AUFTRAG_284_w.pdf - Gemeinschaft Katholischer Soldaten
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RELIGION UND GESELLSCHAFT<br />
tholisch-theologischen Fakultäten<br />
sind gleichermaßen Orte der<br />
Glaubensvermittlung und ein Medium<br />
der Evangelisierung.<br />
Zur Frage der Religionsfreiheit<br />
Es gibt drei Dokumente des II. Vaticanums,<br />
die auch heute noch<br />
immer wieder rezipiert und diskutiert<br />
werden: das Dekret über die Religionsfreiheit,<br />
das Verhältnis zu den<br />
nicht-christlichen Religionen und<br />
das Wirken der Kirche in der Welt.<br />
Dabei handelt es sich nicht um rein<br />
innerkirchliche Fragestellungen, sondern<br />
um Themen, die sich um den<br />
christlichen Glauben in moderner<br />
Gesellschaft drehen. Auf alle drei<br />
Schriften habe die Päpste Johannes<br />
XXIII. und Paul VI. Einfluss genommen;<br />
beide Päpste hatten als langjährige<br />
Diplomaten des Heiligen Stuhles<br />
ein besonderes Interesse an den darin<br />
behandelten Themen. Vielleicht aufgrund<br />
dieser Einflussnahme legten<br />
alle drei Texte eine mehr oder minder<br />
schwere Entstehungsgeschichte<br />
zurück, was aber auch auf das große<br />
innerkirchliche und allgemein gesellschaftliche<br />
Interesse zurückzuführen<br />
ist. Auch nehmen alle drei Dokumente,<br />
ebenso wie die Erklärung über die<br />
christliche Erziehung, bezug auf die<br />
UN-Menschenrechtscharta von 1948.<br />
Zudem hat Papst Paul VI. durch seine<br />
Pastoralreise in ein Entwicklungsund<br />
Schwellenland wie Indien vom 2.<br />
bis 5. Dezember 1964 Akzente gesetzt,<br />
die in allen drei Dokumenten<br />
Eingang gefunden haben.<br />
Vor diesem zeit- und kirchengeschichtlichen<br />
Hintergrund wurzelt<br />
somit die Erklärung „Dignitatis humanae“,<br />
also über die menschliche<br />
Würde, in großen Teilen in der erwähnten<br />
Allgemeinen Erklärung der<br />
Menschenrechte der Vereinten Nationen,<br />
indem sie einen Bogen schlägt<br />
zwischen der unantastbaren Würde<br />
des Menschen und des Rechtes des<br />
Menschen auf freie Wahl und Ausübung<br />
seiner Religion (Religionsfreiheit).<br />
Dieser Zusammenhang kam<br />
auch bei der Rede von Papst Paul VI.<br />
am 4. Oktober 1965 vor den Vereinten<br />
Nationen in New York zum Ausdruck.<br />
Geschichtlich greift dieses<br />
Dokument eine Entwicklung auf, die<br />
sich im Zusammenleben der Staaten<br />
und Völker schrittweise seit der Re-<br />
formation vor allem im christlichen<br />
Abendland entfaltet hat.<br />
Vor dem II. Vaticanum wurden<br />
aufgrund des Wahrheitsanspruches<br />
der katholischen Religion staatliche<br />
Vorrechte durch die römisch-katholische<br />
Kirche beansprucht. Solche<br />
staatlichen, mitunter verfassungsrechtlich<br />
abgesicherten Vorrechte<br />
existierten schon zur Zeit des Konzils<br />
nur noch teilweise in Italien (bis<br />
1984), in Portugal (bis 1974) und in<br />
Spanien (bis 1976). Der Heilige Stuhl<br />
hat aufgrund dieser Selbstkorrektur<br />
der kirchlichen Lehre in der Folgezeit<br />
eine Politik dahingehend betrieben,<br />
dass die römisch-katholische Kirche<br />
in Ländern wie Italien und Spanien<br />
nicht mehr als Staatsreligion in der<br />
Verfassung verankert ist. Reste dieser<br />
Vorrechte sind allerdings vielfach<br />
noch in Konkordaten, also Verträgen<br />
zwischen dem Heiligen Stuhl und den<br />
jeweiligen Ländern, erhalten geblieben.<br />
Problematisch ist in diesem religiösen<br />
Gesamtkontext auch, dass<br />
in vielen protestantischen Ländern<br />
in Europa, so in Großbritannien, Dänemark,<br />
Schweden und Norwegen,<br />
die protestantische Religion Staatsreligion<br />
geblieben ist. Auch die orthodoxen<br />
Kirchen beanspruchen in<br />
vielen osteuropäischen Staaten eine<br />
staatlich garantierte Vorrangstellung<br />
für sich, so etwa in Russland, Weißrussland,<br />
der Ukraine, Serbien und in<br />
Griechenland. Überhaupt handelt es<br />
sich hierbei um ein schwieriges und<br />
recht komplexes kirchen-, verfassungs-<br />
und staatsrechtliches Thema.<br />
Tatsächlich können wir hinsichtlich<br />
der katholischen Staats- und Gesellschaftslehre<br />
von einer gewissen<br />
Zäsur sprechen, weil auf der einen<br />
Seite der geistig-religiöse Absolutheits-<br />
und Heilsanspruch der Kirche<br />
ad intra, also nach innen hin,<br />
nicht aufgegeben wird, wie das auch<br />
„Lumen gentium“ unterstreicht und<br />
wie es auch die lange Geschichte<br />
und Lehre der römisch-katholischen<br />
Kirche vermittelt. Andererseits zeigt<br />
sich die Kirche ad extra, also nach<br />
außen hin, ganz offen, also ohne auf<br />
ein Beharren öffentlich-rechtlicher<br />
Ansprüche im Sinne einer Staatskirche<br />
und ganz in einem pastoralen<br />
Sinne gemäß „Gaudium et spes“, was<br />
viele Christen und Katholiken heute<br />
als noch immer unüberbrückbaren<br />
Gegensatz ansehen. Das Hauptargument<br />
für diesen scheinbaren Kurswechsel<br />
besteht darin, dass erst durch<br />
eine freie Religionsausübung und die<br />
Freiheit des Einzelnen, seine Religion<br />
zu wählen, eine Neu-Evangelisation<br />
Europas gelingen könne. Vielleicht<br />
wurde in diesem Punkte – aus<br />
heutiger Sicht – etwas zu idealistisch<br />
gedacht.<br />
Tatsächlich ist es so, dass die<br />
Schrift „Dignitatis humanae“ die<br />
Themen Menschenwürde, Menschenrechte<br />
und Religionsfreiheit in den<br />
Mittelpunkt stellt, indem sie ausführt:<br />
„Die Würde der Menschen kommt<br />
den Menschen unserer Zeit immer<br />
mehr zum Bewusstsein, und deshalb<br />
wächst die Zahl derer, die den Anspruch<br />
erheben, dass die Menschen<br />
bei ihrem Tun ihr eigenes Urteil und<br />
eine verantwortliche Freiheit besitzen<br />
und davon Gebrauch machen sollen,<br />
nicht unter Zwang, sondern vom Bewusstsein<br />
der Pflicht geleitet. In gleicher<br />
Weise fordern sie eine rechtliche<br />
Einschränkung der öffentlichen<br />
Gewalt, damit die Grenzen einer ehrenhaften<br />
Freiheit der Person und<br />
auch der Gesellschaftsnormen nicht<br />
zu eng umschrieben werden. … Das<br />
Vatikanische Konzil wendet diesen<br />
Bestrebungen seine besondere Aufmerksamkeit<br />
zu in der Absicht, eine<br />
Erklärung darüber abzugeben, wie<br />
weit sie der Wahrheit und Gerechtigkeit<br />
entsprechen, und deshalb befragt<br />
es die heilige Tradition und die<br />
Lehre der Kirche, aus denen es immer<br />
Neues hervorholt, das mit dem<br />
Alten in Einklang steht.“ Und dann<br />
ganz deutlich äußert das Dokument<br />
zum Punkt Religionsfreiheit: „Bei der<br />
Behandlung dieser Religionsfreiheit<br />
beabsichtigt das Heilige Konzil, zugleich<br />
die Lehre der neueren Päpste<br />
über die unverletzlichen Rechte der<br />
menschlichen Person wie auch ihre<br />
Lehre von der rechtlichen Ordnung<br />
der Gesellschaft weiterzuführen.“<br />
Der prominenteste Kritiker der<br />
vorliegenden Erklärung war Erzbischof<br />
Marcel Lefebvre, der das II.<br />
Vaticanum beschuldigte, in der Frage<br />
der Religionsfreiheit einem Irrtum erlegen<br />
zu sein. Tatsächlich gab es bei<br />
der Abstimmung über dieses Dokument<br />
70 Gegenstimmen, während ansonsten<br />
eher 10 bis 20 Gegenstimmen<br />
auf dem Konzil üblich waren.<br />
32 <strong>AUFTRAG</strong> <strong>284</strong> • DEZEMBER 2011