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Wanderung, Wohnen und Wohlstand - Mieterverband

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Anhang 1: Entwicklung des Mietrechts seit 1911<br />

Staatliche Eingriffe in die Vertragsfreiheit zwischen Mietern <strong>und</strong> Vermie-<br />

tern haben in der Schweiz eine lange Tradition. Seit dem Inkrafttreten<br />

des neuen Obligationenrechts von 1911, in welchem vor allem Formfragen<br />

der Mietverträge geregelt wurden <strong>und</strong> eigentlich die Marktmiete<br />

vorgesehen war, gab es faktisch nur kurze Intermezzi, während derer der<br />

Wohnungsmarkt frei spielen durfte (Rohrbach 2009). Es waren dies die Jahre<br />

1912 bis 1914, 1926 bis 1936 <strong>und</strong> 1970 bis 1972. Ansonsten griff der B<strong>und</strong><br />

mehr oder weniger stark in die private Mietpreisgestaltung ein oder verlieh<br />

den Kantonen entsprechende Kompetenzen. Hintergr<strong>und</strong> dieser<br />

Massnahmen «betreffend Bekämpfung der Miet- <strong>und</strong> Wohnungsnot»<br />

waren die beiden Weltkriege, die jeweils zum Einbruch der Bautätigkeit<br />

führten <strong>und</strong> – vor allem während des Ersten Weltkriegs – viele Familien<br />

wegen der langen Militärdienste in finanzielle Notlagen brachten. Die<br />

fehlenden gesetzlichen Gr<strong>und</strong>lagen erforderten es, dass der B<strong>und</strong>esrat<br />

die Bestimmungen per Notrecht in Kraft setzte. Die Instrumente waren<br />

im Wesentlichen strikte Mietpreiskontrollen oder -überwachung, ergänzt<br />

durch Beschränkungen des Kündigungsrechts <strong>und</strong> Bestimmungen<br />

über die Wohnungsausweisung. Nach der Notsituation des Zweiten<br />

Weltkriegs fehlte aber der politische Wille für die Rückkehr zu einem<br />

freien Wohnungsmarkt. Die Massnahmen wurden weitergeführt, nun<br />

gestützt auf Verfassungszusätze, die 1972 in einen regulären Verfassungsartikel<br />

mündeten, der erstmals ein – allerdings regional differenziertes –<br />

«Missbrauchsprinzip» verankerte. Mit der Verfassungsrevision vom<br />

Dezember 1986 erhielt der B<strong>und</strong> schliesslich eine ständige <strong>und</strong> generelle<br />

Gesetzgebungskompetenz, unabhängig von «Wohnungsnot» <strong>und</strong> lokalen<br />

Ungleichgewichten. Unter dem Eindruck der Immobilienblase der<br />

achtziger Jahre hatte sich die Auffassung durchgesetzt, dass Mieter unabhängig<br />

von der Marktlage in einer strukturellen Position der Schwäche<br />

sind <strong>und</strong> speziellen Schutzes bedürfen, da <strong>Wohnen</strong> ein «Gr<strong>und</strong>bedürfnis»<br />

darstelle <strong>und</strong> die Wohnung als Ort sozialer Beziehungen<br />

nicht dem Markt überlassen werden könne.<br />

Mit den neuen Bestimmungen im Obligationenrecht von 1990, die<br />

den befristeten B<strong>und</strong>esbeschluss von 1972 endlich in ordentliches Recht<br />

überführten, wurde das Prinzip der «Kostenmiete» verankert: Mietzinsanpassungen<br />

sind nur dann zulässig, wenn sie durch Kostenänderungen<br />

begründet werden können. Gleichzeitig versuchte man, mit dem<br />

Kriterium der «Orts- <strong>und</strong> Quartierüblichkeit» auch Marktelemente ins<br />

Mietrecht einfliessen zu lassen (Zihlmann 1995).<br />

Die nachfolgenden Bestrebungen zur Verschärfung oder Änderung<br />

des Mietrechts drehten sich vor allem um die Methode der Mietanpassung<br />

(Inflation, Zinsänderung). Sie wurden vom Souverän abgelehnt<br />

oder verliefen nach der Vernehmlassung im Sand. Zu nennen ist besonders<br />

die Volksinitiative «Ja zu fairen Mieten» <strong>und</strong> der indirekte Gegenvorschlag,<br />

die 2003 resp. 2004 verworfen wurden. Die einzige substan-<br />

40 <strong>Wanderung</strong>, <strong>Wohnen</strong> <strong>und</strong> <strong>Wohlstand</strong>

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