26.04.2013 Aufrufe

Schwarzbuch Leiharbeit

Schwarzbuch Leiharbeit

Schwarzbuch Leiharbeit

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

26<br />

Die meisten <strong>Leiharbeit</strong>nehmer werden in<br />

Lohngruppe I eingestuft, die Hilfs- und<br />

Helfertätigkeiten entspricht. Dabei haben<br />

mehr als die Hälfte eine Berufsausbildung<br />

oder einen Fach- oder Hochschulabschluss.<br />

Nicht zulässig, aber Praxis<br />

Lohngruppe I, das bedeutet nach dem<br />

BZA/DGB-Tarifvertrag seit dem 1.11.2011<br />

ein Einstiegsgehalt von 7,89 Euro (West)<br />

bzw. 7,01 Euro (Ost). Ziemlich wenig dafür,<br />

sich eine Lebensgrundlage zu schaffen,<br />

insbesondere, wenn bei der Stundenab-<br />

rechnung so getrickst wird, wie Peter es<br />

erlebt: „Teilweise arbeite ich in Entleih-<br />

betrieben über 50 Stunden in der Woche<br />

und bekomme dennoch nur 35 Stunden<br />

bezahlt.“ Dieser Umgang mit Überstunden<br />

hat Methode. Viele <strong>Leiharbeit</strong>erinnen und<br />

<strong>Leiharbeit</strong>er leisten regelmäßig Mehrarbeit,<br />

die nie bezahlt wird. Stattdessen<br />

gehen die Stunden auf ein Arbeitszeitkonto<br />

und werden mit Nichteinsatzzeiten<br />

verrechnet. Das ist zwar verboten, aber<br />

gängige Praxis. Selbst bei Krankheit wird<br />

das Konto geplündert: „Dann greift gerne<br />

mal die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall<br />

nicht, sondern die Ausfallzeit wird aus<br />

dem Arbeitszeitkonto beglichen, mal mit<br />

einer zusätzlichen Ausgleichszahlung von<br />

30 bis 40 Euro pro Tag, gerne auch mal<br />

ohne“, schildert ein 58-jähriger Metallfacharbeiter<br />

seine Erfahrungen. „Ich muss<br />

Überstunden machen, um im Krankheitsfall<br />

weiterhin mein Geld zu bekommen.“<br />

Viele <strong>Leiharbeit</strong>er stocken auf<br />

Auf ergänzende Hartz-IV-Leistungen angewiesen sind von allen Beschäftigten in den Branchen …<br />

Reinigungsdienste<br />

<strong>Leiharbeit</strong><br />

Gastgewerbe<br />

sonstige Dienstleistungen,<br />

private Haushalte<br />

Land-, Forstwirtschaft<br />

und Fischerei<br />

14 %<br />

11,2 %<br />

8,5 %<br />

4,7 %<br />

3,3 %<br />

2,5 % in der gesamtwirtschaft<br />

Quelle: Bundesagentur für Arbeit, Erwerbstätige ALG-II-Bezieher<br />

aus der Innenperspektive<br />

Dieser Umgang mit Arbeitszeitkonten hat<br />

System. Das bestätigt Jana, die nach ihrem<br />

Studium kurzzeitig als Personaldisponentin<br />

arbeitete und den Umgang der <strong>Leiharbeit</strong>s-<br />

firmen mit ihren Angestellten dadurch aus<br />

nächster Nähe kennenlernte – mit all sei-<br />

nen Ungerechtigkeiten. So sollte sie einen<br />

Arbeitsvertrag in der Probezeit kündigen.<br />

Das war aber nicht das Problem. „Ich soll-<br />

te den Arbeitnehmer auch zu der schriftli-<br />

chen Aussage drängen, dass er unbezahl-<br />

ten Urlaub für die Zeit der Kündigungsfrist<br />

nimmt.“ Hintergrund: Die <strong>Leiharbeit</strong>sfirma<br />

hatte für den Zeitraum der Kündigungsfrist<br />

keinen Entleihbetrieb gefunden und damit<br />

keine Einsatzmöglichkeit für den Mann.<br />

„Das Problem damit ist von oben vorgegeben:<br />

Die einzelnen Filialen stehen im Wettbewerb<br />

zueinander.<br />

Sogenannte Wartezeiten,<br />

das heißt Tage, an<br />

denen ein <strong>Leiharbeit</strong>er<br />

nicht eingesetzt werden<br />

kann, an denen er unproduktiv ist und<br />

trotzdem nach Tarifvertrag bezahlt wird,<br />

verschlechtern aber die jeweilige Position<br />

der einzelnen Filiale. Und von den Regionalund<br />

Bezirksleitungen wird großer Druck auf<br />

die Niederlassungsleitungen ausgeübt.“<br />

Druck bekam auch Jana zu spüren, als sie<br />

sich weigerte, den Arbeitnehmer zur Unterschrift<br />

zu zwingen. „Ich sollte ihm deshalb<br />

raten, sich krankzumelden. Dabei ist<br />

das nichts weiter als eine Abwälzung der<br />

Kosten auf die Solidargemeinschaft der<br />

Krankenversicherten! Der Arbeitnehmer<br />

konnte aber die 10 Euro Praxisgebühr nicht<br />

aufbringen.“<br />

dreifach getrickst<br />

Die <strong>Leiharbeit</strong>sfirma versuchte dann mit einem<br />

dritten Trick, um die Weiterbezahlung<br />

herumzukommen, wie Jana beschreibt:<br />

„Kurz vor dem Abrechnungstermin hat<br />

meine Vorgesetzte einen fiktiven Brief geschrieben.<br />

Der Mann sei nicht zur Arbeit<br />

gekommen und hätte sich nicht gemeldet,<br />

daher gebe es auch kein Geld. Der Brief<br />

wurde als Kopie in die Akte geheftet.“ Dem<br />

Betroffenen selbst wurde der Brief jedoch<br />

nie vorgelegt. Jana kann noch weitere,<br />

ähnliche Erfahrungen schildern. So hat<br />

sie auch erlebt, dass in den Betriebsferien<br />

der großen Unternehmen diejenigen, die<br />

nicht genügend Urlaubs- oder Plusstunden<br />

angesammelt hatten, unbezahlten Urlaub<br />

nehmen mussten. „Ich finde es unglaublich,<br />

wie hier das unternehmerische Risiko<br />

„ Beim Kauf von werksinternen Lebensmitteln wird von uns<br />

<strong>Leiharbeit</strong>ern mehr verlangt als von Stammbeschäftigten.<br />

Ist die Regelung Ihrer Ansicht nach gerechtfertigt?“<br />

auf die <strong>Leiharbeit</strong>nehmer abgewälzt wird.<br />

Sie verdienen ja sowieso schon recht wenig,<br />

während die Firmen höchst profitabel<br />

arbeiten.“ Jana wünscht sich daher, dass<br />

dieser Punkt, das Thema aufgezwungener,<br />

unbezahlter Urlaub, in der öffentlichen Diskussion<br />

eine größere Rolle spielt. „Damit<br />

auch die einfachen Arbeiter ihre Rechte<br />

kennenlernen und sich gegen diese unlautere<br />

Praxis wehren können.“<br />

27

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!