Neues und Altes vom Antisemitismus in Europa. Eine Langzeitstudie ...

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Rosa-Luxemburg-Stiftung –Gesellschaftsanalyse und Politische Bildung - Seminarmaterialien französischen Kolonien, am Leben erhalten, greift aber vielleicht doch etwas zu kurz. Diese Sichtweise verdrängt die Tatsache, wie schwer sich Frankreich mit den Themen Kollaboration generell und Hilfe der französischen Polizei bei der Deportation der Juden des Landes in der Vergangenheit getan hat. Auf einen politischen Skandal, ausgelöst von Scharon, sei nur hingewiesen. Seine Aufforderung, alle Juden mögen Frankreich aus Sicherheitsgründen schnellstens in Richtung Israel verlassen, stieß völlig zu Recht seitens der französischen Regierung auf schärfste Zurückweisung. Beispiel Polen In Polen, und nicht nur in diesem europäischen Land, haben antisemitische Taten und Äußerungen und Taten eine lange geschichtliche Tradition. Antijüdisch Pogrome, die auch nach 1945 viele polnische Juden zur Flucht aus ihrer Heimat veranlaßten, sind bekannt und wirken nach. Antisemiten sitzen in Polen heute in etablierten Parteien, nicht ausschließlich in rechtsextremistischen Zirkeln. Es war dennoch erklärlich, daß der polnische Staatspräsident Kwasniewski alle im Umfeld der OSZE-Konferenz geäußerte Befürchtungen aus der Leitung des Zentralrats der Juden in Deutschland, daß mit der Osterweiterung der EU - und namentlich durch Polen - ein massives Anwachsen von Antisemitismus zu verzeichnen sein wird, für sein Land entschieden zurückwies. Außenminister Fischer war es, der die Pflichten der demokratischen Öffentlichkeit aller OSZE-Länder vorrangig darin sah, im eigenen Land für Ordnung zu sorgen. Hier nur erwähnt werden soll, daß in der heutigen Gedenkstätte Auschwitz und bei Jahrestagen der Befreiung dieses Vernichtungslagers immer wieder Streit darüber aufflammt, wer dort die meisten Opfer zu beklagen hatte, die Polen oder das europäische Judentum. Gegen den erklärten Wunsch der Leitung der Gedenkstätte, alle Besucher mögen an diesem Ort auf Nationalfahnen und andere Staatssymbole verzichten, kommt es immer wieder zu Rangeleien, vor allem unter Jugendlichen, beispielsweise wenn die Staatsflagge Israels gezeigt wird. Ob diese einen rechtsgerichteten Hintergrund oder „nur“ einen eher patriotischen Hintergrund haben, bliebe näher zu untersuchen. Beispiel Lettland Im Vorfeld der EU-Osterweiterung erregte insbesondere ein Vorfall international großes Aufsehen. Die ehemalige lettische Außenministerin und designierte EU-Kommissarin, Sandra Kalniete, behauptet in einer Rede auf der Leipziger Buchmesse, „Dokumente wie Lebensgeschichten der Opfer bekräftigen die Wahrheit, daß die beiden totalitären Regime – Nazismus und Kommunismus – gleichermaßen kriminell waren“. Solcherart zunehmende Vergleiche zwischen Nationalsozialismus und Kommunismus zielen nicht mehr nur auf eine Gleichsetzung zweier als totalitär bestimmter Systeme, sondern auf den „Nachweis“, daß die kommunistische Herrschaft viel verbrecherischer gewesen ist als der Nationalsozialismus. Nicht nur in diesem lettischen Fall hat dies im Zusammenhang mit unserem Thema noch eine besondere Komponente, insbesondere im Zusammenhang mit der Aufrechnung von Opferzahlen im 2. Weltkrieg, die deutschen Opfer eingeschlossen. Festzuhalten bleibt: Das Wort „Ost-Transporte“ meint geschichtlich ganz verschiedene Vorgänge. Nach 1939 war das Wort „Ost-Transporte“nicht nur durch die Richtungen von 6
Rosa-Luxemburg-Stiftung –Gesellschaftsanalyse und Politische Bildung - Seminarmaterialien West-, Zentral- und Südeuropa nach Auschwitz, sondern auch durch solche Transporte bestimmt wie: - Letten nach Sibirien; - Wolgadeutsche nach Sibirien; - polnische Soldaten und Offiziere, Kriegsgefangene der Sowjetunion, nach Sibirien und andere. Was den Skandal um Frau Kalniete betrifft, kann man Einzelheiten in einem Zeltungsartikel unter der Überschrift „Gleichsetzung. Lettische Geschichtspolitik“ : 13 nachlesen; unter anderem findet man darin folgende Einzelheiten: - 80 000 Letten waren Mitglied der SS-Legion, - 30 000 Letten dienten bei Polizei in der NS-Zeit. - Im Juni 1941 wurden: 20 00 Letten nach Sibirien deportiert, davon 5 00 Juden (Das wird gern verschwiegen.) - Der „virulente Antisemitismus“ in Lettland wurde schon in den 30er Jahren, vor der gewaltsamen Gründung der neuen Unionsrepublik Lettland der UdSSR, geschürt.. - Frau Kalniete ist selbst in der sibirischen Verbannung geboren worden, die Familie durfte erst nach 16 Jahren wieder nach Lettland zurückkehren. Dies war kein Ausnahmefall, sondern ist für nicht wenige Letten Teil ihrer Familiengeschichte. Der Gulag und die Ermordung ganzer Völkerschaften im Herrschaftsbereich der Sowjetunion gehören zur europäischen Geschichte. Dies sollte die Botschaft Kalnietes wohl gewesen sein, begründet auch durch eine jahrelange Ignoranz oder Gleichgültigkeit gegenüber dieser doppelten Leidensgeschichte, auch in Westeuropa. Beispiel USA Die Bush-Administration verdächtigt alle ihre ausländischen Kritiker oft und schnell des Antisemitismus. Andererseits hat der Jüdische Weltkongreß mit Sitz in den USA großen Anteil an der Bekämpfung von Antisemitismus in Wort und Tat. Verwiesen sei in diesem Zusammenhang ausdrücklich auch auf die Rolle jüdischer Organisationen bei der Durchsetzung von Entschädigungszahlungen Deutschlands an ausländische Zwangsarbeiter, Juden wie Nichtjuden. Die Initiative von Präsident Bush, im Wahlkampf schnell noch ein neues Gesetz zur Bekämpfung des Antisemitismus zu schaffen, um potentielle Wähler mit jüdischem Hintergrund zu gewinnen, ist allzu durchsichtig. Die OSZE-Instrumentarien, die von den USA mitbeschlossen wurden und erklärtermaßen mitgetragen werden, sind eigentlich für das Handeln in jedem Land eigentlich ausreichend. 13 Siehe: Christian Semler: Gleichsetzung: Lettische Geschichtspolitik, in: taz, 26.3.2004, www.klick-nachrechts.de. 7
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