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guide<br />
DER ERSTE<br />
ABS<strong>AT</strong>Z<br />
Logan hechtete zwischen den<br />
Bäumen hindurch; seine nackten<br />
Füße rutschten auf dem nassen<br />
Boden, dem Schlamm und den<br />
glitschigen Kiefernnadeln immer<br />
wieder aus. Pfeifend schoss<br />
der Atem aus seinem Mund, und<br />
das Blut dröhnte in seinem Kopf.<br />
Er stolperte und prallte hart auf<br />
der Seite auf, wobei er sich fast<br />
die eigene Axt in die Brust bohrte.<br />
Dann lag er keuchend da und<br />
spähte angestrengt in den<br />
dämmerigen Wald.<br />
schärfe gewinnen und diese rund<br />
5000 Seiten starke Sex-and-<br />
Crime-Orgie locker schultern.<br />
Magisches Material setzt Martin<br />
nur ein, um die Fugen seines<br />
martialischen Intrigantenstadls<br />
zu kitten. Und: Fast alle Figuren<br />
agieren jenseits von Gut und Böse.<br />
Die Moral von der Geschicht’, die<br />
gibt es schlichtweg nicht.<br />
Womit der „Für alle Fans von<br />
‚Game of Thrones‘!“-Kandidatenkreis<br />
bereits deutlich an Radius<br />
verliert. Genre-Durchstarter wie<br />
Scott Lynch, Jay Kristoff oder<br />
Michael J. Sullivan (siehe Tipps)<br />
liefern zwar erstklassigen Genre-<br />
Lesestoff ab – was die opulente<br />
Niedertracht betrifft, befinden sie<br />
sich aber nicht ganz auf Augenhöhe<br />
mit Mr. Martin.<br />
Und hier kommt Joe Aber-<br />
crombie ins Spiel. Der britische<br />
Autor, Jahrgang 1974, hat genau<br />
jenen Mix aus brachialer Action<br />
und intelligenter Personalpolitik<br />
im Programm, der das Zeug dazu<br />
hat, darbende „GoT“-Fans aus<br />
dem kalten Entzug zu reißen. Sein<br />
grandioser „<strong>The</strong> First Law“-Zyklus<br />
(dt. „Klingen“-Serie) wurde von<br />
Kritikern vom Stand weg in den<br />
Himmel gejauchzt, für das ganz<br />
große nächste Ding reichte es<br />
dann aber trotzdem nicht – was<br />
ein echter Jammer ist.<br />
Im Mittelpunkt der Serie<br />
(„Kriegsklingen“, „Feuerklingen“,<br />
„Königsklingen“), die Abercrombie<br />
mit vier Add-ons („Racheklingen“,<br />
„Heldenklingen“, „Blutklingen“,<br />
„Schattenklingen“) nachfettete,<br />
stehen drei Figuren: ein legendärer<br />
Barbar mit ausgeprägtem Hang<br />
zum Blutrausch, ein undurchsichtiger<br />
Magier, der keinen nennenswerten<br />
Unterschied zwischen<br />
Menschen und Marionetten macht,<br />
und ein verkrüppelter Inquisitor,<br />
in dessen Adern unverdünnter<br />
Zynismus zirkuliert. Um diese<br />
drei faszinierenden Protagonisten<br />
gruppiert Abercrombie – nebenbei<br />
diplomierter Psychologe – mit<br />
einem geradezu beängstigenden<br />
Gespür für Sidekicks weitere<br />
kongeniale Handlungsträger,<br />
die es ihm ermöglichen, seine<br />
kriegerische Abenteuerschwarte<br />
in einem von mehreren Feuern<br />
erhitzten, wunderbar würzigen<br />
Sud schmoren zu lassen.<br />
Aber Achtung: Auch wenn<br />
Abercrombie die Streitaxt mitunter<br />
mit der stilistischen Eleganz<br />
eines Floretts führt, ist das hier<br />
immer noch derbe Ware. Hart,<br />
räudig und sehr brutal.<br />
Mit der lang ersehnten Fortsetzung<br />
„Zauberklingen“, dem<br />
ersten Teil des neuen Zyklus<br />
„<strong>The</strong> Age of Madness“, kehrt Aber-<br />
crombie nun ins „<strong>The</strong> First Law“-<br />
Universum zurück. Und am Cover<br />
wird – Überraschung! – ein gewisser<br />
George R. R. Martin zitiert:<br />
„Ein Rache-Epos, das mich von<br />
der ersten Seite an gepackt hat.“<br />
Womit sich der literarische Kreis<br />
ganz fantastisch schließt.<br />
JOE ABERCROMBIE:<br />
DIE KLINGEN-SAGA<br />
Bislang sind sieben Bände erschienen,<br />
der achte, „Zauberklingen“ (Deutsch<br />
von Kirsten Borchardt; Heyne Verlag),<br />
ist ab 10. <strong>Februar</strong> <strong>2020</strong> erhältlich.<br />
GENRE-TIPPS<br />
VORSICHT:<br />
SUCHTGEFAHR!<br />
Erlesene Erfolgsserien: aktuelle Fantasy‐<br />
Zyklen, die Lust auf mehr machen<br />
JAY KRISTOFF:<br />
„NEVERNIGHT“<br />
In seiner Heimat Australien<br />
hat Kristoff so ziemlich<br />
alle Preise abgeräumt,<br />
die das Genre hergibt.<br />
Sein virtuoser „Nevernight“‐<br />
Zyklus rund um die junge<br />
Assassinin Mia Corvere ist<br />
stilistisch brillant, definitiv<br />
nicht jugendfrei und<br />
sehr, sehr böse.<br />
2 Bände; Fischer/Tor<br />
JOHN GWYNNE:<br />
„BLUT UND KNOCHEN“<br />
John Gwynnes neuer Zyklus<br />
schließt nahtlos an seine<br />
preisgekrönte High‐Fantasy‐<br />
Saga „Die Getreuen und<br />
die Gefallenen“ (vier Bände)<br />
an und ist ein gefundenes<br />
Fressen für alle Freunde<br />
reichlich garnierter<br />
Schlachtplatten mit Hang<br />
zur blutigen Rohkost.<br />
1 Band; Blanvalet<br />
MICHAEL J. SULLIVAN:<br />
„THE FIRST EMPIRE“<br />
In der sechsteiligen<br />
„Riyria“‐Serie hat Sullivan<br />
das vermutlich charmanteste<br />
Buddy‐Duo der<br />
Fantasy‐Literatur kreiert.<br />
Sein aktueller „Empire“‐<br />
Zyklus ist etwas epischer<br />
angelegt, punktet aber<br />
ebenso mit höchsten<br />
Sympathiewerten.<br />
3 Bände; Knaur<br />
SCOTT LYNCH:<br />
„GENTLEMAN BASTARDS“<br />
Mit dem genialen Meisterdieb<br />
Locke Lamora hat<br />
Scott Lynch einen Helden<br />
erschaffen, der sich den<br />
Titel „Schlafräuber“ wahrlich<br />
verdient hat. Spannung,<br />
Humor und Action in perfekter<br />
Balance – praller<br />
kann man Unterhaltungsliteratur<br />
kaum gestalten.<br />
3 Bände; Heyne<br />
ANTHONY RYAN:<br />
„DRACONIS MEMORIA“<br />
Fantasy‐Drachensteigen für<br />
Erwachsene: Nach seiner<br />
faszinierend düsteren<br />
„Rabenschatten“‐Trilogie<br />
heizt der Schotte dem<br />
Genre mit einem gewagten<br />
Mix aus blutrünstigem<br />
Abenteuer, stampfendem<br />
Steampunk und subtiler<br />
Politparabel ein.<br />
3 Bände; Klett-Cotta<br />
MARK LAWRENCE:<br />
„DAS BUCH DER AHNEN“<br />
Coming of Age auf die harte<br />
Tour: Mark Lawrence hat<br />
schon mehrfach bewiesen,<br />
dass er sich auf der dunklen<br />
Seite der Macht pudelwohl<br />
fühlt – sehr zum Leidwesen<br />
der kleinen Nona, die<br />
sich hier durch ein subversiv<br />
choreografiertes<br />
Rache‐Epos kämpft.<br />
2 Bände; Fischer/Tor<br />
THE RED BULLETIN 79