frohe Weihnachten - Gmünder Tagespost
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GLÜCKWÜNSCHE ZU WEIHNACHTEN Samstag, 24. Dezember 2011 12<br />
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as Schlimmste ist, dass mein<br />
D Sohn da draußen ist und ich<br />
nicht bei ihm sein kann“, sagt<br />
die 21-jährige Christina*, bevor<br />
ihre Stimme versagt und sie die<br />
Augen für einen kurzen Moment<br />
schließt. Eine Träne rollt<br />
ihre Wange entlang. Es ist bereits<br />
das zweite Weihnachtsfest,<br />
das die junge Mutter getrennt<br />
von ihrem Kind in Gotteszell<br />
verbringen muss. Doch obwohl<br />
sie nicht mit ihrer Familie feiern<br />
kann, ist sie nicht allein. Kiki, Sarah<br />
und Nathalie teilen ihr<br />
Schicksal. Auch diese drei jungen<br />
Frauen verbringen <strong>Weihnachten</strong><br />
hinter Gittern. Die vier<br />
Mädchen sitzen im Halbkreis um<br />
den weihnachtlich geschmückten<br />
Tisch in einem der Aufenthaltsräume<br />
des Jugendtraktes in<br />
Gotteszell. Jede scheint in sich<br />
selbst vertieft. Mit den Gedanken<br />
draußen, vor den Gefängnismauern.<br />
„Für mich ist es ganz<br />
schlimm, weil ich zum ersten<br />
Mal weg von zu Hause bin und<br />
zum ersten Mal <strong>Weihnachten</strong> alleine<br />
verbringe“, sagt die<br />
17-jährige Nathalie, die das<br />
Schweigen bricht. Tapfer<br />
schluckt sie die Tränen hinunter,<br />
die bei diesem Gedanken in ihr<br />
aufsteigen. Sie streicht sich eine<br />
Strähne ihres langen braunen<br />
Haares aus dem rundlichen,<br />
noch kindlichen Gesicht. „Da<br />
muss ich jetzt durch“, sagt sie<br />
und nickt sich selbst bestätigend<br />
zu. Schließlich sei sie selbst<br />
schuld, dass sie hier gelandet<br />
sei.<br />
Die anderen Mädchen sehen das<br />
ähnlich. Jede von ihnen sitze zu<br />
Recht in Haft. Auch Christina<br />
weiß, dass sie Fehler gemacht<br />
hat. „Für mich war es Glück, in<br />
Gotteszell zu landen“, sagt die<br />
21-jährige Mutter jetzt. Im Gefängnis<br />
hat sie viel nachgedacht.<br />
Nun wisse sie, was für sie<br />
das Wichtigste in ihrem Leben<br />
ist: ihr Sohn und ihre Familie.<br />
„Deswegen ist es auch so<br />
schlimm für mich, <strong>Weihnachten</strong><br />
hier sein zu müssen. Mein Sohn<br />
ist noch so klein, erst zwei Jahre<br />
alt. Ich möchte so gern bei ihm<br />
sein. Ihm ein schönes <strong>Weihnachten</strong><br />
bereiten“, sagt sie und<br />
wischt sich die Tränen mit dem<br />
Ärmel ihres schwarzen Shirts ab.<br />
An <strong>Weihnachten</strong> ist die<br />
Sehnsucht größer<br />
In der Weihnachtszeit sei die<br />
Sehnsucht nach der Familie besonders<br />
stark. Doch Christina<br />
will stark bleiben. Obwohl sie<br />
erst 21 ist, wirkt sie sehr reif.<br />
Schwarze Brille, die Haare am<br />
Oberkopf mit einer Spange zusammengebunden.<br />
Sie zuckt<br />
mit den Schultern und sagt leise:<br />
„Es ist halt so wie es ist. Ich muss<br />
das Beste draus machen und jeden<br />
Tag an mir arbeiten.“ Auch<br />
die 20-jährige Kiki wird traurig<br />
beim Gedanken an das Weihnachtsfest.<br />
Ihre braunen Locken<br />
hat sie zu einem Zopf gebunden.<br />
Und obwohl auch sie trau-<br />
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Vier junge Frauen erzählen von Heiligabend<br />
hinter Gittern<br />
Das Fenster ihrer Gefängniszelle hat Kiki weihnachtlich dekoriert. Dabei war sie sehr erfinderisch, denn die<br />
Schneeflocken sind auseinandergepflückte Tampons. (Fotos: ki)<br />
rig ist, funkeln ihre Augen,<br />
wenn sie an <strong>Weihnachten</strong><br />
denkt, zu Hause bei ihren Großeltern.<br />
Heiligabend hat sie immer<br />
mit Opa und Oma gefeiert.<br />
Geschenke seien ihr damals das<br />
Wichtigste gewesen, erzählt die<br />
junge Frau. Als ihr Großvater<br />
vor vier Jahren starb, änderte<br />
sich das. <strong>Weihnachten</strong> war für<br />
die 20-Jährige nicht mehr dasselbe.<br />
Aber ihre Oma habe ihr<br />
das Fest trotzdem immer schön<br />
gemacht. Dass Kiki jetzt zum<br />
zweiten Mal ohne sie feiern<br />
muss, schmerzt sie. „Oma hat<br />
mir immer Halt gegeben, bei allem<br />
was ich gemacht hab. Sie<br />
wird mir sehr fehlen“, sagt sie<br />
und trocknet ihre Tränen mit<br />
dem Ärmel ihres hellgrauen Pullovers,<br />
der sich mittlerweile<br />
dunkelgrau verfärbt hat.<br />
Auch Christina erinnert sich an<br />
<strong>Weihnachten</strong> zu Hause: „Ich<br />
hab mir mein <strong>Weihnachten</strong> immer<br />
selber machen müssen. Bei<br />
mir gab es das nicht, dass jemand<br />
was für mich vorbereitet,<br />
wie für ein kleines Kind. Hier in<br />
Gotteszell ist das anders. <strong>Weihnachten</strong><br />
ist wirklich schön hier“,<br />
sagt sie. Auch Sarah mag den<br />
Heiligen Abend im Gefängnis.<br />
Der Gang zur Kirche, das Krippenspiel,<br />
das gemeinsame Kochen<br />
und das Gefühl, dass an<br />
diesen Tagen alle irgendwie zu<br />
einer kleinen Familie werden.<br />
„2009 und 2010 habe ich meine<br />
schönsten Weihnachtsfeste hier<br />
drinnen gehabt“, sagt die<br />
22-Jährige, die ihre Arme vor<br />
der Brust verschränkt. Ihre Züge<br />
wirken hart und desillusioniert.<br />
Doch ihr Gesicht wird weicher<br />
als sie erzählt, wie sie zum ersten<br />
Mal in Gotteszell erlebt hat,<br />
wie <strong>Weihnachten</strong> auch sein<br />
kann: friedlich, familiär und besinnlich.<br />
Anders als sie es zuvor<br />
erlebt hatte. Alle Mädchen sind<br />
froh und dankbar über den<br />
Rückhalt in Gotteszell. Besonders<br />
während der Weihnachtszeit<br />
seien die Vollzugsbeamten,<br />
Psychologen und anderen Mitarbeiter<br />
eine große Stütze für<br />
die jungen Frauen. Kiki erzählt,<br />
dass die Mädchen in der Schule<br />
auch schon einen Adventskalender<br />
gebastelt hätten, mit Geschenken<br />
für jeden Einzelnen.<br />
Das sei die Idee ihrer Lehrer gewesen.<br />
„Ich finde es echt süß,<br />
dass sie sich Mühe geben, auch<br />
für uns etwas Schönes zu machen,<br />
obwohl wir in Gotteszell<br />
sind“, sagt sie etwas verlegen.<br />
Keine Geschenke von<br />
draußen<br />
Kiki erinnert sich, dass sie im vergangenen<br />
Jahr einen Klebestift<br />
und Briefpapier zu <strong>Weihnachten</strong><br />
bekommen hat. „Ich habe<br />
mich so darüber gefreut. Früher<br />
wäre so ein Geschenk für mich<br />
nicht der Rede wert gewesen.“<br />
Von draußen dürfen zu <strong>Weihnachten</strong><br />
keine Geschenke nach<br />
drinnen kommen. Auch Besuch<br />
ist an Heiligabend nicht gestattet.<br />
Deshalb beschenken sich die<br />
Mädchen gegenseitig, kaufen<br />
im Gefängnisshop Hygieneartikel,<br />
Schminke oder auch Haarfarbe,<br />
um der anderen eine<br />
Freude zu machen. „Oder man<br />
kann basteln“, sagt Christina<br />
und Kiki lacht, als ihr einfällt,<br />
wie sie das Fenster in ihrem Zimmer<br />
weihnachtlich dekoriert<br />
hat: „Wenn man Tampons auseinanderpflückt,<br />
sehen sie aus<br />
wie große<br />
Schneeflocken“,<br />
sagt sie<br />
und grinst.<br />
Manchmal<br />
müsse man<br />
eben erfinderisch<br />
sein.<br />
Doch auch<br />
wenn die vier<br />
jungen Frauen<br />
versuchen, das<br />
Beste aus ihrer<br />
selbst verschuldetenSituation<br />
zu machen,<br />
merkt man ihnen<br />
an, dass<br />
das bevorstehendeWeihnachtsfest<br />
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ist es für alle besonders wichtig,<br />
das Gefühl zu haben, dass draußen<br />
jemand an sie denkt. Weihnachtskarten<br />
und Briefe sind für<br />
die Mädchen deshalb die<br />
schönsten Weihnachtsgeschenke.<br />
„Dass sich die Familie meldet,<br />
ist das Wichtigste auf das<br />
man hier wartet. Was sie schreiben,<br />
ob sie an mich denken, ob<br />
sie in Gedanken mit mir <strong>Weihnachten</strong><br />
feiern“, sagt Christina.<br />
Der größte Weihnachtswunsch<br />
aller Mädchen ist, das nächste<br />
Weihnachtsfest in Freiheit zu<br />
verbringen, bei ihren Familien.<br />
Und Kiki fügt hinzu: „Ich wünsche<br />
mir noch was von Herzen.<br />
Nicht nur für mich, sondern für<br />
alle, die <strong>Weihnachten</strong> alleine<br />
sind. Ich wünsche mir, dass sie<br />
eine Person finden, mit der sie<br />
das Fest verbringen können. Wir<br />
in Gotteszell können uns glücklich<br />
schätzen, dass wir einander<br />
haben. Das wünsche ich mir für<br />
jeden Menschen. Niemand hat<br />
es verdient, an diesem Tag alleine<br />
zu sein.“ Christina, Nathalie<br />
und Kiki werden voraussichtlich<br />
das nächste Weihnachtsfest in<br />
Freiheit verbringen. Für Sarah<br />
ist es nicht das letzte <strong>Weihnachten</strong><br />
in Gotteszell. Nicole Kiemel<br />
*Alle Namen von der Redaktion<br />
geändert.<br />
Die jungen Frauen basteln Weihnachtskarten. In der<br />
Adventszeit vermissen sie ihre Familien besonders.