Heimat-Rundblick 103
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„…ein Wechsel zwischen Zufall und Eingreifen“<br />
Die Malerei von Stefan Ettlinger<br />
Worpswede. Im Rahmen der Ausstellungsreihe<br />
„Worpswede zeitgenössisch“<br />
der Worpsweder Museen ist bis zum 27.<br />
Januar 2013 im Barkenhoff die Ausstellung<br />
„Stefan Ettlinger. Malerei.“ zu sehen. Der<br />
Künstler lebte und arbeitete im Jahr 2004<br />
für neun Monate als Stipendiat der Künstlerhäuser<br />
Worpswede auf dem Barkenhoff<br />
und kehrt nun mit seinen Werken hierher<br />
zurück.<br />
Stefan Ettlinger, geboren 1958 in Nürnberg,<br />
studierte von 1980 bis 1988 an der<br />
Staatlichen Kunstakademie in Düsseldorf<br />
bei Alfons Hüppi. Bereits während dieses<br />
Studiums – ab 1985 als Meisterschüler –<br />
ging seine künstlerische Arbeit weit über<br />
die Malerei hinaus. Filme, Musik und Performances<br />
setzte er unter anderem in der<br />
Künstlergruppe „Anarchistische Gummizelle“<br />
um. Eigene Projekte wie Videos und<br />
Musikperformances folgten, seit den<br />
frühen 1980er Jahren produziert Ettlinger<br />
Musik. Er bezeichnet sich jedoch gern als<br />
„Amateurmusiker“, offizielle Tonträgerveröffentlichungen<br />
hat es bis heute nicht<br />
gegeben. In erster Linie, so sagt der Künstler<br />
über sich selbst, sei er Maler.<br />
Die Motive für seine oft großformatigen<br />
Gemälde findet Ettlinger in der unermesslichen<br />
Bilderflut unserer multimedialen Welt.<br />
Konsequent nutzt er vorhandenes Material<br />
als Vorlage für seine Darstellungen: Illustriertenfotos,<br />
Postkarten, Buchillustrationen,<br />
Stills aus Fernseh- und Videofilmen,<br />
insbesondere aber auch Fotografien.<br />
Aus seiner umfangreichen und ständig<br />
weiter wachsenden Sammlung erstellt Ettlinger<br />
schrittweise immer wieder neue<br />
Pools von potenziellen Bildvorlagen. Die<br />
Methode der endgültigen Auswahl des<br />
Ursprungsmaterial für seine Werke steht<br />
RUNDBLICK Herbst 2012<br />
Die Ausstellung von Stefan Ettlinger im Barkenhoff.<br />
schließlich im Gegensatz zu dieser gezielten<br />
ästhetischen Zusammenstellung: Ettlinger<br />
lost die Vorlagen aus einem Bilderpool<br />
aus. Eine Äußerung des Künstlers<br />
bezüglich seiner Maltechnik kann synonym<br />
auch für diese Vorgehensweise verstanden<br />
werden: „Es ist immer ein Wechsel<br />
zwischen Zufall und Eingreifen“. 1 )<br />
Einfrieren eines sehr<br />
flüchtigen Moments<br />
Thematisch sind für den Künstler nahezu<br />
alle Bereiche des (alltäglichen) Lebens von<br />
Interesse: belebte Natur, gestaltete Landschaft,<br />
Menschengruppen und Einzelpersonen,<br />
auch Architekturen und Technisches,<br />
wobei der Kontext sowohl zeitgenössisch<br />
als auch historisch sein kann. Durch die<br />
Kombination und malerische Bearbeitung<br />
von zwei oder drei thematisch voneinander<br />
unabhängigen Motiven entstehen spannungsreiche,<br />
fiktive Szenerien, die den<br />
ursprünglich dokumentarischen Charakter<br />
der Vorlagen, beispielsweise der Fotografien,<br />
aufheben. Auch die Nutzung einzelner<br />
Szenen aus Actionfilmen widerspricht der<br />
eigentlichen Logik des Mediums, ermöglicht<br />
dabei durch das Einfrieren eines sonst<br />
sehr flüchtigen Moments eine völlig andere<br />
Wahrnehmung des Geschehens. Dieser Perspektivwechsel,<br />
die Aufhebung erzählender<br />
Kontinuität, die durch die Parallelität realistischer<br />
und abstrakter Bildelemente, Auslassungen<br />
oder Doppelungen im Bild erzielt<br />
wird, ist elementarer Teil aller Werke.<br />
Ettlinger verweigert uns in seinen Arbeiten<br />
die übliche Form der Wahrnehmung.<br />
Unsere Fähigkeit, komplexe Zeichensätze<br />
blitzartig zu dekodieren und sie mit einem<br />
Kanon aus Vorwissen, Erfahrung und<br />
Erwartung in Zusammenhänge einzuord-<br />
nen, wird außer Kraft gesetzt. Zwar erkennen<br />
wir auf Ettlingers Bildern auch Bekanntes<br />
– doch was auf den ersten Blick als<br />
Gesamtheit erscheint, erweist sich beim<br />
abermaligen Hinsehen als trügerisch.<br />
Und das ist gewollt. Ettlinger versucht<br />
keine ‚Nacherzählung’ einer (subjektiven)<br />
Wirklichkeit, ihn interessiert das Zusammenspiel<br />
von Situationen, die nicht zueinander<br />
gehören. Solche Situationen bringt<br />
er in einer ganz eigenen ästhetischen Bildsprache<br />
auf dem Malgrund miteinander in<br />
Verbindung. Unser reflexartiger Versuch,<br />
dem Gesehenen eine eindeutige Bewertung<br />
zuzuordnen, misslingt. Ettlingers Bilder<br />
faszinieren nicht zuletzt durch ihre Vielschichtigkeit,<br />
sie lassen breiten Raum für<br />
Suggestion und Imagination. Dem Künstler<br />
selbst bietet diese Vielschichtigkeit<br />
auch die Chance, sich der thematischen<br />
Festlegung zu entziehen und eine eindimensionale,<br />
konkrete Einordnung seiner<br />
Arbeit zu verhindern.<br />
Zur Ausstellung, die durch die freundliche<br />
Unterstützung der Stiftung Niedersachsen<br />
und des Landschaftsverbands<br />
Stade ermöglicht wurde, ist eine Publikation<br />
erschienen. Sie ist für € 8 im Barkenhoff<br />
erhältlich (täglich geöffnet von 10 bis<br />
18 Uhr).<br />
Beate C. Arnold<br />
1 ) „… die Luft herausgelassen und irgend<br />
etwas Luftähnliches hineingetan…“. Ein<br />
Gespräch mit Stefan Ettlinger, von Matthias<br />
Winzen, in: Stefan Ettlinger – Malerei.<br />
Publikation zur gleichnamigen Ausstellung<br />
im Museum Haus Esters, Krefeld<br />
(8. 9. bis 3. 11. 2002) und der Staatlichen<br />
Kunsthalle Baden-Baden (28. 11.<br />
2003 bis 25. 11. 2004), Hrsg. Krefelder<br />
Museen, Krefeld 2002, S. 48.<br />
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