Dörte Meyer KÜNSTLER - LEHRE
Dörte Meyer KÜNSTLER - LEHRE
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<strong>KÜNSTLER</strong> - <strong>LEHRE</strong><br />
<strong>Dörte</strong> <strong>Meyer</strong>
Masterarbeit<br />
Betreuender Dozent: Dr. Volker Hoffmann<br />
Institut für Kunst in Kontext - Fakultät Bildende Kunst -<br />
Universität der Künste, Berlin - Juni 2007
Inhalt<br />
Vorwort ............................................................................5<br />
1. Erfahrungen und Fragen........................................7<br />
Hochschule........................................................................11<br />
Schule und Museum.........................................................16<br />
Email-Interviews und Gespräche, andere Quellen...19<br />
2. Ausgangslage<br />
Kulturelle Bildung .............................................................23<br />
Der „um ... zu“ Modus ................................................. 28<br />
Kunstpädagogen ............................................................30<br />
Die historische Chance.......................................................32<br />
3. Künstler ......................................................................37<br />
Neue Tätigkeitsfelder ...................................................38<br />
Warum lehren? ...............................................................38<br />
Institutionen ...................................................................45<br />
Die Kunsthochschule und die Leere ........................48<br />
Lehrende Künstler in der Kunsthochschule ...........54<br />
Schule ..............................................................................59<br />
Lehre und Aufgabenstellungen ...................................64<br />
Die eigene Arbeit und lehren? ...................................69<br />
Darüber reden? Theoriegebilde .................................71
Inhalt<br />
4. Schluss<br />
Vereinnahmung, Naivität<br />
... der eigene Kunstentwurf .............................................81<br />
Kulturelle Bildung, künstlerische Kontexte .............84<br />
Geld .................................................................................85<br />
Erwartungen von andern ............................................87<br />
Quellenangabe ...............................................................91
Vorwort<br />
Ich habe mich mit dieser Arbeit in ein Thema begeben und<br />
mit dem Thema – gleichzeitig – in eine Diskussion darüber,<br />
die Einfluss nimmt auf viele Überlegungen dieser Arbeit.<br />
Es ist schwierig diese Diskussion mit einem bestimmen<br />
Datum zu unterbrechen. Ich selbst betrachte diese Arbeit<br />
hier als einen Schnitt, als einen bestimmten Stand der Diskussion<br />
an Tag X, die sich danach fortsetzt.<br />
Dieses Buch lässt sich von beiden Seiten aufschlagen. Von<br />
der einen Seite zu lesen sind Email-Interviews und Gespräche<br />
und von der anderen Seite kann man in meine<br />
Überlegungen zum Thema einsteigen.<br />
5
1. Erfahrungen und Fragen<br />
Die Arbeit knüpft an Fragen an, die sich mir bei der Arbeit<br />
in verschiedenen schulischen oder universitären Zusammenhängen<br />
selbst gestellt haben. Mein Thema ist das<br />
Nachdenken über die Situationen, in der sich Künstler in<br />
der Lehre, bzw. Vermittlung der Kunst und ihrer Kunst, in<br />
Zusammenarbeit mit Institutionen oder selbst tätig für<br />
Institutionen, wieder finden, welche Ansprüche sie dabei<br />
verfolgen und auch mit welchen Bedingungen und Erwartungen<br />
sie sich konfrontiert sehen.<br />
Diese Themen spielen zurzeit eine große Rolle im Zusammenhang<br />
mit der allenthalben entbrannten Diskussion um<br />
kulturelle Bildung, ihre Notwendigkeit und ihre Potentiale.<br />
Charakteristika künstlerischer Prozesse und Handlungsformen<br />
werden in diesem Diskurs herausgeschält und auf<br />
ihren Nutzen hin abgeklopft für neue Wege zum Einsatz<br />
von Kunst und Kultur in der Bildung, inner- wie außerschulisch.<br />
Diese Tendenz rückt die Tätigkeit von Künstlern<br />
in der Lehre allgemein in ein anderes Licht, verschafft ihr<br />
Aufmerksamkeit, Wertschätzung sowie veränderte Bedeutungen<br />
und bringt gleichzeitig viele Schwierigkeiten<br />
mit sich, von denen die Vereinnahmung nur eine ist.<br />
Ich möchte hier versuchen, dieses Thema sehr eng aus der<br />
Sicht des Künstlers zu entwickeln.<br />
7
Erfahrungen und Fragen<br />
Mit diesem Plan im Kopf, suchte ich einerseits nach Äußerungen<br />
von Künstlern zum Thema, die einen Ansatz zur<br />
Lehre formulieren. Andererseits ergab sich fast automatisch<br />
der Blick auf die Kunsthochschulen, die die Künstler<br />
ausbilden, soweit so etwas geht, sie aber in jedem Fall<br />
einige Jahre in ihrer Arbeit begleiten und ihnen einen geschützte<br />
Rahmen dafür bieten.<br />
Ich beginne mit einer Zusammenfassung eigener Erfahrungen,<br />
die ich als Künstlerin in der Lehre gemacht habe,<br />
denn hier liegt mein persönliches Interesse an diesem<br />
Thema begründet.<br />
Etliche Jahre lang war es für mich überhaupt nicht vorstellbar,<br />
in der Lehre tätig zu werden. Ich wollte meine Arbeit<br />
entwickeln und war froh die Hochschule hinter mir<br />
gelassen zu haben, die mich manchmal geradezu lähmte.<br />
Unter anderem durch Stipendien finanziert, konzentrierte<br />
ich mich auf meine Arbeit.<br />
Ich habe ein Atelier, das für mich einerseits Ort zum praktischen<br />
Ausprobieren und Experimentieren ist, andererseits<br />
auch einen Bezugspunkt bildet und manchmal zu<br />
einer Art Projektraum wird, wenn ich mit anderen zusammen<br />
arbeite.<br />
Wie eine Arbeit entsteht ist schwer zu fassen. Es ist eine<br />
Idee, die auf einen Ort, eine Person, einen Umstand trifft<br />
und die sich so miteinander verbinden, dass ich dem Gestalt<br />
verleihen möchte. Nicht immer gelingt diese Gestalt-<br />
8
Erfahrungen und Fragen<br />
gebung, diese Formulierung. Sie kann scheitern an Selbstdisziplin,<br />
Durchhaltevermögen, Anlass, Ort, Menschen,<br />
Geld und vielem mehr, aber sie kann zu gegebenem Anlass<br />
eine andere Form finden. Tatsächlich ist dieses Suchen<br />
nach der Gestalt oder nach dem Erscheinungsmodus die<br />
Hauptarbeit, die um ein Zentrum kreist. In jeder neuen<br />
Arbeit setzt die Suchbewegung der vorhergehenden fort<br />
auch wenn ich mich manchmal mit Absicht zurück bewege.<br />
Der Antrieb ist, einer Sache Stück für Stück näher<br />
zu kommen, egal wie unmöglich das scheinen mag. Wenn<br />
ich nichts mache, dann passiert gar nichts. So schlicht diese<br />
Erkenntnis auch ist, umso schwerer ist es für mich, sie<br />
wirksam werden zu lassen. Sobald ich etwas in die Hand<br />
nehme und überhaupt beginne, damit etwas zu tun, bin ich<br />
gewissermaßen schon auf der sicheren Seite, denn es geht<br />
weiter, es entsteht etwas, dass mich wiederum zum Weitermachen<br />
zwingt. Die Gestalt ist dabei sehr wichtig, sei<br />
sie auch noch so ephemer und kurzlebig. Beliebig ist dabei<br />
gar nichts. Wie schwer es ist diesen Punkt zu finden, wie<br />
genau man dabei sein muss und auch, dass einem dabei<br />
niemand helfen kann, das wäre etwas, das ich in meinem<br />
Studium von meiner Professorin gelernt habe.<br />
Walther: Künstler sind sinnliche Menschen: sowohl in der<br />
Wahrnehmung als auch in der Umsetzung. Das hat zwar<br />
häufig einen naiven Zug, doch die künstlerischen Formulierungen<br />
sind sehr wirksam. Das Nachdenken dürfen Künstler<br />
auch nicht vergessen. Sinnlich wahrnehmen meint ja nicht das<br />
9
Erfahrungen und Fragen<br />
„Nur-Sensuelle“... 1<br />
Ich hoffe, dass Franz Erhard Walther Recht hat, was die<br />
Wirksamkeit betrifft. Sinnliche Menschen gibt es viele, nur<br />
nicht alle entwickeln daraus etwas, das in einer Handlung<br />
und Arbeit sichtbar wird.<br />
Vielleicht war ich nach etlichen Jahren praktischer Arbeit<br />
wieder reif für den Diskurs, so wie es mir auch einer meiner<br />
Gesprächspartner von sich erzählte, und habe mich<br />
deshalb auf eine Stelle in der Lehre beworben. Tatsächlich<br />
suchte ich den Austausch und wollte damit auch einen<br />
Automatismus stoppen, der mich künstlerisch in ein bestimmtes<br />
Fahrwasser drängte.<br />
Ich bin also nicht angetreten mit der Idee unglaublich viel<br />
vermitteln zu können, jedoch mit ein paar Erwartungen an<br />
die Studenten, die eine Ernsthaftigkeit im Umgang mit den<br />
eigenen Vorstellungen (als Vorstufe zur Eigenständigkeit),<br />
Genauigkeit und Strenge mit sich selbst betrafen.<br />
Die Selbstverständlichkeit mit der einige Kollegen, auf<br />
die ich an der Hochschule traf, eine geradezu klassische<br />
Lehrerrolle ausfüllten, verblüffte mich sehr und schreckte<br />
mich ab.<br />
1 Franz Erhard Walther im Gespräch mit Hans-Joachim Lenger:<br />
Walther, Franz Erhard, Denkraum Werkraum. Über Akademie und Lehre. Lindinger<br />
und Schmid Verlag, Regensburg, 1993, S.53<br />
10
Ich bin in der Lehre insgesamt auf einige Probleme gestoßen,<br />
die ich im Folgenden versuche zusammen zu fassen.<br />
Eine zentrale Frage dabei ist, wie die eigene Arbeit und<br />
die Lehre zusammen passen. Hat die Kunst die Kraft die<br />
Lehre zu verändern, muss sich die Lehre verändern, damit<br />
die Kunst in ihr Platz hat oder muss die Kunst am Ende<br />
Federn lassen, damit sie für die Lehre „brauchbar“ wird?<br />
Was ich in diesem Rahmen versuchen möchte, ist eine<br />
ausführliche Darlegung dieser Fragstellung; letztendlich<br />
werden dadurch vermutlich mehr Fragen aufgeworfen als<br />
beantwortet.<br />
Hochschule<br />
Erfahrungen und Fragen<br />
Etwa fünf Jahre nach Abschluss meines eigenen Studiums,<br />
also nach einigen Jahren Freiberuflichkeit, habe ich an einer<br />
Kunsthochschule als künstlerische Mitarbeiterin angefangen.<br />
Ich habe dort Erfahrungen gesammelt, und später<br />
dann an einem Berliner Gymnasium, einer Grundschule,<br />
bei Lehrerfortbildungen und auch in Workshops, die das<br />
Begleitprogramm zu einer Gruppenausstellung bildeten,<br />
an der ich beteiligt war.<br />
Ich war an der Bauhaus Universität in Weimar als künstlerische<br />
Mitarbeiterin beschäftigt und zwar im Studiengang<br />
Freie Kunst. Ich fand dort eine Situation vor, die sich<br />
deutlich unterschied von meinem eigenen Studium. Der<br />
Studiengang war als Projektstudium organisiert, anstelle<br />
11
Erfahrungen und Fragen<br />
einer Aufteilung in Klassen. Das hatte hier zur Folge, dass<br />
Themen vorgegeben wurden, die Zeit limitiert war und es<br />
am Semesterende eine Bewertung durch Noten gab.<br />
Dellbrügge & de Moll beschreiben nach einem Besuch in<br />
Weimar die Situation folgendermaßen:<br />
Fritz Rahmann, der dort lehrt [ermeritiert seit 2003, gest.<br />
2006], sieht die wechselnden Zielsetzungen in verschiedenen<br />
Gruppierungen, die Notwendigkeit der zeitlichen Limitierung<br />
und der Teamarbeit als ästhetisch wirksam werdende Komponenten,<br />
wobei stets der Anschluss an die gesellschaftliche Realität<br />
gesucht wird. Bei unserem Besuch begegneten wir smarten<br />
jungen Menschen auf ergonomischen Bürostühlen an funkelnagelneuen<br />
Terminals, die uns freundlich zulächelten. Wir sind<br />
uns sicher: Hier entsteht ein neuer Künstlertypus. 2<br />
Der neue Künstlertypus ist mir dort nicht begegnet. 3 , Das<br />
Studium wirkte verschult, was gar nicht zu meinem Kunstbegriff<br />
passte, - vielleicht durch eine strukturelle Nähe, die<br />
es zu anderen Disziplinen herstellte. Ich hatte den Eindruck,<br />
es verbaut den Studenten die für Künstler notwen-<br />
2 Dellbrügge & de Moll, Die gute Leere. In: Schwarz, Michael (Hg.): beschreiben.<br />
zum beispiel eine kunsthochschule, Jahrbuch 3, Hochschule für Bildende<br />
Künste Braunschweig, Salon Verlag, Köln, 1999, S.151<br />
3 Die Hochschule war damals recht neu, so auch einige Stühle, Rechner<br />
anderes Equipment und auch Gebäude. Ein Teil der Professoren der ersten<br />
Besetzung bezieht, so heißt es, bis heute doppeltes Gehalt als Anreiz in der<br />
ostdeutschen Provinz zu lehren.<br />
12
Erfahrungen und Fragen<br />
digen Freiräume und damit auch die Eigenständigkeit.<br />
Wechselnde Projekträume ersetzten Ateliers, in denen<br />
die Arbeit normalerweise ihren Ort hat. So waren die<br />
Kunststudenten in den Semesterferien mit Gepäck in<br />
den Gebäuden unterwegs, um die Projekträume für das<br />
kommende Semester zu beziehen. Von meiner eigenen<br />
künstlerischen Praxis aus betrachtet, wäre so ein Arbeiten<br />
nicht möglich. Tatsächlich wurden die Räume teilweise nur<br />
noch für Besprechungen und Präsentationen benutzt. In<br />
anderer Hinsicht etablierten sich Sub-Klassensysteme, indem<br />
Professoren ihre Räume nicht wieder hergaben und<br />
Studenten, unabhängig vom Thema, ausschließlich Projekte<br />
dieses Professors wählten.<br />
Ich habe mich gefragt, was ich eigentlich vermitteln kann<br />
und natürlich, wie ich das am besten mache. Im Hinblick<br />
auf die Frage, was ich vermitteln kann, war ich mit der Frage<br />
konfrontiert, welchen Begriff ich von dem habe, was ich<br />
selbst tue. Vieles kann sich durch das Machen und die Arbeit<br />
selbst definieren. Die Unterstützung von Studenten<br />
bei ihren Projekten und auch bei der Vorbereitung von Präsentationen<br />
machte mir großen Spaß. Leider orientierten<br />
sich die Arbeiten an den vorgegebenen Projektthemen.<br />
Auch in meinem eigenen Seminar für Studienanfänger war<br />
ich zu einer Aufgabenstellung angehalten. Ich beobachtete<br />
mich selbst dabei, wie ich versuchte diese Vorgabe zu<br />
umgehen mit einer Aufgabenstellung, die so elastisch wie<br />
möglich war und die ich noch elastischer handhabte. Ich<br />
13
Erfahrungen und Fragen<br />
lud einen Kunsttheorie-Professor zur Diskussion in das<br />
Seminar ein. Für einen anderen Kurs, den ich zu geben hatte,<br />
vergab ich einen Lehrauftrag und wir gaben den Kurs<br />
gemeinsam. Ich betrachtete es als eine meiner Aufgaben,<br />
Verbindungen herzustellen, eine Art kleines Netzwerk zu<br />
initiieren, in dem sich verschiedene Elemente zusammen<br />
fügten, so dass wir mit ihnen arbeiten konnten.<br />
Hinzu kam noch eine Kooperation mit einem Lehrstuhl<br />
der Fakultät Architektur. Ich haderte mit meiner Kollegin<br />
aus diesem Bereich. Ihre bestechende Klarheit war gepaart<br />
mit einem extrem didaktischen Vorgehen. Die Aufgabe<br />
wurde in Häppchen eingeteilt und die Studenten wurden<br />
Schritt für Schritt durch die größtenteils praktische<br />
Aufgabe geleitet, quasi nach den Methoden des fragend<br />
entwickelten Unterrichts (s.u.), bei dem den Lehrenden das<br />
Ergebnis klar vor Augen ist. Im Vordergrund stand die Wissensvermittlung<br />
und ich hatte meine Schwierigkeiten, dem<br />
etwas entgegen zu setzen.<br />
Außerdem steckte ich zu diesem Zeitpunkt in eigenen<br />
künstlerischen Vorhaben. Obwohl mich die Arbeit mit den<br />
Studenten faszinierte, weil sie mich zum ständigen Um-,<br />
Anders- und Hineindenken zwang, wirkte die Institution<br />
auf mich lähmend. Die Arbeit absorbierte mich gleichzeitig<br />
dermaßen, dass das Bild einer Sackgasse in mir aufkam.<br />
Nach einigen Jahren Lehrtätigkeit stellte ich mir vor, würde<br />
meine eigene künstlerische Arbeit so gut wie brach<br />
liegen, mein Vertrag würde auslaufen und ich stünde vor<br />
14
dem Nichts.<br />
Erfahrungen und Fragen<br />
George Grosz formuliert dieses Dilemma für sich<br />
folgendermaßen:<br />
Meine Schule bestand ungefähr vier Jahre. Als ich für zwei Jahre<br />
ein Guggenheim-Stipendium bekam, gab ich sie auf. Es tat<br />
mir nicht besonders leid darum. Das Lehren nimmt viel Energie<br />
in Anspruch. Ich brauchte immer erst eine gewisse Zeit,<br />
um mich wieder auf eigene Arbeit umzustellen. Die fabelhafte<br />
Fähigkeit der Amerikaner, viele Dinge zu gleicher Zeit tun zu<br />
können, ging mir ab. Als Lehrer für Kunst kam und komme<br />
ich mir immer vor, als ginge ich mit beiden Füßen zwei verschiedene<br />
Treppen hinauf und müsse arg balancieren, um das<br />
Gleichgewicht zu behalten (...). 4<br />
Mit anderen Worten: Ich habe mit der Frage gerungen,<br />
ob ich etwas dafür tun kann, dass sich eine Balance zwischen<br />
Lehre und eigener Arbeit einstellt, möglichst sogar<br />
4 (...) Zugleich mit dem Stipendium bekam ich, wie schon erwähnt, einen<br />
Posten als Illustrator für «Esquire, das Magazin für Männer», und war also für den Augenblick<br />
der Sorgen ledig. Den in Amerika, wo alles und somit auch Schmerz und Leid<br />
im Überfluß vorhanden sind, können von der Kunst der Malerei nur wenige Menschen<br />
leben. Viele keineswegs schlechte Maler haben praktische Hauptberufe: ein paar sind<br />
Dentisten, dort ist einer Barbier, ein anderer sogar Fleischer, wieder einer hilft bei der<br />
Post aus...<br />
Kunst gilt als „hobby“, als Liebhaberei. Das alte Frage-und-Antwort-Spiel: „Was macht<br />
die Kunst? – Sie geht nach Brot!“ ist in Amerika wohl angebracht.<br />
Grosz, George, Ein kleines Ja und ein großes Nein – Sein Leben von ihm selbst erzählt.<br />
Rohwolt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg, 1974, S.261<br />
15
Erfahrungen und Fragen<br />
ein konstruktives Zusammenwirken. Hatte ich überhaupt<br />
ein klares Bild dessen, was ich tat? Ist es möglich diesen<br />
Widerspruch zu überwinden?<br />
Das Dilemma der fiktiven der fiktiven Hauptfigur in seinem<br />
Text Kunsthochschule. Eine Satire gibt Thomas Huber<br />
wie folgt wieder:<br />
Die Berufung zum Professor an eine deutsche Kunsthochschule<br />
sei eine subtile Form künstlersicher Freiheitsberaubung,<br />
schrieb er, ihm wäre im Gefängnis klar geworden, dass die Berufung<br />
eines Künstlers an eine deutsche Kunsthochschule eine<br />
freiheitsberaubende Verstrickung in eine unlösbare Aufgabe<br />
bedeute. 5<br />
Schule und Museum<br />
Weitere Erfahrungen habe ich an einem Berliner Gymnasium<br />
gemacht. Auch hier tauchten bestimmte Fragen auf,<br />
die mich gezwungen haben, den Ort und die Situation, in<br />
denen ich tätig war, genauer zu verstehen, wenn ich nicht<br />
ernsthafte Konflikte riskieren wollte.<br />
Spontan habe ich versucht, meine Methoden aus der<br />
Lehre an der Hochschule auf den Schulzusammenhang<br />
5 Huber, Thomas, „Kunsthochschule. Eine Satire“. In: Bippus, Elke und<br />
Glasmeier, Michael (Hg.), Künstler in der Lehre, Philo & Philo Fine Arts / EVA Europäische<br />
Verlagsanstalt, Hamburg, 2007, S. 211,<br />
Zuerst veröffentlicht in: Huber, Thomas, Bilder schlafen. Galerie Philomene Magers<br />
(Hg.), Salon Verlag, Köln, 1998<br />
16
Erfahrungen und Fragen<br />
zu übertragen, also eine Situation zu schaffen, die eigenständiges<br />
Arbeiten verlangt, ein Thema zu stellen, dass<br />
einen persönlichen, subjektiven Ansatz forciert sowie ein<br />
kleines Netzwerk oder einen Info-Pool zu schaffen, in<br />
dem ich Künstlervideos, inklusive meiner eigenen, zum<br />
Thema zusammenstellte und Künstler einlud, ihre Filme<br />
den Schülern zu zeigen. Schließlich handelte es sich um<br />
einen Kunstleitungskurs, dessen Teilnehmer kurz vor dem<br />
Abitur standen und denen ich wenige Monate später auch<br />
im Hochschulbereich hätte begegnen können.<br />
Die Probleme begannen bei der Aufgabenstellung, also in<br />
der Zusammenarbeit mit der Lehrerin, bevor die Arbeit<br />
mit den Schülerinnen und Schülern überhaupt angefangen<br />
hatte.<br />
Hier passierte etwas, was mir in der Folge häufiger auffiel:<br />
ich schlug mein Thema vor, das für die Lehrerin nicht<br />
griffig und praktikabel und letztlich unverständlich war. Ich<br />
ging intuitiv von anderen Grundlagen aus und steuerte<br />
ein anderes Ziel an. Ich sollte Kurzfilme mit den Schülern<br />
machen. Ohne es mir bewusst zu machen, hatte ich zum<br />
Ziel, bereits durch die Aufgabenstellung möglichst experimentelle<br />
und eigenständige Ergebnisse zu provozieren,<br />
die sich durch einen persönlichen Ansatz der Beliebigkeit<br />
17
Erfahrungen und Fragen<br />
entziehen. 6 Später habe ich verstanden, dass meine Aufgabenstellung<br />
einer Aufgabenstellung im schulischen Sinne<br />
entzogen hat, also de facto für die Lehrerin eigentlich keine<br />
war. Auch für die Schüler war es keine bekannte Form<br />
von Aufgabe. Später, während der Arbeit, gestand mir ein<br />
Schüler, dass sie so noch nie gearbeitet hätten.<br />
Ich konnte mich ja eigentlich nur zu gut an meine eigene<br />
Schulzeit erinnern. Trotzdem stellte ich diese Verbindung<br />
nicht her und war daher unvorbereitet. Mein Kunststudium<br />
und meine Arbeit als Künstlerin mussten mich verändert<br />
haben.<br />
Die Lehrerin ließ mir während des Projektes weit gehend<br />
freie Hand, kooperierte aber auch nicht im eigentlichen<br />
Sinne; d.h. sie bezog sich in ihrem Theorieteil nicht auf die<br />
von mir vorgestellten Beispiele zeitgenössischer Videokunst.<br />
Später dann wurde die unterschiedliche Sichtweise<br />
erneut bei der Benotung deutlich.<br />
Eine ähnliche Situation wiederholte sich auch in der Zusammenarbeit<br />
mit einer Grundschullehrerin, der Teilnehmerin<br />
einer Fortbildung, die ich im Auftrag des LISUM<br />
(Landesinstitut für Schule und Medien) geleitet hatte.<br />
Exemplarisch sollte das Fortbildungsthema im Anschluss<br />
im Unterricht in Kooperation erprobt werden. Ich tappte<br />
wieder in dieselbe Falle und war zuerst ratlos über die<br />
6 Mein Thema lautete: „Ich im Film. Tagebuch/ Ereignis“, während die<br />
Lehrerin ein formales Thema, etwa über Licht und Schatten in der Architektur<br />
vorschlug.<br />
18
Erfahrungen und Fragen<br />
Schwierigkeiten die Ziele, die ich mit meinem Projekt hatte,<br />
verständlich zu machen.<br />
Interessant war auch eine Erfahrung mit einem Kinderworkshop<br />
in einem Warschauer Museum. Zur Unterstützung<br />
waren uns angehende Lehrerinnen zugeordnet<br />
worden, die sich komplett aus dem gesamten Geschehen<br />
heraushielten (und ihm, wie ich nur vermute, recht skeptisch<br />
gegenüber standen).<br />
Die Lehrerinnen und ich hätten wahrscheinlich eine Übersetzung<br />
gebraucht, von dem einen Kontext in den anderen.<br />
Wir konnten einander nicht verstehen, weil wir grundsätzlich<br />
verschieden an die Sache herangegangen sind und<br />
aus Zusammenhängen stammen, die wohl nach oppositionell<br />
entgegen gesetzten Regeln funktionieren. Gleichzeitig<br />
hatten wir kaum Erfahrungen in dieser Form der Kooperation<br />
und waren somit auch nie gezwungen, über unsere<br />
Herangehensweise nachzudenken oder sie vermitteln.<br />
Email-Interviews und Gespräche, andere Quellen<br />
Zunächst war meine Idee, im Hinblick auf diese Fragen<br />
Masterarbeiten und Projektberichte des Instituts für<br />
Kunst im Kontext zu verwenden. Meine Recherche war<br />
jedoch entmutigend. Meine Fragestellung war, wenn überhaupt,<br />
meistens nur indirekt Thema. Möglicherweise habe<br />
ich das ein oder andere übersehen.<br />
19
Erfahrungen und Fragen<br />
Ich habe dann aber meine Strategie geändert und selber<br />
Kollegen, die an Hochschulen als künstlerisch-wissenschaftliche<br />
Mitarbeiter, Professoren oder im schulischen<br />
Bereich tätig sind, nach ihren Erfahrungen und Einschätzungen<br />
befragt.<br />
Ich selbst würde sagen, dass ich in der Praxis entscheidendes<br />
gelernt habe, einfach in dem ich es tun musste.<br />
So sind für mich die Beiträge unterrichtender Kollegen<br />
besonders wertvoll. Theorien aus der Praxis lautet der Titel<br />
des Vorwortes zu einem kürzlich erschienen Buch mit<br />
dem Titel Künstler in der Lehre. Darin heißt es:<br />
Für uns ist es faszinierend zu sehen, wie Künstlerinnen und<br />
Künstler selbst ihr oft ambivalentes Verhältnis zur Kunsthochschule<br />
und ihre Aufgabe als Auszubildende in einer Zeit des<br />
Stilpluralismus oder –verfalls (je nach dem) betrachten. Denn<br />
diese lehrenden Künstlerinnen und Künstler befinden sich nun<br />
in einer Situation, in der es im wesentlichen kaum noch darum<br />
geht, gegen einen Akademismus anzukämpfen, sondern in<br />
einer permanenten Selbstbefragung und im künstlerischen Experiment<br />
eine individuelle Position zu behaupten 7<br />
Diese Aussage ist mit Blick auf Künstler formuliert worden,<br />
die an Kunsthochschulen und als Professoren tätig<br />
sind. Trotzdem trifft die Beschreibung eine generelle Situ-<br />
7 Bippus, Elke und Glasmeier, Michael, „Theorien aus der Praxis“. In:<br />
dies. (Hg.), 2007, S. 10<br />
20
Erfahrungen und Fragen<br />
ation von Künstlern. Ich möchte das Zitat in seiner Intention<br />
erweitern, in dem ich es auf Künstler beziehe, die in<br />
anderen Zusammenhängen, die nicht unbedingt kunstspezifisch<br />
sind, lehren und gleichzeitig auch ihre individuelle Position<br />
behaupten müssen, jedoch möglicherweise in einem<br />
noch komplexeren Sinn.<br />
Ich habe mich mit mehreren Kollegen unterhalten oder<br />
ihnen per Email einige Fragen gestellt, aus denen eine Korrespondenz<br />
entstanden ist, die mir die Arbeitsgrundlage<br />
für diesen Text geliefert hat.<br />
Gleichzeitig waren das oben zitierte Buch, sowie andere<br />
schriftliche Quellen, in denen Künstler ihr Verhältnis zu<br />
Lehre formulieren, wichtiges Material für meine Arbeit.<br />
21
2. Ausgangslage<br />
Kulturelle Bildung<br />
Ein Thema, dass einen als Künstler zunächst nicht so stark<br />
betrifft, ist die derzeitige Diskussion um kulturelle Bildung.<br />
Doch da es in dieser Debatte nicht nur darum geht, den<br />
Kunstunterricht zu reformieren oder ähnliches, sondern,<br />
zumindest in einigen Stellungnahmen, tatsächlich darum<br />
kreist, Künstler als schulfremde Personen in die Schule zu<br />
holen oder mit ihnen als außerschulische Partner zusammenzuarbeiten<br />
– die Formen sind hier nicht klar definiert<br />
–, bietet sich dieses Thema als Einstieg an. Ich ziehe es heran<br />
als exemplarische Situation, in der Künstler außerhalb<br />
des reinen Kunstbereiches tätig sind. Künstler treffen hier<br />
auf einen Kontext, der nicht nur ein anderer ist als ihrer,<br />
sondern als eine Art Gegenpol zu ihrem eigenen betrachtet<br />
werde kann (s.u.).<br />
In der aktuellen, nicht nur kulturpolitischen, Diskussion<br />
gibt es eine Vielzahl von Stellungnahmen und Initiativen<br />
zur kulturellen Bildung, die darauf hinauslaufen, dass in der<br />
Auseinandersetzung mit Kunst und Kultur entscheidende<br />
Kompetenzen, auch Schlüsselqualifikationen 8 genannt, aus-<br />
8 Schlüsselqualifikationen sind überfachliche Qualifikationen, die Menschen<br />
zum Handeln befähigen sollen. Innerhalb der Personalwirtschaft sind diese neben der<br />
Fachkompetenz der zweite zentrale Bereich der Personalentwicklung dar. Sie sind daher<br />
kein Fachwissen, sondern ermöglichen den kompetenten Umgang mit fachlichem<br />
Wissen. Dabei setzen sich Schlüsselqualifikationen aus einem breiten Spektrum über-<br />
23
Ausgangslage<br />
gebildet werden, die notwendig sind, um in unserer heute<br />
so komplex gewordenen Gesellschaft zu agieren. Bei einer<br />
der Initiativen, die in diesem Kontext stehen, handelt es<br />
sich beispielsweise um ein Schulprojekt, dessen Träger das<br />
LISUM Brandenburg ist. In der Projektbeschreibung aus<br />
dem Internetauftritt heißt es:<br />
Rasante Veränderungen in der Gesellschaft - u.a. bedingt durch<br />
die Globalisierung und neue Informationstechnologien und Pluralität<br />
in vielen Bereichen des Lebens - erfordern in der Bildung<br />
ein dynamisches Modell für den Erwerb sehr unterschiedlicher<br />
Kompetenzen, die auf lebenslanges Lernen und die Bewältigung<br />
vielfältiger Herausforderungen im Alltags- und Berufsleben<br />
ausgerichtet sind.) 9<br />
greifender Fähigkeiten zusammen, die sowohl dem kognitiven als auch dem affektiven<br />
(emotionalen) Bereich entstammen. Diese Kompetenzen können in verschiedenen<br />
Situationen und Funktionen flexibel und innovatorisch eingesetzt und übertragen werden.<br />
http://de.wikipedia.org/wiki/Schlüsselqualifikation<br />
9 (...) und weiter: Durch das Kennenlernen künstlerischer Denk- und Handlungsweisen<br />
erhofft man sich eine Erweiterung der Lernzugänge für Schülerinnen und<br />
Schüler, die nicht nur auf die traditionell künstlerischen Fächer Kunst, Musik und Darstellendes<br />
Spiel beschränkt bleiben sollen. Das Erlernen von improvisierendem Denken<br />
und Handeln initiiert Lernprozesse, die Schülerinnen und Schüler bei der Suche nach<br />
eigenen Lösungs- und Gestaltungswegen auch in anderen Fächern und Situationen behilflich<br />
sein können. ARTuS! ist in Bezug auf seine strukturelle Komplexität sowie seinen<br />
pädagogischen, sozialen und ästhetischen Anspruch derzeit einmalig im deutschsprachigen<br />
Raum. Es bietet die Chance, die Potenziale künstlerisch-ästhetischen Lernens<br />
nicht nur in Bezug auf die einzelnen Schülerinnten und Schüler, sondern vor allem<br />
auch auf die beteiligten Lehrerinnen und Lehrer, Künstlerinnen und Künstler und das<br />
sozialkulturelle Klima der Schule sowie ihrer lokalen Umgebung zu erproben. Im Mittelpunkt<br />
steht die an Projektschwerpunkten (Modulen) orientierte Untersuchung der<br />
24
Ausgangslage<br />
Sigrid Godau beschreibt die Situation in einem Vortrag an<br />
der UdK Berlin folgendermaßen:<br />
Dabei geht es nicht allein um die Vermittlung künstlerischer<br />
Fähig- und Fertigkeiten. Landauf, landab festzustellen ist vielmehr,<br />
wie bereits in den Sätzen Rüttgers [Jürgen Rüttgers,<br />
Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen] anklang, eine<br />
Neubewertung der künstlerischen Praxis als Lernfeld gesellschaftlicher<br />
Schlüsselkompetenzen. Diese sollen Jugendliche fit<br />
machen für die komplexen Anforderungen ihrer zukünftigen<br />
Arbeits- und Lebenswelt.. 10<br />
Die künstlerische Praxis wird hier zum Lernfeld. Mit diesem<br />
Lernfeld wird auch ein verändertes Handlungsfeld im<br />
Bezug auf die Vermittlung skizziert. 11<br />
Dieses Feld ist seit kurzem, dafür aber umso kräftiger,<br />
Umsetzungsmöglichkeiten einer projektorientierten kunstanalogen Handlungsweise<br />
innerhalb der Schule.<br />
http://www.artusprojekt.de/<br />
10 Godau, Sigrid, Über die Kunst zum Traumberuf? Vortrag, Institut für<br />
Kunst im Kontext UdK, Berlin, 29.5.2007, unveröffentlicht<br />
11 In der Konzeption der künstlerischen Bildung als avanciertem Lehr-Lern-<br />
Verständnis, das die systemischen Unterschiede von Kunst und Bildung ernst nimmt,<br />
aber gerade auch die aus den je eigenen Systemlogiken Spannungsvollen Selbstverständnisse<br />
in ein vermittelndes Gefüge verwandelt, kommt der Bildung des künstlerischen<br />
Denkens und Handelns eine besondere Bedeutung zu. Dieses Konzept geht von<br />
der Annahme aus, dass sich durch den Umgang mit Kunst und durch eine künstlerische<br />
Praxis künstlerische Bildungswirkungen beim Einzelnen einstellen können.<br />
Kettel, Joachim, „Künstlerische Bildung nach Pisa“. In: ders., IGBK und Landesakademie<br />
Schloss Rotenfels (Hg.), Künstlerische Bildung nach Pisa, Athena-Verlag,<br />
Oberhausen, 2004, S.24<br />
25
Ausgangslage<br />
ins allgemeine Bewusstsein gerückt und zurzeit in aller<br />
Munde. 12 Zum Nachweis der erworbenen Kompetenzen<br />
wurde sogar von der Bundesvereinigung Kulturelle Jugendbildung<br />
(BKJ) im Rahmen eines Forschungsprojektes,<br />
das Schlüsselkompetenzen durch kulturelle Bildung zum Gegenstand<br />
hatte, 2001-2004, eine Art Pass entwickelt, der<br />
so genannte Kompetenznachweis Kultur. 13<br />
Dieses Lehr-Lernfeld hat laut Joachim Kettel seine Wurzeln<br />
in den sechziger Jahren. Es ist also nicht ganz neu:<br />
Seit mehr als einer Dekade zeichnen sich Konturen eines veränderten<br />
Verständnisses von Kunstpädagogik und Kunstvermittlung<br />
ab, das die notwendigen Parameter und Legitimationen<br />
für den konstitutiven und vielschichtigen Bildungsprozess mit<br />
und durch Kunst nicht weiter aus der bis dahin dominierenden<br />
12 Mittlerweile ist kulturelle Bildung eine gesellschaftliche und kulturpolitische<br />
Forderung. Gesellschaftspolitische Akteure begreifen sie als Notwendigkeit. Diese<br />
erwächst aus einer Realität, die dem Einzelnen sowohl hohe intellektuelle als auch<br />
soziale Kompetenzen abverlangt. Die Pluralität und Unübersichtlichkeit unserer Gesellschaften,<br />
das gleichzeitige Nebeneinander teils widersprüchlicher Lebensentwürfe und<br />
Werte, die Einsicht in die Konstruiertheit unserer sozialen Wirklichkeiten genauso wie<br />
die unserer Identitäten – all das versetzt unsere Gesellschaft in einen dynamischen<br />
Schwebe-Zustand.<br />
Keine Frage: Eine solche Gesellschaft verlangt vom Einzelnen ein ganzes Arsenal an<br />
Kompetenzen, um in ihr im Persönlichen wie im Beruflichen zu bestehen.<br />
Wuschek, Kay, „Kunst, Gesellschaft und kulturelle Bildung -<br />
Ein Klärungsversuch“. Einführungsrede zur Werkstattkonferenz Offensive Kulturelle<br />
Bildung in Berlin, September 2006, unveröffentlicht.<br />
13 siehe auch http://www.kompetenznachweiskultur.de<br />
26
Ausgangslage<br />
Erziehungswissenschaft ableitet, sondern aus den kunstnahen<br />
und künstlerischen Prozessen selbst.<br />
Grund hierfür ist einerseits die zunehmende Entgrenzung des<br />
Kunstbegriffes seit den 60iger Jahren und seine Folgen für pädagogische<br />
und soziale Kontexte. Andrerseits treten Impulse der<br />
aktuellen Kunstströmungen um Fragen von Beteiligungsmöglichkeiten<br />
und alternativen Vermittlungsformen hinzu, die die<br />
klassischen Vermittlungsinstitutionen von Kunst und Kultur einer<br />
dekonstruktiven Institutionenkritik unterzogen und weitere<br />
Bildungsinstitutionen wie Hochschulen und Akademien kritisch<br />
untersuchten. 14<br />
Nicht nur die künstlerische Praxis als eine Art goldener<br />
Topf, aus dem Kompetenzen geschöpft werden können,<br />
ist gefragt, sondern auch die Vermittlung dieser Kompetenzen<br />
durch Künstler. Es gibt einige Künstler, die viel über<br />
ihre Tätigkeit berichten, nur zwei Beispiele wären Joseph<br />
Beuys oder Franz Erhard Walther und die auch, so meine<br />
Vermutung, unter anderem deshalb viel in kunstpädagogischen<br />
Seminaren diskutiert werden, weil sie eine Art<br />
Schlüssel zu ihrem Werk anzubieten scheinen. In der jetzigen<br />
Situation, ist, so sieht es aus, der Künstler, auch der<br />
unbekannte, persönlich und live an dieser Schnittstelle der<br />
Vermittlung gefragt.<br />
14 Kettel, Joachim, „Künstlerische Bildung nach Pisa“. In: IGBK und Landesakademie<br />
Schloss Rotenfels (Hg.), 2004, S.26<br />
27
Ausgangslage<br />
Der „um ... zu“ Modus<br />
Wenn Kunst an und mit Menschen vermittelt und erfahren<br />
wird, sind die Zutaten für die oben benannten Bedarfe von<br />
Schule (und Gesellschaft) gleich mit dabei. Sie sind nicht Zweck,<br />
sondern Ergebnis von Kunst – denn die Künste sollen von der<br />
Intention her zweckfrei bleiben und nicht „in Dienst gestellt“<br />
werden, damit sie ihre originäre Kraft bewahren. 15<br />
Auch wenn sich diese allgemeine Feststellung leicht teilen<br />
lässt, scheint dies jedoch in der konkreten Situation äußerst<br />
schwer zu gewährleisten zu sein.<br />
In aller Regel sind es (Kultur-)politiker, Pädagogen, Didaktiker,<br />
etc., die dieses Feld verbal abstecken. Auch wenn, wie<br />
Joachim Kettel im oben zitierten Absatz schreibt, das veränderte<br />
Verständnis von Kunstvermittlung und Kunstpädagogik<br />
dadurch gekennzeichnet sei, dass es sich an kunstnahen<br />
oder den künstlerischen Prozessen selbst orientiert,<br />
so bleibt es trotzdem bei einer Betrachtungsweise von<br />
außen. 16<br />
Ulrike Hentschel formuliert in ihrem Beitrag Fragen an die<br />
Kunstpraxis als Grundlage didaktischer Entscheidungen, eine<br />
15 Kneip, Winfried, „Das Curriculum des Unwägbaren. Über den Wert<br />
von ästhetischer Bildung für Schule und Gesellschaft“. In: Yehudi Menuhin Stiftung<br />
Deutschland (Hg.), MUS-E Zeit, Ausgabe 2006, Düsseldorf 2006, S.11<br />
16 Kettel, Joachim, „Künstlerische Bildung nach Pisa“. In: ders., IGBK<br />
und Landesakademie Schloss Rotenfels (Hg.)., 2004, S.26<br />
28
Ausgangslage<br />
Problematik hinsichtlich der Zielsetzungen hier der Theaterpädagogik,<br />
die jedoch auch im Bezug auf bildende Kunst<br />
diskutiert wird. Sie moniert den „um ... zu“ Modus, d.h.<br />
eine Ausweitung der kunstpädagogischen Disziplin auf sozial-<br />
und kulturpädagogische, sozialwissenschaftliche oder<br />
anthropologische Ziele, ohne die explizit ablesbare Orientierung<br />
am künstlerischen Gegenstand. Ich gehe davon aus,<br />
dass beim Theaterspielen [oder der künstlerischen Betätigung]<br />
bestimmte Lernprozesse immanent sind, ohne das eine<br />
außerästhetisch begründete Pädagogisierung oder Didaktisierung<br />
des Gegenstandes erfolgen muss. Weiter führt sie aus,<br />
dass, so gesehen, eine Unterscheidung von einem Lernprozess,<br />
der auf das Erlernen der notwendigen künstlerischen<br />
Techniken gerichtet ist, und Lernzielen, die mit Hilfe<br />
der Kunst vermittelt werden sollen (Kompetenzen), obsolet<br />
würde. An die Stelle einer weiteren kulturwissenschaftlichen<br />
Theorie zur Begründung von didaktischen Prinzipien (...)<br />
treten also stark spezialisierte Reflexionen des künstlerischen<br />
Prozesses. 17 Auf der Suche nach geeignetem Material hierzu<br />
verweist Ulrike Hentschel auf Künstlertheorien. 18<br />
Auffällig ist, wie gesagt, dass in der derzeitigen Diskussion<br />
17 Hentschel, Ulrike, „Fragen an die Kunstpraxis als Grundlage didaktischer<br />
Entscheidungen“. In: dies. und Stielow, Reimar (Hg.), Fragen, Jahrbuch 5,<br />
Hochschule für Bildende Künste Braunschweig, Salon Verlag, Köln, 2003, S.82f.<br />
18 Ulrike Hentschel bezieht sich auf Thomas Lehnerer, der als Künstler<br />
den Begriff der Künstlertheorie geprägt hat.<br />
29
Ausgangslage<br />
selten die Künstler als maßgebliche Größe mitbetrachtet<br />
werden oder aber sogar an ihr teilhaben. Bereits die verwendeten<br />
Begriffe und rhetorischen Figuren sind signifikant<br />
für eine bestimmte Form der Sprache und des Diskurses,<br />
in den sich Künstler oft nicht einklinken wollen<br />
und können, möglicherweise, so geht es mir jedenfalls, weil<br />
er nicht aus der künstlerischen Praxis entwickelt ist.<br />
Selbstverständlich gibt es Künstler die mitwirken. Mein<br />
Eindruck ist hier der, dass sie sich in einigen Fällen, zumindest<br />
in ihren Texten, oft vom Vokabular, von den Inhalten<br />
und von den Problemstellungen her so an den Diskurs<br />
anpassen, dass sie kaum noch als Künstler erkennbar bleiben.<br />
Für den Diskurs interessant sein sollten jedoch genau<br />
die Künstler, egal von welcher Warte aus man es betrachtet,<br />
die sich als solche behaupten, auch im Verbalen und<br />
Schriftlichen. Darauf, was das bedeuten könnte „sich zu<br />
behaupten“, werde ich später eingehen.<br />
Deutlich ist in jedem Fall, dass der Kunst und auch den<br />
Künstlern eine neue Aufmerksamkeit zuteil wird, die außerhalb<br />
der Kunst ihren Ursprung hat und dass eine Erwartung<br />
an die Künste und die Künstler formuliert wird,<br />
zu der man sich als Künstler irgendwie verhalten muss.<br />
Kunstpädagogen<br />
Die Kunstpädagogen haben – nach eigenen Aussagen -<br />
30
Ausgangslage<br />
einen schwierigen Stand in der Debatte. Ihnen eilt der<br />
Ruf der Kunstvernichter voraus. 19 Kunstpädagogik ist ein<br />
hybrides Fach. Wer es studiert, sieht sich herausgefordert ein<br />
Universalmensch zu werden. Weiter schreibt Carl-Peter<br />
Buschkühle:<br />
Er soll dabei schaffen, was den Spezialisten selten gelingt und<br />
was sie sich nicht selten auch verbitten: Zusammenhänge zu<br />
bilden zwischen den Disziplinen und daraus etwas Neues entstehen<br />
zu lassen. (...) Sie [die Kunstpädagogik] betreibt Kunstwissenschaft,<br />
übt sich in künstlerischen Gestaltungsverfahren<br />
(wohlmöglich mehreren gleichzeitig), sie beschäftigt sich mit<br />
didaktischen Strategien und Konzepten. Letzteres kompromittiert<br />
sie endgültig, denn Fachdidaktiker tun alles, aber nichts<br />
richtig (...) Spezialisten wie Schüler verachten ihn, weil er in<br />
beider Augen dilettiert. Beide Fraktionen verstehen ihn nicht,<br />
den Kunstpädagogen. Und die Frage drängt sich auf: Versteht<br />
er sich selbst? (...) Da sticht vor allem das Phänomen ins Auge,<br />
dass Kunstpädagogen mit ihrer Identität hadern. Ein häufig<br />
anzutreffender Spagat – mit dem Risiko, bis an die Grenzen<br />
der Schizophrenie vorzudringen – ist die Doppelexistenz als<br />
„freischaffender Künstler“ und „Schulmeister“. Hier liegt eine<br />
nicht zu unterschätzende Quelle professioneller Frustration: Da<br />
hegte man einst – und tut es vielleicht immer noch – den<br />
Genieverdacht gegen sich und ist gleichwohl gezwungen, sei-<br />
19 siehe Kästner, Manfred, „Über das didaktische Abenteuer mit der<br />
Kunst-Lehre“. In: Hentschel, Ulrike und Stielow, Reimar (Hg.), Köln, 2003, S.116<br />
31
Ausgangslage<br />
ne Brötchen zu verdienen, in dem man „Perlen vor die Säue<br />
wirft.“. 20<br />
Der derzeitig in der Debatte um kulturelle Bildung formulierte<br />
Anspruch macht Kunstpädagogen alleine ungeeignet<br />
für die Aufgabe, weil sie Teil des Systems Schule sind,<br />
jene Kompetenzen aber – bzw. die Kunst – nicht aus dem<br />
System generiert werden können. Zwar könnte sich die<br />
Schule auch von innen heraus verändern, jedoch geht es<br />
in der jetzigen Debatte nicht nur darum, sondern etwas<br />
„Neues“ in die Schule zu „implantieren“ (s.u.). Für das<br />
„Neue“ werden die Künstler herbei gerufen.<br />
Die historische Chance<br />
An dieser Stelle, u.a. mitten in diese Fachdebatte der<br />
Kunstpädagogik, soll nun der Künstler als „Spezialist“<br />
von außen die Schulen betreten und trifft dort auf jene<br />
„Kunstvernichter“.<br />
Auch die Schule selbst ist in aller Regel nicht auf Künstler<br />
eingerichtet. Kunst und Schule in ihrer derzeitigen Form<br />
bilden von ihrem Wesen her Widerspruch.<br />
Winfried Kneip weist in seinem Beitrag Das Curriculum des<br />
20 Buschkühle, Carl-Peter, „Der flüchtige „uomo universale“. Kunstpädagogik<br />
zwischen Anspruch und Wirklichkeit“. In: Hentschel, Ulrike und Stielow,<br />
Reimar (Hg.), Köln, 2003, S.36f.<br />
32
Unwägbaren 21 einerseits auf die historische Chance hin, die<br />
die Künste zur Zeit hätten, in der Schule eine entscheidende<br />
Rolle zu spielen, und stellt aber gleichzeitig fest, dass<br />
Künstler im Randbereich von Schule tätig sind, dass sie die<br />
Schüler eher beaufsichtigen und betreuen, als sie ästhetisch<br />
zu bilden. Im Bewusstsein vieler Lehrer und Künstler sind<br />
Lehrziele und künstlerische Prozesse unvereinbar. Hier sieht<br />
Winfried Kneip den entscheidenden Ansatzpunkt, die neue<br />
Aufgabe, die nur von Künstlern und Pädagogen gemeinsam<br />
geleistet werden kann: den Wert der Künste für Schule zu beschreiben<br />
und umgekehrt. Eine Übersetzung in einer Sprache<br />
zu finden, die beide verstehen bzw. auf die sich beide einigen<br />
können. Schule spricht Curriculum und Kunst das Unwägbare.<br />
Ein Curriculum des Unwägbaren bedeutet, einen Widerspruch<br />
in den Kernsektor von Schule zu integrieren: Wie beschreibt<br />
man etwas, das dem Wesen nach unbeschreibbar ist? 22<br />
Sprache und Formen der Kooperationen müssten also<br />
21 Was genau bedeutet das Unwägbare im Zusammenhang mit der<br />
Kunst? Auf der Suche nach möglichen Quellen zur Klärung des Begriffes bin<br />
ich auf ein Zitat von Hans Joachim Lenger, Professor für Philosophie und Medientheorie<br />
an der Hochschule für bildende Künste Hamburg, gestoßen, der<br />
sich im Gespräch mit Franz Erhard Walther folgendermaßen äußert: Vielleicht<br />
könnte man sagen, dass sich die Unwägbarkeit des künstlerischen „Augenblicks“ oder<br />
künstlerische „Gegenwart“ dadurch auszeichnet, die diese Ununterscheidbarkeit [von<br />
Material als Träger von Bedeutung und Bedeutung] aufblitzen zu lassen, und zwar<br />
aus einer künstlerischen Entscheidung heraus.<br />
Walther, Franz Erhard, 1993, S.36<br />
22 Kneip, Winfried, ebd., 2006, S. 11<br />
Ausgangslage<br />
33
Ausgangslage<br />
erst noch entwickelt werden. Carmen Mörsch stellt bei<br />
ihrer Untersuchung der Vorstellungen der Künstler, die<br />
bei dem Modellprojekt Kinder machen Kunst mit Medien<br />
mitgearbeitet haben, fest, dass sich ihre Ergebnisse auffallend<br />
wenig von denen eines 1976 durchgeführten Modellversuchs<br />
unterscheiden. Das „Setting“ sei das gleiche,<br />
aber auch die Schule hat seitdem kaum eine Entwicklung<br />
durchgemacht. Sie weist also einerseits darauf hin, dass<br />
sich die Problemstellungen in dieser Zeit wohl kaum verändert<br />
haben, bemerkt jedoch hierzu: Meine These ist im<br />
Gegenteil, dass durch das Fehlen eines etablierten Arbeitsfeldes<br />
für KünstlerInnen im Bildungsbereich die Forschung und der<br />
Diskurs seit den 80iger Jahren nicht systematisch weiterverfolgt<br />
wurden und dadurch keine Ausdifferenzierung und Weiterentwicklung<br />
ermöglicht war. 23<br />
Wie eine solche Forschung organisiert sein müsste, die<br />
ähnlich dem Ansatz von Ulrike Hentschel von dem eigentlichen<br />
Wesen der künstlerischen Tätigkeit und dem Diskurs<br />
um und durch sie ausgeht, und von wem geforscht<br />
werden könnte, lässt Carmen Mörsch offen, hält es jedoch<br />
für lohnenswert, wie die Effekte der Arbeit von Künstlern<br />
in Schulen vermuten lassen.<br />
Winfried Kneip fordert dazu auf den Widerspruch zwischen<br />
23 Mörsch, Carmen, „.(lacht)“. In: Lüth, Nanna und dies. (Hg.), Kinder<br />
machen Kunst mit Medien, KoPead, München, 2005, S.76f.<br />
34
Kunst und Schule in den Kernsektor von Schule zu integrieren<br />
(s.o.). Künstler und Pädagogen sollen durch Beschreibung<br />
der reziproken Werte und eine beiden verständliche Sprache<br />
gemeinsam an diesem Ziel arbeiten. Ulrike Hentschel<br />
ist in ihrem Artikel (vermutlich) auf der Suche nach genau<br />
Beschreibungen und Theorien von Künstlern, die hier weiterhelfen<br />
könnten.<br />
Wie kann ein solches Arbeitsfeld etabliert werden? Welche<br />
Rolle können die Künstler dabei spielen?<br />
Einerseits müssen natürlich die äußeren Bedingungen dafür<br />
geschaffen werden, andererseits müssen die Künstler<br />
sich ihrer Rolle bewusst sein und über ein Repertoire<br />
verfügen, diese Aufgabe zu meistern, so fordert Winfried<br />
Kneip 24<br />
24 Kneip, Winfried, ebd., 2006, S.11<br />
Ausgangslage<br />
35
3. Künstler<br />
Besonders im Schulbereich und auch in der Kulturarbeit<br />
mit Kindern und Jugendlichen könnten Künstler sich eigentlich<br />
fragen: warum braucht man uns? oder: was wollen<br />
die eigentlich (plötzlich) von uns? Ist das vereinbar mit<br />
dem, was wir als Künstler wollen?<br />
Die Debatte um kulturelle Bildung und Verschiebungen in<br />
der Kunstpädagogik machen es möglich, dass Künstler auf<br />
einmal eine Rolle übernehmen sollen in der Bildung und<br />
zwar höchstpersönlich.<br />
Die Definition der eigenen Rolle als Künstler in diesem<br />
Rahmen setzt jedoch wiederum eine gewisse Klarheit des<br />
eigenen Kunstentwurfes und –verständnisses voraus, sonst<br />
wird man es als Künstler schwer haben mit der eigenen<br />
Identität. Dieser Kunstentwurf, oder die Annäherung daran,<br />
erarbeitet man sich als Künstler meistens in der Studienzeit<br />
und nimmt möglicherweise wahr, dass er durch<br />
laufende Erneuerung und Veränderung charakterisiert ist.<br />
Die Auseinandersetzung über den Kunstbegriff führt man<br />
in der Hochschule meistens mit anderen Künstlern, Mitstudenten<br />
oder Professoren. Insofern bedeutet die oben<br />
formulierte Forderung für einen Künstler möglicherweise<br />
unbekanntes Terrain, denn dieses „Setting“, eine Klärung<br />
der eigenen Position mit Nicht-Künstlern, kommt wärend<br />
des Studiums meistens nicht vor. 25<br />
25 Ich fand mich beispielsweise in der anfangs erwähnten Fortbildung<br />
37
Künstler<br />
Neue Tätigkeitsfelder<br />
Viele Künstler wollen sich natürlich neue Tätigkeitsfelder<br />
erschließen, aus den unterschiedlichsten Gründen, allen<br />
voran auch finanziellen.<br />
Neben der Lehre gibt es hier auch andere Bereiche der<br />
Vermittlung für Künstler. Diese Bereiche sind im weitesten<br />
Sinne „Schnittstellen der kulturellen Bildung“.<br />
Im Rahmen der Patenschaftsinitiative der Offensive Kulturelle<br />
Bildung in Berlin sind Künstlerinnen und Künstler als Moderatoren<br />
tätig und vermitteln und betreuen Patenschaften<br />
zwischen Schulen und Kulturinstitutionen. Ihrem Selbstverständnis<br />
nach wollen sie eine Kooperation hinterfragend,<br />
innovativ, nicht zuletzt künstlerische Impulse vermittelnd<br />
begleiten und verhindern, das eingetretene Pfade gegangen<br />
werden. 26<br />
Warum lehren?<br />
Ein Einstieg in die Lehre zwingt einen endgültig, die eigene<br />
Praxis als Künstler auf die eine oder andere Art zu hinterfragen.<br />
Schon um diese Praxis zu vermitteln, ist das in ei-<br />
mit einer Gruppe von Grundschullehrern wieder und hatte erhebliche Schwierigkeiten,<br />
meinen Kreativitätsbegriff plausibel zu machen. Jeder Kollege hätte<br />
mir entweder widersprochen oder beigepflichtet, - in jedem Fall aber meine<br />
Position nachvollzogen.<br />
26 aus dem internen Protokoll des Treffens der Moderatoren-Gruppe<br />
der Patenschaften vom 1.6.2007<br />
38
Künstler<br />
nigen Fällen kaum zu vermeiden. Da das Kunst-Machen je<br />
nach eigenem Verständnis, eine sehr persönliche Arbeit ist,<br />
können die Vorstellungen im Bezug auf die eigene künstlerische<br />
Arbeit und die äußeren Anforderungen kollidieren<br />
und sich vermischen.<br />
Manch einer ist vor so einem unerwarteten „Angriff“<br />
schwer vereinbarer eigener und fremder Ansprüche nicht<br />
gefeit und denkt gar an persönliches Versagen.<br />
Möglicherweise prallt hier die Institution, für die man tätig<br />
ist und an deren Logik man gezwungen ist sich in der einen<br />
oder anderen Art anzupassen, auf die eigene Vorstellung<br />
von Kunst, die, wie sie auch immer aussieht, um den Begriff<br />
der Freiheit kreist. Institution und das Verständnis der<br />
künstlerischen Freiheit bilden dann einen Widerspruch 27<br />
Gleichzeitig stellt sich die Frage: Warum entscheidet man<br />
sich als Künstler für die Lehre? Möchte man sich all diesen<br />
Fragen stellen oder wird man von ihnen heimgesucht?<br />
27 Ich vermute, diese, teils intuitive Grundhaltung, geht zurück auf ein<br />
Verständnis des Wesens von Kunst, das seine Wurzeln in den 60iger und 70iger<br />
Jahren hat und bei dem die Institution die herrschenden Verhältnisse verkörpert,<br />
die es umzustürzen gilt.<br />
Vgl.: Joly, Jean-Baptiste, „Über die angebliche Freiheit der Kunst an Akademien“.<br />
In: Bär, Andreas und John, Rüdiger (Hg.), Die Akademie ist keine Akademie. [sic!],<br />
Stuttgart, 1999 (CD-ROM), Kapitel 02<br />
Oder Franz Erhard Walther: Ich misstraue der Situation. Kann es wirklich sein, dass<br />
wir zum ersten Mal in der Geschichte der Kunstakademien erleben, dass lebendige<br />
Entwürfe nicht gegen Institutionen, sondern auch in und mit ihnen entstehen? Die<br />
Geschichte lehrt ja allzu deutlich das Gegenteil. Immer ist die schöpferische Kraft aus<br />
einem „Gegen“ entstanden, (...)<br />
Walther, Franz Erhard, 1993, S.101<br />
39
Künstler<br />
Gehen wir wirklich davon aus, wir könnten etwas lehren<br />
(was?)? Wenn ja, warum wollen wir das tun, ist es ein missionarischer<br />
Geist, der uns antreibt? Maßloser Idealismus?<br />
Haben wir ein (berechtigtes) Sicherheitsbedürfnis und<br />
wollen regelmäßig Geld verdienen (ohne uns, mehr als es<br />
uns gut tut, mit dem Kunstmarkt einzulassen)?<br />
A) Jetzt sind wir also Professoren, nicht? Ich frage mich aber<br />
immer noch warum man diesen Job eigentlich macht, denn<br />
entweder ist man Idealist, Weltverbesserer oder man macht’s<br />
fürs Geld. Die Akademie ist dann also eine Heimstatt für Versager,<br />
die ängstlich an ihrem Job festhalten. So will ich einmal<br />
nicht enden.<br />
B) Wenn die Akademie aber Positionen fördert, die nicht vermarktbar<br />
sind, dann ist das doch in Ordnung.<br />
So lauten die einleitenden Sätze von Stephan Dillemuth zu<br />
einem Gespräch mit zwei Professorenkollegen.<br />
Jörn Zehe antwortet darauf prompt:<br />
Ich mach’s fürs Geld! Ich bin nämlich nicht in der Lage, meine<br />
künstlerische Position besonders gut vermarkten zu können.<br />
Aber das Gehalt ist nicht gerade so ausgelegt, dass ich daran<br />
ängstlich festhalten müsste. Zudem bin ich neu in dem Job.<br />
Statt auf LEHRerfahrungen Bezug zu nehmen, spräche ich hier<br />
lieber von meinen LERNerfahrungen, ich war ja einmal Kunst-<br />
40
student in Braunschweig... 28<br />
Künstler<br />
Neben der Geldfrage verweist seine Zehe auf seine eigenen<br />
Lernerfahrungen in seinem Studium im Sinne eines<br />
Transfers von diesen in die Lehre.<br />
Als ich das erste Mal vor einer Gruppe von Studenten<br />
stand, versuchte ich mich auch zu erinnern, wie es in<br />
meinem Studium zugegangen ist und auch, was ich davon<br />
schätze und einsetzen könne in meiner damaligen Lage.<br />
Einige meiner Interviewpartner (siehe z.B. Oliver Zwink)<br />
berichten, gezielt in im Bereich der Lehre arbeiten zu wollen,<br />
weil sich der in der eigenen Ausbildung begonnene<br />
Austausch so fortsetzen ließe.<br />
Ich saß dann zu Hause und schaute mir meine eigenen, mir<br />
verbliebenen frühen Öle an. „Was machst’n du das Kapielski?“<br />
– „Ich mach mir Gedanken!“: Sind so viele nachstrebende und<br />
bereits avancierte Künstler beisammen nicht ein in Konkurrenz<br />
gelähmter Klumpen fauler Drang? Oder mal soziobiologisch:<br />
Hat Alpha-Männchen ‚großer Künstler’ – hier als Lehrer<br />
– soziogenetisch sozusagen – also eher unbewusst wirksam<br />
– überhaupt Interesse, konkurrierenden Nachwuchs in die<br />
28 Dillemuth, Stephan, „Alte Säcke neue Säcke“. In: Bär, Andreas und<br />
John, Rüdiger (Hg.), 1999 (CD-ROM), Textbeitrag I, S.1<br />
Im Verlauf des Textes geht es um die Formen der Lehre an einer Kunsthochschule<br />
und den Charakter, den die Schule haben muss, um hierfür die Basis zu bieten.<br />
Dillemuth tauscht sich über diese Fragen mit einem Kollegen und dem Rektor<br />
der Kunsthochschule in Bergen, Norwegen, aus.<br />
41
Künstler<br />
harte Kunstarena nachzuhieven? ... Sollten wir Künstler – als<br />
Kunstlehrer – nicht erst mal einige Semester die Lehre lernen,<br />
vulgo: Kunstpädagogik studieren, um zu begreifen, was wir hier<br />
eigentlich tun oder besser täten? 29<br />
Thomas Kapielski beschreibt hier ein Problem, das auch<br />
im Verlauf von Stefan Dillemuths Gespräch zum Thema<br />
wird, nämlich, was der Künstler, der lehrt, eigentlich davon<br />
hat. Lässt man einmal die Geldfrage beiseite und misstraut<br />
rein selbstlosen Motiven, was bleibt dann übrig?<br />
Vom Austausch war oben die Rede.<br />
In anderen Quellen wird noch dezidierter beschreiben,<br />
wie sich die Lehre konsequenterweise aus der eigenen<br />
künstlerischen Praxis ableitet. Da diese auf kommunikativen<br />
und kollektiven Prozessen basiere, hätte sich eine Erweiterung<br />
in Richtung Bildungsarbeit [Arbeit mit Schülern] als logische<br />
Folge ergeben. 30<br />
Bevor ich begann mich für eine Tätigkeit in der Lehre<br />
zu interessieren, gab es bei mir eine Phase in der meine<br />
Arbeit sich zunehmend auf Kooperationen mit anderen<br />
Künstlern, Schriftstellern, Komponisten usw. konzentrierte.<br />
Die Frage, inwieweit meine individuelle künstlerische<br />
Arbeit dabei sichtbar bleibt, interessierte mich in<br />
29 Kapielski, Thomas, „Einige klare Unklarheiten und unklare Klarheiten“.<br />
In: Schwarz, Michael (Hg.), Köln, 1999, S.121<br />
30 Mörsch, Carmen, „.(lacht)“, In: Lüth, Nanna und dies. (Hg.), 2005,<br />
S.66<br />
42
Künstler<br />
dieser Phase kaum. Oder anders gesagt, es interessierte<br />
mich insofern, als dass die Aufmerksamkeit, die einem zuteil<br />
wird, natürlich der Motor für weitere, interessante<br />
Arbeitsmöglichkeiten ist. Bei meinem persönlichen Ansatz<br />
spielt also etwas eine Rolle, das sich als das „kooperative<br />
Modell“ bezeichnen ließe. Ich habe es daher in der Lehre<br />
immer versucht zu unterstützen, wenn Ansätze in der Zusammenarbeit<br />
entstehen, die darauf hindeuten, dass genau<br />
durch diese Zusammenarbeit etwas Neues entsteht. 31<br />
Auch andere Künstler berichten mir, wie befriedigend sie<br />
es finden, wenn sie feststellen, etwas bewegen zu können,<br />
bei anderen, bei den Schülern oder Studenten. Die persönliche<br />
Bestätigung, die man hieraus vielleicht ziehen mag<br />
möchte ich erwähnen, aber nicht vertiefen.<br />
Eine allgemeine Überlegung fasst diese unterschiedlichen<br />
Punkte zusammen:<br />
Auch Künstler suchen Austausch. Wenn man dabei an<br />
die Grenzen der Disziplin stößt umso besser. So gesehen<br />
kann das Interesse von Künstlern an der Lehre gerade<br />
in „nichtkünstlerischen“ Disziplinen auch als „Kontaktaufnahme“<br />
beschrieben werden. Als ein Interesse sich miteinander<br />
auszutauschen und in diesem Sinne die eigene<br />
Tätigkeit oder Aspekte von ihr zu vermitteln und auch für<br />
31 Der nächste Schritt war ein quasi didaktischer, nämlich aus in der<br />
eigenen Arbeit erprobten Formen der Kooperation Settings zu entwickeln, die<br />
Spielanleitungen ähnlich, Kindern und Erwachsenen das Feld zur kreativen Interaktion<br />
eröffnen.<br />
43
Künstler<br />
andere „urbar“ zu machen. Im Gegenzug erhielte man das<br />
gleiche von der anderen Seite. Natürlich können sich hierbei<br />
die Konturen verwischen, ständige Neudefinitionen<br />
sind Alltag.<br />
Findet man sich als Künstler im Kontext der Lehre wieder,<br />
- wie vereinbart man die Lehre mit der eigenen Arbeit?<br />
Eindeutig ist, dass Künstler vieles nur dann vermitteln<br />
können, wenn sie gleichzeitig Künstler bleiben. Führt<br />
das zu einem Spagat alla George Grosz (s.o.) oder gibt es<br />
Möglichkeiten und Wege zur Vereinbarkeit von beidem?<br />
Welche Modelle gibt es, die beides vereinbar werden<br />
lassen? 32<br />
Ich richte meinen Focus unter anderem auf Künstler, die<br />
in Zusammenhängen lehren, die keine Kunstkontexte sind.<br />
Insbesondere handelt es sich dabei um Künstler, die an<br />
Schulen unterrichten oder an anderen Fakultäten von<br />
Hochschulen, wie beispielsweise Architektur oder Design.<br />
Hier wird der Vermittlungsaspekt besonders deutlich,<br />
denn die sie müssen sich in einem kunstfremden Kontext<br />
definieren und behaupten. Der Erfolg ist u.a. dadurch ablesbar,<br />
ob den Schülern oder Studenten etwas vermittelt<br />
wird, das mit künstlerischer Praxis bezeichnet werden<br />
32 Einige Künstler, mit denen ich gesprochen habe, behaupten, beide<br />
Bereiche seien bei ihnen strickt getrennt. Ich glaube natürlich, dass sie beides<br />
getrennt betrachten, trotzdem frage ich mich, wie das praktisch geht.<br />
44
kann und auch, ob der Austausch und die interdisziplinäre<br />
Kooperation mit den Kollegen gelingt. Dieses „Etwas“<br />
muss kunstspezifisch sein und trotzdem für die Studenten<br />
oder Schüler in ihre Zusammenhänge übertragbar und<br />
dort anwendbar sein, ohne dass sie deswegen zu kleinen<br />
Künstlern werden müssen.<br />
Institutionen<br />
Künstler<br />
Viele Künstler äußern, dass sie Schwierigkeiten mit der<br />
Institution haben oder hatten, in der sie lehren, mich<br />
schließe ich hier mit ein. Die Strukturen, Kollegen, das Gebäude<br />
und viele Details verbreiten eine Atmosphäre, die<br />
es einem schwer macht. Nicht gerade leicht ist es auch,<br />
der Systematik und Wissenschaftlichkeit anderer Disziplinen<br />
etwas entgegen zu setzen. Die Schulen sind es, die hier<br />
wieder besonders hervorstechen. Hinzu kommt hier die<br />
ganze Funktionsweise von Schule, mit ihren didaktischen<br />
Konzepten und ihrer hermetischen Zeitstruktur. Neben<br />
den faktischen Schwierigkeiten existiert auch noch die<br />
Komponente der atmosphärischen Abgrenzungsprobleme.<br />
Instinktiv passen wir uns der Situation und der Institution<br />
an und schlüpfen in die Lehrerrolle.<br />
Die Positionsbestimmung ist zuweilen so diffus, das die<br />
Künstler als solche kaum noch zu erkennen sind und ihre<br />
Identität und damit auch ihre Befähigung zu Institutionskritik<br />
verlieren. Damit büßen sie jedoch gleichzeitig und<br />
45
Künstler<br />
schlagartig ihre Attraktivität für Aussenstehende ein, die<br />
sie ja eigentlich dafür qualifiziert in der Lehre tätig zu<br />
sein.<br />
Aber wie sich behaupten, wenn man den Mechanismen<br />
ausgeliefert ist? – ich erinnere mich an meine Erfahrungen<br />
in der Schule und daran, wie ratlos ich war über das Unverständnis,<br />
das aus meiner Sicht um mich herum herrschte<br />
- und kein eigenes Modell im Bezug auf das Künstlersein<br />
entwickelt hat, das Stand hält?<br />
In dieser Hinsicht ist auch die Skepsis von Kollegen zu<br />
verstehen – und ich selbst habe mich auch schon dabei<br />
ertappt - die einen, wenn man in diesem Feld tätig ist, nicht<br />
mehr so recht als Kollegen ernst nehmen.<br />
Hier schließt sich ein Kreis, den auch Carmen Mörsch in<br />
der Auswertung von Gesprächen mit am Modellprojekt<br />
beteiligten Künstlern beschreibt:<br />
Dies korrespondiert mit der Tatsache, dass an deutschen Kunstakademien<br />
die Arbeit im Bildungsbereich – trotz der wachsenden<br />
Zahl an Gegenbeispielen – weiterhin nicht als dem Beruf<br />
der KünstlerIn zugehöriger (Erwerbs-)Tätigkeitsbereich begriffen<br />
wird. Im Gegenteil wird diese Arbeit weiterhin als zur Tätigkeit<br />
der KünstlerInnen oppositionell entworfen, weil sie als nicht<br />
mit dem offenbar weiterhin als Mainstream dominierenden<br />
Konzept einer autonomen Kunst in Einklang zu bringen gilt.<br />
[Fn.: KünstlerInnen, die im Bildungsbereich arbeiten, bieten aus<br />
46
dieser Perspektive also nicht den Beweis, dass es für KünstlerInnen<br />
möglich ist, das zu tun, sondern hören qua Definitionem<br />
auf, KünstlerInnen zu sein.] Infolge dessen existieren weder<br />
ein ausgewiesenes Arbeitsfeld noch etablierte Ausbildungswege,<br />
die es an Akademien ausgebildeten KünstlerInnen ermöglichen<br />
würden, Arbeit in Schulen und anderen Bildungssettings als Teil<br />
ihres Berufes zu begreifen. 33<br />
Carmen Mörsch führt die Problematik auf das Berufsbild<br />
und eine Vorstellung autonomer Kunst zurück. Nach der<br />
hier beschriebenen Logik ist der Künstler kein Künstler<br />
mehr, wenn er sich in dieses Gebiet begibt, das eine Opposition<br />
zur Kunst darstellt, bzw. das die Freiheit der Kunst<br />
Mechanismen anderer Systeme unterwirft. Dass dies so<br />
ist, wird auch in der Pädagogik festgestellt (s.o.). Bei der<br />
Betrachtung der Akademien, also der Kombination zwischen<br />
Kunst und Institution unter einem Dach deutet sich<br />
die Problematik ebenfalls bereits an (s.o.),<br />
Trotzdem bleibt es bemerkenswert, dass ein Künstler sein<br />
Künstlersein verliert, wenn er Kunst im Sinne der Lehre<br />
vermittelt. Diese Logik greift jedoch auch in erster Linie<br />
im Schulbereich und im Zusammenhang mit jungen, mäßig<br />
erfolgreichen Künstlern. Hat ein Künstler sein Künstlersein<br />
durch öffentliche Anerkennung und Berühmtheit<br />
33 Mörsch, Carmen, „.(lacht)“, In: Lüth, Nanna und dies. (Hg.), 2005,<br />
S.66<br />
Künstler<br />
47
Künstler<br />
unter Beweis gestellt und möglichst ein gewisses Alter<br />
erreicht, kann er sich die Lehre wieder leisten, denn er<br />
ist vor der Vereinnahmung durch die Institution sicher.<br />
Dann verschlägt es ihn in aller Regel auch nicht in eine<br />
Grundschule, sondern an eine Kunstakademie, und zwar<br />
als Professor.<br />
Ich gehe von der Annahme aus, dass die Probleme sich<br />
nicht begrenzen lassen auf die Definition oder Anerkennung<br />
des Tätigkeitsbereiches und einen allgemeinen Begriff<br />
von autonomer Kunst oder Freiheit der Kunst. Tatsächlich<br />
berechtigt die oben beschriebene Diffusität der eigenen<br />
Position, die ich selbst auch bei mir bemerkt habe, zu Vorbehalten<br />
und Kritik. Oder andersherum, wenn man nicht<br />
ganz genau weiß, was für eigene(!) Interessen hinter dem<br />
Interesse an der Lehre stecken, sind die Schwierigkeiten<br />
vorprogrammiert.<br />
Auf der Suche nach einer genaueren Bestimmung dessen,<br />
was uns geprägt hat und uns ausmacht und was wir<br />
tendenziell auch weiter geben, habe ich versucht, mich an<br />
meine Studienzeit zu erinnern, wie meine Kollegen es teilweise<br />
auch tun.<br />
Die Kunsthochschule und die Leere<br />
Einen ersten Hinweis hierzu habe ich in einem Text von<br />
Dellbrügge & de Moll von 1999 gefunden, die sich auf das<br />
48
zurück besinnen, was ihnen in ihrem Studium vermittelt<br />
wurde.<br />
Die restlichen 99% der Akademieabsolventen [die keine bekannten<br />
Künstler werden] haben aber möglicherweise gelernt,<br />
mit Zeit umzugehen, mit der Absenz von Aufgabenstellungen<br />
und Leistungsnachweisen. Das ‚Zurückgeworfensein auf<br />
sich selbst’ wirkt auf hochmotivierte Schulabgänger zu Beginn<br />
des Kunststudiums wie ein Schock, den es in einer mindestens<br />
vierjährigen Therapie zu bewältigen gilt. Geheilt werden sie ins<br />
Leben entlassen mit der Erfahrung einer intrinsischen Tätigkeit,<br />
das heißt einer Beschäftigung, die selbstmotivierend und<br />
selbstbelohnend wirkt. Eine positive Konnotation dieser ‚Leere’<br />
ist ein einer gesellschaftlichen Realität, deren Normalfall die Arbeitslosigkeit<br />
sein wird, nicht zu unterschätzen. (...) Ist nicht die<br />
Verschulung der Akademien, die Einführung von Prüfungen und<br />
Diplomen gerade der falsche Weg und geht von einem fiktiven<br />
Arbeitsmarkt aus, auf dem gute Zeugnisse berufliche Stellungen<br />
sichern? Statt Ordnungen aus anderen Berufsbildern zu<br />
simulieren, sollte die Akademie sich auf ihre ureigensten Qualitäten<br />
besinnen. 34<br />
Überraschenderweise beinhaltet diese Stellungnahme von<br />
Künstlern bereits eine ähnliche Argumentation, wie sie in<br />
der Debatte um kulturelle Bildung hervortritt, nur aus ei-<br />
34 Dellbrügge & de Moll, „Die gute Leere“. In: Schwarz, Michael (Hg.),<br />
1999, S.151<br />
Künstler<br />
49
Künstler<br />
ner ganz anderen Richtung heraus entwickelt.<br />
Tatsächlich könnte es sein, dass einiges von dem, was<br />
nun als künstlerische Kompetenz zur Flexibilisierung und<br />
Veränderung von Schule geeignet scheint, in den Kunsthochschulen<br />
entstanden, oder zumindest befördert worden<br />
ist. Auch ich erinnere mich aus meinem Studium an<br />
jenen Schock, der genau aus der Abwesenheit einer vorgegebenen<br />
Struktur entstand, Horror und totaler Luxus<br />
gleichermaßen.<br />
Paul Uwe Dreyer fasst diesen Leerlauf von der gegenüber<br />
liegenden Seite, also nicht von der des (Ex-)Studenten,<br />
sondern hier von der des Rektors der Staatlichen Akademie<br />
der Bildenden Künste Stuttgart aus, mit dem Begriff<br />
der Voraussetzungslosigkeit zusammen. Deutsche Kunsthochschulen<br />
würden Voraussetzungslosigkeit im positiven<br />
Sinn schaffen, so formuliert er auf einem Kolloquium in<br />
Stuttgart. Werkstätten und Atelierflächen bilden hierbei<br />
den physischen Raum, der zu geistigem Raum werden<br />
könne. Das Tun werde begriffen, als sich ein Bild von einer<br />
Sache machen. Die Bedingung hierfür wäre eine Voraussetzungslosigkeit,<br />
die es ja eigentlich (sonst) nicht gäbe. 35<br />
35 Dreyer, Paul Uwe, mündlicher Diskussionsbeitrag. In: Bär, Andreas<br />
und John, Rüdiger (Hg.), 1999 (CD-ROM), Kapitel 05<br />
Dreyer formuliert in einem Nebensatz selbst, dass es diese Voraussetzungslosigkeit<br />
eigentlich ja nicht gäbe, sie in der Realität nicht vorkäme. Die Kunsthochschulen<br />
böten demnach also einen Rahmen, ein „Setting“, eine künstliche Bedingung<br />
an, der wie eine „Spielwiese“ betrachtet werden könnte. Der Begriff des<br />
50
Künstler<br />
Bereits der Einleitungsvortrag derselben Veranstaltung<br />
trägt den Titel Über die Phänomenologie des Herumhängens<br />
und auch Dellbrügge und de Moll beenden ihren Beitrag<br />
mit Gedanken zur Muße, als einer Grundvoraussetzung für<br />
Kreativität.<br />
Diesen Statements zur Folge, ließe sich die viel kritisierte<br />
Hochschule, nicht nur als ein Ort beschreiben, an dem<br />
man als Kunststudent (doch) etwas lernt, trotz Institution,<br />
Akademismus Meisterklassenprinzip und was alles noch<br />
an Kritikpunkten zu erwähnen wäre, sondern auch als ein<br />
Ort offenbar auch noch sehr rare und zurzeit wertvolle<br />
Kompetenzen ausgebildet oder gefördert werden.<br />
Franz Erhard Walther beschreibt ein vermutlich ähnliches<br />
Phänomen als äußerst fragilen Raum, der immer wieder neu<br />
Spiels ließe sich hier möglicherweise verwenden, in dem Sinne, wie ihn Thomas<br />
Lehnerer verwendet hat, um seine These „Empfinden aus Freiheit“ zu begründen,<br />
wenn der Zusammenhang hier auch ein äußerer und kein innerer ist. (siehe<br />
Lehnerer, Thomas, Methode der Kunst, Verlag Königshausen und Neumann, Würzburg,<br />
1994, S.63ff.). Der Rahmen, den die Akademien bieten, wäre demnach als<br />
Kontext, Rahmen, Regelwerk oder Setting des Spiels interpretierbar. Der „Rahmen“<br />
entscheidet darüber, welche Art von Spiel gespielt wird. (ebd. S.69) Wie bei<br />
einem Spiel kennzeichnen dann jedoch Zweckfreiheit und Ergebnisoffenheit die<br />
Bewegungsform des Spiels bzw. des Studiums. Das Ergebnis wäre unvorhersehbar<br />
und wie bei einem Spiel nicht durch die Summe der äußeren Faktoren<br />
determinierbar. Lehnerer geht es mit dem Begriff der „Freiheit“ ausdrücklich<br />
um die Freiheit des Spiels, nicht um die des Subjektes, also des Spielers oder hier<br />
des Studenten. Als ein Ziel des Studiums könnte dieser Argumentation zur Folge<br />
betrachtet werden, der Student sich ein einem bestimmten Setting mit der Rolle<br />
des „Spielers“ vertraut macht.<br />
51
Künstler<br />
definiert werden muss, damit jenes offene Klima herrschen<br />
könne, dass unerlässlich für die Auseinandersetzung mit dem<br />
Phänomen „Kunst“ sei, so wie er sie in seiner Lehre praktiziere.<br />
Die Bestimmung des Niveaus muss ungestört bleiben.<br />
Hier können sogar Lehrer ohne Werk wirksam sein. 36<br />
Parallel zur Debatte um kulturelle Bildung wird jedoch<br />
am Umbau der Hochschulen gearbeitet. Im Rahmen von<br />
allgemeinen Reformen wird versucht, die Kunsthochschulen<br />
umzustrukturieren, zu modularisieren und mit außerhalb<br />
des Bereiches entwickelten Kriterien zu evaluieren.<br />
„Hochschulgesetzgebung“ stehe „kunstadäquater“ Praxis<br />
entgegen stellt Dreyer fest; die Grenzen der von innen<br />
kommenden Veränderungen der Kunsthochschulen würden<br />
dort erreicht, wo sie mit allgemeinen, vergleichenden<br />
Bewertungsmaßstäben für Hochschulen beurteilt würden,<br />
die sich auf quantitativ und qualitative beschreibbare<br />
Lehrinhalten bezögen. 37<br />
Man will nicht zur Kenntnis nehmen, dass künstlerische Arbeit,<br />
die diesen Namen verdient, den Gegenstand ihrer Praxis im Akt<br />
seiner Setzung jeweils neu bestimmt. Sie kann deshalb in einen<br />
Lehr-Kanon gar nicht übersetzt werden, ohne an Authentizität<br />
zu verlieren. Jedes Curriculum käme zwangsläufig verspätet<br />
36 Walther, Franz Erhard, 1993, S.7<br />
37 Dreyer, Paul Uwe, mündlicher Diskussionsbeitrag. In: Bär, Andreas<br />
und John, Rüdiger (Hg.), 1999 (CD-ROM), Kapitel 11<br />
52
hinterher und würde damit die Kunst verfehlen, so Hans-<br />
Joachim Lenger. Da Wissenschaftspolitiker auch Kunststudiengänge<br />
nach ihrer Effizienz evaluieren möchten, erhöben<br />
sie jedoch diese Forderung und hielten den Hinweis<br />
auf die Unmöglichkeit einer solchen Evaluierung (...) für eine<br />
Schutzbehauptung von Künstlern, die sich vorgegebenen Standards<br />
(...) nicht unterwerfen wollen. 38<br />
Michael Glasmeier und Elke Bippus kommen zu einem<br />
ähnlichen Schluss:<br />
Gerade in Deutschland ist die Ausbildung von Künstlerinnen<br />
und Künstlern besonders erfolgreich, was sich an der Reputation<br />
und Rezeption deutscher Kunst im Ausland ablesen lässt,<br />
Umso unverständlicher ist der Versuch einiger Kultusminister<br />
der Länder, durch Stellenkürzungen oder Bachelor- und Masterdiskussionen<br />
das kreative Potential zugunsten der Natur- und<br />
Wirtschaftswissenschaften zu verschieben. Auch Akademien<br />
und Kunsthochschulen werden inzwischen mit Begriffen wie<br />
Synergie, Drittmittel, Exzellenz, Zielvereinbarungen, Effizienz,<br />
Evaluierung, Leuchtturm, Alleinstellungsmerkmal, etc. gequält.<br />
Dabei wird schlicht die Tatsache geleugnet, dass sich Künstler<br />
und ihre Ausbildung weder mit üblichen Leistungsstandards<br />
noch unter ökonomischen Gesichtspunkten messen lassen. 39<br />
38 Franz Erhard Walther und Hans Joachim Lenger im Gespräch. In: Walther,<br />
Franz Erhard, 1993, S.33<br />
39 Bippus, Elke und Glasmeier, Michael: „Theorien aus der Praxis“. In:<br />
dies. (Hg.), 2007, S.13<br />
Künstler<br />
53
Künstler<br />
Die Feststellung, dass genau jene Kompetenzen aber in<br />
der alten und sicherlich reformbedürftigen Hochschule<br />
ausgebildet wurden, sollte eigentlich geeignet sein, den<br />
Blick auf diese Reformen zu verändern. Nicht alle Offenheit<br />
und Strukturlosigkeit ist schlecht oder aber: wenn<br />
keine Freiräume da sind, kann nichts entstehen. Möglicherweise<br />
käme genau jene Ressource, aus der jetzt zu schöpfen<br />
versucht wird, mit dem Umbau der Kunsthochschulen<br />
zum versiegen oder würde sich in einer Art Immigration<br />
wieder finden.<br />
Lehrende Künstler in Kunsthochschulen<br />
Die Lehre in einer Kunsthochschule ist darauf ausgerichtet,<br />
angehende Künstler „auszubilden“, sofern so etwas<br />
möglich ist, bzw. ihnen einen Rahmen und ein Forum für<br />
ihre Entwicklung zu bieten. Für die Lehre bedeutet das,<br />
dass sie sich auf einem kunstimmanenten Feld bewegt,<br />
das nach dem gängigen Modell nicht unbedingt Kommunikation<br />
und Auseinandersetzung mit der Kunst fremden<br />
Strukturen (wie z.B. Schule) voraussetzt, stattdessen aber<br />
zwingend eine eigene Idee von Kunst:<br />
Künstlerlehrer, zeigt euer eigenes Modell, zeigt eure eigene<br />
Kunst! Wer nicht einen eigenen Kunstentwurf gewagt hat,<br />
braucht als Lehrender doch gar nicht anzutreten. So fordert<br />
54
Franz Erhard Walther. 40 Dieser Kunstentwurf könne jedoch<br />
nur in der Reibung mit dem Kontext, historisch wie<br />
gegenwärtig, entstehen. So betrachtet ergibt sich also doch<br />
eine Auseinandersetzung mit anders gearteten Strukturen,<br />
jedoch gewissermaßen von innen heraus und nicht als Vorbedingung.<br />
Es scheint also eine relativ direkte Umsetzung<br />
eigener gemachter Erfahrung in der Lehre möglich, die<br />
keine vorherige äußere Rechtfertigung braucht.<br />
Normalerweise gehen die Erfahrungen aus der eigenen<br />
Studienzeit von der Anordnung her auf das „Meisterklassenmodell“<br />
zurück, d.h. man studiert in einer Klasse, bei<br />
einem Professor. So war es in meinem Studium, - und der<br />
Besuch von anderen Klassenbesprechungen war tatsächlich,<br />
so weiß ich aus Erfahrung, nicht immer gerne gesehen.<br />
Was mir in Weimar begegnete war letztendlich, trotz des<br />
Projektstudiums, etwas Ähnliches. Die Projekte mutierten,<br />
wie beschrieben, zu Meisterprojekten. Die Kritik hieran<br />
ist die dem Meisterprinzip folgende Ausrichtung auf den<br />
Professor, in dessen Augen man bestehen muss. Dies steht<br />
im Widerspruch zur Selbstverantwortung der Kunst. Eine<br />
Alternative hierzu wäre die Selbstorganisation, also z.B.<br />
freie Klassen, bzw. eine Organisationsform, bei der der Unterschied<br />
zwischen Lehrenden und Lernenden vom Alter<br />
her und durch temporäre Lehrverpflichtungen möglichst<br />
40 Walther, Franz Erhard, 1993, S.25<br />
Künstler<br />
55
Künstler<br />
gering ist, eine so genannte „Akademie von unten“. 41<br />
Als künstlerischer Mitarbeiter befindet man sich sozusagen<br />
dazwischen. Man ist den Studenten altersmäßig noch<br />
recht nah, untersteht aber gleichzeitig einem Professor.<br />
Zwei meiner Gesprächspartner äußern, dass das offene<br />
Forum ihrem Verständnis von Lehre am ehesten entspricht.<br />
Beide verweisen in diesem Zusammenhang auf positive<br />
Erfahrung während ihrer eigenen Studienzeit. Diese<br />
strukturlos erscheinende und adidaktische Form der Lehre<br />
kommt dem eigenen Kunstmachen am nächsten. Abgesehen<br />
davon, dass es kein wirkliches Thema gibt, außer der<br />
möglichst eigenständig entwickelten Arbeit, braucht diese<br />
Form auch nicht zwingend eine Ausrichtung auf den Lehrenden.<br />
Die (Kunst-)Sache kann im Zentrum stehen.<br />
Man selbst ist in dem Sinne kein Meister und kann aus<br />
dieser Position heraus Selbstorganisation sehr gut mit<br />
initiieren und eigene, noch frische Erfahrungen aus dem<br />
Studium einbringen. Verständnislose Professoren und hinfällige<br />
Strukturen können sich hierbei geradezu als Wind<br />
in den Segeln erweisen. Das kann natürlich die Zusammenarbeit<br />
mit dem Professor belasten, das ist bei meinen<br />
Gesprächspartnern aber gar nicht so häufig der Fall, wie<br />
man vermuten würde.<br />
41 siehe z.B. Dillemuth, Stephan, „Alte Säcke neue Säcke“. In: Bär, Andreas<br />
und John, Rüdiger (Hg.), 1999 (CD-ROM), Textbeitrag I, S.6<br />
56
Künstler<br />
Was für eine Bilanz ergibt sich für den lehrenden<br />
Künstler?<br />
Dillemuth: (...) Wohin geht ihr Ehrgeiz als Professor?<br />
Zehe: Für den Einsatz den ich bereit bin zu geben, möchte<br />
ich etwas zurück haben. Ich will mich als Teil eines lebendigen<br />
Systems fühlen, das es sich leistet sich selbst in Zweifel zu<br />
ziehen. (...) 42<br />
In diesem Sinn äußern sich auch viele meiner Gesprächspartner:<br />
der Input, der von den Studenten käme, wäre sehr<br />
anregend und fordere die ständige Reflexion des eigenen<br />
Standpunktes.<br />
Im weiteren Verlauf des Gespräches antwortet Zehe auf<br />
die Frage, ob er bei gleichem Einkommen immer noch<br />
unterrichten würde, dass ihm seine eigene Arbeit dann<br />
wichtiger wäre, es sei denn, er könne sie als Projekt formulieren.<br />
Als Projekt wird hier eine Art künstlerische Forschung<br />
bezeichnet, deren Form noch zu definieren wäre.<br />
Es wird jedoch deutlich, das Zehe ein Modell vor Augen<br />
hat, bei dem er als Professor den Forschungsplan entwirft,<br />
der auf allen Ebenen Lernpotential für die Studenten anbieten<br />
solle. Von Jung, einem seiner beiden Gesprächspartner,<br />
kommt sofort der Einwand, dies wäre, doch nun<br />
42 Dillemuth, Stephan, „Alte Säcke neue Säcke“. In: Bär, Andreas und<br />
John, Rüdiger (Hg.), 1999 (CD-ROM), Textbeitrag I, S.6<br />
57
Künstler<br />
das reine Meister-Schüler-Rezept. Ich würde sogar noch<br />
einen Schritt weitergehen: das „Meisterklassenprinzip“<br />
kann man als Student solange mitmachen wie es einem<br />
nützt und sich gegebenenfalls davon „emanzipieren“. Die<br />
hier skizzierte Form beinhaltet die Gefahr, als Student<br />
auch noch in den Dienst des Meisters gestellt zu werden,<br />
was in einem Zuge die Abhängigkeit des Studenten<br />
und die Selbstherrlichkeit des Professors vergrößert und<br />
nicht eben selbst bestimmtes und organisiertes Arbeiten<br />
fördert.<br />
Als künstlerische Mitarbeiterin habe ich eine Erfahrung gemacht,<br />
die in diese Richtung ging: Die Beschreibung meines<br />
künstlerischen Vorhabens, mit dem ich mich im Rahmen<br />
meiner Tätigkeit weiterqualifizieren sollte und die Teil des<br />
Arbeitsvertrages war, sollte sich nach Wunsch meiner<br />
vorgesetzten Professorin auf ihr Projekt beziehen, das sie<br />
auch zu einem Teil ihrer Lehre gemacht hatte. Selbstverständlich<br />
konnte ich damit so nicht einverstanden sein.<br />
Bevor Modelle dieser Art zu Ende gedacht werden können,<br />
müsste die Frage geklärt werden, was „künstlerische<br />
Forschung“ eigentlich letztendlich ist und wie sie sich von<br />
der wissenschaftlichen Forschung abgrenzt. Für ein wissenschaftliches<br />
Forschungsvorhaben kann ein Curriculum<br />
entwickelt werden, das ein klar anerkanntes Ziel beinhaltet.<br />
Künstlerische Arbeit basiert auf sehr individuellen Ansätzen<br />
und Prozessen, aus denen nicht so ohne weiteres<br />
in Analogie hierzu allgemein anerkannte Forschungsziele<br />
58
abgeleitet werden können, denen man bereit wäre , sich<br />
als Künstler unterzuordnen.<br />
Schule<br />
Auf die Problematik der Institution im Zusammenhang mit<br />
der Arbeit in der Schule bin ich bereits eingegangen. Ich<br />
hab versucht zu beschreiben, wie sich aus der Vereinnahmung<br />
des Künstlers durch die Institution eine Lage ergibt,<br />
in der der Künstler nicht mehr als Künstler erkennbar<br />
bleibt, und damit aber auch seine Funktion im Kontext<br />
Schule nicht erfüllen kann, die durch Kneip beispielsweise<br />
damit beschrieben wurde, dass ein Widerspruch im Kernsektor<br />
von Schule zu implantieren wäre (s.o. Die historische<br />
Chance). 43<br />
Worin liegt dieser Widerspruch? Kneip beschreibt dies mit<br />
der Formel Schule spricht Curriculum und Kunst das Unwägbare.<br />
So plakativ aufbereitet ergibt sich hieraus die Frage:<br />
Was genau bedeutet das oder wie funktioniert Schule und<br />
wie hingegen Kunst?<br />
Die Frage, wie Schule funktioniert, wäre sicherlich leichter<br />
zu beantworten. Da das eigentlich nicht in mein Gebiet<br />
gehört möchte ich an dieser Stelle zwei Beschreibungen<br />
exemplarisch zitieren:<br />
43 Kneip, Winfried, ebd., 2006, S.11<br />
Künstler<br />
59
Künstler<br />
Dieser fragend entwickelte Unterricht, - man nennt es übrigens<br />
auch Osterhasenpädagogik; - der Lehrer versteckt das Wissen<br />
und die Schüler sollen es finden - so wird häufig Wissen in der<br />
Schule erworben. So dass ich zwar die Aufgaben, die mir der<br />
Lehrer vorgegeben hat, kann, wenn sie genug geübt wurden,<br />
aber sobald die Aufgaben, dass haben ja PISA und TIMSS zu<br />
Tage gebracht, von dem üblichen Format in der Schule abweichen,<br />
können viele deutsche Schüler die Aufgaben nicht mehr<br />
lösen, einfach weil das Wissen träge abgespeichert und unflexibel<br />
ist. Es war immer nur auf eine bestimmte Anforderung<br />
zugeschnitten. 44<br />
Dieser Beschreibung der Wissensvermittlung in Schulen<br />
der Bildungsforscherin Elisabeth Stern stelle ich Überlegungen<br />
von Heinz von Foerster über praktizierte Formen<br />
des Lernens gegenüber:<br />
Eindeutig sind wir als Kinder unserer Kultur in triviale Systeme<br />
vernarrt, und wann immer die Dinge nicht so funktionieren, wie<br />
man es erwartet, werden wir versuchen, sie zu trivialisieren:<br />
erst dann werden sie voraussagbar.<br />
Ich habe dieses Thema [die Theorie des Lernens, Lethologie]<br />
recht ausgiebig behandelt, weil ich in manchen Stunden<br />
des Zweifels ahne, dass aufgrund mangelnden Verständnisses<br />
44 Auszug aus einem Interview mit Prof. Dr. Elisabeth Stern (Bildungsforscherin<br />
am Max-Planck-Institut). In: Kahl, Reinhard, Treibhäuser der Zukunft.<br />
Dokumentarfilm, 115 min., Archiv der Zukunft, 2004, Kapitel 4, ca. 9.34 min.<br />
60
Künstler<br />
darüber, wie man mit einem der nicht-trivialsten, schöpferischsten,<br />
erstaunlichsten, unvoraussagbarsten Geschöpfen, die mir<br />
bekannt sind, nämlich unseren Kindern, umgehen soll, einige<br />
Ausbildungssysteme Lernen mit Trivialisierung verwechseln. 45<br />
Ein systemisch-konstruktivistisches Lernmodell, das sich<br />
auf Heinz von Förster bezieht, bedient sich konzeptioneller<br />
„Maschinen“, um den Vorgang des Lernens zu beschreiben.<br />
Heinz von Förster unterscheidet zwischen trivialen<br />
und nicht-trivialen Maschinen. Die Arbeitsweise der<br />
Maschine lässt sich nur durch die Betrachtung von ihrem<br />
In- und Output ermitteln. Bei trivialen Maschinen ist die<br />
Operationsregel, nach der sie arbeiten, einfach im Sinne<br />
einer mathematischen Gleichung mit Unbekannten zu ermitteln.<br />
Die Funktionsweise einer nicht-trivialen Maschine<br />
ist hingegen nicht vorhersagbar, weil sich die Regeln der<br />
Transformation entsprechend dem inneren Zustand der<br />
Maschine ändern. 46<br />
45 Weiter heißt es: Beim Lernen wächst die Anzahl interner Zustände und<br />
die semantische Relationsstruktur (das „Programm“) wird bereichert. Trivialisierung ist<br />
dagegen Amputation interner Zustände, Blockierung der Entwicklung unabhängigen<br />
Denkens und Belohnung von vorschriftsmäßigem, also voraussagbarem Verhalten: „6“<br />
ist die Antwort auf die Frage „Was ist 2x3?“; unannehmbar wären die Antworten: „eine<br />
gerade Zahl“, „3x2“, „mein Alter“ und andere.<br />
Foerster, Heinz von, KybernEthik. Merve Verlag, Berlin, 1993, S.144f.<br />
46 Heinz von Foerster weist mithilfe der Kombinatorik nach, dass die<br />
Anzahl der infrage kommenden Möglichkeiten für diesen Fall zu groß ist, als dass<br />
sie eindeutige Rückschlüsse auf die Funktionsweise der Maschine zuließe und sie<br />
somit nicht-trivial funktioniert.<br />
vgl. „Beiträge zur Diskussion einer Lerntheorie“. http://www.uni-koblenz.de/<br />
~odsjgroe/konstruktivismus/lerntheo.htm<br />
61
Künstler<br />
Beide Aussagen beschreiben ein System, dass dem Wesen<br />
von Kunst diametral entgegen gesetzt zu sein scheint.<br />
Kunst kann, egal welche Definitionen man hinzu zieht,<br />
nicht trivialen Prinzipien gehorchen.<br />
Den Ausgangssatz Schule spricht Curriculum und Kunst das<br />
Unwägbare könnte man unter diesen Vorzeichen etwa so<br />
lesen: Schule soll nach klar festgelegten Formen und festen<br />
Inhalten (Curriculum) funktionieren, ist also vorhersehbar<br />
und damit trivial, während die Kunst mit dem Unwägbaren<br />
nicht Vorhersehbares und Determinierbares in sich trägt<br />
und also als nicht-trivial zu bezeichnen wäre.<br />
Auch wenn diese Lesart den Sachverhalt eventuell in unzulässiger<br />
Art und Weise zuspitzt, so bleibt doch die Frage,<br />
ob auf der Basis dieser extremen Unterschiedlichkeit beider<br />
Systeme wirkliche Zusammenarbeit stattfinden kann,<br />
also ob es denn überhaupt möglich und unter den derzeitigen<br />
Vorzeichen sinnvoll ist, diesen Widerspruch mit der<br />
Kunst in den Kernsektor von Schule zu implantieren.<br />
Künstler in Schulen, aber auch in der Lehre in Gebieten,<br />
die an die Kunst angrenzen, wie beispielsweise Architektur,<br />
werden an diese Stellen geholt um dort als Künstler zu<br />
wirken. Eine meiner Gesprächspartnerinnen kommt nach<br />
einigen Jahren Erfahrung zu dem Schluss, dass sie Projekte<br />
mit Schulkindern dann gut findet, wenn sie nicht in der<br />
Schule stattfinden, sondern auf freiwilliger Basis. 47<br />
47 Siehe Email-Interview mit Susanne Ring<br />
62
Künstler<br />
Diese Schlussfolgerung kann einerseits vor dem eben skizzierten<br />
Hintergrund entstanden sein, spielt aber auch auf<br />
die Situation in der Praxis an. Wenn Kunst von der Schule<br />
verordnet wird, also nicht auf freiwilliger Basis stattfindet,<br />
dann wird sie zu einem Teil der Schule und unterliegt<br />
somit auch ihren Gesetzmäßigkeiten. Entweder man hat<br />
Glück und die Schüler sind neugierig und noch nicht komplett<br />
in das System integriert, also z.B. sehr noch klein,<br />
oder aber es treten voraussehbare Schwierigkeiten ein.<br />
Als wir beispielsweise im vergangenen Jahr versuchten, in<br />
einer Berliner Hauptschule einen künstlerischen Workshop<br />
anzubieten, musste die Klasse, während wir unser<br />
Vorhaben erklärten, von zwei Lehrerinnen in Schach gehalten<br />
werden. 48<br />
Es gibt selbstverständlich immer Ausnahmen, also Schulen,<br />
in denen der Widerspruch implantierbar ist, ein Beispiel ist<br />
die Freiligrath-Oberschule in Berlin. Auch Modellversuche<br />
können absolut überzeugend verlaufen. Meine Vermutung<br />
ist, dass alles, was Modellcharakter hat und möglichst<br />
noch zeitlich begrenzt konzipiert ist, funktionieren kann.<br />
Eine breite und selbstverständliche Interaktion ist jedoch<br />
48 Es handelte sich um einen Workshop im Rahmen des Projektes Lebenswege<br />
an der Heinz-Brandt-Oberschule in Berlin-Weissensee. Der Workshop<br />
sollte auf freiwilliger Basis stattfinden. Wir hatten am Ende genau eine<br />
Teilnehmerin.<br />
Für weitere Informationen siehe auch: Projektbericht Lebenswege, betreuender<br />
Dozent: Dr. Volker Hoffmann, Institut für Kunst im Kontext, UdK Berlin, 2007<br />
63
Künstler<br />
solange ausgeschlossen, wie beide Systeme in Opposition<br />
zueinander stehen und die Akzeptanz gegenüber der<br />
Kunst nicht wirklich vorhanden ist bzw. mit dem Versuch<br />
ihrer Integration im Sinne von Vereinnahmung einhergeht.<br />
Diese notwendige Akzeptanz wird in zeitlich oder räumlich<br />
begrenzten Situationen, wie Modellversuchen oder<br />
Schulen gewissermaßen künstlich erzeugt, scheint aber<br />
bisher kaum Nachhaltigkeit zu entfalten. 49<br />
Möglicherweise haben Künstler also einen unerfüllbaren<br />
Auftrag oder werden genau an der Grenze zum anderen<br />
System aufgerieben. Natürlich kann der Künstler sich hier<br />
nicht in der Opferrolle einrichten, sondern muss sich jeweils<br />
fragen, wie er sich selbst in eine solche Situation<br />
bringen konnte. Auch aus Erfahrung habe ich gelernt, dass<br />
mich einzig eine eindeutige Haltung vor einer solchen Situation<br />
bewahrt und mich im Idealfall dazu befähigt, die<br />
Situation aktiv zu wenden.<br />
Lehre und Aufgabenstellung<br />
Stellen Sie sich dieses Studium bitte nicht als „Ausbildung<br />
zum Künstler“ vor. So etwas vermag (unter den heutigen Bedingungen<br />
der Kunst) keine Akademie mehr, (...). Die besten<br />
49 Spannend zu verfolgen ist in diesem Zusammenhang, welche Entwicklung<br />
die Offensive kulturelle Bildung in Berlin nimmt und hier insbesondere<br />
das Projekt der Patenschaftsinitiative; wird hier wirklich eine breite Entwicklung<br />
angestoßen und werden neue Wege beschritten oder eingetretene Pfade?<br />
64
Kunststudenten an den Akademien kann ich mir heute nur<br />
noch als „Autodidakten“ vorstellen, die ich als Lehrer kritisch<br />
zu begleiten habe. 50 So bringt Franz Erhard Walther seinen<br />
Ansatz zur Lehre auf den Punkt. Mein Grundgefühl: Du förderst<br />
die Formulierungsversuche des Anfängers durch Ermutigung<br />
und gleichzeitiges Beispielgeben im Umgang mit Kunst,<br />
begleitest den Fortgeschrittenen mit Rat und präziser Kritik<br />
und bleibst den dem Studium entwachsenen Künstlern freundschaftlich<br />
verbunden. 51<br />
Barnett Newman beispielsweise beschreibt in seinem Text<br />
Über Emma Lake, zunächst was er alles nicht gemacht habe:<br />
Er habe seine eigenen Bilder zu Hause gelassen, keine Maltechnik<br />
unterrichtet und auch keine neuen ästhetischen<br />
Theorien zu Farbe, Form oder Fraktur zu besten gegeben<br />
oder Prophezeiungen im Bezug auf die Zukunft der<br />
Kunst gemacht. Er beendet seinen Bericht jedoch mit den<br />
Worten: Dennoch habe ich in meinem Leben noch nie so hart<br />
gearbeitet, denn was ich mitgebracht habe, war ich selbst. 52<br />
In seiner Beschreibung skizziert Barnett Newman so etwas<br />
50 Walther, Franz Erhard, 1993, S. 22<br />
51 Walther, Franz Erhard, 1993, S. 28<br />
Künstler<br />
52 und weiter: Und was ich klarstellte war, dass jeder ein gutes Gemälde,<br />
jeder etwas Schönes machen kann, dass es jedoch darauf ankommt, ein großes Kunstwerk<br />
zu schaffen, und das die Malerei ein großes Ziel verfolgt.<br />
Newman, Barnett, „Über Emma Lake“ [1964]. In: ders., Schriften und Interviews<br />
1925-1970. Schelbert, Tarcisius (Übers.), O’Neill, John (Hg.), Verlag Garchnang<br />
und Springer, Bern, Berlin, 1996, S.268<br />
65
Künstler<br />
wie die „Negativform“ seiner Lehre, während der Inhalt<br />
er selbst ist, seine eigene Person, die er mitgebracht hat.<br />
Aber was sich da genau abgespielt hat bleibt undeutlich,<br />
wird nicht benannt, verbirgt sich in einer Black Box und ist<br />
möglicherweise kaum in Worte zu fassen. Es ging ihm um<br />
etwas, das seiner Überzeugung nach absolut wesentlich<br />
ist, - so dass er seine ganze Person als Einsatz gegeben hat<br />
ohne Planung oder didaktisch durchstrukturiertes Konzept<br />
in der Tasche.<br />
Das Wichtigste sei ihr, so sagte mir eine Künstlerin, die plastisches<br />
Gestalten für Architekturstudenten lehrt, dass die<br />
Studenten am Semesterende eine möglichst eigenständige Arbeit<br />
gemacht haben.<br />
Das eigenständige Arbeiten oder der autodidaktische<br />
Ansatz scheint uns allen gemeinsam ein Anliegen zu sein,<br />
etwas, das wir für essentiell halten, das unsere künstlerische<br />
Arbeit kennzeichnet und auch etwas, das wir gerne<br />
weitergeben möchten, auch an jene, die keine Künstler<br />
sind. Es scheint sich um so eine Art harten Kern in der<br />
Lehre von Künstlern zu handeln, vielleicht eine eigene<br />
„Schlüsselerfahrung“.<br />
Meine Gesprächspartner, die an Kunsthochschulen lehren,<br />
wählen dazu die Form des offenen Forums und parallel dazu<br />
Einzelgespräche. Vieles bildet sich auf dem Hintergrund<br />
der eigenen gemachten Erfahrung ab. Ein Künstler erklär-<br />
66
Künstler<br />
te mir beispielsweise, dass das Medium (sein eigenes: die<br />
Malerei) für ihn bei allem den Ankerpunkt bilde. Über die<br />
Präsenz der Sache würde er mit den Studenten tiefer in<br />
die Materie eindringen und andere Bereiche erschließen.<br />
Dieser Ansatz lässt sich umschreiben mit der Vorstellung<br />
den Reflexionsansatz im Handeln zu suchen, d.h. Theorie<br />
aus der Praxis zu entwickeln.<br />
Künstler, die zwar an Hochschulen, aber nicht in Kunststudiengängen<br />
lehren, sind mit andern Anforderungen konfrontiert,<br />
die eine verstärkt didaktische Vorgehensweise<br />
erfordern und es extrem schwierig machen, den Kontext<br />
immer von der Kunst ausgehend zu erschließen. Bei diesem<br />
Drahtseilakt zwischen äußeren Anforderungen und<br />
eigenen Überzeugungen scheinen meine Kollegen sehr<br />
viel Kreativität zu entwickeln, um ihre Vorstellungen und<br />
Überzeugungen unterzubringen.<br />
Die Trennung ist nicht immer leicht und auch oft irrelevant.<br />
Eine Schwierigkeit ist jedoch, ein Gespür dafür zu<br />
entwickeln, wann Grundprinzipien der eigenen Sache in<br />
den Dienst der anderen Sache übergehen, also ihre Unabhängigkeit<br />
und damit auch ihr Potential zur Innovation<br />
einbüßen. Ließe man das zu, so meine persönliche Meinung,<br />
würde auch das eigene Wirken in seinen Grundfesten<br />
überflüssig.<br />
Sie fände Überforderung immer gut, sagte mir eine Freundin,<br />
immer bis an die Grenze, sonst würden keine neuen<br />
67
Künstler<br />
Wege aufgetan. Überforderung könne aber auch dazu führen,<br />
dass die Studenten nicht klarkommen und frustriert<br />
sind und kein eigenständiger Ansatz entsteht. Hier eine<br />
Balance zu finden wäre eine der Herausforderungen für<br />
sie.<br />
Oft stecken Künstler, mir ging es wie beschrieben auch<br />
so, viel Energie in die Aufgabenstellung, sofern sie dazu gezwungen<br />
sind. Es handelt sich dann meistens um „Meta-<br />
Aufgaben“, d.h. eher um Handlungsanweisungen oder<br />
Rahmen, die eine Aufforderung enthalten, sich das Thema<br />
selbst zu suchen. Meiner Beobachtung nach zeigt sich in<br />
der Aufgabenstellung bereits eine spezifisch künstlerische<br />
Herangehensweise, der wir uns oft gar nicht bewusst sind.<br />
Entsprechend ist es für Außenstehende oft schwierig, diese<br />
Aufgabenstellungen als solche zu akzeptieren.<br />
Eine Freundin ließ ihre Studenten einen Apparat konstruieren,<br />
der ein Problem schafft und es wieder aus dem Weg<br />
räumt. Ich ließ Abiturienten Kurzfilme zu Thema Ich im<br />
Film. Tagebuch/ Ereignis drehen.<br />
Die Aufgabenstellungen dienen in diesen Fällen nur dazu,<br />
den Einstieg in die Arbeit zu erleichtern, mit dem stillschweigenden<br />
Ziel, dass sie dann möglichst schnell in Vergessenheit<br />
geraten. Natürlich ist mit diesen Themen alles<br />
möglich, alles ist zugelassen und es kann keine falsche Lösung<br />
oder ein verfehltes Thema geben. Schließlich geht es<br />
ausschließlich darum Prozesse zu initiieren und den Raum<br />
für Erfahrungen freizuschaufeln. Ohne ihnen zu sagen, was<br />
68
sie machen sollen – oder zumindest so zu tun - ist das<br />
jedoch mit Ungeübten fast unmöglich.<br />
Die Ungeübten sind in aller Regel tatsächlich die, die das<br />
Bildungssystem durchlaufen haben (ohne an einer Kunsthochschule<br />
zu studieren). Kleine Kinder nehme ich von<br />
dieser Beobachtung aus.<br />
Als ich vor einigen Monaten einer Kollegin einen Plan erklärte,<br />
den ich in einer Grundschule ausprobieren wollte<br />
und ihr auch von den Zweifeln der Lehrerin erzählte,<br />
meinte sie, mit den Kindern würde ich bestimmt keine<br />
Probleme bekommen. Sie hatte Recht. Kleine Kinder lassen<br />
sich viel selbstverständlicher, mit spielerischem Ernst,<br />
auf so genannte „ergebnisoffene“ Prozesse ein, als ihre<br />
Lehrer es oft können. Die Lehrerin war im Vorfeld der<br />
Meinung, ich würde sicherlich auf Probleme stoßen, denn<br />
die Aufgabenstellung sei für die Kinder viel zu unklar und<br />
abstrakt, sie hätten keinen klaren Auftrag, was sie malen<br />
sollen.<br />
Die eigene Arbeit und lehren?<br />
Künstler<br />
Wenn ich diese Frage Kollegen stelle, bekomme ich<br />
manchmal die Antwort, da gäbe es gar keine Konflikte,<br />
denn das wären zwei völlig unterschiedliche Bereiche, die<br />
sie strickt trennen. Möglicherweise ist das ein gangbarer<br />
Weg. Ich habe jedoch den Verdacht, das diese Art Rollenwechsel<br />
dazu führen könnte, dass die Lernenden eventuell<br />
vom Künstler nicht bekommen, was sie sich von ihm ver-<br />
69
Künstler<br />
sprechen, weil er unerreichbar bleibt. Barnett Newman<br />
beschreibt in seinem Text „Über Emma Lake“ (s.o.), dass<br />
er in seinem Leben noch nie so hart gearbeitet hätte, denn<br />
was er mitgebracht habe für seine Lecture, wäre er selbst<br />
gewesen. Diese Haltung steht in krassem Gegensatz zu<br />
dem oben beschriebenen programmatischen Rollenwechsel<br />
zwischen Lehrer und Künstler.<br />
Bereits im Kapitel Lehrende Künstler in der Kunsthochschule<br />
habe ich Jörn Zehe zitiert, der auf die Frage, ob er für<br />
das gleiche Geld weiter lehren würde, geantwortet hat, in<br />
dem Fall zöge er seine eigene Arbeit vor, es sei denn er<br />
könne daraus eine Art künstlerisches Forschungsprojekt<br />
entwickeln, dass die Hochschulstrukturen nutzt. Neben<br />
der Problematik, die in dieser Aussage steckt (s.o.), zeigt<br />
sich auch hier, dass Lehre und eigene Arbeit keine gemeinsame<br />
Form gefunden haben.<br />
Unabhängig von einer Professur, ich würde meine künstlerische<br />
Arbeit weiterverfolgen. Hätte ich in der Situation eine Lehre<br />
aufbauen müssen, der Berufung wäre ich sicher nicht gefolgt.<br />
Doch meine Werkfigur warf genügend Material ab. 53 Franz<br />
Erhard Walther formuliert hier zwar eine eindeutige Hierarchie<br />
von eigener Arbeit und Lehre, leitet aber die Lehre<br />
so unmittelbar aus seinem eigenen Werk ab, dass es für<br />
ihn gar keine Notwendigkeit gab, sich vorab über die Leh-<br />
53 Walther, Franz Erhard, 1993, S.15<br />
70
e Gedanken zu machen.<br />
Von mir selber würde ich sagen, dass, wie oben beschrieben,<br />
mein Interesse an der Lehre aus den Erfahrungen<br />
in der Zusammenarbeit und Kooperation mit anderen<br />
Künstlern und Nicht-Künstlern entstanden ist und sich<br />
insofern auch mit meiner Arbeit verträgt. Dieses „kooperative<br />
Modell“, das auf Interaktion beruht und eventuell<br />
auch mit Netzwerkbildung zu tun hat, erwächst aus Selbstorganisation.<br />
Ein solcher Prozess lässt sich nicht verordnen,<br />
höchstens mit initiieren. Hierzu ist es aber tatsächlich<br />
günstig, möglichst nah an den Studenten zu sein. Die Position<br />
des Professors macht eine solche Vorgehensweise<br />
vermutlich schwieriger.<br />
Darüber reden? Theoriegebilde<br />
Künstler<br />
Auf der Suche nach Verallgemeinerungen zu dieser Frage,<br />
bin ich vor allem in Texten fündig geworden, die nicht<br />
von Künstlern stammen und die sich auf die so genannten<br />
Schlüsselqualifikationen von Künstlern beziehen. 54<br />
In den Gesprächen, die ich geführt habe, ist, wie oben beschrieben,<br />
oft vom eigenständigen Arbeiten die Rede. Das<br />
eigenständige Arbeiten beinhaltet auch eine eigene selbst<br />
gestellte Aufgabe, die vorab formuliert wird oder aber<br />
54 siehe beispielsweise: Kettel, Joachim, „Künstlerische Bildung nach<br />
Pisa“. In: ders., IGBK und Landesakademie Schloss Rotenfels (Hgg.), 2004, S.36f.;<br />
oder<br />
BKJ, Suchbegriff „künstlerische Kompetenzen“, http://www.bkj-remscheid.de/<br />
71
Künstler<br />
sich während der Arbeit erst konstituiert und modifiziert.<br />
Auch bedeutet diese Art zu arbeiten wohl, sich selbst zu<br />
organisieren und auch zu strukturieren. Gleichzeitig heißt<br />
es aber auch oft alleine zu arbeiten. Für das Meiste müssen<br />
wir dann keine Worte finden.<br />
Fällt uns nichts ein oder gelingt es uns nicht die nötige<br />
Selbstdisziplin aufzubringen – natürlich ist das individuell<br />
sehr unterschiedlich – werden wir möglicherweise sehr<br />
unzufrieden, und doch müssen wir mit dieser bereits oben<br />
zitierten Leere (Dellbrügge & de Moll) umgehen.<br />
Die Lehre zwingt uns irgendwie über das Machen zu sprechen,<br />
andere derartige Situationen wären Kooperationen<br />
mit Kollegen oder auch interdisziplinäre Projekte. Man<br />
kommt in diesen Fällen um die Formulierung eines eigenen<br />
Standpunktes als Künstler kaum herum. 55<br />
55 In den beschriebenen Fällen ist das vielleicht noch einsehbar. Einen<br />
Sonderfall bildet die Vielzahl von Stipendien- und Projektanträgen, die man zu<br />
stellen gezwungen ist, wenn man nicht vom Fleck weg gigantische kommerzielle<br />
Erfolge feiern kann. Diese Anträge, die von einem verlangen, ein mögliches Arbeitsvorhaben<br />
zu formulieren, - wie soll ich jetzt in Worte fassen, woran ich in<br />
zwei Jahren arbeiten werde? - das man vielleicht realisieren kann, wenn man den<br />
Zuschlag bekommt – die „richtigere“, idealistische Haltung ist natürlich die, dass<br />
man es in jedem Fall machen wird – verlangen einem zuweilen Unmögliches ab,<br />
nämlich das Unwägbare (Winfried Kneip, s.o.) oder das (vorab) Unsagbare in<br />
Worte zu fassen. Das Ringen um die Textform hat schon so manchen Künstler<br />
ins Schwitzen gebracht oder in dieser Hinsicht talentierte Künstler zu „Stiftungskünstlern“<br />
oder „Projektkünstlern“ mutieren lassen. Diese Textformen<br />
lassen Künstler in der Reflexion über ihre Arbeit oft nicht weiter kommen.<br />
72
Künstler<br />
Viel leichter fällt vielen von uns das Reden über die Dinge,<br />
die informelle Form. Manche schrecken davor zurück, ihre<br />
Gedanken in Schriftform zu fassen, vielleicht weil sie dann<br />
eine faktisch andere Präsenz bekommen oder aber Handeln,<br />
Machen und Reflektieren nicht immer zusammen zu<br />
passen scheinen.<br />
Elke Bippus und Michael Glasmeier haben in ihrer Textsammlung<br />
Statements von Künstlern zur Lehre zusammengestellt.<br />
In ihrem Vorwort beschreiben ein generelles<br />
Charakteristikum dieser Zeugnisse und stellen fest: (...)<br />
dass Künstlerdokumente immer auch hochwissenschaftlich<br />
sind und nicht nur Dokumente im historischen Prozess. Sie<br />
vertreten die Überzeugung, dass Künstler immer auch Theoretiker<br />
sind, die ihre Positionen in ihrer Zeit präzise formulieren<br />
und punktgenau akzentuieren. 56<br />
Eine mögliche Antwort auf die Frage, was eine solche<br />
Künstlertheorie kennzeichnen könnte, findet sich bei Thomas<br />
Lehnerer. Er setzte sich unter anderem auch damit<br />
auseinander, was es bedeutet, auf den eigenen Erfahrungen<br />
als Künstler eine Theorie zu gründen. 57 Neben anderen<br />
56 Bippus, Elke und Glasmeier, Michael, „Theorien aus der Praxis“. In:<br />
diess. (Hg.), Hamburg, 2007, S.12<br />
57 Die Auseinandersetzung mit diesen Fragen macht seine Texte offensichtlich<br />
sehr attraktiv für die Kunstpädagogik und Didaktik. In der dezidierten<br />
Analyse der Grundbegriffe künstlerischen Arbeitens scheint er eine Art Schlüssel<br />
anzubieten. So erscheint sein Name auf vielen Literaturlisten kunstpädago-<br />
73
Künstler<br />
Charakteristika weist auch auf die folgenden hin:<br />
Eine Künstlertheorie ist ihrem allgemeinen Begriff nach eine<br />
auf Praxis bezogene Begründungs- und Rechtfertigungstheorie<br />
(eine Art Technodizee) .<br />
Die Freiheit, die der Künstler aufgrund der „Religionslosigkeit“<br />
seiner Kunst seit der Neuzeit und besonders in der Moderne<br />
besitzt, stellt ihn vor radikale (rückhaltlose) Begründungsprobleme.<br />
(...) Die mit dieser Freiheit verbundenen Rahmenbedingungen<br />
geben seiner Theoriearbeit aber zugleich - eben<br />
dadurch - „exemplarischen“ Charakter. Zwar ist das „Denken“<br />
eines Künstlers nicht anders, als das jedes anderen Menschen.<br />
- Es gibt keine zwei Arten von Denken. - Aber Künstler entwickeln<br />
ihre Theorien unter ganz besonderen (oben angedeuteten)<br />
Bedingungen: Ihre Theorien müssen konstruktiv sein, sie<br />
müssen zur künstlerischen Arbeit motivieren, sie müssen dabei<br />
einen neuen, zumindest einen originalen Weg beschreiten und<br />
sie können sich schließlich nicht (jedenfalls zunehmend nicht<br />
mehr) auf vorgegebene Methoden und Traditionen berufen, sie<br />
bewegen sich vielmehr zunehmend „im Freien“. 58<br />
Thomas Lehnerer begreift Theoriearbeit als konstitutiven<br />
Bestandteil künstlerischer Arbeit. 59 Er kommt unter anderem<br />
gischer oder didaktische Seminare.<br />
58 Lehnerer, Thomas, „Methode der Kunst“, Einleitung. http://www.<br />
brock.uni-wuppertal.de/Schrifte/Habil/Lehnere1.html und Lehner2.html<br />
59 Lehnerer, Thomas, Methode der Kunst. Verlag Königshausen und Neu-<br />
mann, Würzburg, 1994, S.7<br />
74
zu dem Schluss, dass die Theoriebildung durch Künstler<br />
zur Vernetzung und zum Transfer in andere Disziplinen<br />
dienen könne und kommt damit der derzeitigen Argumentation<br />
im Zusammenhang mit der kulturellen Bildung<br />
erstaunlich nahe:<br />
Die genannten Bedingungen - vielleicht könnte man noch<br />
andere finden - sind nun aber nicht auf die Situation des<br />
Künstlers beschränkt: Zunehmend wird es auch in anderen<br />
Lebensbereichen (überlebens-)wichtig, Motivation aufzubauen,<br />
wo keine Üblichkeiten und Bindungen - „Religionen“ mehr<br />
existieren, Neues zu unternehmen, wo sozialer Rückhalt und<br />
Sicherheit genommen sind. Künstlertheorien (gleich welchen<br />
Inhalts) lassen sich daher aufgrund ihrer charakteristischen<br />
Produktionsbedingungen (zunehmend) parallelisieren mit den<br />
Reflexionsbedingungen moderner Lebenswelt. Sie besitzen dadurch<br />
als solche schon (gleich welchen Inhalt oder Zweck sie<br />
verfolgen) exemplarische Funktion (Fn. 41: Vgl. zur exemplarischen<br />
Funktion der Kunst unten: D.6.c. - Vgl. auch Schmidt-<br />
Wulffen 1987. Dieser sucht aus der Vielgestaltigkeit der gegenwärtigen<br />
Kunstlandschaft Kategorien zu abstrahieren, die ihm<br />
(allerdings zunächst nur innerhalb der Kunst) Vergleiche und<br />
Parallelisierungen ermöglichen. Auf diese Weise werden künstlerische<br />
Methoden, „Wege“, „Spielregeln“ (ebd., 12) sichtbar,<br />
die in der Folge auch auf andere individuelle oder gesellschaftliche<br />
Bereiche übertragen werden könnten.). 60<br />
60 Lehnerer, Thomas, „Methode der Kunst“, Einleitung<br />
Künstler<br />
75
Künstler<br />
Rüdiger John und Klaus Heid haben den Versuch einer<br />
derartigen Übertragung gestartet. In ihrem Text mit dem<br />
Titel Was ist Transferkunst stellen sie einleitend die Frage<br />
ob die Kunst Funktionen als transdisziplinäres Agens übernehmen<br />
könne. 61 Weiter unten heißt es: Mit unterschiedlichen<br />
interventionistischen Strategien erweitern Künstlerinnen und<br />
Künstler ihren Aktionsraum. Sie fühlen sich nicht länger einem<br />
objektzentrierten Kunstmarkt verpflichtet, sondern finden und<br />
erfinden operative, prozesshafte Formen in der Zusammenarbeit<br />
mit Partnern in allen gesellschaftlichen Bereichen.<br />
Zu untersuchen wäre die Frage, ob der Kunstbegriff trägt,<br />
der sich hieraus ableitet, ob eine Unabhängigkeit bewahrt<br />
und ob nicht das Werk bei soviel Transfer zu verschwinden<br />
droht. Handelt es sich um „Kunst ohne Werk“? Dann<br />
wäre aber die Tätigkeit des „Transferkünstlers“ beispielsweise<br />
als eine Art Dauerperformance zu beschreiben, die<br />
aber (vermutlich) nicht dokumentiert würde und damit<br />
auch keinen Nachweis ihres Vorkommens erbringt.<br />
Mir drängt sich nach der Lektüre verschiedener Texte<br />
der Verdacht auf, der zu überprüfen ist, ob sich nicht der<br />
Künstler bei dieser Form der Tätigkeit gewissermaßen in<br />
nichts auflöst und es kurz vor der Vollendung des Selbstauflösungsprozesses<br />
gerade noch schafft, den Transfer<br />
. http://www.brock.uni-wuppertal.de/Schrifte/Habil/Lehner2.html<br />
61 Heid, Klaus und John, Rüdiger, „Was ist Transferkunst?“<br />
. http://artrelated.net/ruediger_john/transferkunst.html<br />
76
Künstler<br />
einiger flexibilisierender Strategien zu vollziehen. Dann<br />
wäre er kein Künstler mehr und könnte auch nicht mehr<br />
als solcher wirken, sondern wäre z.B. als Ingenieur für Soziokultur<br />
mit visuellen Mitteln 62 tätig.<br />
Der oben zitierte Text schließt mit dem folgenden Absatz:<br />
Künstlerische Kompetenz kann einen wichtigen Beitrag in wirtschaftlichen<br />
und wissenschaftlichen Prozessen leisten. Dort<br />
wird oftmals jedoch viel über Kunst und deren Nutzbarmachung<br />
nachgedacht, ohne dass man künstlerische Kompetenz<br />
in ausreichendem Maße mit einbezieht. Außerdem können weder<br />
Künstler, noch Personen aus Wissenschaft und Wirtschaft,<br />
die durch ihren tradierten Kanon festgelegt sind, als Teilnehmer<br />
im transdisziplinären Diskurs fungieren. 63<br />
Hieraus ergibt sich wiederum die Frage nach einem kritischen<br />
Standpunkt in Verhältnis zum einen Tun und auch<br />
inwieweit es vertretbar ist, dass sich die Kunst in den<br />
Dienst der Wirtschaft oder sonst irgendwem begibt und<br />
was von ihr übrig bleibt, wenn sie nutzbar gemacht wurde.<br />
Diese Fragen lassen sich mit einigen Beschränkungen auch<br />
auf die Lehre übertragen.<br />
62 Diese Bezeichnung sowie die Bezeichnung Manipulatoren von visuellen<br />
Zeichen ist einem Statement von Jean-Baptiste Joly entnommen, bei dem<br />
es um Absolventen von Kunstakademien geht, die später anderen Tätigkeiten<br />
nachgehen.<br />
In: Bär, Andreas und John, Rüdiger (Hg.), 1999 (CD-ROM), Kapitel 21<br />
63 Die letzte Aussage des Absatzes würde ich anzweifeln. Künstler können<br />
quasi reine ‚Macher’ sein. Auch vor dem Hintergrund eines tradierten Kanon<br />
können bestimmte zentrale Aspekte vermittelt werden, - möglicherweise<br />
sogar besser, weil der eigene Standpunkt in gewisser Weise geklärt ist.<br />
77
Künstler<br />
Franz Erhard Walther äußert sich in einem ganz anderen<br />
Zusammenhang, nämlich im Hinblick auf die 68iger Jahre,<br />
zum Thema des Gebrauchs von Kunst: Allerdings habe<br />
ich die Argumentation eines „Gebrauchs“ der Kunst für das<br />
Politische nicht mitvollzogen. Die Vorstellung von Kunst als<br />
„Überbau“ konnte ich nicht mitmachen. Ich habe mir erklären<br />
lassen, was das sein soll, und gesagt: Nein das ist nicht so.<br />
Kunst ist „Sockel“ ist „Basis“, das ist kein „Überbau“. (...) Aber<br />
was ich unter Kunst verstehe, das ist eine Grundfigur, die zum<br />
Menschen gehört, zur Erkenntnis und zur Welt, das kann nicht<br />
„Überbau“ sein. 64<br />
Damals war die Frage, ob die Kunst sich für den politischen<br />
Kampf eigne, heute ist die Frage, ob sie sich eignet, die<br />
Wirtschaft leistungsfähiger zu machen oder das Bildungssystem<br />
zu optimieren. Als Künstler man hat jedoch immer<br />
noch die Möglichkeit dazu Position zu beziehen.<br />
64 Walther, Franz Erhard, 1993, S.50<br />
78
Künstler<br />
79
4. Schluss<br />
Vereinnahmung, Naivität ... der eigene Kunstentwurf<br />
Es kann der Eindruck entstehen, es ginge letztlich nicht<br />
um eine nachhaltige Verbindung von Kunst und Kultur mit<br />
anderen Wissensbereichen, sondern als wäre die Kunst<br />
eine Art rettende Boje, die Missstände, die in anderen Bereichen<br />
entstanden sind, ausgleichen und das Schiff über<br />
Wasser halten könne.<br />
Vorbehalte von Seiten der Künstler könnten an dieser<br />
Stelle etwa folgendermaßen formuliert werden: Habe ich<br />
wirklich ein Interesse daran, angehende Manager fit zu<br />
machen, für ihre globalen Streif- (oder Kreuz-)züge? Was<br />
gewinnt die Kunst bei diesem Unterfangent? Gewinnt sie<br />
tatsächlich an Einfluss?<br />
Oder wird sie ausgeschlachtet, - sind nur bestimmte Aspekte<br />
in punkto Erhöhung der Leistungsfähigkeit im jetzigen<br />
System erwünscht? Sigrid Godau fragt:<br />
Und macht man angesichts solch hochfliegender Ziele [die<br />
durch kulturelle Bildung erzielt werden sollen] die Kunst<br />
nicht eher zum Notnagel einer im Kern gescheiterten Arbeitsmarkt-,<br />
Sozial- und Wirtschaftspolitik? 65<br />
65 Godau, Sigrid, Über die Kunst zum Traumberuf?. Vortrag, 29.5.2007<br />
81
Schluss<br />
Folgt man dem Gedanken von Elke Bippus und Michael<br />
Glasmeier, so ergibt sich ein Bild, in dem die Künstlerinnen<br />
und Künstler in ihren Freiräumen beschnitten werden,<br />
aufgrund derer sie das Potential und jene Schlüsselkompetenzen<br />
erst entwickeln konnten, die sie zurzeit so interessant<br />
machen. Gleichzeitig finden wir ein Terrain vor, ein<br />
Lehr- und Lernsystem, das meistens in keiner Weise auf<br />
die Vorgehens- und Denkweise der Künstler vorbereitet<br />
geschweige denn zugeschnitten wäre.<br />
Hier wird eine gewisse „Schizophrenie“ gegenüber den<br />
Künstlern und der Kunst deutlich, die einerseits an der<br />
Kunst und ihrem Sinn und Zweck zweifelt, aber sich ihr<br />
doch andererseits bedienen will.<br />
Die Angst vor Vereinnahmung von Seiten der Künstlerinnen<br />
und Künstler begegnet auf anderer Ebene dem Vorwurf<br />
der Instrumentalisierung. So erhebt Gerald Raunig<br />
in seinem Beitrag zum Symposions „Mapping blind Spaces<br />
– Neue Wege zwischen Kunst und Bildung“ in diesem Zusammenhang<br />
den Vorwurf der Naivität:<br />
Bei Überlegungen zur Beantwortung dieser Frage [der Frage<br />
nach Formen von Delinquenz und Widerstand in Kontrollgesellschaften]<br />
kommen wir wieder auf die spezifischen<br />
Funktionen der Kunstproduktion zurück. Hier muss es jedoch<br />
erst darum gehen, zumindest in der Analyse, selbst bestimmte<br />
Einsätze von künstlerischen Strategien gegen das Kommando<br />
82
von Kontrolle und Kommunikation zu trennen von der Instrumentalisierung<br />
künstlerischer Arbeiten für ebendieses. Auf der<br />
Konferenz selbst kamen zwei Positionen zum Vorschein, die solche<br />
Instrumentalisierung derart naiv und unverdeckt betrieben,<br />
dass es mir zweckmäßig erschient, sie hier noch einmal kurz<br />
und exemplarisch zu wiederholen. 66<br />
Jean-Baptiste Joly formuliert in einem Redebeitrag zum<br />
Kolloquium Die Akademie ist keine Akademie, dass der Künstler<br />
nicht mehr radikal sei (wie noch vor einiger Zeit). Kunst<br />
trage derzeit zu einer Verbesserung der Funktionalität der<br />
Gesellschaft bei und nicht zur Aufhebung von Machtstrukturen,<br />
wie sie heute wären. 67<br />
Selbst diese Interpretation zur derzeitigen Rolle der Kunst,<br />
lässt gibt dem Künstler immer noch die Möglichkeit eine<br />
kritische Rolle einzunehmen, denn was ist denn als eine<br />
Verbesserung zu betrachten?<br />
66 Raunig, Gerald, „Unmapping the Flows. Kunst und Kontrolle und<br />
die kommende Sabotage“. In: Kettel, Joachim (Hg.), IGBK und Landesakademie<br />
Schloss Rotenfels (Hg.), 2004, S.358<br />
Bei den beiden Positionen, auf die sich Gerald Raunig im folgenden bezieht, handelt<br />
es sich um die Beiträge von Michael J. Kolodziej, „Künstlerische Strategien<br />
im Betrieb“, S.107 sowie Die Beiträge von Klaus Heid und Rüdiger John, „Ästhetische<br />
Kompetenzen ausbilden – künstlerische Kompetenzen nutzen“ und<br />
„Objekt, Subjekt, Prädikat – Ein Exkurs über systemische Kunst und kritische<br />
Ästhetik“ nachzulesen auf den Seiten 102ff. und 315ff., ebd.<br />
67 Joly, Jean-Baptiste, In: Bär, Andreas und John, Rüdiger (Hg.), 1999<br />
(CD-ROM), Kapitel 26<br />
Schluss<br />
83
Schluss<br />
Nach der Freude darüber, dass einem als Künstler ein<br />
neues Handlungsfeld offen steht und auch, dass die Kunst<br />
und damit das Kunstmachen sich aus ihrer Isolation lösen,<br />
öffnet sich hier ein schwieriges Feld, dass sich vielleicht<br />
ganz grob mit der kritisch intendierten Frage umreißen<br />
lässt, in welchem Kontext wir überhaupt agieren, wer ihn<br />
wie definiert und ob wir damit einverstanden sind.<br />
Denkt man in diese Richtung weiter, so findet man sich<br />
als Künstler unversehens in einer ideologischen und politischen<br />
Diskussion wieder. Diese Art von Einwand stellt<br />
jedoch nicht die Wichtigkeit von Austausch, Vermittlung<br />
und Transfer generell in Frage, ein Künstler kann sich dem<br />
nur bedingt verweigern, anders gesagt, - auch eine Verweigerung<br />
wäre eine Botschaft.<br />
Kulturelle Bildung, künstlerische Kontexte<br />
Möglicherweise wäre es ein Weg, eigene Kontexte und<br />
Ansätze für kulturelle Bildung zu schaffen , die, mit gutem<br />
Grund, gar nicht in den Schulen angesiedelt sind und auch<br />
nicht in den Jungendkunstschulen, solange Kunst und<br />
Schule von ihrem System her einen eklatanten Widerspruch<br />
bilden. Als Künstler verstrickt man sich leicht im<br />
Grenzbereich von Schule und Parametern zur künstlerischen<br />
Bildung.<br />
Nicht jeder Künstler möchte lehren. Trotzdem ist ein sich<br />
hieraus ergebender Gedanke, dass die Vermittlung des<br />
84
eigenen Kunstschaffens außerhalb des Kunstkontextes<br />
bereits als Teil des Studiums angeboten werden müsste. 68.<br />
Nicht damit jeder Künstler auch Didaktiker wird, sondern<br />
im Gegenteil, damit der Künstler sich abgrenzen kann und<br />
zwar auch verbal, Umschlungsversuchen nicht ausgeliefert<br />
ist und das Spezifische rettet, Nichtkommunizierbares<br />
vor der Kommunikation schützt, sich seiner Qualitäten<br />
bewusst wird, reflektiert, was ihn eigentlich ausmacht<br />
und dies auch außerhalb des Kunstbereiches vertritt. So<br />
könnte sich möglicherweise eine Grundlage ergeben, für<br />
ein selbstbestimmtes Mitgestalten der Lehre, insbesondere<br />
der, die nicht ausschließlich die Reproduktion der eigenen<br />
Art zum Ziel hat.<br />
Geld<br />
Das Thema der Bezahlung habe ich bisher ausgeklammert.<br />
Carmen Mörsch weist hin auf den Idealismus, der den<br />
Künstlern immer angedichtet wird und die Künstlerbilder,<br />
durch die diese Vorstellung genährt wird. 69 Aus dieser Perspektive<br />
gesehen wirkt es absolut vermessen, überhaupt<br />
68 siehe hierzu z.B. http://www.crosskick.de/ E handelt sich um ein von<br />
der Arbeitsgemeinschaft deutscher Kunstvereine getragenes Projekt, indem die<br />
Arbeiten junger Künstler mit verschiedenen Ansätzen der Lehre in Kunsthochschulen<br />
aber auch den Vorstellungen der beteiligten Künstler zu Kunstvermittlung<br />
und Lehre in Beziehung gesetzt werden.<br />
69 siehe Mörsch, Carmen, „.(lacht)“, In: Lüth, Nanna und dies. (Hg.),<br />
2005, S.64<br />
Schluss<br />
85
Schluss<br />
eine entsprechende Entlohnung zu fordern.<br />
Ich würde gerne - utopischerweise - einen Schritt weitergehen,<br />
in die andere Richtung. Künstler sollten nicht nur<br />
entsprechend den üblichen Salären bezahlt werden, wenn<br />
sie lehren, sie sollten eigentlich darüber hinaus entsprechend<br />
mehr verdienen, bzw. von ihrer Arbeit freigestellt<br />
werden, damit sie ihre eigene künstlerische Arbeit weiter<br />
entwickeln können. Ohne sie ist der Künstler bald keiner<br />
mehr und damit wird er in der Position in der er tätig ist<br />
zur Fehlbesetzung.<br />
Die eigene künstlerische Arbeit als Grundlage zur Vermittlung<br />
zu erhalten und weiter zu entwickeln, lässt sich<br />
mit einer Art von „Forschungsauftrag“ bezeichnen, den es<br />
auszufüllen gilt. Von wem haben wir diesen „Forschungsauftrag“<br />
erhalten? Nehme ich die oben zitierten Statements<br />
zur kulturellen Bildung ernst, so komme ich hier zu dem<br />
Schluss, dass es sich um eine Art gesellschaftlichen Auftrag<br />
handeln müsste. Öffentliche Gelder für Kultur und insbesondere<br />
Stipendien könnte man von dieser Warte aus als<br />
solche Forschungsgelder betrachten. In Kunsthochschulen<br />
angestellte Professoren können Forschungssemester nehmen,<br />
künstlerische Mitarbeiter haben dort in der Regel<br />
Qualifikationsstellen und damit ca. ein Drittel ihrer bezahlten<br />
Arbeitszeit für die Weiterentwicklung ihrer Projekte<br />
zur Verfügung. Im Prinzip böte sich dieses Modell<br />
zur Übertragung auf die künstlerische Lehre außerhalb<br />
von Hochschulen, also im Bereich der Schulen, an. Hier<br />
könnte man einwenden, dass Lehrer in Schulen schließlich<br />
86
auch keine Forschungsaufträge bekommen. Lehrer haben<br />
nach dem klassischen Schulmodell die Aufgabe der Wissensvermittlung.<br />
Dieses Wissen steht mehr oder weniger<br />
fest; um es zu aktualisieren besucht ein Lehrer ab und zu<br />
eine Fortbildung. Nun wird die kulturelle Bildung und mit<br />
ihr die Künstler in dieser Situation jedoch auf den Plan<br />
gerufen, um die festgefahrenen Lehr- und Lernmethoden<br />
aufzubrechen bzw. zu erweitern, also eine Veränderung zu<br />
bewirken und Kompetenzen zu vermitteln parallel zum<br />
Wissen. Dazu bräuchten die Akteure – und zwar jeder<br />
einzelne - eben jenen „Forschungsauftrag“, der nicht nur<br />
ideeller Natur sein kann.<br />
Künstler(selbst)bilder. Erwartungen von anderen.<br />
Schluss<br />
In diesen Tagen, in denen ich an dieser Arbeit sitze, erreicht<br />
mich eine Anfrage vom LISUM für die anstehende Fachtagung<br />
„Bildende Kunst“, eine Fortbildungsveranstaltung<br />
für Grundschullehrer. „Um interessengeleitetes Lernen<br />
an ergebnisoffenen Aufgaben (das verlangt der Rahmenplan)“<br />
solle es gehen, so der Hinweis zur Konzeption der<br />
Werkstätten. Hier begegnete mir ein extrahiertes Merkmal<br />
künstlerischen Arbeitens, also auch meiner Arbeit, das<br />
verschiedene Umwege, unter anderem über einen Rahmenplan,<br />
genommen hatte, um wieder bei mir in meinem<br />
Email-Account zu landen. In gewisser Weise wirkt das auf<br />
mich paradox, denn das, was eingleisige und wenig wirksame<br />
Lernformen aufbrechen sollte, fällt nun auf mich bzw.<br />
87
Schluss<br />
uns zurück, und zwar als Vorgabe und damit auch als Einschränkung.<br />
Man verlangt von uns etwas ganz bestimmtes,<br />
nämlich das zu vermitteln, was inzwischen als gesellschaftlich<br />
wirksame Kompetenz der Künstler gelabelt ist. – Was<br />
wenn das in meiner Kunst gar nicht Thema ist? Und ich<br />
ein klares Produkt anstrebe, das man in die Hand nehmen<br />
kann, besitzen und benutzen? Selbstverständlich kann man<br />
alles als ergebnisoffen verpacken. 70<br />
Paradox mutet auch an, dass Lehrer, die möglicherweise<br />
jahrzehntelang anders unterrichtet haben, plötzlich derartige<br />
Vorgaben als Rahmenplan vorgesetzt bekommen. Zu<br />
prüfen wäre, ob der Rahmenplan auch die Anleitung zur<br />
Umsetzung gibt.<br />
70 Spontan hatte ich die Idee zu einem Workshop mit folgendem Setting:<br />
Ich bereite nichts vor und bringe nichts mit (die Bezahlung steht eh nicht<br />
im Verhältnis zum Aufwand), sondern begebe mich mit den Teilnehmerinnen und<br />
Teilnehmern zu Beginn in den uns zugewiesenen Raum. Dann erkläre ich die<br />
Lage, - nämlich, wie so oft in der Schule und im Leben, dass nichts da ist. „Interssengeleitet“<br />
gehe ich vor, indem ich sie dann frage, was sie mit nichts machen<br />
möchten. Zur Not könnte ich fragen, was sie in den Taschen haben. Mit dem,<br />
was im Raum so ist und mit dem, was sich in den Taschen der Teilnehmerinnen<br />
und Teilnehmer befindet kann dann ganz ergebnisoffen gearbeitet werden. Zum<br />
Schluss machen wir noch eine Feedback-Runde.<br />
88
Schluss<br />
89
Texte und Bücher:<br />
Bippus, Elke und Glasmeier, Michael (Hg.), Künstler in<br />
der Lehre. Philo & Philo Fine Arts / EVA Europäische<br />
Verlagsanstalt, Hamburg, 2007<br />
Busse, Klaus-Peter (Hg.), Kunstdidaktisches Handeln,<br />
Dortmunder Schriften zur Kunst, Bd1, 2003<br />
Quellenangabe<br />
Foerster, Heinz von, KybernEthik. Merve Verlag, Berlin,<br />
1993<br />
Godau, Sigrid, Über die Kunst zum Traumberuf?. Vortrag,<br />
Institut für Kunst im Kontext Berlin, 29.5.2007,<br />
unveröffentlicht<br />
Grosz, George, Ein kleines Ja und ein großes Nein – Sein<br />
Leben von ihm selbst erzählt. Rohwolt Taschenbuch Verlag,<br />
Reinbek bei Hamburg, 1974<br />
Heid, Klaus und John, Rüdiger (Hg.), TRANSFER: Kunst<br />
Wirtschaft Wissenschaft. [sic!], Baden-Baden, 2003<br />
Hentschel, Ulrike und Stielow, Reimar (Hg.),<br />
Fragen. Jahrbuch 5. Hochschule für Bildende Künste<br />
Braunschweig, Salon Verlag, Köln, 2003<br />
91
Quellenangabe<br />
Kettel, Joachim, IGBK und Landesakademie Schloss<br />
Rotenfels (Hgg.), Künstlerische Bildung nach Pisa, Athena-<br />
Verlag, Oberhausen, 2004<br />
Kneip, Winfried, „Das Curriculum des Unwägbaren.<br />
Über den Wert von ästhetischer Bildung für Schule und<br />
Gesellschaft“. Yehudi Menuhin Stiftung Deutschland (Hg.),<br />
MUS-E Zeit, Ausgabe 2006, Düsseldorf 2006<br />
Lehnerer, Robert, Methode der Kunst, Verlag Königshausen<br />
und Neumann, Würzburg, 1994<br />
Lüth, Nanna und Mörsch, Carmen (Hg.), Kinder machen<br />
Kunst mit Medien. KoPead, München, 2005<br />
Newman, Barnett, Schriften und Interviews 1925-1970.<br />
Schelbert, Tarcisius (Übers.), O’Neill, John (Hg.), Verlag<br />
Garchnang und Springer, Bern, Berlin, 1996<br />
Schwarz, Michael (Hg.): beschreiben. zum beispiel eine<br />
kunsthochschule. Jahrbuch 3, Hochschule für Bildende<br />
Künste Braunschweig, Salon Verlag, Köln, 1999<br />
Walther, Franz Erhard, Denkraum Werkraum, Über<br />
Akademie und Lehre. Lindinger und Schmid Verlag,<br />
Regensburg, 1993<br />
Wuschek, Kay, Kunst, Gesellschaft und kulturelle Bildung -<br />
92
Ein Klärungsversuch. Einführungsrede zur<br />
Werkstattkonferenz „Offensive Kulturelle Bildung in<br />
Berlin“, September 2006, unveröffentlicht<br />
Links:<br />
http://www.artrelated.net/<br />
http://www.artusprojekt.de/<br />
http://www.bkj-remscheid.de/<br />
http://www.brock.uni-wuppertal.de/Schrifte/Habil/<br />
Lehnere1.html und Lehner2.html<br />
http://www.crosskick.de/<br />
http://www.kompetenznachweiskultur.de<br />
http://www.transferkunst.de/<br />
http://www.uni-koblenz.de/~odsjgroe/konstruktivismus/<br />
lerntheo.htm<br />
Filme:<br />
Bär, Andreas und John, Rüdiger (Hg.), Die Akademie ist<br />
keine Akademie. [sic!], Stuttgart, 1999 (CD-ROM)<br />
Breitel, Heide, Aus Erfahrung klug, Dokumentarfilm,<br />
58 min., ZDF/ Arte, 2004/2005<br />
Quellenangabe<br />
Kahl, Reinhard, Treibhäuser der Zukunft. Dokumentarfilm,<br />
115 min., Archiv der Zukunft, 2004<br />
93
<strong>KÜNSTLER</strong>. ..<strong>LEHRE</strong><br />
<strong>Dörte</strong> <strong>Meyer</strong>
Masterarbeit<br />
Betreuender Dozent: Dr. Volker Hoffmann<br />
Institut für Kunst in Kontext - Fakultät Bildende Kunst -<br />
Universität der Künste, Berlin - Juni 2007
Inhalt<br />
Vorwort .............................................................................5<br />
Interviews und Gespräche ............................................7<br />
Oliver Zwink ............................................................13<br />
Susanne Ring ...........................................................17<br />
Serge Comte ............................................................23<br />
Yvonne Wahl ...........................................................27<br />
Heike Klußmann ...................................................35
Vorwort<br />
Ich habe mich mit dieser Arbeit in ein Thema begeben und<br />
mit dem Thema – gleichzeitig – in eine Diskussion darüber,<br />
die Einfluss nimmt auf viele Überlegungen dieser Arbeit.<br />
Es ist schwierig diese Diskussion mit einem bestimmen<br />
Datum zu unterbrechen. Ich selbst betrachte diese Arbeit<br />
hier als einen Schnitt, als einen bestimmten Stand der Diskussion<br />
an Tag X, die sich danach fortsetzt.<br />
Dieses Buch lässt sich von beiden Seiten aufschlagen. Von<br />
der einen Seite zu lesen sind Email-Interviews und Gespräche<br />
und von der anderen Seite kann man in meine<br />
Überlegungen zum Thema einsteigen.<br />
5
Interviews und Gespräche<br />
Die Liste meiner Fragen enthält fünf Hauptpunkte, mit<br />
deren Hilfe ich meine Kolleginnen und Kollegen gebeten<br />
habe, mir ihre Situation zu beschreiben.<br />
Im ersten geht es mir um eine kurze Darstellung,<br />
wie es zur Tätigkeit in der Lehre kam und in welchem<br />
Bereich diese Lehrtätigkeit angesiedelt ist, also ob es<br />
sich um eine Hochschule handelt, eine Oberschule oder<br />
eine Grundschule. Im Hochschulbereich ist außerdem<br />
die Unterscheidung zwischen der Lehre in einem<br />
Kunststudiengang und der als Künstler in anderen<br />
Disziplinen wie beispielsweise Architektur oder Design<br />
interessant.<br />
Der zweite Fragenblock zielt auf die Lehrinhalte ab. Im<br />
Einzelnen interessiert mich hier zu erfahren, ob es sich<br />
schwerpunktmäßig um die Vermittlung von technischen<br />
Fertigkeiten handelt oder ob künstlerische Prozesse und<br />
Arbeitsweisen auch eine Rolle spielen. Gleichzeitig möchte<br />
ich Aussagen über Frei- und Gestaltungsspielräume in der<br />
Lehre erhalten. Wie künstlerische Prozesse direkt oder<br />
indirekt thematisiert werden, lässt sich gut an der Art der<br />
Aufgabenstellung ablesen, sofern die Künstlerinnen und<br />
Künstler die Freiheit hatten, diese selbst zu entwickeln.<br />
7
Interviews<br />
Aufgabenstellungen von Künstlerinnen und Künstlern<br />
weichen, wie ich an mir selbst auch beobachtet habe, oft<br />
klassischen Aufgabenstellungen aus und provozieren einen<br />
möglichst eigenständigen Ansatz, - mit unterschiedlichen<br />
Folgen.<br />
Die dritte Frage bezieht sich auf Kooperationen und<br />
interdisziplinäres Arbeiten. Dieser Bereich ist interessant,<br />
weil er unmittelbar beeinflusst wird von der eigenen<br />
künstlerischen Arbeitsweise, also zum Beispiel der Frage,<br />
ob man sich gerne in sein Atelier zurück zieht oder<br />
aktiv Netzwerkarbeit betreibt. Gleichzeitig spielen die<br />
Selbstwahrnehmung und die Künstlerbilder der anderen<br />
hier eine bedeutende Rolle.<br />
Carmen Mörsch beschreibt dies am Beispiel der Schule<br />
so:<br />
Wenn Künstlerinnen in Schulen kommen, gehen ihrem Besuch<br />
Vorstellungen über das, was KünstlerInnen sein mögen,<br />
voraus. Stärker als bei außerschulischen PartnerInnen anderer<br />
Professionen, wird das Spezifische der Zusammenarbeit bei<br />
ihnen mit den an die Figur des Künstlers gehefteten Mythen<br />
– z.B. vom genialen, einzelgängerischen Schöpfer oder vom<br />
Meister – in Verbindung gebracht. Das Verhältnis, welches die<br />
beteiligten Lehrenden, SchülerInnen und EntscheiderInnen zu<br />
den Künstlermythen jeweils unterhalten, ist mitbestimmend für<br />
das, was sich in der Situation ereignen kann und was nicht. 1<br />
1 Mörsch, Carmen, „.(lacht)“. In: Lüth, Nanna und dies. (Hg.), Kinder<br />
machen Kunst mit Medien, KoPead, München, 2005, S.
Interviews<br />
Selbst an einer Kunsthochschule trifft das natürlich<br />
in gewisser Weise zu, insbesondere für die Arbeit mit<br />
Studenten, die gerade erst mit ihrem Studium begonnen<br />
haben.<br />
Der vierte Fragenblock beschäftigt sich mit der Methode.<br />
Auch wenn der Lehre vielleicht nicht immer eine<br />
umfassende Reflexion der eigenen Arbeit zugrunde<br />
liegt, kann doch auch ein intuitives Vorgehen oder eine<br />
Kombination von beidem zu einer Form von Methode<br />
führen.<br />
Hier interessieren mich auch konkrete, individuelle<br />
Lösungen, wie Kolleginnen und Kollegen aus ihrer eigenen<br />
Arbeit Ansätze für die Lehre entwickeln.<br />
Mit dem fünften und letzten Fragenteil versuche ich<br />
herauszufinden, wie die Künstlerinnen und Künstler mit<br />
der Lehre und der eigenen Arbeit umgehen und wie sie<br />
deren Vereinbarkeit einschätzen. Wie sie die Situation<br />
anfangs empfunden haben und vielleicht auch, ob in<br />
dieser Hinsicht im Laufe der Zeit eine Entwicklung für<br />
sie stattgefunden hat. Grund für diese Frage ist die sehr<br />
schlichte Einsicht, dass ein Künstler Künstler bleiben muss,<br />
sonst kann er weder durch seine künstlerische Praxis das<br />
Lernfeld mitprägen noch kann er etwas vermitteln.<br />
Die Künstler mit denen ich im Austausch stehe, sind, bis<br />
auf wenige Ausnahmen im Hochschulbereich tätig. Sie sind
Interviews<br />
entweder als künstlerisch-wissenschaftliche Mitarbeiter<br />
beschäftigt oder haben seit kurzem eine eigene Professur.<br />
Den schulischen Rahmen möchte ich jedoch nicht<br />
ausklammern.<br />
Trotz der unterschiedlichen Arbeitsfelder - unbenommen<br />
ist es ein Unterschied, ob ein Künstler projektbezogen<br />
in einer Grundschule tätig ist oder angehende<br />
Künstlerkollegen in ihrem Studium begleitet sowie ob ein<br />
Künstler in einem Architekturstudiengang lehrt oder eben<br />
in einem Kunststudiengang – haben diese Lehrsituationen<br />
aus Künstlersicht einiges gemeinsam. Die Künstler, die<br />
beispielsweise Architekturstudenten im Fach plastisches<br />
Gestalten unterrichtet, ist ausdrücklich als Künstler<br />
dorthin geholt worden und müsste dort daher eigentlich<br />
auch als Künstler wirken können. Wie Carmen Mörsch<br />
beschreibt (s.o.), sehen jedoch die anderen das Bild und<br />
die Rolle des Künstlers als Außenstehende oft nach Bedarf<br />
variierbar und es wird eventuell von ihm verlangt, dass<br />
er seine Fähigkeiten sehr partiell vermittelt, sich z.B. auf<br />
bestimmte Techniken konzentriert. Oder aber er wird mit<br />
Vorstellungen konfrontiert, deren Kunstbegriff noch dem<br />
Bauhaus verhaftet ist.<br />
Gleichzeitig ist es mir jedoch beispielsweise passiert, dass ich<br />
zu Beginn meiner Tätigkeit als künstlerische Mitarbeiterin<br />
im Studiengang der „Freien Kunst“ einen Maltechnikkurs<br />
geben sollte. Ich verstehe mich nicht als Malerin. Ich habe<br />
zu Beginn meines eigenen Studiums zwar auch gemalt,<br />
aber hatte dies zu dem Zeitpunkt seit fast 10 Jahren nicht<br />
10
Interviews<br />
mehr getan. Meine Chemiekenntnisse aus einem anderen<br />
Studiengang und immerhin vorhandene eigene praktische<br />
Erfahrung im Bezug auf Malerei qualifizierten mich jedoch<br />
dazu, diesen Kurs zu geben. Ich vermittelte also etwas, das<br />
rein gar nichts mit meinem Selbstverständnis zu tun hatte.<br />
Diese zwei Beispiele zeigen, dass die Tätigkeitsfelder der<br />
Künstlerinnen und Künstler, zumindest wenn diese im<br />
so genannten Mittelbau beschäftigt sind, gar nicht soweit<br />
voneinander entfernt sind. Diese Betrachtungsweise lässt<br />
sich auch auf Schulkontexte übertragen.<br />
Bei allen Unterschieden haben alle Lehrsituationen<br />
außerdem gemeinsam, dass sie die Künstlerinnen und<br />
Künstler in eine Situation bringen, in der sie mit ihrer<br />
eigenen künstlerischen Arbeit und der Lehre irgendeine<br />
Form von Verbindung herstellen müssen.<br />
11
Interviews<br />
12
Oliver Zwink<br />
künstlerischer Mitarbeiter an der Bauhaus Universität<br />
Weimar im Studiengang Freie Kunst<br />
Wo lehrst Du? Auf welchem Gebiet?<br />
Interviews<br />
Kunststudenten und Kunstlehramtsstudenten, zum kleineren<br />
Teil Studenten mit der Fachrichtung Visuelle Kommunikation,<br />
Produkt Design, Mediengestaltung und Architektur, ich<br />
unterrichte im Fachbereich „Freie Kunst“ an der Fakultät<br />
Gestaltung der BUW<br />
Wie bist Du dazu gekommen? Warum hast Du Dich für<br />
die Lehre entschieden?<br />
Die Freundin von meinem Bruder, (Architektin) damals selber<br />
als Mitarbeiterin an der Uni tätig, hatte mich dazu ermuntert<br />
mich doch mal nach Stellen an der Uni Ausschau zu halten,<br />
Ich hatte sehr große Lust das zu machen. Ich habe eigentlich<br />
immer schon gewußt das ich das mal machen möchte, schon<br />
in den ersten Semestern an der Kunstuni, fand ich die Idee<br />
sehr reizvoll einmal selber in der Lehre zu arbeiten.<br />
Für mich war die eigene Erfahrung, “gelehrt zu werden“,<br />
und professionell über die Arbeit zu kommunizieren eine<br />
unglaubliche Erfahrung, ... immer halb Enttäuschung, halb<br />
13
Interviews<br />
Befreiung, aber so wie ich es selbst erlebt habe, immer darauf<br />
aus die eigenen Möglichkeiten zu erweitern und sich neue<br />
Spielräume zu erarbeiten. Die Gebundenheit der künstlerischen<br />
Lehre an Medien und Material, die Idee ein Ding in den leeren<br />
Raum zu stellen und darüber zu reden, und dann noch zu<br />
erleben was sich in dieser Situation dann abspielt zwischen<br />
dem Objekt und den Betrachtern, wie sich plötzlich durch eine<br />
intensives Verstehenwollen der Sache alles verändern kann,<br />
man die Welt plötzlich neu betrachtet, ... das hat mich sehr<br />
fasziniert , mindestens genauso wie der eigene künstlerische<br />
Arbeitsprozess. Von daher war für mich zu lehren, auch immer<br />
mit der Möglichkeit der persönlichen Weiterentwicklung<br />
verbunden, ob es dann in der Verantwortung als Lehrender<br />
auch zu einer künstlerischen Weiterentwicklung (der eigenen<br />
Arbeit) beiträgt, sei an diesem Punkt mal dahingestellt, im<br />
Moment bezweifle ich es eher.<br />
Was lehrst Du? Wie konkret sind die Vorgaben, wie groß<br />
ist dein Gestaltungsspielraum? Kannst Du Themen selber<br />
vorschlagen oder bestimmen? Welchen Charakter haben<br />
Deine Themen? Wonach wählst Du sie aus? (Beispiele?)<br />
Ich würde mich erst mal als einen Betrachter sehen und dann<br />
als einen Lehrer, der stark über die visuelle Präsenz/Prägnanz<br />
einer Sache in die Arbeit hineingezogen wird. Meine eigenen<br />
„Basiserfahrungen“ liegen innerhalb der abstrakten Malerei<br />
und Zeichnung begründet, Künstlerisches Handeln bildet sich<br />
für mich daher auf diesem eigenen Erfahrungshorizont ab.<br />
1
Interviews<br />
Daher stehen bei mir die Reflexion der Denkprozesse , die<br />
über das Handeln in einem Medium stattfinden und zu einer<br />
künstlerischen Behauptung führen, eher im Vordergrund als<br />
konzeptuelle Ansätze. Zeichnung und Malerei sind mir selbst<br />
nahe Medien, von daher versuche ich über diese Medien auch<br />
etwas zu vermitteln. Ich seh das eher als einen Ankerpunkt<br />
von dem sich andere Medien/Themen erschließen lassen.<br />
So ähnlich hat es sich in meiner eigenen künstlerischen<br />
Entwicklung abgespielt. Ich mache inzwischen keine Malerei<br />
mehr, sondern eher was man vielleicht als Rauminstallation<br />
bezeichnet, würde aber ungern “Rauminstallation“ unterrichten,<br />
weil sich für mich persönlich damit inhaltlich weniger verbindet<br />
als mit Malerei und Zeichnung.<br />
15
Interviews<br />
1
Susanne Ring<br />
künstlerische Mitarbeiterin an der Bauhaus Universität<br />
Weimar im Studiengang Lehramt Kunsterziehung<br />
Wo lehrst Du? Auf welchem Gebiet?<br />
also ich unterrichte in der hauptsache kunstlehramt studenten,<br />
aber auch viele studenten der freien kunst und produkt<br />
designer. eine bunte mischung.<br />
Wie bist Du dazu gekommen? Warum hast Du Dich für<br />
die Lehre entschieden?<br />
ich habe 9 lange jahre in der einzelfallhilfe gearbeitet.<br />
kontakte aus dieser zeit haben mir die arbeit in schulprojekten<br />
ermöglicht, so dass ich feststellen konnte, dass ich „lehre“ im<br />
ausser-schulischen kontakt, also wenn er von den schülern<br />
selbst „gewählt“ ist, und nicht verordnet wird, ganz gut finde.<br />
ich begleite gerne prozesse, ich motiviere gerne, ich diskutiere<br />
gerne.<br />
ich bin neugierig. ich habe etwas mitzuteilen und die künstlerische<br />
selbstverunsicherung, die ich mit den studenten auch erlebe<br />
(veränderte sehgewohnheiten, veränderte konnotation von z.b.<br />
materialien etc.) macht mir spaß und es ist eine spannende<br />
herausforderung.<br />
Was lehrst Du?<br />
Interviews<br />
17
Interviews<br />
zeichnung, malerei, plasik, alles was ich auch mache.<br />
Wie konkret sind die Vorgaben, wie groß ist dein<br />
Gestaltungsspielraum?<br />
gar nicht konkret. ich sehe mich als forumsangebot. die<br />
studenten kommen, kriegen platz und zeit und ein „betreutes“<br />
forum in dem sie ihre arbeiten und ideen vorstellen können.<br />
sowohl materialien als auch inhalte werden frei gewählt.<br />
Kannst Du Themen selber vorschlagen oder<br />
bestimmen? Welchen Charakter haben Deine Themen?<br />
Wonach wählst Du sie aus? (Beispiele?)<br />
ich habe zu beginn meiner assistenzzeit themen vorgeschlagen,<br />
z.b. „das tier in mir“- ist zu begreifen ... oder? und „lieblingsarbeit“-<br />
da ging es um die künstlerische arbeit von anderen künstlern,<br />
auf die sich die studenten in einer ihnen eigenen weise beziehen<br />
sollten ... ich habe auch schon aktzeichnen und aktmodellieren<br />
und abgießen angeboten ... sehr unterschiedlich ... am liebsten<br />
ist mir jedoch das offene forum, so habe ich selber auch studiert,<br />
mir hat das gut getan. ich mache jedes semester 1oder 2<br />
exkursionen, für aktzeichnen vergebe ich lehraufträge, ich lade<br />
kollegen ein, die korrekturen geben oder mache atelierbesuche<br />
bei kollegen. ich sehe mit den studenten filme ... greenaway,<br />
mad max, tierische liebe ... was gerade passt oder zu passen<br />
scheint ... auch filme über künstler ...<br />
1
Interviews<br />
Arbeitest Du mit jemandem zusammen? Mit wem, wie?<br />
Wie läuft das aus Deiner Sicht?<br />
gerade muss ich das nicht, aber 2 jahre hatte ich eine<br />
professorin, das lief super, sie war wissenschaftlerin, so hatte<br />
ich gelegenheit von anbeginn an „ausschließlich zu lehren, und<br />
hatte da auch völlig freie hand.<br />
-2 semester haben wir auch gemeinsam ein malerei projekt<br />
angeboten und uns dabei in den plenen sehr gut ergänzt.<br />
Lehrst Du gerne? Verfolgst Du dabei gezielt bestimmte<br />
Ideen? Welche? Was denkst Du, kannst Du als Künstler<br />
vermitteln? Oder ist Dein Vorgehen eher intuitiv? Wenn<br />
ja, was glaubst Du, was Dich antreibt? Was denkst Du, was<br />
Du vermitteln möchtest, was hältst Du für relevant?<br />
Wann und warum lehrst Du nicht gerne?<br />
ich kann stillstand nur sehr schwer ertragen, ich bin eine sehr<br />
ruhelose person und mir ist wenig egal.<br />
das ist sicher manchmal auch für die studenten schwer zu<br />
ertragen ... aber ich glaube sie profitieren ziemlich davon. ich<br />
erwarte entwicklung und manchmal auch ziemliches tempo.<br />
die studenten die zu mir kommen wissen das und kommen<br />
damit gut zurecht.<br />
die, die damit nicht klar kommen bleiben ziemlich schnell weg<br />
und - ja, ich unterrichte sehr gerne, auch wenn ich dieses wort<br />
wohl kaum verwenden würde. wahrscheinlich bin ich eher eine<br />
art antreibende begleiterin.<br />
1
Interviews<br />
Wie wirkt sich das Unterrichten auf Deine eigene Arbeit<br />
aus? Siehst Du<br />
Anknüpfungspunkte, auch methodischer Art?<br />
wie schon gesagt, ich profitiere auch von der arbeit mit den<br />
studenten. ich finde die diskussionen inspirierend, auch wird<br />
z.t. mit materialien neu umgegangen - das ist doch toll, und<br />
natürlich schaue ich da auch sehr genau hin. ich profitiere<br />
ebenso von den studenten, wie die studenten von mir.<br />
Welche Aspekte an der Lehre waren für Dich ganz neu als<br />
Du angefangen hast? Wie kommst Du damit klar?<br />
neu und schwierig war zu anfang nicht die lehre, sondern der<br />
rahmen.<br />
ich war immer freiberuflich. plötzlich so ein angestelltenverhältnis<br />
... brrr<br />
die zeit der lehre ist ja festgelegt ... aber was macht man wenn<br />
man keine veranstaltungen hat ?? am anfang sitzt man ja in<br />
keinen gremien, räten oder sowas.<br />
da kennt einen ja auch keiner ... ich habe mich also bemüht,<br />
einen sehr beschäftigten eindruck zu hinterlassen. in wirklichkeit<br />
war ich total unterfordert bei gleichzeitiger überforderung mich<br />
in diesem uni-system zu etablieren, denn dabei hilft einem ja<br />
keiner.<br />
das war eine scheußliche zeit - aber anscheinend üblich.<br />
Kannst Du die Lehre als einen Teil Deiner Arbeit<br />
20
Interviews<br />
betrachten? Wo und wie? oder stellt sie eher einen<br />
Widerspruch zu ihr dar? Wo, wie, warum?<br />
... ist auch immer ein teil meiner eigenen arbeit, denn die fragen<br />
die ich studenten stelle, stelle ich mir für mich im eigenen<br />
arbeitsprozeß natürlich auch...<br />
Eine Frage hätte ich noch, diese Kunststudenten auf<br />
Lehramt, kommen die nicht mit Fragestellungen, die<br />
sich auf ihre spätere Aufgabe als Lehrer beziehen, mit<br />
Fragen nach Vermittlung oder gar Didaktik? Oder gar mit<br />
Erfahrungen aus der Schule? Wie gehst Du dann damit um,<br />
fällt Dir da was zu ein?<br />
... ich behandel die lehramtstudenten, ganz konsequent<br />
als künstler, gemäß dem motto: künstler sind immer auch<br />
kunstvermittler/“lehrer“ und wer nix zu vermitteln hat kann<br />
auch nix lehren.<br />
natürlich funktioniert schule anders, aber wenn nicht an der<br />
uni, wo soll sich dann in der haltung was ändern ...<br />
also die, die so echte tran-lehrer werden wollen, die begreifen das<br />
studium auch eher als groß angelegtes handwerks/werkstoffstudium<br />
... so, oder ähnlich und bleiben meistens schon nach 2<br />
terminen weg ... denen bin ich viel zu fordernd.<br />
die, die bleiben, und künstler/ lehrer werden wollen sind<br />
extrem ehrgeizig, ambitioniert und vereinen ein paar ziemlich<br />
gute eigenschaften auf sich: zuverlässigkeit, gründlichkeit,<br />
frustrationstoleranz. außerdem studieren die meisten<br />
21
Interviews<br />
doppelfach kunst, d.h. „nur“ kunst und das macht auch schon<br />
einen riesigen unterschied gegenüber denjenigen die 2 fächer<br />
haben.<br />
die theorie machen andere mit denen, die didaktiker und so...<br />
hab ich nix mit zu tun ..........<br />
22
Serge Comte<br />
Workshops und Lectures in Frankreich, Polen und an<br />
anderen Orten, zur Zeit Lehrauftrag an der Academy of<br />
Arts, Island<br />
Did you ever teach?<br />
yes,<br />
Why? Have you been asked or did you apply?<br />
have been asked<br />
How long? (regular or workshop-like?)<br />
since 1999 , workshop-like here and there, and more regular in<br />
the Academy of Arts of Iceland since 2001<br />
Whom did you teach?<br />
especially upcoming artists but also kids from 6 to 12 in<br />
primary schools or museum/art centers<br />
What did you teach? -<br />
Interviews<br />
Video, Sound, Drawing, Dancing, Talking, Relaxing, Sleeping, ....<br />
teach their a lesson ; )<br />
23
Interviews<br />
What have you been asked to teach? -<br />
Video, Sound<br />
Did you choose the topic by your own?<br />
yes<br />
What was it?<br />
male trouble, torture, society of control v’s society of discipline,<br />
annunciation, insects, family<br />
Why did you choose it?<br />
because I think it was interesting to develop it, and could help<br />
student to be more clever in their brains<br />
Did you have to collaborate with somebody?<br />
yes, sometimes<br />
With whom?<br />
Halli Kalli, Matthiew Barney, Ingolfur Arnarson, Nathalie Boutin,<br />
<strong>Dörte</strong> <strong>Meyer</strong><br />
How did it work out?<br />
2
quite well,<br />
Do you like teaching?<br />
very much !!<br />
Do you have any basic principals or ideas about teaching<br />
art?<br />
no, I don’t think so, maybe inverted role:” I’m here to learn ,<br />
they are here to teach?!”<br />
What you didn’t like ..<br />
maybe be those fucking lazy damned half-dead sleeping<br />
students, you know those ones who should do something else<br />
What happens to your own work when you teach?<br />
nothing much I guess, maybe I understand better what I did<br />
when I was a student, but nothing more<br />
Where could you refer to your own work and what was<br />
a completely new challenge<br />
???<br />
Interviews<br />
Do you see teaching as a part of your work or as a<br />
25
Interviews<br />
contradiction?<br />
not a part of my work, no contradiction either, it’s quite<br />
separate I guess,<br />
Or both? (A friend of mine, meanwhile professor, told me<br />
that she always has to go swimming when she comes back,<br />
to get ride of all those words and discourses,<br />
to be able to work in her own atelier.)<br />
swimming pools are nice and I should follow, because I really do<br />
feel like a dry sponge after my courses.<br />
2
Yvonne Wahl<br />
künstlerische Mitarbeiterin an der BTU Cottbus am<br />
Lehrstuhl Plastisches Gestalten für Architekten<br />
Was lehrst Du? Auf welchem Gebiet?<br />
Interviews<br />
Als künstlerische Assistentin unterrichte ich<br />
Architekturstudenten an einer technischen Universität am<br />
Lehrstuhl für Plastisches Gestalten.<br />
Wie bist Du dazu gekommen? Warum hast Du Dich für<br />
die Lehre entschieden?<br />
Lehre hat mich während meiner eigenen Studienzeit<br />
immer schon interessiert. Ich habe auch zu dieser Zeit<br />
die Techniken meiner Dozenten und Professoren bereits<br />
kritisch reflektiert und zum Teil mit ihnen diskutiert.<br />
Voraussetzung für die Lehre ist für mich die Neugierde<br />
und Freude an der Entwicklungsfähigkeit von Menschen.<br />
Fragen wie: gibt es Kernaussagen der jeweiligen Person<br />
die immer wieder auftauchen und prägend sind in deren<br />
Handlungsweise? Wo liegen deren Kompetenzen? Eine<br />
intelligente, authentische gestalterische Sprache individuell<br />
mit den Studierenden zu entwickeln sehe ich als einer<br />
meiner Hauptaufgaben. Die Fähigkeit des Kommunizierens<br />
und Reflektierens der eigenen wie auch der fremden<br />
Gestaltung sind in dieser Entwicklung wesentlich.<br />
27
Interviews<br />
Was unterrichtest Du? Wie konkret sind die Vorgaben,<br />
wie groß ist dein Gestaltungsspielraum? Kannst Du<br />
Themen selber vorschlagen oder bestimmen? Welchen<br />
Charakter haben Deine Themen? Wonach wählst Du sie<br />
aus? (Beispiele?)<br />
Als von der Bildhauerei geprägte Künstlerin unterrichte ich<br />
künstlerische Wahrnehmung und Techniken für Bachelor<br />
und Master Studenten. Raumwahrnehmung in all ihren<br />
Facetten ist dabei ein wichtiger Vermittlungsschwerpunkt.<br />
Vorgaben werden mir als Assistentin in der Struktur der<br />
Fakultät und des Lehrstuhls gemacht.<br />
Eine bestimmte Anzahl an Seminaren wird mir vorgeschrieben.<br />
Mein vorgesetzter Professor und Lehrstuhlinhaber ist<br />
glücklicherweise für eine Weiterentwicklung und Diskussion<br />
der Lehrmethoden aufgeschlossen. Inhaltlich kann ich aber<br />
meist frei entscheiden und meine eigenen Interessenfelder<br />
in die Seminargestaltung mit einfließen lassen.<br />
Die geringe Einbindung des Faches in das Bachelorstudium<br />
(nur ein Semester als Pflichtseminar), sowie die Unmenge<br />
der Studenten (80-120) erfordert eine enge Teamarbeit<br />
mit den Kollegen (2. Assistenten und Professor).<br />
Im Master kann ich ureigene Themen unabhängig von<br />
den Interessen der Kollegen anbieten. Dabei spielen aber<br />
auch Überlegungen der Ausgewogenheit des Angebotes<br />
über die Jahre, externe Anfragen und Vorschläge für<br />
Seminare, wie auch die Notwendigkeit der Akquisition von<br />
Drittmittelprojekten eine Rolle. Beispiel für ein meiner<br />
2
Interviews<br />
künstlerischen Arbeit naheliegendes Seminarthema im<br />
Masterstudiengang war ein Videoseminar mit dem Thema<br />
´heimliche Orte´. Filme von David Lynch wurden parallel<br />
zur eigenen (studentischen) Videoproduktion besprochen<br />
und ´standen Pate´. Auf Wunsch einiger Studenten habe ich<br />
ein eher formal ästhetisches Thema - die Formensprache<br />
des Mikrokosmos und deren Transformierbarkeit in<br />
architektonische Dimensionen - angeboten. Ein derzeitiges<br />
Seminar wurde auf die Initiative eines externen Künstlers<br />
entwickelt. Dabei geht es neben dem Thema der<br />
ortspezifischen Gestaltung um die grenzüberschreitende<br />
und interkulturelle Kommunikation zwischen Deutschland<br />
und Polen.<br />
Musst Du mit jemandem zusammenarbeiten? Mit wem,<br />
wie? Wie läuft das aus Deiner Sicht?<br />
Der Lehrstuhl besteht aus einem Professor, zwei<br />
Assistenten, einem Werkstattleiter und einer Sekretärin.<br />
Einmal wöchentlich findet eine Besprechung zwischen den<br />
Lehrenden statt in der anstehende Aufgaben verteilt, aber<br />
auch die Seminare reflektiert und weiterentwickelt werden.<br />
Der Versuch alle an über den Stand der Dinge auf dem<br />
laufenden zu halten finde ich befriedigend. Manchmal lässt<br />
leider der Zeitrahmen und die Menge der zu besprechenden<br />
Themen allerdings eine Vertiefung in das Masterseminar<br />
des Kollegen nicht zu.<br />
2
Interviews<br />
Lehrst Du gerne? Verfolgst Du dabei gezielt bestimmte<br />
Ideen? Welche? Was denkst Du, kannst Du als Künstler<br />
vermitteln? Oder ist Dein Vorgehen eher intuitiv? Wenn<br />
ja, was glaubst Du, was Dich antreibt? Was denkst Du, was<br />
Du vermitteln möchtest, was hältst Du für relevant?<br />
Wann und warum unterrichtest Du nicht gerne?<br />
Das Wort unterrichten erinnert mich unangenehm an<br />
Schulzeiten. Ich verbinde damit Frontalunterricht und eine<br />
Situation der Wissensvermittlung von a nach b. Natürlich<br />
gebe ich in den Seminaren auch mein Wissen weiter,<br />
hauptsächlich schaffe ich aber durch Aufgabenstellungen<br />
die Möglichkeit, dass sich die Studenten mit bestimmten<br />
Themen und Fragestellungen auseinandersetzen, die eine<br />
Öffnung und auch Präzisierung ihrer Wahrnehmungsfähigkeit<br />
zum Ziel haben.<br />
Das folgende ist die Einleitung eines Vortrages vor<br />
Architekturstudenten:<br />
Architekten werden im Allgemeinen gerne als Universalisten<br />
bezeichnet. Sie müssen vieles im Vagen begreifen und einschätzen<br />
können, müssen Ideen und Konzepte entwickeln, welche weite<br />
Bögen spannen über gesamtgesellschaftliche Phänomene. Die<br />
konkrete Ausführung übergeben sie dann den Spezialisten.<br />
Neben hochkarätiger Theorie und handfester Bauleitung,<br />
fachspezifischem bautechnischem Wissen, Philosophie und<br />
Soziologie liegen noch weitere Kompetenzen, die erlangt werden<br />
30
Interviews<br />
sollten, um eine reife Architektenpersönlichkeit abzugeben. Ich<br />
nenne sie die Themen DAZWISCHEN.<br />
Ein Beispiel ist das Thema der Zwischenmenschlichkeit Man<br />
nennt es auch soziale Kompetenz. Gebaut wird immer für<br />
Menschen. Wieviel beschäftige ich mich mit dem Menschlichen.<br />
Was weiß ich über die soziale Gruppe der Nutzer. Welche<br />
Alltagsabläufe prägen den zu gestaltenden Raum. Bin ich aus<br />
der Distanz heraus fähig dies zu beurteilen oder wie schaffe<br />
ich es eine authentische Information zu bekommen ohne<br />
klischeehaften Wahrnehmungsmuster zu verfallen.<br />
Wie erleben wir unterschiedliche Menschen Situationen oder<br />
Räume? Gibt es universelle Aussagen dazu oder gehe ich immer<br />
von mir selber aus.? Reflektiere ich mich gut genug, um mit<br />
meinen Stärken und Schwächen sinnvoll umzugehen?<br />
Vieles dieser Kompetenzen lernt man in den sozialen Feldern<br />
des Lebens im Ansatz automatisch, einiges aber auch nicht und<br />
um sie zu erlangen bzw. auszubauen muss daran gearbeitet<br />
werden.<br />
Ein weiteres DAZWISCHEN Thema ist die künstlerische<br />
Wahrnehmung. Auch die Wahrnehmung, oft gleichgesetzt mit<br />
dem Sehen schlechthin, scheint selbstverständlich und durch<br />
die persönlichen Alltagserfahrungen geprägt. Als Gestalter<br />
oder Künstler reicht allerdings eine reflexartige Reaktion und<br />
Beurteilung des Wahrgenommenen nicht aus, umgangssprachlich<br />
spricht man von dem „Aus dem Bauch heraus handeln“. Genau<br />
das ist nicht gemeint. Wesentlich ist in meinen Augen sich die<br />
Möglichkeiten eines souveränes Benennens von Wirkungsweisen<br />
31
Interviews<br />
anzueignen. Eine künstlerische Wahrnehmung nenne ich das<br />
DAZWISCHEN, zwischen Emotionalität und Rationalität. Das<br />
gesamte Spektrum ist damit gemeint -von dem nahezu nicht<br />
in verbale Sprache Fassbaren bis zur glasklaren Analyse. Diese<br />
Bandbreite der Wahrnehmung kann von jedem geübt werden,<br />
auch wenn man sich selber nicht als Künstler definiert. Für<br />
Architekten ist sie wesentlich zur Sensibilisierung auf dem Weg<br />
zum beseelten Bauen. Beseeltes Bauen ist in meinen Augen<br />
eines der Hauptzielsetzungen des Architekturstudiums.<br />
Zur Sensibilisierung und dem Ausreizen des<br />
Wahrnehmungsspektrums gehört das Fragen. Fragen zu<br />
stellen ist Teil meiner künstlerischen Strategie - oft mit der<br />
Konsequenz, dass ich mit unbefriedigenden oder sogar gar<br />
keinen Antworten auf meine Fragen leben muss (genauso wie<br />
vielleicht der Betrachter meiner Werke.) Diese Aporie muss<br />
man aushalten können. Aus Angst vor dem Scheitern und der<br />
Ausweglosigkeit keine Fragen zu stellen halte ich für dumm<br />
und einen großen Fehler.<br />
Exemplarisch kann ein Fragenkatalog aufgestellt werden:<br />
W-Fragen:<br />
was ist das? (was will es sein?)<br />
was sehe ich?<br />
wie ist es gemacht?<br />
wie wirkt es auf mich?<br />
was weiß ich über den Künstler?<br />
was weiß ich über die Zeit, in der es entstanden ist -<br />
kunsthistorisch, politisch, etc.<br />
32
Interviews<br />
_und wenn ich all das beantwortet habe - bin ich dem Werk<br />
wirklich näher gekommen?<br />
Die Antworten in einer angemessenen Sprache zu formulieren<br />
ist eine fortwährende Übung und kann immer nur als<br />
Annäherung verstanden werden.<br />
Wie wirkt sich die Lehre auf Deine eigene Arbeit aus?<br />
Siehst Du Anknüpfungspunkte, auch methodischer Art?<br />
Welche Aspekte an der Lehre waren für Dich ganz neu als<br />
Du angefangen hast? Wie kommst Du damit klar?<br />
Kannst Du die Lehre als einen Teil Deiner Arbeit<br />
betrachten? Wo und wie? Oder stellt sie eher einen<br />
Widerspruch zu ihr dar? Wo, wie, warum?<br />
Zu sehen, dass es so viele nachvollziehbare Möglichkeiten<br />
gibt etwas zu denken und zu entwerfen, zeigt mir wie<br />
notwendig eine eigene prägnante Stellungnahme ist.<br />
Studium bedeutet eben nicht nur ein Sich-finden, sondern<br />
auch ein Sich-kreieren. Auf deine Frage der Auswirkung auf<br />
mich: ich denke radikaler und effizienter.<br />
Mit dem Bewußtsein meiner Lebenserfahrung habe ich<br />
mich - auch als Experiment - in die Lehre geworfen. Der<br />
Druck mich präsentieren zu müssen ist mir dabei nicht<br />
leicht gefallen. Die Offenheit und Akzeptanz der Studenten<br />
mir gegenüber und der Aspekt ein Rad im komplexen<br />
Getriebe eines Menschen (Studenten) sein zu können, hat<br />
33
Interviews<br />
mich überrascht - und es ist eine große Freude.<br />
3
Interviews<br />
Heike Klußmann<br />
Professorin für Bildende Kunst, Gestaltung und Dastellung im<br />
Fachgebiet Architektur an der Universität Kassel<br />
... beim Erzählen ist das alles leichter und flüchtiger und ist<br />
auch mehr dem Moment verhaftet, was ich schätze. Deshalb<br />
späte Antwort, aber auch, weil ich durch documenta Eröffnung<br />
24/7 in Beschlag genommen war. Kurzum, ich schätze<br />
Zusammenarbeit mit Studenten, wenn‘s echt wird, also um<br />
wirkliche Fragen geht und nicht um vorgeschobene, an denen<br />
etwas abgearbeitet werden soll. Wo liegt ein persönliches<br />
Interesse, Anliegen, ist das klar oder wie schält es sich<br />
heraus? Gute Fragen sind für mich erhellend. Mögliche Wege,<br />
Umwege sind spannend. Zeit lassen. Gären lassen. Und dann<br />
messerscharfe Präzision: Klarheit des Gedankens Präzision in<br />
der Umsetzung, dabei keine Anstrengung und Mühe scheuen.<br />
Die Frage, die Du vergessen hattest: einen Apparat konstruieren,<br />
der ein Problem schafft und es wieder aus dem Weg räumt.<br />
Und zuerst gelehrt: in Los Angeles am Art Center College of<br />
Design. Die Fragen en Detail lieber nochmal beim Bier!<br />
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