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Lächelnde Lügner - Friedrich-Schiller-Universität Jena

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„Helga, mach das Rollo runter“<br />

Wie es als Werber in einer Drückerkolonne ist<br />

Alle Mann raus aus dem Auto, ausstreuen<br />

und ran an die Haustüren: Klinken<br />

putzen für den guten Zweck. Vor dem Klingeln<br />

noch schnell die ersten Sätze durchgehen<br />

und dann Augen zu und durch: „Schönen<br />

guten Tag, wie sind von der Johanniter.<br />

Keine Angst, heute nehmen wir keinen mit!“<br />

Gleich in fröhliches Gelächter ausbrechen,<br />

damit das gerade aus seinem Alltag geklingelte<br />

Gegenüber weiß, dass der flotte<br />

Spruch ein Scherz sein sollte. Und bevor die<br />

Haustür gleich wieder zufliegt oder<br />

der Hausherr einwendet, dass er<br />

kein Interesse an einer Spendenmitgliedschaft<br />

bei den Johannitern hat,<br />

schnell weiterschnattern und sich<br />

mit den wichtigsten Argumenten in<br />

die Wohnung manövrieren. Wenn<br />

der Plan mal wieder nicht aufgeht,<br />

durchatmen und es beim Nachbarn<br />

versuchen. Und so geht es weiter,<br />

im ganzen Haus, auf der ganze Straße,<br />

im ganzen Viertel, bis gefühlte<br />

12 Stunden später das Auto wieder<br />

Richtung Ferienhaus fährt, in dem<br />

alle Werber in diesen Wochen zusammen<br />

leben.<br />

Geld stinkt nicht<br />

Als Promoter bei der Wesser GmbH<br />

zu arbeiten bedeutet, drei Treppchen höher<br />

als andere Drücker zu stehen. Immerhin<br />

vertritt Wesser nur so genannte Non-Profit-<br />

Organisationen wie den Johanniter-Unfall-<br />

Hilfe e.V. (JUH), das Rote Kreuz und einige<br />

Naturschutzvereine. Doch trotz der sozialen<br />

und ökologischen Relevanz ist diese<br />

Promotion ein seelisch belastender Job, den<br />

Wesser mit einem hohen Gehalt belohnen<br />

möchte. Leider werden aber nicht der psychische<br />

Wahnsinn, dem sich der Werber<br />

aussetzt, die herabwürdigende Behandlung<br />

durch die Bevölkerung oder die belastenden<br />

Arbeitszeiten entlohnt. Allein die unterschriebenen<br />

Verträge bringen Geld; nach<br />

Leistungsprinzip werden die Promoter an<br />

den Gewinnen der Organisationen beteiligt.<br />

Spendet das neue Fördermitglied monatlich<br />

einen hohen Betrag, ist die Provision auch<br />

hoch. Ist ein Werber für einen der Naturschutzvereine<br />

im Einsatz, ist seine Provision<br />

höher als der Satz des Werbers für die sozialen<br />

Organisationen. Schließlich sind Rotes<br />

Kreuz und die Johanniter in der Gesellschaft<br />

etablierter als ökologische Vereine und Mitglieder<br />

lassen sich leichter werben. Die Provision<br />

soll laut Wesser bis zu 2000 Euro im<br />

Monat einbringen – abhängig ist das Gehalt<br />

allein von der Hartnäckigkeit des Werbers.<br />

Mit welchen Methoden sich der Promoter<br />

an der Haustür durchsetzt, wie es ihm gelingt,<br />

im Wert von 2000 Euro im Monat<br />

Mitgliedsverträge für die Organisationen<br />

zu ergattern, können die Wesser GmbH<br />

und die Vereine kaum prüfen. Sabine Zeller<br />

von der Johanniter in Baden-Württemberg<br />

hofft, mit den „professionellen Werbern“<br />

der Firma Wesser Einfluss darauf zu nehmen,<br />

„mit welchen Maßstäben, Mitteln und<br />

Methoden die Werber arbeiten.“ Doch wie<br />

professionell kann die Mitgliederwerbung<br />

schon sein, wenn 90 Prozent der Werber<br />

Studenten sind?<br />

Der Weg zum Folterferienjob<br />

Jeder kann sich für eine Stelle als Promoter<br />

bewerben und kriegt sie in der Regel auch<br />

– Hauptauswahlkriterium ist scheinbar, diesen<br />

belastenden Job überhaupt zu wollen.<br />

Wer sich einmal online beworben hat (Angabe<br />

von Name, Adresse und Häufigkeit<br />

des E-Mail-Abrufens genügen), muss sich<br />

nur noch bei einem Bewerbungsgespräch<br />

in seiner Stadt von einem Wesser-Scout – in<br />

der Regel ein langjähriger und erfolgreicher<br />

Promoter – auf Flexibilität und Durchsetzungsvermögen<br />

prüfen lassen, bis der mehrwöchige<br />

Folterferienjob losgeht. Startpunkt<br />

der mindestens vierwöchigen Werberzeit ist<br />

die Auftaktveranstaltung in der Stuttgarter<br />

Wesser-Zentrale. Diese Zusammenkunft aller<br />

Newcomer ist eine als nette Ferienlagerdollerei<br />

getarnte Schulung, die die wichtigsten<br />

Handfertigkeiten für den Promoterjob<br />

lehren soll. Nach diesem Wochenende werden<br />

die Neuwerber in ihr Einzugsgebiet – je<br />

nachdem wo gerade Promoter gebraucht<br />

werden – geschickt, wo sie nun in einem<br />

größeren Team in einem Ferienhaus zusammenleben<br />

und Klinken schrubben werden.<br />

Dort angekommen, bringt der Teamleiter,<br />

wie der Scout ein langjährig erfolgreicher<br />

Promoter, dem Neuling weitere Tipps bei,<br />

um an der Haustür zu punkten. Eine dieser<br />

wertvollen Ideen besagt, sobald die Haustür<br />

geöffnet wird, die Schuhe auf dem Abtreter<br />

zu wetzen, um dem Gegenüber gar keine<br />

Wahl zu lassen, als den Werber in die<br />

Wohnung zu bitten. Es gilt, keine Blöße zu<br />

zeigen – schließlich wollen die angepriesenen<br />

2000 Euro fix verdient<br />

werden.<br />

Kontrollmechanismen<br />

Von unlauteren Methoden distanzieren<br />

sich sowohl die Johanniter<br />

als auch Wesser. Robert Werzer von<br />

Wesser erschließt sich mit eigener<br />

Logik, wieso die Mitarbeiter ganz<br />

bestimmt ordentlich arbeiten: Kein<br />

Promoter will, dass eine Beschwerde<br />

über ihn eingeht, die zu seiner<br />

Suspendierung führen würde. Wer<br />

ordentlich Geld verdienen wolle,<br />

würde sich an den Werberkodex<br />

halten. Doch gibt Werzer zu, dass<br />

es jährlich einige Beschwerden<br />

gibt. Um Anklagen aus der Bevölkerung<br />

zu verhindern, hat sich „der Johanniter-Unfall-Hilfe<br />

e.V. verpflichtet, in seiner<br />

Mitgliederwerbung einen Verhaltenskodex<br />

der deutschen Hilfsorganisationen einzuhalten,<br />

der zahlreiche Ge- und Verbote<br />

enthält, welche die Werbemaßnahmen von<br />

sogenannten Drücker-Methoden deutlich<br />

unterscheiden“, erklärt Johanniter-Pressesprecherin<br />

Zeller. Außerdem überprüfen die<br />

Organisationen präventiv die Werbebeauftragten<br />

in Form von stichprobenartigen Anrufen,<br />

die die Johanniter bzw. die anderen<br />

Organisationen bei den neugeworbenen<br />

Mitgliedern vornehmen.<br />

Aber warum lassen diese rechtschaffenen<br />

Vereine überhaupt Dritte für sich Spendenmitglieder<br />

sammeln? Sabine Zeller antwortet<br />

für die Johanniter stellvertretend, die<br />

eigenen Mitarbeiter könnten nicht neben<br />

ihrer eigentlichen Tätigkeit auch noch die<br />

Haustürwerbung übernehmen. Zumal es<br />

sich dabei um eine „schwierige und undankbare<br />

Aufgabe“ handelt, die nicht selten<br />

mit einer großen „psychischen Belastung“<br />

einhergeht. Wahrscheinlich gibt Wesser<br />

deswegen allen potentiellen Werbern eine<br />

Chance und rekrutiert die über 1000 Mitarbeiter<br />

jährlich vorzugsweise aus dem Internet.<br />

Nelly Dinter<br />

Titel<br />

Heucheln,<br />

schleimen,<br />

grinsen: Der<br />

Beruf des Drückers<br />

will gelernt<br />

sein.<br />

FOTO:<br />

KATHARINA<br />

SCHMIDT<br />

9

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