Rotary Magazin 02/2024
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ROTARY INTERNATIONAL – ROTARY SUISSE LIECHTENSTEIN – FEBRUAR 2<strong>02</strong>4<br />
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Dennoch gibt es Hindernisse. Cerdá stellt<br />
fest, dass sich die Menschen nicht immer<br />
trauen, nach Naloxon zu fragen, und dass<br />
viele Apotheken es nicht vorrätig haben,<br />
selbst wenn sie dazu berechtigt wären.<br />
Ausserdem sind die Kosten für den Kauf<br />
von rezeptfreiem Naloxon für viele Menschen<br />
unerschwinglich, sagt Cerdá. Ein<br />
Kit mit zwei Dosen kostet ohne Krankenversicherung<br />
etwa 45 Dollar. Dennoch<br />
sind die Bemühungen Teil eines umfassenderen<br />
Vorstosses, das Bewusstsein für<br />
Naloxon zu schärfen und die Stigmatisierung<br />
abzubauen, was Cerdá als wichtig<br />
erachtet. «Wenn wir es normalisieren»,<br />
sagt Cerdá, «sind die Menschen viel eher<br />
bereit, es a) zu besitzen und b) auch zu<br />
benutzen.»<br />
An einem Mittwochabend Ende Juni<br />
im YMCA in Southgate, Michigan, unterwies<br />
Steve Ahles eine Gruppe von 14<br />
Personen darin, was im Umgang mit Überdosierungen<br />
zu tun ist. «Sobald eine Person<br />
bewusstlos ist», so der pensionierte<br />
Feuerwehrmann und Rotarier, «sollten Sie<br />
die Person mit dem Gesicht nach oben<br />
hinlegen, das Naloxon in die Nase einführen<br />
und es versprühen. Bringen Sie die<br />
Person dann in die stabile Seitenlage und<br />
rufen Sie unbedingt die Rettungskräfte.<br />
Selbst wenn sich herausstellt, dass die<br />
Person nicht an einer Opioidüberdosis<br />
leidet, ist die Verabreichung von Naloxon<br />
sicher.»<br />
Die Schulung war die erste öffentliche<br />
Veranstaltung, die Ahles leitete. Als Mitglied<br />
des <strong>Rotary</strong> Clubs Southgate hatte er<br />
im Rahmen von Project Smart, einer Initiative<br />
der <strong>Rotary</strong> Action Group for Addiction<br />
Prevention, gelernt, wie man andere<br />
in der Anwendung von Naloxon unterrichtet.<br />
Das Projekt mobilisiert <strong>Rotary</strong> Clubs in<br />
den USA, um den übermässigen Konsum<br />
von Opioiden von der Prävention bis zur<br />
Behandlung anzugehen. Die Projektorganisatoren<br />
haben Programme für Schulen<br />
entwickelt, darunter 30-minütige altersgerechte<br />
Aufklärungsvorträge und drogenfreie<br />
Clubs für Schüler. Eine weitere<br />
Komponente ist die Verteilung von Medikamentenentsorgungspaketen<br />
an Haushalte,<br />
um alte Medikamente zu vernichten,<br />
bevor sie missbraucht werden. Die Initiative<br />
umfasst auch Bemühungen, Menschen<br />
mit Behandlungsmöglichkeiten und<br />
telemedizinischen Anbietern in Verbindung<br />
zu bringen, die Medikamente für<br />
Opioidkonsumstörungen verschreiben.<br />
Eine der bisher aktivsten Initiativen von<br />
Project Smart ist das Bemühen, den<br />
Zugang zu Naloxon zu verbessern, indem<br />
Rotarier und andere Personen darauf vorbereitet<br />
werden, in ihren Gemeinden<br />
Schulungen durchzuführen. Larry Kenemore,<br />
ein pensionierter Rettungssanitäter<br />
und Rotarier, der die Initiative mit ins<br />
Leben gerufen hat, schätzt, dass bisher<br />
mehr als 1000 Menschen in einem Dutzend<br />
Staaten in der Anwendung von<br />
Naloxon unterrichtet wurden. Die Teilnehmer<br />
erhalten Naloxon-Kits, die sie mit<br />
nach Hause nehmen können, und werden<br />
gebeten, sich zu melden, wenn sie Naloxon<br />
verwenden, damit die Aktionsgruppe<br />
die Wirkung verfolgen kann. In seinem<br />
jüngsten Bericht sagte ein Polizeibeamter<br />
in Arkansas, dessen Abteilung im Rahmen<br />
des Projekts geschult wurde, dass er das<br />
Medikament zweimal verwendet habe,<br />
um eine schwangere Frau und einen Teenager<br />
wiederzubeleben, so Kenemore.<br />
Zu Ahles’ ersten Teilnehmern in<br />
Southgate gehörten mehrere Rotarier,<br />
YMCA-Mitarbeiter und einige Leute, die<br />
die Veranstaltung über soziale Medien<br />
gefunden hatten. Eine Frau erzählte<br />
Ahles, dass eines ihrer Familienmitglieder<br />
Drogen nimmt. «Es war ihr ein Anliegen,<br />
dass diese Person vielleicht in der Nähe<br />
bleiben sollte», sagt er.<br />
Als Feuerwehrchef von Southgate<br />
war Ahles in den 1990er-Jahren an den<br />
Bemühungen um die Verteilung von Defibrillatoren<br />
beteiligt. «Für mich ist das<br />
nichts anderes», sagt er. «Es ist einfach ein<br />
Hilfsmittel, das Leben retten kann, das für<br />
die Öffentlichkeit leicht zugänglich ist<br />
und keine speziellen Kenntnisse erfordert.<br />
Man muss nur ein paar Dinge wissen.»<br />
Nach Schätzungen von Forschern<br />
könnte die flächendeckende Verteilung<br />
von Naloxon an Notfallpersonal und<br />
andere Personen, die mit einer Überdosis<br />
in Berührung kommen könnten, die<br />
Todesraten durch Überdosierung um<br />
mehr als 20 Prozent senken. Eine 2019<br />
veröffentlichte Studie ergab, dass in den<br />
Bezirken von North Carolina, in denen<br />
Naloxon-Kits verteilt wurden, die Zahl der<br />
Todesfälle durch Überdosierung geringer<br />
war als in den Bezirken ohne verteilte Kits.<br />
Während Befürworter daran arbeiten,<br />
Naloxon breiter verfügbar zu machen,<br />
zeigt die Forschung, dass es in den Händen<br />
von Menschen, die Drogen konsumieren<br />
oder sich wahrscheinlich in diesem<br />
Umfeld bewegen, besonders wirksam ist.<br />
Die Idee ist, die öffentliche Verfügbarkeit<br />
von Naloxon zu verbessern, damit es bei<br />
Bedarf schnell zur Hand ist. «Ich denke, es<br />
ist unerlässlich, dass wirklich jeder Zugang<br />
zu Naloxon hat», sagt Cerdá.<br />
Auf einem Parkplatz hinter einem<br />
Gebäude an einer belebten Strasse in Cincinnati<br />
leuchten weisse Buchstaben auf<br />
einem Automaten 24 Stunden am Tag:<br />
«Stay safe.» Autofahrer können ihr Auto<br />
daneben stoppen, das Fenster herunterkurbeln,<br />
einen Code eingeben, ihre Waren<br />
abholen und wegfahren. Der Automat<br />
bietet keine Limonaden oder Schokoriegel<br />
an. Stattdessen gibt es Naloxon, Teststreifen,<br />
die Substanzen auf das Vorhandensein<br />
von Fentanyl testen, Safer-Sex-Kits,<br />
Schwangerschaftstests und mehr.<br />
Die HIV-Präventionsorganisation Caracole<br />
aus Cincinnati stellte den Automaten<br />
im Jahr 2<strong>02</strong>1 vor ihrem Büro auf, um<br />
gefährdete Einwohner zu unterstützen,<br />
wenn eine persönliche Betreuung nicht<br />
möglich war. Die Organisation verfolgt<br />
einen Ansatz, der als Schadensminimierung<br />
bekannt ist, und versucht, die negativen<br />
Folgen für Menschen zu verringern,<br />
die nicht bereit oder in der Lage sind, ihr<br />
Risikoverhalten vollständig aufzugeben,<br />
erklärt die Leiterin der Präventionsabteilung,<br />
Suzanne Bachmeyer.<br />
Diese Idee ist umstritten, da Kritiker<br />
befürchten, dass sie den Drogenkonsum<br />
fördern könnte. Einige Elemente der Strategie<br />
finden jedoch immer mehr Anklang.<br />
Fentanyl-Teststreifen zum Beispiel galten<br />
in einigen Staaten als illegale Drogenutensilien.<br />
Jetzt werden sie zunehmend als<br />
lebensrettende Hilfsmittel anerkannt, und<br />
mindestens 20 Staaten haben sie seit 2018<br />
entkriminalisiert. Ausserdem werden sie<br />
auf dem Campus und anderswo immer<br />
häufiger angeboten, da es immer mehr<br />
gefälschte Pillen gibt, die beliebten Medikamenten<br />
gegen alles Mögliche ähneln –<br />
von Angstzuständen bis hin zur<br />
Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung.<br />
Der Caracole-Automat, für den sich<br />
bis Oktober 2<strong>02</strong>3 fast 1600 Personen<br />
angemeldet hatten, war einer der ersten<br />
im Land. Inzwischen tauchen die Automaten<br />
– einige nur mit Naloxon, andere mit<br />
einer breiteren Palette von Produkten – an<br />
Strassenecken in New York City, in ländlichen<br />
Gesundheitszentren, in Busbahn-