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FINE Das Weinmagazin - Egon-Mueller

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<strong>Das</strong> ockerfarbene Herrenhaus des Weinguts <strong>Egon</strong> Müller etwas<br />

außerhalb von Wiltingen liegt am Fuß des Scharzhofbergs, einer<br />

der berühmtesten Lagen überhaupt, die beste Bedingungen für<br />

Weltklasse-Rieslinge bietet. Für Moden ist das Traditionsgut<br />

unempfänglich: Noch immer prangen die Etiketten im Design<br />

der zwanziger Jahre auf den Flaschen.<br />

betrachtet – bislang der Erfolgreichste in dieser Dynastie, wie<br />

sein Urenkel eingestehen muss, was ihn aber auch ansporne.<br />

<strong>Egon</strong> Müller II. dagegen wirkte nur kurz, er verunglückte 1941<br />

tödlich mit dem Traktor; seine Witwe brachte das Gut nur mit<br />

Mühe durch den Zweiten Weltkrieg, bis der dritte <strong>Egon</strong> den<br />

Scharzhof wieder auf Kurs brachte.<br />

Neben dem Marmorkamin steht in den Regalen, Buchrücken an Buchrücken, das Wissen<br />

aus Jahrhunderten, Homers Ilias, Machiavelli, Martin Luther und Albrecht Dürer.<br />

Gesammelt und hinterlassen hat es <strong>Egon</strong> Müller III. Seit fünf Generationen heißen<br />

alle männlichen Müllers <strong>Egon</strong> und werden mit römischen Ordnungszahlen durch nummeriert.<br />

Sie sind auch Ausdruck der Tradition und des Standesbewusstseins, das diese Familie aneinanderbindet.<br />

Auch <strong>Egon</strong> Müller IV. liest gern, zuletzt hat er den amerikanischen Evolutionsbiologen<br />

Jared Diamond gelesen und davor »etwas über den Ersten Weltkrieg«. Er bevorzugt<br />

aber elektronische Bücher, er reist viel, da seien E­Books handlicher. »Die Zeit geht weiter, ist<br />

halt so«, kommentiert er lapidar die technische Entwicklung. Der Starwinzer mit dem kahlen<br />

Charakterkopf redet leise, Diskretion wird in diesem Haus groß geschrieben, er spart mit Mimik,<br />

taxiert und beobachtet das Gegenüber ganz genau: Was erwartet man von ihm? Wie viel muss<br />

er von sich preisgeben? Er ist keiner, der zu schnell Vertraulichkeit aufommen lässt. Er könne,<br />

so sagen Freunde, sehr einsilbig sein, wenn ihm nicht nach Reden zumute ist. Vermutlich steht<br />

er deshalb auch im Ruf, einer dieser unnahbaren Weinaristokraten zu sein, die im Maßanzug<br />

um die Welt jetten und angeblich ihre Nase ziemlich hoch tragen.<br />

Hinter <strong>Egon</strong> Müller erhebt sich der Scharzhofberg, eine schräg aus der Erde ragende riesige<br />

Schieferplatte; er ist einer der berühmtesten Weinberge überhaupt. Traktoren klettern gelenkig<br />

nach oben, von weitem sehen sie aus wie metallene Käfer. Direkt<br />

am Fuß des Scharzhofbergs liegt das Herrenhaus, eingesäumt<br />

von einem Park mit Teich; es ist nicht nur Lustidylle, sondern<br />

auch Maschinenpark, hier wird gearbeitet. Der Scharzhofberg<br />

umfasst achtundzwanzig Hektar, <strong>Egon</strong> Müller hält daran achteinhalb.<br />

Er ist eine Kostbarkeit, eine Lebensversicherung, »es ist<br />

heute fast ausgeschlossen, etwas davon zu bekommen«, erklärt<br />

der Fünfundfünfzigjährige und springt auf, um Wein zu holen.<br />

Von Trockenübungen hält er nichts – man müsse schließlich<br />

wissen, wovon man rede. <strong>Egon</strong> Müller stellt eine Flasche ohne<br />

Etikett auf den Tisch, eine Auslese vom Scharzhofberg, Jahrgang<br />

1997. Es ist ein Wein, der nicht gemacht wurde, um ausgespuckt<br />

zu werden. Man begreift sofort, warum Müllers Scharzhofberger<br />

als die Inkarnation deutschen Rieslings gelten. In<br />

ihnen verbinden sich auf unnachahmliche Art Konzentration<br />

und Finesse. Michael Broadbent nennt sie »Meisterwerke, die<br />

aus niedrigen Gewölben ans Tageslicht gelangen«.<br />

wie Müller etwas flapsig formuliert, will er nicht verurteilen, er<br />

sei schließlich »nicht der erste und nicht der letzte Sünder«<br />

gewesen. Auf Kochs Sohn Felix folgte dann die Müller­ Dynastie.<br />

<strong>Egon</strong> der Vierte kann ein charmanter Erzähler sein, der kurzweilig<br />

durch die Jahrhunderte führt. Er schenkt noch mal nach:<br />

Man lerne einen Wein schließlich besser kennen, wenn man die<br />

ganze Flasche trinkt.<br />

Der Scharzhofberg ist die Urzelle dieser Familiensaga,<br />

er bekam erst seine Bedeutung, weil die Müllers seinen Wert<br />

erkannten. <strong>Egon</strong> I. war es, der einen eigenen Kellermeister einstellte,<br />

vorher war ein Wiltinger Küfer durch die Keller der<br />

Weingüter gezogen, der Wanderönologe hatte dabei keine markanten<br />

Spuren hinterlassen. »Die Unterschiede zwischen den<br />

Betrieben waren viel geringer als heute«, weiß der Saarwinzer.<br />

Sein Urgroßvater habe damals »nicht gespart«, um Veränderungen<br />

anzustoßen. Die Qualitätsoffensive im Scharzhof wurde<br />

belohnt: Bei der Weltausstellung in Paris von 1900 wurden die<br />

Rieslinge »mit Gold aufgewogen«, <strong>Egon</strong> Müller I. hat dem<br />

Allerweltsnamen zu Weltruf verholfen. Er war – ökonomisch<br />

<strong>Egon</strong> Müller IV. wuchs wohlbehütet im Schatten des<br />

Scharzhofbergs auf. Mit dem Seilzug schlitterte Klein­<br />

<strong>Egon</strong> den Hang hinunter, unter dem Erntewagen habe<br />

er »im Dreck gespielt«. Über ihm dirigierte <strong>Egon</strong> Müller III.<br />

umsichtig das Geschehen. Er hat auch das Weingut Le Gallais<br />

in Wiltingen mit der vier Hektar großen Steillage Braune Kupp<br />

dazugekauft; in seine Ära fällt der große Jahrgang 1959, der als<br />

»Witwenmacher« galt, weil er – außergewöhnlich alkoholreich<br />

– den Kreislauf vieler Trinker strapazierte. <strong>Egon</strong> Müller<br />

lächelt, es heißt, dass sein Vater ihm direkt nach der Geburt<br />

einen Schluck vom Scharzhofberger eingeflößt habe. <strong>Das</strong>,<br />

sagt er, könne er sich gut vorstellen, und geschadet hat es ihm<br />

wohl auch nicht. Woran er sich noch genau erinnert: Wenn<br />

die Weinkommissionäre im Haus waren, um die Weine zu verkosten,<br />

habe er heimlich »die Reste rückwärts getrunken«, die<br />

Auslesen zuerst. Und in der Schule wurde er vom Lehrer angesprochen,<br />

der in der Zeitung gelesen hatte, dass der Scharzhof<br />

in Trier wieder mal die teuersten Weine versteigert habe. Eingebildet<br />

hat er sich darauf nichts, aber es bestärkte ihn darin,<br />

den Stab im Staffellauf der <strong>Egon</strong> Müllers von seinem Vater zu<br />

übernehmen.<br />

<strong>Egon</strong> Müller III. galt als kontaktfreudiger und leutseliger<br />

als sein Sohn. In Wiltingen heißt es, er habe sich öfter sehen<br />

lassen und auch am Dorfleben teilgenommen. Den Zweiten<br />

Was, Herr Müller, wäre die Familie ohne diesen Berg?<br />

Dieser Gedankengang geht dem Winzer nicht weit<br />

genug: »Was wäre die Familie ohne die Französische<br />

Revolution?«, lautet seine Gegenfrage. Erst Napoleon, dieser<br />

»Weltenmixer«, habe die Familie und den Weinberg zusammengebracht.<br />

Er ließ den kirchlichen Besitz einziehen, »sonst<br />

würde es uns nicht geben«. Letztendlich kamen die Müllers<br />

durch einen Sündenfall zu diesem Schatz: Der Benediktinermönch<br />

Jean­Jacques Koch, der am Scharzhofberg das Weingut<br />

seines Trierer Klosters St. Maria ad Martyres bewirtschaftete,<br />

ehelichte eine Nonne, mit der er sieben Kinder zeugte, und<br />

ersteigerte 1797 von den französischen Besatzern das Klostergut.<br />

<strong>Das</strong>s sein Ururgroßvater »aus der Kutte gesprungen« sei,<br />

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<strong>FINE</strong> 2 | 2015 <strong>FINE</strong> SAAR

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