13.05.2013 Aufrufe

Neues und Altes vom Antisemitismus in Europa. Eine Langzeitstudie ...

Neues und Altes vom Antisemitismus in Europa. Eine Langzeitstudie ...

Neues und Altes vom Antisemitismus in Europa. Eine Langzeitstudie ...

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Rosa-Luxemburg-Stiftung –Gesellschaftsanalyse <strong>und</strong> Politische Bildung - Sem<strong>in</strong>armaterialien<br />

Auffallend ist weiterh<strong>in</strong> das breite Spektrum der Tätergruppen. <strong>Antisemitismus</strong> läßt sich<br />

somit nicht auf kle<strong>in</strong>e Personenkreise begrenzen, sondern ist offensichtlich e<strong>in</strong>e Ideologie, die<br />

sich quer durch verschiedene Bevölkerungsgruppen durchzieht. Sie kann damit als<br />

Querschnittsideologie bezeichnet werden.“ 30<br />

Bemerkenswert auch folgende Aussage zu jüdischen Opfern antisemitischer Angriffe:<br />

„E<strong>in</strong>ige Aspekte tauchen <strong>in</strong> unseren Interviews mit jüdischen Personen im Bezirk immer auf.<br />

Es wird von Angst gesprochen, <strong>in</strong> der Öffentlichkeit als Jude erkannt zu werden. Sie haben<br />

Angst vor Belästigungen verbaler Natur bis h<strong>in</strong> zum körperlichen Angriff. Dazu dient e<strong>in</strong>e<br />

Vermeidungsstrategie, die dar<strong>in</strong> besteht, auf alles irgendwie als „jüdisch“ Identifizierbare zu<br />

verzichten. Es ist e<strong>in</strong> Weg des sich bewußt Unsichtbarmachens aus Angst vor antisemitischen<br />

Phänomenen.<br />

Für den E<strong>in</strong>zelnen bedeutet dieses im Alltag e<strong>in</strong>e ungeme<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>schränkung der persönlichen<br />

Freiheitsrechte, die e<strong>in</strong>en Kern der demokratischen Kultur bilden. <strong>Antisemitismus</strong> beweist<br />

hier se<strong>in</strong>en demokratiegefährdenden Charakter bereits im Alltag. In den vorliegenden<br />

Aussagen wird das Phänomen nicht auf engere Räume wie gewisse Kieze, Plätze oder Häuser<br />

reduziert, sondern als übergeordnetes Phänomen beschrieben. Der Begriff No Go Area ist<br />

somit nicht <strong>in</strong> Gänze e<strong>in</strong>setzbar, da e<strong>in</strong>e Begrenzung des sozialen Raumes als Teil der<br />

Def<strong>in</strong>ition fehlt. Trotzdem s<strong>in</strong>d diverse Elemente, die e<strong>in</strong>e No Go Area bestimmen, im<br />

Bewußtse<strong>in</strong> von Juden vorhanden. Besonders das Faktum der Angst zieht sich durch das<br />

Datenmaterial h<strong>in</strong>durch. Juden <strong>und</strong> Jüd<strong>in</strong>nen fühlen sich hier <strong>in</strong> der Öffentlichkeit<br />

ungeschützt <strong>und</strong> gezielt angreifbar. Dieses zentrale Merkmal von No Go Areas konnte <strong>und</strong><br />

mußte mehrfach bestimmt werden.“ 31<br />

Hier die Wahrnehmung e<strong>in</strong>er Jüd<strong>in</strong> über ihre alltäglichen Erfahrungen mit <strong>Antisemitismus</strong>:<br />

„Wenn ich mich dann mal klagend geäußert habe, me<strong>in</strong>en deutschen Mitbewohnern<br />

gegenüber, wie schwer es für mich ist dort zu wohnen. In dem Zusammenhang alle<strong>in</strong>stehende<br />

Frau sozusagen. (...) Weil man als besonders schwach erlebt wird, wurde mir dann gesagt,<br />

dann soll ich doch nach Israel gehen. Da kommt man ja wieder <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en doppelten Konflikt,<br />

der e<strong>in</strong>en e<strong>in</strong>fach begleitet als jüdischer Mensch <strong>in</strong> diesem Land, sicherlich auch woanders,<br />

das Gefühl, man wird nicht gerne gehabt. Sobald man Schwierigkeiten hat, wird man auf der<br />

e<strong>in</strong>en Seite darauf verwiesen, dieses Land zu verlassen. Und auf der anderen Seite wird e<strong>in</strong>em<br />

die politische Situation <strong>in</strong> Israel, woh<strong>in</strong> man auswandern soll, gleichzeitig zum Vorwurf<br />

gemacht, wo man für das politische Geschehen e<strong>in</strong>es Staates dort verantwortlich sei. Ich b<strong>in</strong><br />

hier geboren <strong>und</strong> groß geworden, auch die ganze Familie ist deutsch wie nur irgendwas. Nicht<br />

um das herauszustellen, daß für mich auswandern genauso fremd vorkommt, wo ich mich<br />

natürlich an geschichtlichvergangene Zeiten er<strong>in</strong>nere, wo Menschen, die den gleichen<br />

Glauben hatten, wie ich eben auch, denen e<strong>in</strong>e Rasse zugesprochen wurde, denen die<br />

Staatsangehörigkeit abgesprochen wurde. Und für mich ist diese Aufforderung, auszuwandern<br />

nach Israel, ist schon auch e<strong>in</strong> Stück abschwächen me<strong>in</strong>er deutschen Staatsbürgerschaft. Als<br />

sei die für mich weniger wert. Ich möchte dazu betonen, daß das nicht unbed<strong>in</strong>gt Leute waren,<br />

die das böse me<strong>in</strong>ten. Das empf<strong>in</strong>de ich schon als e<strong>in</strong>e, sagen wir mal, latente antisemitische<br />

Haltung.“ 32<br />

30 Ebenda, S. 79.<br />

31 Ebenda, S. 84.<br />

32 Siehe: Klaus Dicke / Michael Ed<strong>in</strong>ger / Andreas Hallermann / Karl Schmitt (Hrsg.): Politische Kultur im<br />

Freistaat Thür<strong>in</strong>gen. E<strong>in</strong>stellungen zur Demokratie. Ergebnisse des Thür<strong>in</strong>gen-Monitors 2003, S. 77-78.<br />

15

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!