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Die Wiege im Labor Einstieg für Aussteiger

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„Ich wolllte <strong>im</strong>mer raus aus dem Elfenbeinturm“, sagt Oberbürgermeister Peter Feldmann<strong>im</strong> Gespräch mit Redakteuren des Marburger Unijournals.Vorstellungen interessiert, die sich amlinken Flügel der SPD gebildet hatten.Damals ke<strong>im</strong>ten auch die ersten grünenBewegungen auf; das war aber alles nocham Anfang. Stärker waren in Marburgdamals die dogmatischen Vorstellungenvertreten.Ich erinnere mich an eine Erst-Semester-Veranstaltung, an der ich mit Freundenteilnahm. Der Tutor, der uns beriet, hatteeinen Anstecker des MSB. Der Professorkam rein, er trug einen DKP-Anstecker;wir wurden durch die Bibliothek geführt,der Bibliothekar trug einen DKP-Anstecker;die wissenschaftlichen Mitarbeiter hattenwieder MSB-Anstecker. <strong>Die</strong> Gruppen hattenihre Leute fest <strong>im</strong> Griff. Als ich, ein Juso,dann in die Fachschaft gewählt wurde, wardas so etwas wie eine Revolution.Ein ehemaliger Mitbewohner hatmir später berichtet, dass die Spartakus-Mitglieder angewiesen waren, mindestenseine halbe Stunde vor Beginn einer Veranstaltungvor Ort zu sein, um Blöcke zubesetzen: Links des Redner-Pults saßen 50Leute, rechts 50 Leute. <strong>Die</strong>s hatte den Effekt,dass der Saal zu toben schien, wenn sieihren Leuten applaudierten oder die Gegnerausbuhten.Im Hinblick auf die Studentenbewegunghabe ich also eher den dogmatischen Teilmiterlebt. Rückblickend betrachtet denkeich, dass diese Bewegungen auch etwasmit Glauben zu tun hatten. Es gab zweiSysteme und man glaubte daran, dass daseine das bessere sei. Mit dem Zusammenbruchder DDR hatte dieser Glaube seinenInhalt verloren. Daraus erklärt sich auchdie Frustration innerhalb dieser Gruppennach 1989, die viele bewog, sich ins Privatezurückzuziehen. Da ist auch viel Know Howweggebrochen. Schade.Wie haben Sie Ihr Amt als AStA-Vorsitzender geführt?Ich war zunächst <strong>für</strong> das Kulturreferatzuständig. Wir haben versucht, die erstenPunk Bands nach Marburg zu holen. Esgab damals bereits Punk-Cafés, das war<strong>für</strong> uns eine faszinierende Welt. Vor allem,dass Intellektuelle und Jugendliche ausdem Arbeitermilieu versucht haben, gemeinsametwas auf die Beine zu stellen.Auf den ersten Konzerten standen dannnoch langhaarige, bärtige junge Männerneben den Punks. Das hätte es in dieserForm schon einige Jahre später nicht mehrgegeben.Fotos: Christian Stein (4)Außerdem habe ich mich mit Fragen wieWohnungsnot und studentischem Wohnenbeschäftigt und mich als Ökologie-Referent<strong>im</strong> AStA engagiert. Besonders am Herzen lagmir ein anderes Projekt: ein Wissenschafts-Laden, den wir zwei Jahre lang betriebenhaben. <strong>Die</strong>s ging auf eine Bewegung aus denNiederlanden zurück. Dort wurden die erstensogenannten „Wetenschapswinkel“ eröffnet,um das Wissen der Universität auchunters Volk zu bringen. Das fand ich gut, ichwollte nie <strong>im</strong> Elfenbeinturm bleiben.Sie sprachen vorhin darüber, wiestark Gruppierungen wie der MSBSpartakus in Marburg waren. HabenSie auch Erinnerungen an rechteStudentenverbindungen?Das gab es schon, aber das war eine eigeneWelt. Wo die auftraten, gab es sofortGegendemonstrationen. Das erinnert michan eine kleine Begebenheit: Bei einer AStA-Versammlung wurde eine Burschenschafts-Kappe wie eine Frisbee-Scheibe durchden Saal geworfen und jemand setzte einPreisgeld auf Verbindungskappen aus. Kurzdarauf brachte mir dies eine Anzeige wegenBegünstigung eines Aufrufs zu einer Straftatein. Mein Verteidiger damals hieß GerhardSchröder. In der Nacht vor der Gerichtsverhandlungklingelte das Telefon. Er waram Apparat. „Wir sehen uns ja morgen“,bemerkte er, „sag mir doch mal schnell, umwas es geht.“ Ich war nervös. Am nächstenMorgen um halb neun trafen wir uns. UmNeun war der Prozess angesetzt. Er fragte:Kennst du die Schöffen, kennst du denRichter? Ich sagte: „Nein, aber ich glaube,der Staatsanwalt hat einen Schmiss.“ „Aha“,sagte er, ging rein und stellte einen Befangenheitsantrag.Ich habe dann noch eineResolution verlesen. <strong>Die</strong> Urteilungsverlesungwurde abgebrochen wegen Tumults <strong>im</strong>Gerichtssaal und der Prozess wurde vertagt.Wo haben Sie damals gewohnt?Am Anfang in einer klitzekleinen Bude inMarburg-Biedenkopf, dann in Wetter. Späterhabe ich eine Studenten-WG in der Biegenstraßebezogen, mit einer Dusche, die ichnur in Gang setzen konnte, indem ich 50Pfennig einwarf und am Rädchen drehte.Schließlich habe ich in Ockershausen in derStadtwaldstraße gelebt.Wie war das Studentenleben?<strong>Die</strong> Universitätsstadt war damals einebeinahe schon surreale Welt, verbunden miteinem Tunnelblick der Studenten auf dieUniversität. Mir war bald klar: Das ist nichtdas richtige Leben. Im ersten Studienjahrhabe ich noch sehr intensiv das Studentenlebenausprobiert. Im zweiten Jahr kannte ichmich ganz gut aus und habe mich stärkerengagiert. Im dritten Jahr habe ich festge-43

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