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Titelthema: Dachschildkröten

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BrutkastenBrutkastenDie Wahrheit undnichts als dieWahrheitvon Heiko Werningch kann aber wirklich auch selbstständig vom Bahnhofzum Hotel kommen“, biete ich noch einmal an, zumalich in meiner Berliner Großstadt arroganz davon ausgehe,dass Baden-Baden mich logistisch nicht überfordernwird. Aber davon will die Frau vom SWR nichts wissen.„Nein, unser Fahrer holt sie selbstverständlich ab.“ So gehensie dahin, unsere schönen Gebührengelder, denke ich. Aberandererseits: Warum soll ich nicht auch mal davon profitieren?Wie war das noch gleich bei der RBB-Intendantin PatriciaSchlesinger? Hatte die nicht alle öffentlich-rechtlichen Fahrzeugemit exklusiven Massagesesseln ausstatten lassen? Dannsoll es eben so sein, und ich lasse mich gerne vom SWR einmalgründlich durchkneten.Der klapprige Kleintransporter, der dann am Bahnhof Baden-Badenauf mich wartet und neben mir auch noch eineandere Kandidatin der SWR-Sendung „Sag die Wahrheit“einsammelt, versprach dann allerdings eine Massage der ganzanderen Art und war dann doch eine gelinde Enttäuschung.Auch das „Kurpark-Hotel Baden-Baden“, bei dem mir schonrein klanglich Bilder von goldenen Kronleuchtern, dampfendenJacuzzis und willigen Gespielinnen – na gut, willigensiebzigjährigen Gespielinnen – durch den Kopf schossen,entpuppte sich eher als, sagen wir, recht bodenständig. Baden-Badenist ja vor allem bekannt für seine Kasinos und fürrussische Millionäre. Ich sag mal so: Das Kurpark-Hotel Baden-Badensetzt ganz offensichtlich auf andere Kundenkreise.Vermutlich auf Leute, die bereit sind, für 10 Minuten im DrittenFernsehprogramm der Haushalte von Tübingen, Tuttlingenund Reutlingen eigens von Berlin nach Baden-Baden zukommen, um dort anderthalb Tage dem SWR willfährig zurVerfügung zu stehen. Die bereit sind, sich für ein paar MinutenRuhm im Regionalfernsehen bedingungslos zum Affen zumachen. Auf Leute wie mich also.„Musst du das auch machen? Das wollen wir sehen!“, habendie Söhne gesagt und sich dabei vor Lachen gekringelt, als wirin der Mediathek zur Vorbereitung eine Folge „Sag die Wahrheit“geguckt und das unwürdige Spektakel mit angesehenhaben, wie am Ende einer Fragerunde die drei Kandidateneine kleine Turnübung absolvieren müssen, indem sie zu dramatischerMusik abwechselnd immer wieder von ihren Stühlenaufstehen und sich wieder hinsetzen, bis am Ende endlicheiner stehen bleibt. „Bist du sicher, dass du das hinkriegst, sorein konditionsmäßig?“, fragt der Kleine giggelnd, und ichsage: „Klappe, sonst wirst du enterbt“. Ich hatte ja gedacht,dass ich im Fernsehen, im richtigen, echten, im linearenFernsehen auftrete, würde die Kinder tief beeindruckenund stolz auf ihren berühmten Vater machen. Aber das wareher mein persönlicher Opa-erzählt-vom-Krieg-Moment,denn richtiges, echtes, lineares Fernsehen ist für die Kinderähnlich beeindruckend wie ein Wählscheibentelefon, einAOL-Modem oder eine Teflonpfanne, egal, ob die nun derRaumfahrtforschung entsprungen ist oder nicht. Wie demauch sei, nach der albernen Turnübung bleibt am Ende jedenfallsderjenige stehen, der die Wahrheit gesagt hat, deralso eine ganz und gar verrückte, unglaubliche, spektakuläreGeschichte erzählt hat, während die anderen beidenKandidaten genau dieselbe Geschichte erzählt, nur ebengelogen haben und gar nicht so superinteressant wie derWahrheitssagende, also wie ich, sind. Erraten werden mussder Wahrheitssagende von einem prominenten Rateteam,in dem unter anderen Smudo und Kim Fischer sitzen. Unddie ganz und gar verrückte, unglaubliche, spektakuläre Geschichteist die, dass ich eine Art Kröten-Tinder miterfundenhabe, Citizen Conservation nämlich, also ein Projekt,bei dem private Tierhalter und Zoos zusammen bedrohteAmphibien, Reptilien und Fische vor dem Aussterben retten,indem sie sie züchten. Und damit da auch Menschenaus Tuttlingen, Reutlingen und Tübingen mitmachen undüberhaupt mehr Menschen mit dem Gedanken vertrautgemacht werden, dass die Haltung solcher Tiere nicht nurein schönes Hobby ist, sondern auch zum Artenschutzbeitragen kann, mache ich gerne Turnübungen im drittenProgramm vor Smudo und Kim Fischer. Was tut man nichtalles für die Lurche.Und für eine Geschichte. Die ich zwar laut Vertrag mit demSWR gar nicht schreiben dürfte, weil jede Form der Veröffentlichungim Zusammenhang mit der Sendung untersagt ist,aber im Vertrag stand auch, dass es abends im Hotel einenDrink auf Kosten des SWR gibt. Stattdessen gibt es aber nurWasser und Cola, weil, wie der Mann vom Hotel uns erklärt,„der SWR aus ethischen Gründen keinen Alkohol ausschenkenlassen“ dürfe. Ich nehme an, die „ethischen Gründe“ beschränkensich auf die Rechnung. Meinetwegen, aber aus ethischenGründen darf ich dann auch eine Geschichte darüberschreiben. Der Mann von der Hotelbar hat glücklicherweisekeine ethischen Bedenken, uns Alkohol auszuschenken, undso kommt das Kennenlernen der Kandidaten später abendsdoch noch in Gang.Zur Begrüßung fragt man sich hier: „Und? In welchen Sendungenwarst du schon so?“, und dann folgen anschließendvon „Gefragt – gejagt“ über „Wer weiß denn sowas?“ bis „Baresfür Rares“ langatmige Aufzählungen der eigenen größtenFernseherfolge. Ganz offensichtlich gibt es eine richtige Subkulturvon Fernsehshow-Vagabunden, die sich systematischbei den unterschiedlichsten Sendungen bewerben oder auchals Statisten bei Spielfilmproduktionen. Es ist ein richtigesHob by. Ich kann das gar nicht glauben. Verrückt, was für Leutees so gibt.Als ich denen erzähle, was ich so mache, schauen sie mich mitgroßen Augen an: „Du meinst, es gibt Leute, die Molche undKröten zu Hause halten? Als richtiges Hobby? Ich kann dasgar nicht glauben!“ Ich sehe es direkt in ihren Augen, wie siedenken: „Verrückt, was für Leute es so gibt.“ Derselbe Planet,verschiedene Welten.Na gut, die ganze Wahrheit ist: Nach der Ausstrahlung darf ich sehrwohl über die Sendung berichten. Wurde mir zumindest vor Ortgesagt. Da trifft es sich ja gut, dass dieser Erfahrungsbericht ohnehinso lang ist, dass er auf zwei Teile aufgeteilt werden muss. Wiees dann also tatsächlich war in der übrigens sehr netten Show, dievoraussichtlich im Januar/Februar ausgestrahlt und dann auch inder SWR-Mediathek abzurufen sein wird, berichte ich in der kommendenelaphe.114

Die KreuzotterReptildes Jahres2024Foto: A. Kwetfacebook.com/dghtevtwitter.com/dghtevdghtserver.de/foren

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