Komplement und Verstaerker Amplifier and Compliment
ISBN 978-3-86859-578-9 https://www.jovis.de/de/buecher/product/komplement-und-verstaerker.html
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Stephan Willinger sw<br />
Planen in der offenen Stadt.<br />
Überlegungen zu Selbstorganisation <strong>und</strong><br />
Emergenz in der Stadtentwicklung<br />
Wer ergreift heute in unseren Städten die Initiative, wer erzählt die spannendsten<br />
Geschichten? Es sind nicht Baudezernenten oder Bürgermeister, sondern zivilgesellschaftliche<br />
Gruppen oder Unternehmen. 1 Sie erschließen sich neue Aufgaben<br />
in der Stadtentwicklung <strong>und</strong> erproben neue Organisationsformen. Ausgelöst,<br />
verstärkt <strong>und</strong> gefördert durch neue Rahmenbedingungen (von Demografie bis<br />
Globalisierung, von Lebensstilen bis Staatsverständnis) werden derzeit in vielen<br />
Städten die Rollen neu verteilt. Stadtverwaltung, Wirtschaft <strong>und</strong> Bürger testen<br />
neue Formen der Zusammenarbeit, in denen sie sich zunehmend auf Augenhöhe<br />
begegnen. Diese wachsende Akteursvielfalt bereichert unsere Stadtgesellschaft<br />
– sie macht jedoch zugleich Stadtentwicklungsprozesse immer komplexer <strong>und</strong><br />
immer herausfordernder für traditionell denkende Verwaltungen, die sich häufig<br />
noch als Steuerungsinstanzen verstehen. Doch die alten hierarchischen Modelle<br />
von Top-down <strong>und</strong> Bottom-up sind in Bewegung geraten.<br />
Vor allem die Stadtproduktion zivilgesellschaftlicher, wenig organisierter<br />
Akteure – die ich vereinfachend informell nenne – erzeugt Unsicherheit bei<br />
staatlichen Stellen. Denn während staatliches H<strong>and</strong>eln in der Stadtentwicklung<br />
(immer noch) auf die lineare Umsetzung bestimmter festgelegter Planungsziele<br />
ausgerichtet ist, besteht das Hauptcharakteristikum des informellen H<strong>and</strong>elns<br />
gerade darin, dass es situativ <strong>und</strong> wenig geplant aus individuellen Zielen<br />
<strong>und</strong> Wünschen heraus entsteht. Um die unvorhersehbaren (aber gewünschten)<br />
Aktivitäten eigensinniger zivilgesellschaftlicher Akteure in der Stadtentwicklung<br />
besser zu berücksichtigen, bedarf es einer <strong>and</strong>eren Haltung <strong>und</strong> eines<br />
<strong>and</strong>eren Planungsverständnisses als das heroische Expertendenken, das noch<br />
immer das alltägliche H<strong>and</strong>eln vieler Planer prägt. Dieses muss „Komplexität,<br />
Nichtlinearität, Unsicherheiten <strong>und</strong> Selbstorganisation [als] Leitbegriffe“ 2<br />
berücksichtigen. Noch scheinen Planungsverwaltungen hin- <strong>und</strong> hergerissen<br />
zwischen den widersprüchlichen Anforderungen von Kreativität <strong>und</strong> Ordnung,<br />
Ausprobieren <strong>und</strong> Absichern, Freiheit <strong>und</strong> Kontrolle.<br />
Doch Stadtplanung macht sich inzwischen auf in diese Richtung, wie<br />
der Stadtplaner Martin Aarts aus Rotterdam bestätigt: „Wir haben früher Gott<br />
gespielt – was mir tatsächlich ganz gut gefallen hat. Jetzt nehmen wir eine<br />
Rolle ein, bei der alle Beteiligten ihr Bestes einbringen <strong>und</strong> ihre Vorstellungen<br />
forcieren können. Das ist nicht nur in Rotterdam so, die Einsicht wächst, dass<br />
die Gesellschaft dermaßen komplex ist, dass es arrogant wäre zu glauben,<br />
dass einer allein oder eine einzige Gruppe sie beherrschen könnte. Nun sucht<br />
jeder nach seinem Weg vom alten System des Governments zu den neuen Ufern<br />
der Governance. Das ist aufregend. […] Unsere Strategie heute ist, Dinge zu<br />
ermöglichen, anstatt wie früher zu regulieren. Die Stadtverwaltung ist auf der<br />
Suche nach einer fruchtbaren Form der Zusammenarbeit.“ 3<br />
Es geht also weniger um eine Änderung des Instrumentariums, als um<br />
einen W<strong>and</strong>el der planerischen Zielsysteme <strong>und</strong> Rollenverständnisse hin zu<br />
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