Ausgabe lesen - Quartett Verlag Erwin Bidder
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Wie ein grüner Waldgeist<br />
ten im Siebengebirge Mitte der<br />
1990er Jahre geschehen. Dabei<br />
kletterten Wissenschaftler und<br />
Na turschützer gezielt in die Baum -<br />
kronen. Das Ergebnis der Studie<br />
belegte zum einen, daß Flechten<br />
bei uns selten und massiv ge -<br />
fährdet sind. Doch die Wissen -<br />
schaftler verzeichneten auch eine<br />
positive Entwicklung: Im Ver -<br />
gleich zu einer älteren Inventari -<br />
sierung der Flechtenflora aus den<br />
1950er-Jahren war die Gesamtzahl<br />
der Flechtenarten bei uns ge stiegen<br />
– vermutlich die Folge einer natürlichen<br />
Wieder besied lung.<br />
Doch was vor 40 Jahren nur vor<br />
sich hin kümmerte, präsentiert<br />
sich jetzt vergleichsweise gesund<br />
und stark: Unsere heimischen<br />
Flech tenarten sind heutzutage<br />
nicht nur häufiger, sondern machen<br />
auch einen vitaleren Eindruck als<br />
noch vor einem halben Jahrhun -<br />
dert. Hauptgrund dafür dürften<br />
die Anstrengungen zur Luftrein -<br />
haltung sein, die zu einer deutlichen<br />
Reduktion von Schwefel -<br />
dioxid, Stickoxiden und Ammo -<br />
niak in unserer Atemluft führte.<br />
Man ahnt, daß die so sichtbar ge -<br />
machte Verbesserung der Luftqua -<br />
li tät nicht nur den Flechten, sondern<br />
auch uns Menschen zugute<br />
kommt. Weil Flechten so sensibel<br />
auf Änderungen ihres Umfelds<br />
reagieren, nennen Biologen sie da -<br />
her auch „Zeigerorganismen“ oder<br />
„Bioindikatoren“: Anhand von<br />
Flechten kann der Fachmann zum<br />
Beispiel erkennen, wie es um die<br />
Luftqualität in einer Region be -<br />
stellt ist.<br />
Lebensspendendes<br />
Naß<br />
Neben sauberer Luft benötigen<br />
Bartflechten Feuchtigkeit für ihr<br />
Wohlergehen – und ein hohes<br />
Maß an Sicherheit. Da Flechten<br />
schätzungsweise nur ein Milli -<br />
meter pro Jahr und damit äußerst<br />
langsam wachsen, sind sie auf langlebige<br />
Standorte angewiesen. Da -<br />
mit treten sie in Konkurrenz zum<br />
wirtschaftenden Menschen, der –<br />
ruckzuck! – Felsen sprengt, Mauern<br />
poliert und Bäume fällt. Es wundert<br />
daher kaum, wenn sich Bart -<br />
Natur<br />
flechten in Gebirgen und entlegenen<br />
Gebieten am wohlsten fühlen.<br />
Wenn sich der Mensch in den sensiblen<br />
Bereichen etwas zurück -<br />
nimmt, können Flechten größer<br />
und die Welt somit wieder ein<br />
Stück bunter werden.<br />
Das hängt aber zusätzlich davon<br />
ab, ob es feucht genug für Flech -<br />
ten ist. Angesichts des drohenden<br />
Klimawandels ist die Zukunft un -<br />
gewiß: Hitze und Trockenheit<br />
machen ihnen das Leben auf der<br />
einen Seite schwer, doch wenn<br />
unsere Winter milder und feuch -<br />
ter werden, wie kürzlich im De -<br />
zem ber und Januar, können Flech -<br />
ten in der kalten Jahreszeit aktiv<br />
werden. Dann erwachen sie aus<br />
ihrem Zustand (fast) völliger Aus -<br />
trocknung und nicht mehr messbarer<br />
Lebensfunktionen, nehmen<br />
Farbe an, fahren den Stoffwechsel<br />
hoch und zeigen – Bartwuchs …<br />
Wie gut es ihnen geht, kann man<br />
dann direkt an der Länge ihrer<br />
Bärte ab<strong>lesen</strong>. •<br />
Ulrich Sander<br />
Februar 2013 15