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.gazette 02/03 - Verband der Deutsch-Amerikanischen Clubs e.V.

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Wie vermittle ich<br />

amerikanischen<br />

Studenten deutsche<br />

Literatur (Goethe,<br />

Kafka, Mann, Hesse)<br />

Vortrag von James C. Davidheiser,<br />

Professor für Germanistik und Literaturwissenschaft<br />

beim Bankett anläßlich<br />

<strong>der</strong> Jahreshauptversammlung des <strong>Verband</strong>es<br />

<strong>der</strong> <strong>Deutsch</strong>-<strong>Amerikanischen</strong><br />

Klubs in Dresden am 3. Mai 20<strong>03</strong><br />

Kann man amerikanischen Studenten<br />

mit mangelnden Sprachkenntnissen<br />

überhaupt deutsche Literatur vermitteln?<br />

Die Frage beantworte ich mit einem<br />

dreifach donnernden „Ja“.<br />

Heute Abend möchte ich eine meiner<br />

erfolgreichen Lehrmethoden vortragen.<br />

Erstens muss vorneweg gesagt werden,<br />

dass meine Studenten sich alle im<br />

un<strong>der</strong>graduate Bereich bewegen. Die<br />

Nicht-Anfänger haben entwe<strong>der</strong> zwei<br />

o<strong>der</strong> drei Jahre <strong>Deutsch</strong> hinter sich.<br />

In den höheren Kursen, von denen ich<br />

heute spreche, haben die Studenten<br />

weitgehend entwe<strong>der</strong> ein Jahr, ein<br />

Semester o<strong>der</strong> einen Sommer in<br />

<strong>Deutsch</strong>land verbracht. Die meisten<br />

haben <strong>Deutsch</strong> im Haupt- o<strong>der</strong> Nebenfach.<br />

Sie haben noch Probleme <strong>Deutsch</strong><br />

zu sprechen und zu schreiben. Doch<br />

interessieren sie sich für die deutsche<br />

Sprache, Literatur und Landeskunde. Auf<br />

diesem Interesse möchte ich in meinen<br />

Literaturkursen bauen.<br />

Zweitens biete ich primär den deutschen<br />

Kanon an, also die Autoren, <strong>der</strong>en<br />

Werke allgemein als hervorragend, maßgeblich<br />

o<strong>der</strong> bahnbrechend gelten. Seit<br />

einiger Zeit läuft eine Diskussion unter<br />

Literaturhistorikern über die Art <strong>der</strong><br />

Werke, die ein Germanist in seinen<br />

Kursen aufnehmen soll. Manche plädieren<br />

für mehr Breite im literarischen<br />

Angebot. Das bedeutet oft relativ unbekannte<br />

Werke, Werke von Auslän<strong>der</strong>n,<br />

die auf <strong>Deutsch</strong> schreiben, o<strong>der</strong> Werke<br />

von vernachlässigten Gruppen. Also<br />

mehr Multikulti. Diese Werke sind oft<br />

interessant und besprechenswert, aber<br />

meine Studenten sind un<strong>der</strong>graduates<br />

und werden oft erst in meinen Kursen<br />

mit <strong>der</strong> deutschsprachigen Literatur vertraut.<br />

Daher finde ich es wichtig, ihnen<br />

zuerst die allgemein anerkannten Werke<br />

zu bieten. Sie haben dann eine feste<br />

Basis, auf die später gebaut werden<br />

kann, eine Basis, die sie mit an<strong>der</strong>en<br />

belesenen Menschen teilen und besprechen<br />

können. Ich freue mich, hierbei im<br />

Einklang mit dem namhaften Literaturkritiker<br />

Marcel Reich-Ranicki zu sein,<br />

<strong>der</strong> sich kürzlich für einen Kanon <strong>der</strong><br />

deutschen Literatur ausgesprochen hat.<br />

Als ich mich auf heute Abend vorbereitete,<br />

habe ich mehrere Menschen gefragt,<br />

was sie von einem Kanon <strong>der</strong> klassischen<br />

Werke <strong>der</strong> deutschen Literatur<br />

hielten. Einige sagten, sie bedauerten es<br />

zutiefst, dass heutzutage zuwenig Kanon<br />

in <strong>der</strong> Schule gelesen und besprochen<br />

wird. Frau Gabi Trinkl, Vorsitzende des<br />

Bamberger Frauen-<strong>Clubs</strong> des <strong>Verband</strong>es<br />

<strong>der</strong> <strong>Deutsch</strong>-<strong>Amerikanischen</strong> Klubs, verlieh<br />

diesem Bedauern beson<strong>der</strong>en<br />

Nachdruck. Sie findet es z.B. wichtig,<br />

dass Schüler Gedicht-Strophen auswendig<br />

lernen, was selten mehr <strong>der</strong> Fall sei.<br />

Wie habe ich mich gefreut, dass meine<br />

Studenten die eine o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e Strophe<br />

o<strong>der</strong> die eine o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e Anfangszeile<br />

eines bedeutenden Werkes wie Kafkas<br />

„Prozess“ auswendig zitieren können.<br />

Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein<br />

<strong>Deutsch</strong>-Student mit Goethes, Schillers,<br />

Kafkas, Manns und Hesses Werken nicht<br />

eng vertraut würde. Man müsste beispielsweise<br />

aus Goethes „Erlkönig“,<br />

zitieren können, über den Streit zwischen<br />

den Königinnen in Schillers<br />

„Maria Stuart“ diskutieren, sich mit<br />

„Josef Ks Prozess“ auseinan<strong>der</strong>setzen<br />

o<strong>der</strong> den Unterschied zwischen Leben<br />

und Kunst in Thomas Manns „Tonio<br />

Kröger“ erörtern können. Diese Dinge<br />

gehören zum Allgemeingut <strong>der</strong> Literatur.<br />

Neulich konnte eine Dame im Fernsehen<br />

bei einer Sendung von „Wer wird<br />

Millionär“ von vier möglichen Antworten,<br />

nicht die richtige Antwort auf die Frage,<br />

„Wer stirbt am Ende von Goethes<br />

‘Erlkönig’“ geben. Auch eine leichte<br />

Faust-Frage führte beim „Millionär“ zu<br />

einer Schlappe. Ich bilde mir ein, dass<br />

meine Studenten auf die richtige Antwort<br />

gekommen wären und also in einer<br />

ihnen fremden Sprache beson<strong>der</strong>s Überlegenswertes<br />

bedenken könnten und<br />

beson<strong>der</strong>s Erbauliches mit vielen <strong>Deutsch</strong>sprachigen<br />

gemeinsam hätten.<br />

An meiner Uni, The University of the<br />

South, haben wir eine Liste <strong>der</strong> für un<strong>der</strong>graduate<br />

Studenten wichtigen deutschen<br />

Werke zusammengestellt.<br />

Ich zeige sie Ihnen jetzt auf Folie, denn<br />

ich denke, es wäre für Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong><br />

<strong>Deutsch</strong>-<strong>Amerikanischen</strong> Klubs von<br />

Title<br />

Interesse. Einleitend muss gesagt werden,<br />

dass längere Werke <strong>der</strong> deutschen<br />

Literatur sich nicht auf dieser Liste<br />

befinden, weil sie zu lang für amerikanische<br />

<strong>Deutsch</strong>-Studenten wären, die<br />

ohnehin ihre Mühen mit Lesen in einer<br />

Fremdsprache haben.<br />

Diese Werke müssen an meiner Uni<br />

bis Ende des 8. Semesters von allen<br />

<strong>Deutsch</strong>-Hauptfächlern gelesen werden,<br />

denn am Ende ihres Studiums erfolgt<br />

eine zweitägige schriftliche Prüfung über<br />

diese Werke mit solchen Fragen wie:<br />

1) Besprechen Sie die unterschiedlichen<br />

bzw. gemeinsamen Stellungen zum<br />

Leben in Kafkas „Prozess“, Manns „Tod<br />

in Venedig“ und Hesses „Steppenwolf“;<br />

2) Anhand von Novalis’ „Hymnen an die<br />

Nacht“, Tiecks „Der blonde Eckbert“ und<br />

Eichendorffs „Aus dem Leben eines<br />

Taugenichts“ definieren Sie die deutsche<br />

Romantik, o<strong>der</strong><br />

3) Wo liegen die Hauptkonflikte bei den<br />

Menschen in Büchners „Woyzeck“ und<br />

Hauptmanns „Vor Sonnenaufgang“?<br />

Studenten, die diese Werke gut gelesen<br />

haben, können zuversichtlich sein, dass<br />

sie eine gute Einsicht haben in das Herz<br />

<strong>der</strong> deutschen Literatur und Kultur und<br />

daher mit den Themen vertraut sind, die<br />

führende deutsche Dichter bewegt<br />

haben.<br />

Drittens gebe ich mir große Mühe<br />

die Literatur persönlich zu vermitteln.<br />

Wenn ich ein Werk vorbereite, dann<br />

frage ich mich, wie sich dieses Werk<br />

auf mein Leben und das Leben <strong>der</strong><br />

Studenten bezieht.<br />

Ich gestalte meine Fragen also auf ganz<br />

persönlicher Ebene. Als ich diesen Vortrag<br />

vorbereitet habe, war gerade ein<br />

ehemaliger <strong>Verband</strong>sstudent, Tom Jones,<br />

bei mir und meiner Frau in Bamberg zu<br />

Besuch. Er hat sechs Kurse bei mir besucht.<br />

Ich habe ihn gebeten diesen Vortrag<br />

zu lesen, um sicher zu sein, dass<br />

ich we<strong>der</strong> übertreibe noch Falsches<br />

erzähle. Er war einverstanden mit dem<br />

Vortrag, wollte aber, dass ich unbedingt<br />

erwähne, wie ich die Werke manchmal<br />

verlebendige.<br />

Bei Kafkas „Verwandlung“ zum Beispiel<br />

steige ich auf den Schreibtisch, um<br />

Gregor Samsa nachzuahmen, <strong>der</strong> eines<br />

Morgens erwachte und sich in seinem<br />

Bett zu einem ungeheuren Ungeziefer<br />

verwandelt fand.<br />

Ich lasse meine Beine in alle Richtungen<br />

flimmern, um, genau so wie Kafka es beschrieb,<br />

Gregors Verwirrung über seine<br />

neue Lage darzustellen.<br />

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