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Istanbul

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22<br />

Bezirk für Bezirk <strong>Istanbul</strong> - Teil 9<br />

Fatih<br />

Mit der zu den Kommunalwahlen im<br />

Frühjahr wirksam gewordenen Vereinigung<br />

von Fatih und Eminönü ist ein die<br />

historische Halbinsel umfassender<br />

Stadtbezirk entstanden.<br />

Mit der Kommunalwahl 2009 wurde die Vereinigung der beiden<br />

Stadtbezirke Fatih und Eminönü vollzogen. Damit kehrte die Verwaltungsgliederung<br />

in die osmanische Ordnung zurück - denn über lange Zeit<br />

wurde <strong>Istanbul</strong> von drei Kadi regiert: einen für die historische Halbinsel,<br />

einen für Pera, d.h. den Norden des europäischen Stadtgebiets und Üsküdar/Kadiköy,<br />

d.h. das anatolische Stadtgebiet. Doch natürlich ist die<br />

Vereinigung der beiden Stadtbezirke nicht eine wirkliche Rückkehr: längst<br />

hat die historische Halbinsel ihre Funktionen als Sitz der politischen und<br />

der wirtschaftlichen Macht eingebüsst. Zuletzt verlor das Gebiet auch<br />

noch die Funktion als ein wichtiges Wohngebiet. Während die Außenbezirke<br />

durch Zuzug verdichtet wurden und die Stadt immer weiter<br />

ausuferte, verlor insbesondere Eminönü zunehmend an Einwohnern.<br />

Während Laleli über Jahre als Zentrum des “Kofferhandels” mit den<br />

früheren Staaten der Sowjetunion über lange Jahre Zentrum eines<br />

informellen Handels von großem Ausmaß von sich Reden machte,<br />

beherbergt der Stadtbezirk mit dem Hauptcampus der <strong>Istanbul</strong> Universität<br />

und der medizinischen Fakultät Cerrah Pasa nach wie vor über wichtige<br />

wissenschaftliche Zentren.<br />

Das heutige Erscheinungsbild trägt natürlich noch die Züge der alten<br />

Funktionen von Hauptstadt, Gewerbe und Handel. Doch ist es zugleich<br />

auch durch die massiven Eingriffe in die Stadtstruktur geprägt, die in den<br />

fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts begannen und bis heute anhalten.<br />

Während in der Menderes-Ärä Verkehrsschneisen die Altstadt neu gliederten,<br />

wurden die Ufer des Goldenen Horns unter Oberbürgermeister<br />

Dalan in den 1980er Jahren umgestaltet. Heute machen die Stadtsanierungsprojekte<br />

von Sulukule, Balat und Fener von sich Reden. Gemäß der<br />

Pläne der Stadtverwaltung soll das Gewerbe vollständig aus Fatih abziehen<br />

und Platz machen für ein gehobenes Wohngebiet, das zugleich touristische<br />

Funktionen für die ganze Stadt erfüllen soll.<br />

Abrissarbeiten in Sulukule<br />

Dieser Prozess verläuft nicht konfliktfrei. Die Umsiedlung der Roma<br />

aus Sulukule in Neubaublocks der staatlichen Wohnungsbaugesellschaft<br />

TOKI hat internationale Kritik hervorgerufen und bei der vergangenen<br />

Kommunalwahl erhob die oppositionelle CHP den Vorwurf, im Zuge der<br />

Sanierung und Veräußerung seien Immobilien Politikern der<br />

Regierungspartei zugegangen.<br />

Der Stadtbezirk Fatih birgt viele Schichten der Stadtgeschichte.<br />

Spätestens seit der römischen Neugründung als Hauptstadt Ostroms sind<br />

immer neue Gebäude an die Stelle ihrer Vorgänger getreten. Historische<br />

Häfen wurden aufgegeben, die Kais und Lager wurden von Siedlungen und<br />

Werkstätten überdeckt. Diese wichen neuen Siedlungen, später auch<br />

Industrieanlagen. Seit fast 2000 Jahren entfaltet sich auf engem Raum ein<br />

beständiger Wandel. Nun stehen wir an der Schwelle eines neuen Wandels,<br />

mit dem die Funktion dieser “Altstadt” neu bestimmt werden soll.<br />

Doch so sehr sich Stadtplanung auch bemüht, Prozesse zu gestalten und<br />

Entwicklungen Richtung zu geben, so wird sie eingestehen müssen, dass<br />

Menschen ihre eigene Dynamik entfalten. Ob Fatih zu einem Tourismuszentrum<br />

wird oder eine lebendigere Entwicklung nimmt, wird sich erst in<br />

einigen Jahrzehnten herausstellen.<br />

Nr.9 | Oktober 2009<br />

istanbulpost.net SERIE<br />

Kultureller Mittelpunkt:<br />

Byzanz und<br />

osmanische Hauptstadt<br />

In Fatih begegnen sich drei kulturelle Zeitalter, die einander nicht immer<br />

wohlgesonnen waren: Byzanz, das Osmanische Reich und die Türkische Republik.<br />

Ein aufmerksamer Blick auf die Gebäude wirft ein Schlaglicht darauf, wie<br />

zuzeiten friedliche Koexistenz und zu anderen Zeiten der Wunsch nach Verdrängung<br />

dominiert.<br />

Wer sich an den Sultan Ahmet Platz stellt, die Haghia<br />

Sofia im Rücken den Divan Yolu hinauf in Richtung des<br />

Großen Basars schaut, mag einen Hauch von Zeitlosigkeit<br />

erleben. Über Jahrtausende lag hier ein Machtzentrum der<br />

Welt. Und obgleich in hunderten von Jahren immer wieder<br />

Gebäude errichtet und niedergerissen wurden, hat sich die<br />

erkennbare Raumaufteilung erhalten. Der Platz zur Linken<br />

ist längst keine Pferderennbahn mehr und auch der Palastbezirk<br />

im Rücken ist seit rund zweihundert Jahren nicht<br />

mehr politisches Zentrum, doch sind Platz und Palastbezirk<br />

nach wie vor erhalten. Die Straße, auf die wir blicken, hat<br />

ihre Funktion als Achse in Richtung Landmauer beibehalten.<br />

Von den byzantinischen Bauwerken finden sich überwiegend<br />

nur noch Relikte. Die Sophienkirche, die Haghia<br />

Sofia, wurde von den Eroberern<br />

in eine Moschee umgewandelt.<br />

Mit dem Beginn der<br />

Türkischen Republik wurde<br />

sie in ein Museeum umgewandelt.<br />

Es wirkt ein wenig<br />

ironisch, wenn man daran<br />

denkt, dass in dieser Kirche<br />

vor einigen Monaten Mosaiken<br />

aus byzantinischer Zeit<br />

freigelegt wurden. Sie waren<br />

bereits im 19. Jahrhundert bei<br />

Restaurationsarbeiten entdeckt worden. Sie wurden nicht<br />

zerstört, sondern sorgsam mit Putz verdeckt und konserviert.<br />

Die Ironie liegt nicht zuletzt darin begründet, dass die<br />

Auseinandersetzung um Bilder und Ikonen das Byzantinische<br />

Reich immer wieder erschütterte und zur Zerstörung<br />

vieler Bildnisse führte.<br />

Nach der osmanischen Eroberung der Stadt wurde<br />

manches abgerissen und überbaut, manches wurde umgeformt,<br />

doch blieb auch manches erhalten. So auch die große<br />

Zisterne - Yerebatan.<br />

Die Republik stand den großen Reichen, die sie beerbte<br />

skeptisch gegenüber. Das byzantinische Erbe wurde<br />

mit den ethnischen Auseinandersetzungen assoziiert, die<br />

den Untergang des Reiches begleiteten. Auch das osmanische<br />

Erbe warf Probleme auf: hatte doch der letzte Sultan<br />

Partei gegen die türkische Befreiungsbewegung ergriffen.<br />

Zudem stellte das osmanische Erbe für eine säkulare,<br />

modernistische neue Führung der Republik eine Herausforderung<br />

dar, denn ein bedeutender Teil des Widerstands<br />

gegen die revolutionären Maßnahmen, mit denen<br />

die Türkei modernisiert werden sollte, bezog sich auf das<br />

osmanische Erbe und den Sultan als zugleich höchsten<br />

religiösen Repräsentanten.<br />

Folgt man dem Divan Yolu und passiert Basar und Universität<br />

gelangt man nach Aksaray. Inmitten der Altstadt<br />

erhebt sich hier eine gewaltige Betonanlage mit der der<br />

Verkehr von der Brücke über das Goldene Horn auf die<br />

beiden Verkehrsachsen zum<br />

Topkapi und zur Edirne Kapi<br />

verteilt wird. Die beiden Pforten<br />

(“kapi”) befinden sich über<br />

Jahrhunderte an ihrem Platz,<br />

doch die Vatan Caddesi, die sich<br />

wie eine Schneise von Aksaray<br />

zur Mauer erstreckt, stammt<br />

aus den 1950er Jahren. Angesichts<br />

der Gewalt, mit der sie<br />

die Altstadt durchschneidet,<br />

sprechen manche türkische Autoren<br />

von der Rache der Republik an der alten Hauptstadt.<br />

Heute werden neue Schneisen nicht geschlagen. Man<br />

bemüht sich um eine Versöhnung mit der osmanischen<br />

Geschichte und auch das Gefühl von Bedrohung durch<br />

Byzanz scheint nachgelassen zu haben. Heute finden subtilere<br />

Eingriffe in die Stadt statt. Die Stadtviertel entlang<br />

der Landmauer, die mit schlechter Bausubstanz ihren alten<br />

Charakter bewahrt haben, werden saniert. Dass diese Sanierung<br />

zu einer Verdrängung der angestammten Bevölkerung<br />

führt, spricht dafür, dass <strong>Istanbul</strong> nach wie vor<br />

kein entspanntes Verhätnis zu seiner Identität gefunden<br />

hat.

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