SPECTRUM #6/2015

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L’EPITRE www.lepitre.ch Bestiaire I Il y aura là-bas, une girafe socialiste un cochon électrique. Une piscine de marshmallow et un plongeoir de 100 mètres avec des corps écrabouillés autour. Des hommes à moustaches qui lisent le Time en riant Mais la neige est noire et rouge du sang d'un phoque. Je l'aimais bien moi, ma girafe socialiste. II Une pluie de chats, pile à l’heure. Dans les bureaux la paperasse forme des montagnes de papier Un escalier pour descendre, un coin de rue assez glauque un tramway plein de buée Un appartement désuet et une femme morte Une pluie de chats, pile à l’heure. L’heure de la pluie de chats Antoine Martines 28 spectrum 6/<strong>2015</strong> DÉCEMBRE/DEZEMBER
KURZGESCHICHTE Die Familiencollage LISA BIERI Ein warmes Gefühl stieg in mir hoch, als ich meiner Grossmutter dabei zusah, wie sie Zwiebeln andämpfte. Der Geruch meiner Kindheit. Es zischte und brutzelte, sie sprach leise mit sich selbst. Sie ist alt geworden, dachte ich. Im nächsten Moment verbot ich mir diesen Gedanken, denn alt werden, das heisst irgendwann sterben. Und die Vorstellung, dass eine Zeit kommen würde, in der ich nicht mehr in ihrer Küche stehen und ihr beim Zwiebeln an - dämpfen zuschauen konnte, eine Zeit, in der es nicht mehr nach Kindheit riechen würde und in der dieses warme Gefühl verschwinden würde, schmerzte zu sehr. Schnell versuchte ich meine Aufmerksamkeit auf etwas anderes zu lenken, um das unerträgliche Gedankenspiel zu unterbrechen. Ich liess meinen Blick durch die mir so vertraute und doch auch fremd gewordene Küche schweifen und blieb am grossen Stolz meiner Grossmutter hängen, ihrer Fotowand. Hier hatte sie einen Ort geschaffen, an dem – wie sie sich ausdrücken würde – alle ihre Lieben immer bei ihr waren, auch wenn diese mittlerweile in alle Winde verstreut waren. Mein Cousin im Strampelanzug hing neben meinem Vater mit seinem ersten Fussball. An dieser Wand herrschten Gesetze der Logik, die sich nur meiner Grossmutter erschlossen. Ich begann, die Bilder zu betrachten, und entdeckte eine Aufnahme von mir als kleines Mädchen an der Hand meiner Grossmutter. Eine Flut von Erinnerungen überschwemmte mich. Wie in einem Zeitraffer sah ich mich immer älter werden, bis mein Blick an einem Bild von meinem 18. Geburtstag hängen blieb. Etwas stimmte nicht, doch es dauerte eine Weile, bis ich den Fehler entdeckte. wunderte mich, wen sie sonst noch aus ihrer Vergangenheit gelöscht hatte, und stutzte, als ich das Hochzeitsfoto meiner Tante entdeckte, die sich vor kurzem hatte scheiden lassen. Ein Blumenstrauss. Meine Grossmutter hatte den Kopf ihres ehemaligen Schwiegersohns mit einem Blumenstrauss überklebt. Ob sie im Sinn hatte, ihn bald mit dem Gesicht der neuen grossen Liebe meiner Tante zu ersetzen? Fast wurde ich ein bisschen wütend auf sie, dass sie es wagte, mit einer Schere an der Realität herumzubasteln. Doch dann war mit einem Mal das warme Gefühl wieder da. Ich wusste, wie sehr meine Grossmutter mit der Scheidung ihrer Tochter gehadert hatte. Und mir wurde bewusst, dass sich die Wirklichkeit ja tatsächlich veränderte und dass das ihre Art war, mit diesen Veränderungen umzugehen. Sie schnitt aus, wer nicht mehr dazugehörte und von wem sie sich folglich nicht in ihren schlaflosen Nächten bei der Zubereitung einer Tasse Tee beobachten lassen wollte. In der Zeit, in der sie gross geworden war, musste noch niemand ein Familienbild mit einer Schere bearbeiten, da Trennungen in dieser Welt nicht vorkamen. Was kaputt war, wurde repariert und nicht einfach weggeworfen und durch etwas Neues ersetzt. Plötzlich holte mich die Stimme meiner Grossmutter zurück aus meinen Gedanken. Fragend blickte sie mich an und erst nach einer Weile verstand ich die Worte, die aus ihrem Mund kamen. Essen ist fertig. Ich musste blinzeln, um wieder in der Realität ihrer kleinen Küche zu landen und nickte. Ich war bereit. Dort, wo mein Exfreund in die Küche meiner Grossmutter gelacht hatte, blickte einem nun mein Vater als ernster junger Mann entgegen. Eine Zeit lange hatte ich das Gefühl gehabt, dass meine Grossmutter diese Trennung schlechter verkraftet hatte als ich, aber dieses überklebte Foto sprach dafür, dass sie nun auch darüber hinweggekommen war. Ich Hast du selbst eine Kurzgeschichte, die veröffentlicht werden sollte? Dann sende deinen Text (max. 3’300 Zeichen mit Leerzeichen) an: spectrum@unifr.ch 6/<strong>2015</strong> DÉCEMBRE/DEZEMBER spectrum 29
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