Komplement und Verstaerker Amplifier and Compliment
ISBN 978-3-86859-578-9 https://www.jovis.de/de/buecher/product/komplement-und-verstaerker.html
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Hanna Hinrichs hh<br />
Dritte Orte. Eine Chance für interdisziplinäre<br />
Projekte?<br />
Die Stadt als Thema hat Hochkonjunktur. Sichtbar wird das an einer Vielzahl<br />
von Veranstaltungen <strong>und</strong> Berichten, die längst die Sphären einer Fachöffentlichkeit<br />
verlassen haben. Die unterschiedlichsten Fachdisziplinen nähern sich<br />
der Stadt an <strong>und</strong> erkennen im Arbeiten mit, über <strong>und</strong> in der Stadt eine Chance,<br />
ihr eigenes Arbeitsfeld zu erweitern <strong>und</strong> neue Relevanz zu bekommen. Dazu<br />
gehört auch, dass eine Interpretation von Stadt in den Mittelpunkt gerückt ist,<br />
die nicht entweder nur gebaute Strukturen aus Häusern, Straßen <strong>und</strong> Plätzen<br />
beschreibt oder aber die organisatorische Struktur Stadt, in der Daseinsvorsorge<br />
<strong>und</strong> Lebenswege organisiert <strong>und</strong> verwaltet werden. Stattdessen beginnt sich ein<br />
Arbeitsbegriff von Stadt durchzusetzen, der stärker Wechselwirkungen von einzelnen<br />
Menschen <strong>und</strong> Gruppen mit gebauten Räumen, Entscheidungs- <strong>und</strong> Entstehungsprozesse<br />
<strong>und</strong> die Stadt als Gemeinschaftswerk vieler sehr heterogener<br />
Akteure <strong>und</strong> ihrer oft widersprüchlichen Anliegen in den Blick nimmt. Für Fachleute,<br />
die sich schon länger mit Stadt beschäftigen, ist das überhaupt nichts<br />
Neues – aber im interdisziplinären Austausch, vor allem auf der ganz praktischen<br />
Ebene des Alltags, setzt sich eine solche Vorstellung von Stadt als gemeinsame<br />
Gr<strong>und</strong>lage für interdisziplinäre Projekte erst langsam durch.<br />
Stadt als Gemeinschaftswerk – Herausforderung für die planende<br />
Verwaltung<br />
Mit einem Bild arbeitet der Soziologe Armin Nassehi einen Aspekt von Stadt heraus,<br />
der für interdisziplinäre Projekte wichtig ist: die Illusion der Stadt als Kloster. 1<br />
Ausgangspunkt war für ihn die Suche nach einer soziologischen Beschreibung<br />
des Konzepts Stadt. Er beschrieb das Dorf als eine Gemeinschaft von Menschen,<br />
in der jeder aufgr<strong>und</strong> seiner Rolle <strong>und</strong> seiner Kenntnisse im Gleichklang, aber<br />
ohne zentrale Steuerung seinen Tätigkeiten nachginge. Dem entgegen setzte<br />
er das Bild des Klosters: Im Kloster gebe es einen klare Aufgabenstruktur mit<br />
fest definierten Aufgaben. Eine unverbrüchliche hierarchische Struktur definiere<br />
Verantwortungsbereiche ebenso wie Sanktionsmöglichkeiten, <strong>und</strong> kein Teil des<br />
klösterlichen Lebens sei davon ausgenommen. Diese Vorstellung eines geordneten<br />
Gebildes mit wie Rädchen einer Maschine inein<strong>and</strong>ergreifenden Arbeitsbereichen<br />
<strong>und</strong> Zuständigkeiten unter der ordnenden H<strong>and</strong> einer Person oder eines<br />
Gremiums ist eine Vorstellung, die – wie man in vielen Gesprächen mit Bürger*innen<br />
feststellen kann – auch auf die Stadt übertragen wird. Die Wirklichkeit, so<br />
Nassehi, steht dem aber entgegen: Nicht nur, dass es in der Stadt eine Vielzahl<br />
von Akteuren gibt, deren H<strong>and</strong>eln an vielen Stellen völlig unabhängig von der<br />
Stadtverwaltung <strong>und</strong> lokalen <strong>und</strong> regionalen Bezügen ist (ein plakatives Beispiel<br />
sind hier große Unternehmen oder auch Supermarktketten), völlig unterschiedlichen<br />
H<strong>and</strong>lungslogiken folgt (politischen, religiösen, ökonomischen, sozialen<br />
usw.) <strong>und</strong> oft auch in einem unmittelbaren Widerspruch zuein<strong>and</strong>er steht – die<br />
Stadtverwaltung hat weder die Möglichkeiten noch die personelle Ausstattung,<br />
um hier eine vollumfängliche Rolle zu spielen.<br />
Auch wenn die Erkenntnis dieser Komplexität nicht neu ist, sind doch<br />
das Verwaltungsh<strong>and</strong>eln <strong>und</strong> die Verwaltungswahrnehmung an vielen Stellen<br />
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