AUFTRAG_284_w.pdf - Gemeinschaft Katholischer Soldaten
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RELIGION UND GESELLSCHAFT<br />
Am 4. Juli 2011 ist Otto von Habsburg, letzter Kronprinz des österreichischen<br />
Kaiserreiches und des Königreichs von Ungarn im bayrischen<br />
Pöcking im Alter von 98 Jahren verstorben. Beim Pontifikalrequiem im<br />
Wiener Stephansdom verwies Christoph Kardinal Schönborn auf das Jahr<br />
1914 und auf den I. Weltkrieg, durch den Europas Geschichte in andere<br />
Richtungen und Bahnen gelenkt wurde. Tatsächlich ist die „nach-konziliare<br />
Krise“ in einen größeren, ideen- und kirchengeschichtlichen Zusammenhang<br />
einzuordnen. Durch das elende Sterben so vieler <strong>Soldaten</strong><br />
im I. Weltkrieg und den damit verbundenen Zäsuren im Leben so vieler<br />
Menschen kam es zu einer Krise jedweder überlieferten Autorität, seien<br />
es Monarchie, Vaterland, ländliche Großfamilie, religiöse Praxis oder<br />
der traditionelle Sozialkonsens in der Moral. Es folgten Kritik an bislang<br />
bekannten Autoritäten der europäischen Zivilisation, vor allem in den<br />
Nachwehen des deutschen Nationalsozialismus und des II. Weltkrieges.<br />
Wenn der deutsche Maler Hermann Stenner, der sich ebenso wie die<br />
Maler August Macke und Franz Marc 1914 freiwillig zum Kriegseinsatz<br />
meldeten, in seinen Briefen Formulierungen gebraucht wie „wir wollen<br />
den Franzosen verdreschen“ oder „jetzt verhauen wir den Franzos‘ mal<br />
ordentlich“, dann zeugen diese Äußerungen von einer anfänglich bestandenen<br />
unglaublichen Naivität und Fehleinschätzung der politischen Lage<br />
in Europa. Tatsache heute ist, dass jedwede Autorität und jede Großorganisation<br />
es in der pluralistischen Gesellschaft schwer haben, seien es die<br />
Parteien, die Gewerkschaften, Jugendverbände oder eben die Kirchen,<br />
gerade weil die moderne pluralistische Gesellschaft auf die freiwillige<br />
Zustimmung ihrer Mitglieder basiert. Auch die noch bestehenden Königshäuser<br />
müssen sich deshalb immer wieder mit der öffentlichen Meinung<br />
und den Ergebnissen von Meinungsumfragen auseinandersetzen.<br />
Autonome Moral kontra Gesetzesmoral<br />
Um die Wirkungsgeschichte des II. Vaticanums zu verstehen und richtig<br />
einzuordnen, gilt es jenen Spannungsbogen zwischen Heteronomie<br />
und Autonomie, also zwischen Gesetzesmoral und selbstverantworteter<br />
Moral zu verstehen, die das Leben in einer pluralistischen Gesellschaft<br />
charakterisiert. Der Bonner Moraltheologe Franz Böckle hat hierzu grundlegendes<br />
in seinem Buch „Fundamentalmoral“ geschrieben. Die katholische<br />
Kirche stand sich in weiten Teilen des Mittelalters und der Neuzeit<br />
einer Gesellschaft gegenüber, in der alle Macht im Himmel und auf<br />
Erden auf den christlichen Gott zurückgeführt wurde. Demzufolge gab<br />
es Kaiserreiche und Königreiche, die sich auf diesen göttlichen Legitimationsanspruch<br />
stützten, jedoch praktisch keine Demokratie und eine<br />
Rechtsstaatlichkeit nur in Ansätzen kannten. Mit der Reformation und der<br />
Französischen Revolution wuchsen demokratische Bewegungen auf, die<br />
den Einzelnen in eine immer stärkere, persönliche Verantwortung führten.<br />
Zum einen war es wohl so, dass das Erste Vatikanische Konzil (1869-<br />
1870), welches aufgrund der politischen Ereignisse um die Kriegserklärung<br />
Frankreichs an Preußen, dem Abzug der französischen Schutztruppen<br />
aus Rom, die Abschaffung des Kirchenstaates und der Gründung des<br />
Königreiches Italien, unvollendet geblieben war und irgendwie eines Abschlusses<br />
bedurfte. Aufgrund der politischen Umbrüche in Italien und in<br />
Europa war dies aber erst nach dem II. Weltkrieg möglich. Zum anderen<br />
verhinderten die beiden Weltkriege, die offene römische Frage bis 1929<br />
und die vielen politischen Konflikte und Brüche in der ersten Hälfte des<br />
20. Jahrhunderts Selbstreflektion und Reformbereitschaft, sodass es Anfang<br />
der sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts zu einem gewissen „Reformstau“<br />
in der römisch-katholischen Kirche gekommen war.<br />
Fortsetzung im Kasten auf Seite 31<br />
ben, oder wie es im Vorwort heißt:<br />
sie „sind die Nachfolger der Apostel<br />
als Hirten der Seelen.“ Es wird<br />
unterstrichen, dass die Bischöfe in<br />
ihrer Lehrautorität und ihrer ‚pastoralen<br />
Regierung‘ ganz in Bezug auf<br />
die universale Kirche Gottes vereint<br />
sind: „Sie üben dieses Amt einzeln<br />
in Bezug auf die Teile der Herde des<br />
Herrn, die ihnen…“ zugeteilt sind,<br />
aus. Über die Einrichtung von nationalen<br />
Bischofskonferenzen mit entsprechenden<br />
Sekretariaten wurde auf<br />
dem II. Vaticanum trefflich diskutiert<br />
und gestritten, bevor sie eingerichtet,<br />
gemeinrechtlich vorgeschrieben und<br />
im Codex Iuris Canonici von 1983 normiert<br />
wurden. Seither sind auch die<br />
Weihbischöfe vollberechtigte Mitglieder<br />
der jeweiligen Bischofskonferenz.<br />
Bibel, Mission und<br />
christliche Erziehung<br />
Damit kommen wir zu drei weiteren<br />
Texten, die in die Form einer<br />
Konstitution, eines Dekrets und einer<br />
Erklärung gebracht wurden. Eine<br />
Konstitution erklärt etwas grundsätzlich<br />
verbindliches, welches jedoch<br />
stets in einen gewissen theologischen<br />
oder kirchlichen Zusammenhang einzuordnen<br />
ist. Ganz so verhält es sich<br />
mit der Konstitution „Dei Verbum“<br />
vom 18. November 1965. Die Schrift<br />
steht in einem inhaltlichen Zusammenhang<br />
zur Konstitution über die<br />
Liturgie und zur dogmatischen Konstitution<br />
„Lumen gentium“, die noch<br />
zu behandeln ist. „Dei verbum“, was<br />
übersetzt soviel wie „Gottes Wort“<br />
heißt, manifestiert die Richtigkeit der<br />
Heiligen Schrift im Kontext der modernen<br />
Wissenschaft und in Treue<br />
zur Tradition der Kirche gleichermaßen,<br />
womit deutlich wird, dass es sich<br />
hier um einen geistigen Drahtseilakt<br />
handelt, auch wenn der Kirche hiermit<br />
eine positive Lehraussage gelungen<br />
ist. Die Heilige Schrift hat ohne<br />
Zweifel recht, aber nicht im wortwörtlichen<br />
Sinne und nicht im Spiegel der<br />
modernen Wissenschaft, sondern im<br />
Horizont des christlichen Glaubens.<br />
Die Heilige Schrift stellt Gottes Wort<br />
dar, in ihr offenbart sich Gott selbst.<br />
So heißt es denn auch in „Verbum<br />
dei“: „Gott hat in seiner Güte und<br />
Weisheit beschlossen, sich selbst zu<br />
offenbaren und das Geheimnis des<br />
Willens kundzutun, dass die Men-<br />
30<br />
<strong>AUFTRAG</strong> <strong>284</strong> • DEZEMBER 2011