atw - International Journal for Nuclear Power | 05.2019
Create successful ePaper yourself
Turn your PDF publications into a flip-book with our unique Google optimized e-Paper software.
<strong>atw</strong> Vol. 64 (2019) | Issue 5 ı May<br />
252<br />
FEATURE | 60 YEARS DATF<br />
„Es ist ohne Zweifel eine<br />
Tragik in der Geschichte<br />
der Menschheit, dass der<br />
Begriff Atom nicht als<br />
heilende und helfende<br />
Kraft, sondern zuerst als<br />
Faktor von unvorstellbarer<br />
Zerstörungswirkung zum<br />
Bewusstsein der Allgemeinheit<br />
gekommen ist.“<br />
Es ist belegt, dass Strauß einem schnellen Einstieg<br />
in die Nutzung der Atomkraft zur Energieerzeugung<br />
eher zurückhaltend gegenüber stand. Er lehnte den<br />
Bau von in Deutschland entwickelten Reaktoren nicht<br />
zuletzt wegen hoher Entwicklungskosten<br />
ab. Stattdessen<br />
bevorzugte er die Übernahme<br />
amerikanischer Technologien.<br />
Anders sein Nachfolger im<br />
Amt, Siegfried Baalke, der am<br />
16. Oktober 1956 das Ministerium<br />
von Strauß übernahm.<br />
Er unterstützte mehr die technologische<br />
Eigenständigkeit<br />
Deutschlands. 1957 war die<br />
Bundesrepublik Gründungsmitglied<br />
der <strong>International</strong>en<br />
Atomenergie-Organisation<br />
(IAEO).<br />
Die DAtK erarbeitete 1957 das erste deutsche Atomprogramm.<br />
Es wurde auch „Eltviller Programm“ oder auch<br />
„500-MW-Programm“ genannt. Es sah den Bau von fünf<br />
Atomkraftwerken vor, von denen jedes eine Leistung von<br />
100 MW haben sollte. Das Programm verfolgte auch das<br />
Ziel der Brennstoff-Autarkie, die man mit der Entwicklung<br />
von Schnellen Brütern und Hochtemperaturreaktoren<br />
erreichen wollte.<br />
Wissenschaftler: Nein zur atomaren<br />
Aufrüstung der Bundeswehr<br />
1957 wurde öffentlich bekannt, dass die Bundesregierung<br />
unter Konrad Adenauer beabsichtigte, die Bundeswehr<br />
atomar zu bewaffnen. Umgehend <strong>for</strong>mierte sich Widerstand.<br />
18 deutsche Atom<strong>for</strong>scher und Kernphysiker um<br />
Carl Friedrich von Weizsäcker, darunter die Nobelpreisträger<br />
Otto Hahn, Werner Heisenberg, Max von Laue und<br />
Max Born, verurteilten die Pläne der Adenauer-Regierung.<br />
In ihrer „Göttinger Erklärung“ lehnten sie jegliche<br />
Mitarbeit an der Herstellung atomarer Waffen ab. Die<br />
Ablehnung der Wissenschaftler war nicht unbegründet.<br />
Denn einige von ihnen, unter anderem von Weizsäcker<br />
und Heisenberg, hatten in den vierziger Jahren freiwillig<br />
und engagiert, so „Welt.de/Geschichte“, im Uranverein,<br />
dem Atomprojekt des deutschen Heereswaffenamtes,<br />
mitgearbeitet.<br />
Für Adenauer war die atomare Bewaffnung der Bundeswehr<br />
eine Frage der Souveränität, der Ebenbürtigkeit, der<br />
Gleichberechtigung mit anderen europäischen Großmächten.<br />
Um die Bedeutung der Nuklearwaffen vor den<br />
ängstlichen Deutschen herunterzuspielen, definierte er in<br />
einer Pressekonferenz am 5. April 1957: „…. Die taktischen<br />
atomaren Waffen sind im Grunde genommen nichts<br />
anderes als die Weiterentwicklung der Artillerie.“<br />
Das brachte das Fass der Göttinger 18 zum Überlaufen.<br />
Am 12. April 1957 veröffentlichten die Atomphysiker die<br />
„Göttinger Erklärung“ in allen überregionalen deutschen<br />
Zeitungen. Trotz der überwältigenden Resonanz in der<br />
Öffentlichkeit auf diese Erklärung gewannen CDU und<br />
CSU im September 1957 die Wahlen zum 3. Bundestag mit<br />
50,2 Prozent. Adenauer war es dem Deutschlandfunk<br />
zufolge offensichtlich gelungen „… die Angst vor Atomwaffen<br />
durch die Angst vor der Sowjetunion zu überlagern.“<br />
Die politische Euphorie verflog Ende der 1950er Jahre<br />
als klar wurde, dass die deutschen Stromversorger nicht<br />
in die Entwicklung von Atomkraftwerken investieren<br />
wollten. Überdies war mit einer marktwirtschaftlichen<br />
Rentabilität der geplanten Nuklearanlagen nicht zu<br />
rechnen. Auch die Verdoppelung staatlicher Verlustbürgschaften<br />
und Investitionshilfen waren für die<br />
Stromversorger kein besonderer Anreiz. Das erste Atomprogramm<br />
erwies sich als Flop.<br />
Von den fünf geplanten Atomkraftwerken wurden<br />
nur Kahl und Niederaichbach mit geringer Leistung<br />
umgesetzt. Für die Realisierung des Atomkraftwerks<br />
Gundremmingen Block A musste der Staat zwei Drittel der<br />
Kosten vorschießen. Die Anlage ging 1966 – Eigentümer:<br />
Bayernwerk, RWE – als erstes kommerzielles Kraftwerk<br />
Deutschlands mit Siedewasserreaktor und einer elektrischen<br />
Leistung von 237 MW in Betrieb. Durch Eislast<br />
auf den Leiterseilen des Hochspannungsnetzes, in das<br />
das Kraftwerk einspeiste, wurde die Fortleitung des Stroms<br />
am 13. Januar 1977 unterbrochen. Dabei kam es zu<br />
einer folgenreichen Reaktorschnellabschaltung; der TÜV<br />
<strong>for</strong>derte nach Analyse ein neues Sicherheitskonzept.<br />
Wegen der hohen Kosten für die Umsetzung des Konzepts<br />
wurde im Januar 1980 beschlossen, Block A stillzulegen.<br />
Nicht zuletzt dieser Störfall – 1975 gab es in der Anlage<br />
einen Störfall mit Austritt von radioaktivem Dampf, bei<br />
dem zwei Mitarbeiter getötet wurden - bewirkte, dass die<br />
Atomskepsis in der deutschen Bevölkerung zunahm. Seit<br />
1983 wird die Anlage zurückgebaut.<br />
| | Kernkraftwerk Kahl.<br />
Die zwei Gesichter des Atoms<br />
Kernwaffengegner in Großbritannien initiierten 1957 den<br />
ersten „Ostermarsch“. Sie beschworen die Angst vor dem<br />
gefährlichen und zerstörerischen Atom. Am 7. April zogen<br />
rund 10.000 Demonstranten vom Londoner Trafalgar<br />
Square zum britischen Atom<strong>for</strong>schungszentrum Aldermaston.<br />
Seither gibt es die Ostermarschierer auch bei uns.<br />
In der Bunderepublik wuchs die Teilnehmerzahl von<br />
anfangs 1.000 auf etwa 300.000 im Jahr der Studentenrevolte<br />
1968.<br />
Für die gute Seite der Radioaktivität gingen damals<br />
wie heute keine Menschen auf die Straße. Als selbstverständlich<br />
wird beispielsweise die Nuklearmedizin hingenommen.<br />
Etwa die Strahlentherapie bei Krebserkrankungen<br />
oder die Radiojodtherapie bei Schilddrüsenerkrankungen<br />
wird von Erkrankten widerstandslos<br />
hingenommen. Kein noch so entschiedener Gegner der<br />
Atomenergie würde sich bei Bedarf gegen solch eine<br />
Therapie wehren.<br />
Feature | 60 Years DAtF