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Die Wiege im Labor Einstieg für Aussteiger

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Andreas Kinski (pixelio.de)Was übrig bleibtMarburger Studierende der Medienwissenschaft recherchierten über Armut.Das lohnt sich voll! Nicht <strong>im</strong>mer ist Flaschensammeln so ertragreich wie auf obigem Bild. Das merkten auch die Autorinnen unseres Beitrags.Es ist Mittag, Punkt zwölf,als wir losziehen. DasWetter ist gut. Wir sindmit fünf Jutebeuteln ausgestattetund opt<strong>im</strong>istisch biszum Gehtnichtmehr. Wie vielGeld lässt sich in einer Stundemit Flaschensammeln verdienen?Das wollen wir herausfinden.Der Griff in den erstenMülle<strong>im</strong>er vor der Uni-Mensa:gleich eine erste herbe Enttäuschung.<strong>Die</strong> Euphorie schwindet,je weiter wir RichtungUniversitätsbibliothek laufenund je mehr Mülle<strong>im</strong>er wirdurchforsten.Was zun<strong>im</strong>mt, ist die Kaffeebecherdichteund die Zahlder Abfallkübel mit geschäftsschädigendenMetalldeckeln.Sie machen das schnelle Hineingreifenunmöglich. Wie sollman da auf einen anständigenStundenlohn kommen? Dannerst bemerken wir unserenAnfängerfehler: <strong>Die</strong> Müllabfuhrhat kurz zuvor alle Behältergeleert.Der Rat eines Profis ist gefragt.Es ist schon Abend, alswir zu einem Supermarkt gehenund hoffen, erfahrene Sammlerzu treffen. Ein Angestellter derGetränkeabteilung berichtet,dass täglich bis zu 15 Stammsammlervorbeikommen, um ihreFlaschen gegen Bares einzutauschen.„In der Regel störendie uns nicht“, sagt er. Tatsächlichkönnen wir einen Sammlerabpassen, den man in der Stadthäufiger bei der Arbeit sieht. Erwill uns abw<strong>im</strong>meln und ruft<strong>im</strong> Vorbeilaufen nur: „Zeit istGeld! Zeit ist Geld!“ Ein paarMinuten der kostbaren Zeitschenkt er uns dann doch. HerrMazilescu* ist 71 und Familienvater,stammt aus Rumänienund lebt schon seit vielen Jahrenin Marburg. Wir erzählen vonunserem Selbstversuch, er wirktnervös.Das Eis bricht, als wir erzählen,dass wir ihm in den Sommermonatenauf den Lahnwiesenein paar Mal Pfandflaschengeschenkt haben. Mazilesculacht und verrät uns, wie er amliebsten arbeitet: Mit dem Fahrradklappert er alle Mülle<strong>im</strong>erder Innenstadt und der Lahnwiesenab. So braucht er <strong>für</strong> seinealltägliche Runde nur einpaar Stunden. Er greift in seineHosentasche und zeigt seinenTagesumsatz: mehre Ein- undZwei-Euro-Stücke und eine MengeKupfergeld. In der anderen„Jetzt sammeln <strong>im</strong>mer mehr!“Hand hält er zwei Bonbons undstreckt sie uns entgegen.Als arm will er sich nichtbezeichnen. Aber er gibt dochzu: „Ich muss meine Rente etwasaufstocken, die wirft nichtviel ab.“ Ob er damit auch seineUrlaubskasse auffüllen möchte?Er lacht. „Nein, nein. Ich spare<strong>für</strong> meinen ältesten Sohn. Derwill jetzt bald seinen Führerscheinmachen.“ Er selbst kannsich kein Auto leisten. Der teureSprit – da bleibe er doch lieberbei seinem Fahrrad.<strong>Die</strong> Geschäfte mit denPfandflaschen liefen schon malbesser. Der Markt ist hart umkämpft.Vergangenes Jahr hättensich Sammler um einen Einkaufswagenvoll Flaschen geprügelt.Als er vor gut zehn Jahrenin Marburg mit dem Sammelnanfing, lief alles noch gesitteterab. „Da war ich noch einer derErsten! Jetzt sammeln <strong>im</strong>mermehr, und man verdient <strong>im</strong>merweniger“, sagt Mazilescu. Dannverabschiedet er sich, geht zumFahrrad und verschwindet in dieNacht.Wir werfen unsere Tagesausbeutein den Automaten. DreiFlaschen, eine Dose. <strong>Die</strong> Summeauf dem Bon, den der Automatausspuckt: 25 Cent.>> Antonia Eigel,Swantje Loose*Name geändertDer Text entstand bei einemSeminar des Marburger Instituts<strong>für</strong> Medienwissenschaft.Der Hessische Rundfunk veröffentlichteeine erweiterte Fassungauf „HR-Online“.48

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