Lächelnde Lügner - Friedrich-Schiller-Universität Jena
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Uni<br />
In der Öffentlichkeit<br />
wurde<br />
der Hochschulrat<br />
erst ein Mal<br />
zusammen<br />
gesehen: vor<br />
einem Jahr zum<br />
Fototermin.<br />
FOTO:<br />
FSU/SCHEERE<br />
10<br />
Der große Unbekannte<br />
Ein Jahr Hochschulrat an der FSU – Versuch einer Bilanz<br />
Ein Jahr ist es mittlerweile her, dass an<br />
der <strong>Universität</strong> <strong>Jena</strong> ein Hochschulrat<br />
eingeführt wurde. Er besteht aus zehn Mitgliedern,<br />
von denen aber nur drei der FSU<br />
angehören. Grund für die Veränderung<br />
im Uni-System war das neue Thüringer<br />
Hochschulgesetz. Die Idee und der Anspruch<br />
dahinter: Externe Fachleute sollten<br />
ihre Erfahrungen in die Forschung und<br />
Lehre einbringen und Anregungen zur<br />
zukünftigen Profilierung der Uni geben.<br />
Unter den Mitgliedern, die nicht aus <strong>Jena</strong><br />
kommen, finden sich neben Professoren<br />
und Politikern mit Michael Kaschke, Mitglied<br />
des Beirats der Dresdner Bank, und<br />
Jürgen Radomski, dem ehemaligen Personalvorstand<br />
bei Siemens, auch Vertreter<br />
aus Wirtschaftsunternehmen. Gerade die<br />
Berufung Radomskis ist umstritten, da dieser<br />
im vergangenen Jahr in die Schmiergeldaffäre<br />
bei Siemens verwickelt war und<br />
inzwischen auf Schadensersatz verklagt<br />
wird. Begleitet wurde die Einführung des<br />
neuen Gremiums von einem Aufschrei des<br />
Stura, der den Abbau der studentischen<br />
Mitbestimmung kritisierte. Der Stura boykottierte<br />
den Unirat und entschloss sich,<br />
keinen studentischen Vertreter zu den<br />
Sitzungen zu schicken, obwohl das Thüringer<br />
Hochschulgesetz diesem immerhin<br />
eine beratende Stimme zugesteht.<br />
Das Jahr zog ins Land und es wurde still<br />
um den Unirat. Kaum etwas von den Sitzungen<br />
drang an die Öffentlichkeit. Hat<br />
sich das neue Gremium als Ort der Kooperation<br />
bewährt, in dem anregend und<br />
kritisch über alle Felder der Wissenschaft<br />
diskutiert wird, oder handelt es sich hier<br />
um einen Club der Jasager und Abnicker?<br />
Klaus Dicke für seinen Teil zieht eine positive<br />
Bilanz: „Das Einarbeiten der externen<br />
Mitglieder in den Rhythmus der Arbeit<br />
hat erstaunlich gut funktioniert.“ Dicke<br />
hat sich nicht nur dafür eingesetzt, dass<br />
der Hochschulrat in <strong>Jena</strong> „<strong>Universität</strong>srat”<br />
heißt, sondern nimmt auch regelmäßig an<br />
den Sitzungen teil. Inzwischen gebe es<br />
keine „Übergangssituation“ mehr und das<br />
Gremium erfülle alle seine Funktionen.<br />
Unter diesen Funktionen hebt Dicke zwei<br />
besonders hervor: seine eigene Wiederwahl<br />
und die Ziel- und Leistungsvereinbarung<br />
zwischen der <strong>Universität</strong> <strong>Jena</strong> und<br />
der Thüringer Landesregierung. Dabei<br />
wird über die Aufgaben der <strong>Universität</strong><br />
und die ihr zustehenden Geldmittel verhandelt.<br />
Gerade bei den Gesprächen mit<br />
dem Landtag seien die Erfahrungen der<br />
externen Mitglieder sehr hilfreich gewesen.<br />
Darüber hinaus hat der Unirat eine<br />
beratende Funktion. Auch hier findet<br />
Rektor Dicke den Einfluss des Gremiums<br />
bereichernd: „Ich nenne es Rechenschaft<br />
ablegen: sich selbst zu verdeutlichen, welche<br />
Verantwortung man hat. Dazu gehört<br />
natürlich auch Selbstkritik.“<br />
Artikulierte<br />
Wirtschaftsinteressen<br />
Den Einfluss externer Mitglieder aus Wirtschaftsunternehmen<br />
beurteilt Klaus Dicke<br />
als nicht problematisch: „Es ist richtig,<br />
dass es damit eine unmittelbare Artikulationsmöglichkeit<br />
für Wirtschaftsinteressen<br />
an der <strong>Universität</strong> gibt. Jedoch sind<br />
konkrete operative Entscheidungskompetenzen<br />
nicht gegeben.“ Die <strong>Universität</strong> sei<br />
inzwischen auch in einem höheren Maße<br />
auf eine Kooperation mit der Wirtschaft<br />
angewiesen. „Wir müssen an der <strong>Universität</strong><br />
Dinge einführen, die die Wirtschaft<br />
schon seit zehn Jahren beherrscht.“ Darunter<br />
fallen für Dicke beispielsweise Qualitätskontrollen<br />
in allen Bereichen. Ob im<br />
Zuge dieser Qualitätskontrollen auch Studiengänge<br />
untergehen werden, die nicht<br />
in bestimmte „Forschungscluster“ hinein-<br />
passen, bleibt abzuwarten.<br />
Die Artikulationsmöglichkeit für Wirtschaftsinteressen<br />
erscheint Stura-Mitglied<br />
Marc Emmerich höchst bedenklich. Bildung<br />
sei eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe,<br />
darunter falle auch die Lehre an einer<br />
<strong>Universität</strong>. Würden nun Belange der<br />
<strong>Universität</strong> unter privatwirtschaftlichen<br />
Gesichtspunkten beurteilt, so nehme dies<br />
die Gesellschaft aus der Verantwortung.<br />
Emmerich sieht darin einen gegenwärtigen<br />
Trend: Die Hochschule emanzipiere<br />
sich offensichtlich vom Land und gehe<br />
mehr auf die Wirtschaft zu. Als einziger<br />
Student hat er an einer Sitzung des <strong>Universität</strong>srats<br />
teilgenommen, an der zur<br />
Wiederwahl Klaus Dickes als Rektor. Damals<br />
wie heute beurteilt er das Verfahren<br />
als nicht transparent genug. Außerdem<br />
werde Dicke von Personen gewählt, die<br />
er selbst dafür ausgesucht habe. Im Verlauf<br />
der Rektorwahl hatten einzelne Mitglieder<br />
sogar Verständnis für seine Kritik<br />
bekundet. Jedoch blieb der Eindruck einer<br />
Scheinwahl haften: „Ich hatte das Gefühl,<br />
dass im Vorfeld schon alles entschieden<br />
war. Die Mitglieder treffen sich oftmals<br />
schon separat, um die Sitzungen vorzubereiten.“<br />
Dazu passte auch, dass die Wahl<br />
des Rektors mitsamt Diskussion nur etwa<br />
drei Stunden dauerte. Insgesamt sieht Emmerich<br />
den <strong>Universität</strong>srat als „ein überflüssiges<br />
Gremium, das Entscheidungsprozesse<br />
verschleiert.“<br />
Mittlerweile hat sich der Stura dazu entschlossen,<br />
doch einen studentischen Vertreter,<br />
Sven Thalmann, in den <strong>Universität</strong>srat<br />
zu entsenden. Das sollte Klaus Dicke<br />
erfreuen, meint dieser doch: „Ich fordere<br />
die Studenten immer auf, auch ihre Meinung<br />
beizutragen.“ Thalmann, der Volkskunde<br />
und Kulturgeschichte studiert,<br />
möchte in seiner neuen Funktion eng mit<br />
dem Stura zusammenarbeiten und hofft,<br />
dass er im <strong>Universität</strong>srat „den Studenten<br />
eine Stimme geben kann, die auch erhört<br />
wird.” Als problematisch sieht er die Tatsache,<br />
dass viele der Mitglieder mit aktuellen<br />
studentischen Problemen nicht vertraut<br />
sind. Dennoch blickt er optimistisch<br />
auf die zukünftigen Sitzungen. Thalmann<br />
bietet sich nun die Möglichkeit, etwas<br />
Licht ins Dunkel eines Gremiums zu bringen,<br />
das nach außen hin den Eindruck erweckt,<br />
Entscheidungen am liebsten hinter<br />
verschlossenen Türen zu fällen. Er hat die<br />
Möglichkeit studentische Interessen zumindest<br />
zur Diskussion zu stellen, wenn<br />
er auch kein Stimmrecht hat.<br />
Philipp Böhm