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Titelthema: Dachschildkröten

PanoramaGesichterder

PanoramaGesichterder DGHTWolfgang RadesAlter 66, Wohnort Dillenburg (Mittelhessen)Lieber Wolfgang, Du bist Zoologe und warst viele Jahre langLeiter des Vogel- und Naturschutztierparks Herborn. Noch viellänger schon bist Du in der DGHT. Wie und wann hast Du zuuns gefunden?Von Kindesbeinen an habe ich mich für alles interessiert,was da kreucht und fleucht. Ich war stark inspiriert vomdamaligen Frankfurter Zoodirektor Bernhard Grzimek unddessen TV-Sendung „Ein Platz für Tiere“, die ich schon alskleiner Junge dienstagabends gucken durfte, sowie seinentierkundlichen Büchern und Kinofilmen.Hinzu kam, dass meine Eltern mir immer mal wieder beiZoobesuchen den Kontakt zu unseren faszinierenden Mitgeschöpfenermöglichten. Zwar wuchs ich am Rand derGroßstadt Solingen im Bergischen Land auf, konnte aberschon in wenigen Minuten in der Natur sein und durch dieWälder in den Wupperbergen streifen. Damals gab es dortnoch zahlreiche Biotope und Kleingewässer mit Molchen,Fröschen, Kröten, Ringelnattern, Blindschleichen und Zauneidechsen.Angesichts der Bedeutung, die die DGHT für herpetophileMenschen wie mich hat, und nicht zuletzt durch diecharismatische Ausstrahlung, die der damalige PräsidentWolfgang Böhme als Leiter der herpetologischen Abteilungim Museum Alexander Koenig damals wie heute hatte bzw.hat, wurde ich schon 1984 Mitglied der DGHT.Ich gehe wohl recht in der Annahme, dass Du wie die meistenheute herpetologisch tätigen Artenschützer auch von klein aufschon Molche und Eidechsen zu Hause gehalten hast?Wolfgang Rades mit KönigspythonAber natürlich, denn es versteht sich fast von selbst, dassein kleiner Teil dieser faszinierenden Tiere den Weg innaturnah eingerichtete Aquarien und Terrarien fand, umsie zu beobachten und näher kennenzulernen. Vor diesemHintergrund möchte ich unbedingt betonen, was für eintolles Hobby der reale Umgang mit diesen Tieren als engagierterTerrarianer oder Aquarianer, Vogel- oder (Klein-)Säugerhalter oder auch als Freund der Haltung wirbelloserTiere ist. Dieser unmittelbare Umgang mit dem lebendenTier, selbstredend in tiergerechter Haltung, kann durchkein virtuelles Medium dieser Welt ersetzt werden. Ausmeiner Sicht als engagierter Naturschützer ist die durchden Mangel an Kontakten zu unseren Mitgeschöpfenentstehende Naturentfremdung fatal, denn nur wer Tierekennt, wird Tiere lieben ... und schützen! Mich macht essehr betroffen, dass ich über die Jahre hinweg mit ansehenmusste, wie die von mir noch als Kind und Jugendlicherbegeistert erlebten Lebensräume mit ihrer einstmals vielfältigenTier- und Pflanzenwelt größtenteils zerstört wurden.Feuchtgebiete wurden trockengelegt, Tümpel zugeschüttet,Wiesen überbaut und die verbleibenden Lebensräume vonimmer mehr und immer breiteren Straßen zerschnitten. Diedort einstmals lebenden Tiere haben ihre Lebensgrundlageverloren, und fast schon wie ein Alibi hat man überdies dieChance, junge Menschen für die Natur und Tierwelt zu begeistern,zunichte gemacht, indem man die Naturentnahmeartengeschützter Tiere verboten hat!Ist es nicht fast als pervers zu bezeichnen, dass man z. B.einen Feuersalamander oder eine Blindschleiche ohne Konsequenzentotfahren kann, ich mich aber strafbar mache,wenn ich ein solches Tier z. B. für Unterrichtszwecke inder Schule oder im Kindergarten auch nur vorübergehendder Natur entnehme? Folglich geht der Kontakt zu unserenfaszinierenden Mitgeschöpfen immer mehr verloren, undunsere Gesellschaft verliert sich immer mehr in virtuellenKonsumwelten. Wir leben inmitten der sechsten globalenAussterbewelle und zerstören unsere eigenen natürlichenLebensgrundlagen, ohne dass dies den meisten Menschenaufgrund ihrer Naturentfremdung bewusst wird.Das unterschreibe ich gerne so! Du hast, wie viele namhafteDGHT-Mitglieder, eine Diplomarbeit bei Wolfgang Böhme ander Uni Bonn angefertigt. Um welches Thema ging es denn da?40

PanoramaUnter dem Titel „Untersuchungen zur Ökologie und Verbreitungder Herpetofauna des Solinger Raumes“ konnteich meine freilandökologischen Ambitionen und meineArtenschutzmotivation mit meinem Interesse für die Kriechtiereund Lurche ebenso wie die guten Ortskenntnissebestens vereinen, und ich denke, dass sich dieses Werk mitmehr als 330 Seiten sehen lassen kann. Zudem wurde dieArbeit damals, trotz lokalpolitisch nicht immer bequemerAussagen, von der Naturschutzbehörde der Stadt Solingenvervielfältigt und spielt auch heute noch als grundlegendesWerk eine Rolle für das Engagement sowohl von Naturschutzverbändenals auch der Stadt und der BiologischenStation Mittlere Wupper.Artenschutz und Zoos waren Dir immer ein wichtiges Anliegen,hast Du nach dem Studium direkt die „Zoolaufbahn“ eingeschlagen?Ich war zunächst tiergartenbiologisch in den TierparksFauna Solingen und Bochum tätig und erhielt dann die Gelegenheit,als Leiter des NABU-Artenschutzzentrums Leiferdemeine tiergärtnerischen Qualifikationen noch stärker mitdem praktischen Artenschutz zu verbinden.Allerdings musste ich feststellen, dass man als Mitarbeitereines Naturschutzverbands zwar viele Menschen erreicht,die aber zumeist schon Naturschützer sind, die große Mehrheitunserer naturentfremdeten Bevölkerung leider jedochkaum. In dieser Erkenntnis hat es mich dann zurück in denZoo gezogen, denn über zoologische Gärten kann man sehrviel mehr Menschen für den Natur- und Artenschutz motivieren.Deswegen übernahm ich die Leitung des VogelparksHerborn, den ich zum Vogel- und Naturschutztierparkweiterentwickelte.Nach Deiner Zeit in Herborn warst Du zoologischer Direktor desLoro Parque auf Teneriffa. Ich war vor 15 Jahren sehr beeindrucktvon diesem damals schon sehr modernen Zoo mit SchwerpunktPapageien inklusive Nachzucht und Auswilderung von seltenen,vom Aussterben bedrohten Arten. Welche Projekte standen dennim Fokus?Die Vielfalt der größten genetischen Reserve von Papageienin der Welt ebenso wie die in großzügigen Anlagen ineinem tollen subtropischen Ambiente gepflegten Primaten,Raubtiere, Pinguine, Aquarienbewohner und natürlich dieMeeressäuger sowie der Umstand, dass sich Loro Parqueseit langem weltweit vorbildlich im Natur-, Arten-, UmweltundTierschutz engagiert, machen diesen fantastischen Parknicht nur zu einem „Mekka“ der Papageienfreunde, sondernnatürlich auch für engagierte Naturliebhaber und -schützer.Ich war im Loro Parque auch fasziniert von dem riesigen Delfinariummit Großen Tümmlern und Orcas. Tierrechtler greifenja vor allem Zoos mit Delfinhaltung an, wie bist Du als Direktordamit umgegangen und wie ist denn die aktuelle Lage?Das Problem besteht nach wie vor, denn im Zeitalter vonSocial Media ist es für Tierhaltungsgegner ein Leichtes,in unserer naturentfremdeten Gesellschaft, die die Natureinerseits achtlos zerstört, sie aber andererseits verklärt, zueinem eine grenzenlose Freiheit symbolisierenden Paradiesmacht, durch emotionalisierende Kampagnen gerade gegendie Haltung besonders charismatischer Arten wie Delfine,Menschenaffen, Elefanten oder Eisbären riesige Spendensummeneinzuwerben, die aber mitnichten dem Natur- undTierschutz zugutekommen, sondern für die Finanzierungweiterer Kampagnen sowie von Funktionärsgehältern verwendetwerden. Dabei wird übersehen, dass die wirklichenExperten für das Tierwohl die Biologen, Tiermedizinerund Tierpfleger, aber auch ernsthafte Privathalter sind, diesich seit langem praktisch mit den Bedürfnissen der Tierebefassen. Deswegen ist festzuhalten: Tierrechtler sind keineTierschützer!Aus privaten Gründen bist Du vor einigen Jahren wieder nachDeutschland zurückgekehrt und engagierst Dich als Artenschutzbeauftragterdes Loro Parque von Deutschland aus für denNaturschutz. Wie kann man sich Deine Tätigkeit vorstellen, gehtes dabei vor allem um Vögel oder bist Du auch herpetologischaktiv?Insbesondere geht es um naturschutzbezogene Öffentlichkeitsarbeitund die Kontaktpflege zu bedeutenden Institutionenund NGOs, darunter auch zur DGHT. Zwar stehenPapageien sowie Meeresschutzprojekte im Rampenlichtunserer Arbeit, aber natürlich profitieren letztlich alle Artenvon Schutzkonzepten für die attraktiven „umbrella species“,also auch die Herpetofauna. Wir engagieren uns im Sinnedes One Plan Approach der Weltnaturschutzunion IUCN,nach der Zoos und auch Privathalter wertvolle Beiträge zurArterhaltung durch die tiergerechte Haltung von Wildtierenin menschlicher Obhut leisten. Angesichts der globalenBiodiversitätskrise ist es erforderlich, das Engagementvon In-situ-Naturschutzexperten mit der Expertise der imBereich der Ex-situ-Zucht engagierten Personen zu verzahnen,wie dies mit der von DGHT, VdZ und Frogs & Friendsgetragenen Citizen-Conservation-Initiative erfolgt, die einewichtige Ergänzung zur Haltung und Zucht in modernenZoos darstellt.Mit dem Tierpark Herborn arbeitest Du noch eng zusammen,für einen Aktionstag dort habe ich Dir erst im September einigesDGHT-Material zu unseren Arten des Jahres, speziell auch zumFeuersalamander, geschickt. Um was ging es an diesem Tag?Im hessischen „Arbeitskreis Feuersalamander“ engagierenwir uns angesichts der Bsal-Problematik sowohl in situdurch herpetologische Erhebungen als auch im Rahmen derEx-situ-Erhaltungszucht für die Schaffung einer hiesigenReservepopulation für diese Verantwortungsart im Sinnedes One Plan Approach. Natürlich spielt dabei auch dieÖffentlichkeitsarbeit eine bedeutende Rolle.Vielen Dank, Wolfgang, für unser aufschlussreiches Gespräch!Das Interview führte Axel Kwet41

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