Istanbul
Istanbul
Istanbul
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
04<br />
Zum Jahesbeginn hatte der Streit zwischen dem türkischen<br />
Ministerpräsidenten Erdogan und dem israelischen Staatspräsidenten<br />
Peres beim Weltwirtschaftsforum Davos für Aufsehen gesorgt.<br />
Bemühten sich Diplomaten beider Seiten um Schadensbegrenzung,<br />
so ist eine wirkliche Entspannung seither nicht eingetreten.<br />
Für Israel sind seitdem Angebote der Türkei als Vermittler<br />
im Nahost-Konflikt aufzutreten, inakzeptabel geworden. Ein<br />
neuer Streit nun hat Anfang Oktober mit der Absage eines internationalen<br />
Militärmanövers begonnen, an dem auch Israel teilnehmen<br />
sollte. Es folgte eine weitere Verstimmung als in einer Serie<br />
des türkischen Staatsfernsehens TRT Aufnahmen des Gaza-<br />
Feldzugs der israelischen Armee vom vergangenen Winter eingebaut<br />
wurden.<br />
Ebbe und Flut in den Beziehungen<br />
In einem Kommentar für die Tageszeitung Milliyet nahm sich<br />
Kadri Gürsel des Hintergrunds der aktuellen Spannungen zwischen<br />
den beiden Verbündeten an. Er verwendete zur Beschreibung<br />
der Dynamik die Metapher von Ebbe und Flut.<br />
Die Phase “auflaufenden Wassers” ist das Umfeld der 1990er<br />
Jahre. In dieser Zeit war die Türkei im Nahen Osten nur ein marginaler<br />
Akteur. Syrien benutzte die PKK als Druckmittel auf die<br />
Türkei. Eine israelisch türkische Zusammenarbeit bot vor diesem<br />
Hintergrund Vorteile für beide Seiten. Das Bündnis mit Israel ermöglichte<br />
Druck auf Syrien, der zur Ausweisung des PKK-Führers<br />
Öcalan aus Syrien führte und damit den Prozess bis zu dessen<br />
Verhaftung einleitete. Auch Israel profitierte sowohl außenpolitisch<br />
wie auch wirtschaftlich von den Beziehungen. Die israelische<br />
Rüstungsindustrie übernahm wichtige Aufgaben bei der Modernisierung<br />
der türkischen Armee.<br />
Seit 2000 hat sich die Konjunktur verändert. Während für die<br />
Nr.9 | Oktober 2009<br />
istanbulpost.net AUßENPOLITIK<br />
Spannungen zwischen Israel und der Türkei<br />
Für manche waren die Vorwürfe von Ministerpräsident<br />
Erdogan ein innenpolitisches Manöver, für andere<br />
eine Wende in der Außenpolitik.<br />
Türkei die EU-Beziehungen Priorität erlangten, verstärkte sich die<br />
Exportorientierung der türkischen Wirtschaft. Parallel dazu begannen<br />
türkische Regierungen, insbesondere seit dem Amtsantritt<br />
der AKP, sich im Nahost-Raum zu engagieren. Vor diesem Hintergrund<br />
begannen sich die türkisch-israelischen Beziehungen zu<br />
einem Handicap zu entwickeln. Es folgte der Gezeitenwechsel.<br />
In den vergangenen Jahren hat es mehrere Auseinandersetzungen<br />
mit Israel gegeben. Nach dem Eklat von Davos zu Jahresanfang<br />
wurde die Absage des Militärmanövers von einer Reihe<br />
von israelischen Zeitungen mit Kritik und Fragen nach der Zukunft<br />
des Bündnisses beantwortet. Auf der anderen Seite hat in<br />
der Türkei das Ansehen Israels nach dem Gaza-Angriff zur Jahreswende<br />
einen Tiefstpunkt erreicht. Für die Regierung bietet die<br />
plakative Kritik an Isreal sowohl innenpolitische Vorteile als auch<br />
Gewinne im Hinblick auf die Nahost-Öffentlichkeit. Zugleich wird<br />
davon ausgegangen, dass dennoch beide Länder kein Interesse<br />
daran haben, das Bündnis aufzukündigen.<br />
Gleichung mit vielen Variablen<br />
Die US-Regierung drängt Israel, den Weg zu einer Friedenslösung<br />
in Palästina frei zu machen. Bisher sind greifbare Erfolge<br />
ausgeblieben, doch läuft Israel mehr denn je Gefahr, sich in eine<br />
internationale Isolation zu bewegen.<br />
Demgegenüber hat die Türkei mit ihrer Politik zur Verbesserung<br />
der Beziehungen zu den Nachbarstaaten - zuletzt mit hochrangigen<br />
Besuchen in Syrien und Irak sowie der Unterzeichnung<br />
eines Protokolls zur Verbesserung der Beziehungen mit Armenien,<br />
neuen Handlungsspielraum gewonnen. Solange Aussicht auf<br />
eine Ratifizierung des Protokolls mit Armenien besteht, das eine<br />
Öffnung der Grenze zwischen beiden Ländern und die Aufnahme<br />
diplomatischer Beziehungen vorsieht, wird davon ausgegangen,<br />
dass eine offizielle US-Anerkennung des Völkermordvorwurfs an<br />
den Armeniern nicht auf die Tagesordnung kommt. Gerade zur<br />
Abwendung einer solchen Möglichkeit hatte sich die Türkei immer<br />
wieder an jüdische Organisationen in den USA gewandt.<br />
Demgegenüber haben die plakativen Kritiken an Israel in Europa<br />
und den USA Fragezeichen aufgeworfen. Stünde das israelisch<br />
türkische Bündnis in Frage, sind ernsthafte Konflikte mit den<br />
westlichen Partnern der Türkei absehbar. Auch wenn keine Gezeitenwende<br />
absehbar ist, ist Deeskalation wahrscheinlich. IP