28.02.2013 Aufrufe

Heft 4 - Institut für Zeitgeschichte

Heft 4 - Institut für Zeitgeschichte

Heft 4 - Institut für Zeitgeschichte

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Zur deutschen Politik gegenüber Polen 1925/26 329<br />

Das Geschäft der Diplomatie vollzog sich vor dem Hintergrund einer emotionalisierten<br />

Öffentlichkeit, und das gab einer deutsch-polnischen Annäherung wenig<br />

Chancen. Trotzdem wird sich die Qualität einer Außenpolitik nach dem Maße<br />

ihrer Einsicht in solche Zusammenhänge beurteilen lassen müssen und nach dem<br />

Maße, in dem sie bereit und fähig ist, sich zugunsten besser verstandener langfristiger<br />

Interessen ihres Landes vom öffentlichen Urteil in ihrer internen Meinungsbildung<br />

und Planung zu emanzipieren. Sie wird ihre innenpolitischen Voraussetzungen<br />

weder ändern noch unberücksichtigt lassen können, sollte aber ihren<br />

besseren Überblick über die Konstellationen internationaler Politik und deren Entwicklungstendenzen<br />

zu vorausschauender Analyse und zur Entwicklung einer angemessenen<br />

Form des Vorgehens nutzen.<br />

Für die Jahre seit 1923, als durch das unter den Auspizien des Völkerbundes in<br />

Genf geschlossene deutsch-polnische Oberschlesienabkommen und die polnische<br />

Zurückhaltung während des Ruhrkonflikts 17 die akuten Spannungen der ersten<br />

Nachkriegsjahre beendet waren und die Diplomatie in ihre Rechte eintreten konnte,<br />

blieb es aber charakteristisch <strong>für</strong> die deutsche Politik gegenüber Polen, daß sie<br />

den Widerspruch zwischen ihrem Ziel der Grenzrevision und den realen Erfordernissen<br />

einer Schutzpolitik <strong>für</strong> die deutsche Minderheit nicht reflektierte, sondern<br />

als unvermeidlich hinnahm. In dem Maße, in dem die Grenzrevision als vorläufig<br />

nicht erreichbar zu einer Reservatio mentalis stilisiert wurde, ergab sich daraus<br />

eine Politik des doppelten Bodens. In der „hohen Politik" versuchte man die<br />

Grenzfrage <strong>für</strong> eine noch nicht absehbare Zukunft „offenzuhalten", aber bei der<br />

diplomatischen Behandlung akuter Minderheitsfragen galt es, auf der Ebene des<br />

durch Versailles gesetzten Rechtes das Äußerste herauszuholen. Hier sah sich die<br />

deutsche Diplomatie darauf verwiesen, die Minderheitsfragen als „Folgen von<br />

Versailles" zu internationalisieren und justitiabel zu machen, und mußte sich darum<br />

bemühen, das die Versailler Ordnung repräsentierende <strong>Institut</strong>, den Völkerbund,<br />

insbesondere dessen entscheidendes Organ, den Völkerbundsrat, in politischer<br />

Haftung zu halten und nach Möglichkeit auch den Internationalen Gerichtshof<br />

in diese Fragen einzuschalten. So sehr später das Ausspielen der Minderheitenfrage<br />

vor dem Völkerbund auch dem Ziel dienen sollte, die Brüchigkeit der Versailler<br />

Ordnung zu demonstrieren, so lief doch die mit dem Eintritt in den Völkerbund<br />

vollzogene Wendung zur praktischen Benutzung dieser Organe auf eine, zumindest<br />

indirekte, Bestätigung der von ihnen repräsentierten „Ordnung" hinaus.<br />

War die deutsche Politik gegenüber Polen einerseits intransigent, andererseits<br />

advokatorisch, so konnte umgekehrt Polen bei den mit Deutschland zu lösenden<br />

Einzelfragen nicht von der im Hintergrund stehenden deutschen Revisionsforderung<br />

absehen. Polens Interesse mußte dahin gehen, jede Regelung von Einzelproblemen<br />

an die Bedingung einer Generalbereinigung zu knüpfen.<br />

17 Deren die deutsche Diplomatie keineswegs sicher war; vgl. BRM 10,2/D 570836,<br />

Aufz. Maltzan v. 23. 1. 1923. Zur polnischen Haltung vgl. J. Korbel (wie Anm. 6), S. 129ff.;<br />

P. S. Wandycz (wie Anm. 6), S. 269f.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!