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Dörte Meyer KÜNSTLER - LEHRE

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<strong>KÜNSTLER</strong> - <strong>LEHRE</strong><br />

<strong>Dörte</strong> <strong>Meyer</strong>


Masterarbeit<br />

Betreuender Dozent: Dr. Volker Hoffmann<br />

Institut für Kunst in Kontext - Fakultät Bildende Kunst -<br />

Universität der Künste, Berlin - Juni 2007


Inhalt<br />

Vorwort ............................................................................5<br />

1. Erfahrungen und Fragen........................................7<br />

Hochschule........................................................................11<br />

Schule und Museum.........................................................16<br />

Email-Interviews und Gespräche, andere Quellen...19<br />

2. Ausgangslage<br />

Kulturelle Bildung .............................................................23<br />

Der „um ... zu“ Modus ................................................. 28<br />

Kunstpädagogen ............................................................30<br />

Die historische Chance.......................................................32<br />

3. Künstler ......................................................................37<br />

Neue Tätigkeitsfelder ...................................................38<br />

Warum lehren? ...............................................................38<br />

Institutionen ...................................................................45<br />

Die Kunsthochschule und die Leere ........................48<br />

Lehrende Künstler in der Kunsthochschule ...........54<br />

Schule ..............................................................................59<br />

Lehre und Aufgabenstellungen ...................................64<br />

Die eigene Arbeit und lehren? ...................................69<br />

Darüber reden? Theoriegebilde .................................71


Inhalt<br />

4. Schluss<br />

Vereinnahmung, Naivität<br />

... der eigene Kunstentwurf .............................................81<br />

Kulturelle Bildung, künstlerische Kontexte .............84<br />

Geld .................................................................................85<br />

Erwartungen von andern ............................................87<br />

Quellenangabe ...............................................................91


Vorwort<br />

Ich habe mich mit dieser Arbeit in ein Thema begeben und<br />

mit dem Thema – gleichzeitig – in eine Diskussion darüber,<br />

die Einfluss nimmt auf viele Überlegungen dieser Arbeit.<br />

Es ist schwierig diese Diskussion mit einem bestimmen<br />

Datum zu unterbrechen. Ich selbst betrachte diese Arbeit<br />

hier als einen Schnitt, als einen bestimmten Stand der Diskussion<br />

an Tag X, die sich danach fortsetzt.<br />

Dieses Buch lässt sich von beiden Seiten aufschlagen. Von<br />

der einen Seite zu lesen sind Email-Interviews und Gespräche<br />

und von der anderen Seite kann man in meine<br />

Überlegungen zum Thema einsteigen.<br />

5


1. Erfahrungen und Fragen<br />

Die Arbeit knüpft an Fragen an, die sich mir bei der Arbeit<br />

in verschiedenen schulischen oder universitären Zusammenhängen<br />

selbst gestellt haben. Mein Thema ist das<br />

Nachdenken über die Situationen, in der sich Künstler in<br />

der Lehre, bzw. Vermittlung der Kunst und ihrer Kunst, in<br />

Zusammenarbeit mit Institutionen oder selbst tätig für<br />

Institutionen, wieder finden, welche Ansprüche sie dabei<br />

verfolgen und auch mit welchen Bedingungen und Erwartungen<br />

sie sich konfrontiert sehen.<br />

Diese Themen spielen zurzeit eine große Rolle im Zusammenhang<br />

mit der allenthalben entbrannten Diskussion um<br />

kulturelle Bildung, ihre Notwendigkeit und ihre Potentiale.<br />

Charakteristika künstlerischer Prozesse und Handlungsformen<br />

werden in diesem Diskurs herausgeschält und auf<br />

ihren Nutzen hin abgeklopft für neue Wege zum Einsatz<br />

von Kunst und Kultur in der Bildung, inner- wie außerschulisch.<br />

Diese Tendenz rückt die Tätigkeit von Künstlern<br />

in der Lehre allgemein in ein anderes Licht, verschafft ihr<br />

Aufmerksamkeit, Wertschätzung sowie veränderte Bedeutungen<br />

und bringt gleichzeitig viele Schwierigkeiten<br />

mit sich, von denen die Vereinnahmung nur eine ist.<br />

Ich möchte hier versuchen, dieses Thema sehr eng aus der<br />

Sicht des Künstlers zu entwickeln.<br />

7


Erfahrungen und Fragen<br />

Mit diesem Plan im Kopf, suchte ich einerseits nach Äußerungen<br />

von Künstlern zum Thema, die einen Ansatz zur<br />

Lehre formulieren. Andererseits ergab sich fast automatisch<br />

der Blick auf die Kunsthochschulen, die die Künstler<br />

ausbilden, soweit so etwas geht, sie aber in jedem Fall<br />

einige Jahre in ihrer Arbeit begleiten und ihnen einen geschützte<br />

Rahmen dafür bieten.<br />

Ich beginne mit einer Zusammenfassung eigener Erfahrungen,<br />

die ich als Künstlerin in der Lehre gemacht habe,<br />

denn hier liegt mein persönliches Interesse an diesem<br />

Thema begründet.<br />

Etliche Jahre lang war es für mich überhaupt nicht vorstellbar,<br />

in der Lehre tätig zu werden. Ich wollte meine Arbeit<br />

entwickeln und war froh die Hochschule hinter mir<br />

gelassen zu haben, die mich manchmal geradezu lähmte.<br />

Unter anderem durch Stipendien finanziert, konzentrierte<br />

ich mich auf meine Arbeit.<br />

Ich habe ein Atelier, das für mich einerseits Ort zum praktischen<br />

Ausprobieren und Experimentieren ist, andererseits<br />

auch einen Bezugspunkt bildet und manchmal zu<br />

einer Art Projektraum wird, wenn ich mit anderen zusammen<br />

arbeite.<br />

Wie eine Arbeit entsteht ist schwer zu fassen. Es ist eine<br />

Idee, die auf einen Ort, eine Person, einen Umstand trifft<br />

und die sich so miteinander verbinden, dass ich dem Gestalt<br />

verleihen möchte. Nicht immer gelingt diese Gestalt-<br />

8


Erfahrungen und Fragen<br />

gebung, diese Formulierung. Sie kann scheitern an Selbstdisziplin,<br />

Durchhaltevermögen, Anlass, Ort, Menschen,<br />

Geld und vielem mehr, aber sie kann zu gegebenem Anlass<br />

eine andere Form finden. Tatsächlich ist dieses Suchen<br />

nach der Gestalt oder nach dem Erscheinungsmodus die<br />

Hauptarbeit, die um ein Zentrum kreist. In jeder neuen<br />

Arbeit setzt die Suchbewegung der vorhergehenden fort<br />

auch wenn ich mich manchmal mit Absicht zurück bewege.<br />

Der Antrieb ist, einer Sache Stück für Stück näher<br />

zu kommen, egal wie unmöglich das scheinen mag. Wenn<br />

ich nichts mache, dann passiert gar nichts. So schlicht diese<br />

Erkenntnis auch ist, umso schwerer ist es für mich, sie<br />

wirksam werden zu lassen. Sobald ich etwas in die Hand<br />

nehme und überhaupt beginne, damit etwas zu tun, bin ich<br />

gewissermaßen schon auf der sicheren Seite, denn es geht<br />

weiter, es entsteht etwas, dass mich wiederum zum Weitermachen<br />

zwingt. Die Gestalt ist dabei sehr wichtig, sei<br />

sie auch noch so ephemer und kurzlebig. Beliebig ist dabei<br />

gar nichts. Wie schwer es ist diesen Punkt zu finden, wie<br />

genau man dabei sein muss und auch, dass einem dabei<br />

niemand helfen kann, das wäre etwas, das ich in meinem<br />

Studium von meiner Professorin gelernt habe.<br />

Walther: Künstler sind sinnliche Menschen: sowohl in der<br />

Wahrnehmung als auch in der Umsetzung. Das hat zwar<br />

häufig einen naiven Zug, doch die künstlerischen Formulierungen<br />

sind sehr wirksam. Das Nachdenken dürfen Künstler<br />

auch nicht vergessen. Sinnlich wahrnehmen meint ja nicht das<br />

9


Erfahrungen und Fragen<br />

„Nur-Sensuelle“... 1<br />

Ich hoffe, dass Franz Erhard Walther Recht hat, was die<br />

Wirksamkeit betrifft. Sinnliche Menschen gibt es viele, nur<br />

nicht alle entwickeln daraus etwas, das in einer Handlung<br />

und Arbeit sichtbar wird.<br />

Vielleicht war ich nach etlichen Jahren praktischer Arbeit<br />

wieder reif für den Diskurs, so wie es mir auch einer meiner<br />

Gesprächspartner von sich erzählte, und habe mich<br />

deshalb auf eine Stelle in der Lehre beworben. Tatsächlich<br />

suchte ich den Austausch und wollte damit auch einen<br />

Automatismus stoppen, der mich künstlerisch in ein bestimmtes<br />

Fahrwasser drängte.<br />

Ich bin also nicht angetreten mit der Idee unglaublich viel<br />

vermitteln zu können, jedoch mit ein paar Erwartungen an<br />

die Studenten, die eine Ernsthaftigkeit im Umgang mit den<br />

eigenen Vorstellungen (als Vorstufe zur Eigenständigkeit),<br />

Genauigkeit und Strenge mit sich selbst betrafen.<br />

Die Selbstverständlichkeit mit der einige Kollegen, auf<br />

die ich an der Hochschule traf, eine geradezu klassische<br />

Lehrerrolle ausfüllten, verblüffte mich sehr und schreckte<br />

mich ab.<br />

1 Franz Erhard Walther im Gespräch mit Hans-Joachim Lenger:<br />

Walther, Franz Erhard, Denkraum Werkraum. Über Akademie und Lehre. Lindinger<br />

und Schmid Verlag, Regensburg, 1993, S.53<br />

10


Ich bin in der Lehre insgesamt auf einige Probleme gestoßen,<br />

die ich im Folgenden versuche zusammen zu fassen.<br />

Eine zentrale Frage dabei ist, wie die eigene Arbeit und<br />

die Lehre zusammen passen. Hat die Kunst die Kraft die<br />

Lehre zu verändern, muss sich die Lehre verändern, damit<br />

die Kunst in ihr Platz hat oder muss die Kunst am Ende<br />

Federn lassen, damit sie für die Lehre „brauchbar“ wird?<br />

Was ich in diesem Rahmen versuchen möchte, ist eine<br />

ausführliche Darlegung dieser Fragstellung; letztendlich<br />

werden dadurch vermutlich mehr Fragen aufgeworfen als<br />

beantwortet.<br />

Hochschule<br />

Erfahrungen und Fragen<br />

Etwa fünf Jahre nach Abschluss meines eigenen Studiums,<br />

also nach einigen Jahren Freiberuflichkeit, habe ich an einer<br />

Kunsthochschule als künstlerische Mitarbeiterin angefangen.<br />

Ich habe dort Erfahrungen gesammelt, und später<br />

dann an einem Berliner Gymnasium, einer Grundschule,<br />

bei Lehrerfortbildungen und auch in Workshops, die das<br />

Begleitprogramm zu einer Gruppenausstellung bildeten,<br />

an der ich beteiligt war.<br />

Ich war an der Bauhaus Universität in Weimar als künstlerische<br />

Mitarbeiterin beschäftigt und zwar im Studiengang<br />

Freie Kunst. Ich fand dort eine Situation vor, die sich<br />

deutlich unterschied von meinem eigenen Studium. Der<br />

Studiengang war als Projektstudium organisiert, anstelle<br />

11


Erfahrungen und Fragen<br />

einer Aufteilung in Klassen. Das hatte hier zur Folge, dass<br />

Themen vorgegeben wurden, die Zeit limitiert war und es<br />

am Semesterende eine Bewertung durch Noten gab.<br />

Dellbrügge & de Moll beschreiben nach einem Besuch in<br />

Weimar die Situation folgendermaßen:<br />

Fritz Rahmann, der dort lehrt [ermeritiert seit 2003, gest.<br />

2006], sieht die wechselnden Zielsetzungen in verschiedenen<br />

Gruppierungen, die Notwendigkeit der zeitlichen Limitierung<br />

und der Teamarbeit als ästhetisch wirksam werdende Komponenten,<br />

wobei stets der Anschluss an die gesellschaftliche Realität<br />

gesucht wird. Bei unserem Besuch begegneten wir smarten<br />

jungen Menschen auf ergonomischen Bürostühlen an funkelnagelneuen<br />

Terminals, die uns freundlich zulächelten. Wir sind<br />

uns sicher: Hier entsteht ein neuer Künstlertypus. 2<br />

Der neue Künstlertypus ist mir dort nicht begegnet. 3 , Das<br />

Studium wirkte verschult, was gar nicht zu meinem Kunstbegriff<br />

passte, - vielleicht durch eine strukturelle Nähe, die<br />

es zu anderen Disziplinen herstellte. Ich hatte den Eindruck,<br />

es verbaut den Studenten die für Künstler notwen-<br />

2 Dellbrügge & de Moll, Die gute Leere. In: Schwarz, Michael (Hg.): beschreiben.<br />

zum beispiel eine kunsthochschule, Jahrbuch 3, Hochschule für Bildende<br />

Künste Braunschweig, Salon Verlag, Köln, 1999, S.151<br />

3 Die Hochschule war damals recht neu, so auch einige Stühle, Rechner<br />

anderes Equipment und auch Gebäude. Ein Teil der Professoren der ersten<br />

Besetzung bezieht, so heißt es, bis heute doppeltes Gehalt als Anreiz in der<br />

ostdeutschen Provinz zu lehren.<br />

12


Erfahrungen und Fragen<br />

digen Freiräume und damit auch die Eigenständigkeit.<br />

Wechselnde Projekträume ersetzten Ateliers, in denen<br />

die Arbeit normalerweise ihren Ort hat. So waren die<br />

Kunststudenten in den Semesterferien mit Gepäck in<br />

den Gebäuden unterwegs, um die Projekträume für das<br />

kommende Semester zu beziehen. Von meiner eigenen<br />

künstlerischen Praxis aus betrachtet, wäre so ein Arbeiten<br />

nicht möglich. Tatsächlich wurden die Räume teilweise nur<br />

noch für Besprechungen und Präsentationen benutzt. In<br />

anderer Hinsicht etablierten sich Sub-Klassensysteme, indem<br />

Professoren ihre Räume nicht wieder hergaben und<br />

Studenten, unabhängig vom Thema, ausschließlich Projekte<br />

dieses Professors wählten.<br />

Ich habe mich gefragt, was ich eigentlich vermitteln kann<br />

und natürlich, wie ich das am besten mache. Im Hinblick<br />

auf die Frage, was ich vermitteln kann, war ich mit der Frage<br />

konfrontiert, welchen Begriff ich von dem habe, was ich<br />

selbst tue. Vieles kann sich durch das Machen und die Arbeit<br />

selbst definieren. Die Unterstützung von Studenten<br />

bei ihren Projekten und auch bei der Vorbereitung von Präsentationen<br />

machte mir großen Spaß. Leider orientierten<br />

sich die Arbeiten an den vorgegebenen Projektthemen.<br />

Auch in meinem eigenen Seminar für Studienanfänger war<br />

ich zu einer Aufgabenstellung angehalten. Ich beobachtete<br />

mich selbst dabei, wie ich versuchte diese Vorgabe zu<br />

umgehen mit einer Aufgabenstellung, die so elastisch wie<br />

möglich war und die ich noch elastischer handhabte. Ich<br />

13


Erfahrungen und Fragen<br />

lud einen Kunsttheorie-Professor zur Diskussion in das<br />

Seminar ein. Für einen anderen Kurs, den ich zu geben hatte,<br />

vergab ich einen Lehrauftrag und wir gaben den Kurs<br />

gemeinsam. Ich betrachtete es als eine meiner Aufgaben,<br />

Verbindungen herzustellen, eine Art kleines Netzwerk zu<br />

initiieren, in dem sich verschiedene Elemente zusammen<br />

fügten, so dass wir mit ihnen arbeiten konnten.<br />

Hinzu kam noch eine Kooperation mit einem Lehrstuhl<br />

der Fakultät Architektur. Ich haderte mit meiner Kollegin<br />

aus diesem Bereich. Ihre bestechende Klarheit war gepaart<br />

mit einem extrem didaktischen Vorgehen. Die Aufgabe<br />

wurde in Häppchen eingeteilt und die Studenten wurden<br />

Schritt für Schritt durch die größtenteils praktische<br />

Aufgabe geleitet, quasi nach den Methoden des fragend<br />

entwickelten Unterrichts (s.u.), bei dem den Lehrenden das<br />

Ergebnis klar vor Augen ist. Im Vordergrund stand die Wissensvermittlung<br />

und ich hatte meine Schwierigkeiten, dem<br />

etwas entgegen zu setzen.<br />

Außerdem steckte ich zu diesem Zeitpunkt in eigenen<br />

künstlerischen Vorhaben. Obwohl mich die Arbeit mit den<br />

Studenten faszinierte, weil sie mich zum ständigen Um-,<br />

Anders- und Hineindenken zwang, wirkte die Institution<br />

auf mich lähmend. Die Arbeit absorbierte mich gleichzeitig<br />

dermaßen, dass das Bild einer Sackgasse in mir aufkam.<br />

Nach einigen Jahren Lehrtätigkeit stellte ich mir vor, würde<br />

meine eigene künstlerische Arbeit so gut wie brach<br />

liegen, mein Vertrag würde auslaufen und ich stünde vor<br />

14


dem Nichts.<br />

Erfahrungen und Fragen<br />

George Grosz formuliert dieses Dilemma für sich<br />

folgendermaßen:<br />

Meine Schule bestand ungefähr vier Jahre. Als ich für zwei Jahre<br />

ein Guggenheim-Stipendium bekam, gab ich sie auf. Es tat<br />

mir nicht besonders leid darum. Das Lehren nimmt viel Energie<br />

in Anspruch. Ich brauchte immer erst eine gewisse Zeit,<br />

um mich wieder auf eigene Arbeit umzustellen. Die fabelhafte<br />

Fähigkeit der Amerikaner, viele Dinge zu gleicher Zeit tun zu<br />

können, ging mir ab. Als Lehrer für Kunst kam und komme<br />

ich mir immer vor, als ginge ich mit beiden Füßen zwei verschiedene<br />

Treppen hinauf und müsse arg balancieren, um das<br />

Gleichgewicht zu behalten (...). 4<br />

Mit anderen Worten: Ich habe mit der Frage gerungen,<br />

ob ich etwas dafür tun kann, dass sich eine Balance zwischen<br />

Lehre und eigener Arbeit einstellt, möglichst sogar<br />

4 (...) Zugleich mit dem Stipendium bekam ich, wie schon erwähnt, einen<br />

Posten als Illustrator für «Esquire, das Magazin für Männer», und war also für den Augenblick<br />

der Sorgen ledig. Den in Amerika, wo alles und somit auch Schmerz und Leid<br />

im Überfluß vorhanden sind, können von der Kunst der Malerei nur wenige Menschen<br />

leben. Viele keineswegs schlechte Maler haben praktische Hauptberufe: ein paar sind<br />

Dentisten, dort ist einer Barbier, ein anderer sogar Fleischer, wieder einer hilft bei der<br />

Post aus...<br />

Kunst gilt als „hobby“, als Liebhaberei. Das alte Frage-und-Antwort-Spiel: „Was macht<br />

die Kunst? – Sie geht nach Brot!“ ist in Amerika wohl angebracht.<br />

Grosz, George, Ein kleines Ja und ein großes Nein – Sein Leben von ihm selbst erzählt.<br />

Rohwolt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg, 1974, S.261<br />

15


Erfahrungen und Fragen<br />

ein konstruktives Zusammenwirken. Hatte ich überhaupt<br />

ein klares Bild dessen, was ich tat? Ist es möglich diesen<br />

Widerspruch zu überwinden?<br />

Das Dilemma der fiktiven der fiktiven Hauptfigur in seinem<br />

Text Kunsthochschule. Eine Satire gibt Thomas Huber<br />

wie folgt wieder:<br />

Die Berufung zum Professor an eine deutsche Kunsthochschule<br />

sei eine subtile Form künstlersicher Freiheitsberaubung,<br />

schrieb er, ihm wäre im Gefängnis klar geworden, dass die Berufung<br />

eines Künstlers an eine deutsche Kunsthochschule eine<br />

freiheitsberaubende Verstrickung in eine unlösbare Aufgabe<br />

bedeute. 5<br />

Schule und Museum<br />

Weitere Erfahrungen habe ich an einem Berliner Gymnasium<br />

gemacht. Auch hier tauchten bestimmte Fragen auf,<br />

die mich gezwungen haben, den Ort und die Situation, in<br />

denen ich tätig war, genauer zu verstehen, wenn ich nicht<br />

ernsthafte Konflikte riskieren wollte.<br />

Spontan habe ich versucht, meine Methoden aus der<br />

Lehre an der Hochschule auf den Schulzusammenhang<br />

5 Huber, Thomas, „Kunsthochschule. Eine Satire“. In: Bippus, Elke und<br />

Glasmeier, Michael (Hg.), Künstler in der Lehre, Philo & Philo Fine Arts / EVA Europäische<br />

Verlagsanstalt, Hamburg, 2007, S. 211,<br />

Zuerst veröffentlicht in: Huber, Thomas, Bilder schlafen. Galerie Philomene Magers<br />

(Hg.), Salon Verlag, Köln, 1998<br />

16


Erfahrungen und Fragen<br />

zu übertragen, also eine Situation zu schaffen, die eigenständiges<br />

Arbeiten verlangt, ein Thema zu stellen, dass<br />

einen persönlichen, subjektiven Ansatz forciert sowie ein<br />

kleines Netzwerk oder einen Info-Pool zu schaffen, in<br />

dem ich Künstlervideos, inklusive meiner eigenen, zum<br />

Thema zusammenstellte und Künstler einlud, ihre Filme<br />

den Schülern zu zeigen. Schließlich handelte es sich um<br />

einen Kunstleitungskurs, dessen Teilnehmer kurz vor dem<br />

Abitur standen und denen ich wenige Monate später auch<br />

im Hochschulbereich hätte begegnen können.<br />

Die Probleme begannen bei der Aufgabenstellung, also in<br />

der Zusammenarbeit mit der Lehrerin, bevor die Arbeit<br />

mit den Schülerinnen und Schülern überhaupt angefangen<br />

hatte.<br />

Hier passierte etwas, was mir in der Folge häufiger auffiel:<br />

ich schlug mein Thema vor, das für die Lehrerin nicht<br />

griffig und praktikabel und letztlich unverständlich war. Ich<br />

ging intuitiv von anderen Grundlagen aus und steuerte<br />

ein anderes Ziel an. Ich sollte Kurzfilme mit den Schülern<br />

machen. Ohne es mir bewusst zu machen, hatte ich zum<br />

Ziel, bereits durch die Aufgabenstellung möglichst experimentelle<br />

und eigenständige Ergebnisse zu provozieren,<br />

die sich durch einen persönlichen Ansatz der Beliebigkeit<br />

17


Erfahrungen und Fragen<br />

entziehen. 6 Später habe ich verstanden, dass meine Aufgabenstellung<br />

einer Aufgabenstellung im schulischen Sinne<br />

entzogen hat, also de facto für die Lehrerin eigentlich keine<br />

war. Auch für die Schüler war es keine bekannte Form<br />

von Aufgabe. Später, während der Arbeit, gestand mir ein<br />

Schüler, dass sie so noch nie gearbeitet hätten.<br />

Ich konnte mich ja eigentlich nur zu gut an meine eigene<br />

Schulzeit erinnern. Trotzdem stellte ich diese Verbindung<br />

nicht her und war daher unvorbereitet. Mein Kunststudium<br />

und meine Arbeit als Künstlerin mussten mich verändert<br />

haben.<br />

Die Lehrerin ließ mir während des Projektes weit gehend<br />

freie Hand, kooperierte aber auch nicht im eigentlichen<br />

Sinne; d.h. sie bezog sich in ihrem Theorieteil nicht auf die<br />

von mir vorgestellten Beispiele zeitgenössischer Videokunst.<br />

Später dann wurde die unterschiedliche Sichtweise<br />

erneut bei der Benotung deutlich.<br />

Eine ähnliche Situation wiederholte sich auch in der Zusammenarbeit<br />

mit einer Grundschullehrerin, der Teilnehmerin<br />

einer Fortbildung, die ich im Auftrag des LISUM<br />

(Landesinstitut für Schule und Medien) geleitet hatte.<br />

Exemplarisch sollte das Fortbildungsthema im Anschluss<br />

im Unterricht in Kooperation erprobt werden. Ich tappte<br />

wieder in dieselbe Falle und war zuerst ratlos über die<br />

6 Mein Thema lautete: „Ich im Film. Tagebuch/ Ereignis“, während die<br />

Lehrerin ein formales Thema, etwa über Licht und Schatten in der Architektur<br />

vorschlug.<br />

18


Erfahrungen und Fragen<br />

Schwierigkeiten die Ziele, die ich mit meinem Projekt hatte,<br />

verständlich zu machen.<br />

Interessant war auch eine Erfahrung mit einem Kinderworkshop<br />

in einem Warschauer Museum. Zur Unterstützung<br />

waren uns angehende Lehrerinnen zugeordnet<br />

worden, die sich komplett aus dem gesamten Geschehen<br />

heraushielten (und ihm, wie ich nur vermute, recht skeptisch<br />

gegenüber standen).<br />

Die Lehrerinnen und ich hätten wahrscheinlich eine Übersetzung<br />

gebraucht, von dem einen Kontext in den anderen.<br />

Wir konnten einander nicht verstehen, weil wir grundsätzlich<br />

verschieden an die Sache herangegangen sind und<br />

aus Zusammenhängen stammen, die wohl nach oppositionell<br />

entgegen gesetzten Regeln funktionieren. Gleichzeitig<br />

hatten wir kaum Erfahrungen in dieser Form der Kooperation<br />

und waren somit auch nie gezwungen, über unsere<br />

Herangehensweise nachzudenken oder sie vermitteln.<br />

Email-Interviews und Gespräche, andere Quellen<br />

Zunächst war meine Idee, im Hinblick auf diese Fragen<br />

Masterarbeiten und Projektberichte des Instituts für<br />

Kunst im Kontext zu verwenden. Meine Recherche war<br />

jedoch entmutigend. Meine Fragestellung war, wenn überhaupt,<br />

meistens nur indirekt Thema. Möglicherweise habe<br />

ich das ein oder andere übersehen.<br />

19


Erfahrungen und Fragen<br />

Ich habe dann aber meine Strategie geändert und selber<br />

Kollegen, die an Hochschulen als künstlerisch-wissenschaftliche<br />

Mitarbeiter, Professoren oder im schulischen<br />

Bereich tätig sind, nach ihren Erfahrungen und Einschätzungen<br />

befragt.<br />

Ich selbst würde sagen, dass ich in der Praxis entscheidendes<br />

gelernt habe, einfach in dem ich es tun musste.<br />

So sind für mich die Beiträge unterrichtender Kollegen<br />

besonders wertvoll. Theorien aus der Praxis lautet der Titel<br />

des Vorwortes zu einem kürzlich erschienen Buch mit<br />

dem Titel Künstler in der Lehre. Darin heißt es:<br />

Für uns ist es faszinierend zu sehen, wie Künstlerinnen und<br />

Künstler selbst ihr oft ambivalentes Verhältnis zur Kunsthochschule<br />

und ihre Aufgabe als Auszubildende in einer Zeit des<br />

Stilpluralismus oder –verfalls (je nach dem) betrachten. Denn<br />

diese lehrenden Künstlerinnen und Künstler befinden sich nun<br />

in einer Situation, in der es im wesentlichen kaum noch darum<br />

geht, gegen einen Akademismus anzukämpfen, sondern in<br />

einer permanenten Selbstbefragung und im künstlerischen Experiment<br />

eine individuelle Position zu behaupten 7<br />

Diese Aussage ist mit Blick auf Künstler formuliert worden,<br />

die an Kunsthochschulen und als Professoren tätig<br />

sind. Trotzdem trifft die Beschreibung eine generelle Situ-<br />

7 Bippus, Elke und Glasmeier, Michael, „Theorien aus der Praxis“. In:<br />

dies. (Hg.), 2007, S. 10<br />

20


Erfahrungen und Fragen<br />

ation von Künstlern. Ich möchte das Zitat in seiner Intention<br />

erweitern, in dem ich es auf Künstler beziehe, die in<br />

anderen Zusammenhängen, die nicht unbedingt kunstspezifisch<br />

sind, lehren und gleichzeitig auch ihre individuelle Position<br />

behaupten müssen, jedoch möglicherweise in einem<br />

noch komplexeren Sinn.<br />

Ich habe mich mit mehreren Kollegen unterhalten oder<br />

ihnen per Email einige Fragen gestellt, aus denen eine Korrespondenz<br />

entstanden ist, die mir die Arbeitsgrundlage<br />

für diesen Text geliefert hat.<br />

Gleichzeitig waren das oben zitierte Buch, sowie andere<br />

schriftliche Quellen, in denen Künstler ihr Verhältnis zu<br />

Lehre formulieren, wichtiges Material für meine Arbeit.<br />

21


2. Ausgangslage<br />

Kulturelle Bildung<br />

Ein Thema, dass einen als Künstler zunächst nicht so stark<br />

betrifft, ist die derzeitige Diskussion um kulturelle Bildung.<br />

Doch da es in dieser Debatte nicht nur darum geht, den<br />

Kunstunterricht zu reformieren oder ähnliches, sondern,<br />

zumindest in einigen Stellungnahmen, tatsächlich darum<br />

kreist, Künstler als schulfremde Personen in die Schule zu<br />

holen oder mit ihnen als außerschulische Partner zusammenzuarbeiten<br />

– die Formen sind hier nicht klar definiert<br />

–, bietet sich dieses Thema als Einstieg an. Ich ziehe es heran<br />

als exemplarische Situation, in der Künstler außerhalb<br />

des reinen Kunstbereiches tätig sind. Künstler treffen hier<br />

auf einen Kontext, der nicht nur ein anderer ist als ihrer,<br />

sondern als eine Art Gegenpol zu ihrem eigenen betrachtet<br />

werde kann (s.u.).<br />

In der aktuellen, nicht nur kulturpolitischen, Diskussion<br />

gibt es eine Vielzahl von Stellungnahmen und Initiativen<br />

zur kulturellen Bildung, die darauf hinauslaufen, dass in der<br />

Auseinandersetzung mit Kunst und Kultur entscheidende<br />

Kompetenzen, auch Schlüsselqualifikationen 8 genannt, aus-<br />

8 Schlüsselqualifikationen sind überfachliche Qualifikationen, die Menschen<br />

zum Handeln befähigen sollen. Innerhalb der Personalwirtschaft sind diese neben der<br />

Fachkompetenz der zweite zentrale Bereich der Personalentwicklung dar. Sie sind daher<br />

kein Fachwissen, sondern ermöglichen den kompetenten Umgang mit fachlichem<br />

Wissen. Dabei setzen sich Schlüsselqualifikationen aus einem breiten Spektrum über-<br />

23


Ausgangslage<br />

gebildet werden, die notwendig sind, um in unserer heute<br />

so komplex gewordenen Gesellschaft zu agieren. Bei einer<br />

der Initiativen, die in diesem Kontext stehen, handelt es<br />

sich beispielsweise um ein Schulprojekt, dessen Träger das<br />

LISUM Brandenburg ist. In der Projektbeschreibung aus<br />

dem Internetauftritt heißt es:<br />

Rasante Veränderungen in der Gesellschaft - u.a. bedingt durch<br />

die Globalisierung und neue Informationstechnologien und Pluralität<br />

in vielen Bereichen des Lebens - erfordern in der Bildung<br />

ein dynamisches Modell für den Erwerb sehr unterschiedlicher<br />

Kompetenzen, die auf lebenslanges Lernen und die Bewältigung<br />

vielfältiger Herausforderungen im Alltags- und Berufsleben<br />

ausgerichtet sind.) 9<br />

greifender Fähigkeiten zusammen, die sowohl dem kognitiven als auch dem affektiven<br />

(emotionalen) Bereich entstammen. Diese Kompetenzen können in verschiedenen<br />

Situationen und Funktionen flexibel und innovatorisch eingesetzt und übertragen werden.<br />

http://de.wikipedia.org/wiki/Schlüsselqualifikation<br />

9 (...) und weiter: Durch das Kennenlernen künstlerischer Denk- und Handlungsweisen<br />

erhofft man sich eine Erweiterung der Lernzugänge für Schülerinnen und<br />

Schüler, die nicht nur auf die traditionell künstlerischen Fächer Kunst, Musik und Darstellendes<br />

Spiel beschränkt bleiben sollen. Das Erlernen von improvisierendem Denken<br />

und Handeln initiiert Lernprozesse, die Schülerinnen und Schüler bei der Suche nach<br />

eigenen Lösungs- und Gestaltungswegen auch in anderen Fächern und Situationen behilflich<br />

sein können. ARTuS! ist in Bezug auf seine strukturelle Komplexität sowie seinen<br />

pädagogischen, sozialen und ästhetischen Anspruch derzeit einmalig im deutschsprachigen<br />

Raum. Es bietet die Chance, die Potenziale künstlerisch-ästhetischen Lernens<br />

nicht nur in Bezug auf die einzelnen Schülerinnten und Schüler, sondern vor allem<br />

auch auf die beteiligten Lehrerinnen und Lehrer, Künstlerinnen und Künstler und das<br />

sozialkulturelle Klima der Schule sowie ihrer lokalen Umgebung zu erproben. Im Mittelpunkt<br />

steht die an Projektschwerpunkten (Modulen) orientierte Untersuchung der<br />

24


Ausgangslage<br />

Sigrid Godau beschreibt die Situation in einem Vortrag an<br />

der UdK Berlin folgendermaßen:<br />

Dabei geht es nicht allein um die Vermittlung künstlerischer<br />

Fähig- und Fertigkeiten. Landauf, landab festzustellen ist vielmehr,<br />

wie bereits in den Sätzen Rüttgers [Jürgen Rüttgers,<br />

Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen] anklang, eine<br />

Neubewertung der künstlerischen Praxis als Lernfeld gesellschaftlicher<br />

Schlüsselkompetenzen. Diese sollen Jugendliche fit<br />

machen für die komplexen Anforderungen ihrer zukünftigen<br />

Arbeits- und Lebenswelt.. 10<br />

Die künstlerische Praxis wird hier zum Lernfeld. Mit diesem<br />

Lernfeld wird auch ein verändertes Handlungsfeld im<br />

Bezug auf die Vermittlung skizziert. 11<br />

Dieses Feld ist seit kurzem, dafür aber umso kräftiger,<br />

Umsetzungsmöglichkeiten einer projektorientierten kunstanalogen Handlungsweise<br />

innerhalb der Schule.<br />

http://www.artusprojekt.de/<br />

10 Godau, Sigrid, Über die Kunst zum Traumberuf? Vortrag, Institut für<br />

Kunst im Kontext UdK, Berlin, 29.5.2007, unveröffentlicht<br />

11 In der Konzeption der künstlerischen Bildung als avanciertem Lehr-Lern-<br />

Verständnis, das die systemischen Unterschiede von Kunst und Bildung ernst nimmt,<br />

aber gerade auch die aus den je eigenen Systemlogiken Spannungsvollen Selbstverständnisse<br />

in ein vermittelndes Gefüge verwandelt, kommt der Bildung des künstlerischen<br />

Denkens und Handelns eine besondere Bedeutung zu. Dieses Konzept geht von<br />

der Annahme aus, dass sich durch den Umgang mit Kunst und durch eine künstlerische<br />

Praxis künstlerische Bildungswirkungen beim Einzelnen einstellen können.<br />

Kettel, Joachim, „Künstlerische Bildung nach Pisa“. In: ders., IGBK und Landesakademie<br />

Schloss Rotenfels (Hg.), Künstlerische Bildung nach Pisa, Athena-Verlag,<br />

Oberhausen, 2004, S.24<br />

25


Ausgangslage<br />

ins allgemeine Bewusstsein gerückt und zurzeit in aller<br />

Munde. 12 Zum Nachweis der erworbenen Kompetenzen<br />

wurde sogar von der Bundesvereinigung Kulturelle Jugendbildung<br />

(BKJ) im Rahmen eines Forschungsprojektes,<br />

das Schlüsselkompetenzen durch kulturelle Bildung zum Gegenstand<br />

hatte, 2001-2004, eine Art Pass entwickelt, der<br />

so genannte Kompetenznachweis Kultur. 13<br />

Dieses Lehr-Lernfeld hat laut Joachim Kettel seine Wurzeln<br />

in den sechziger Jahren. Es ist also nicht ganz neu:<br />

Seit mehr als einer Dekade zeichnen sich Konturen eines veränderten<br />

Verständnisses von Kunstpädagogik und Kunstvermittlung<br />

ab, das die notwendigen Parameter und Legitimationen<br />

für den konstitutiven und vielschichtigen Bildungsprozess mit<br />

und durch Kunst nicht weiter aus der bis dahin dominierenden<br />

12 Mittlerweile ist kulturelle Bildung eine gesellschaftliche und kulturpolitische<br />

Forderung. Gesellschaftspolitische Akteure begreifen sie als Notwendigkeit. Diese<br />

erwächst aus einer Realität, die dem Einzelnen sowohl hohe intellektuelle als auch<br />

soziale Kompetenzen abverlangt. Die Pluralität und Unübersichtlichkeit unserer Gesellschaften,<br />

das gleichzeitige Nebeneinander teils widersprüchlicher Lebensentwürfe und<br />

Werte, die Einsicht in die Konstruiertheit unserer sozialen Wirklichkeiten genauso wie<br />

die unserer Identitäten – all das versetzt unsere Gesellschaft in einen dynamischen<br />

Schwebe-Zustand.<br />

Keine Frage: Eine solche Gesellschaft verlangt vom Einzelnen ein ganzes Arsenal an<br />

Kompetenzen, um in ihr im Persönlichen wie im Beruflichen zu bestehen.<br />

Wuschek, Kay, „Kunst, Gesellschaft und kulturelle Bildung -<br />

Ein Klärungsversuch“. Einführungsrede zur Werkstattkonferenz Offensive Kulturelle<br />

Bildung in Berlin, September 2006, unveröffentlicht.<br />

13 siehe auch http://www.kompetenznachweiskultur.de<br />

26


Ausgangslage<br />

Erziehungswissenschaft ableitet, sondern aus den kunstnahen<br />

und künstlerischen Prozessen selbst.<br />

Grund hierfür ist einerseits die zunehmende Entgrenzung des<br />

Kunstbegriffes seit den 60iger Jahren und seine Folgen für pädagogische<br />

und soziale Kontexte. Andrerseits treten Impulse der<br />

aktuellen Kunstströmungen um Fragen von Beteiligungsmöglichkeiten<br />

und alternativen Vermittlungsformen hinzu, die die<br />

klassischen Vermittlungsinstitutionen von Kunst und Kultur einer<br />

dekonstruktiven Institutionenkritik unterzogen und weitere<br />

Bildungsinstitutionen wie Hochschulen und Akademien kritisch<br />

untersuchten. 14<br />

Nicht nur die künstlerische Praxis als eine Art goldener<br />

Topf, aus dem Kompetenzen geschöpft werden können,<br />

ist gefragt, sondern auch die Vermittlung dieser Kompetenzen<br />

durch Künstler. Es gibt einige Künstler, die viel über<br />

ihre Tätigkeit berichten, nur zwei Beispiele wären Joseph<br />

Beuys oder Franz Erhard Walther und die auch, so meine<br />

Vermutung, unter anderem deshalb viel in kunstpädagogischen<br />

Seminaren diskutiert werden, weil sie eine Art<br />

Schlüssel zu ihrem Werk anzubieten scheinen. In der jetzigen<br />

Situation, ist, so sieht es aus, der Künstler, auch der<br />

unbekannte, persönlich und live an dieser Schnittstelle der<br />

Vermittlung gefragt.<br />

14 Kettel, Joachim, „Künstlerische Bildung nach Pisa“. In: IGBK und Landesakademie<br />

Schloss Rotenfels (Hg.), 2004, S.26<br />

27


Ausgangslage<br />

Der „um ... zu“ Modus<br />

Wenn Kunst an und mit Menschen vermittelt und erfahren<br />

wird, sind die Zutaten für die oben benannten Bedarfe von<br />

Schule (und Gesellschaft) gleich mit dabei. Sie sind nicht Zweck,<br />

sondern Ergebnis von Kunst – denn die Künste sollen von der<br />

Intention her zweckfrei bleiben und nicht „in Dienst gestellt“<br />

werden, damit sie ihre originäre Kraft bewahren. 15<br />

Auch wenn sich diese allgemeine Feststellung leicht teilen<br />

lässt, scheint dies jedoch in der konkreten Situation äußerst<br />

schwer zu gewährleisten zu sein.<br />

In aller Regel sind es (Kultur-)politiker, Pädagogen, Didaktiker,<br />

etc., die dieses Feld verbal abstecken. Auch wenn, wie<br />

Joachim Kettel im oben zitierten Absatz schreibt, das veränderte<br />

Verständnis von Kunstvermittlung und Kunstpädagogik<br />

dadurch gekennzeichnet sei, dass es sich an kunstnahen<br />

oder den künstlerischen Prozessen selbst orientiert,<br />

so bleibt es trotzdem bei einer Betrachtungsweise von<br />

außen. 16<br />

Ulrike Hentschel formuliert in ihrem Beitrag Fragen an die<br />

Kunstpraxis als Grundlage didaktischer Entscheidungen, eine<br />

15 Kneip, Winfried, „Das Curriculum des Unwägbaren. Über den Wert<br />

von ästhetischer Bildung für Schule und Gesellschaft“. In: Yehudi Menuhin Stiftung<br />

Deutschland (Hg.), MUS-E Zeit, Ausgabe 2006, Düsseldorf 2006, S.11<br />

16 Kettel, Joachim, „Künstlerische Bildung nach Pisa“. In: ders., IGBK<br />

und Landesakademie Schloss Rotenfels (Hg.)., 2004, S.26<br />

28


Ausgangslage<br />

Problematik hinsichtlich der Zielsetzungen hier der Theaterpädagogik,<br />

die jedoch auch im Bezug auf bildende Kunst<br />

diskutiert wird. Sie moniert den „um ... zu“ Modus, d.h.<br />

eine Ausweitung der kunstpädagogischen Disziplin auf sozial-<br />

und kulturpädagogische, sozialwissenschaftliche oder<br />

anthropologische Ziele, ohne die explizit ablesbare Orientierung<br />

am künstlerischen Gegenstand. Ich gehe davon aus,<br />

dass beim Theaterspielen [oder der künstlerischen Betätigung]<br />

bestimmte Lernprozesse immanent sind, ohne das eine<br />

außerästhetisch begründete Pädagogisierung oder Didaktisierung<br />

des Gegenstandes erfolgen muss. Weiter führt sie aus,<br />

dass, so gesehen, eine Unterscheidung von einem Lernprozess,<br />

der auf das Erlernen der notwendigen künstlerischen<br />

Techniken gerichtet ist, und Lernzielen, die mit Hilfe<br />

der Kunst vermittelt werden sollen (Kompetenzen), obsolet<br />

würde. An die Stelle einer weiteren kulturwissenschaftlichen<br />

Theorie zur Begründung von didaktischen Prinzipien (...)<br />

treten also stark spezialisierte Reflexionen des künstlerischen<br />

Prozesses. 17 Auf der Suche nach geeignetem Material hierzu<br />

verweist Ulrike Hentschel auf Künstlertheorien. 18<br />

Auffällig ist, wie gesagt, dass in der derzeitigen Diskussion<br />

17 Hentschel, Ulrike, „Fragen an die Kunstpraxis als Grundlage didaktischer<br />

Entscheidungen“. In: dies. und Stielow, Reimar (Hg.), Fragen, Jahrbuch 5,<br />

Hochschule für Bildende Künste Braunschweig, Salon Verlag, Köln, 2003, S.82f.<br />

18 Ulrike Hentschel bezieht sich auf Thomas Lehnerer, der als Künstler<br />

den Begriff der Künstlertheorie geprägt hat.<br />

29


Ausgangslage<br />

selten die Künstler als maßgebliche Größe mitbetrachtet<br />

werden oder aber sogar an ihr teilhaben. Bereits die verwendeten<br />

Begriffe und rhetorischen Figuren sind signifikant<br />

für eine bestimmte Form der Sprache und des Diskurses,<br />

in den sich Künstler oft nicht einklinken wollen<br />

und können, möglicherweise, so geht es mir jedenfalls, weil<br />

er nicht aus der künstlerischen Praxis entwickelt ist.<br />

Selbstverständlich gibt es Künstler die mitwirken. Mein<br />

Eindruck ist hier der, dass sie sich in einigen Fällen, zumindest<br />

in ihren Texten, oft vom Vokabular, von den Inhalten<br />

und von den Problemstellungen her so an den Diskurs<br />

anpassen, dass sie kaum noch als Künstler erkennbar bleiben.<br />

Für den Diskurs interessant sein sollten jedoch genau<br />

die Künstler, egal von welcher Warte aus man es betrachtet,<br />

die sich als solche behaupten, auch im Verbalen und<br />

Schriftlichen. Darauf, was das bedeuten könnte „sich zu<br />

behaupten“, werde ich später eingehen.<br />

Deutlich ist in jedem Fall, dass der Kunst und auch den<br />

Künstlern eine neue Aufmerksamkeit zuteil wird, die außerhalb<br />

der Kunst ihren Ursprung hat und dass eine Erwartung<br />

an die Künste und die Künstler formuliert wird,<br />

zu der man sich als Künstler irgendwie verhalten muss.<br />

Kunstpädagogen<br />

Die Kunstpädagogen haben – nach eigenen Aussagen -<br />

30


Ausgangslage<br />

einen schwierigen Stand in der Debatte. Ihnen eilt der<br />

Ruf der Kunstvernichter voraus. 19 Kunstpädagogik ist ein<br />

hybrides Fach. Wer es studiert, sieht sich herausgefordert ein<br />

Universalmensch zu werden. Weiter schreibt Carl-Peter<br />

Buschkühle:<br />

Er soll dabei schaffen, was den Spezialisten selten gelingt und<br />

was sie sich nicht selten auch verbitten: Zusammenhänge zu<br />

bilden zwischen den Disziplinen und daraus etwas Neues entstehen<br />

zu lassen. (...) Sie [die Kunstpädagogik] betreibt Kunstwissenschaft,<br />

übt sich in künstlerischen Gestaltungsverfahren<br />

(wohlmöglich mehreren gleichzeitig), sie beschäftigt sich mit<br />

didaktischen Strategien und Konzepten. Letzteres kompromittiert<br />

sie endgültig, denn Fachdidaktiker tun alles, aber nichts<br />

richtig (...) Spezialisten wie Schüler verachten ihn, weil er in<br />

beider Augen dilettiert. Beide Fraktionen verstehen ihn nicht,<br />

den Kunstpädagogen. Und die Frage drängt sich auf: Versteht<br />

er sich selbst? (...) Da sticht vor allem das Phänomen ins Auge,<br />

dass Kunstpädagogen mit ihrer Identität hadern. Ein häufig<br />

anzutreffender Spagat – mit dem Risiko, bis an die Grenzen<br />

der Schizophrenie vorzudringen – ist die Doppelexistenz als<br />

„freischaffender Künstler“ und „Schulmeister“. Hier liegt eine<br />

nicht zu unterschätzende Quelle professioneller Frustration: Da<br />

hegte man einst – und tut es vielleicht immer noch – den<br />

Genieverdacht gegen sich und ist gleichwohl gezwungen, sei-<br />

19 siehe Kästner, Manfred, „Über das didaktische Abenteuer mit der<br />

Kunst-Lehre“. In: Hentschel, Ulrike und Stielow, Reimar (Hg.), Köln, 2003, S.116<br />

31


Ausgangslage<br />

ne Brötchen zu verdienen, in dem man „Perlen vor die Säue<br />

wirft.“. 20<br />

Der derzeitig in der Debatte um kulturelle Bildung formulierte<br />

Anspruch macht Kunstpädagogen alleine ungeeignet<br />

für die Aufgabe, weil sie Teil des Systems Schule sind,<br />

jene Kompetenzen aber – bzw. die Kunst – nicht aus dem<br />

System generiert werden können. Zwar könnte sich die<br />

Schule auch von innen heraus verändern, jedoch geht es<br />

in der jetzigen Debatte nicht nur darum, sondern etwas<br />

„Neues“ in die Schule zu „implantieren“ (s.u.). Für das<br />

„Neue“ werden die Künstler herbei gerufen.<br />

Die historische Chance<br />

An dieser Stelle, u.a. mitten in diese Fachdebatte der<br />

Kunstpädagogik, soll nun der Künstler als „Spezialist“<br />

von außen die Schulen betreten und trifft dort auf jene<br />

„Kunstvernichter“.<br />

Auch die Schule selbst ist in aller Regel nicht auf Künstler<br />

eingerichtet. Kunst und Schule in ihrer derzeitigen Form<br />

bilden von ihrem Wesen her Widerspruch.<br />

Winfried Kneip weist in seinem Beitrag Das Curriculum des<br />

20 Buschkühle, Carl-Peter, „Der flüchtige „uomo universale“. Kunstpädagogik<br />

zwischen Anspruch und Wirklichkeit“. In: Hentschel, Ulrike und Stielow,<br />

Reimar (Hg.), Köln, 2003, S.36f.<br />

32


Unwägbaren 21 einerseits auf die historische Chance hin, die<br />

die Künste zur Zeit hätten, in der Schule eine entscheidende<br />

Rolle zu spielen, und stellt aber gleichzeitig fest, dass<br />

Künstler im Randbereich von Schule tätig sind, dass sie die<br />

Schüler eher beaufsichtigen und betreuen, als sie ästhetisch<br />

zu bilden. Im Bewusstsein vieler Lehrer und Künstler sind<br />

Lehrziele und künstlerische Prozesse unvereinbar. Hier sieht<br />

Winfried Kneip den entscheidenden Ansatzpunkt, die neue<br />

Aufgabe, die nur von Künstlern und Pädagogen gemeinsam<br />

geleistet werden kann: den Wert der Künste für Schule zu beschreiben<br />

und umgekehrt. Eine Übersetzung in einer Sprache<br />

zu finden, die beide verstehen bzw. auf die sich beide einigen<br />

können. Schule spricht Curriculum und Kunst das Unwägbare.<br />

Ein Curriculum des Unwägbaren bedeutet, einen Widerspruch<br />

in den Kernsektor von Schule zu integrieren: Wie beschreibt<br />

man etwas, das dem Wesen nach unbeschreibbar ist? 22<br />

Sprache und Formen der Kooperationen müssten also<br />

21 Was genau bedeutet das Unwägbare im Zusammenhang mit der<br />

Kunst? Auf der Suche nach möglichen Quellen zur Klärung des Begriffes bin<br />

ich auf ein Zitat von Hans Joachim Lenger, Professor für Philosophie und Medientheorie<br />

an der Hochschule für bildende Künste Hamburg, gestoßen, der<br />

sich im Gespräch mit Franz Erhard Walther folgendermaßen äußert: Vielleicht<br />

könnte man sagen, dass sich die Unwägbarkeit des künstlerischen „Augenblicks“ oder<br />

künstlerische „Gegenwart“ dadurch auszeichnet, die diese Ununterscheidbarkeit [von<br />

Material als Träger von Bedeutung und Bedeutung] aufblitzen zu lassen, und zwar<br />

aus einer künstlerischen Entscheidung heraus.<br />

Walther, Franz Erhard, 1993, S.36<br />

22 Kneip, Winfried, ebd., 2006, S. 11<br />

Ausgangslage<br />

33


Ausgangslage<br />

erst noch entwickelt werden. Carmen Mörsch stellt bei<br />

ihrer Untersuchung der Vorstellungen der Künstler, die<br />

bei dem Modellprojekt Kinder machen Kunst mit Medien<br />

mitgearbeitet haben, fest, dass sich ihre Ergebnisse auffallend<br />

wenig von denen eines 1976 durchgeführten Modellversuchs<br />

unterscheiden. Das „Setting“ sei das gleiche,<br />

aber auch die Schule hat seitdem kaum eine Entwicklung<br />

durchgemacht. Sie weist also einerseits darauf hin, dass<br />

sich die Problemstellungen in dieser Zeit wohl kaum verändert<br />

haben, bemerkt jedoch hierzu: Meine These ist im<br />

Gegenteil, dass durch das Fehlen eines etablierten Arbeitsfeldes<br />

für KünstlerInnen im Bildungsbereich die Forschung und der<br />

Diskurs seit den 80iger Jahren nicht systematisch weiterverfolgt<br />

wurden und dadurch keine Ausdifferenzierung und Weiterentwicklung<br />

ermöglicht war. 23<br />

Wie eine solche Forschung organisiert sein müsste, die<br />

ähnlich dem Ansatz von Ulrike Hentschel von dem eigentlichen<br />

Wesen der künstlerischen Tätigkeit und dem Diskurs<br />

um und durch sie ausgeht, und von wem geforscht<br />

werden könnte, lässt Carmen Mörsch offen, hält es jedoch<br />

für lohnenswert, wie die Effekte der Arbeit von Künstlern<br />

in Schulen vermuten lassen.<br />

Winfried Kneip fordert dazu auf den Widerspruch zwischen<br />

23 Mörsch, Carmen, „.(lacht)“. In: Lüth, Nanna und dies. (Hg.), Kinder<br />

machen Kunst mit Medien, KoPead, München, 2005, S.76f.<br />

34


Kunst und Schule in den Kernsektor von Schule zu integrieren<br />

(s.o.). Künstler und Pädagogen sollen durch Beschreibung<br />

der reziproken Werte und eine beiden verständliche Sprache<br />

gemeinsam an diesem Ziel arbeiten. Ulrike Hentschel<br />

ist in ihrem Artikel (vermutlich) auf der Suche nach genau<br />

Beschreibungen und Theorien von Künstlern, die hier weiterhelfen<br />

könnten.<br />

Wie kann ein solches Arbeitsfeld etabliert werden? Welche<br />

Rolle können die Künstler dabei spielen?<br />

Einerseits müssen natürlich die äußeren Bedingungen dafür<br />

geschaffen werden, andererseits müssen die Künstler<br />

sich ihrer Rolle bewusst sein und über ein Repertoire<br />

verfügen, diese Aufgabe zu meistern, so fordert Winfried<br />

Kneip 24<br />

24 Kneip, Winfried, ebd., 2006, S.11<br />

Ausgangslage<br />

35


3. Künstler<br />

Besonders im Schulbereich und auch in der Kulturarbeit<br />

mit Kindern und Jugendlichen könnten Künstler sich eigentlich<br />

fragen: warum braucht man uns? oder: was wollen<br />

die eigentlich (plötzlich) von uns? Ist das vereinbar mit<br />

dem, was wir als Künstler wollen?<br />

Die Debatte um kulturelle Bildung und Verschiebungen in<br />

der Kunstpädagogik machen es möglich, dass Künstler auf<br />

einmal eine Rolle übernehmen sollen in der Bildung und<br />

zwar höchstpersönlich.<br />

Die Definition der eigenen Rolle als Künstler in diesem<br />

Rahmen setzt jedoch wiederum eine gewisse Klarheit des<br />

eigenen Kunstentwurfes und –verständnisses voraus, sonst<br />

wird man es als Künstler schwer haben mit der eigenen<br />

Identität. Dieser Kunstentwurf, oder die Annäherung daran,<br />

erarbeitet man sich als Künstler meistens in der Studienzeit<br />

und nimmt möglicherweise wahr, dass er durch<br />

laufende Erneuerung und Veränderung charakterisiert ist.<br />

Die Auseinandersetzung über den Kunstbegriff führt man<br />

in der Hochschule meistens mit anderen Künstlern, Mitstudenten<br />

oder Professoren. Insofern bedeutet die oben<br />

formulierte Forderung für einen Künstler möglicherweise<br />

unbekanntes Terrain, denn dieses „Setting“, eine Klärung<br />

der eigenen Position mit Nicht-Künstlern, kommt wärend<br />

des Studiums meistens nicht vor. 25<br />

25 Ich fand mich beispielsweise in der anfangs erwähnten Fortbildung<br />

37


Künstler<br />

Neue Tätigkeitsfelder<br />

Viele Künstler wollen sich natürlich neue Tätigkeitsfelder<br />

erschließen, aus den unterschiedlichsten Gründen, allen<br />

voran auch finanziellen.<br />

Neben der Lehre gibt es hier auch andere Bereiche der<br />

Vermittlung für Künstler. Diese Bereiche sind im weitesten<br />

Sinne „Schnittstellen der kulturellen Bildung“.<br />

Im Rahmen der Patenschaftsinitiative der Offensive Kulturelle<br />

Bildung in Berlin sind Künstlerinnen und Künstler als Moderatoren<br />

tätig und vermitteln und betreuen Patenschaften<br />

zwischen Schulen und Kulturinstitutionen. Ihrem Selbstverständnis<br />

nach wollen sie eine Kooperation hinterfragend,<br />

innovativ, nicht zuletzt künstlerische Impulse vermittelnd<br />

begleiten und verhindern, das eingetretene Pfade gegangen<br />

werden. 26<br />

Warum lehren?<br />

Ein Einstieg in die Lehre zwingt einen endgültig, die eigene<br />

Praxis als Künstler auf die eine oder andere Art zu hinterfragen.<br />

Schon um diese Praxis zu vermitteln, ist das in ei-<br />

mit einer Gruppe von Grundschullehrern wieder und hatte erhebliche Schwierigkeiten,<br />

meinen Kreativitätsbegriff plausibel zu machen. Jeder Kollege hätte<br />

mir entweder widersprochen oder beigepflichtet, - in jedem Fall aber meine<br />

Position nachvollzogen.<br />

26 aus dem internen Protokoll des Treffens der Moderatoren-Gruppe<br />

der Patenschaften vom 1.6.2007<br />

38


Künstler<br />

nigen Fällen kaum zu vermeiden. Da das Kunst-Machen je<br />

nach eigenem Verständnis, eine sehr persönliche Arbeit ist,<br />

können die Vorstellungen im Bezug auf die eigene künstlerische<br />

Arbeit und die äußeren Anforderungen kollidieren<br />

und sich vermischen.<br />

Manch einer ist vor so einem unerwarteten „Angriff“<br />

schwer vereinbarer eigener und fremder Ansprüche nicht<br />

gefeit und denkt gar an persönliches Versagen.<br />

Möglicherweise prallt hier die Institution, für die man tätig<br />

ist und an deren Logik man gezwungen ist sich in der einen<br />

oder anderen Art anzupassen, auf die eigene Vorstellung<br />

von Kunst, die, wie sie auch immer aussieht, um den Begriff<br />

der Freiheit kreist. Institution und das Verständnis der<br />

künstlerischen Freiheit bilden dann einen Widerspruch 27<br />

Gleichzeitig stellt sich die Frage: Warum entscheidet man<br />

sich als Künstler für die Lehre? Möchte man sich all diesen<br />

Fragen stellen oder wird man von ihnen heimgesucht?<br />

27 Ich vermute, diese, teils intuitive Grundhaltung, geht zurück auf ein<br />

Verständnis des Wesens von Kunst, das seine Wurzeln in den 60iger und 70iger<br />

Jahren hat und bei dem die Institution die herrschenden Verhältnisse verkörpert,<br />

die es umzustürzen gilt.<br />

Vgl.: Joly, Jean-Baptiste, „Über die angebliche Freiheit der Kunst an Akademien“.<br />

In: Bär, Andreas und John, Rüdiger (Hg.), Die Akademie ist keine Akademie. [sic!],<br />

Stuttgart, 1999 (CD-ROM), Kapitel 02<br />

Oder Franz Erhard Walther: Ich misstraue der Situation. Kann es wirklich sein, dass<br />

wir zum ersten Mal in der Geschichte der Kunstakademien erleben, dass lebendige<br />

Entwürfe nicht gegen Institutionen, sondern auch in und mit ihnen entstehen? Die<br />

Geschichte lehrt ja allzu deutlich das Gegenteil. Immer ist die schöpferische Kraft aus<br />

einem „Gegen“ entstanden, (...)<br />

Walther, Franz Erhard, 1993, S.101<br />

39


Künstler<br />

Gehen wir wirklich davon aus, wir könnten etwas lehren<br />

(was?)? Wenn ja, warum wollen wir das tun, ist es ein missionarischer<br />

Geist, der uns antreibt? Maßloser Idealismus?<br />

Haben wir ein (berechtigtes) Sicherheitsbedürfnis und<br />

wollen regelmäßig Geld verdienen (ohne uns, mehr als es<br />

uns gut tut, mit dem Kunstmarkt einzulassen)?<br />

A) Jetzt sind wir also Professoren, nicht? Ich frage mich aber<br />

immer noch warum man diesen Job eigentlich macht, denn<br />

entweder ist man Idealist, Weltverbesserer oder man macht’s<br />

fürs Geld. Die Akademie ist dann also eine Heimstatt für Versager,<br />

die ängstlich an ihrem Job festhalten. So will ich einmal<br />

nicht enden.<br />

B) Wenn die Akademie aber Positionen fördert, die nicht vermarktbar<br />

sind, dann ist das doch in Ordnung.<br />

So lauten die einleitenden Sätze von Stephan Dillemuth zu<br />

einem Gespräch mit zwei Professorenkollegen.<br />

Jörn Zehe antwortet darauf prompt:<br />

Ich mach’s fürs Geld! Ich bin nämlich nicht in der Lage, meine<br />

künstlerische Position besonders gut vermarkten zu können.<br />

Aber das Gehalt ist nicht gerade so ausgelegt, dass ich daran<br />

ängstlich festhalten müsste. Zudem bin ich neu in dem Job.<br />

Statt auf LEHRerfahrungen Bezug zu nehmen, spräche ich hier<br />

lieber von meinen LERNerfahrungen, ich war ja einmal Kunst-<br />

40


student in Braunschweig... 28<br />

Künstler<br />

Neben der Geldfrage verweist seine Zehe auf seine eigenen<br />

Lernerfahrungen in seinem Studium im Sinne eines<br />

Transfers von diesen in die Lehre.<br />

Als ich das erste Mal vor einer Gruppe von Studenten<br />

stand, versuchte ich mich auch zu erinnern, wie es in<br />

meinem Studium zugegangen ist und auch, was ich davon<br />

schätze und einsetzen könne in meiner damaligen Lage.<br />

Einige meiner Interviewpartner (siehe z.B. Oliver Zwink)<br />

berichten, gezielt in im Bereich der Lehre arbeiten zu wollen,<br />

weil sich der in der eigenen Ausbildung begonnene<br />

Austausch so fortsetzen ließe.<br />

Ich saß dann zu Hause und schaute mir meine eigenen, mir<br />

verbliebenen frühen Öle an. „Was machst’n du das Kapielski?“<br />

– „Ich mach mir Gedanken!“: Sind so viele nachstrebende und<br />

bereits avancierte Künstler beisammen nicht ein in Konkurrenz<br />

gelähmter Klumpen fauler Drang? Oder mal soziobiologisch:<br />

Hat Alpha-Männchen ‚großer Künstler’ – hier als Lehrer<br />

– soziogenetisch sozusagen – also eher unbewusst wirksam<br />

– überhaupt Interesse, konkurrierenden Nachwuchs in die<br />

28 Dillemuth, Stephan, „Alte Säcke neue Säcke“. In: Bär, Andreas und<br />

John, Rüdiger (Hg.), 1999 (CD-ROM), Textbeitrag I, S.1<br />

Im Verlauf des Textes geht es um die Formen der Lehre an einer Kunsthochschule<br />

und den Charakter, den die Schule haben muss, um hierfür die Basis zu bieten.<br />

Dillemuth tauscht sich über diese Fragen mit einem Kollegen und dem Rektor<br />

der Kunsthochschule in Bergen, Norwegen, aus.<br />

41


Künstler<br />

harte Kunstarena nachzuhieven? ... Sollten wir Künstler – als<br />

Kunstlehrer – nicht erst mal einige Semester die Lehre lernen,<br />

vulgo: Kunstpädagogik studieren, um zu begreifen, was wir hier<br />

eigentlich tun oder besser täten? 29<br />

Thomas Kapielski beschreibt hier ein Problem, das auch<br />

im Verlauf von Stefan Dillemuths Gespräch zum Thema<br />

wird, nämlich, was der Künstler, der lehrt, eigentlich davon<br />

hat. Lässt man einmal die Geldfrage beiseite und misstraut<br />

rein selbstlosen Motiven, was bleibt dann übrig?<br />

Vom Austausch war oben die Rede.<br />

In anderen Quellen wird noch dezidierter beschreiben,<br />

wie sich die Lehre konsequenterweise aus der eigenen<br />

künstlerischen Praxis ableitet. Da diese auf kommunikativen<br />

und kollektiven Prozessen basiere, hätte sich eine Erweiterung<br />

in Richtung Bildungsarbeit [Arbeit mit Schülern] als logische<br />

Folge ergeben. 30<br />

Bevor ich begann mich für eine Tätigkeit in der Lehre<br />

zu interessieren, gab es bei mir eine Phase in der meine<br />

Arbeit sich zunehmend auf Kooperationen mit anderen<br />

Künstlern, Schriftstellern, Komponisten usw. konzentrierte.<br />

Die Frage, inwieweit meine individuelle künstlerische<br />

Arbeit dabei sichtbar bleibt, interessierte mich in<br />

29 Kapielski, Thomas, „Einige klare Unklarheiten und unklare Klarheiten“.<br />

In: Schwarz, Michael (Hg.), Köln, 1999, S.121<br />

30 Mörsch, Carmen, „.(lacht)“, In: Lüth, Nanna und dies. (Hg.), 2005,<br />

S.66<br />

42


Künstler<br />

dieser Phase kaum. Oder anders gesagt, es interessierte<br />

mich insofern, als dass die Aufmerksamkeit, die einem zuteil<br />

wird, natürlich der Motor für weitere, interessante<br />

Arbeitsmöglichkeiten ist. Bei meinem persönlichen Ansatz<br />

spielt also etwas eine Rolle, das sich als das „kooperative<br />

Modell“ bezeichnen ließe. Ich habe es daher in der Lehre<br />

immer versucht zu unterstützen, wenn Ansätze in der Zusammenarbeit<br />

entstehen, die darauf hindeuten, dass genau<br />

durch diese Zusammenarbeit etwas Neues entsteht. 31<br />

Auch andere Künstler berichten mir, wie befriedigend sie<br />

es finden, wenn sie feststellen, etwas bewegen zu können,<br />

bei anderen, bei den Schülern oder Studenten. Die persönliche<br />

Bestätigung, die man hieraus vielleicht ziehen mag<br />

möchte ich erwähnen, aber nicht vertiefen.<br />

Eine allgemeine Überlegung fasst diese unterschiedlichen<br />

Punkte zusammen:<br />

Auch Künstler suchen Austausch. Wenn man dabei an<br />

die Grenzen der Disziplin stößt umso besser. So gesehen<br />

kann das Interesse von Künstlern an der Lehre gerade<br />

in „nichtkünstlerischen“ Disziplinen auch als „Kontaktaufnahme“<br />

beschrieben werden. Als ein Interesse sich miteinander<br />

auszutauschen und in diesem Sinne die eigene<br />

Tätigkeit oder Aspekte von ihr zu vermitteln und auch für<br />

31 Der nächste Schritt war ein quasi didaktischer, nämlich aus in der<br />

eigenen Arbeit erprobten Formen der Kooperation Settings zu entwickeln, die<br />

Spielanleitungen ähnlich, Kindern und Erwachsenen das Feld zur kreativen Interaktion<br />

eröffnen.<br />

43


Künstler<br />

andere „urbar“ zu machen. Im Gegenzug erhielte man das<br />

gleiche von der anderen Seite. Natürlich können sich hierbei<br />

die Konturen verwischen, ständige Neudefinitionen<br />

sind Alltag.<br />

Findet man sich als Künstler im Kontext der Lehre wieder,<br />

- wie vereinbart man die Lehre mit der eigenen Arbeit?<br />

Eindeutig ist, dass Künstler vieles nur dann vermitteln<br />

können, wenn sie gleichzeitig Künstler bleiben. Führt<br />

das zu einem Spagat alla George Grosz (s.o.) oder gibt es<br />

Möglichkeiten und Wege zur Vereinbarkeit von beidem?<br />

Welche Modelle gibt es, die beides vereinbar werden<br />

lassen? 32<br />

Ich richte meinen Focus unter anderem auf Künstler, die<br />

in Zusammenhängen lehren, die keine Kunstkontexte sind.<br />

Insbesondere handelt es sich dabei um Künstler, die an<br />

Schulen unterrichten oder an anderen Fakultäten von<br />

Hochschulen, wie beispielsweise Architektur oder Design.<br />

Hier wird der Vermittlungsaspekt besonders deutlich,<br />

denn die sie müssen sich in einem kunstfremden Kontext<br />

definieren und behaupten. Der Erfolg ist u.a. dadurch ablesbar,<br />

ob den Schülern oder Studenten etwas vermittelt<br />

wird, das mit künstlerischer Praxis bezeichnet werden<br />

32 Einige Künstler, mit denen ich gesprochen habe, behaupten, beide<br />

Bereiche seien bei ihnen strickt getrennt. Ich glaube natürlich, dass sie beides<br />

getrennt betrachten, trotzdem frage ich mich, wie das praktisch geht.<br />

44


kann und auch, ob der Austausch und die interdisziplinäre<br />

Kooperation mit den Kollegen gelingt. Dieses „Etwas“<br />

muss kunstspezifisch sein und trotzdem für die Studenten<br />

oder Schüler in ihre Zusammenhänge übertragbar und<br />

dort anwendbar sein, ohne dass sie deswegen zu kleinen<br />

Künstlern werden müssen.<br />

Institutionen<br />

Künstler<br />

Viele Künstler äußern, dass sie Schwierigkeiten mit der<br />

Institution haben oder hatten, in der sie lehren, mich<br />

schließe ich hier mit ein. Die Strukturen, Kollegen, das Gebäude<br />

und viele Details verbreiten eine Atmosphäre, die<br />

es einem schwer macht. Nicht gerade leicht ist es auch,<br />

der Systematik und Wissenschaftlichkeit anderer Disziplinen<br />

etwas entgegen zu setzen. Die Schulen sind es, die hier<br />

wieder besonders hervorstechen. Hinzu kommt hier die<br />

ganze Funktionsweise von Schule, mit ihren didaktischen<br />

Konzepten und ihrer hermetischen Zeitstruktur. Neben<br />

den faktischen Schwierigkeiten existiert auch noch die<br />

Komponente der atmosphärischen Abgrenzungsprobleme.<br />

Instinktiv passen wir uns der Situation und der Institution<br />

an und schlüpfen in die Lehrerrolle.<br />

Die Positionsbestimmung ist zuweilen so diffus, das die<br />

Künstler als solche kaum noch zu erkennen sind und ihre<br />

Identität und damit auch ihre Befähigung zu Institutionskritik<br />

verlieren. Damit büßen sie jedoch gleichzeitig und<br />

45


Künstler<br />

schlagartig ihre Attraktivität für Aussenstehende ein, die<br />

sie ja eigentlich dafür qualifiziert in der Lehre tätig zu<br />

sein.<br />

Aber wie sich behaupten, wenn man den Mechanismen<br />

ausgeliefert ist? – ich erinnere mich an meine Erfahrungen<br />

in der Schule und daran, wie ratlos ich war über das Unverständnis,<br />

das aus meiner Sicht um mich herum herrschte<br />

- und kein eigenes Modell im Bezug auf das Künstlersein<br />

entwickelt hat, das Stand hält?<br />

In dieser Hinsicht ist auch die Skepsis von Kollegen zu<br />

verstehen – und ich selbst habe mich auch schon dabei<br />

ertappt - die einen, wenn man in diesem Feld tätig ist, nicht<br />

mehr so recht als Kollegen ernst nehmen.<br />

Hier schließt sich ein Kreis, den auch Carmen Mörsch in<br />

der Auswertung von Gesprächen mit am Modellprojekt<br />

beteiligten Künstlern beschreibt:<br />

Dies korrespondiert mit der Tatsache, dass an deutschen Kunstakademien<br />

die Arbeit im Bildungsbereich – trotz der wachsenden<br />

Zahl an Gegenbeispielen – weiterhin nicht als dem Beruf<br />

der KünstlerIn zugehöriger (Erwerbs-)Tätigkeitsbereich begriffen<br />

wird. Im Gegenteil wird diese Arbeit weiterhin als zur Tätigkeit<br />

der KünstlerInnen oppositionell entworfen, weil sie als nicht<br />

mit dem offenbar weiterhin als Mainstream dominierenden<br />

Konzept einer autonomen Kunst in Einklang zu bringen gilt.<br />

[Fn.: KünstlerInnen, die im Bildungsbereich arbeiten, bieten aus<br />

46


dieser Perspektive also nicht den Beweis, dass es für KünstlerInnen<br />

möglich ist, das zu tun, sondern hören qua Definitionem<br />

auf, KünstlerInnen zu sein.] Infolge dessen existieren weder<br />

ein ausgewiesenes Arbeitsfeld noch etablierte Ausbildungswege,<br />

die es an Akademien ausgebildeten KünstlerInnen ermöglichen<br />

würden, Arbeit in Schulen und anderen Bildungssettings als Teil<br />

ihres Berufes zu begreifen. 33<br />

Carmen Mörsch führt die Problematik auf das Berufsbild<br />

und eine Vorstellung autonomer Kunst zurück. Nach der<br />

hier beschriebenen Logik ist der Künstler kein Künstler<br />

mehr, wenn er sich in dieses Gebiet begibt, das eine Opposition<br />

zur Kunst darstellt, bzw. das die Freiheit der Kunst<br />

Mechanismen anderer Systeme unterwirft. Dass dies so<br />

ist, wird auch in der Pädagogik festgestellt (s.o.). Bei der<br />

Betrachtung der Akademien, also der Kombination zwischen<br />

Kunst und Institution unter einem Dach deutet sich<br />

die Problematik ebenfalls bereits an (s.o.),<br />

Trotzdem bleibt es bemerkenswert, dass ein Künstler sein<br />

Künstlersein verliert, wenn er Kunst im Sinne der Lehre<br />

vermittelt. Diese Logik greift jedoch auch in erster Linie<br />

im Schulbereich und im Zusammenhang mit jungen, mäßig<br />

erfolgreichen Künstlern. Hat ein Künstler sein Künstlersein<br />

durch öffentliche Anerkennung und Berühmtheit<br />

33 Mörsch, Carmen, „.(lacht)“, In: Lüth, Nanna und dies. (Hg.), 2005,<br />

S.66<br />

Künstler<br />

47


Künstler<br />

unter Beweis gestellt und möglichst ein gewisses Alter<br />

erreicht, kann er sich die Lehre wieder leisten, denn er<br />

ist vor der Vereinnahmung durch die Institution sicher.<br />

Dann verschlägt es ihn in aller Regel auch nicht in eine<br />

Grundschule, sondern an eine Kunstakademie, und zwar<br />

als Professor.<br />

Ich gehe von der Annahme aus, dass die Probleme sich<br />

nicht begrenzen lassen auf die Definition oder Anerkennung<br />

des Tätigkeitsbereiches und einen allgemeinen Begriff<br />

von autonomer Kunst oder Freiheit der Kunst. Tatsächlich<br />

berechtigt die oben beschriebene Diffusität der eigenen<br />

Position, die ich selbst auch bei mir bemerkt habe, zu Vorbehalten<br />

und Kritik. Oder andersherum, wenn man nicht<br />

ganz genau weiß, was für eigene(!) Interessen hinter dem<br />

Interesse an der Lehre stecken, sind die Schwierigkeiten<br />

vorprogrammiert.<br />

Auf der Suche nach einer genaueren Bestimmung dessen,<br />

was uns geprägt hat und uns ausmacht und was wir<br />

tendenziell auch weiter geben, habe ich versucht, mich an<br />

meine Studienzeit zu erinnern, wie meine Kollegen es teilweise<br />

auch tun.<br />

Die Kunsthochschule und die Leere<br />

Einen ersten Hinweis hierzu habe ich in einem Text von<br />

Dellbrügge & de Moll von 1999 gefunden, die sich auf das<br />

48


zurück besinnen, was ihnen in ihrem Studium vermittelt<br />

wurde.<br />

Die restlichen 99% der Akademieabsolventen [die keine bekannten<br />

Künstler werden] haben aber möglicherweise gelernt,<br />

mit Zeit umzugehen, mit der Absenz von Aufgabenstellungen<br />

und Leistungsnachweisen. Das ‚Zurückgeworfensein auf<br />

sich selbst’ wirkt auf hochmotivierte Schulabgänger zu Beginn<br />

des Kunststudiums wie ein Schock, den es in einer mindestens<br />

vierjährigen Therapie zu bewältigen gilt. Geheilt werden sie ins<br />

Leben entlassen mit der Erfahrung einer intrinsischen Tätigkeit,<br />

das heißt einer Beschäftigung, die selbstmotivierend und<br />

selbstbelohnend wirkt. Eine positive Konnotation dieser ‚Leere’<br />

ist ein einer gesellschaftlichen Realität, deren Normalfall die Arbeitslosigkeit<br />

sein wird, nicht zu unterschätzen. (...) Ist nicht die<br />

Verschulung der Akademien, die Einführung von Prüfungen und<br />

Diplomen gerade der falsche Weg und geht von einem fiktiven<br />

Arbeitsmarkt aus, auf dem gute Zeugnisse berufliche Stellungen<br />

sichern? Statt Ordnungen aus anderen Berufsbildern zu<br />

simulieren, sollte die Akademie sich auf ihre ureigensten Qualitäten<br />

besinnen. 34<br />

Überraschenderweise beinhaltet diese Stellungnahme von<br />

Künstlern bereits eine ähnliche Argumentation, wie sie in<br />

der Debatte um kulturelle Bildung hervortritt, nur aus ei-<br />

34 Dellbrügge & de Moll, „Die gute Leere“. In: Schwarz, Michael (Hg.),<br />

1999, S.151<br />

Künstler<br />

49


Künstler<br />

ner ganz anderen Richtung heraus entwickelt.<br />

Tatsächlich könnte es sein, dass einiges von dem, was<br />

nun als künstlerische Kompetenz zur Flexibilisierung und<br />

Veränderung von Schule geeignet scheint, in den Kunsthochschulen<br />

entstanden, oder zumindest befördert worden<br />

ist. Auch ich erinnere mich aus meinem Studium an<br />

jenen Schock, der genau aus der Abwesenheit einer vorgegebenen<br />

Struktur entstand, Horror und totaler Luxus<br />

gleichermaßen.<br />

Paul Uwe Dreyer fasst diesen Leerlauf von der gegenüber<br />

liegenden Seite, also nicht von der des (Ex-)Studenten,<br />

sondern hier von der des Rektors der Staatlichen Akademie<br />

der Bildenden Künste Stuttgart aus, mit dem Begriff<br />

der Voraussetzungslosigkeit zusammen. Deutsche Kunsthochschulen<br />

würden Voraussetzungslosigkeit im positiven<br />

Sinn schaffen, so formuliert er auf einem Kolloquium in<br />

Stuttgart. Werkstätten und Atelierflächen bilden hierbei<br />

den physischen Raum, der zu geistigem Raum werden<br />

könne. Das Tun werde begriffen, als sich ein Bild von einer<br />

Sache machen. Die Bedingung hierfür wäre eine Voraussetzungslosigkeit,<br />

die es ja eigentlich (sonst) nicht gäbe. 35<br />

35 Dreyer, Paul Uwe, mündlicher Diskussionsbeitrag. In: Bär, Andreas<br />

und John, Rüdiger (Hg.), 1999 (CD-ROM), Kapitel 05<br />

Dreyer formuliert in einem Nebensatz selbst, dass es diese Voraussetzungslosigkeit<br />

eigentlich ja nicht gäbe, sie in der Realität nicht vorkäme. Die Kunsthochschulen<br />

böten demnach also einen Rahmen, ein „Setting“, eine künstliche Bedingung<br />

an, der wie eine „Spielwiese“ betrachtet werden könnte. Der Begriff des<br />

50


Künstler<br />

Bereits der Einleitungsvortrag derselben Veranstaltung<br />

trägt den Titel Über die Phänomenologie des Herumhängens<br />

und auch Dellbrügge und de Moll beenden ihren Beitrag<br />

mit Gedanken zur Muße, als einer Grundvoraussetzung für<br />

Kreativität.<br />

Diesen Statements zur Folge, ließe sich die viel kritisierte<br />

Hochschule, nicht nur als ein Ort beschreiben, an dem<br />

man als Kunststudent (doch) etwas lernt, trotz Institution,<br />

Akademismus Meisterklassenprinzip und was alles noch<br />

an Kritikpunkten zu erwähnen wäre, sondern auch als ein<br />

Ort offenbar auch noch sehr rare und zurzeit wertvolle<br />

Kompetenzen ausgebildet oder gefördert werden.<br />

Franz Erhard Walther beschreibt ein vermutlich ähnliches<br />

Phänomen als äußerst fragilen Raum, der immer wieder neu<br />

Spiels ließe sich hier möglicherweise verwenden, in dem Sinne, wie ihn Thomas<br />

Lehnerer verwendet hat, um seine These „Empfinden aus Freiheit“ zu begründen,<br />

wenn der Zusammenhang hier auch ein äußerer und kein innerer ist. (siehe<br />

Lehnerer, Thomas, Methode der Kunst, Verlag Königshausen und Neumann, Würzburg,<br />

1994, S.63ff.). Der Rahmen, den die Akademien bieten, wäre demnach als<br />

Kontext, Rahmen, Regelwerk oder Setting des Spiels interpretierbar. Der „Rahmen“<br />

entscheidet darüber, welche Art von Spiel gespielt wird. (ebd. S.69) Wie bei<br />

einem Spiel kennzeichnen dann jedoch Zweckfreiheit und Ergebnisoffenheit die<br />

Bewegungsform des Spiels bzw. des Studiums. Das Ergebnis wäre unvorhersehbar<br />

und wie bei einem Spiel nicht durch die Summe der äußeren Faktoren<br />

determinierbar. Lehnerer geht es mit dem Begriff der „Freiheit“ ausdrücklich<br />

um die Freiheit des Spiels, nicht um die des Subjektes, also des Spielers oder hier<br />

des Studenten. Als ein Ziel des Studiums könnte dieser Argumentation zur Folge<br />

betrachtet werden, der Student sich ein einem bestimmten Setting mit der Rolle<br />

des „Spielers“ vertraut macht.<br />

51


Künstler<br />

definiert werden muss, damit jenes offene Klima herrschen<br />

könne, dass unerlässlich für die Auseinandersetzung mit dem<br />

Phänomen „Kunst“ sei, so wie er sie in seiner Lehre praktiziere.<br />

Die Bestimmung des Niveaus muss ungestört bleiben.<br />

Hier können sogar Lehrer ohne Werk wirksam sein. 36<br />

Parallel zur Debatte um kulturelle Bildung wird jedoch<br />

am Umbau der Hochschulen gearbeitet. Im Rahmen von<br />

allgemeinen Reformen wird versucht, die Kunsthochschulen<br />

umzustrukturieren, zu modularisieren und mit außerhalb<br />

des Bereiches entwickelten Kriterien zu evaluieren.<br />

„Hochschulgesetzgebung“ stehe „kunstadäquater“ Praxis<br />

entgegen stellt Dreyer fest; die Grenzen der von innen<br />

kommenden Veränderungen der Kunsthochschulen würden<br />

dort erreicht, wo sie mit allgemeinen, vergleichenden<br />

Bewertungsmaßstäben für Hochschulen beurteilt würden,<br />

die sich auf quantitativ und qualitative beschreibbare<br />

Lehrinhalten bezögen. 37<br />

Man will nicht zur Kenntnis nehmen, dass künstlerische Arbeit,<br />

die diesen Namen verdient, den Gegenstand ihrer Praxis im Akt<br />

seiner Setzung jeweils neu bestimmt. Sie kann deshalb in einen<br />

Lehr-Kanon gar nicht übersetzt werden, ohne an Authentizität<br />

zu verlieren. Jedes Curriculum käme zwangsläufig verspätet<br />

36 Walther, Franz Erhard, 1993, S.7<br />

37 Dreyer, Paul Uwe, mündlicher Diskussionsbeitrag. In: Bär, Andreas<br />

und John, Rüdiger (Hg.), 1999 (CD-ROM), Kapitel 11<br />

52


hinterher und würde damit die Kunst verfehlen, so Hans-<br />

Joachim Lenger. Da Wissenschaftspolitiker auch Kunststudiengänge<br />

nach ihrer Effizienz evaluieren möchten, erhöben<br />

sie jedoch diese Forderung und hielten den Hinweis<br />

auf die Unmöglichkeit einer solchen Evaluierung (...) für eine<br />

Schutzbehauptung von Künstlern, die sich vorgegebenen Standards<br />

(...) nicht unterwerfen wollen. 38<br />

Michael Glasmeier und Elke Bippus kommen zu einem<br />

ähnlichen Schluss:<br />

Gerade in Deutschland ist die Ausbildung von Künstlerinnen<br />

und Künstlern besonders erfolgreich, was sich an der Reputation<br />

und Rezeption deutscher Kunst im Ausland ablesen lässt,<br />

Umso unverständlicher ist der Versuch einiger Kultusminister<br />

der Länder, durch Stellenkürzungen oder Bachelor- und Masterdiskussionen<br />

das kreative Potential zugunsten der Natur- und<br />

Wirtschaftswissenschaften zu verschieben. Auch Akademien<br />

und Kunsthochschulen werden inzwischen mit Begriffen wie<br />

Synergie, Drittmittel, Exzellenz, Zielvereinbarungen, Effizienz,<br />

Evaluierung, Leuchtturm, Alleinstellungsmerkmal, etc. gequält.<br />

Dabei wird schlicht die Tatsache geleugnet, dass sich Künstler<br />

und ihre Ausbildung weder mit üblichen Leistungsstandards<br />

noch unter ökonomischen Gesichtspunkten messen lassen. 39<br />

38 Franz Erhard Walther und Hans Joachim Lenger im Gespräch. In: Walther,<br />

Franz Erhard, 1993, S.33<br />

39 Bippus, Elke und Glasmeier, Michael: „Theorien aus der Praxis“. In:<br />

dies. (Hg.), 2007, S.13<br />

Künstler<br />

53


Künstler<br />

Die Feststellung, dass genau jene Kompetenzen aber in<br />

der alten und sicherlich reformbedürftigen Hochschule<br />

ausgebildet wurden, sollte eigentlich geeignet sein, den<br />

Blick auf diese Reformen zu verändern. Nicht alle Offenheit<br />

und Strukturlosigkeit ist schlecht oder aber: wenn<br />

keine Freiräume da sind, kann nichts entstehen. Möglicherweise<br />

käme genau jene Ressource, aus der jetzt zu schöpfen<br />

versucht wird, mit dem Umbau der Kunsthochschulen<br />

zum versiegen oder würde sich in einer Art Immigration<br />

wieder finden.<br />

Lehrende Künstler in Kunsthochschulen<br />

Die Lehre in einer Kunsthochschule ist darauf ausgerichtet,<br />

angehende Künstler „auszubilden“, sofern so etwas<br />

möglich ist, bzw. ihnen einen Rahmen und ein Forum für<br />

ihre Entwicklung zu bieten. Für die Lehre bedeutet das,<br />

dass sie sich auf einem kunstimmanenten Feld bewegt,<br />

das nach dem gängigen Modell nicht unbedingt Kommunikation<br />

und Auseinandersetzung mit der Kunst fremden<br />

Strukturen (wie z.B. Schule) voraussetzt, stattdessen aber<br />

zwingend eine eigene Idee von Kunst:<br />

Künstlerlehrer, zeigt euer eigenes Modell, zeigt eure eigene<br />

Kunst! Wer nicht einen eigenen Kunstentwurf gewagt hat,<br />

braucht als Lehrender doch gar nicht anzutreten. So fordert<br />

54


Franz Erhard Walther. 40 Dieser Kunstentwurf könne jedoch<br />

nur in der Reibung mit dem Kontext, historisch wie<br />

gegenwärtig, entstehen. So betrachtet ergibt sich also doch<br />

eine Auseinandersetzung mit anders gearteten Strukturen,<br />

jedoch gewissermaßen von innen heraus und nicht als Vorbedingung.<br />

Es scheint also eine relativ direkte Umsetzung<br />

eigener gemachter Erfahrung in der Lehre möglich, die<br />

keine vorherige äußere Rechtfertigung braucht.<br />

Normalerweise gehen die Erfahrungen aus der eigenen<br />

Studienzeit von der Anordnung her auf das „Meisterklassenmodell“<br />

zurück, d.h. man studiert in einer Klasse, bei<br />

einem Professor. So war es in meinem Studium, - und der<br />

Besuch von anderen Klassenbesprechungen war tatsächlich,<br />

so weiß ich aus Erfahrung, nicht immer gerne gesehen.<br />

Was mir in Weimar begegnete war letztendlich, trotz des<br />

Projektstudiums, etwas Ähnliches. Die Projekte mutierten,<br />

wie beschrieben, zu Meisterprojekten. Die Kritik hieran<br />

ist die dem Meisterprinzip folgende Ausrichtung auf den<br />

Professor, in dessen Augen man bestehen muss. Dies steht<br />

im Widerspruch zur Selbstverantwortung der Kunst. Eine<br />

Alternative hierzu wäre die Selbstorganisation, also z.B.<br />

freie Klassen, bzw. eine Organisationsform, bei der der Unterschied<br />

zwischen Lehrenden und Lernenden vom Alter<br />

her und durch temporäre Lehrverpflichtungen möglichst<br />

40 Walther, Franz Erhard, 1993, S.25<br />

Künstler<br />

55


Künstler<br />

gering ist, eine so genannte „Akademie von unten“. 41<br />

Als künstlerischer Mitarbeiter befindet man sich sozusagen<br />

dazwischen. Man ist den Studenten altersmäßig noch<br />

recht nah, untersteht aber gleichzeitig einem Professor.<br />

Zwei meiner Gesprächspartner äußern, dass das offene<br />

Forum ihrem Verständnis von Lehre am ehesten entspricht.<br />

Beide verweisen in diesem Zusammenhang auf positive<br />

Erfahrung während ihrer eigenen Studienzeit. Diese<br />

strukturlos erscheinende und adidaktische Form der Lehre<br />

kommt dem eigenen Kunstmachen am nächsten. Abgesehen<br />

davon, dass es kein wirkliches Thema gibt, außer der<br />

möglichst eigenständig entwickelten Arbeit, braucht diese<br />

Form auch nicht zwingend eine Ausrichtung auf den Lehrenden.<br />

Die (Kunst-)Sache kann im Zentrum stehen.<br />

Man selbst ist in dem Sinne kein Meister und kann aus<br />

dieser Position heraus Selbstorganisation sehr gut mit<br />

initiieren und eigene, noch frische Erfahrungen aus dem<br />

Studium einbringen. Verständnislose Professoren und hinfällige<br />

Strukturen können sich hierbei geradezu als Wind<br />

in den Segeln erweisen. Das kann natürlich die Zusammenarbeit<br />

mit dem Professor belasten, das ist bei meinen<br />

Gesprächspartnern aber gar nicht so häufig der Fall, wie<br />

man vermuten würde.<br />

41 siehe z.B. Dillemuth, Stephan, „Alte Säcke neue Säcke“. In: Bär, Andreas<br />

und John, Rüdiger (Hg.), 1999 (CD-ROM), Textbeitrag I, S.6<br />

56


Künstler<br />

Was für eine Bilanz ergibt sich für den lehrenden<br />

Künstler?<br />

Dillemuth: (...) Wohin geht ihr Ehrgeiz als Professor?<br />

Zehe: Für den Einsatz den ich bereit bin zu geben, möchte<br />

ich etwas zurück haben. Ich will mich als Teil eines lebendigen<br />

Systems fühlen, das es sich leistet sich selbst in Zweifel zu<br />

ziehen. (...) 42<br />

In diesem Sinn äußern sich auch viele meiner Gesprächspartner:<br />

der Input, der von den Studenten käme, wäre sehr<br />

anregend und fordere die ständige Reflexion des eigenen<br />

Standpunktes.<br />

Im weiteren Verlauf des Gespräches antwortet Zehe auf<br />

die Frage, ob er bei gleichem Einkommen immer noch<br />

unterrichten würde, dass ihm seine eigene Arbeit dann<br />

wichtiger wäre, es sei denn, er könne sie als Projekt formulieren.<br />

Als Projekt wird hier eine Art künstlerische Forschung<br />

bezeichnet, deren Form noch zu definieren wäre.<br />

Es wird jedoch deutlich, das Zehe ein Modell vor Augen<br />

hat, bei dem er als Professor den Forschungsplan entwirft,<br />

der auf allen Ebenen Lernpotential für die Studenten anbieten<br />

solle. Von Jung, einem seiner beiden Gesprächspartner,<br />

kommt sofort der Einwand, dies wäre, doch nun<br />

42 Dillemuth, Stephan, „Alte Säcke neue Säcke“. In: Bär, Andreas und<br />

John, Rüdiger (Hg.), 1999 (CD-ROM), Textbeitrag I, S.6<br />

57


Künstler<br />

das reine Meister-Schüler-Rezept. Ich würde sogar noch<br />

einen Schritt weitergehen: das „Meisterklassenprinzip“<br />

kann man als Student solange mitmachen wie es einem<br />

nützt und sich gegebenenfalls davon „emanzipieren“. Die<br />

hier skizzierte Form beinhaltet die Gefahr, als Student<br />

auch noch in den Dienst des Meisters gestellt zu werden,<br />

was in einem Zuge die Abhängigkeit des Studenten<br />

und die Selbstherrlichkeit des Professors vergrößert und<br />

nicht eben selbst bestimmtes und organisiertes Arbeiten<br />

fördert.<br />

Als künstlerische Mitarbeiterin habe ich eine Erfahrung gemacht,<br />

die in diese Richtung ging: Die Beschreibung meines<br />

künstlerischen Vorhabens, mit dem ich mich im Rahmen<br />

meiner Tätigkeit weiterqualifizieren sollte und die Teil des<br />

Arbeitsvertrages war, sollte sich nach Wunsch meiner<br />

vorgesetzten Professorin auf ihr Projekt beziehen, das sie<br />

auch zu einem Teil ihrer Lehre gemacht hatte. Selbstverständlich<br />

konnte ich damit so nicht einverstanden sein.<br />

Bevor Modelle dieser Art zu Ende gedacht werden können,<br />

müsste die Frage geklärt werden, was „künstlerische<br />

Forschung“ eigentlich letztendlich ist und wie sie sich von<br />

der wissenschaftlichen Forschung abgrenzt. Für ein wissenschaftliches<br />

Forschungsvorhaben kann ein Curriculum<br />

entwickelt werden, das ein klar anerkanntes Ziel beinhaltet.<br />

Künstlerische Arbeit basiert auf sehr individuellen Ansätzen<br />

und Prozessen, aus denen nicht so ohne weiteres<br />

in Analogie hierzu allgemein anerkannte Forschungsziele<br />

58


abgeleitet werden können, denen man bereit wäre , sich<br />

als Künstler unterzuordnen.<br />

Schule<br />

Auf die Problematik der Institution im Zusammenhang mit<br />

der Arbeit in der Schule bin ich bereits eingegangen. Ich<br />

hab versucht zu beschreiben, wie sich aus der Vereinnahmung<br />

des Künstlers durch die Institution eine Lage ergibt,<br />

in der der Künstler nicht mehr als Künstler erkennbar<br />

bleibt, und damit aber auch seine Funktion im Kontext<br />

Schule nicht erfüllen kann, die durch Kneip beispielsweise<br />

damit beschrieben wurde, dass ein Widerspruch im Kernsektor<br />

von Schule zu implantieren wäre (s.o. Die historische<br />

Chance). 43<br />

Worin liegt dieser Widerspruch? Kneip beschreibt dies mit<br />

der Formel Schule spricht Curriculum und Kunst das Unwägbare.<br />

So plakativ aufbereitet ergibt sich hieraus die Frage:<br />

Was genau bedeutet das oder wie funktioniert Schule und<br />

wie hingegen Kunst?<br />

Die Frage, wie Schule funktioniert, wäre sicherlich leichter<br />

zu beantworten. Da das eigentlich nicht in mein Gebiet<br />

gehört möchte ich an dieser Stelle zwei Beschreibungen<br />

exemplarisch zitieren:<br />

43 Kneip, Winfried, ebd., 2006, S.11<br />

Künstler<br />

59


Künstler<br />

Dieser fragend entwickelte Unterricht, - man nennt es übrigens<br />

auch Osterhasenpädagogik; - der Lehrer versteckt das Wissen<br />

und die Schüler sollen es finden - so wird häufig Wissen in der<br />

Schule erworben. So dass ich zwar die Aufgaben, die mir der<br />

Lehrer vorgegeben hat, kann, wenn sie genug geübt wurden,<br />

aber sobald die Aufgaben, dass haben ja PISA und TIMSS zu<br />

Tage gebracht, von dem üblichen Format in der Schule abweichen,<br />

können viele deutsche Schüler die Aufgaben nicht mehr<br />

lösen, einfach weil das Wissen träge abgespeichert und unflexibel<br />

ist. Es war immer nur auf eine bestimmte Anforderung<br />

zugeschnitten. 44<br />

Dieser Beschreibung der Wissensvermittlung in Schulen<br />

der Bildungsforscherin Elisabeth Stern stelle ich Überlegungen<br />

von Heinz von Foerster über praktizierte Formen<br />

des Lernens gegenüber:<br />

Eindeutig sind wir als Kinder unserer Kultur in triviale Systeme<br />

vernarrt, und wann immer die Dinge nicht so funktionieren, wie<br />

man es erwartet, werden wir versuchen, sie zu trivialisieren:<br />

erst dann werden sie voraussagbar.<br />

Ich habe dieses Thema [die Theorie des Lernens, Lethologie]<br />

recht ausgiebig behandelt, weil ich in manchen Stunden<br />

des Zweifels ahne, dass aufgrund mangelnden Verständnisses<br />

44 Auszug aus einem Interview mit Prof. Dr. Elisabeth Stern (Bildungsforscherin<br />

am Max-Planck-Institut). In: Kahl, Reinhard, Treibhäuser der Zukunft.<br />

Dokumentarfilm, 115 min., Archiv der Zukunft, 2004, Kapitel 4, ca. 9.34 min.<br />

60


Künstler<br />

darüber, wie man mit einem der nicht-trivialsten, schöpferischsten,<br />

erstaunlichsten, unvoraussagbarsten Geschöpfen, die mir<br />

bekannt sind, nämlich unseren Kindern, umgehen soll, einige<br />

Ausbildungssysteme Lernen mit Trivialisierung verwechseln. 45<br />

Ein systemisch-konstruktivistisches Lernmodell, das sich<br />

auf Heinz von Förster bezieht, bedient sich konzeptioneller<br />

„Maschinen“, um den Vorgang des Lernens zu beschreiben.<br />

Heinz von Förster unterscheidet zwischen trivialen<br />

und nicht-trivialen Maschinen. Die Arbeitsweise der<br />

Maschine lässt sich nur durch die Betrachtung von ihrem<br />

In- und Output ermitteln. Bei trivialen Maschinen ist die<br />

Operationsregel, nach der sie arbeiten, einfach im Sinne<br />

einer mathematischen Gleichung mit Unbekannten zu ermitteln.<br />

Die Funktionsweise einer nicht-trivialen Maschine<br />

ist hingegen nicht vorhersagbar, weil sich die Regeln der<br />

Transformation entsprechend dem inneren Zustand der<br />

Maschine ändern. 46<br />

45 Weiter heißt es: Beim Lernen wächst die Anzahl interner Zustände und<br />

die semantische Relationsstruktur (das „Programm“) wird bereichert. Trivialisierung ist<br />

dagegen Amputation interner Zustände, Blockierung der Entwicklung unabhängigen<br />

Denkens und Belohnung von vorschriftsmäßigem, also voraussagbarem Verhalten: „6“<br />

ist die Antwort auf die Frage „Was ist 2x3?“; unannehmbar wären die Antworten: „eine<br />

gerade Zahl“, „3x2“, „mein Alter“ und andere.<br />

Foerster, Heinz von, KybernEthik. Merve Verlag, Berlin, 1993, S.144f.<br />

46 Heinz von Foerster weist mithilfe der Kombinatorik nach, dass die<br />

Anzahl der infrage kommenden Möglichkeiten für diesen Fall zu groß ist, als dass<br />

sie eindeutige Rückschlüsse auf die Funktionsweise der Maschine zuließe und sie<br />

somit nicht-trivial funktioniert.<br />

vgl. „Beiträge zur Diskussion einer Lerntheorie“. http://www.uni-koblenz.de/<br />

~odsjgroe/konstruktivismus/lerntheo.htm<br />

61


Künstler<br />

Beide Aussagen beschreiben ein System, dass dem Wesen<br />

von Kunst diametral entgegen gesetzt zu sein scheint.<br />

Kunst kann, egal welche Definitionen man hinzu zieht,<br />

nicht trivialen Prinzipien gehorchen.<br />

Den Ausgangssatz Schule spricht Curriculum und Kunst das<br />

Unwägbare könnte man unter diesen Vorzeichen etwa so<br />

lesen: Schule soll nach klar festgelegten Formen und festen<br />

Inhalten (Curriculum) funktionieren, ist also vorhersehbar<br />

und damit trivial, während die Kunst mit dem Unwägbaren<br />

nicht Vorhersehbares und Determinierbares in sich trägt<br />

und also als nicht-trivial zu bezeichnen wäre.<br />

Auch wenn diese Lesart den Sachverhalt eventuell in unzulässiger<br />

Art und Weise zuspitzt, so bleibt doch die Frage,<br />

ob auf der Basis dieser extremen Unterschiedlichkeit beider<br />

Systeme wirkliche Zusammenarbeit stattfinden kann,<br />

also ob es denn überhaupt möglich und unter den derzeitigen<br />

Vorzeichen sinnvoll ist, diesen Widerspruch mit der<br />

Kunst in den Kernsektor von Schule zu implantieren.<br />

Künstler in Schulen, aber auch in der Lehre in Gebieten,<br />

die an die Kunst angrenzen, wie beispielsweise Architektur,<br />

werden an diese Stellen geholt um dort als Künstler zu<br />

wirken. Eine meiner Gesprächspartnerinnen kommt nach<br />

einigen Jahren Erfahrung zu dem Schluss, dass sie Projekte<br />

mit Schulkindern dann gut findet, wenn sie nicht in der<br />

Schule stattfinden, sondern auf freiwilliger Basis. 47<br />

47 Siehe Email-Interview mit Susanne Ring<br />

62


Künstler<br />

Diese Schlussfolgerung kann einerseits vor dem eben skizzierten<br />

Hintergrund entstanden sein, spielt aber auch auf<br />

die Situation in der Praxis an. Wenn Kunst von der Schule<br />

verordnet wird, also nicht auf freiwilliger Basis stattfindet,<br />

dann wird sie zu einem Teil der Schule und unterliegt<br />

somit auch ihren Gesetzmäßigkeiten. Entweder man hat<br />

Glück und die Schüler sind neugierig und noch nicht komplett<br />

in das System integriert, also z.B. sehr noch klein,<br />

oder aber es treten voraussehbare Schwierigkeiten ein.<br />

Als wir beispielsweise im vergangenen Jahr versuchten, in<br />

einer Berliner Hauptschule einen künstlerischen Workshop<br />

anzubieten, musste die Klasse, während wir unser<br />

Vorhaben erklärten, von zwei Lehrerinnen in Schach gehalten<br />

werden. 48<br />

Es gibt selbstverständlich immer Ausnahmen, also Schulen,<br />

in denen der Widerspruch implantierbar ist, ein Beispiel ist<br />

die Freiligrath-Oberschule in Berlin. Auch Modellversuche<br />

können absolut überzeugend verlaufen. Meine Vermutung<br />

ist, dass alles, was Modellcharakter hat und möglichst<br />

noch zeitlich begrenzt konzipiert ist, funktionieren kann.<br />

Eine breite und selbstverständliche Interaktion ist jedoch<br />

48 Es handelte sich um einen Workshop im Rahmen des Projektes Lebenswege<br />

an der Heinz-Brandt-Oberschule in Berlin-Weissensee. Der Workshop<br />

sollte auf freiwilliger Basis stattfinden. Wir hatten am Ende genau eine<br />

Teilnehmerin.<br />

Für weitere Informationen siehe auch: Projektbericht Lebenswege, betreuender<br />

Dozent: Dr. Volker Hoffmann, Institut für Kunst im Kontext, UdK Berlin, 2007<br />

63


Künstler<br />

solange ausgeschlossen, wie beide Systeme in Opposition<br />

zueinander stehen und die Akzeptanz gegenüber der<br />

Kunst nicht wirklich vorhanden ist bzw. mit dem Versuch<br />

ihrer Integration im Sinne von Vereinnahmung einhergeht.<br />

Diese notwendige Akzeptanz wird in zeitlich oder räumlich<br />

begrenzten Situationen, wie Modellversuchen oder<br />

Schulen gewissermaßen künstlich erzeugt, scheint aber<br />

bisher kaum Nachhaltigkeit zu entfalten. 49<br />

Möglicherweise haben Künstler also einen unerfüllbaren<br />

Auftrag oder werden genau an der Grenze zum anderen<br />

System aufgerieben. Natürlich kann der Künstler sich hier<br />

nicht in der Opferrolle einrichten, sondern muss sich jeweils<br />

fragen, wie er sich selbst in eine solche Situation<br />

bringen konnte. Auch aus Erfahrung habe ich gelernt, dass<br />

mich einzig eine eindeutige Haltung vor einer solchen Situation<br />

bewahrt und mich im Idealfall dazu befähigt, die<br />

Situation aktiv zu wenden.<br />

Lehre und Aufgabenstellung<br />

Stellen Sie sich dieses Studium bitte nicht als „Ausbildung<br />

zum Künstler“ vor. So etwas vermag (unter den heutigen Bedingungen<br />

der Kunst) keine Akademie mehr, (...). Die besten<br />

49 Spannend zu verfolgen ist in diesem Zusammenhang, welche Entwicklung<br />

die Offensive kulturelle Bildung in Berlin nimmt und hier insbesondere<br />

das Projekt der Patenschaftsinitiative; wird hier wirklich eine breite Entwicklung<br />

angestoßen und werden neue Wege beschritten oder eingetretene Pfade?<br />

64


Kunststudenten an den Akademien kann ich mir heute nur<br />

noch als „Autodidakten“ vorstellen, die ich als Lehrer kritisch<br />

zu begleiten habe. 50 So bringt Franz Erhard Walther seinen<br />

Ansatz zur Lehre auf den Punkt. Mein Grundgefühl: Du förderst<br />

die Formulierungsversuche des Anfängers durch Ermutigung<br />

und gleichzeitiges Beispielgeben im Umgang mit Kunst,<br />

begleitest den Fortgeschrittenen mit Rat und präziser Kritik<br />

und bleibst den dem Studium entwachsenen Künstlern freundschaftlich<br />

verbunden. 51<br />

Barnett Newman beispielsweise beschreibt in seinem Text<br />

Über Emma Lake, zunächst was er alles nicht gemacht habe:<br />

Er habe seine eigenen Bilder zu Hause gelassen, keine Maltechnik<br />

unterrichtet und auch keine neuen ästhetischen<br />

Theorien zu Farbe, Form oder Fraktur zu besten gegeben<br />

oder Prophezeiungen im Bezug auf die Zukunft der<br />

Kunst gemacht. Er beendet seinen Bericht jedoch mit den<br />

Worten: Dennoch habe ich in meinem Leben noch nie so hart<br />

gearbeitet, denn was ich mitgebracht habe, war ich selbst. 52<br />

In seiner Beschreibung skizziert Barnett Newman so etwas<br />

50 Walther, Franz Erhard, 1993, S. 22<br />

51 Walther, Franz Erhard, 1993, S. 28<br />

Künstler<br />

52 und weiter: Und was ich klarstellte war, dass jeder ein gutes Gemälde,<br />

jeder etwas Schönes machen kann, dass es jedoch darauf ankommt, ein großes Kunstwerk<br />

zu schaffen, und das die Malerei ein großes Ziel verfolgt.<br />

Newman, Barnett, „Über Emma Lake“ [1964]. In: ders., Schriften und Interviews<br />

1925-1970. Schelbert, Tarcisius (Übers.), O’Neill, John (Hg.), Verlag Garchnang<br />

und Springer, Bern, Berlin, 1996, S.268<br />

65


Künstler<br />

wie die „Negativform“ seiner Lehre, während der Inhalt<br />

er selbst ist, seine eigene Person, die er mitgebracht hat.<br />

Aber was sich da genau abgespielt hat bleibt undeutlich,<br />

wird nicht benannt, verbirgt sich in einer Black Box und ist<br />

möglicherweise kaum in Worte zu fassen. Es ging ihm um<br />

etwas, das seiner Überzeugung nach absolut wesentlich<br />

ist, - so dass er seine ganze Person als Einsatz gegeben hat<br />

ohne Planung oder didaktisch durchstrukturiertes Konzept<br />

in der Tasche.<br />

Das Wichtigste sei ihr, so sagte mir eine Künstlerin, die plastisches<br />

Gestalten für Architekturstudenten lehrt, dass die<br />

Studenten am Semesterende eine möglichst eigenständige Arbeit<br />

gemacht haben.<br />

Das eigenständige Arbeiten oder der autodidaktische<br />

Ansatz scheint uns allen gemeinsam ein Anliegen zu sein,<br />

etwas, das wir für essentiell halten, das unsere künstlerische<br />

Arbeit kennzeichnet und auch etwas, das wir gerne<br />

weitergeben möchten, auch an jene, die keine Künstler<br />

sind. Es scheint sich um so eine Art harten Kern in der<br />

Lehre von Künstlern zu handeln, vielleicht eine eigene<br />

„Schlüsselerfahrung“.<br />

Meine Gesprächspartner, die an Kunsthochschulen lehren,<br />

wählen dazu die Form des offenen Forums und parallel dazu<br />

Einzelgespräche. Vieles bildet sich auf dem Hintergrund<br />

der eigenen gemachten Erfahrung ab. Ein Künstler erklär-<br />

66


Künstler<br />

te mir beispielsweise, dass das Medium (sein eigenes: die<br />

Malerei) für ihn bei allem den Ankerpunkt bilde. Über die<br />

Präsenz der Sache würde er mit den Studenten tiefer in<br />

die Materie eindringen und andere Bereiche erschließen.<br />

Dieser Ansatz lässt sich umschreiben mit der Vorstellung<br />

den Reflexionsansatz im Handeln zu suchen, d.h. Theorie<br />

aus der Praxis zu entwickeln.<br />

Künstler, die zwar an Hochschulen, aber nicht in Kunststudiengängen<br />

lehren, sind mit andern Anforderungen konfrontiert,<br />

die eine verstärkt didaktische Vorgehensweise<br />

erfordern und es extrem schwierig machen, den Kontext<br />

immer von der Kunst ausgehend zu erschließen. Bei diesem<br />

Drahtseilakt zwischen äußeren Anforderungen und<br />

eigenen Überzeugungen scheinen meine Kollegen sehr<br />

viel Kreativität zu entwickeln, um ihre Vorstellungen und<br />

Überzeugungen unterzubringen.<br />

Die Trennung ist nicht immer leicht und auch oft irrelevant.<br />

Eine Schwierigkeit ist jedoch, ein Gespür dafür zu<br />

entwickeln, wann Grundprinzipien der eigenen Sache in<br />

den Dienst der anderen Sache übergehen, also ihre Unabhängigkeit<br />

und damit auch ihr Potential zur Innovation<br />

einbüßen. Ließe man das zu, so meine persönliche Meinung,<br />

würde auch das eigene Wirken in seinen Grundfesten<br />

überflüssig.<br />

Sie fände Überforderung immer gut, sagte mir eine Freundin,<br />

immer bis an die Grenze, sonst würden keine neuen<br />

67


Künstler<br />

Wege aufgetan. Überforderung könne aber auch dazu führen,<br />

dass die Studenten nicht klarkommen und frustriert<br />

sind und kein eigenständiger Ansatz entsteht. Hier eine<br />

Balance zu finden wäre eine der Herausforderungen für<br />

sie.<br />

Oft stecken Künstler, mir ging es wie beschrieben auch<br />

so, viel Energie in die Aufgabenstellung, sofern sie dazu gezwungen<br />

sind. Es handelt sich dann meistens um „Meta-<br />

Aufgaben“, d.h. eher um Handlungsanweisungen oder<br />

Rahmen, die eine Aufforderung enthalten, sich das Thema<br />

selbst zu suchen. Meiner Beobachtung nach zeigt sich in<br />

der Aufgabenstellung bereits eine spezifisch künstlerische<br />

Herangehensweise, der wir uns oft gar nicht bewusst sind.<br />

Entsprechend ist es für Außenstehende oft schwierig, diese<br />

Aufgabenstellungen als solche zu akzeptieren.<br />

Eine Freundin ließ ihre Studenten einen Apparat konstruieren,<br />

der ein Problem schafft und es wieder aus dem Weg<br />

räumt. Ich ließ Abiturienten Kurzfilme zu Thema Ich im<br />

Film. Tagebuch/ Ereignis drehen.<br />

Die Aufgabenstellungen dienen in diesen Fällen nur dazu,<br />

den Einstieg in die Arbeit zu erleichtern, mit dem stillschweigenden<br />

Ziel, dass sie dann möglichst schnell in Vergessenheit<br />

geraten. Natürlich ist mit diesen Themen alles<br />

möglich, alles ist zugelassen und es kann keine falsche Lösung<br />

oder ein verfehltes Thema geben. Schließlich geht es<br />

ausschließlich darum Prozesse zu initiieren und den Raum<br />

für Erfahrungen freizuschaufeln. Ohne ihnen zu sagen, was<br />

68


sie machen sollen – oder zumindest so zu tun - ist das<br />

jedoch mit Ungeübten fast unmöglich.<br />

Die Ungeübten sind in aller Regel tatsächlich die, die das<br />

Bildungssystem durchlaufen haben (ohne an einer Kunsthochschule<br />

zu studieren). Kleine Kinder nehme ich von<br />

dieser Beobachtung aus.<br />

Als ich vor einigen Monaten einer Kollegin einen Plan erklärte,<br />

den ich in einer Grundschule ausprobieren wollte<br />

und ihr auch von den Zweifeln der Lehrerin erzählte,<br />

meinte sie, mit den Kindern würde ich bestimmt keine<br />

Probleme bekommen. Sie hatte Recht. Kleine Kinder lassen<br />

sich viel selbstverständlicher, mit spielerischem Ernst,<br />

auf so genannte „ergebnisoffene“ Prozesse ein, als ihre<br />

Lehrer es oft können. Die Lehrerin war im Vorfeld der<br />

Meinung, ich würde sicherlich auf Probleme stoßen, denn<br />

die Aufgabenstellung sei für die Kinder viel zu unklar und<br />

abstrakt, sie hätten keinen klaren Auftrag, was sie malen<br />

sollen.<br />

Die eigene Arbeit und lehren?<br />

Künstler<br />

Wenn ich diese Frage Kollegen stelle, bekomme ich<br />

manchmal die Antwort, da gäbe es gar keine Konflikte,<br />

denn das wären zwei völlig unterschiedliche Bereiche, die<br />

sie strickt trennen. Möglicherweise ist das ein gangbarer<br />

Weg. Ich habe jedoch den Verdacht, das diese Art Rollenwechsel<br />

dazu führen könnte, dass die Lernenden eventuell<br />

vom Künstler nicht bekommen, was sie sich von ihm ver-<br />

69


Künstler<br />

sprechen, weil er unerreichbar bleibt. Barnett Newman<br />

beschreibt in seinem Text „Über Emma Lake“ (s.o.), dass<br />

er in seinem Leben noch nie so hart gearbeitet hätte, denn<br />

was er mitgebracht habe für seine Lecture, wäre er selbst<br />

gewesen. Diese Haltung steht in krassem Gegensatz zu<br />

dem oben beschriebenen programmatischen Rollenwechsel<br />

zwischen Lehrer und Künstler.<br />

Bereits im Kapitel Lehrende Künstler in der Kunsthochschule<br />

habe ich Jörn Zehe zitiert, der auf die Frage, ob er für<br />

das gleiche Geld weiter lehren würde, geantwortet hat, in<br />

dem Fall zöge er seine eigene Arbeit vor, es sei denn er<br />

könne daraus eine Art künstlerisches Forschungsprojekt<br />

entwickeln, dass die Hochschulstrukturen nutzt. Neben<br />

der Problematik, die in dieser Aussage steckt (s.o.), zeigt<br />

sich auch hier, dass Lehre und eigene Arbeit keine gemeinsame<br />

Form gefunden haben.<br />

Unabhängig von einer Professur, ich würde meine künstlerische<br />

Arbeit weiterverfolgen. Hätte ich in der Situation eine Lehre<br />

aufbauen müssen, der Berufung wäre ich sicher nicht gefolgt.<br />

Doch meine Werkfigur warf genügend Material ab. 53 Franz<br />

Erhard Walther formuliert hier zwar eine eindeutige Hierarchie<br />

von eigener Arbeit und Lehre, leitet aber die Lehre<br />

so unmittelbar aus seinem eigenen Werk ab, dass es für<br />

ihn gar keine Notwendigkeit gab, sich vorab über die Leh-<br />

53 Walther, Franz Erhard, 1993, S.15<br />

70


e Gedanken zu machen.<br />

Von mir selber würde ich sagen, dass, wie oben beschrieben,<br />

mein Interesse an der Lehre aus den Erfahrungen<br />

in der Zusammenarbeit und Kooperation mit anderen<br />

Künstlern und Nicht-Künstlern entstanden ist und sich<br />

insofern auch mit meiner Arbeit verträgt. Dieses „kooperative<br />

Modell“, das auf Interaktion beruht und eventuell<br />

auch mit Netzwerkbildung zu tun hat, erwächst aus Selbstorganisation.<br />

Ein solcher Prozess lässt sich nicht verordnen,<br />

höchstens mit initiieren. Hierzu ist es aber tatsächlich<br />

günstig, möglichst nah an den Studenten zu sein. Die Position<br />

des Professors macht eine solche Vorgehensweise<br />

vermutlich schwieriger.<br />

Darüber reden? Theoriegebilde<br />

Künstler<br />

Auf der Suche nach Verallgemeinerungen zu dieser Frage,<br />

bin ich vor allem in Texten fündig geworden, die nicht<br />

von Künstlern stammen und die sich auf die so genannten<br />

Schlüsselqualifikationen von Künstlern beziehen. 54<br />

In den Gesprächen, die ich geführt habe, ist, wie oben beschrieben,<br />

oft vom eigenständigen Arbeiten die Rede. Das<br />

eigenständige Arbeiten beinhaltet auch eine eigene selbst<br />

gestellte Aufgabe, die vorab formuliert wird oder aber<br />

54 siehe beispielsweise: Kettel, Joachim, „Künstlerische Bildung nach<br />

Pisa“. In: ders., IGBK und Landesakademie Schloss Rotenfels (Hgg.), 2004, S.36f.;<br />

oder<br />

BKJ, Suchbegriff „künstlerische Kompetenzen“, http://www.bkj-remscheid.de/<br />

71


Künstler<br />

sich während der Arbeit erst konstituiert und modifiziert.<br />

Auch bedeutet diese Art zu arbeiten wohl, sich selbst zu<br />

organisieren und auch zu strukturieren. Gleichzeitig heißt<br />

es aber auch oft alleine zu arbeiten. Für das Meiste müssen<br />

wir dann keine Worte finden.<br />

Fällt uns nichts ein oder gelingt es uns nicht die nötige<br />

Selbstdisziplin aufzubringen – natürlich ist das individuell<br />

sehr unterschiedlich – werden wir möglicherweise sehr<br />

unzufrieden, und doch müssen wir mit dieser bereits oben<br />

zitierten Leere (Dellbrügge & de Moll) umgehen.<br />

Die Lehre zwingt uns irgendwie über das Machen zu sprechen,<br />

andere derartige Situationen wären Kooperationen<br />

mit Kollegen oder auch interdisziplinäre Projekte. Man<br />

kommt in diesen Fällen um die Formulierung eines eigenen<br />

Standpunktes als Künstler kaum herum. 55<br />

55 In den beschriebenen Fällen ist das vielleicht noch einsehbar. Einen<br />

Sonderfall bildet die Vielzahl von Stipendien- und Projektanträgen, die man zu<br />

stellen gezwungen ist, wenn man nicht vom Fleck weg gigantische kommerzielle<br />

Erfolge feiern kann. Diese Anträge, die von einem verlangen, ein mögliches Arbeitsvorhaben<br />

zu formulieren, - wie soll ich jetzt in Worte fassen, woran ich in<br />

zwei Jahren arbeiten werde? - das man vielleicht realisieren kann, wenn man den<br />

Zuschlag bekommt – die „richtigere“, idealistische Haltung ist natürlich die, dass<br />

man es in jedem Fall machen wird – verlangen einem zuweilen Unmögliches ab,<br />

nämlich das Unwägbare (Winfried Kneip, s.o.) oder das (vorab) Unsagbare in<br />

Worte zu fassen. Das Ringen um die Textform hat schon so manchen Künstler<br />

ins Schwitzen gebracht oder in dieser Hinsicht talentierte Künstler zu „Stiftungskünstlern“<br />

oder „Projektkünstlern“ mutieren lassen. Diese Textformen<br />

lassen Künstler in der Reflexion über ihre Arbeit oft nicht weiter kommen.<br />

72


Künstler<br />

Viel leichter fällt vielen von uns das Reden über die Dinge,<br />

die informelle Form. Manche schrecken davor zurück, ihre<br />

Gedanken in Schriftform zu fassen, vielleicht weil sie dann<br />

eine faktisch andere Präsenz bekommen oder aber Handeln,<br />

Machen und Reflektieren nicht immer zusammen zu<br />

passen scheinen.<br />

Elke Bippus und Michael Glasmeier haben in ihrer Textsammlung<br />

Statements von Künstlern zur Lehre zusammengestellt.<br />

In ihrem Vorwort beschreiben ein generelles<br />

Charakteristikum dieser Zeugnisse und stellen fest: (...)<br />

dass Künstlerdokumente immer auch hochwissenschaftlich<br />

sind und nicht nur Dokumente im historischen Prozess. Sie<br />

vertreten die Überzeugung, dass Künstler immer auch Theoretiker<br />

sind, die ihre Positionen in ihrer Zeit präzise formulieren<br />

und punktgenau akzentuieren. 56<br />

Eine mögliche Antwort auf die Frage, was eine solche<br />

Künstlertheorie kennzeichnen könnte, findet sich bei Thomas<br />

Lehnerer. Er setzte sich unter anderem auch damit<br />

auseinander, was es bedeutet, auf den eigenen Erfahrungen<br />

als Künstler eine Theorie zu gründen. 57 Neben anderen<br />

56 Bippus, Elke und Glasmeier, Michael, „Theorien aus der Praxis“. In:<br />

diess. (Hg.), Hamburg, 2007, S.12<br />

57 Die Auseinandersetzung mit diesen Fragen macht seine Texte offensichtlich<br />

sehr attraktiv für die Kunstpädagogik und Didaktik. In der dezidierten<br />

Analyse der Grundbegriffe künstlerischen Arbeitens scheint er eine Art Schlüssel<br />

anzubieten. So erscheint sein Name auf vielen Literaturlisten kunstpädago-<br />

73


Künstler<br />

Charakteristika weist auch auf die folgenden hin:<br />

Eine Künstlertheorie ist ihrem allgemeinen Begriff nach eine<br />

auf Praxis bezogene Begründungs- und Rechtfertigungstheorie<br />

(eine Art Technodizee) .<br />

Die Freiheit, die der Künstler aufgrund der „Religionslosigkeit“<br />

seiner Kunst seit der Neuzeit und besonders in der Moderne<br />

besitzt, stellt ihn vor radikale (rückhaltlose) Begründungsprobleme.<br />

(...) Die mit dieser Freiheit verbundenen Rahmenbedingungen<br />

geben seiner Theoriearbeit aber zugleich - eben<br />

dadurch - „exemplarischen“ Charakter. Zwar ist das „Denken“<br />

eines Künstlers nicht anders, als das jedes anderen Menschen.<br />

- Es gibt keine zwei Arten von Denken. - Aber Künstler entwickeln<br />

ihre Theorien unter ganz besonderen (oben angedeuteten)<br />

Bedingungen: Ihre Theorien müssen konstruktiv sein, sie<br />

müssen zur künstlerischen Arbeit motivieren, sie müssen dabei<br />

einen neuen, zumindest einen originalen Weg beschreiten und<br />

sie können sich schließlich nicht (jedenfalls zunehmend nicht<br />

mehr) auf vorgegebene Methoden und Traditionen berufen, sie<br />

bewegen sich vielmehr zunehmend „im Freien“. 58<br />

Thomas Lehnerer begreift Theoriearbeit als konstitutiven<br />

Bestandteil künstlerischer Arbeit. 59 Er kommt unter anderem<br />

gischer oder didaktische Seminare.<br />

58 Lehnerer, Thomas, „Methode der Kunst“, Einleitung. http://www.<br />

brock.uni-wuppertal.de/Schrifte/Habil/Lehnere1.html und Lehner2.html<br />

59 Lehnerer, Thomas, Methode der Kunst. Verlag Königshausen und Neu-<br />

mann, Würzburg, 1994, S.7<br />

74


zu dem Schluss, dass die Theoriebildung durch Künstler<br />

zur Vernetzung und zum Transfer in andere Disziplinen<br />

dienen könne und kommt damit der derzeitigen Argumentation<br />

im Zusammenhang mit der kulturellen Bildung<br />

erstaunlich nahe:<br />

Die genannten Bedingungen - vielleicht könnte man noch<br />

andere finden - sind nun aber nicht auf die Situation des<br />

Künstlers beschränkt: Zunehmend wird es auch in anderen<br />

Lebensbereichen (überlebens-)wichtig, Motivation aufzubauen,<br />

wo keine Üblichkeiten und Bindungen - „Religionen“ mehr<br />

existieren, Neues zu unternehmen, wo sozialer Rückhalt und<br />

Sicherheit genommen sind. Künstlertheorien (gleich welchen<br />

Inhalts) lassen sich daher aufgrund ihrer charakteristischen<br />

Produktionsbedingungen (zunehmend) parallelisieren mit den<br />

Reflexionsbedingungen moderner Lebenswelt. Sie besitzen dadurch<br />

als solche schon (gleich welchen Inhalt oder Zweck sie<br />

verfolgen) exemplarische Funktion (Fn. 41: Vgl. zur exemplarischen<br />

Funktion der Kunst unten: D.6.c. - Vgl. auch Schmidt-<br />

Wulffen 1987. Dieser sucht aus der Vielgestaltigkeit der gegenwärtigen<br />

Kunstlandschaft Kategorien zu abstrahieren, die ihm<br />

(allerdings zunächst nur innerhalb der Kunst) Vergleiche und<br />

Parallelisierungen ermöglichen. Auf diese Weise werden künstlerische<br />

Methoden, „Wege“, „Spielregeln“ (ebd., 12) sichtbar,<br />

die in der Folge auch auf andere individuelle oder gesellschaftliche<br />

Bereiche übertragen werden könnten.). 60<br />

60 Lehnerer, Thomas, „Methode der Kunst“, Einleitung<br />

Künstler<br />

75


Künstler<br />

Rüdiger John und Klaus Heid haben den Versuch einer<br />

derartigen Übertragung gestartet. In ihrem Text mit dem<br />

Titel Was ist Transferkunst stellen sie einleitend die Frage<br />

ob die Kunst Funktionen als transdisziplinäres Agens übernehmen<br />

könne. 61 Weiter unten heißt es: Mit unterschiedlichen<br />

interventionistischen Strategien erweitern Künstlerinnen und<br />

Künstler ihren Aktionsraum. Sie fühlen sich nicht länger einem<br />

objektzentrierten Kunstmarkt verpflichtet, sondern finden und<br />

erfinden operative, prozesshafte Formen in der Zusammenarbeit<br />

mit Partnern in allen gesellschaftlichen Bereichen.<br />

Zu untersuchen wäre die Frage, ob der Kunstbegriff trägt,<br />

der sich hieraus ableitet, ob eine Unabhängigkeit bewahrt<br />

und ob nicht das Werk bei soviel Transfer zu verschwinden<br />

droht. Handelt es sich um „Kunst ohne Werk“? Dann<br />

wäre aber die Tätigkeit des „Transferkünstlers“ beispielsweise<br />

als eine Art Dauerperformance zu beschreiben, die<br />

aber (vermutlich) nicht dokumentiert würde und damit<br />

auch keinen Nachweis ihres Vorkommens erbringt.<br />

Mir drängt sich nach der Lektüre verschiedener Texte<br />

der Verdacht auf, der zu überprüfen ist, ob sich nicht der<br />

Künstler bei dieser Form der Tätigkeit gewissermaßen in<br />

nichts auflöst und es kurz vor der Vollendung des Selbstauflösungsprozesses<br />

gerade noch schafft, den Transfer<br />

. http://www.brock.uni-wuppertal.de/Schrifte/Habil/Lehner2.html<br />

61 Heid, Klaus und John, Rüdiger, „Was ist Transferkunst?“<br />

. http://artrelated.net/ruediger_john/transferkunst.html<br />

76


Künstler<br />

einiger flexibilisierender Strategien zu vollziehen. Dann<br />

wäre er kein Künstler mehr und könnte auch nicht mehr<br />

als solcher wirken, sondern wäre z.B. als Ingenieur für Soziokultur<br />

mit visuellen Mitteln 62 tätig.<br />

Der oben zitierte Text schließt mit dem folgenden Absatz:<br />

Künstlerische Kompetenz kann einen wichtigen Beitrag in wirtschaftlichen<br />

und wissenschaftlichen Prozessen leisten. Dort<br />

wird oftmals jedoch viel über Kunst und deren Nutzbarmachung<br />

nachgedacht, ohne dass man künstlerische Kompetenz<br />

in ausreichendem Maße mit einbezieht. Außerdem können weder<br />

Künstler, noch Personen aus Wissenschaft und Wirtschaft,<br />

die durch ihren tradierten Kanon festgelegt sind, als Teilnehmer<br />

im transdisziplinären Diskurs fungieren. 63<br />

Hieraus ergibt sich wiederum die Frage nach einem kritischen<br />

Standpunkt in Verhältnis zum einen Tun und auch<br />

inwieweit es vertretbar ist, dass sich die Kunst in den<br />

Dienst der Wirtschaft oder sonst irgendwem begibt und<br />

was von ihr übrig bleibt, wenn sie nutzbar gemacht wurde.<br />

Diese Fragen lassen sich mit einigen Beschränkungen auch<br />

auf die Lehre übertragen.<br />

62 Diese Bezeichnung sowie die Bezeichnung Manipulatoren von visuellen<br />

Zeichen ist einem Statement von Jean-Baptiste Joly entnommen, bei dem<br />

es um Absolventen von Kunstakademien geht, die später anderen Tätigkeiten<br />

nachgehen.<br />

In: Bär, Andreas und John, Rüdiger (Hg.), 1999 (CD-ROM), Kapitel 21<br />

63 Die letzte Aussage des Absatzes würde ich anzweifeln. Künstler können<br />

quasi reine ‚Macher’ sein. Auch vor dem Hintergrund eines tradierten Kanon<br />

können bestimmte zentrale Aspekte vermittelt werden, - möglicherweise<br />

sogar besser, weil der eigene Standpunkt in gewisser Weise geklärt ist.<br />

77


Künstler<br />

Franz Erhard Walther äußert sich in einem ganz anderen<br />

Zusammenhang, nämlich im Hinblick auf die 68iger Jahre,<br />

zum Thema des Gebrauchs von Kunst: Allerdings habe<br />

ich die Argumentation eines „Gebrauchs“ der Kunst für das<br />

Politische nicht mitvollzogen. Die Vorstellung von Kunst als<br />

„Überbau“ konnte ich nicht mitmachen. Ich habe mir erklären<br />

lassen, was das sein soll, und gesagt: Nein das ist nicht so.<br />

Kunst ist „Sockel“ ist „Basis“, das ist kein „Überbau“. (...) Aber<br />

was ich unter Kunst verstehe, das ist eine Grundfigur, die zum<br />

Menschen gehört, zur Erkenntnis und zur Welt, das kann nicht<br />

„Überbau“ sein. 64<br />

Damals war die Frage, ob die Kunst sich für den politischen<br />

Kampf eigne, heute ist die Frage, ob sie sich eignet, die<br />

Wirtschaft leistungsfähiger zu machen oder das Bildungssystem<br />

zu optimieren. Als Künstler man hat jedoch immer<br />

noch die Möglichkeit dazu Position zu beziehen.<br />

64 Walther, Franz Erhard, 1993, S.50<br />

78


Künstler<br />

79


4. Schluss<br />

Vereinnahmung, Naivität ... der eigene Kunstentwurf<br />

Es kann der Eindruck entstehen, es ginge letztlich nicht<br />

um eine nachhaltige Verbindung von Kunst und Kultur mit<br />

anderen Wissensbereichen, sondern als wäre die Kunst<br />

eine Art rettende Boje, die Missstände, die in anderen Bereichen<br />

entstanden sind, ausgleichen und das Schiff über<br />

Wasser halten könne.<br />

Vorbehalte von Seiten der Künstler könnten an dieser<br />

Stelle etwa folgendermaßen formuliert werden: Habe ich<br />

wirklich ein Interesse daran, angehende Manager fit zu<br />

machen, für ihre globalen Streif- (oder Kreuz-)züge? Was<br />

gewinnt die Kunst bei diesem Unterfangent? Gewinnt sie<br />

tatsächlich an Einfluss?<br />

Oder wird sie ausgeschlachtet, - sind nur bestimmte Aspekte<br />

in punkto Erhöhung der Leistungsfähigkeit im jetzigen<br />

System erwünscht? Sigrid Godau fragt:<br />

Und macht man angesichts solch hochfliegender Ziele [die<br />

durch kulturelle Bildung erzielt werden sollen] die Kunst<br />

nicht eher zum Notnagel einer im Kern gescheiterten Arbeitsmarkt-,<br />

Sozial- und Wirtschaftspolitik? 65<br />

65 Godau, Sigrid, Über die Kunst zum Traumberuf?. Vortrag, 29.5.2007<br />

81


Schluss<br />

Folgt man dem Gedanken von Elke Bippus und Michael<br />

Glasmeier, so ergibt sich ein Bild, in dem die Künstlerinnen<br />

und Künstler in ihren Freiräumen beschnitten werden,<br />

aufgrund derer sie das Potential und jene Schlüsselkompetenzen<br />

erst entwickeln konnten, die sie zurzeit so interessant<br />

machen. Gleichzeitig finden wir ein Terrain vor, ein<br />

Lehr- und Lernsystem, das meistens in keiner Weise auf<br />

die Vorgehens- und Denkweise der Künstler vorbereitet<br />

geschweige denn zugeschnitten wäre.<br />

Hier wird eine gewisse „Schizophrenie“ gegenüber den<br />

Künstlern und der Kunst deutlich, die einerseits an der<br />

Kunst und ihrem Sinn und Zweck zweifelt, aber sich ihr<br />

doch andererseits bedienen will.<br />

Die Angst vor Vereinnahmung von Seiten der Künstlerinnen<br />

und Künstler begegnet auf anderer Ebene dem Vorwurf<br />

der Instrumentalisierung. So erhebt Gerald Raunig<br />

in seinem Beitrag zum Symposions „Mapping blind Spaces<br />

– Neue Wege zwischen Kunst und Bildung“ in diesem Zusammenhang<br />

den Vorwurf der Naivität:<br />

Bei Überlegungen zur Beantwortung dieser Frage [der Frage<br />

nach Formen von Delinquenz und Widerstand in Kontrollgesellschaften]<br />

kommen wir wieder auf die spezifischen<br />

Funktionen der Kunstproduktion zurück. Hier muss es jedoch<br />

erst darum gehen, zumindest in der Analyse, selbst bestimmte<br />

Einsätze von künstlerischen Strategien gegen das Kommando<br />

82


von Kontrolle und Kommunikation zu trennen von der Instrumentalisierung<br />

künstlerischer Arbeiten für ebendieses. Auf der<br />

Konferenz selbst kamen zwei Positionen zum Vorschein, die solche<br />

Instrumentalisierung derart naiv und unverdeckt betrieben,<br />

dass es mir zweckmäßig erschient, sie hier noch einmal kurz<br />

und exemplarisch zu wiederholen. 66<br />

Jean-Baptiste Joly formuliert in einem Redebeitrag zum<br />

Kolloquium Die Akademie ist keine Akademie, dass der Künstler<br />

nicht mehr radikal sei (wie noch vor einiger Zeit). Kunst<br />

trage derzeit zu einer Verbesserung der Funktionalität der<br />

Gesellschaft bei und nicht zur Aufhebung von Machtstrukturen,<br />

wie sie heute wären. 67<br />

Selbst diese Interpretation zur derzeitigen Rolle der Kunst,<br />

lässt gibt dem Künstler immer noch die Möglichkeit eine<br />

kritische Rolle einzunehmen, denn was ist denn als eine<br />

Verbesserung zu betrachten?<br />

66 Raunig, Gerald, „Unmapping the Flows. Kunst und Kontrolle und<br />

die kommende Sabotage“. In: Kettel, Joachim (Hg.), IGBK und Landesakademie<br />

Schloss Rotenfels (Hg.), 2004, S.358<br />

Bei den beiden Positionen, auf die sich Gerald Raunig im folgenden bezieht, handelt<br />

es sich um die Beiträge von Michael J. Kolodziej, „Künstlerische Strategien<br />

im Betrieb“, S.107 sowie Die Beiträge von Klaus Heid und Rüdiger John, „Ästhetische<br />

Kompetenzen ausbilden – künstlerische Kompetenzen nutzen“ und<br />

„Objekt, Subjekt, Prädikat – Ein Exkurs über systemische Kunst und kritische<br />

Ästhetik“ nachzulesen auf den Seiten 102ff. und 315ff., ebd.<br />

67 Joly, Jean-Baptiste, In: Bär, Andreas und John, Rüdiger (Hg.), 1999<br />

(CD-ROM), Kapitel 26<br />

Schluss<br />

83


Schluss<br />

Nach der Freude darüber, dass einem als Künstler ein<br />

neues Handlungsfeld offen steht und auch, dass die Kunst<br />

und damit das Kunstmachen sich aus ihrer Isolation lösen,<br />

öffnet sich hier ein schwieriges Feld, dass sich vielleicht<br />

ganz grob mit der kritisch intendierten Frage umreißen<br />

lässt, in welchem Kontext wir überhaupt agieren, wer ihn<br />

wie definiert und ob wir damit einverstanden sind.<br />

Denkt man in diese Richtung weiter, so findet man sich<br />

als Künstler unversehens in einer ideologischen und politischen<br />

Diskussion wieder. Diese Art von Einwand stellt<br />

jedoch nicht die Wichtigkeit von Austausch, Vermittlung<br />

und Transfer generell in Frage, ein Künstler kann sich dem<br />

nur bedingt verweigern, anders gesagt, - auch eine Verweigerung<br />

wäre eine Botschaft.<br />

Kulturelle Bildung, künstlerische Kontexte<br />

Möglicherweise wäre es ein Weg, eigene Kontexte und<br />

Ansätze für kulturelle Bildung zu schaffen , die, mit gutem<br />

Grund, gar nicht in den Schulen angesiedelt sind und auch<br />

nicht in den Jungendkunstschulen, solange Kunst und<br />

Schule von ihrem System her einen eklatanten Widerspruch<br />

bilden. Als Künstler verstrickt man sich leicht im<br />

Grenzbereich von Schule und Parametern zur künstlerischen<br />

Bildung.<br />

Nicht jeder Künstler möchte lehren. Trotzdem ist ein sich<br />

hieraus ergebender Gedanke, dass die Vermittlung des<br />

84


eigenen Kunstschaffens außerhalb des Kunstkontextes<br />

bereits als Teil des Studiums angeboten werden müsste. 68.<br />

Nicht damit jeder Künstler auch Didaktiker wird, sondern<br />

im Gegenteil, damit der Künstler sich abgrenzen kann und<br />

zwar auch verbal, Umschlungsversuchen nicht ausgeliefert<br />

ist und das Spezifische rettet, Nichtkommunizierbares<br />

vor der Kommunikation schützt, sich seiner Qualitäten<br />

bewusst wird, reflektiert, was ihn eigentlich ausmacht<br />

und dies auch außerhalb des Kunstbereiches vertritt. So<br />

könnte sich möglicherweise eine Grundlage ergeben, für<br />

ein selbstbestimmtes Mitgestalten der Lehre, insbesondere<br />

der, die nicht ausschließlich die Reproduktion der eigenen<br />

Art zum Ziel hat.<br />

Geld<br />

Das Thema der Bezahlung habe ich bisher ausgeklammert.<br />

Carmen Mörsch weist hin auf den Idealismus, der den<br />

Künstlern immer angedichtet wird und die Künstlerbilder,<br />

durch die diese Vorstellung genährt wird. 69 Aus dieser Perspektive<br />

gesehen wirkt es absolut vermessen, überhaupt<br />

68 siehe hierzu z.B. http://www.crosskick.de/ E handelt sich um ein von<br />

der Arbeitsgemeinschaft deutscher Kunstvereine getragenes Projekt, indem die<br />

Arbeiten junger Künstler mit verschiedenen Ansätzen der Lehre in Kunsthochschulen<br />

aber auch den Vorstellungen der beteiligten Künstler zu Kunstvermittlung<br />

und Lehre in Beziehung gesetzt werden.<br />

69 siehe Mörsch, Carmen, „.(lacht)“, In: Lüth, Nanna und dies. (Hg.),<br />

2005, S.64<br />

Schluss<br />

85


Schluss<br />

eine entsprechende Entlohnung zu fordern.<br />

Ich würde gerne - utopischerweise - einen Schritt weitergehen,<br />

in die andere Richtung. Künstler sollten nicht nur<br />

entsprechend den üblichen Salären bezahlt werden, wenn<br />

sie lehren, sie sollten eigentlich darüber hinaus entsprechend<br />

mehr verdienen, bzw. von ihrer Arbeit freigestellt<br />

werden, damit sie ihre eigene künstlerische Arbeit weiter<br />

entwickeln können. Ohne sie ist der Künstler bald keiner<br />

mehr und damit wird er in der Position in der er tätig ist<br />

zur Fehlbesetzung.<br />

Die eigene künstlerische Arbeit als Grundlage zur Vermittlung<br />

zu erhalten und weiter zu entwickeln, lässt sich<br />

mit einer Art von „Forschungsauftrag“ bezeichnen, den es<br />

auszufüllen gilt. Von wem haben wir diesen „Forschungsauftrag“<br />

erhalten? Nehme ich die oben zitierten Statements<br />

zur kulturellen Bildung ernst, so komme ich hier zu dem<br />

Schluss, dass es sich um eine Art gesellschaftlichen Auftrag<br />

handeln müsste. Öffentliche Gelder für Kultur und insbesondere<br />

Stipendien könnte man von dieser Warte aus als<br />

solche Forschungsgelder betrachten. In Kunsthochschulen<br />

angestellte Professoren können Forschungssemester nehmen,<br />

künstlerische Mitarbeiter haben dort in der Regel<br />

Qualifikationsstellen und damit ca. ein Drittel ihrer bezahlten<br />

Arbeitszeit für die Weiterentwicklung ihrer Projekte<br />

zur Verfügung. Im Prinzip böte sich dieses Modell<br />

zur Übertragung auf die künstlerische Lehre außerhalb<br />

von Hochschulen, also im Bereich der Schulen, an. Hier<br />

könnte man einwenden, dass Lehrer in Schulen schließlich<br />

86


auch keine Forschungsaufträge bekommen. Lehrer haben<br />

nach dem klassischen Schulmodell die Aufgabe der Wissensvermittlung.<br />

Dieses Wissen steht mehr oder weniger<br />

fest; um es zu aktualisieren besucht ein Lehrer ab und zu<br />

eine Fortbildung. Nun wird die kulturelle Bildung und mit<br />

ihr die Künstler in dieser Situation jedoch auf den Plan<br />

gerufen, um die festgefahrenen Lehr- und Lernmethoden<br />

aufzubrechen bzw. zu erweitern, also eine Veränderung zu<br />

bewirken und Kompetenzen zu vermitteln parallel zum<br />

Wissen. Dazu bräuchten die Akteure – und zwar jeder<br />

einzelne - eben jenen „Forschungsauftrag“, der nicht nur<br />

ideeller Natur sein kann.<br />

Künstler(selbst)bilder. Erwartungen von anderen.<br />

Schluss<br />

In diesen Tagen, in denen ich an dieser Arbeit sitze, erreicht<br />

mich eine Anfrage vom LISUM für die anstehende Fachtagung<br />

„Bildende Kunst“, eine Fortbildungsveranstaltung<br />

für Grundschullehrer. „Um interessengeleitetes Lernen<br />

an ergebnisoffenen Aufgaben (das verlangt der Rahmenplan)“<br />

solle es gehen, so der Hinweis zur Konzeption der<br />

Werkstätten. Hier begegnete mir ein extrahiertes Merkmal<br />

künstlerischen Arbeitens, also auch meiner Arbeit, das<br />

verschiedene Umwege, unter anderem über einen Rahmenplan,<br />

genommen hatte, um wieder bei mir in meinem<br />

Email-Account zu landen. In gewisser Weise wirkt das auf<br />

mich paradox, denn das, was eingleisige und wenig wirksame<br />

Lernformen aufbrechen sollte, fällt nun auf mich bzw.<br />

87


Schluss<br />

uns zurück, und zwar als Vorgabe und damit auch als Einschränkung.<br />

Man verlangt von uns etwas ganz bestimmtes,<br />

nämlich das zu vermitteln, was inzwischen als gesellschaftlich<br />

wirksame Kompetenz der Künstler gelabelt ist. – Was<br />

wenn das in meiner Kunst gar nicht Thema ist? Und ich<br />

ein klares Produkt anstrebe, das man in die Hand nehmen<br />

kann, besitzen und benutzen? Selbstverständlich kann man<br />

alles als ergebnisoffen verpacken. 70<br />

Paradox mutet auch an, dass Lehrer, die möglicherweise<br />

jahrzehntelang anders unterrichtet haben, plötzlich derartige<br />

Vorgaben als Rahmenplan vorgesetzt bekommen. Zu<br />

prüfen wäre, ob der Rahmenplan auch die Anleitung zur<br />

Umsetzung gibt.<br />

70 Spontan hatte ich die Idee zu einem Workshop mit folgendem Setting:<br />

Ich bereite nichts vor und bringe nichts mit (die Bezahlung steht eh nicht<br />

im Verhältnis zum Aufwand), sondern begebe mich mit den Teilnehmerinnen und<br />

Teilnehmern zu Beginn in den uns zugewiesenen Raum. Dann erkläre ich die<br />

Lage, - nämlich, wie so oft in der Schule und im Leben, dass nichts da ist. „Interssengeleitet“<br />

gehe ich vor, indem ich sie dann frage, was sie mit nichts machen<br />

möchten. Zur Not könnte ich fragen, was sie in den Taschen haben. Mit dem,<br />

was im Raum so ist und mit dem, was sich in den Taschen der Teilnehmerinnen<br />

und Teilnehmer befindet kann dann ganz ergebnisoffen gearbeitet werden. Zum<br />

Schluss machen wir noch eine Feedback-Runde.<br />

88


Schluss<br />

89


Texte und Bücher:<br />

Bippus, Elke und Glasmeier, Michael (Hg.), Künstler in<br />

der Lehre. Philo & Philo Fine Arts / EVA Europäische<br />

Verlagsanstalt, Hamburg, 2007<br />

Busse, Klaus-Peter (Hg.), Kunstdidaktisches Handeln,<br />

Dortmunder Schriften zur Kunst, Bd1, 2003<br />

Quellenangabe<br />

Foerster, Heinz von, KybernEthik. Merve Verlag, Berlin,<br />

1993<br />

Godau, Sigrid, Über die Kunst zum Traumberuf?. Vortrag,<br />

Institut für Kunst im Kontext Berlin, 29.5.2007,<br />

unveröffentlicht<br />

Grosz, George, Ein kleines Ja und ein großes Nein – Sein<br />

Leben von ihm selbst erzählt. Rohwolt Taschenbuch Verlag,<br />

Reinbek bei Hamburg, 1974<br />

Heid, Klaus und John, Rüdiger (Hg.), TRANSFER: Kunst<br />

Wirtschaft Wissenschaft. [sic!], Baden-Baden, 2003<br />

Hentschel, Ulrike und Stielow, Reimar (Hg.),<br />

Fragen. Jahrbuch 5. Hochschule für Bildende Künste<br />

Braunschweig, Salon Verlag, Köln, 2003<br />

91


Quellenangabe<br />

Kettel, Joachim, IGBK und Landesakademie Schloss<br />

Rotenfels (Hgg.), Künstlerische Bildung nach Pisa, Athena-<br />

Verlag, Oberhausen, 2004<br />

Kneip, Winfried, „Das Curriculum des Unwägbaren.<br />

Über den Wert von ästhetischer Bildung für Schule und<br />

Gesellschaft“. Yehudi Menuhin Stiftung Deutschland (Hg.),<br />

MUS-E Zeit, Ausgabe 2006, Düsseldorf 2006<br />

Lehnerer, Robert, Methode der Kunst, Verlag Königshausen<br />

und Neumann, Würzburg, 1994<br />

Lüth, Nanna und Mörsch, Carmen (Hg.), Kinder machen<br />

Kunst mit Medien. KoPead, München, 2005<br />

Newman, Barnett, Schriften und Interviews 1925-1970.<br />

Schelbert, Tarcisius (Übers.), O’Neill, John (Hg.), Verlag<br />

Garchnang und Springer, Bern, Berlin, 1996<br />

Schwarz, Michael (Hg.): beschreiben. zum beispiel eine<br />

kunsthochschule. Jahrbuch 3, Hochschule für Bildende<br />

Künste Braunschweig, Salon Verlag, Köln, 1999<br />

Walther, Franz Erhard, Denkraum Werkraum, Über<br />

Akademie und Lehre. Lindinger und Schmid Verlag,<br />

Regensburg, 1993<br />

Wuschek, Kay, Kunst, Gesellschaft und kulturelle Bildung -<br />

92


Ein Klärungsversuch. Einführungsrede zur<br />

Werkstattkonferenz „Offensive Kulturelle Bildung in<br />

Berlin“, September 2006, unveröffentlicht<br />

Links:<br />

http://www.artrelated.net/<br />

http://www.artusprojekt.de/<br />

http://www.bkj-remscheid.de/<br />

http://www.brock.uni-wuppertal.de/Schrifte/Habil/<br />

Lehnere1.html und Lehner2.html<br />

http://www.crosskick.de/<br />

http://www.kompetenznachweiskultur.de<br />

http://www.transferkunst.de/<br />

http://www.uni-koblenz.de/~odsjgroe/konstruktivismus/<br />

lerntheo.htm<br />

Filme:<br />

Bär, Andreas und John, Rüdiger (Hg.), Die Akademie ist<br />

keine Akademie. [sic!], Stuttgart, 1999 (CD-ROM)<br />

Breitel, Heide, Aus Erfahrung klug, Dokumentarfilm,<br />

58 min., ZDF/ Arte, 2004/2005<br />

Quellenangabe<br />

Kahl, Reinhard, Treibhäuser der Zukunft. Dokumentarfilm,<br />

115 min., Archiv der Zukunft, 2004<br />

93


<strong>KÜNSTLER</strong>. ..<strong>LEHRE</strong><br />

<strong>Dörte</strong> <strong>Meyer</strong>


Masterarbeit<br />

Betreuender Dozent: Dr. Volker Hoffmann<br />

Institut für Kunst in Kontext - Fakultät Bildende Kunst -<br />

Universität der Künste, Berlin - Juni 2007


Inhalt<br />

Vorwort .............................................................................5<br />

Interviews und Gespräche ............................................7<br />

Oliver Zwink ............................................................13<br />

Susanne Ring ...........................................................17<br />

Serge Comte ............................................................23<br />

Yvonne Wahl ...........................................................27<br />

Heike Klußmann ...................................................35


Vorwort<br />

Ich habe mich mit dieser Arbeit in ein Thema begeben und<br />

mit dem Thema – gleichzeitig – in eine Diskussion darüber,<br />

die Einfluss nimmt auf viele Überlegungen dieser Arbeit.<br />

Es ist schwierig diese Diskussion mit einem bestimmen<br />

Datum zu unterbrechen. Ich selbst betrachte diese Arbeit<br />

hier als einen Schnitt, als einen bestimmten Stand der Diskussion<br />

an Tag X, die sich danach fortsetzt.<br />

Dieses Buch lässt sich von beiden Seiten aufschlagen. Von<br />

der einen Seite zu lesen sind Email-Interviews und Gespräche<br />

und von der anderen Seite kann man in meine<br />

Überlegungen zum Thema einsteigen.<br />

5


Interviews und Gespräche<br />

Die Liste meiner Fragen enthält fünf Hauptpunkte, mit<br />

deren Hilfe ich meine Kolleginnen und Kollegen gebeten<br />

habe, mir ihre Situation zu beschreiben.<br />

Im ersten geht es mir um eine kurze Darstellung,<br />

wie es zur Tätigkeit in der Lehre kam und in welchem<br />

Bereich diese Lehrtätigkeit angesiedelt ist, also ob es<br />

sich um eine Hochschule handelt, eine Oberschule oder<br />

eine Grundschule. Im Hochschulbereich ist außerdem<br />

die Unterscheidung zwischen der Lehre in einem<br />

Kunststudiengang und der als Künstler in anderen<br />

Disziplinen wie beispielsweise Architektur oder Design<br />

interessant.<br />

Der zweite Fragenblock zielt auf die Lehrinhalte ab. Im<br />

Einzelnen interessiert mich hier zu erfahren, ob es sich<br />

schwerpunktmäßig um die Vermittlung von technischen<br />

Fertigkeiten handelt oder ob künstlerische Prozesse und<br />

Arbeitsweisen auch eine Rolle spielen. Gleichzeitig möchte<br />

ich Aussagen über Frei- und Gestaltungsspielräume in der<br />

Lehre erhalten. Wie künstlerische Prozesse direkt oder<br />

indirekt thematisiert werden, lässt sich gut an der Art der<br />

Aufgabenstellung ablesen, sofern die Künstlerinnen und<br />

Künstler die Freiheit hatten, diese selbst zu entwickeln.<br />

7


Interviews<br />

Aufgabenstellungen von Künstlerinnen und Künstlern<br />

weichen, wie ich an mir selbst auch beobachtet habe, oft<br />

klassischen Aufgabenstellungen aus und provozieren einen<br />

möglichst eigenständigen Ansatz, - mit unterschiedlichen<br />

Folgen.<br />

Die dritte Frage bezieht sich auf Kooperationen und<br />

interdisziplinäres Arbeiten. Dieser Bereich ist interessant,<br />

weil er unmittelbar beeinflusst wird von der eigenen<br />

künstlerischen Arbeitsweise, also zum Beispiel der Frage,<br />

ob man sich gerne in sein Atelier zurück zieht oder<br />

aktiv Netzwerkarbeit betreibt. Gleichzeitig spielen die<br />

Selbstwahrnehmung und die Künstlerbilder der anderen<br />

hier eine bedeutende Rolle.<br />

Carmen Mörsch beschreibt dies am Beispiel der Schule<br />

so:<br />

Wenn Künstlerinnen in Schulen kommen, gehen ihrem Besuch<br />

Vorstellungen über das, was KünstlerInnen sein mögen,<br />

voraus. Stärker als bei außerschulischen PartnerInnen anderer<br />

Professionen, wird das Spezifische der Zusammenarbeit bei<br />

ihnen mit den an die Figur des Künstlers gehefteten Mythen<br />

– z.B. vom genialen, einzelgängerischen Schöpfer oder vom<br />

Meister – in Verbindung gebracht. Das Verhältnis, welches die<br />

beteiligten Lehrenden, SchülerInnen und EntscheiderInnen zu<br />

den Künstlermythen jeweils unterhalten, ist mitbestimmend für<br />

das, was sich in der Situation ereignen kann und was nicht. 1<br />

1 Mörsch, Carmen, „.(lacht)“. In: Lüth, Nanna und dies. (Hg.), Kinder<br />

machen Kunst mit Medien, KoPead, München, 2005, S.


Interviews<br />

Selbst an einer Kunsthochschule trifft das natürlich<br />

in gewisser Weise zu, insbesondere für die Arbeit mit<br />

Studenten, die gerade erst mit ihrem Studium begonnen<br />

haben.<br />

Der vierte Fragenblock beschäftigt sich mit der Methode.<br />

Auch wenn der Lehre vielleicht nicht immer eine<br />

umfassende Reflexion der eigenen Arbeit zugrunde<br />

liegt, kann doch auch ein intuitives Vorgehen oder eine<br />

Kombination von beidem zu einer Form von Methode<br />

führen.<br />

Hier interessieren mich auch konkrete, individuelle<br />

Lösungen, wie Kolleginnen und Kollegen aus ihrer eigenen<br />

Arbeit Ansätze für die Lehre entwickeln.<br />

Mit dem fünften und letzten Fragenteil versuche ich<br />

herauszufinden, wie die Künstlerinnen und Künstler mit<br />

der Lehre und der eigenen Arbeit umgehen und wie sie<br />

deren Vereinbarkeit einschätzen. Wie sie die Situation<br />

anfangs empfunden haben und vielleicht auch, ob in<br />

dieser Hinsicht im Laufe der Zeit eine Entwicklung für<br />

sie stattgefunden hat. Grund für diese Frage ist die sehr<br />

schlichte Einsicht, dass ein Künstler Künstler bleiben muss,<br />

sonst kann er weder durch seine künstlerische Praxis das<br />

Lernfeld mitprägen noch kann er etwas vermitteln.<br />

Die Künstler mit denen ich im Austausch stehe, sind, bis<br />

auf wenige Ausnahmen im Hochschulbereich tätig. Sie sind


Interviews<br />

entweder als künstlerisch-wissenschaftliche Mitarbeiter<br />

beschäftigt oder haben seit kurzem eine eigene Professur.<br />

Den schulischen Rahmen möchte ich jedoch nicht<br />

ausklammern.<br />

Trotz der unterschiedlichen Arbeitsfelder - unbenommen<br />

ist es ein Unterschied, ob ein Künstler projektbezogen<br />

in einer Grundschule tätig ist oder angehende<br />

Künstlerkollegen in ihrem Studium begleitet sowie ob ein<br />

Künstler in einem Architekturstudiengang lehrt oder eben<br />

in einem Kunststudiengang – haben diese Lehrsituationen<br />

aus Künstlersicht einiges gemeinsam. Die Künstler, die<br />

beispielsweise Architekturstudenten im Fach plastisches<br />

Gestalten unterrichtet, ist ausdrücklich als Künstler<br />

dorthin geholt worden und müsste dort daher eigentlich<br />

auch als Künstler wirken können. Wie Carmen Mörsch<br />

beschreibt (s.o.), sehen jedoch die anderen das Bild und<br />

die Rolle des Künstlers als Außenstehende oft nach Bedarf<br />

variierbar und es wird eventuell von ihm verlangt, dass<br />

er seine Fähigkeiten sehr partiell vermittelt, sich z.B. auf<br />

bestimmte Techniken konzentriert. Oder aber er wird mit<br />

Vorstellungen konfrontiert, deren Kunstbegriff noch dem<br />

Bauhaus verhaftet ist.<br />

Gleichzeitig ist es mir jedoch beispielsweise passiert, dass ich<br />

zu Beginn meiner Tätigkeit als künstlerische Mitarbeiterin<br />

im Studiengang der „Freien Kunst“ einen Maltechnikkurs<br />

geben sollte. Ich verstehe mich nicht als Malerin. Ich habe<br />

zu Beginn meines eigenen Studiums zwar auch gemalt,<br />

aber hatte dies zu dem Zeitpunkt seit fast 10 Jahren nicht<br />

10


Interviews<br />

mehr getan. Meine Chemiekenntnisse aus einem anderen<br />

Studiengang und immerhin vorhandene eigene praktische<br />

Erfahrung im Bezug auf Malerei qualifizierten mich jedoch<br />

dazu, diesen Kurs zu geben. Ich vermittelte also etwas, das<br />

rein gar nichts mit meinem Selbstverständnis zu tun hatte.<br />

Diese zwei Beispiele zeigen, dass die Tätigkeitsfelder der<br />

Künstlerinnen und Künstler, zumindest wenn diese im<br />

so genannten Mittelbau beschäftigt sind, gar nicht soweit<br />

voneinander entfernt sind. Diese Betrachtungsweise lässt<br />

sich auch auf Schulkontexte übertragen.<br />

Bei allen Unterschieden haben alle Lehrsituationen<br />

außerdem gemeinsam, dass sie die Künstlerinnen und<br />

Künstler in eine Situation bringen, in der sie mit ihrer<br />

eigenen künstlerischen Arbeit und der Lehre irgendeine<br />

Form von Verbindung herstellen müssen.<br />

11


Interviews<br />

12


Oliver Zwink<br />

künstlerischer Mitarbeiter an der Bauhaus Universität<br />

Weimar im Studiengang Freie Kunst<br />

Wo lehrst Du? Auf welchem Gebiet?<br />

Interviews<br />

Kunststudenten und Kunstlehramtsstudenten, zum kleineren<br />

Teil Studenten mit der Fachrichtung Visuelle Kommunikation,<br />

Produkt Design, Mediengestaltung und Architektur, ich<br />

unterrichte im Fachbereich „Freie Kunst“ an der Fakultät<br />

Gestaltung der BUW<br />

Wie bist Du dazu gekommen? Warum hast Du Dich für<br />

die Lehre entschieden?<br />

Die Freundin von meinem Bruder, (Architektin) damals selber<br />

als Mitarbeiterin an der Uni tätig, hatte mich dazu ermuntert<br />

mich doch mal nach Stellen an der Uni Ausschau zu halten,<br />

Ich hatte sehr große Lust das zu machen. Ich habe eigentlich<br />

immer schon gewußt das ich das mal machen möchte, schon<br />

in den ersten Semestern an der Kunstuni, fand ich die Idee<br />

sehr reizvoll einmal selber in der Lehre zu arbeiten.<br />

Für mich war die eigene Erfahrung, “gelehrt zu werden“,<br />

und professionell über die Arbeit zu kommunizieren eine<br />

unglaubliche Erfahrung, ... immer halb Enttäuschung, halb<br />

13


Interviews<br />

Befreiung, aber so wie ich es selbst erlebt habe, immer darauf<br />

aus die eigenen Möglichkeiten zu erweitern und sich neue<br />

Spielräume zu erarbeiten. Die Gebundenheit der künstlerischen<br />

Lehre an Medien und Material, die Idee ein Ding in den leeren<br />

Raum zu stellen und darüber zu reden, und dann noch zu<br />

erleben was sich in dieser Situation dann abspielt zwischen<br />

dem Objekt und den Betrachtern, wie sich plötzlich durch eine<br />

intensives Verstehenwollen der Sache alles verändern kann,<br />

man die Welt plötzlich neu betrachtet, ... das hat mich sehr<br />

fasziniert , mindestens genauso wie der eigene künstlerische<br />

Arbeitsprozess. Von daher war für mich zu lehren, auch immer<br />

mit der Möglichkeit der persönlichen Weiterentwicklung<br />

verbunden, ob es dann in der Verantwortung als Lehrender<br />

auch zu einer künstlerischen Weiterentwicklung (der eigenen<br />

Arbeit) beiträgt, sei an diesem Punkt mal dahingestellt, im<br />

Moment bezweifle ich es eher.<br />

Was lehrst Du? Wie konkret sind die Vorgaben, wie groß<br />

ist dein Gestaltungsspielraum? Kannst Du Themen selber<br />

vorschlagen oder bestimmen? Welchen Charakter haben<br />

Deine Themen? Wonach wählst Du sie aus? (Beispiele?)<br />

Ich würde mich erst mal als einen Betrachter sehen und dann<br />

als einen Lehrer, der stark über die visuelle Präsenz/Prägnanz<br />

einer Sache in die Arbeit hineingezogen wird. Meine eigenen<br />

„Basiserfahrungen“ liegen innerhalb der abstrakten Malerei<br />

und Zeichnung begründet, Künstlerisches Handeln bildet sich<br />

für mich daher auf diesem eigenen Erfahrungshorizont ab.<br />

1


Interviews<br />

Daher stehen bei mir die Reflexion der Denkprozesse , die<br />

über das Handeln in einem Medium stattfinden und zu einer<br />

künstlerischen Behauptung führen, eher im Vordergrund als<br />

konzeptuelle Ansätze. Zeichnung und Malerei sind mir selbst<br />

nahe Medien, von daher versuche ich über diese Medien auch<br />

etwas zu vermitteln. Ich seh das eher als einen Ankerpunkt<br />

von dem sich andere Medien/Themen erschließen lassen.<br />

So ähnlich hat es sich in meiner eigenen künstlerischen<br />

Entwicklung abgespielt. Ich mache inzwischen keine Malerei<br />

mehr, sondern eher was man vielleicht als Rauminstallation<br />

bezeichnet, würde aber ungern “Rauminstallation“ unterrichten,<br />

weil sich für mich persönlich damit inhaltlich weniger verbindet<br />

als mit Malerei und Zeichnung.<br />

15


Interviews<br />

1


Susanne Ring<br />

künstlerische Mitarbeiterin an der Bauhaus Universität<br />

Weimar im Studiengang Lehramt Kunsterziehung<br />

Wo lehrst Du? Auf welchem Gebiet?<br />

also ich unterrichte in der hauptsache kunstlehramt studenten,<br />

aber auch viele studenten der freien kunst und produkt<br />

designer. eine bunte mischung.<br />

Wie bist Du dazu gekommen? Warum hast Du Dich für<br />

die Lehre entschieden?<br />

ich habe 9 lange jahre in der einzelfallhilfe gearbeitet.<br />

kontakte aus dieser zeit haben mir die arbeit in schulprojekten<br />

ermöglicht, so dass ich feststellen konnte, dass ich „lehre“ im<br />

ausser-schulischen kontakt, also wenn er von den schülern<br />

selbst „gewählt“ ist, und nicht verordnet wird, ganz gut finde.<br />

ich begleite gerne prozesse, ich motiviere gerne, ich diskutiere<br />

gerne.<br />

ich bin neugierig. ich habe etwas mitzuteilen und die künstlerische<br />

selbstverunsicherung, die ich mit den studenten auch erlebe<br />

(veränderte sehgewohnheiten, veränderte konnotation von z.b.<br />

materialien etc.) macht mir spaß und es ist eine spannende<br />

herausforderung.<br />

Was lehrst Du?<br />

Interviews<br />

17


Interviews<br />

zeichnung, malerei, plasik, alles was ich auch mache.<br />

Wie konkret sind die Vorgaben, wie groß ist dein<br />

Gestaltungsspielraum?<br />

gar nicht konkret. ich sehe mich als forumsangebot. die<br />

studenten kommen, kriegen platz und zeit und ein „betreutes“<br />

forum in dem sie ihre arbeiten und ideen vorstellen können.<br />

sowohl materialien als auch inhalte werden frei gewählt.<br />

Kannst Du Themen selber vorschlagen oder<br />

bestimmen? Welchen Charakter haben Deine Themen?<br />

Wonach wählst Du sie aus? (Beispiele?)<br />

ich habe zu beginn meiner assistenzzeit themen vorgeschlagen,<br />

z.b. „das tier in mir“- ist zu begreifen ... oder? und „lieblingsarbeit“-<br />

da ging es um die künstlerische arbeit von anderen künstlern,<br />

auf die sich die studenten in einer ihnen eigenen weise beziehen<br />

sollten ... ich habe auch schon aktzeichnen und aktmodellieren<br />

und abgießen angeboten ... sehr unterschiedlich ... am liebsten<br />

ist mir jedoch das offene forum, so habe ich selber auch studiert,<br />

mir hat das gut getan. ich mache jedes semester 1oder 2<br />

exkursionen, für aktzeichnen vergebe ich lehraufträge, ich lade<br />

kollegen ein, die korrekturen geben oder mache atelierbesuche<br />

bei kollegen. ich sehe mit den studenten filme ... greenaway,<br />

mad max, tierische liebe ... was gerade passt oder zu passen<br />

scheint ... auch filme über künstler ...<br />

1


Interviews<br />

Arbeitest Du mit jemandem zusammen? Mit wem, wie?<br />

Wie läuft das aus Deiner Sicht?<br />

gerade muss ich das nicht, aber 2 jahre hatte ich eine<br />

professorin, das lief super, sie war wissenschaftlerin, so hatte<br />

ich gelegenheit von anbeginn an „ausschließlich zu lehren, und<br />

hatte da auch völlig freie hand.<br />

-2 semester haben wir auch gemeinsam ein malerei projekt<br />

angeboten und uns dabei in den plenen sehr gut ergänzt.<br />

Lehrst Du gerne? Verfolgst Du dabei gezielt bestimmte<br />

Ideen? Welche? Was denkst Du, kannst Du als Künstler<br />

vermitteln? Oder ist Dein Vorgehen eher intuitiv? Wenn<br />

ja, was glaubst Du, was Dich antreibt? Was denkst Du, was<br />

Du vermitteln möchtest, was hältst Du für relevant?<br />

Wann und warum lehrst Du nicht gerne?<br />

ich kann stillstand nur sehr schwer ertragen, ich bin eine sehr<br />

ruhelose person und mir ist wenig egal.<br />

das ist sicher manchmal auch für die studenten schwer zu<br />

ertragen ... aber ich glaube sie profitieren ziemlich davon. ich<br />

erwarte entwicklung und manchmal auch ziemliches tempo.<br />

die studenten die zu mir kommen wissen das und kommen<br />

damit gut zurecht.<br />

die, die damit nicht klar kommen bleiben ziemlich schnell weg<br />

und - ja, ich unterrichte sehr gerne, auch wenn ich dieses wort<br />

wohl kaum verwenden würde. wahrscheinlich bin ich eher eine<br />

art antreibende begleiterin.<br />

1


Interviews<br />

Wie wirkt sich das Unterrichten auf Deine eigene Arbeit<br />

aus? Siehst Du<br />

Anknüpfungspunkte, auch methodischer Art?<br />

wie schon gesagt, ich profitiere auch von der arbeit mit den<br />

studenten. ich finde die diskussionen inspirierend, auch wird<br />

z.t. mit materialien neu umgegangen - das ist doch toll, und<br />

natürlich schaue ich da auch sehr genau hin. ich profitiere<br />

ebenso von den studenten, wie die studenten von mir.<br />

Welche Aspekte an der Lehre waren für Dich ganz neu als<br />

Du angefangen hast? Wie kommst Du damit klar?<br />

neu und schwierig war zu anfang nicht die lehre, sondern der<br />

rahmen.<br />

ich war immer freiberuflich. plötzlich so ein angestelltenverhältnis<br />

... brrr<br />

die zeit der lehre ist ja festgelegt ... aber was macht man wenn<br />

man keine veranstaltungen hat ?? am anfang sitzt man ja in<br />

keinen gremien, räten oder sowas.<br />

da kennt einen ja auch keiner ... ich habe mich also bemüht,<br />

einen sehr beschäftigten eindruck zu hinterlassen. in wirklichkeit<br />

war ich total unterfordert bei gleichzeitiger überforderung mich<br />

in diesem uni-system zu etablieren, denn dabei hilft einem ja<br />

keiner.<br />

das war eine scheußliche zeit - aber anscheinend üblich.<br />

Kannst Du die Lehre als einen Teil Deiner Arbeit<br />

20


Interviews<br />

betrachten? Wo und wie? oder stellt sie eher einen<br />

Widerspruch zu ihr dar? Wo, wie, warum?<br />

... ist auch immer ein teil meiner eigenen arbeit, denn die fragen<br />

die ich studenten stelle, stelle ich mir für mich im eigenen<br />

arbeitsprozeß natürlich auch...<br />

Eine Frage hätte ich noch, diese Kunststudenten auf<br />

Lehramt, kommen die nicht mit Fragestellungen, die<br />

sich auf ihre spätere Aufgabe als Lehrer beziehen, mit<br />

Fragen nach Vermittlung oder gar Didaktik? Oder gar mit<br />

Erfahrungen aus der Schule? Wie gehst Du dann damit um,<br />

fällt Dir da was zu ein?<br />

... ich behandel die lehramtstudenten, ganz konsequent<br />

als künstler, gemäß dem motto: künstler sind immer auch<br />

kunstvermittler/“lehrer“ und wer nix zu vermitteln hat kann<br />

auch nix lehren.<br />

natürlich funktioniert schule anders, aber wenn nicht an der<br />

uni, wo soll sich dann in der haltung was ändern ...<br />

also die, die so echte tran-lehrer werden wollen, die begreifen das<br />

studium auch eher als groß angelegtes handwerks/werkstoffstudium<br />

... so, oder ähnlich und bleiben meistens schon nach 2<br />

terminen weg ... denen bin ich viel zu fordernd.<br />

die, die bleiben, und künstler/ lehrer werden wollen sind<br />

extrem ehrgeizig, ambitioniert und vereinen ein paar ziemlich<br />

gute eigenschaften auf sich: zuverlässigkeit, gründlichkeit,<br />

frustrationstoleranz. außerdem studieren die meisten<br />

21


Interviews<br />

doppelfach kunst, d.h. „nur“ kunst und das macht auch schon<br />

einen riesigen unterschied gegenüber denjenigen die 2 fächer<br />

haben.<br />

die theorie machen andere mit denen, die didaktiker und so...<br />

hab ich nix mit zu tun ..........<br />

22


Serge Comte<br />

Workshops und Lectures in Frankreich, Polen und an<br />

anderen Orten, zur Zeit Lehrauftrag an der Academy of<br />

Arts, Island<br />

Did you ever teach?<br />

yes,<br />

Why? Have you been asked or did you apply?<br />

have been asked<br />

How long? (regular or workshop-like?)<br />

since 1999 , workshop-like here and there, and more regular in<br />

the Academy of Arts of Iceland since 2001<br />

Whom did you teach?<br />

especially upcoming artists but also kids from 6 to 12 in<br />

primary schools or museum/art centers<br />

What did you teach? -<br />

Interviews<br />

Video, Sound, Drawing, Dancing, Talking, Relaxing, Sleeping, ....<br />

teach their a lesson ; )<br />

23


Interviews<br />

What have you been asked to teach? -<br />

Video, Sound<br />

Did you choose the topic by your own?<br />

yes<br />

What was it?<br />

male trouble, torture, society of control v’s society of discipline,<br />

annunciation, insects, family<br />

Why did you choose it?<br />

because I think it was interesting to develop it, and could help<br />

student to be more clever in their brains<br />

Did you have to collaborate with somebody?<br />

yes, sometimes<br />

With whom?<br />

Halli Kalli, Matthiew Barney, Ingolfur Arnarson, Nathalie Boutin,<br />

<strong>Dörte</strong> <strong>Meyer</strong><br />

How did it work out?<br />

2


quite well,<br />

Do you like teaching?<br />

very much !!<br />

Do you have any basic principals or ideas about teaching<br />

art?<br />

no, I don’t think so, maybe inverted role:” I’m here to learn ,<br />

they are here to teach?!”<br />

What you didn’t like ..<br />

maybe be those fucking lazy damned half-dead sleeping<br />

students, you know those ones who should do something else<br />

What happens to your own work when you teach?<br />

nothing much I guess, maybe I understand better what I did<br />

when I was a student, but nothing more<br />

Where could you refer to your own work and what was<br />

a completely new challenge<br />

???<br />

Interviews<br />

Do you see teaching as a part of your work or as a<br />

25


Interviews<br />

contradiction?<br />

not a part of my work, no contradiction either, it’s quite<br />

separate I guess,<br />

Or both? (A friend of mine, meanwhile professor, told me<br />

that she always has to go swimming when she comes back,<br />

to get ride of all those words and discourses,<br />

to be able to work in her own atelier.)<br />

swimming pools are nice and I should follow, because I really do<br />

feel like a dry sponge after my courses.<br />

2


Yvonne Wahl<br />

künstlerische Mitarbeiterin an der BTU Cottbus am<br />

Lehrstuhl Plastisches Gestalten für Architekten<br />

Was lehrst Du? Auf welchem Gebiet?<br />

Interviews<br />

Als künstlerische Assistentin unterrichte ich<br />

Architekturstudenten an einer technischen Universität am<br />

Lehrstuhl für Plastisches Gestalten.<br />

Wie bist Du dazu gekommen? Warum hast Du Dich für<br />

die Lehre entschieden?<br />

Lehre hat mich während meiner eigenen Studienzeit<br />

immer schon interessiert. Ich habe auch zu dieser Zeit<br />

die Techniken meiner Dozenten und Professoren bereits<br />

kritisch reflektiert und zum Teil mit ihnen diskutiert.<br />

Voraussetzung für die Lehre ist für mich die Neugierde<br />

und Freude an der Entwicklungsfähigkeit von Menschen.<br />

Fragen wie: gibt es Kernaussagen der jeweiligen Person<br />

die immer wieder auftauchen und prägend sind in deren<br />

Handlungsweise? Wo liegen deren Kompetenzen? Eine<br />

intelligente, authentische gestalterische Sprache individuell<br />

mit den Studierenden zu entwickeln sehe ich als einer<br />

meiner Hauptaufgaben. Die Fähigkeit des Kommunizierens<br />

und Reflektierens der eigenen wie auch der fremden<br />

Gestaltung sind in dieser Entwicklung wesentlich.<br />

27


Interviews<br />

Was unterrichtest Du? Wie konkret sind die Vorgaben,<br />

wie groß ist dein Gestaltungsspielraum? Kannst Du<br />

Themen selber vorschlagen oder bestimmen? Welchen<br />

Charakter haben Deine Themen? Wonach wählst Du sie<br />

aus? (Beispiele?)<br />

Als von der Bildhauerei geprägte Künstlerin unterrichte ich<br />

künstlerische Wahrnehmung und Techniken für Bachelor<br />

und Master Studenten. Raumwahrnehmung in all ihren<br />

Facetten ist dabei ein wichtiger Vermittlungsschwerpunkt.<br />

Vorgaben werden mir als Assistentin in der Struktur der<br />

Fakultät und des Lehrstuhls gemacht.<br />

Eine bestimmte Anzahl an Seminaren wird mir vorgeschrieben.<br />

Mein vorgesetzter Professor und Lehrstuhlinhaber ist<br />

glücklicherweise für eine Weiterentwicklung und Diskussion<br />

der Lehrmethoden aufgeschlossen. Inhaltlich kann ich aber<br />

meist frei entscheiden und meine eigenen Interessenfelder<br />

in die Seminargestaltung mit einfließen lassen.<br />

Die geringe Einbindung des Faches in das Bachelorstudium<br />

(nur ein Semester als Pflichtseminar), sowie die Unmenge<br />

der Studenten (80-120) erfordert eine enge Teamarbeit<br />

mit den Kollegen (2. Assistenten und Professor).<br />

Im Master kann ich ureigene Themen unabhängig von<br />

den Interessen der Kollegen anbieten. Dabei spielen aber<br />

auch Überlegungen der Ausgewogenheit des Angebotes<br />

über die Jahre, externe Anfragen und Vorschläge für<br />

Seminare, wie auch die Notwendigkeit der Akquisition von<br />

Drittmittelprojekten eine Rolle. Beispiel für ein meiner<br />

2


Interviews<br />

künstlerischen Arbeit naheliegendes Seminarthema im<br />

Masterstudiengang war ein Videoseminar mit dem Thema<br />

´heimliche Orte´. Filme von David Lynch wurden parallel<br />

zur eigenen (studentischen) Videoproduktion besprochen<br />

und ´standen Pate´. Auf Wunsch einiger Studenten habe ich<br />

ein eher formal ästhetisches Thema - die Formensprache<br />

des Mikrokosmos und deren Transformierbarkeit in<br />

architektonische Dimensionen - angeboten. Ein derzeitiges<br />

Seminar wurde auf die Initiative eines externen Künstlers<br />

entwickelt. Dabei geht es neben dem Thema der<br />

ortspezifischen Gestaltung um die grenzüberschreitende<br />

und interkulturelle Kommunikation zwischen Deutschland<br />

und Polen.<br />

Musst Du mit jemandem zusammenarbeiten? Mit wem,<br />

wie? Wie läuft das aus Deiner Sicht?<br />

Der Lehrstuhl besteht aus einem Professor, zwei<br />

Assistenten, einem Werkstattleiter und einer Sekretärin.<br />

Einmal wöchentlich findet eine Besprechung zwischen den<br />

Lehrenden statt in der anstehende Aufgaben verteilt, aber<br />

auch die Seminare reflektiert und weiterentwickelt werden.<br />

Der Versuch alle an über den Stand der Dinge auf dem<br />

laufenden zu halten finde ich befriedigend. Manchmal lässt<br />

leider der Zeitrahmen und die Menge der zu besprechenden<br />

Themen allerdings eine Vertiefung in das Masterseminar<br />

des Kollegen nicht zu.<br />

2


Interviews<br />

Lehrst Du gerne? Verfolgst Du dabei gezielt bestimmte<br />

Ideen? Welche? Was denkst Du, kannst Du als Künstler<br />

vermitteln? Oder ist Dein Vorgehen eher intuitiv? Wenn<br />

ja, was glaubst Du, was Dich antreibt? Was denkst Du, was<br />

Du vermitteln möchtest, was hältst Du für relevant?<br />

Wann und warum unterrichtest Du nicht gerne?<br />

Das Wort unterrichten erinnert mich unangenehm an<br />

Schulzeiten. Ich verbinde damit Frontalunterricht und eine<br />

Situation der Wissensvermittlung von a nach b. Natürlich<br />

gebe ich in den Seminaren auch mein Wissen weiter,<br />

hauptsächlich schaffe ich aber durch Aufgabenstellungen<br />

die Möglichkeit, dass sich die Studenten mit bestimmten<br />

Themen und Fragestellungen auseinandersetzen, die eine<br />

Öffnung und auch Präzisierung ihrer Wahrnehmungsfähigkeit<br />

zum Ziel haben.<br />

Das folgende ist die Einleitung eines Vortrages vor<br />

Architekturstudenten:<br />

Architekten werden im Allgemeinen gerne als Universalisten<br />

bezeichnet. Sie müssen vieles im Vagen begreifen und einschätzen<br />

können, müssen Ideen und Konzepte entwickeln, welche weite<br />

Bögen spannen über gesamtgesellschaftliche Phänomene. Die<br />

konkrete Ausführung übergeben sie dann den Spezialisten.<br />

Neben hochkarätiger Theorie und handfester Bauleitung,<br />

fachspezifischem bautechnischem Wissen, Philosophie und<br />

Soziologie liegen noch weitere Kompetenzen, die erlangt werden<br />

30


Interviews<br />

sollten, um eine reife Architektenpersönlichkeit abzugeben. Ich<br />

nenne sie die Themen DAZWISCHEN.<br />

Ein Beispiel ist das Thema der Zwischenmenschlichkeit Man<br />

nennt es auch soziale Kompetenz. Gebaut wird immer für<br />

Menschen. Wieviel beschäftige ich mich mit dem Menschlichen.<br />

Was weiß ich über die soziale Gruppe der Nutzer. Welche<br />

Alltagsabläufe prägen den zu gestaltenden Raum. Bin ich aus<br />

der Distanz heraus fähig dies zu beurteilen oder wie schaffe<br />

ich es eine authentische Information zu bekommen ohne<br />

klischeehaften Wahrnehmungsmuster zu verfallen.<br />

Wie erleben wir unterschiedliche Menschen Situationen oder<br />

Räume? Gibt es universelle Aussagen dazu oder gehe ich immer<br />

von mir selber aus.? Reflektiere ich mich gut genug, um mit<br />

meinen Stärken und Schwächen sinnvoll umzugehen?<br />

Vieles dieser Kompetenzen lernt man in den sozialen Feldern<br />

des Lebens im Ansatz automatisch, einiges aber auch nicht und<br />

um sie zu erlangen bzw. auszubauen muss daran gearbeitet<br />

werden.<br />

Ein weiteres DAZWISCHEN Thema ist die künstlerische<br />

Wahrnehmung. Auch die Wahrnehmung, oft gleichgesetzt mit<br />

dem Sehen schlechthin, scheint selbstverständlich und durch<br />

die persönlichen Alltagserfahrungen geprägt. Als Gestalter<br />

oder Künstler reicht allerdings eine reflexartige Reaktion und<br />

Beurteilung des Wahrgenommenen nicht aus, umgangssprachlich<br />

spricht man von dem „Aus dem Bauch heraus handeln“. Genau<br />

das ist nicht gemeint. Wesentlich ist in meinen Augen sich die<br />

Möglichkeiten eines souveränes Benennens von Wirkungsweisen<br />

31


Interviews<br />

anzueignen. Eine künstlerische Wahrnehmung nenne ich das<br />

DAZWISCHEN, zwischen Emotionalität und Rationalität. Das<br />

gesamte Spektrum ist damit gemeint -von dem nahezu nicht<br />

in verbale Sprache Fassbaren bis zur glasklaren Analyse. Diese<br />

Bandbreite der Wahrnehmung kann von jedem geübt werden,<br />

auch wenn man sich selber nicht als Künstler definiert. Für<br />

Architekten ist sie wesentlich zur Sensibilisierung auf dem Weg<br />

zum beseelten Bauen. Beseeltes Bauen ist in meinen Augen<br />

eines der Hauptzielsetzungen des Architekturstudiums.<br />

Zur Sensibilisierung und dem Ausreizen des<br />

Wahrnehmungsspektrums gehört das Fragen. Fragen zu<br />

stellen ist Teil meiner künstlerischen Strategie - oft mit der<br />

Konsequenz, dass ich mit unbefriedigenden oder sogar gar<br />

keinen Antworten auf meine Fragen leben muss (genauso wie<br />

vielleicht der Betrachter meiner Werke.) Diese Aporie muss<br />

man aushalten können. Aus Angst vor dem Scheitern und der<br />

Ausweglosigkeit keine Fragen zu stellen halte ich für dumm<br />

und einen großen Fehler.<br />

Exemplarisch kann ein Fragenkatalog aufgestellt werden:<br />

W-Fragen:<br />

was ist das? (was will es sein?)<br />

was sehe ich?<br />

wie ist es gemacht?<br />

wie wirkt es auf mich?<br />

was weiß ich über den Künstler?<br />

was weiß ich über die Zeit, in der es entstanden ist -<br />

kunsthistorisch, politisch, etc.<br />

32


Interviews<br />

_und wenn ich all das beantwortet habe - bin ich dem Werk<br />

wirklich näher gekommen?<br />

Die Antworten in einer angemessenen Sprache zu formulieren<br />

ist eine fortwährende Übung und kann immer nur als<br />

Annäherung verstanden werden.<br />

Wie wirkt sich die Lehre auf Deine eigene Arbeit aus?<br />

Siehst Du Anknüpfungspunkte, auch methodischer Art?<br />

Welche Aspekte an der Lehre waren für Dich ganz neu als<br />

Du angefangen hast? Wie kommst Du damit klar?<br />

Kannst Du die Lehre als einen Teil Deiner Arbeit<br />

betrachten? Wo und wie? Oder stellt sie eher einen<br />

Widerspruch zu ihr dar? Wo, wie, warum?<br />

Zu sehen, dass es so viele nachvollziehbare Möglichkeiten<br />

gibt etwas zu denken und zu entwerfen, zeigt mir wie<br />

notwendig eine eigene prägnante Stellungnahme ist.<br />

Studium bedeutet eben nicht nur ein Sich-finden, sondern<br />

auch ein Sich-kreieren. Auf deine Frage der Auswirkung auf<br />

mich: ich denke radikaler und effizienter.<br />

Mit dem Bewußtsein meiner Lebenserfahrung habe ich<br />

mich - auch als Experiment - in die Lehre geworfen. Der<br />

Druck mich präsentieren zu müssen ist mir dabei nicht<br />

leicht gefallen. Die Offenheit und Akzeptanz der Studenten<br />

mir gegenüber und der Aspekt ein Rad im komplexen<br />

Getriebe eines Menschen (Studenten) sein zu können, hat<br />

33


Interviews<br />

mich überrascht - und es ist eine große Freude.<br />

3


Interviews<br />

Heike Klußmann<br />

Professorin für Bildende Kunst, Gestaltung und Dastellung im<br />

Fachgebiet Architektur an der Universität Kassel<br />

... beim Erzählen ist das alles leichter und flüchtiger und ist<br />

auch mehr dem Moment verhaftet, was ich schätze. Deshalb<br />

späte Antwort, aber auch, weil ich durch documenta Eröffnung<br />

24/7 in Beschlag genommen war. Kurzum, ich schätze<br />

Zusammenarbeit mit Studenten, wenn‘s echt wird, also um<br />

wirkliche Fragen geht und nicht um vorgeschobene, an denen<br />

etwas abgearbeitet werden soll. Wo liegt ein persönliches<br />

Interesse, Anliegen, ist das klar oder wie schält es sich<br />

heraus? Gute Fragen sind für mich erhellend. Mögliche Wege,<br />

Umwege sind spannend. Zeit lassen. Gären lassen. Und dann<br />

messerscharfe Präzision: Klarheit des Gedankens Präzision in<br />

der Umsetzung, dabei keine Anstrengung und Mühe scheuen.<br />

Die Frage, die Du vergessen hattest: einen Apparat konstruieren,<br />

der ein Problem schafft und es wieder aus dem Weg räumt.<br />

Und zuerst gelehrt: in Los Angeles am Art Center College of<br />

Design. Die Fragen en Detail lieber nochmal beim Bier!<br />

35

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