Istanbul
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Bezirk für Bezirk <strong>Istanbul</strong> - Teil 9<br />
Fatih<br />
Mit der zu den Kommunalwahlen im<br />
Frühjahr wirksam gewordenen Vereinigung<br />
von Fatih und Eminönü ist ein die<br />
historische Halbinsel umfassender<br />
Stadtbezirk entstanden.<br />
Mit der Kommunalwahl 2009 wurde die Vereinigung der beiden<br />
Stadtbezirke Fatih und Eminönü vollzogen. Damit kehrte die Verwaltungsgliederung<br />
in die osmanische Ordnung zurück - denn über lange Zeit<br />
wurde <strong>Istanbul</strong> von drei Kadi regiert: einen für die historische Halbinsel,<br />
einen für Pera, d.h. den Norden des europäischen Stadtgebiets und Üsküdar/Kadiköy,<br />
d.h. das anatolische Stadtgebiet. Doch natürlich ist die<br />
Vereinigung der beiden Stadtbezirke nicht eine wirkliche Rückkehr: längst<br />
hat die historische Halbinsel ihre Funktionen als Sitz der politischen und<br />
der wirtschaftlichen Macht eingebüsst. Zuletzt verlor das Gebiet auch<br />
noch die Funktion als ein wichtiges Wohngebiet. Während die Außenbezirke<br />
durch Zuzug verdichtet wurden und die Stadt immer weiter<br />
ausuferte, verlor insbesondere Eminönü zunehmend an Einwohnern.<br />
Während Laleli über Jahre als Zentrum des “Kofferhandels” mit den<br />
früheren Staaten der Sowjetunion über lange Jahre Zentrum eines<br />
informellen Handels von großem Ausmaß von sich Reden machte,<br />
beherbergt der Stadtbezirk mit dem Hauptcampus der <strong>Istanbul</strong> Universität<br />
und der medizinischen Fakultät Cerrah Pasa nach wie vor über wichtige<br />
wissenschaftliche Zentren.<br />
Das heutige Erscheinungsbild trägt natürlich noch die Züge der alten<br />
Funktionen von Hauptstadt, Gewerbe und Handel. Doch ist es zugleich<br />
auch durch die massiven Eingriffe in die Stadtstruktur geprägt, die in den<br />
fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts begannen und bis heute anhalten.<br />
Während in der Menderes-Ärä Verkehrsschneisen die Altstadt neu gliederten,<br />
wurden die Ufer des Goldenen Horns unter Oberbürgermeister<br />
Dalan in den 1980er Jahren umgestaltet. Heute machen die Stadtsanierungsprojekte<br />
von Sulukule, Balat und Fener von sich Reden. Gemäß der<br />
Pläne der Stadtverwaltung soll das Gewerbe vollständig aus Fatih abziehen<br />
und Platz machen für ein gehobenes Wohngebiet, das zugleich touristische<br />
Funktionen für die ganze Stadt erfüllen soll.<br />
Abrissarbeiten in Sulukule<br />
Dieser Prozess verläuft nicht konfliktfrei. Die Umsiedlung der Roma<br />
aus Sulukule in Neubaublocks der staatlichen Wohnungsbaugesellschaft<br />
TOKI hat internationale Kritik hervorgerufen und bei der vergangenen<br />
Kommunalwahl erhob die oppositionelle CHP den Vorwurf, im Zuge der<br />
Sanierung und Veräußerung seien Immobilien Politikern der<br />
Regierungspartei zugegangen.<br />
Der Stadtbezirk Fatih birgt viele Schichten der Stadtgeschichte.<br />
Spätestens seit der römischen Neugründung als Hauptstadt Ostroms sind<br />
immer neue Gebäude an die Stelle ihrer Vorgänger getreten. Historische<br />
Häfen wurden aufgegeben, die Kais und Lager wurden von Siedlungen und<br />
Werkstätten überdeckt. Diese wichen neuen Siedlungen, später auch<br />
Industrieanlagen. Seit fast 2000 Jahren entfaltet sich auf engem Raum ein<br />
beständiger Wandel. Nun stehen wir an der Schwelle eines neuen Wandels,<br />
mit dem die Funktion dieser “Altstadt” neu bestimmt werden soll.<br />
Doch so sehr sich Stadtplanung auch bemüht, Prozesse zu gestalten und<br />
Entwicklungen Richtung zu geben, so wird sie eingestehen müssen, dass<br />
Menschen ihre eigene Dynamik entfalten. Ob Fatih zu einem Tourismuszentrum<br />
wird oder eine lebendigere Entwicklung nimmt, wird sich erst in<br />
einigen Jahrzehnten herausstellen.<br />
Nr.9 | Oktober 2009<br />
istanbulpost.net SERIE<br />
Kultureller Mittelpunkt:<br />
Byzanz und<br />
osmanische Hauptstadt<br />
In Fatih begegnen sich drei kulturelle Zeitalter, die einander nicht immer<br />
wohlgesonnen waren: Byzanz, das Osmanische Reich und die Türkische Republik.<br />
Ein aufmerksamer Blick auf die Gebäude wirft ein Schlaglicht darauf, wie<br />
zuzeiten friedliche Koexistenz und zu anderen Zeiten der Wunsch nach Verdrängung<br />
dominiert.<br />
Wer sich an den Sultan Ahmet Platz stellt, die Haghia<br />
Sofia im Rücken den Divan Yolu hinauf in Richtung des<br />
Großen Basars schaut, mag einen Hauch von Zeitlosigkeit<br />
erleben. Über Jahrtausende lag hier ein Machtzentrum der<br />
Welt. Und obgleich in hunderten von Jahren immer wieder<br />
Gebäude errichtet und niedergerissen wurden, hat sich die<br />
erkennbare Raumaufteilung erhalten. Der Platz zur Linken<br />
ist längst keine Pferderennbahn mehr und auch der Palastbezirk<br />
im Rücken ist seit rund zweihundert Jahren nicht<br />
mehr politisches Zentrum, doch sind Platz und Palastbezirk<br />
nach wie vor erhalten. Die Straße, auf die wir blicken, hat<br />
ihre Funktion als Achse in Richtung Landmauer beibehalten.<br />
Von den byzantinischen Bauwerken finden sich überwiegend<br />
nur noch Relikte. Die Sophienkirche, die Haghia<br />
Sofia, wurde von den Eroberern<br />
in eine Moschee umgewandelt.<br />
Mit dem Beginn der<br />
Türkischen Republik wurde<br />
sie in ein Museeum umgewandelt.<br />
Es wirkt ein wenig<br />
ironisch, wenn man daran<br />
denkt, dass in dieser Kirche<br />
vor einigen Monaten Mosaiken<br />
aus byzantinischer Zeit<br />
freigelegt wurden. Sie waren<br />
bereits im 19. Jahrhundert bei<br />
Restaurationsarbeiten entdeckt worden. Sie wurden nicht<br />
zerstört, sondern sorgsam mit Putz verdeckt und konserviert.<br />
Die Ironie liegt nicht zuletzt darin begründet, dass die<br />
Auseinandersetzung um Bilder und Ikonen das Byzantinische<br />
Reich immer wieder erschütterte und zur Zerstörung<br />
vieler Bildnisse führte.<br />
Nach der osmanischen Eroberung der Stadt wurde<br />
manches abgerissen und überbaut, manches wurde umgeformt,<br />
doch blieb auch manches erhalten. So auch die große<br />
Zisterne - Yerebatan.<br />
Die Republik stand den großen Reichen, die sie beerbte<br />
skeptisch gegenüber. Das byzantinische Erbe wurde<br />
mit den ethnischen Auseinandersetzungen assoziiert, die<br />
den Untergang des Reiches begleiteten. Auch das osmanische<br />
Erbe warf Probleme auf: hatte doch der letzte Sultan<br />
Partei gegen die türkische Befreiungsbewegung ergriffen.<br />
Zudem stellte das osmanische Erbe für eine säkulare,<br />
modernistische neue Führung der Republik eine Herausforderung<br />
dar, denn ein bedeutender Teil des Widerstands<br />
gegen die revolutionären Maßnahmen, mit denen<br />
die Türkei modernisiert werden sollte, bezog sich auf das<br />
osmanische Erbe und den Sultan als zugleich höchsten<br />
religiösen Repräsentanten.<br />
Folgt man dem Divan Yolu und passiert Basar und Universität<br />
gelangt man nach Aksaray. Inmitten der Altstadt<br />
erhebt sich hier eine gewaltige Betonanlage mit der der<br />
Verkehr von der Brücke über das Goldene Horn auf die<br />
beiden Verkehrsachsen zum<br />
Topkapi und zur Edirne Kapi<br />
verteilt wird. Die beiden Pforten<br />
(“kapi”) befinden sich über<br />
Jahrhunderte an ihrem Platz,<br />
doch die Vatan Caddesi, die sich<br />
wie eine Schneise von Aksaray<br />
zur Mauer erstreckt, stammt<br />
aus den 1950er Jahren. Angesichts<br />
der Gewalt, mit der sie<br />
die Altstadt durchschneidet,<br />
sprechen manche türkische Autoren<br />
von der Rache der Republik an der alten Hauptstadt.<br />
Heute werden neue Schneisen nicht geschlagen. Man<br />
bemüht sich um eine Versöhnung mit der osmanischen<br />
Geschichte und auch das Gefühl von Bedrohung durch<br />
Byzanz scheint nachgelassen zu haben. Heute finden subtilere<br />
Eingriffe in die Stadt statt. Die Stadtviertel entlang<br />
der Landmauer, die mit schlechter Bausubstanz ihren alten<br />
Charakter bewahrt haben, werden saniert. Dass diese Sanierung<br />
zu einer Verdrängung der angestammten Bevölkerung<br />
führt, spricht dafür, dass <strong>Istanbul</strong> nach wie vor<br />
kein entspanntes Verhätnis zu seiner Identität gefunden<br />
hat.