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Teil 7/12: Eurythmie

Anthroposophische Perspektiven - In dieser Aufsatzreihe stellen Autoren beispielhaft Perspektiven der Anthroposophie auf das Lebensgebiet ihrer Berufspraxis vor.

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ANTHROPOSOPHISCHE PERSPEKTIVEN<br />

EURYTHMIE<br />

SERIE: TEIL 7 / <strong>12</strong><br />

EURYTHMIE<br />

1


EINFÜHRUNG<br />

Gemeinsam mit Marie von Sivers entwickelte Rudolf Steiner ab dem Jahr 19<strong>12</strong> die Bewegungsund<br />

Ausdruckskunst <strong>Eurythmie</strong>. Marie von Sivers, ab 1914 Marie Steiner, war seit 1902<br />

Steiners engste Mitarbeiterin. In Sprachen und Schauspielkunst ausgebildet, trug sie wesentlich<br />

dazu bei, dass bei Tagungen und Kongressen der Theosophen, später der Anthroposophen,<br />

das künstlerische Element zum Tragen kam, in den 1920er-Jahren oft in Form von <strong>Eurythmie</strong>-<br />

Aufführungen auf großen Bühnen in Europas Hauptstädten. Kurse für Eurythmisten fanden<br />

bis 1924 mit Rudolf Steiner statt, der diese künstlerische Ausdrucksform besonders schätzte.<br />

Als »Offenbarung der sprechenden Seele«, als »sichtbarer Gesang« (Ton- <strong>Eurythmie</strong>) oder<br />

als »sichtbare Sprache« (Laut-<strong>Eurythmie</strong>) wird diese Kunst in Steiners Vorträgen bezeichnet<br />

– Kennzeichnungen, die anschaulich zum Ausdruck bringen, um was es geht. 1924 berichtete<br />

Steiner über einen der Kurse: »Die Zuhörer … sollten … [erleben] …, wie alle Kunst getragen<br />

sein muss von Liebe und Begeisterung. Der Eurythmist kann seine Schöpfung nicht von sich<br />

ablösen und sie objektiv vor den ästhetisch Genießenden hinstellen wie der Maler, der<br />

Plastiker, sondern er bleibt in seiner Darstellung persönlich darinnen; man sieht an ihm, ob in<br />

ihm die Kunst wie ein göttlicher Weltinhalt lebt oder nicht. In unmittelbar künstlerische<br />

Gegenwart muss am Menschen der Eurythmist das Künstlerische als anschauliches Wesen<br />

hinstellen können.«<br />

Andrea Heidekorn ist Eurythmistin und lehrt <strong>Eurythmie</strong> sowie ihre über das rein Künstlerische<br />

hinausgehenden Anwendungsgebiete an der Alanus Hochschule in Alfter. Dass sie mit<br />

»Liebe und Begeisterung« dabei ist, spricht aus jeder Zeile, die sie schreibt.<br />

››› Manon Haccius<br />

I M P R E S S U M<br />

Anthroposophische Perspektiven / Zwölfteilige Serie<br />

<strong>Teil</strong> 7: <strong>Eurythmie</strong> – Mit der Zeit gehen und gegen den Strom schwimmen<br />

Autorin: Andrea Heidekorn<br />

Herausgegeben von: Manon Haccius, Alnatura Produktions- und Handels GmbH,<br />

Darmstädter Straße 63, DE-64404 Bickenbach, www.alnatura.de<br />

Copyright © 2011 by Alnatura Produktions- und Handels GmbH, Bickenbach<br />

Gestaltung: usus.kommunikation, Berlin<br />

Abbildungen: Rudolf Steiner Archiv, Dornach; Helmut Hergarten (8, Porträt)<br />

Verlag: mfk corporate publishing GmbH, Prinz-Christians-Weg 1, DE-64287 Darmstadt<br />

Druck: alpha print medien AG, Darmstadt<br />

Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, auch auszugsweise, verboten. Kein <strong>Teil</strong> des Werks darf<br />

ohne schriftliche Genehmigung in irgendeiner Form reproduziert oder unter Verwendung<br />

elektronischer Systeme oder Datenträger verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.<br />

Jede Verwertung ist ohne die Zustimmung des Herausgebers und des Autors unzulässig.<br />

2


EURYTHMIE<br />

MIT DER ZEIT GEHEN UND GEGEN DEN STROM SCHWIMMEN<br />

ANDREA HEIDEKORN<br />

Strom und Gegenstrom, Zusammenziehen und Ausdehnen,<br />

der Umgang mit Polaritäten überhaupt ist eines der<br />

grundlegenden Kennzeichen der eurythmischen Bewegungstechnik.<br />

Ähnlich sieht es in der gesamten <strong>Eurythmie</strong>szene<br />

heute aus.<br />

Es gibt Tanzpreise und gleichzeitig Unbekanntheit in<br />

der Tanzszene, begeisterte und hasserfüllte Waldorfschüler<br />

1 nach dem <strong>Eurythmie</strong>unterricht, dankbare und zuzahlende<br />

Patienten in privaten Praxen, Firmen mit neuartigem<br />

Bewegungsangebot, Kurse zur Salutogenese, Aktionen in<br />

Fußgängerzonen und in geborgenen Räumen, Bachelorund<br />

Masterstudiengänge, mehr Stellenangebote als Absolventen,<br />

Schleier und Straßenanzug – so ungefähr könnte<br />

die <strong>Eurythmie</strong>szene heute beschrieben werden. In der vielgestaltigen<br />

öffentlichen Bewegungsszene spielen Eurythmisten<br />

in der Regel im kammermusikalischen Rahmen<br />

mit. Große Aufführungen, Tourneen mit kooperierenden<br />

Ensembles, mit Orchestern und Rezitatoren sind ein mit<br />

viel Anstrengung organisiertes und noch immer relativ<br />

wenig in der Öffentlichkeit wahrgenommenes Ereignis.<br />

WAS IST EURYTHMIE?<br />

Der Mensch selbst ist das Instrument des Tänzers, und<br />

in jeder Bewegungs- oder Tanzart wird dieses Instrument<br />

in spezifischer Weise gespielt. <strong>Eurythmie</strong> offenbart ein<br />

humanistisches Menschenbild, von Steiner mit vier Qualitäten<br />

beschrieben: der physische Körper, die Kräfte und<br />

Energien, dazu Seele und Geist. <strong>Eurythmie</strong> ist, weil sie<br />

diese Qualitäten als Basis benutzt, ein sehr »menschliches«<br />

Tanzen.<br />

ENTSTEHUNG UND<br />

ENTWICKLUNG<br />

Hans Fors, Eurythmist und<br />

<strong>Eurythmie</strong>forscher, Norwegen:<br />

<strong>Eurythmie</strong> ent stand am Anfang des 20.<br />

Jahrhunderts als Ergebnis der Suche<br />

nach einer Tanzkunst, die den »ganzen<br />

Menschen« – Körper, Seele und Geist –<br />

einbezieht. Rudolf Steiner schuf die<br />

Grundlagen dieser ebenso faszinierenden<br />

wie heilsamen Bewegungskunst<br />

zwischen 19<strong>12</strong> und 1919 mit einer Gruppe<br />

junger Frauen, hauptsächlich in Dornach,<br />

Schweiz. Ab 1919 gab es große<br />

Tourneen und Aufführungen im ganzen<br />

deutschsprachigen Europa, in England<br />

und auch in Skandinavien. Das Dornacher<br />

<strong>Eurythmie</strong>ensemble trat auf großen Theaterbühnen<br />

oder in Konzerthallen an die<br />

Öffentlichkeit. Die Presse reagierte mit<br />

viel Aufmerksamkeit, genauso wie auf<br />

Mary Wigman und andere Tänzerinnen<br />

und verglich die <strong>Eurythmie</strong> ganz selbstverständlich<br />

mit allen Erscheinungen<br />

modernen Tanzes. Nach Steiners Tod<br />

1925 wurden die Tourneen unter Marie<br />

Steiners Leitung weitergeführt. Die <strong>Eurythmie</strong><br />

entwickelt sich dadurch schnell.<br />

Die erste <strong>Eurythmie</strong>-Schule 1922 in Stuttgart<br />

steigerte das Interesse für <strong>Eurythmie</strong><br />

weiter. 1927 wurde eine Ausbildung<br />

in Dornach geschaffen, die auch heute<br />

noch besteht. 1930 wurde das <strong>Eurythmie</strong>ensemble<br />

der Goetheanum-Bühne zum<br />

dritten Tanzkongress in München eingeladen.<br />

Aus unbekannten Gründen sagte<br />

man aber die Aufführung ab. Die <strong>Eurythmie</strong><br />

wurde in den Dreißigerjahren in<br />

Deutschland verboten, und die <strong>Eurythmie</strong>-<br />

Schule in Stuttgart musste schließen.<br />

Nach dem Zweiten Weltkrieg baute<br />

die Waldorfschulbewegung eigene Bühnen,<br />

und die <strong>Eurythmie</strong> erhielt Aufmerksamkeit<br />

mehr im Kreis anthroposophisch<br />

orientierter Menschen. Eine Ausnahme<br />

war Else Klink in Stuttgart. Sie brachte<br />

die <strong>Eurythmie</strong> mit dem Ensemble der<br />

wiedereröffneten <strong>Eurythmie</strong>-Schule als<br />

Bühnenkunst auf eine neue Stufe. Auch<br />

wurden <strong>Eurythmie</strong>ausbildungen weltweit<br />

eingeführt. Viele von ihnen unterhielten<br />

eigene Bühnenensembles, die<br />

ein reges Tournee- und Aufführungsleben<br />

vor allem in anthropsophisch interessierten<br />

Einrichtungen entwickelten.<br />

Heute ist die <strong>Eurythmie</strong> als Bühnenkunst<br />

in der Tanzszene immer noch ziemlich<br />

unbekannt. Die Bewegungskonzepte aus<br />

den 1920er-Jahren sind in der <strong>Eurythmie</strong><br />

nach wie vor deutlich zu spüren, aber es<br />

gibt seit etwa zwei Jahrzehnten auch<br />

Versuche, diese Konzepte zu ändern.<br />

Progressive, individuelle und sich in der<br />

allgemeinen Öffentlichkeit verortende<br />

Ansätze vor allem von kleinen Ensem bles<br />

und Solisten suchen den Kontakt und<br />

die produktive Auseinandersetzung mit<br />

Kollegen. Reformierte erweiterte Ausbildungs-<br />

und Studienangebote, die sich<br />

mit ihrem besonderen Angebot in das<br />

staatliche Bildungssystem integrieren,<br />

öffnen die <strong>Eurythmie</strong>, hin zu einem modernen<br />

Berufsangebot über weltanschauliche<br />

Zusammenhänge hinaus.<br />

1 Ich nutze weibliche und männliche Formen abwechselnd,<br />

um sie nicht immer doppelt nennen zu müssen und sie aber auch<br />

nicht zu vernachlässigen.<br />

EURYTHMIE<br />

3


Der Mensch ist ein vieldimensionales Wesen, er vereinigt<br />

in sich Stoffe, die durch den ständig stattfindenden Stoffwechsel<br />

in einem lebendigen Zusammenhang gehalten<br />

werden. Dieser Zusammenhang konstituiert den lebendigen<br />

Organismus, lässt ihn in stetem Wandel wachsen, sich<br />

entwickeln und bei Verletzungen heilen, und steht in engem<br />

Zusammenhang mit der Natur um uns herum. Jeder<br />

Organismus hat ganz charakteristische Qualitäten: Der<br />

menschliche läuft aufrecht auf der Erde, hat einen mit der<br />

Schwerkraft kommunizierenden Bauplan in Skelett und<br />

Muskulatur der Beine mit enormer äußerer Beweglichkeit.<br />

Er hat in der Regel den Kopf oben, der wesentlich<br />

weniger äußere, dafür starke innere Beweglichkeit zeigt,<br />

waches Bewusstsein, Denken und einen starken Bezug<br />

zu den aktiven Sinnen, zum Beispiel Augen und Ohren.<br />

In der Mitte des menschlichen Organismus, im Rumpf,<br />

liegen die inneren Organe, sind die Organe für Puls und<br />

Atem und sphärisch bewegliche Arme, die, befreit von<br />

der Schwerkraft, seelischen Ausdruck möglich machen.<br />

Dieser spezifisch menschliche Organismus in seiner belebten<br />

Vielgliedrigkeit, in Balance zwischen Schwerkraft<br />

und Umkreis, mit qualitativ sehr unterschiedlich bewegbaren<br />

Gliedmaßen, mit unendlichen Möglichkeiten seelischen<br />

Ausdrucks und geistiger Sinngebung, ist das Instrument<br />

des Eurythmisten. Alle eurythmischen Bewegungen<br />

werden aus diesem qualitativen inneren Zusammenhang<br />

von Strukturen, Kräften und Bezügen entwickelt.<br />

<strong>Eurythmie</strong> ist immer auf allen Ebenen tätig: körperlich<br />

in Bewegung, energetisch im Fließen, Stauen, Auflösen,<br />

Zusammenballen von kinetischer lebendiger Kraft,<br />

emotional in der Wahrnehmung und Durchsetzung der<br />

Bewegung mit Empfindung, Gefühl und Ausdruck, sowie<br />

intentional mit einer steten Sinnstiftung innerhalb<br />

der Bewegungsfolgen und Choreografien. Diese Bewegungsform<br />

ermöglicht vom elementarsten Stadium in<br />

der Arbeit mit Amateuren bis zur komplexen professio-<br />

AUSBILDUNG UND<br />

STUDIUM<br />

Gedanken von Stefan Hasler,<br />

Leiter des Fachgebiets <strong>Eurythmie</strong><br />

an der Alanus Hochschule in<br />

Alfter bei Bonn:<br />

»Fort«-Bewegung, die einfach von einem<br />

Ort zum anderen geht – das ist eine Qualität.<br />

Bewegung, die sich zwischendurch<br />

verändert, zeigt etwas ganz anderes.<br />

Erst durch eine Veränderung ist Aktivität,<br />

Seele, Umstellung gefragt. Das ist<br />

für mich wirkliche innere Bewegung. Bewegung<br />

des Geistes kann nur so sein.<br />

Insofern partizipieren wir an etwas Spirituellem,<br />

wenn wir uns der Veränderungen<br />

bewusst werden, wenn wir Veränderungen<br />

bewusst gestalten.<br />

<strong>Eurythmie</strong>ausbildung ist zunächst<br />

einmal die Ausbildung einer Persönlichkeit.<br />

Wir wollen heute eigenständige,<br />

selbstständige innovative Bürger. Genau<br />

dies wird den ganzen Tag durch Bewegung,<br />

Musik und Sprache geübt. Philosophie<br />

und Anthroposophie geben die<br />

Grundlage dazu. Die ganze Welt ruft<br />

nach Prozessorientierung. Das ist das<br />

wichtigste Thema in der <strong>Eurythmie</strong>. Damit<br />

beruflich tätig zu sein, heißt wirklich<br />

in der Gegenwart aktiv zu sein und für<br />

die Zukunft zu gestalten.<br />

<strong>Eurythmie</strong> ist ein Beruf mit einhundert<br />

Prozent Aussicht auf Arbeit. Jede Richtung<br />

ist möglich. Ein eigenes Berufsbild,<br />

das man sich ganz individuell selbst<br />

formt, ist genauso möglich wie feststehende<br />

klare Berufsbilder, zum Beispiel<br />

eines <strong>Eurythmie</strong>lehrers an der Waldorfschule,<br />

eines <strong>Eurythmie</strong>therapeuten an<br />

einem Klinikum. Für diese weite Spanne<br />

bilden wir durch ein differenziertes, modernes<br />

Bachelor- und Masterprogramm<br />

aus. Jede <strong>Eurythmie</strong>ausbildung hat ihr<br />

eigenes Profil.<br />

Gespräch mit Eva-Maria Koch,<br />

Studentin im dritten Ausbildungsjahr<br />

an der Alanus Hochschule<br />

in Alfter:<br />

Warum studierst Du <strong>Eurythmie</strong>? Ich<br />

habe mich in der 13. Klasse während des<br />

Abiturs ohne Kunst nicht wie ein Mensch<br />

gefühlt. Mir hat echt was gefehlt, und<br />

ich wusste plötzlich, dass das, was mich<br />

geformt, mir Freude gebracht, mich hat<br />

wachsen lassen, die Kunst, das Theaterspielen<br />

war, und dann war klar: Ich will<br />

so was mit Menschen machen. So viele<br />

haben oder kennen das gar nicht … Das<br />

muss (s)ich ändern. Es gibt so viel mehr.<br />

Es bringt mich zu mir, macht mich wach<br />

für die Welt, lässt mich nicht »egal«<br />

sein! Mich hat zu der Zeit unglaublich<br />

aufgeregt, dass so viele Menschen schlafen,<br />

dass ihnen so vieles egal ist!<br />

Und hast Du gefunden, was Du gesucht<br />

hast? Ich habe das Gefühl, durch<br />

die <strong>Eurythmie</strong> wie durch verschiedene<br />

Schichten tiefer in die Welt zu kommen.<br />

Die Welt wird immer reicher, ich sehe,<br />

höre, fühle immer mehr, immer differenzierter,<br />

feiner, vielfarbiger! Ich lerne mich<br />

kennen: körperlich, emotional, fühlend<br />

und frei spielend. Ich gehe Fragen nach:<br />

Wer bin ich, wer will ich sein, wie sehen<br />

mich andere, wie kann ich mich zeigen,<br />

will ich mich zeigen? Interessant dabei<br />

ist, dass ich mit meinen Bedürfnissen dabei<br />

nicht direkt im Vordergrund stehe,<br />

sondern sich das alles an einem Inhalt,<br />

dem Musikstück, dem Gedicht, einer Bewegungsform<br />

entzündet. Das bedeutet:<br />

Balance finden in mir, mit mir und dem<br />

Inhalt, mit den anderen aus der Gruppe.<br />

Und auch: Entscheidungen zu treffen.<br />

Und was möchtest Du nach dem<br />

Abschluss unternehmen? Ich schwanke<br />

zwischen den Möglichkeiten, anderen<br />

Menschen dieselben Erfahrungen zu<br />

ermöglichen oder die Bühnenszene zu<br />

revolutionieren.<br />

4


nellen künstlerischen Präsentation tiefe innere Erfahrung,<br />

reiche Gestaltung und spielerische Freiheit.<br />

Naturzusammenhänge, Farben, seelische Metamorphosen,<br />

Sprache und Dichtung, Klang und Musik, geistige<br />

Inhalte – alles das kann eurythmisch getanzt und am<br />

Menschen und zwischen Menschen im Ensemble Bewegung<br />

werden. Beziehung, Prozesse, Zusammenhänge<br />

zwischen Kräften, Menschen, Mensch und Welt, unterschiedlichste<br />

Themen zu gestalten, zu verwandeln und<br />

zu zeigen, dies sind Grundlagen und zugleich Ziele eurythmischer<br />

Kunst. Eine so in der Basis interdisziplinär<br />

angelegte Tanzkunst bietet reiche Möglichkeiten für<br />

Kunst, Pädagogik, Therapie und soziale Gestaltung. Der<br />

Kunstbegriff ist hier ein erweiterter und bezieht sich auf<br />

den eurythmischen Prozess generell, der sich in den unterschiedlichen<br />

Bereichen jeweils anders auswirkt.<br />

EXKURS: KUNST – KURZE BE-<br />

SCHREIBUNG EINER AUFFASSUNG<br />

Für die <strong>Eurythmie</strong>aufführungen wurden in der ersten<br />

Zeit eigens Programme gemalt. Im Sommer 1924 entstand<br />

das Aquarell »Urtier« / »Urmensch«. Rudolf Steiner stellt<br />

dar, wie sowohl der Mensch als auch das Tier auf dieselbe<br />

Urform zurückgehen.<br />

Kunst, als etwas spezifisch Menschliches, als eine Tätigkeit,<br />

die nicht auf Nutzen, auf Anwendbarkeit oder Didaktik<br />

ausgerichtet ist, sondern sich im freien Spiel der<br />

gestaltenden Kräfte entfaltet, so aufgefasst, spielt sich<br />

nicht nur auf der Bühne ab. Wir können in jedem Lebensgebiet<br />

zum Künstler werden, der sich auf seine freie<br />

menschliche Mitte bezieht.<br />

»Freie Kunst« ist etwas sehr Individuelles. Ich schaffe<br />

Kunst, jemand anderes genießt sie, nimmt sie entgegen.<br />

Zwischen Publikum und tätigem Künstler geschieht etwas<br />

Freies, Neues, Ungeahntes. Jeder ist für sich selbst<br />

verantwortlich.<br />

Für den pädagogisch tätigen Künstler geht es entweder<br />

um Kunstvermittlung, das heißt ich bringe meinen Studenten<br />

künstlerische Techniken bis zur Fähigkeitsbildung<br />

bei, und am Ende eines <strong>Eurythmie</strong>studiums sollte man<br />

<strong>Eurythmie</strong> grundlegend erlernt haben. Andererseits nutze<br />

ich künstlerische Techniken, beispielsweise in der Schule,<br />

um Kindern eine gesunde Entwicklung zu ermöglichen.<br />

Für die <strong>Eurythmie</strong> würde das bedeuten: Waldorfschüler,<br />

die jahrelang <strong>Eurythmie</strong>unterricht haben, beherrschen<br />

zwar eurythmische Grundtechniken, aber sie sind durch<br />

die kontinuierliche gemeinsame Arbeit vor allem innerlich<br />

und äußerlich beweglicher, wacher, achtsamer für<br />

Prozesse geworden.<br />

EURYTHMIE<br />

5


»Das Maß, in dem ich<br />

mich bewege, und die Art,<br />

in der ich mich bewege,<br />

bestimmen, was ich von mir<br />

und der Welt draußen weiß:<br />

Das Wissen um unseren<br />

Körper beruht in hohem Maße<br />

auf unseren Handlungen.«<br />

Deane Juhan, 1997<br />

Der Heilkünstler stellt seine Fähigkeiten und Techniken<br />

altruistisch für den kranken Menschen zur Verfügung. Er<br />

gibt sich ganz dem für die Heilung nötigen Ablauf hin.<br />

Im sozialkünstlerischen Prozess begegnen sich freie<br />

Individuen mit ihren Fähigkeiten, die auf ganz unterschiedlichen<br />

Gebieten liegen können, und entfalten in<br />

einem gemeinsamen Gestaltungsvorgang kreativ neue<br />

innere und äußere Kompetenzen im gemeinsamen Prozes.<br />

Was dabei sichtbar oder dokumentierbar entsteht,<br />

ist nicht im Vordergrund. Es kann sich um einen reinen<br />

»Übweg« handeln, den Menschen miteinander gehen, es<br />

können aber durchaus auch bühnenwirksame Gestaltungen<br />

dabei herauskommen. Das Ziel ist die Verwandlung<br />

der persönlichen und sozialen Wirklichkeit.<br />

EURYTHMIE IST KUNST …<br />

<strong>Eurythmie</strong> ist auf der Bühne so lebendig wie die Künstler,<br />

die sie ausüben. Die starke Einbindung in die anthroposophische<br />

Gesellschaft, eine inhaltliche Überfrachtung<br />

mit Idealen und Ideen, die Kraft kostende Aufbauarbeit<br />

neuer <strong>Eurythmie</strong>ausbildungen nach dem Zweiten Weltkrieg<br />

sowie ein Schutzbedürfnis, die Substanz der <strong>Eurythmie</strong><br />

zu bewahren, hat die Entwicklung einer spielerischen,<br />

mutigen <strong>Eurythmie</strong>szene lange Jahre eher erschwert.<br />

Beobachtet man die zeitgenössische Tanz- und<br />

Bewegungslandschaft genauer, so ist die Suche nach individuellem<br />

und gleichzeitig menschlich-verbindendem<br />

Ausdruck, das Umgehen mit Energien, Kräften und Naturzusammenhängen,<br />

die innige und evolutive Verbindung<br />

zu Sprache und Geist mittlerweile ein normales<br />

Phänomen. Eurythmisten sind in guter Gesellschaft. Im<br />

kulturellen Zusammenhang haben sich Tänzer weitestgehend<br />

emanzipiert und zu sehr differenzierten, oft in<br />

keiner Weise vergleichbaren Ausdrucksformen gefunden.<br />

Ein Austausch mit der Tanzszene, die in sich vielgliedrig,<br />

disparat und mehrschichtig ist, kann auf verschiedenen<br />

Ebenen sinnvoll sein und als Einladung empfunden<br />

werden, die <strong>Eurythmie</strong> überhaupt wirklich als<br />

Kunst zu betrachten. Das heißt nichts Fertiges zu finden,<br />

sondern als Eurythmist frei zu gestalten, im Spiel ohne<br />

Angst und ohne doppelten Boden, im Dialog mit dem<br />

Publikum fantasievoll künstlerisches Potenzial zu entfalten.<br />

Die neue Eurythmistengeneration scheint gerne darauf<br />

zuzugehen. Ein Einbinden, Vernetzen und Austauschen<br />

mit anderen Bewegungskünstlern wird zu mehr<br />

Transparenz, Kollegialität und gesunder Konkurrenz<br />

führen. Tanzwissenschaft, -geschichte, -ästhetik sind im<br />

allgemeinen Wissenschaftsbetrieb recht neu, und wir<br />

sollten <strong>Eurythmie</strong>wissenschaft, -geschichte und -ästhetik<br />

direkt als <strong>Teil</strong> davon begreifen. Ganz nebenbei kann so<br />

das vieldimensionale Menschenbild der <strong>Eurythmie</strong> ein<br />

<strong>Teil</strong> der Gesellschaft werden. Ihre Besonderheit, jede Bewegung<br />

unter qualitativen Aspekten zu empfinden und<br />

zu gestalten, ihre intensive Nähe zu den Wirkfaktoren<br />

von Sprache und Musik sowie ihre spirituelle Tiefgründigkeit<br />

vermögen grundlegenden Bedürfnissen der Moderne<br />

zu entsprechen.<br />

DAS »LIEBLINGS-HASSFACH« IN<br />

DER WALDORFSCHULE?<br />

Meine eigene Schulbiografie spielte sich in einem mathematisch-naturwissenschaftlichen<br />

Gymnasium in Bayern<br />

ab – was ich später als Dilemma von <strong>Eurythmie</strong>lehrerinnen<br />

an Waldorfschulen erlebte, war damals an meiner<br />

alten Schule das Dilemma der Musik-, Kunst- und Religionslehrerinnen.<br />

Künstlerische und ethische Fächer wirken<br />

nur aus sich selbst, aus der fachlichen Faszination und<br />

aus der authentischen Person ihrer Schöpfer, der Kunstoder<br />

Musiklehrer, aus ihrer persönlichen und fachlichen<br />

Aus der Zusammenarbeit von Rudolf Steiner mit den<br />

frühen Eurythmistinnen entstanden <strong>Eurythmie</strong>formen zu<br />

Sprüchen, Gedichten und Musik. Diese Formen beschreiben<br />

die Grundlage einer Raumgebärde. Im September<br />

1922 zeichnete Rudolf Steiner eine <strong>Eurythmie</strong>form zum<br />

Regentropfen-Prélude von Frédéric Chopin (Prélude,<br />

Des-Dur, Op. 28, Nr. 15).<br />

6


ZUR SOZIALEURYTHMIE<br />

Gespräch zwischen Ephraim<br />

Krause und Andrea Heidekorn:<br />

Beschreibst Du bitte Dein Bild von<br />

Sozialeurythmie? Es geht darum,<br />

Menschen Freiräume im eurythmischkünstlerischen<br />

Handeln zur Verfügung<br />

zu stellen, um sich selber zu gestalten, zu<br />

wachsen. <strong>Eurythmie</strong> entfaltet sich im Dazwischen<br />

– zwischen Menschen, Mensch<br />

und Natur, Mensch und Sprache und so<br />

weiter – da erlebe ich etwas wie einen frei<br />

verantwortlich zu gestaltenden plastischen<br />

dynamischen Wärmeprozess.<br />

Was ist Deine aktuellste Erfahrung<br />

mit <strong>Eurythmie</strong> in sozialen Arbeitsfeldern?<br />

Ich bin zum Beispiel momentan in<br />

der Studienbegleitung tätig. Grundlagen<br />

der <strong>Eurythmie</strong> mit Betriebswirtschaftsstudenten<br />

zu entwickeln, ist aufregend<br />

und immer wieder neu. Wie erweitern<br />

sich die Selbstwahrnehmung,<br />

das Prozessbewusstein und auch die<br />

Möglichkeiten sozialer Gestaltung durch<br />

eine Bewegungskunst wie die <strong>Eurythmie</strong>?<br />

Auf solche Fragen bekomme ich da<br />

in jeder Stunde neue Antworten! Firmen<br />

engagieren mich, um mit Mitarbeitern<br />

künstlerisch zu arbeiten. In Unternehmen<br />

oder in Projekten tätig zu sein, öffnet<br />

weite Räume für Hilfe und Unterstützung<br />

in Personalcoaching, Teamund<br />

Organisationsentwicklung, Bewusstseins-<br />

und Achtsamkeitstraining.<br />

Außerdem begleite ich gerade eine<br />

Masterstudentin bei ihren ersten Schritten,<br />

eurythmische Angebote an Offenen<br />

Ganztagsschulen durchzuführen. Die <strong>Eurythmie</strong><br />

wird dort ganz selbstverständlich<br />

Seite an Seite mit Tanz unterrichten,<br />

voll akzeptiert und eingebunden. Das<br />

begeistert mich. Dafür arbeite ich gerne<br />

mit unseren Studenten.<br />

Jetzt gerade arbeite ich mit Amateuren<br />

und Eurythmisten an einem Bühnenprojekt<br />

in Kooperation mit dem Rheinischen<br />

Landesmuseum Bonn – es heißt »Wieder<br />

geboren« und setzt Renaissance und Moderne<br />

durch die Themen Individualisierung<br />

und Verantwortung über Dichtung,<br />

Musik und Choreografie in Beziehung.<br />

Kannst du noch andere Arbeitsfelder<br />

für Sozialeurythmie nennen? <strong>Eurythmie</strong><br />

mit Senioren ist zum Beispiel ein<br />

sehr ausbaufähiges Gebiet und tief sinnvoll.<br />

Ein Bereich, der in den nächsten Jahren<br />

immer dringlicher werden wird. In<br />

künstlerischer Bewegung lässt sich leicht<br />

an Erinnerungen, an innere Schätze anknüpfen,<br />

man bleibt wacher, verbundener<br />

mit dem eigenen Körper und dem Leben.<br />

Aber auch da, wo jemand »herausfällt«<br />

aus dem gängigen Biografiemuster – wegen<br />

Erschöpfung, in der Rehabilitation,<br />

oder krasser wegen Straftaten im Gefängnis<br />

und so weiter –, überall kommt es darauf<br />

an, neu die Mitte zu finden, die eigene<br />

Quelle für Kraft und innere Wertschöpfung<br />

und gemeinsame Auswege zu entwickeln<br />

und zu gestalten.<br />

Wie wird man Sozialeurythmist? Man<br />

muss Eurythmist sein, seine Mittel gut<br />

kennen und beweglich sein. Wir nennen<br />

das Studium in unserem Masterstudiengang<br />

in Anlehnung an Annemarie Ehrlich,<br />

eine große Pionierin der Sozialeurythmie,<br />

»Umbildung«.<br />

Wir helfen bei der Umbildung eurythmischer<br />

Fähigkeiten, um sie in persönlichen<br />

und sozialen Prozessen transparent<br />

und zielsicher nutzen zu können. Natürlich<br />

ist ein weiterer Schwerpunkt die Reflexion<br />

des eigenen und des kollegialen<br />

Tuns, der eigene Schulungsweg. Und<br />

dann die Hilfe zur Existenzgründung<br />

und Gestaltung der eigenen Berufsbiografie<br />

– was sind meine Stärken, wie mache<br />

ich sie sichtbar, bis in die Prospektgestaltung,<br />

wie finde ich Arbeitsstellen,<br />

wie baue ich sie aus? Das Masterstudium<br />

zur Sozialeurythmie ist deshalb berufsbegleitend<br />

– man arbeitet, entwickelt<br />

sein Arbeitsfeld und wird dabei<br />

kompetent begleitet.<br />

Wie findet man seine Arbeitsplätze im<br />

Sozialen? Sozialeurythmist zu sein ist<br />

etwas für Abenteurer und Unternehmerpersönlichkeiten.<br />

In der Regel schafft man<br />

sich sein eigenes Berufsfeld. Oft hat man<br />

es mit neuen Menschengruppen zu tun,<br />

mit Aufgaben, die man noch nicht zu lösen<br />

hatte. Es bleibt spannend, jeden Tag<br />

neu, und das Ergreifen einer Aufgabe<br />

hängt immer eng mit der eigenen Person<br />

zusammen. Trotzdem oder gerade<br />

um dieses »Einzelkämpfertum« in einen<br />

Zusammenhang zu stellen, bauen wir<br />

jetzt ein Netzwerk auf und haben einen<br />

gemeinsamen Flyer herausgegeben. Sozialeurythmie<br />

sehe ich auch als <strong>Teil</strong> der<br />

wachsenden Community Dance Bewegung.<br />

Ein spannender und sehr befriedigender<br />

Beruf!<br />

Kompetenz. Nirgendwo entlädt sich das komplette Potenzial<br />

der Schüler, Lehrer als Menschen in ihrer Fähigkeit,<br />

Mensch zu sein und zu bleiben, auf die Probe zu<br />

stellen, stärker und hemmungsloser als in diesen Fächern.<br />

Alle anderen Fächer, wie Mathematik und Werken,<br />

spiegeln scheinbar viel direkter und benotbarer die<br />

eigenen fachlichen Fähigkeiten und Fortschritte der<br />

Schülerinnen wider und lassen oft ihre persönlichen Fähigkeiten<br />

ganz außen vor – Anpassung, gutes Funktionieren<br />

genügt häufig. Das ist weder in Kunst noch in Religion<br />

oder Ethik der Fall. In diesen Fächern stellt sich die Frage<br />

an die Persönlichkeit und Fachkompetenz der Lehrerin.<br />

Es stellt sich also auch eine Frage an ihre Ausbildung.<br />

Souveräne, freie, kreative und kraftvolle <strong>Eurythmie</strong>lehrer<br />

bieten schon immer einen begeisternden Unterricht. Gerade<br />

die <strong>Eurythmie</strong> fügt dem Reigen der Bewegungsfächer<br />

ein starkes Angebot hinzu. Für die Pädagogik wird<br />

immer deutlicher: »… das Maß, in dem ich mich bewege,<br />

und die Art, in der ich mich bewege, bestimmen, was ich<br />

von mir und der Welt draußen weiß: Das Wissen um unseren<br />

Körper beruht in hohem Maße auf unseren Handlungen«<br />

(Deane Juhan, „Körperarbeit«, 1997, Seite 396).<br />

Bewegungserfahrungen in unterschiedlichsten Formen<br />

sind wichtig für eine differenzierte selbstbewusste<br />

menschliche Entwicklung. Gibt uns der Sport die Möglichkeit,<br />

Kraft, Ausdauer, akrobatische Feinheit und Si-<br />

EURYTHMIE<br />

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cherheit zu trainieren, so ermöglicht Tanz eine Verbindung<br />

von innerer und äußerer Ästhetik, Musikalität und<br />

Gemeinsamkeit. Man denke nur an so unterschiedliche<br />

Ausprägungen wie irischen Volkstanz, Standardtanz<br />

oder Breakdance – jede Form fordert und fördert einen<br />

anderen ästhetisch-rhythmischen Umgang mit meinem<br />

Instrument. <strong>Eurythmie</strong> fügt dem allem eine selbstverständliche<br />

Integration von Geist, Intention, Ausdruck<br />

und fühlender Achtsamkeit in das lebendig bewegte<br />

Körperinstrument hinzu und unterstützt die Sinnestätigkeit<br />

und eine aktive, übende Verbindung mit den Sprachkräften.<br />

Für eine harmonische kraftvolle Entwicklung<br />

menschlicher Individualität auf der Grundlage eines gesunden<br />

integrierten Körperbewusstseins und Bewegungspotenzials<br />

ist der Dreiklang Sport, Tanz, <strong>Eurythmie</strong><br />

absolut wünschenswert. Öffentliche Schulen schaffen<br />

Bewegungs-, Tanz- und <strong>Eurythmie</strong>angebote neu,<br />

Waldorfschulen sollten sie nicht abschaffen, um Menschen<br />

vom Kindergarten an beweglich und achtsam aufwachsen<br />

zu lassen.<br />

EURYTHMIE IN SOZIALEN<br />

ARBEITSFELDERN<br />

Eurythmisten bewegen sich in den letzten Jahrzehnten<br />

mit vielfältigsten Angeboten bewusst in den soziokulturellen<br />

Raum hinein. Einerseits gibt Vitaleurythmie Bewegungen,<br />

die jeder eigenverantwortlich im Alltag üben<br />

kann, um sich frisch und lebendig zu erhalten. Dies ist<br />

ein wichtiges Thema salutogenetischer Prophylaxe und<br />

ein Grenzgebiet zur Heileurythmie. <strong>Eurythmie</strong> in sozialen<br />

Arbeitsfeldern wird andererseits überall dort eingesetzt,<br />

wo einseitige Bewegungsabläufe oder Gewohnheiten<br />

Ausgleich erfahren sollen, innovative Ideen und<br />

Kreativität gefragt sind. Eurythmisten, die hier tätig<br />

sind, stellen Menschen aller Lebensalter und in unterschiedlichsten<br />

Situationen die Möglichkeiten der <strong>Eurythmie</strong><br />

als Schulungsmittel zur Entwicklung persönlicher,<br />

fachlicher, sozialer und methodischer Kompetenzen zur<br />

Verfügung.<br />

THERAPIE UND HEILKUNST<br />

Bewegungskünste gehen heute mannigfache Wege, und<br />

die therapeutische Wirkung von nicht nur motorischer,<br />

sondern außerdem noch achtsam geführter sinnvoller<br />

Bewegung ist längst Erfahrungswert. Untersuchungsreihen<br />

werden gestartet, um auch dem gängigen Wissenschaftsideal<br />

entsprechende Nachweise zu erbringen. Das<br />

europäische Gesundheitssystem und seine Gesetzgebung<br />

fordern Beweise, Eingliederung und Vergleichbarkeit der<br />

unterschiedlichen Behandlungs- und Heilmethoden. Auf<br />

diesem Weg gilt es für die Heileurythmie, aus Gründen<br />

der internationalen Vergleichbarkeit heute oft <strong>Eurythmie</strong>therapie<br />

genannt, eine Berufsidentität offensiv zu<br />

fassen und vertreten. Hier ist besonders ein starker öffentlicher<br />

Bezug gefragt und die Erweiterung der Ausbildung<br />

auf Masterniveau zu begrüßen, die es staatlichen<br />

Organen leichter macht, mit therapeutischen Angeboten<br />

umzugehen, die nicht dem Mainstream entsprechen. In<br />

der <strong>Eurythmie</strong>therapie werden eurythmische Bewegungen<br />

bis in medizinische Wirksamkeit verstärkt. Indikationen<br />

werden mit dem verantwortlichen Arzt ausgearbeitet. Die<br />

Therapie selbst wird in Klinken, Therapeutika oder<br />

individuellen Praxen angeboten. Die Abrechnung über<br />

die Krankenkasse ist möglich. Nicht nur auf dem Feld<br />

organischer Erkrankungen, sondern auch im funktionalen<br />

und psychischen Bereich sind die Wirkungen der<br />

Heileurythmie deutlich spürbar. Gerade auch der intensive<br />

persönliche Kontakt zwischen Patient und begleitendem<br />

Heileurythmisten macht diese Art von Therapie<br />

zu etwas ganz Besonderem.<br />

DIE AUTORIN<br />

Andrea Heidekorn, geboren<br />

1959, <strong>Eurythmie</strong>, Musik, Gesang,<br />

Chorleitung, Focussing-<br />

Begleitung, Kulturpädagogik.<br />

Universitätsstudium in Bonn von<br />

Musikwissenschaft, Germanistik<br />

und Kunstgeschichte. Kantorenexamen<br />

in Bayern. Elementarer Tanz und Bewegungspädagogik<br />

im Orff-Schulwerk Deutschland. Seminare<br />

und künstlerische Interventionen in Unternehmen und<br />

öffentlichen Einrichtungen. Interdisziplinäre Kunstprojekte<br />

im öffentlichen Raum. Professorin für <strong>Eurythmie</strong><br />

an der Alanus Hochschule in Alfter.<br />

LESE-TIPPS:<br />

Wennerschou, Lasse: »Was ist Heil-<strong>Eurythmie</strong>?«,<br />

4. Auflage, Verlag am Goetheanum, Dornach 2004.<br />

Groot, Cara: »Marie Savitch«, Verlag am Goetheanum,<br />

Dornach 1989.<br />

Brater, Michael / Heidekorn, Andrea: »<strong>Eurythmie</strong> in<br />

sozialen Arbeitsfeldern: Arbeitsbereiche, Aufgaben und<br />

Qualifikationsbedarf der Sozialeurythmie – ein Forschungsbericht«,<br />

Verlag am Goetheanum, Dornach 2011.<br />

WEITERE INFORMATIONEN:<br />

Berufsverband der Eurythmisten in Deutschland e.V.:<br />

www.eurythmie-info.de<br />

Berufsverband Heileurythmie e.V.:<br />

www.berufsverband-heileurythmie.de<br />

Informationen zur Sozialeurythmie:<br />

www.sozialeurythmie.net<br />

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