />
alle Daten automatisch – quasi per Knopfdruck – zu<br />
einem bestimmten Zeitpunkt in ein aktuelles Format<br />
konvertieren können“, erläutert Wittenburg.<br />
Diesem Problem müssen sich zum Beispiel auch<br />
<strong>Wissens</strong>chaftler stellen, die mit seismologischen<br />
und vulkanologischen Daten umgehen. Auch solche<br />
Angaben sollen über einen langen Zeitraum<br />
abrufbar bleiben. „Die Kollegen haben großes<br />
Interesse an einer Software, die die Datenpflege<br />
unterstützt, und lassen sie sich gern von uns<br />
erläutern“, berichtet Peter Wittenburg und ist<br />
sichtlich erfreut darüber, dass das Spracharchiv<br />
mit seiner Technik ein Trendsetter in Sachen wissenschaftlicher<br />
Datenarchivierung ist.<br />
Seit Mitte der 1970er Jahre arbeitet der gebürtige<br />
Holsteiner bereits in Nijmegen. In seinem<br />
winzigen, nach sehr viel Arbeit aussehenden<br />
Büro sorgen nur ein paar kleine bunte Kult-<br />
Figürchen auf der Fensterbank für Farbtupfer.<br />
Wittenburg hat sie von seinen Reisen nach<br />
Brasilien, Peru oder Polen mitgebracht. Er selbst<br />
ist zwar nie mit Aufnahmegerät oder Videokamera<br />
ins Amazonasgebiet oder in den Kaukasus<br />
gezogen, war aber trotzdem viel im Ausland<br />
unterwegs. „Es gibt mittlerweile etwa ein Dutzend<br />
Mini-Ableger <strong>des</strong> DoBeS-Archivs: unter<br />
anderen in Brasilien, Peru, Mexiko, Australien<br />
und Russland. Und damit auch dort die Speichersoftware<br />
reibungslos läuft, machen wir<br />
natürlich Schulungen mit den Kollegen“, sagt er<br />
und fügt hinzu: „Das ist eine Möglichkeit, wie<br />
wir den Menschen, die sich für unsere Projekte<br />
zur Verfügung gestellt haben, etwas zurückgeben<br />
können. Indem wir deutlich machen: Das ist<br />
euer Archiv!“<br />
Der respektvolle Umgang mit den Menschen,<br />
deren Sprache die DoBeS-<strong>Wissens</strong>chaftler erforschen,<br />
und die äußerst sensible Handhabung<br />
und Weiterverwendung der Film- und Tondaten<br />
sind ohnehin ein Muss. Grundlegen<strong>des</strong><br />
ist festgehalten in einem „Code of Conduct“,<br />
dem sich alle Forscher und DoBeS-Mitarbeiter<br />
verpflichten. „Vorbildlich finde ich zudem, dass<br />
Teile der Projektfördermittel für eine Unterstützung<br />
der indigenen Bevölkerung verwendet<br />
werden können; zum Beispiel, um ein Schulbuch<br />
zu erstellen“, sagt Sebastian Drude. „Seine“<br />
brasilianischen Awetí sind <strong>des</strong>halb inzwischen<br />
in der Lage, eigenständig weiterzuarbeiten; sie<br />
produzieren beispielsweise mit dem erforderlichen<br />
technischen Equipment Audio- und Videodokumente<br />
und speichern diese auf DVDs.<br />
Regelmäßig werden auch native speakers der<br />
bedrohten Sprachen zum jährlich stattfindenden<br />
DoBeS-Workshop nach Nijmegen eingeladen. „Es<br />
ist wichtig, dass sie erleben, was wir hier machen<br />
und worüber wir diskutieren – und wo und wie<br />
ihre Sprachdaten abgelegt werden“, betont Peter<br />
Wittenburg. Bei dem Treffen im Juli 2012 war zum<br />
Beispiel mit Della Bad Wound eine Vertreterin<br />
Abschlusskonferenz zur „DoBeS-Initiative“<br />
Zum Abschluss der Förderinitiative „Dokumentation<br />
bedrohter Sprachen“ findet vom 4. bis<br />
7. Juni 2013 im künftigen Tagungszentrum<br />
Schloss Herrenhausen in Hannover die Konferenz<br />
„Language Documentation: Past – Present<br />
– Future“ statt. Dort werden sich nicht nur die<br />
<strong>Wissens</strong>chaftlerinnen und <strong>Wissens</strong>chaftler der<br />
geförderten Vorhaben austauschen; die Tagung<br />
hält auch für die Öffentlichkeit Interessantes<br />
bereit. Am Eröffnungsabend, dem 4. Juni 2013,<br />
nehmen Ulrike Mosel und der Australier Nicholas<br />
Evans die Zuhörer mit auf eine fulminante<br />
Reise rund um den Globus zu den bedrohten<br />
Sprachen dieser Welt. Professorin Ulrike Mosel<br />
aus Kiel ist eine der international renommiertesten<br />
Forscherinnen auf dem Gebiet, die<br />
mehrere Sprachdokumentationsprojekte in der<br />
pazifischen Inselwelt leitet und dabei auch junge<br />
<strong>Wissens</strong>chaftler an dieses Feld heranführt.<br />
Wie dokumentiere ich eine Sprache? Wie lege ich die Daten<br />
richtig im Spracharchiv ab? Das lernen junge <strong>Wissens</strong>chaftlerinnen<br />
und <strong>Wissens</strong>chaftler bei Workshops, die regelmäßig<br />
im Max-Planck-Institut in Nijmegen stattfinden.<br />
der US-amerikanischen Lakota zu Gast, die nun<br />
ebenfalls ihre Daten in Nijmegen speichern<br />
wollen. Ohnehin seien die Workshops immer ein<br />
Höhepunkt <strong>des</strong> Jahres, schwärmt Wittenburg. Die<br />
Atmosphäre sei offen und inspirierend. Wie bei<br />
einem Klassentreffen freue man sich, die Kollegen<br />
wiederzusehen, und tausche sich über Projekte<br />
und technische Herausforderungen aus – und<br />
natürlich über die Erlebnisse in allen Winkeln<br />
dieser Welt. Vor allem: Gerade junge Nachwuchswissenschaftlerinnen<br />
und -wissenschaftler meldeten<br />
sich hier ausführlich zu Wort. Das hat auch<br />
Stiftungsmitarbeiterin Vera Szöllösi-Brenig immer<br />
wieder beobachtet: „Die nachhaltigen Standards,<br />
die das DoBeS-Programm geschaffen und gesetzt<br />
hat, gehen auf die nächste und übernächste Forschergeneration<br />
über!“ Und so weiß sie denn<br />
„ihre“ Initiative für die nächsten Jahre auch auf<br />
einem guten Weg.<br />
Mareike Knoke<br />
Nicholas Evans ist einer breiteren Öffentlichkeit<br />
bekannt durch sein Buch „Dying words“, das die<br />
Stiftung zur Tagung ins Deutsche übersetzen<br />
lässt. Evans beschreibt dort so anschaulich wie<br />
lebendig, dass jede Sprache ihre eigene Philosophie<br />
und kulturellen Implikationen besitzt.<br />
Er stellt die Frage nach dem Verlust, der dem<br />
kulturellen Erbe der Menschheit zugefügt wird<br />
beim Sterben jeder einzelnen Sprache. Indem<br />
er einige – letzte – Sprecher extrem bedrohter<br />
Sprachen zu Wort kommen lässt und Anekdoten<br />
über „Sprachforscher im Feld“ und deren<br />
Arbeit erzählt, beginnt eine Welt aufzuscheinen,<br />
die bislang weitgehend im Verborgenen blieb.<br />
„Dying words“ zeigt mit einer Fülle an Beispielen<br />
auch aus Evans' eigener Feldforschung bei den<br />
australischen Aborigines den Reichtum und<br />
die Faszination der kulturellen Vielfalt, die uns<br />
umgibt und die sich in Sprache ausdrückt. cj<br />
34 Impulse 2013 35