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Titelthema: Dachschildkröten

Natur- und

Natur- und ArtenschutzZum Umgang mit allochthonenMauereidechsenam Beispiel der Ansiedlung imPassauer RaumGlobalisierung und Klimawandel bewirken zunehmend Veränderungen in der Flora undFauna. Neobiota, also neue gebietsfremde Arten, und ihre möglichen Auswirkungenauf die einheimischen Arten und Ökosysteme gewinnen daher zunehmend an Brisanz.Gleichzeitig gibt es Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel bei einem nur mäßigwirksamen Klimaschutz. Ein Beispiel für eine Veränderung der Reptilienfauna durch einegebietsfremde Art ist die Ansiedlung der Mauereidechse im Raum Passau.Text und Fotos von Otto AßmannDie Mauereidechsen im Raum Passau laden dazu ein,das Thema „Neozoen“ differenziert zu betrachten. Hierleben italienische Mauereidechsen schon seit etwa hundertJahren. Sie haben im Stadtgebiet von Passau bereits einekulturell-ästhetische Bedeutung. Dass dies von der Stadtgewürdigt wird, zeigte sich bei der Sanierung der hohenMauern am Innkai. Zur Erhaltung der Mauern musste mandiese teilweise verfugen. Die Naturschutzbehörde der StadtPassau bestand darauf, „künstliche“ Spalten und Höhlen beider Sanierung gezielt einzubauen (Assmann 2022).Demgegenüber gibt es die Sichtweise, dass gebietsfremdeMauereidechsen in Deutschland als invasive, für einheimischeArten und Ökosysteme schädigende Art behandelt werdensollten. In diesem Beitrag soll eine Einschätzung der Wirkungender etablierten Passauer Mauereidechsen auf heimischeArten und Ökosysteme im Raum Passau erfolgen. Daraus werdenHandlungsempfehlungen entwickelt und vorgeschlagen.Die einheimischen Eidechsen im Passauer Raum unddie MauereidechseIm Landkreis Passau kommen, einzigartig für Bayern, vierEidechsenarten vor. Es sind dies Zauneidechse (Lacertaagilis), Wald- oder Bergeidechse (Zootoca vivipara), ÖstlicheSmaragdeidechse (Lacerta viridis) und Mauereidechse (Podarcismuralis) (Andrä et al. 2019).Zaun- und Waldeidechse sind in Mitteleuropa weit verbreitet.Eine Besonderheit in Bayern ist die nur im Donauengtalbei Passau vorkommende Östliche Smaragdeidechse. InDeutschland gibt es nur zwei Gebiete, in denen die ÖstlicheSmaragdeidechse vorkommt: relativ kleinräumig inBrandenburg und eben im Donauengtal bei Passau. Dasnatürliche Verbreitungsgebiet unserer Smaragdeidechsenendet entlang der Donau, von Südosten her in Passau.Ein Pärchen Mauereidechsen an seinem Quartier in einerMauer am Innkai in Passau, links das Männchen mit demetwas kräftigeren Kopf66

Natur- und ArtenschutzVöllig anders ist die Geschichte der Passauer Mauereidechsen.Nach Sochurek (1982) siedelte Herr Hans Geyer ausRegensburg in den ersten Jahren nach dem Ersten Weltkriegdie Tiere dort an. Mertens & Schnurre (1949) sprechendavon, dass „… sie erst vor wenigen Jahren dort an zweiStellen ausgesetzt wurden“, ohne Genaueres zu nennen.Jedenfalls stammen sie aus Italien, wie später an der Unterartder Tiere erkannt wurde. Diese wurde von ihnen zunächstals Lacerta muralis brueggemanni bzw. mit späterem SynonymLacerta muralis nigriventris determiniert. Diese Unterart lebtvor allem in der Toskana.Nach neueren genetischen Untersuchungen handelt es sichbei unseren Mauereidechsen aber um einen natürlichenHybrid zwischen einer Venetien- und einer Toskana-Linie,der vom nördlichen Apennin stammt. Sie sehen aus wieeine Linie aus der Toskana, gehören aber genetisch zurVenetien-Linie (Schulte & Franzen 2019).Die Östliche Smaragdeidechse ist in den Roten ListenBayerns und Deutschlands als „vom Aussterben bedroht“eingestuft (LfU 2019; Rote-Liste-Gremium 2020). Die Mauereidechsen,wohlgemerkt die autochthonen Populationen,gelten in Bayern ebenfalls als „vom Aussterben bedroht“.Sogar die einstigen „Allerweltsarten“, wie die Zauneidechseund die Waldeidechse, sind in der neuen Roten Liste Bayernsals „gefährdet“ eingestuft. In Bayern sind 90 % derReptilienarten in der Roten Liste. Ein langfristiger Rückgangzeichnet sich bei allen Arten ab.Mauereidechsen in Europa, Deutschland und BayernFakt ist, dass es sich bei der Mauereidechse um eine europäischeArt handelt. Mauereidechsen sind in verschiedenenUnterarten und genetischen Linien nahezu über ganz Südeuropaverbreitet. Im westlichen Mitteleuropa kommensie im Norden bis nach Südwestdeutschland vor, so in Baden-Württemberg,Rheinland-Pfalz, Saarland, Hessen undNordrhein-Westfalen mit den Schwerpunkten am Rhein undseinen Nebenflüssen. Im östlichen Mitteleuropa gehörengroße Teile des südlichen Österreichs und der Slowakeinoch zu ihrem Areal. Die in Deutschland vorkommendeneinheimischen Unterarten haben früher von den Aktivitätendes Menschen in der Kulturlandschaft essenziell profitiert,dies vor allem durch den Weinanbau entlang des Rheinsund seinen Nebenflüssen (Schulte 2022).In Bayern leben die einzigen heimischen Populationen derMauereidechse bei Oberaudorf/Kiefersfelden. Sie gehöreneiner westlichen Linie der Unterart Podarcis muralis maculiventrisan. Es ist, als Besonderheit, das einzige Vorkommendieser Linie in Deutschland (Franzen & Schulte 2019). Sie istnach der letzten Kaltzeit des Eiszeitalters über den Brennerund das Inntal von Süden her eingewandert, hat sich dannaber in Bayern nicht weiter verbreitet (Schmidtler 2019). DieArt lebt hier sowohl in primären Felslebensräumen als auchin stark anthropogen geprägten Lebensräumen.Demgegenüber gibt es inzwischen in Bayern mindestens25 Populationen gebietsfremder Mauereidechsenmit verschiedener Herkunft (Franzen & Schulte 2019).158 derartige Populationen in acht genetischen LinienEin Mauereidechsenpaar auf einer Gabione bei einem Autohausin Passau/Grubwegwurden bis 2021 in Deutschland nachgewiesen (Schulte2022).Eine erfolgreiche EtablierungWir wissen nicht, warum Mauereidechsen in Passau ausgesetztwurden, ob als „Freilandexperiment“ oder zur Bereicherungder Passauer Natur, jedenfalls ist die Etablierunggeglückt. Die entstandene Population erwies sich als sehrvital und hat sich kräftig ausgebreitet, wie bereits Frör(1986) feststellte. Die Population im Donauengtal zwischenPassau und Jochenstein wird auf ca. 4.000–6.000 Individuengeschätzt. Schulte & Franzen (2019) gehen von einemGesamtbestand von 5.000–6.000 Individuen aus, „… auf 38Talkilometer des Donautals“. Dies ist der größte bis dahinbekannte Bestand in Deutschland. In der Zwischenzeitdürfte er noch höher sein.Den Bürgern von Passau geläufig sind die Mauereidechsenvor allem von den Mauern des Innkais oder des Oberhauses.Sie gehören daher zu einem charakteristischen Element derTierwelt von Passau (Assmann 2022). Inzwischen wird dieArt aber auch in Ortschaften im weiten Umkreis von Passauund dort meist wohlwollend gesehen.Der Verfasser sieht einen zusätzlichen Ausbreitungsschub inden letzten 25 Jahren. Inzwischen kann man Mauereidechsenzerstreut fast im ganzen Stadtgebiet von Passau beobachten.Zudem gab es in den umliegenden Ortschaften ab Mitte der1990er-Jahre eine massive Ausbreitung. Inzwischen gibt essie auch in der weiteren Umgebung sowie in Oberösterreich(Assmann 2023).Die höchsten Fundorte mit ca. 600 m ü. NN liegen bisher inRiedl (Markt Untergriesbach, Landkreis Passau).67

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