Schwarzbuch Leiharbeit
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Die meisten <strong>Leiharbeit</strong>nehmer werden in<br />
Lohngruppe I eingestuft, die Hilfs- und<br />
Helfertätigkeiten entspricht. Dabei haben<br />
mehr als die Hälfte eine Berufsausbildung<br />
oder einen Fach- oder Hochschulabschluss.<br />
Nicht zulässig, aber Praxis<br />
Lohngruppe I, das bedeutet nach dem<br />
BZA/DGB-Tarifvertrag seit dem 1.11.2011<br />
ein Einstiegsgehalt von 7,89 Euro (West)<br />
bzw. 7,01 Euro (Ost). Ziemlich wenig dafür,<br />
sich eine Lebensgrundlage zu schaffen,<br />
insbesondere, wenn bei der Stundenab-<br />
rechnung so getrickst wird, wie Peter es<br />
erlebt: „Teilweise arbeite ich in Entleih-<br />
betrieben über 50 Stunden in der Woche<br />
und bekomme dennoch nur 35 Stunden<br />
bezahlt.“ Dieser Umgang mit Überstunden<br />
hat Methode. Viele <strong>Leiharbeit</strong>erinnen und<br />
<strong>Leiharbeit</strong>er leisten regelmäßig Mehrarbeit,<br />
die nie bezahlt wird. Stattdessen<br />
gehen die Stunden auf ein Arbeitszeitkonto<br />
und werden mit Nichteinsatzzeiten<br />
verrechnet. Das ist zwar verboten, aber<br />
gängige Praxis. Selbst bei Krankheit wird<br />
das Konto geplündert: „Dann greift gerne<br />
mal die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall<br />
nicht, sondern die Ausfallzeit wird aus<br />
dem Arbeitszeitkonto beglichen, mal mit<br />
einer zusätzlichen Ausgleichszahlung von<br />
30 bis 40 Euro pro Tag, gerne auch mal<br />
ohne“, schildert ein 58-jähriger Metallfacharbeiter<br />
seine Erfahrungen. „Ich muss<br />
Überstunden machen, um im Krankheitsfall<br />
weiterhin mein Geld zu bekommen.“<br />
Viele <strong>Leiharbeit</strong>er stocken auf<br />
Auf ergänzende Hartz-IV-Leistungen angewiesen sind von allen Beschäftigten in den Branchen …<br />
Reinigungsdienste<br />
<strong>Leiharbeit</strong><br />
Gastgewerbe<br />
sonstige Dienstleistungen,<br />
private Haushalte<br />
Land-, Forstwirtschaft<br />
und Fischerei<br />
14 %<br />
11,2 %<br />
8,5 %<br />
4,7 %<br />
3,3 %<br />
2,5 % in der gesamtwirtschaft<br />
Quelle: Bundesagentur für Arbeit, Erwerbstätige ALG-II-Bezieher<br />
aus der Innenperspektive<br />
Dieser Umgang mit Arbeitszeitkonten hat<br />
System. Das bestätigt Jana, die nach ihrem<br />
Studium kurzzeitig als Personaldisponentin<br />
arbeitete und den Umgang der <strong>Leiharbeit</strong>s-<br />
firmen mit ihren Angestellten dadurch aus<br />
nächster Nähe kennenlernte – mit all sei-<br />
nen Ungerechtigkeiten. So sollte sie einen<br />
Arbeitsvertrag in der Probezeit kündigen.<br />
Das war aber nicht das Problem. „Ich soll-<br />
te den Arbeitnehmer auch zu der schriftli-<br />
chen Aussage drängen, dass er unbezahl-<br />
ten Urlaub für die Zeit der Kündigungsfrist<br />
nimmt.“ Hintergrund: Die <strong>Leiharbeit</strong>sfirma<br />
hatte für den Zeitraum der Kündigungsfrist<br />
keinen Entleihbetrieb gefunden und damit<br />
keine Einsatzmöglichkeit für den Mann.<br />
„Das Problem damit ist von oben vorgegeben:<br />
Die einzelnen Filialen stehen im Wettbewerb<br />
zueinander.<br />
Sogenannte Wartezeiten,<br />
das heißt Tage, an<br />
denen ein <strong>Leiharbeit</strong>er<br />
nicht eingesetzt werden<br />
kann, an denen er unproduktiv ist und<br />
trotzdem nach Tarifvertrag bezahlt wird,<br />
verschlechtern aber die jeweilige Position<br />
der einzelnen Filiale. Und von den Regionalund<br />
Bezirksleitungen wird großer Druck auf<br />
die Niederlassungsleitungen ausgeübt.“<br />
Druck bekam auch Jana zu spüren, als sie<br />
sich weigerte, den Arbeitnehmer zur Unterschrift<br />
zu zwingen. „Ich sollte ihm deshalb<br />
raten, sich krankzumelden. Dabei ist<br />
das nichts weiter als eine Abwälzung der<br />
Kosten auf die Solidargemeinschaft der<br />
Krankenversicherten! Der Arbeitnehmer<br />
konnte aber die 10 Euro Praxisgebühr nicht<br />
aufbringen.“<br />
dreifach getrickst<br />
Die <strong>Leiharbeit</strong>sfirma versuchte dann mit einem<br />
dritten Trick, um die Weiterbezahlung<br />
herumzukommen, wie Jana beschreibt:<br />
„Kurz vor dem Abrechnungstermin hat<br />
meine Vorgesetzte einen fiktiven Brief geschrieben.<br />
Der Mann sei nicht zur Arbeit<br />
gekommen und hätte sich nicht gemeldet,<br />
daher gebe es auch kein Geld. Der Brief<br />
wurde als Kopie in die Akte geheftet.“ Dem<br />
Betroffenen selbst wurde der Brief jedoch<br />
nie vorgelegt. Jana kann noch weitere,<br />
ähnliche Erfahrungen schildern. So hat<br />
sie auch erlebt, dass in den Betriebsferien<br />
der großen Unternehmen diejenigen, die<br />
nicht genügend Urlaubs- oder Plusstunden<br />
angesammelt hatten, unbezahlten Urlaub<br />
nehmen mussten. „Ich finde es unglaublich,<br />
wie hier das unternehmerische Risiko<br />
„ Beim Kauf von werksinternen Lebensmitteln wird von uns<br />
<strong>Leiharbeit</strong>ern mehr verlangt als von Stammbeschäftigten.<br />
Ist die Regelung Ihrer Ansicht nach gerechtfertigt?“<br />
auf die <strong>Leiharbeit</strong>nehmer abgewälzt wird.<br />
Sie verdienen ja sowieso schon recht wenig,<br />
während die Firmen höchst profitabel<br />
arbeiten.“ Jana wünscht sich daher, dass<br />
dieser Punkt, das Thema aufgezwungener,<br />
unbezahlter Urlaub, in der öffentlichen Diskussion<br />
eine größere Rolle spielt. „Damit<br />
auch die einfachen Arbeiter ihre Rechte<br />
kennenlernen und sich gegen diese unlautere<br />
Praxis wehren können.“<br />
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